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25. September 2019

Bilbo Sorgenbär

Einige werden sich wohl schon gewundert haben, warum ich erst groß eine Reihe von Artikeln zum Thema Klimawandel ankündige und dann kommt nichts. Das liegt daran, dass ich derzeit ziemlich durch den Wind bin und üble Sorgen im Kopf habe. Der heiß geliebte Bilbo ist krank. Wahrscheinlich sehr krank. Triggerwarnung: Tierklinikgeschwätz!

Bilbo nach der Aufwachspritze ... schläft sich noch den Narkoserausch aus.


Ich war gestern zum Impftermin und wollte einen Knoten in der Achsel des linken Vorderlaufs untersuchen lassen. Er wächst nicht, ist aber seit zwei, drei Wochen spürbar. Und ich habe ihn nur bemerkt, weil sich Bilbo da öfter kratzt, als drücke es ihn. Leider war mein Leib- und Magentierarzt in Urlaub, dessen Ehrfahrenheit ich sehr schätze. Der ihn vertrat, war nicht übel, ist aber erst seit zwei Jahren Arzt. Ihm fiel auf, dass Bilbos Bauch sehr gespannt sei und er verordnete erst einmal ein Röntgenbild. Das ließ sich Bilbo gerade noch gefallen, festgehalten von mir und der Assistentin. Jetzt kenne ich ihn also auch von innen.

Die gute Nachricht: Er hat kein bißchen Plastikreste in sich. Nach seiner Welpenphase, in der Beagles echte Mülleimer sind und richtig gefährliche Sachen schlucken können, erstaunt mich das positiv. Ich hätte fast wetten können, wir finden irgendwelche Müllknubbel oder Sockenteile. Leider drängte sich etwas anderes ins Bild: die Milz. Unnatürlich vergrößert. Aber nichts genau erkennbar.

Also wurde noch Ultraschall gemacht, für den es dann eine leichte Betäubung gab. Einerseits fand ich es gut, dass ich zuschauen konnte, andererseits kam mir der Arzt etwas unsicher vor. Er suchte nach Tumorgewebe und fand irgendwie kein deutlich Abgrenzbares, erklärte mir auch, wie man es erkennt. Und fand dann im Dunkel von Bildern, die wie eine frühe Mondlandung wirkten, "Verdachtsmomente", leicht Gefranstes. Seine Diagnose ein Schlag: Verdacht auf einen Milztumor. Vor allem deshalb, weil der Knubbel unterm Arm auf der gleichen Seite ein Lymphknoten sei. Aber wenn Tumor, dann in einem sehr sehr frühen Stadium. Also mit ganz guten Chancen.

Genau daran ist mein voriger Hund Rocco gestorben. Bei ihm war er zu spät erkannt worden, es wurde ihm die Milz völlig entfernt, wir hatten noch sehr wenige Monate, dann musste ich ihn einschläfern lassen, weil er innerlich verblutete. Er lebte gerade noch so lange, wie ich zum Abbezahlen der Rechnung brauchte, aber es war geschenkte und wertvolle Zeit, eine Zeit des aktiven Abschiednehmens.

Ich hatte mich auch deshalb so in den Welpen Bilbo verliebt, weil er Rocco in so vielen Dingen ähnelte. So sehr hätte er ihm nicht ähneln müssen. Nicht mit sechs Jahren schon.

Der Tierarzt meinte, Milztumoren kämen bei Hunden recht häufig vor. Und ich fachsimple ja gern, aber wenn Mediziner sich dann selbstvergessen am Erklären verlieren ... Ruft er zur Assistentin: "Haben wir die Milz vom XY noch da? Dann könnt ich den Tumor am Organ direkt erklären!" Mein Glück, sie war schon weg ... und ich kenne das alles ja schon von Rocco. Und dann gibt er schon die Anweisung, Bilbo noch mehr zu rasieren, zeigt, wo geschnitten wird ... und ich kann grad noch Halt! rufen.

