I did it!

Es ist erschreckend lange her, dass ich mein letztes Buch geschrieben habe: "Faszination Nijinsky", das erste deutschsprachige Portrait des Weltstars der Ballets Russes erschien 2011 als Hardcover. Und die Premiere eines von mir dazu geschriebenen Theaterstücks "Jeux – russische Spiele" in Baden-Baden gab es in Zusammenarbeit mit dem Stadttheater und der Bibliothek im Jahr 2014. Was folgte, war ein Mix aus Frustrationen in Sachen Buchbranche (ich hatte von den Verkäufen her die der Verlage vorher getoppt), von Erschöpfung (Schreiben und Herausgeben und Gelder auftreiben und Partner suchen) und Verzweiflung an einer immer rasanter absurd erscheinenden Realität, für die ich keine adäquate Sprache mehr fand. Ich würde erst mal keine Bücher mehr schreiben, tönte ich, konzentrierte mich auf Paper Art.

Die meisten Menschen können sich gar nicht vorstellen, welchen Sprachenmix ich lebe. Hoch- und Schriftdeutsch erlebe ich nur im Internet, in Büchern und deutschen Medien, im Fernsehen. Meine Alltagssprache ist seit bald 30 Jahren Französisch, Elsässisch fast nur noch unter älteren Menschen und auf dem Land. Und weil die Medien hierzulande zu wünschen übrig lassen, kam das Englische dazu. Das war in Polen meine Zweit- und eine Veröffentlichungssprache gewesen. Um mich im Kuddelmuddel zurechtzufinden, lernte ich Pflanzen- und Tiernamen nur noch auf Lateinisch. Und wenn ich mir dann spontan Notizen mache, sieht das so aus wie auf dem Bild. Ich selbst bemerke das Umschalten der Sprachen weder beim Schreiben noch beim Lesen. Ich träume auch auf Europlais, wie ich scherzhaft das Mischmasch nenne.


Mir war natürlich klar, dass ich mit dem Schreiben an sich nie würde aufhören können. "Schreiben ist Atmen" steht nicht umsonst auf meinen Visitenkarten als Autorin und Journalistin. Den fast zu Ende geschriebenen "gemütlichen Gartenkrimi" legte ich in den Ordner für Textleichen. Ich konnte darüber nicht mehr schmunzeln, es erschien mir als vertane Zeit, es passte nicht mehr. Erfand ich eine besonders absurde Szene, toppte sie ein absurder Kerl mit orangefarbenen Haaren zwei Stunden später - um metaphorisch zu beschreiben, was ich empfand. Ich fühlte mich wunderbar beim Aufhören.

Es folgte die Totalentspannung. Irgendwann hatte ich mich derart aus der Buchbranche entfernt, dass ich all das, was ich in diesem Haifischbecken erlebt hatte, wie Anekdoten betrachten konnte, die jemand anderem widerfahren waren. Ich lernte, dass ich nicht die einzige war, der zig Fusionen oder Insolvenzen anderer das Projekt im schlechtesten Moment zerstört hatten, aber immerhin schien ich eine der wenigen zu sein, die noch rechtzeitig die Honorare eingetrieben hatte. Und als ich hörte, dass auch 2019 noch in renommierten Verlagen die männliche Sicht vorherrsche, hätte ich all die Anekdoten erzählen können, wo ich als Frau die schlechteren Karten hatte, schlecht behandelt oder gar nur wegen des Geschlechts abgelehnt worden war. Aber in der Hasswelt von heute hieße es dann nur: Du bist frustriert! Dabei wurden all die dämlichen Absagen von gewissen Männern davon ausgeglichen, dass die betreffenden Manuskripte kurze Zeit später von der Konkurrenz gekauft wurden. "Das Buch der Rose" war so ein Fall. Der sehr bekannte Programmchef eines sehr bekannten Sachbuchverlags meinte damals zu meinem Agenten: "Diese Autorin schreibt viel zu intelligent. Kann die das nicht sanfter, so wie Frauen schreiben!?" Vier Wochen später griff eine Verlegerin zu, die keine Probleme mit Intelligenz hatte. Es hat immer geklappt, aber ich habe heute so die Nase voll davon, in Rollenklischees gestopft zu werden. Ich führe eine Blacklist für solche - und bin auch da nicht die einzige.

Es ist also so weit: Ich habe den Abstand. Mir ist alles egal. Die ewig Gestrigen können mich mal. Und ich weiß, wie der Hase läuft, nämlich um Ecken, die man in der freien Wildbahn nicht immer vermuten würde. Wenn ich heute schreibe, dann weil ich es mir weder finanziell noch zeitlich leisten kann (würde ich mit Verstand rangehen). Sprich: Ich bin völlig frei. Ich könnte 500 Seiten schreiben und einfach verbrennen, es wäre mein Ding. Trotz macht irgendwann kreativ.

