Cli-Fi - ein neues Genre?

Ich will mal wieder eine Leseliste teilen, weil ich sie zu spannend finde, als dass sie in meinen Bookmarks verstauben sollte. Ich beschäftige mich gerade bei Recherchen für ein Thema mit der Frage, wie nahe gewisse Narrative rund um den Klimawandel an alte Literaturen der Apokalypse kommen, warum das so ist und was es mit uns macht. Und mit dem Hintergrund meines religionswissenschaftlichen und Theologiestudiums weiß ich natürlich, dass die biblischen Apokalysen keine Zukunftsvoraussagen waren, sondern eine antike literarische Form, die sich auf damals zeitgenössische große Umbrüche bezog und diese verarbeitete.

Weltuntergangsstimmung (im Unterschied zur Apokalyptik) wurde immer auch absichtlich hervorgerufen, weil wirtschaftlich ausgenutzt - wie hier auf einem Werbeplakat für Liberty Bonds, das Joseph Pennell 1918 schuf. Kein Land hatte damals überhaupt technisch die Möglichkeiten, einen solchen Feuersturm vom Himmel auszulösen, aber die Grafik zeigte nach der realen Katastrophe des Ersten Weltkriegs Wirkung. So gehen mit ernstgemeinter und seriöser Problembeschreibung leider auch immer Extreme einher, wenn bestimmte Gruppen ein Narrativ ausnutzen. (Joseph Pennell - Library of Congress, Prints & Photographs Division, LC-DIG-ppmsca-18343)


Anders als heute, sollten antike Apokalypsen Hoffnung und Mut machen. So war z.B. die Offenbarung des Johannes durch das Grauen der Christenverfolgungen im Römischen Reich entstanden. Spannend wäre außerdem die Frage, wie sich Klimakatastrophen der Antike in Kunst und Literatur niederschlugen.

Als erstes habe ich erfahren, dass es ein neues Untergenre der Dystopie gibt, die sogenannte Cli-Fi, Climate-Fiction. Erstaunlich, dass es nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia-Beitrag gibt, obwohl der englischsprachige deutsche Literaturbeispiele auflistet (Link).

Der Pacifik Standard beschäftigt sich in "The Literature of Climate Change" mit der Bandbreite von "cli-fi" bis "post-apocalit".

Electric Lit kehrt die Perspektive um: "All Literature Is Climate Change Literature". Es geht um ein Buch - The Great Derangement - und die Frage, ob nicht die Essenzen von Cli-Fi auch in älteren Klassikern zu lesen seien.

Einen Überblick über die sogenannte Apokalyptik, also die antiken "Vorbilder", gibt die deutschsprachige Wikipedia aus recht theologischer Innensicht und etwas dünn. Aber immerhin erfährt man da, wie gegenwartsbezogen und diesseitig das antike Genre damals war. Die englischsprachige Wikipedia schafft hier den großen Bogen und vergleicht Apokalyptik global in unterschiedlichen Religionen, bis hin zu modernen Sekten und Verschwörungstheorien, nur mangelnd mit Belegen versehen. Typisch Wikipedia eben, man muss sie kritisch lesen, kommt aber ins Thema rein.

Janet Fiskio von der Abteilung Environmental Studies am Oberlin College hat ein wissenschaftliches Essay geschrieben:  Apocalypse and Ecotopia: Narratives in Global Climate Change Discours. Es geht um Narrative rund um den Klimawandel zwischen den Extremen von Dystopie und Utopie.

Hochinteressant ist der Artikel Catastrophes of biblical proportions: why the apocalypse is back. Anders als der Titel vermuten lässt, geht es auch hier um die Möglichkeiten unterschiedlicher Narrative. Es wird gezeigt, wie gerade modern ein völlig falsches Verständnis von antiker Apokalypsenliteratur zum Vorbild wird - und wie diese psychologisch wirken kann. Auch hier entsteht die Frage, wieviel wirkliche Visionen wir bräuchten und ob Dystopie nicht sogar kontraproduktiv wirkt.