So eilig ist diese OP nicht, kein Notfall. Und bitte nicht bei einem mir Unbekannten. Das ist es, was mir spontan aufstieß: Ich spürte einerseits bei der Diagnose Unsicherheit. Er zeigte mir z.B. in der Lunge Strukturen, die ihm Sorgen bereiteten, die "Metastasen sein könnten". Aber er konnte sie nicht sicher zuordnen und in so einer Situation ist das dann für mich ein: "Der sieht nicht mehr als ich." Er hätte mich außerdem über andere Möglichkeiten einer Milzvergrößerung aufklären müssen, über das OP-Risiko, über die Abschätzungen mit und ohne OP. Hat er nicht gemacht. Da streike ich dann.

Und deshalb habe ich auf einem Termin bei meinem Leib- und Magen-Tierarzt gedrungen und den haben wir am 8. Oktober. Der schaut sich alles nochmal ganz genau an und wird dann gemeinsam mit mir entscheiden, was wir machen. Eine Milzentfernung ist nämlich ein hohes Risiko, weil das Immunsystem dadurch geschwächt wird, der Hund anfällig gegen bestimmte Bakterien ist. Eine vergrößerte Milz nicht zu entfernen, ist aber auch ein Risiko, weil selbst im gutartigen Fall die Milz reißen kann - der Hund würde verbluten. Milztumore wachsen schnell, metastasieren sehr schnell. Und das wird im Oktober auch die Frage sein, inwiefern das schon geschehen ist.

Im Moment bin ich noch in der Lähmungs-Begreifens-Phase, bin wütend auf das "Schicksal", unendlich wütend. Und genieße das Zusammensein mit Bilbo. Für den war gestern die größte Quälerei, dass er so lange nach der Narkose nichts fressen durfte. Und ich werde ihm jetzt ein Mäntelchen nähen müssen für seinen nackten, rasierten Bauch. Vielleicht lenkt mich das ein wenig ab. Jede/r von euch, die ein Tier haben, wissen, wie verdammt schwer diese Entscheidungen sind und das Wissen um die Endlichkeit, wenn sie zu früh zuschlagen sollte. Vielleicht werde ich auch hyperaktiv in Social Media, das ist dann Gedankenstillhaltetaktik, um es auszuhalten.

Und das war dann die Diagnose (anklicken)

20. September 2019

Ein-Frau-Unternehmen - geht da was fürs Klima?

Heute erzähle ich von einem praktischen Fallbeispiel, wie ich mir bei der Firmengründung des Atelier Tetebrec (Paper Art) Gedanken um Umwelt- und Klimaschutz gemacht habe. Man will ja gern, hat aber anfangs noch nicht viel Ahnung, was auf einen zukommt, was realisierbar ist, wo es kompliziert wird. Sicher ist nicht alles 1:1 vergleichbar, weil wir in Frankreich andere Gesetze und Berufsbestimmungen haben, weil ich für deutsche Verhältnisse ein Spezialfall bin (freie Kunst und Firma) - aber vielleicht kann ich doch ein paar Anregungen geben. Denn für eine Firma oder FreiberuflerInnen können die Bedingungen völlig anders aussehen als für Privatpersonen. Das fängt bei der Müllentsorgung an und hört bei Meldepflichten auf.

Es klingt vielleicht verrückt, aber ich nehme nicht nur Müll mit, den ich in der Natur finde, um ihn zuhause korrekt zu entsorgen. Oft entsteht daraus sogar Kunst. Dieses Tarnnetz hatte sich wohl von einem Hochsitz losgerissen und verschandelte den Wald. Fasziniert von seinem Aufbau experimentierte ich mit dem Fehlfarbendruck eines mittelalterlichen Manuskripts.


Ich hoffe, mir gelingt der Spagat, einerseits am praktischen Beispiel konkret zu bleiben, andererseits allgemein genug, damit man das für die eigenen Verhältnisse nutzen kann. Für mich war von Anfang an klar, dass ich, wenn ich schon Papier zu Schmuck upcycle, möglichst umweltverträglich und nachhaltig wirtschaften möchte, wie ich das auch in meiner Firmenphilosophie beschreibe. Denn ich wohne nicht nur "beim Wald ums Eck", sondern mitten im Biosphärenschutzgebiet Naturpark Nordvogesen - Pfälzer Wald. Da gelten schon von vornherein strengere Regeln als anderswo. Außerdem habe ich schon mehrfach an grenzüberschreitenden EU-Projekten zum Thema Naturschutz und nachhaltige Regionalentwicklung im Naturpark mitgearbeitet. Ich war z.B. Teil des Teams, das den Premiumwanderweg "Grenzgängerweg" zwischen Wingen (F) und Nothweiler (D) in Verlauf, Anlage und mitsamt didaktischen Installationen konzipiert und gestaltet hat.