Und lange Pausen lassen einen das Handwerk nicht vergessen. Im Gegenteil, sie können diesbezüglich gut tun. Weil man beim Schreiben, das nicht zielgerichtet oder vereinnahmt ist, eine Menge über die eigene Sprache und Herangehensweise lernt. Es ist wie Fahrradfahren. Man verlernt es nicht, wenn man immer beruflich schrieb. Der einzige Unterschied ist nun, dass der Text einen anderen Atem braucht, einen längeren. In der hektischen Welt mochte ich das Bloggen als adäquate, ephemere Form des Kurzen. Jetzt schwanke ich zwischen Essay und Buch.

Aber da war noch die Sache mit der Sprache. Ich habe es unter dem Foto beschrieben, wie das bei mir durcheinanderläuft. Es gab zwei Überlegungen: In welcher Sprache würde ich mich wohlfühlen? Und weil ich den professionellen Blick habe: In welcher Sprache würde was funktionieren?

Ich habe heute das berühmte weiße Blatt zum ersten Mal gefüllt - mit einem Experiment. Draußen im Garten schreibend, während um mich herum die Sommerabschiedsfeiern erklangen: drei französische Dialekte von Nord bis Süd, Elsässisch - und britisches Radio. Wir sind eben Europa in einem Landstrich, in dem die Menschen Sprachen locker mitten im Satz wechseln.

Der französischsprachige Versuch schlug bei den ersten Sätzen jämmerlich fehl, aus einem erstaunlichen Grund: Mir fehlte es an fast allen Fachwörtern. Ich könnte aus dem Stand einen Artikel über archäologische Ausgrabungen schreiben, aber diese Thematik hatte ich außer in den historischen Teilen nie auf Französisch bearbeitet. Also Muttersprache. Das würde doch flutschen! Tat es seltsamerweise nicht. Den Anfang strich ich mehrmals, er klang nach Schulaufsatz, es holperte, es wollte nicht - warum auch immer. Dritter Versuch. Und ich war drin. Ich habe keine Ahung, wieviel Lektorat ich brauchen werde, aber da waren in Nullkommanichts drei Seiten auf Englisch "hingeworfen". Wenn mir ein Wort fehlt oder ich ein besseres suchen will, unterstreiche ich einfach, um im Fluss zu bleiben. Mir fällt auf, dass ich in all der Zeit, als ich z.B. für die Warsaw Voice schrieb, nicht gelernt hatte, was "Schlappohren" sind. Die lop ears, die bei Bilbo schnell zu floppy ears werden ...

Ich gebe zu, mein Englisch ist lückenhaft!


Für mich selbst habe ich jetzt als Ziel gesetzt: Ich probiere frech ein englischsprachiges Essay. Wenn ich mit dem stranden werde, kann ich immer noch umschalten.

Ich weiß, dass ich damit viele wunderbare Stammleserinnen und Stammleser verprellen und traurig machen werde. Aber ich denke praktisch.

Für das, was ich vorhabe, gibt es in Deutschland im Moment nicht einmal eine Handvoll Verlage - jeder Agent rät dann ab. Und für mich gibt es nur eine Alternative: Verlag mit Agentur oder im Falle von Nische das Selfpublishing. Im Ausland sieht das ganz anders aus. Da gibt es vor allem viele Fachzeitschriften und Plattformen für Veröffentlichungen z.B. von Essays. Tatsächlich haben außerdem Frauen ein besseres Standing. Kommt hinzu, dass mein Recherchematerial fast ausschließlich englisch ist. In deutscher Sprache ist da echt tote Hose.

Es geht aber noch weiter: Ich will alte Kontakte aufwärmen im englischsprachigen Raum. Denn ein Teil dessen, was ich in dieses Erzählen hineinverschränken werde, ist ein uraltes Projekt. Ich hatte schon mehrfach davon erzählt - deutschsprachige Verlage hatten es vor vielen Jahren verschmäht, weil ich 1. als Frau doch nicht soooo ein Thema (ja, schon wieder) und 2. das Thema doch viiiiiel zu dreckig sei, nicht hübsch genug. Schließlich hatte ich Fernsehleute beraten, die Dokus dazu für ARTE drehten. Die alte Erdöl-Sache. Ich habe weiter in Frankreich die volle Unterstützung der Fachleute für die Recherchen - und da gehen die Kontakte eben auch in die USA. Diesmal werde ich mir die Möglichkeit, beispielsweise aus dem Schlumberger Archiv seltenste historische Aufnahmen zu bekommen, nicht nehmen lassen.

