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25. Juli 2020

Das Geheimnis der Strohballen

Ich bin mal wieder hin und weg von der Intelligenz und Wahrnehmungsfähigkeit von Tieren. Sollten wir öfter sein, dann kämen wir uns nicht mehr so wichtig vor, wie wir tun. Es geht mal wieder um Monsieur Bilbo von Butterblum. Der gab auf seinem üblichen Weg nämlich gestern plötzlich ein Alarmbrummen von sich.

Die riesigen Marshmallows auf den Wiesen liebt Bilbo. Die lassen sich nämlich hervorragend markieren - und beschnüffeln, weil auch andere Tiere das tun. An exponierter Stelle sind sie echte Postämter für Pee-Mails!


Beagles haben ein sehr eigenes Repertoire an Tönen, denn sie bellen auch nicht ganz so wie andere Hunde. Als Jagd- und Spürhunde verfügen sie über Töne, die eine Spur ansagen; sie kommunizieren die Nähe von Beute oder eben auch bestimmte ungemütliche Situationen. Da gibt es das berühmte Glöckeln (kennt man von Filmen mit Fuchsjagd, wenn die Meute glücklich glöckelt), ein trockenes "Rotzen" bis in den Rachen (die Spur ist extrem frisch), herzzerreißendes Heuljammern (Kumpel war grad da und ich konnte nicht mit!) oder - im Falle von Gefahr oder Abscheu, diverse Grolltöne.

Wir kamen an einem abgeernteten Getreidefeld vorbei und Bilbo dröhnbrummte mit einem kurzen "Waff" als Auslaut. Ich war perplex. Diesen Laut hat er nämlich nur für Maschinen, die er offenbar als lebendig wahrnimmt. Es ist ein Zwischending aus Angst und dem Signal, da sei etwas Bedrohliches, aber auch Neugier und: "Da ist was nicht geheuer! Guck du mal!" Er macht das grundsätzlich bei Heißluftballons, wo sich der Laut abwechselt mit Anzeichen, es würde eine Ente vorbeifliegen, die Mensch doch bitteschön abschießen und servieren könne. Fliegt der Ballon höher, überwiegen die Entenhinweise, sinkt er, kommt das Warnbrummwäff. So stelle ich mir vor, Heißluftballons könnten in Bilbos Wahrnehmungswelt eine Art überdimensionaler Beute sein, der man aber genau darum nicht ganz traut.

Die anderen Adressaten für diese Laute sind die Heckenschere des Nachbarn (und nur die, keine andere) und ganz spezielle, alte Kleintraktoren, von denen es vielleicht drei im Dorf gibt, alle anders, alle mit anderem Warnlaut. Ich höre an Bilbos Warnlaut, wer gerade vorbeifährt! Allen gemeinsam ist ein sirrendes und klirrendes Geräusch, das wahrscheinlich beim guten Gehörsinn eines Hundes eine wahre Kakophonie von für mich unhörbaren Tönen darstellt.

Warnbrummwäff: "Da ist was nicht geheuer! Guck du mal!"

Ich guckte. Guckte den ganzen Himmel ab, die Felder, die Hänge. Weit und breit kein Ballon, kein Traktor, keine Heckenschere. Menschen sind ja grundsätzlich recht schwer von Begriff, Bilbo zeigte mir also, was er anbrummte: einen Strohballen. Von einer ganzen Reihe von Strohballen.

Ich verstand noch weniger. Er hat damit nie Probleme. Heuballen sind seine große Liebe - die Marshmallows benutzt er als Pee-Mail-Verteilerstationen und die unverpackten untersucht er auf Mausbesatz am Boden. Wieso plötzlich diese Abwehr gegen die Strohballen?

Mir fiel auf, dass sie anders waren als die Heuballen. Nämlich viereckig. War es die Form? War es das Material? Übersah ich etwas? Eine Maschine? Doch ringsum herrschte Stille, nur Vogezwitschern.

Langsam führte ich Bilbo an die Strohballen heran und zeigte ihm, dass sie keine Gefahr bedeuteten. Er schnüffelte und pinkelte. Und untersuchte jeden einzeln. Aber immer wieder schaute er die Reihe als Ganzes an und brummte. Und da endlich "sah" ich es auch! Diese kleinen quadratischen Strohballen konnte bei uns nur ein einziger Mann mit seinem Trecker herstellen. Und genau dieser uralte Trecker ist für Bilbo DAS Hassobjekt, DER Auslöser für das Alarmbrummen.

Die Ballen lagen bestimmt schon einen Tag zum Trocknen. Ich hatte am Vortag von ferne die Maschine gehört, war herausgelaufen, weil Bilbo sein Warnbrummen machte. Hatte noch gesagt: "Die machen doch nur Heu, beruhig dich!" Das Feld ist einige Kilometer entfernt, man hört das von weitem.

Ich bin jetzt einfach nur fasziniert. Und wünschte, Fachmenschen könnten mir das erklären.
  • Kann der Hund Geräusche aus der Ferne einem speziellen Platz zuordnen und erinnern?
  • Kann sich der Hund merken, dass nur aus diesem einen Traktor viereckige Ballen fallen?
  • Riecht der Hund nach einem Tag den Traktor oder womöglich den Bauern, der darauf saß?
Allein die Tatsache, dass ich nicht genau sagen kann, wie ein Hund das schafft, zeigt doch, wie beschränkt meine eigenen Sinne sind. Zum Glück ist Bilbo ein geduldiger Lehrmeister und zeigt mir auch, dass ich manchmal für ihn so eine extrafette Ente vom Himmel holen könnte, wenn ich eben nicht ein so beschränkter Mensch wäre.