Mein Vorteil beim Umdenken: Ich bin eine Ein-Frau-Fima, muss also weder eine mürrische Chefin überzeugen noch Rücksicht auf Angestellte nehmen. Trotzdem bin ich immer wieder von Neuem überrascht, an was man alles denken muss, zumal sich die Gesetzgebung rasant schnell ändert.

Wie anfangen?

Will ich meine Tätigkeit nachhaltig aufstellen, muss ich zuerst checken, in welche Bereiche sie sich erstreckt und wo etwas zu drehen sein könnte. In meinem Fall sah das Schema eines möglichen Einflusses auf die Umwelt ungefähr so aus:

  • Material im Atelier (Material für Bildende Kunst, für Schmuck, Zukäufe von anderen Firmen, Büromaterial, Verpackungsmaterial, Lagerbehälter etc.)
  • Kriterien für die Auswahl von Einzelteilen
  • Entsorgung
  • Recycling und Upcycling
  • Regionalverkauf
  • Versand (global)
  • Kundenkommunikation
  • Werbung und PR
  • Investitionen
Ich kann mit einer solchen Liste Posten für Posten durchgehen. Prüfen, wie groß mein CO2-Fußabdruck sein könnte, wie nachhaltig das ist, was ich vorhabe, wo sich etwas verbessern lässt. Dabei achte ich persönlich allerdings nicht nur aufs Klima, denn gerade in der Modebranche gibt es noch ganz andere Fallstricke: Sklavenarbeit in der Dritten Welt oder Ausrottung seltener Arten. Ich werde ein paar Beispiele konkret erklären.

Buy Local oder Versand?

Schauen wir mal praktisch auf einen Posten, der meist in Kampagnen am umstrittensten ist: Wo und wie verkaufe ich? Setze ich auf "Buy Local" oder verkaufe ich weltweit - mit Versand?

Machen wir uns nichts vor: Kunsthandwerk und Kunst können lokal oder regional im ländlichen Raum nicht überleben. Und so manches "Buy local" ist schlicht werbetechnisch opportunes Greenwashing. Die Realität: Wir haben weder genügend Publikum auf den Dörfern, noch kann sich unsereins finanziell einen Laden in der Stadt leisten. Wenn wir regional verkaufen wollen, müssen wir an Märkten oder Messen teilnehmen, es in Galerien schaffen. Auch das ist zunächst einmal sehr teuer, denn es kostet Teilnahmegebühren (in meinem Bereich geht es regional und winzig bei 1500 E los, bevor man auch nur ein Stück verkauft hat). Es kostet Vorbereitung, Vorinvestitionen und Arbeitszeit bei vollem Risiko. Und tatsächlich auch jede Menge Sprit.

ÖPNV kann man nicht benutzen, um Zubehör und Waren anzukarren, man ist immer mit dem Auto unterwegs, die großen Profis mit einem großen Transporter. Und wer je auf einem ländlichen Flohmarkt war, kennt die Autoschlangen der Kundschaft, die die Dorfhauptstraßen verstopfen. Wie soll man auch sonst aus dem letzten Kaff in ein anderes gelangen, wenn etwas los ist. Zumindest in meiner Region ist das eine Sache von Autos (fehlender oder schlechter Nahverkehr auf dem Land). Wie umweltfreundlich die Verkaufsveranstaltung selbst ist, habe ich nicht in der Hand, das macht der Veranstalter. Die wenigsten wirtschaften nachhaltig.

Ich bin auf Internethandel und Versand angewiesen, um meine Kundschaft zu erreichen und konkurrenzfähig zu bleiben. Dabei entstehen Emissionen von CO2. Auch wenn sich vieles verbessert - bei uns fahren z.B. Lieferanten für mehrere Unternehmen sowieso die gleichen Strecken und es ist vor allem in der Stadt sehr beliebt, sich an Sammelstellen liefern zu lassen statt privat nach Hause. Die liegen meist dort, wo man eh einkauft. Trotzdem ...