Es ist etwas, was eigentlich nicht zusammengehört und doch einfach Leben ist: Schönheit und Dreck, Natur und Ausbeutung, Idylle und Verwundung, Forschung und Blauäugigkeit, ein auszulotender Raum zwischen Werden und Untergang. Ein Text über Wald wie über das, was einmal ein Wald gewesen war - Erdöl. Ein Text, für den die Zeit überreif ist.

Gut getan hat die Abstinenz, gut getan hat das überlange Liegen des historischen Stoffs. Gut getan hat aber auch mein fleißiges Lesen der Genres Essay und literarische Reportage, die im angloamerikanischen Raum seit einigen Jahren brillante Vorbilder liefern. Als ich einmal meine Lektorin bei Suhrkamp fragte, wie es denn darum in deutschen Verlagen stehe ... ich will gar nicht mehr an die Antwort denken. Ein Trauerspiel.

Die Befreiung an allen Fronten zeitigte dann ein kurioses Ergebnis. Es stahl sich ein Typ in den Text, der so und in dieser Form nicht vorgesehen war. Der Inspirational Manager schien die Zunge herauszustrecken und zu sagen: Was der Dirk Steffens in Dokus kann, kann ich auch! Und so schlappt das Schlappohr plötzlich ständig ins Bild, quatscht mir was von Geruchskarten, springt mutig über leere Bachbetten und sagt, warum Menschen in einem Heißluftballon auch nur fette Enten seien. Ich muss wohl am Honorar noch einiges drehen, das er verlangt, damit er nicht überdreht. Jedenfalls meint er, er müsse mich vom "anthropozentrischen Blick" abbringen, mir helfen, die eigenen Perspektiven zu hinterfragen.

Das kann nur schiefgehen! Nature Writing, in dem ein Typ namens Bilbo von Butterblum durchs Bild läuft und die Läuferin von Stöckchen auf Hölzchen kommt, von Ameisenhaufen auf unterirdische Galerien, vom Klimawandel zum Flugblatt übers Mikroklima des 18. Jahrhunderts.

Mal sehen, ob ich über das erste Kapitel hinauskomme und wie ich das zeitlich neben zwei Jobs stemmen will. Aber täglich eine Seite sind schließlich auch 365 im Jahr. Wegwerfen kann ich dann immer noch. Und wenn es ganz schlimm wird, teile ich mir mit Herrn von Butterblum ein Würstel und wir lachen uns gemeinsam eins. Ich schwöre, das Viech kann lachen!

PS: Wenn ich hier Fehlschläge und Frustrationen benenne, dann ganz bestimmt nicht, um zu jammern oder weil sie mir heute noch etwas ausmachen würden. So etwas gehört zum Geschäft, auf jeden Vertrag kommen soundsoviele Fehlschläge. Ich will damit aufmuntern, dass Scheitern immer einen Moment des Werdens in sich trägt. Diese Kultur des Scheiterns müssen wir oft erst wieder lernen. KollegInnen werden es kennen, dass ein Thema nach mehreren Seiten Probetext plötzlich verrecken kann, weil es nicht tragfähig genug war, weil ihm etwas fehlte. Umgekehrt sind aber zeitlose und starke Themen schlicht nicht totzukriegen. Nicht von Genderdinosauriern, nicht von Hypes und Schreibmoden. Es ist wie mit dem Rohöl, wenn es regnet: Es blubbert aus der Erde hoch, färbt Pfützen in allen Regenbogenfarben und wartet nur darauf, dass sich ein Wildschwein in ihm wälzt. Tja, so würde es der Inspirational Manager wohl formulieren, der jetzt nach seinem Würstel brummt!

3 Kommentare:

  1. Toll Nijinski, is dein buch schon von Katja Schneider oder Nina Huempel rezensiert worden? Is es in frankreich erhaltlich?

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    1. Ach ja, Annette Bopp hatte es im Tanznetz rezensiert, s. Link beim Buchtitel.

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  2. Merci, Saarzon,
    es ist weltweit erhältlich, zumal als Kindle-Ebook. Was die Hardcoverausgabe betrifft, so hatte ich mal wieder Pech - der Herstellerverlag ging in Insolvenz und ich hätte es völlig neu, mit neuem Buchsatz (über die Datei verfügte ich nicht) etc. bei jemand anderem produzieren lassen müssen. Die Investition lohnt sich bei so einem Nischenprodukt nicht. Es gibt also allenfalls noch gebrauchte Exemplare - ich selbst habe aber auch keine mehr, alles abverkauft.
    Ist für mich als Autorin elend schmerzhaft, aber da ist man leider ausgeliefert ... wenigstens konnte ich es als Ebook retten.

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