21. Juli 2020

Was zermürbt ...

Keine Angst, es wird lustig! Ich habe eben das größte französische Donnerwetter geflucht, dessen ich mächtig bin - und das hört sich ungefähr so an, wie sich in Comicsprechblasen Buchstabendurcheinander mit kleinen Totenköpfen, grinsenden Piraten und giftgrünen Spiralen liest. Dabei war alles so einfach: Ich wollte etwas mehr als die üblichen zehn Masken an den Supermarktkassen kaufen, plus das in Läden nie existente Handdesinfektionsmittel dazu. Online. Und nicht bei Amazon. Amazon, ach Amazon ...

Ich sehe im Moment ungefähr so aus. Und hoffe, bald wieder von der Decke runterzukommen und wieder Mensch zu werden ...


Als brave Staatsbürgerin habe ich mich zuerst auf eine privilegierte Seite begeben, beim Ministerium. Privilegiert insofern, als ich dank Einfraufirma für mich und meine MitarbeiterInnen, die ich als Einfraufirma nicht habe, Masken bestellen kann, damit es hier in der Wirtschaft ordentlich zugeht. In Zusammenarbeit mit La Poste habe ich das Privileg, mich da öfter einzudecken. Vorab: Ich habe ein Kundinnenkonto bei der Post, wie praktisch, dachte ich.
Ermahnung: Bei Amtskram in Frankreich nie selbstständig denken! Es kommt immer anders.
Das Ministerium fragt meine Firmendaten ab. Soweit, so normal. Et voilà, ich bin auf der Spezialseite der Post. Soll ein Kundenaccount einrichten. Drei Anläufe später ist klar: Die akzeptieren mein längst existierendes als Mensch nicht, die wollen eins mit mir als Chefin. Aaaaaalso ... jede Menge Firmenzeugs eingegeben, hochvertrauliches. Et voilà, die fragen die zentrale Registerstelle ab und zeigen mir noch mehr Daten von mir, die ich nicht mehr ausfüllen muss. Alle arbeiten mit allen zusammen. Nur die Steuererklärung wird offenbar noch nicht von der Post erledigt.

Tippeditippediklapper bin ich endlich endlich auf der Seite, wo ich die Masken in Sechserpacks für kleine Firmen oder in Riesendickpackungen bestellen kann. Noch kann ich nicht sehen, was ich da kaufen werde. Also nehme ich die minikleinste Minimenge wegen der nicht vorhandenen Angestellten. Et voilà, es kömmen Fotos nebst Beschreibung.

Das sind also diese Art Ersatzmasken aus Stöffchen, die Beschreibung karg. Bei dem Mann auf dem Foto sitzen sie nicht so recht. Und ich sehe: Die haben ein nicht dehnbares, breites Stoffband für die Ohren. Ich weiß jetzt schon, dass die bei mir ganz und gar nicht sitzen werden und einfach ... mer...de sagen wir in Frankreich. Will ich nicht. Nicht die. Auch wenn sie noch so waschbar wären. Im Geiste sehe ich das alles auslobbern, was eh schon labbrig aussieht. Ich verlasse mein Account ("Sie haben keinerlei Bestellungen oder bezahlte Rechnungen!").

Ich habe nämlich vorher gesehen, dass die Post in ihrer Online-Boutique für stinknormale Kundinnen auch Masken verkauft. Größere Auswahl, nur unwesentlich teurer, dafür aber auch Desinfektionsmittel!

Ich logge mit meinem Kundinnenaccount ein, so weit, so gut. Suche herum. Bekomme ein irrsinniges Porto vom 15 E heraus und denke schlau: Da kommen zwei Produkte von zwei Herstellern. Was, wenn ich vom gleichen Hersteller kaufe? Überraschung! "Das Porto für Ihre Bestellung beträgt 0,00 E - es wird Ihnen geschenkt." Boah. Wow. Das muss einem doch gesagt werden. Erklärungen gibt es nirgends, aber ich gehe davon aus, dass es am Hersteller lag. Irgendwie muss die Post so ähnlich funktionieren wie Amazon Marketplace. Sagt einem aber keiner. Auch nicht La Poste.

Nach all dem Ministeriumsbrimborium und anderen Krempelkramerfreulichkeiten heute klicke ich zuversichtlich auf meinen Einkaufskorb und klicke und klicke und finde Buttons nicht gleich ... in Frankreich funktionieren viele Onlineshops nach einer mir noch unbekannten Logik. Oder anders gesagt: Es gibt nicht immer Buttos fürs Rückwärts und dann funktioniert meist nichts mehr.

Endlich komme ich zum Bezahlen. Eben noch hatte ich mir eine Briefmarke ausgedruckt und per Paypal bezahlt. Sicher und schnell. Jetzt wollen sie die Kreditkarte. Ich rase zur Handtasche, es kann sich nur noch um Minuten drehen.

"Die Authentifikation Ihrer Kreditkarte schlug fehl."

Tat sie noch nie. Wie, warum, weshalb? Nach gefühlt 2 kg französischen Spezialsprechs über 3-D und Sicherheit und Dingenszeug seit Januar (war das vor Corona? Wie soll sich jemand an vor Corona erinnern können?) erfahre ich, dass ich mit meinem Bank-Conseiller Rücksprache halten soll, ein Mann, der eigentlich nie erreichbar ist.