Mit solchen Fragen haben sich Neurowissenschaftler und Psychiater auseinandergesetzt. Im Beitrag des Scientific American, Psychology Reveals the Comforts of the Apocalypse, wird apokalyptisches oder dystopisches Schreiben unter dem Aspekt der Angstforschung untersucht - die Ergebnisse decken sich verblüffend mit dem Wissen der Religionswissenschaften über die antiken Genres. Solche Arten des Schreibens sollen nicht nur beruhigend wirken, sondern beim Verdrängen helfen. Das geht so weit, dass besonders düstere Katastrophengemälde sogar regelrecht ersehnt werden, weil man sich die Welt eines Neuanfangs schöner und einfacher vorstellt. Da sind wir dann wieder bei der Geschichte, aus der man lernen kann: Politische Umstürzler vor allem des Faschismus haben solche Träume vom vermeintlichen "Neuanfang" und Verdrängungen weidlich ausgenutzt, selbst Intellektuelle fielen immer wieder darauf herein.

Zugegeben, alles ein wenig "Nerdstuff", aber vielleicht bin ich ja nicht der einzige Nerd hier. Und vielleicht kann einiges zum Nachdenken anregen, wie wir selbst vom Klimawandel sprechen und ob wir damit wirklich das erreichen, was wir im Sinn haben.

Nachtrag:

Dadurch, dass Daniel Bloom hierhergefunden hat, der maßgeblich daran beteiligt war, das Untergenre CliFi publik zu machen, kann ich zu diesem Thema noch ein paar Links anbieten:

Daniel Blooms enorme Sammlung CliFi Report Global für Fans wie Forscher.
Ein Interview mit Daniel Bloom.

Wer die Bezeichnung wirklich zuerst benutzt hat und wer sie später bekannt machte, darüber streiten sich die Geister, aber das spielt auch eher eine kleine Rolle gegenüber der Frage, ob das Untergenre überhaupt eines ist oder nur marketingtechnisch als Etikett auf alles geklebt werden kann, in dem Wetter vorkommt: But is it the real deal or just a flight of fancy?

Wie gesagt, im deutschsprachigen Raum spielt es meines Wissens keine wirkliche Rolle, aber das kann sich ja durch Amazons Schubladen immer auch bis in den stationären Buchhandel ändern. Es gibt wenige deutschsprachige Beiträge, die deutlich machen: Entweder ist das Ganze das typische Marketing-Untergenre, mit dem sich altbekannte Formen hipper vermarkten lassen - oder es bleibt schlicht auf den anglo-amerikanischen Markt begrenzt.

"Climate-Fiction ist das Genre der Stunde" behauptet vollmundig die WELT, um sich dann im Beitrag mit dem Verriss eines Buchs selbst zu widerlegen. Der Titel hätte auch lauten können: "Sendungsbewusstsein macht noch keine Literatur". Aber die WELT war diesbezüglich noch nie sehr intellektuell gestrickt ...

Die Riffreporter mit einer Leseliste können auch nur zeigen, dass man diese Bücher früher einfach nur anders genannt hat.

Der Klimawandel ganz realistisch in Romanen vom Deutschlandfunk versucht, Gemeinsamkeiten zu finden, kann aber auch nur anglo-amerikanische Beispiele nennen. Und kommt zum Schluss: Das sind eigentlich "realistische Romane".


2 Kommentare:

  1. Bonjour Petra I am Daniel bloom who coined clifi term in 2011 see my site at cli-fi.net.. Can you help me start a German language page Wikipedia for climate fiction, perhaps translating from the English page and adding more German author news? Email me in Taiwan age 70 Danbloom@gmail.com

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    1. Hi Daniel,
      fine that you found this place - I added some links with your website and an interview.
      Unfortunately I have no time to work for Wikipedia and I cannot accept any translation orders at the moment, too much work. But I think, it doesn't matter. Most Germans can read the english Wikipedia.
      And "Cli-Fi" doesn't play any role in the German bookmarket, as I know it. Most of these books are sold as Sci-fi or dystopia. Also the German authors in the Wikipedia-CliFi-article do not really write "CliFi". People like Christian Kracht or Ilija Trojanow are working in the spectrum of high literature and their books are quite divers. Kracht writes pop-literature.

      If you look for Science Fiction in German Wikipedia, you find a very poor section showing that it's coming from english speaking countries. Also my last links show that there are some reports about the genre phenomenon in German language, but all of them are showing that it's more a marketing invention or an anglo-american phenomenon.

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