Ich persönlich habe mich entschieden, nur mit La Poste als Versender zu arbeiten. Die sind nicht nur absolut verlässlich und korrekt, sie gehören zur IPC, deren 25 Mitglieder weltweit daran arbeiten, den CO2-Ausstoß im eigenen Unternehmensbereich zu senken. Die französische Post hatte die erste Elektroauto-Flotte weltweit, man setzt auf erneuerbare Energien (enorm im Atomstromland Frankreich) und Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft aus dem Recycling, zahlt CO2-Ausgleich und investiert in "grüne" Projekte. Die Zahlen können sich sehen lassen. Geht ein Päckchen von mir hinter der Grenze an eine Postorganisation, die sich in diesem Bereich nicht engagiert, zahlt die französische Post auch diesen Emmissionsausgleich, sonst ihr Partner.

Doppelt hält besser, denke ich - und habe darum Etsy als Verkaufsplattform gewählt (natürlich auch aus juristischen, administrativen und Bekanntheitsgründen). Das ist die erste globale E-Commerce-Plattform, die freiwillig mit Klimakompensation arbeitet, sprich, für jeden Versand kauft Etsy entsprechend CO2-Zertifikate.

Natürlich fällt das CO2 dabei trotzdem an. CO2-Zertifikate bedeuten ja nur, dass man - umgerechnet in die gleiche Menge - in Projekte investiert, die CO2 verhindern oder verringern, sei es in Aufforstungen, Waldschutz, erneuerbare Energien u.a. Umweltprojekte. Das ist mehr, als ich bei regionalen Veranstaltungen leisten kann und es wird vor allem direkt von den Verursachern bezahlt.

Verlässt also ein Päckchen mein Atelier, so werden zum Ausgleich CO2-Zertifikate von der Post gekauft. Wird die Bestellung über Etsy abgewickelt, zahlt Etsy auch noch einmal CO2-Zertifikate, es gibt dann doppelten Ausgleich.

Die schicksten Schachteln lassen sich aus gebrauchten Pizzakartons fertigen. Das lohnt sich natürlich nur bei Kleinststückzahlen und viel Herzschmerz für den Schachtelbau. Als Firma muss man auch wirtschaftlich denken.

Verpackungsmaterial

Anderes großes Thema, bei dem es allerdings national extrem unterschiedliche Regelungen gibt, sind Verpackungen. In Frankreich sind im stationären Handel z.B. Plastiktüten verboten und auf Versandverpackungen werden Abgaben fürs Recycling erhoben. Es gibt Postvorschriften, Müllvorschriften und Amtsvorschriften. Und leider habe ich es nicht in der Hand, was die Empfänger mit dem Material machen.

Eine wichtige Überlegung, bevor man sich an die Logistik macht: Verpackung ist immer noch etwas fürs Auge. Ich arbeite also im Spannungsfeld zwischen Nachhaltigkeit und Selbstdarstellung. Wie lässt sich das am besten machen?

Da ich im Luxussegment von Kunst, Mode und handgefertigten Unikaten unterwegs bin, "machen Kleider Leute", sprich, Präsentation ist unwahrscheinlich wichtig. Noch vermeide ich die fertigen Schmuckschachteln mit Firmenlogo und Designgedöns, bewege mich in einer Zahlenmenge, wo ich Verpackungen noch selbst fertigen kann. Fertigschachteln lohnen sich ab etwa 500 Stück, aber schon vorher kann es wichtig sein, sich nicht selbst damit aufhalten zu müssen. Aber was schick ist und viel her macht, muss nicht zwingend schlecht für die Umwelt sein! Und manchmal hilft ein Aufkleber mit dem Logo, der sich ablösen lässt - statt der Luxusschrift in aufgedampfter Metallfolie, die das Papier fürs Recycling verunreinigt.

Edler und besonders wertvoller Künstlerschmuck braucht wertige Verpackungen. Noch fertige ich die selbst - aus Karton und in Wiederverwendung von schönen Papieren. Hier hatte die Kundin extra eine Geschenkverpackung bestellt.