Also Einloggen bei der Bank und siehe da - eine ungelesene Mitteilung vom Januar. Wie habe ich die übersehen können? Warum hat mir niemand warnend auf die Schulter gehauen oder einen Brief geschickt? Ich soll wegen der neuen Authenti... also dieses Dingens. Ich könnte meine Handynummer eingeben und das veranlassen.
Mir schwant Übles.
Sehr sehr Übles. Die Story mit der Telefonnummer, diese unendliche Geschichte. Ich hatte deshalb schon mal einen Schreikrampf. Erinnere mich wieder an ein düsteres Kapitel französischer Bankgeschichte.
Im vergangenen Jahr probierte ich locker ein halbes Jahr lang, in mein mobiles Account die neue Telefonnummer aufnehmen zu lassen. Man könnte das ja mit zig Passwörtern und / oder einer sms absichern. Stattdessen kam die Meldung, man werde mit einen Bestätigungscode mit Brief aus Papier zuschicken. Damals nahm der Horror seinen Lauf: Solche Briefe kommen bei uns nie wirklich pünktlich an. Und der Code war so gemacht, dass er nach wenigen Tagen verfiel. Was soll ich sagen: Der Brief mit dem Code kam immer genau dann an, wenn der Code gerade verfallen war. Irgendwann bekam ich jenen Schreikrampf und gab auf. Ich würde das schon nicht brauchen.

Aber genau diese Handynummer brauchte ich jetzt für diese superirresichere Authentizifizackdingens! Die Bank versicherte mir, dass ich bei Herunterladen ihrer App aufs Handy völlig superduperschnellsicher überall bezahlen könne und authentisch oder so sei.

Ha! Warum hat mir das keiner vorher gesagt - endlich mal alles digital. Obwohl ich es HASSE, Bankgeschäfte via Handy zu machen, sicher ist in meinen Augen nämlich was anderes!

Was tut man nicht alles, um ein paar Masken zu bestellen. Ich hab die App runtergeladen. Dafür sogar Twitter vom Handy gehauen, weil der Speicher fast voll war. Und zacktralali ... "nur noch ein paar Einstellungen, um Ihre App zu konfigurieren!" Gemacht, getan. Mich authentizifizeriert. Et voilà: "Geben Sie jetzt Ihre Handynummer ein!" Zackzerack - ich hatte schon Übung.

Und dann ist es passiert. Niemand hat mich vorgewarnt. Ich habe nicht einmal einen Schnaps im Haus.
Düsternis. Mitternachtsschwarzer Hirnschleim. Grellgrünquirlende Spiralen in Totenköpfen von Piraten!
Die Mitteilung kannte ich von irgendwoher: "Danke, dass Sie Ihre Telefonnummer angegeben und bestätigt haben. Sie bekommen einen Brief mit einem temporären Zugangscode."

Donald Duck würde jetzt sagen: Arrrrggggglllll.

Diesen Brief unterschreibt übrigens mein Conseiller höchstpersönlich. Ich kann ihn nicht einfach anrufen und nach dem Code fragen. Ich kann ihn nicht mal persönlich mit Ausweis besuchen, um den Code zu erfragen, obwohl ich in 15 min. dort wäre. Es geht alles nur noch hypervirtuell und fantastiös elektronisch. Abgesehen von jenem Papierbrief. Sollte er, per App bestellt, schneller ankommen, als per PC abgerufen?

Welche Abenteuer erwarten mich dann, wenn ich den Code endlich habe? Welche Umwege und idyllischen Nebenpfade?

Die Maskenbestellung nebst Desinfektionsmittel habe ich erst mal annuliert. Werde mich weiter mit Kernseife waschen und die schnöden Masken aus dem Supermarkt an der Kasse verlangen. Bis wer weiß wann.
Hätte ich einen Schnaps im Haus, würde ich ihn auf das Wohl von Amazon trinken. Aber erst mal muss ich einen Kniefall machen und ein Dankesgebet, dass ich die Briefmarke heute per Paypal zahlen durfte. Das ging vielleicht zackig! Im Nachhinein bin ich fast erschrocken, wie einfach es ist, Briefmarken daheim auszudrucken. Vielleicht sollte ich mir Briefmarken auf Mund und Nase kleben?

17. Juli 2020

Klimawandel und Gefühle

Ein Lesetipp von mir: Die BBC-Future-Serie "Climate Emotions". Ich bin zufällig drübergestolpert, als ich zu dem Thema recherchierte und bin begeistert von der Vielfältigkeit und Qualität der Artikel - die auch noch graphisch toll umgesetzt sind.



Ein wichtiges Thema, das viel gemeinsam hat mit der Gefühlslage durch Corona und uns sicherlich die nächsten Jahre beschäftigen wird. Zu oft wird es ausgeblendet. Die Lektüre lohnt sich sehr!

13. Juli 2020

Wie entsteht ein Prototyp?

'Lindenkinder" las ich kürzlich als Bezeichnung für die Samen der Linden auf Twitter, die im Moment scharenweise um die Dorflinden herum am Boden liegen. Mir gefällt der Ausdruck! Und weil ich für die Art Journals mit Lindenästen als Buchrücken arbeite, interessiere ich mich für Linden sehr intensiv. Ihre Blüten faszinieren mich vom Duft her, wegen des wunderbaren Honigs und leckeren Tees. Und jetzt sah ich die Samenkügelchen mit ihrem Flugblatt und dachte: Das ist Schmuck! Im Geist sehe ich Colliers mit Lindenanhängern, sogar Ohrringe.

Es sieht einfacher aus als es ist: Sobald mich ein Prototyp zufriedenstellt, kann eine Naturform zu Schmuck werden. Hier die Arbeitsschritte auf einen Blick, angefangen vom Lindensamen (u.re.) bis zu den Schneideformen (unten) aus Karton.


Diesmal kann ich euch mitnehmen in die Ideenschmiede meines Ateliers und zeigen, wie ich von einer Naturform zum Schmuck komme. Nicht alles, was auf den ersten Blick schön aussieht, ist nämlich mit jedem Material und insbesondere Papier nachzuformen.

Schon bei den Früchten muss ich mich entscheiden: Soll ich sie grob stilisieren und lediglich eine Kugel fertigen - oder soll ich sie ganz genau nachbauen? Die genauen Umrisse brauche ich für die Perlengrößen.


Es beginnt alles mit meinem Skizzen- und Anleitungsbuch, in dem ich Dinge zeichne, Wichtiges dazu notiere und vor allem für spätere Verwendungen immer auch die Originalumrisse in Originalgröße zeichne, falls mir mal eine Schablone verloren geht. Das kann ich auf Pergament übertragen und davon eine Kartonschablone schneiden. Im Atelier habe ich einen Karton, der bis obenhin gefüllt ist mit solchen Schablonen für geometrische Anhängersilhouetten oder Käferflügel.

Im Fall der Nussfrüchte mit ihrem Propeller-Flugblatt war schnell klar, dass ich mit Perlen arbeiten würde. Aber wie sollte ich sie aufhängen?

Der Stängel und seine Verankerung mit dem Flugblatt wird die größte Herausforderung.


Schaut man genauer hin, wird es kompliziert. Die Natur macht das mit Nonchalance: Der Stängel ist mit dem Flugblatt bis zu einem Drittel verwachsen und löst sich dann. Bei der zweiten Markierung auf meinen Schablonen verzweigt er sich, im Fall der Dorflinden zu maximal fünf Früchten, von denen meist nur eine Frucht ordentlich ausgewachsen war.

v. l. n. re.: Schablonen / Papierprobe / echte Lindenfrüchte (mit den Nummern kann ich später die Zeichnungen im Sketchbook zuordnen, wenn ich etwas vergessen habe).


 Spätestens wenn die Schalonen geschnitten sind, habe ich eine Vorstellung von den Materialien, die ich verwenden will. Aber Papier ist nicht Papier und darum muss es getestet werden, ob es den Beanspruchungen und Verformungen standhalten wird. Ich entscheide mich für altes Buchpapier und lindgrünes Papiergarn.



Das 1 mm starke Papiergarn wird mit den Fingernägeln auseinandergeriffelt zu einem breiten Band. Für einen Prototypen brauche ich eine Öse, um den Anhänger später zu befestigen, ein formbares, aber stabiles Flugblatt und passende Perlen. Später werden diese grün sein, für den Prototypen verwende ich Reste. Die Idee: Mit Draht müsste alles zu erreichen sein.

Schon jetzt erkennt man, wo Vorstellung und Machbarkeit auseinanderklaffen. Die Öse ist leicht zu machen, dafür muss aber der Draht danach gedreht werden. Sieht das gut aus? Er ist nur für zwei Samen teilbar - wie befestige ich später mehr? Bei den Perlen dann läuft die Sache endgültig schief: Der Draht ist nicht doppelt durchführbar und kann nicht richtig festgemacht werden. Bei der Perle mit den Details verrutscht die Rocaille. So geht das also schon mal nicht!


Die Rückseite - hier mit Buchpapier.


Die Rückseite ist zwar technisch einwandfrei, aber ist sie schön genug, um bei einem Schmuckstück auch einmal gezeigt zu werden? Sonst muss ich die Samen samt Flugblatt nämlich so befestigen, dass sie sich absolut nicht drehen dürfen!

Das ist also der Prototyp mit all seinen Stärken und Schwächen. Jetzt geht die Arbeit erst richtig los! Ich muss mich zunächst entscheiden, aus welchem Papier ich die Anhänger fertigen möchte. Spontan gefällt mir das lindgrüne Papiergarn besser als Buchpapier oder eine Kombination. Aber passt die Farbe des Drahtes wirklich? Sollte ich Silberdraht nehmen zu grünem Flugblatt und grünen Samenperlen?

Außerdem ist deren Aufhängung noch nicht gelöst. Ich fertige nun dasselbe noch einmal, fange aber diesmal am anderen Ende an. Oder muss mir zeichnend eine andere Befestigung überlegen.

Erst wenn alles stimmt, baue ich ein endgültiges Muster, das dann auch lackiert werden wird. Und wenn meine innere Kritikerin mir das nach einem Härtetext im Tragen abgenommen hat, kann ich endlich ein Schmuckstück fertigen!

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12. Juli 2020

Monsieur Butterblum trifft Störche

Bilbo von Butterblum - die meisten kennen ihn bereits - ist ein Beagle-Mix, der einen öfter aus der Realität kippen lässt. Er verhält sich nämlich ganz genauso wie Snoopy (hat sogar einen Woodstock). Und er ist derart voll von einer unschuldigen Art von Liebe allen Lebewesen gegenüber, dass es mir manchmal fast die Tränen in die Augen treibt. So sind Hunde, wenn sie in Vertrauen und Liebe aufwachsen dürfen.

Bilbo von Butterblum, mein Inspirational Manager und wunderbarstes Mitwesen.


"Salut le chien", "grüß dich, Hund", hörte ich heute Morgen mal wieder. Eine Gruppe jugendlicher Wanderer grüßte Bilbo und freute sich daran, das der senkrecht auf zwei Beinen am Tor stand und sie mit einem Dackelblick bezirzte. Das macht er oft, wenn ihm Menschen sympathisch sind, ihn sogar ansprechen, die offenbar auch nichts Böses wollen. Für letztere hat er allerdings ein sehr feines Gespür: Kommt der Mann, der sein Pferd schlägt, auf seinem Sonntagsspaziergang vorbei, wird er von einer Bestie verbellt, die mindestens vier Meter groß zu sein scheint. Bilbos Empathie geht so weit, dass ich auch schon nachts aus dem Bett gezerrt wurde, weil irgendwo weit weg ein Zicklein vergeblich nach der Mutter schrie.

Das ist das Komische an ihm: Eigentlich müsste er vom Charakter her ein Spür- und Jagdhund sein. Ist er auch. Er braucht täglich Herausforderungen im Spurensuchen. Und für Waldgänge habe ich ihn gut erziehen müssen. Er käme nie auf die Idee, dass Wildschweine essbar wären, schleckt sich aber beim Anblick einer Ente das Maul, selbst wenn sie am Himmel fliegt. Über Enten weiß er irgendwie Bescheid. Er beobachtet ihren Flug genau.

Nachbars Ziegen und Schafe, an die ich ihn schon als Welpe gewöhnt habe, scheinen dagegen so etwas wie eine fremdsprachige "Hunde"-Meute für ihn zu sein. Er versteht ihre Gesten nicht immer oder dass sie nicht mit "wuff" antworten können. Aber wenn es einer schlecht geht oder die Bande ausgebüchst ist und von einem Möchtegern-Hirtenhund nach Hause getrieben werden soll, da ist er Spezialist. Der Besitzer, den ich schon öfter mal im Notfall angerufen habe, grinst nur. "Hat's der Hund gemerkt, gell?", sagt er nur.

Zwei von der Ersatzmeute: Ziegen.


Bilbo will nie einfach nur an den Weiden vorbei, sondern die Meute begrüßen. In der Sommerhitze derzeit gibt es für ihn nichts Schöneres, als mit mir Seite an Seite direkt am Zaun zu sitzen, während die kleinen Zicklein neugierig an seiner Nase schnuppern oder ich trockenes Brot mit ihnen und ihm teile. Oder saftige Kräuter zupfe und herüberreiche. Während der totalen Ausgangssperre haben wir das intensiv gemacht. Ich vergesse die Zeit und alles Drumherum und fühle mich als ein Wesen unter Mitwesen. Wir alle sprechen andere Sprachen, aber Fremdsprachen kann man lernen.

Was ich gestern mit Bilbo erlebt habe, war dann einfach nur noch zauberhaft. Ein abendlicher Gang und ich sah schon am Hang gegenüber, dass etwas anders war als sonst. Um diese Zeit muss ich sehr  mit Wild aufpassen. Aus den Maisfeldern brechen manchmal unversehens Rehe und irgendwo ist ein Fuchsbau. Fuchs und Hund funktioniert gar nicht. Dank Bilbo habe ich gelernt, ihn zu riechen. Was aber war das Weiße? Viel zu klein für Kühe. Dann erkannte ich es: eine Storchenfamilie. Sie kommen manchmal bis zu uns und sie waren zum Glück weit weg, am anderen Hügel.

Plötzlich hielt Bilbo seine Nase schnüffelnd in die Luft, intensiv. Man konnte am Weg zwischen Maisfeldern erkennen, dass die Wiese dahinter endlich gemäht worden war. Ein Mäusejagdparadies! Aber schnüffelt man für Mäuse nach oben?

Als die Felder sich teilten und den Blick freigaben, bin ich vor Staunen erstarrt. Hatte erst einmal Mühe damit, den Hund zu halten, der lossprinten wollte. Ich wollte sie nicht verscheuchen. Blieb stehen und machte Bilbo begreiflich, dass er das gefälligst auch tun sollte - und still sein. Wir bewegten uns dann in Zeitlupe, aber sie schauten uns nur neugierig an, stolzierten ein paar Schritte. Knusperten auf der Wiese. Ich setzte mich langsam und vorsichtig hin und Bilbo setzte sich neben mich wie Snoopy auf diesen Bildern mit Charly Brown, wenn sie gemeinsam den Mond anstaunen.

Ich habe so etwas noch nie erlebt: Etwa 50 Meter von uns entfernt standen 18 Jungstörche, noch mit dunklen Schnäbeln, und ein Graureiher. Sie flogen nicht davon, nachdem sie uns eine Weile beäugt hatten.

Bilbo löste sich auf. So nenne ich den Zustand, den ich von meinen Huskies früher gelernt habe. Alle Tiere, die jagen, können das: Sie verschmelzen so mit ihrer Umgebung, manchmal sogar geruchlich getarnt, dass sie anderen Tieren kaum auffallen. Es ist der Zustand, den Wildtiere auf der Pirsch annehmen, nur dass Bilbo wirklich brav einfach nur staunte. Er kannte Störche allenfalls aus seiner Welpenzeit, als ein Storchenpaar immer parallel zu uns auf der Wiese nach Nahrung suchte.

Ich löste mich ebenfalls auf. Ich kann den Zustand schlecht beschreiben. Man vergisst sich selbst, die eigene Existenz, verschmilzt mit der Natur drumherum und ist einfach nur noch Sinneswahrnehmung. Man riecht intensiver, schaut, hört, fühlt ... und manche Gerüche sind so intensiv, dass man sie sogar schmeckt.

Ich weiß nicht, wie lange wir neben den Störchen saßen und ich diesen wunderschönen Anblick der graziösen Tiere genoss. Irgendwann hatte sich die kleine Gruppe am anderen Hang auf eine andere Wiese begeben und jetzt flog der erste von der Jungstorchengruppe auf, in Richtung der kleinen Gruppe. Einer nach dem anderen hob langsam ab, streckte die Füße nach hinten - sie flogen recht knapp und direkt über unseren Köpfen. Ich konnte das Flappflapp ihrer Flügel hören, den Luftwiderstand. Manche von ihnen blickten mir direkt in die Augen.

Danach grasten sie alle gemeinsam am Waldrand. Bilbo, der völlig ruhig gesessen hatte, schaute mich an, wir waren uns einig, drehten stracks um nach Hause. Nach so viel Staunen war wildes Spielen angesagt. Und ein prächtiges Abendessen.

10. Juli 2020

Die Tardis als Vorbild?

Anybody out there? Auch auf die Gefahr hin, nur noch für mich selbst zu bloggen (hahaha), werde ich das fleißig weiter tun. Ich muss schließlich Gedanken in Form quasseln, denn ich arbeite derzeit verschärft an einer Raum-Zeit-Blase! Manchmal fehlt mir ein Schallschraubenzieher, aber gewisse Schrauben lassen sich bekanntlich allein mit Gedankenkraft drehen. Kreise schließen sich zu Öffnungen in neue Räume, virtuelle Schalldämpfer werden mit Popfarben bemalt. - Dreht sie jetzt völlig am Rad?



Nicht ganz, denn ein altmodisches Rad würde mir im Moment nicht helfen. Ich beschäftige mich mit der wichtigsten Eigenschaft der Tardis: Sie ist von innen größer als von außen (der Beweis).

Ich sitze also in meinem winzigen, vollgestopften Atelier aka Zimmer mit Regalen und dehne die Bude vorsichtig aus. Rein physikalisch (???) sperre ich mich mit mir selbst ganz allein in einen Konferenzraum bei Zoom, auf Zoom, in Zoom ... verteufelt nochmal, wo auch immer ich mich da manifestieren mag, es kommt der kindlichen Vorstellung einer Raum-Zeit-Blase recht nah. Und solange ich mir selbst tief in die Augen blicke und nicht blinzle ... aber das ist wieder eine andere Geschichte. Kurzum: In einer drögen Chronologie des seltsamen Science-Fiction-Jahrs 2020 würde sich das so lesen: "Madame plante einen virtuellen Workshop, der von innen größer als von außen werden sollte."

Erinnert sich noch jemand an die altmodische Debatte, dass E-Books womöglich das Hirn anfressen könnten und ein Reader so gar keine Haptik oder Gerüche absondern könnte? Damals waren Readerhüllen aus penetrant nach billigen Druckfarben stinkendem Zeitungspapier noch nicht erfunden und Menschen mussten als Ersatz in China hergestellte Papierbücher sniffen. Und so ähnlich ist das jetzt: Online-Konferenzen, Bildtelefon-Talks und Webinare mit Menschen in kleinen Kästchen auf großen Bildschirmen werden schlecht gemacht, weil ihnen der gewisse Touch fehle. Als könnten wir uns physisch einfach so antatschen in diesem Jahr! Als könnten wir unserem Chef einfach mal so in der Unterhose unterm Jacket die Meinung geigen, während der Ton abgedreht ist!

Eben erst wieder gelesen: Das Internet biete keine "erlebnisbetonten" Lernsituationen, ein Zoom-Meeting sei "raumlos" ohne die Atmossphäre realer Plätze. Man könne damit weder die Stammkneipe ersetzen noch den Kinoabend mit all seinen Gerüchen und Geräuschen. Man interagiere mit Bildchen, mit Avataren, statt unter Menschen zu sein. Kein oder kaum Gemeinschaftsgefühl. Alles beliebig und austauschbar und immer gleich. Eben nicht "echt".

Ja, das kann so sein und allzu oft ist es auch so. Schlicht, weil ein neues Medium noch nicht wirklich genutzt wird in seinen ureigenen Eigenschaften. Es ist wie mit dem E-Book in den Anfangszeiten (ich schrieb 2012 orakelnd ein Essay zur Zukunft des Buchs): Man konvertiert hastig ein Format für ein anderes Medium 1:1 und wundert sich ... bis irgendwann Jahre später das Verständnis einsetzt, dass man mit dem neuen Medium ganz andere Dinge anstellen kann, wenn man nur direkt von ihm aus denkt. Und wenn man sich endlich einmal eingestehen würde, dass Homo sapiens immer verdammt "echt" ist. Ob er auf der Erde schwitzend und stinkend herumkreucht, in Kostüm oder Anzug hinterm Schalter steht oder in der Unterhose bei Zoom einen auf schick macht. Selbst das gemeinsame vereinzelte Besaufen bei Zoom-Parties fördert einen veritablen Kater zutage.

Anders formuliert: Wenn "alle" etwas in eine bestimmte Richtung zu beschreiben scheinen, setzt bei mir der Trotz ein. Mich ödet der drölfzigste Beitrag an, in dem darüber schwadroniert wird, warum virtuell schlechter sei als physisch und Tante Erna auf dem Bildschirm unechter als am Kaffeetisch. Diese Diskussion führten wir bereits Ende der 1990er, als Tante Erna noch mit dem Avatar von Spock in einer Mailingliste so tat, als sei sie Konditor. Hand aufs Herz: Wie oft haben wir uns gewünscht, Tante Erna erschiene nicht jeden Sonntag am Kaffeetisch. Aber kaum schwatzt sie uns die Kopfhörer tot, haben wir es wieder: dieses altbekannte Tante-Erna-Feeling von der Frau, die keine Minute Pause macht beim Tratschen. Ist sie nun echt oder ist sie echt?

Trotzig richte ich den Schallschraubenzieher auf ihr Konterfei und frage mich: Wie kann ich dieses Hologramm in der Raum-Zeit-Blase von 2020 so echt gestalten, dass ich mich gar nicht mehr wundere, wenn der Kuchenvorrat während der Bildschirmkonferenz abnimmt?

Natürlich fehlen mir Orte. Natürlich fehlt mir Leben. Mir fehlen Berührungen unter vielen Menschen. Nur Jammern nützt ja nichts, so schnell wird das "Normal" nicht kommen, wie wir tun. Vor allem wird es angesichts der Gefahr einer zweiten Welle ausgerechnet in der schlechteren Jahreszeit zerbrechlich bleiben. Tun wir nicht so, als könnten alle KünstlerInnen und Kulturschaffenden ganz genauso wie früher, nur weil irgendwas wieder aufmacht! Es ist ja oft nicht mal Geld da, sie zu bezahlen - an so vielen Stellen werden Honorare gedrückt. Virtualität ist für unsereins ein Stück Überlebenschance, oft die letzte Hoffnung.

Und Virtualität kann so intensiv sein! Ich lerne gern Menschen via Zoom kennen und erlebe tolle Überraschungen. Bedauerlich ist allenfalls die Entfernung, weil man sich natürlich am liebsten real zum Kaffee verabreden würde. Und das manchmal auch macht ... irgendwann, wenn der Planet Erde nicht mehr nach Dr Who schreit.

Was kann ich jetzt anders machen? Wie kann ich vor laufender Webcam "echt" sein? Lässt sich etwas gestalten, von dem die Leute danach nicht finden, es sei so beliebig, austauschbar und ohne Leben, ohne Atmosphäre gewesen?

Kamera ist Bühne. Gelingt es uns, die Maske herunterzuziehen?


Ich will jetzt nicht prahlen, ich hätte eine Lösung - an der arbeite ich noch angestrengt. Ich weiß nur eins: Wir müssen weniger labern und mehr inszenieren. Kamera ist Film ist Bühne! Wir müssen viel mehr zuhören statt reden oder lehren. Es ist unendlich viel schwieriger, virtuell unter einer Gruppe Fremder das Eis zu brechen, ein Wir-Gefühl zu schaffen, Gruppendynamik zu steuern. Wir fühlen uns herausgefallen aus Zeit und Raum? Liegt das daran, dass alle gleichermaßen vor Bücherregalen oder auf dem Sofa bei grauenhafter Deckenbemalung quasseln? Oder schauen wir einfach nur nicht genau hin? Auf die filigrane Kitschvase neben den Büchern, die so gar nicht zur intellektuellen Powerfrau passen will. Auf den zerknuddelten Stoffhasen, der neben dem toughen Manager auf dem Teppich liegt. Sehen wir nicht, wie manche Menschen sich zuhause einen herrlichen Miniatururwald schaffen, schmerzhaft in Legosteine tappen oder unterm Tisch heimlich Bier trinken? Da ist so viel Leben da draußen, Individualität! Und das alles ist echt, denn es findet live vor unseren Augen statt, physisch.

Wir haben jetzt ein Medium, das auch Mimik und Gestik in Echtzeit zeigt - das ist Welten besser als all das Getippe in Social Media, die gestellten Selfies auf Instagram oder Videos aus der Konserve. Machen wir was draus!

Vor allem haben wir das, was im "echten Leben" ständig vorkommt und beim Influencervideo auf Youtube so sehr fehlt, dass alles künstlich wirkt: Fehler. Nicht mehr weiter zu wissen. Pannen. Sich selbst zurückzunehmen. Oder einfach mal das Gegenüber zu fragen: Sag mal, wie würdest du das jetzt lösen, ich steh gerade völlig auf dem Schlauch. Manche studieren Anleitungen fürs perfekte Meeting mit dem perfekten Lächeln und merken nicht, dass sie vor der Kamera in eine Rolle hinein gefrieren und Perfektion das Feeling von "echtem Leben" killt. Übrigens auch im "Kohlenstoffleben" da draußen.

Abgeben können. Dafür suche ich Lösungen. Im Workshop vor Ort würden wir Materialien tauschen, zwei würden zu lange miteinander tuscheln, irgendwer hätte komplizierte Fragen. Der Materialtausch würde die TeilnehmerInnen herausfordern. Wie lässt sich so etwas virtuell erzeugen? Ich habe in einem Zoom-Seminar für kreatives Schreiben mitbekommen, dass die TeilnehmerInnen nicht nur freudig über sich selbst hinauswuchsen - es fanden sich auch virtuell Bekanntschaften. Zum Schluss musste die Leiterin eine völlig neue Rolle ausfüllen: Leute verbandeln, Kontakte ermöglichen. Die werden sich weiter virtuell und privat treffen, aber auch im echten Leben. Und sie hätten sich im echten Leben und vor Ort so nie kennengelernt. Virtuell kann so schlecht nicht sein, wenn es mit Herz und Hirn gemacht wird.

Nicht jammern, sondern ermöglichen. Das ist unwahrscheinlich aufwändig. Verlangt eine völlig andere Herangehensweise. Vor allem, das merke ich, muss ich mich thematisch viel mehr beschränken, dafür Zeit lassen: für die Menschen, ihre Ideen und Gedanken. Und ich gebe zu, ich bediene mich eines Tricks: Kulturen, die Rituale machen, bewegen sich darin jenseits von Zeit und Raum. Aber Rituale können mich auch in einem imaginären Raum verankern, mit einem echten verbinden. Das ist dieser Tardis-Trick, den ich noch untersuche: Mit ein wenig Woooosch-wooooosch einfach plötzlich wie ein Holzkasten fest auf dem Boden stehen. Dematerialisieren - materialisieren. Fröhlich herumbeamen. Ob wir das schaffen werden? Wenn sich die Raum-Zeit-Blase wie nichts anfühlt, wie kann ich sie sinnlich begreifbar machen? Moment ... da braucht es dann doch den Schall... wo zum Teufel ist mein Schallschraubenzieher schon wieder abgeblieben!?

4. Juli 2020

Zeit für ein neues Format?

Ich denke schauderhaft viel nach in diesen Zeiten. Ob beim experimentellen Pflanzenfärben im Atelier, beim Recherche-Quersurfen für mein Essay oder bei der Bettlektüre (derzeit David Abrams:  The Spell of the Sensuous: Perception and Language in a More-Than-Human World von 1996, zäher Schmöker, aber denkanregend). Mir ist nach Aufbruch zumute, nach neuen Horizonten, denn die Gegenwart schreit geradezu nach Veränderungen.

Noch ist der Knopf nicht aufgegangen ...


Nicht, dass ich schon wieder meine berufliche Laufbahn ändern würde. Aber ich will innerhalb meiner Berufe noch sinnvoller arbeiten, noch nachhaltiger. Zielgerichtet im Sinne dessen, was ich persönlich für wichtig halte. Und da spielt sicher eine Rolle, dass mir durch Umstände von außen ein Vertrag geplatzt ist, der mich mit einem vermeintlich ökologischen Thema gut versorgt gehabt hätte, sich aber danach, mit ein wenig Nachrecherche, als üble ökologische Luftnummer und Greenwashing entpuppte. Ich will so etwas nicht machen müssen. Denn ich bin in einem Alter, in dem sich der vermeintliche "Kohleausstieg" Deutschlands in eine Zeit verlagert, die ich vielleicht gar nicht mehr erleben könnte. Sprich, ich bin jetzt alt genug, um renitent zu werden und mich fürs "Gute" zu engagieren. Darin habe ich sogar Übung, ich war bei den Ökobewegungen in den 1980ern aktiv dabei.

So kommt es, dass ich mich derzeit an allen möglichen Stellen umschaue, wo die wachen Geister sitzen, die sich engagieren. Die aber mehr draufhaben als blinden Aktionismus. Wo statt Lähmung à la "die Welt geht eh unter" konstruktiv Veränderung angedacht, vielleicht auch experimentiert wird. Zeiten von Umwälzungen sind einerseits unendlich schmerzhaft und bedeuten immer auch Verlust. Aber sie machen auch ungeheuer kreativ und können einen anstacheln. Es ist nur so verdammt schwer, sich nicht vom Informationsfluss erschlagen zu lassen. Oder den Mut nicht zu verlieren, weil man vielleicht als einzelnes Menschlein viel zu viel auf einmal anpackt.

Die Reaktion auf diese Zeiten ist u.a. die, dass ich mir ab und zu "wildfremde" Menschen per Zoom nach Hause hole. Ich nehme nicht einfach nur an Webinaren teil, sondern quassle tatsächlich einfach so mit Leuten, die mir z.B. bei Twitter positiv auffallen. Inzwischen bin ich hingerissen von der Idee, weil ich (vielleicht hatte ich Glück), auf faszinierende Menschen stoße, wo ich wiederum denke: Die müssten sich glatt untereinander auch mal kennenlernen, was für eine Power!

Es kommt dann wieder la déformation professionelle dazu, die mir einflüstert, dass der Mensch ja nicht zwingend schreiben muss. Und dass es weder aufgespritzte Lippen noch Extrastyling braucht, um sich vor eine Webcam zu setzen (PolitikerInnen machten das heuer schon in der Unterhose oder unter der Dusche!).

Noch habe ich kein Konzept. Aber meine letzte Gesprächspartnerin hat mir erfolgreich einen Floh ins Ohr gesetzt (jaja, du!). Ich plane regelmäßige Zoom-Meetings, die offen sind für viele. So eine Art Podcast mit Bewegtbild, der dann auch wieder hops geht: Live-Feeling. Wo ich zuerst mal selbst quatsche und für Fragen und Antworten zur Verfügung stehe. Und falls das was wird, könnte man das Format ähnlich wie eine Talkshow öffnen. Leute dazuholen. Dann hätte ich einen Ersatz dafür, dass ich Talkshows im Fernsehen nie anschaue. Ich denke da noch herum. Irgendwas mit Zukunft und hoffnungsvoller Konstruktivität oder so. Irgendwie oder so. Vor allem irgendwie. Und wer weiß, vielleicht habt ihr ja auch Anregungen?