Meine Geschenkschachteln sind handgefertigt aus Papier, Karton, Papierschnur - also recycelfähig. Ich verwende dazu entweder bereits vorhandene sehr dicke Papiere oder kaufe Karton / Wellpappe. Die Papierschnur ist auch Teil von Schmuckstücken, sie kommt aus einer Manufaktur.
Für die Umverpackung muss ich aus unterschiedlichen Überlegungen heraus, u.a. der Versandsicherheit, fertige Umschläge mit Fütterung verwenden. Ich beziehe sie von einer Firma, deren Präsidentin nicht nur die eigenen Produkte in Richtung Ökologie entwickelt, sondern sich mit einer Stiftung weltweit für die Förderung von Frauen und Umweltschutz engagiert. Alles andere ist Recycling - ob Päckchen oder Innenmaterial. Extrastarken Karton, Kartons u.a. Material zum Versand von Gemälden schnorre ich im Müll von Geschäften, auch Luftpolsterfolie habe ich noch nie gekauft.
Meine Kundschaft hatte bisher Verständnis für die Zweiteilung: Das Außenpäckchen ist nicht unbedingt hübsch und oft recycelt, die Geschenkverpackung ist dann aber fürs Auge.

Bei besonders wertvollen oder zerbrechlichen Stücken, beim Verpacken von Malerei oder besonders weiten Versandwegen komme ich allerdings nicht umhin, die Stücke entsprechend zu sichern, Spezialfolien oder Luftpolsterfolie müssen dann sein, können aber von den KundInnen wiederverwertet werden.

Und hier ein Beispiel, dass manche schöne Idee schlicht an logistischen Überlegungen scheitert: Würde ich z. B. die Luftpolsterfolie im Briefumschlag gegen modernen Wellpappenschutz tauschen, würden die Briefsendungen zu dick. Ich müsste dann Päckchen daraus machen (mehr Material) und die Kundschaft hätte mindestens doppelt so hohe Portokosten! Allerdings bringt meine Briefsendungen eben auch die normale Post, Päckchen kämen mit extra Lieferung. Wirtschaftlichkeit ist eben auch immer ein Faktor, vor allem bei Kleinstunternehmen.

Die Partner

Es klang bereits oben an: Man kann mit der Wahl der richtigen Partner als Firma schon viel verändern - und sich gegenseitig unterstützen. Man muss aber eines wissen: Bei internationaler Arbeit kostet Nachhaltigkeit mehr Geld. Das muss man einerseits der Kundschaft klarmachen, andererseits sollte man sich im Klaren sein, dass man nicht auf die Billigkonkurrenz schielen darf. Wenn ich einkaufe, kann ich mir aussuchen, wo und bei wem. Ich muss allerdings auch ein gewisses Grundvertrauen aufbringen, weil ich andere Firmen nicht persönlich überprüfen kann. Hier helfen manchmal amtliche Siegel und auch der juristische Schutz, dass nicht einfach alles behauptet werden darf. Und es gilt: Je direkter ich einkaufe, je mehr ich Zwischenhandel ausschalte, desto eher kann ich Warenwege nachprüfen. Und natürlich bleibt mehr Geld bei den ErzeugerInnen hängen.


Wenn ich Perlen über den Großhandel ordere, sind bei meinen kleinen Mengen winzige Plastiktüten unerlässlich (Papier kann einreißen). Wir KundInnen haben bei Facebook in einer Gruppe mit dem Großhändler über Nachhaltigkeit diskutiert und ein offenes Ohr gefunden. Ab sofort hinterlässt man bei einer Order von mehreren Grund-Stückzahlen die Bitte, zusammen zu packen. Man findet inzwischen auch größere Gebinde. Die Firma verwertet selbst Beutel mehrfach und sucht nach gangbaren Alternativen. Und wenn man wirklich zuviele Tüten übrig hat, gibt es inzwischen eine Tauschbörse der Kundinnen. Die meisten von uns brauchen sie aber ohnehin mehrfach, für die Lagerhaltung oder den Transport bei Märkten. Es lohnt sich also, Firmen einfach auf Nachhaltigkeit anzusprechen!


Es hilft außerdem, sich eine eigene ethische Leitlinie zu erarbeiten, damit man später nicht in Versuchung kommt oder fordernden KundInnen klarer kommunizieren kann, was nicht geht, auch gegen viel Geld nicht. Erst seit ich klar auf meiner Website sage, was meinen ethischen Grundsätzen zuwiderläuft, werde ich nicht mehr mit solchen Kundenanfragen behelligt! Und ich hatte schon einige, nicht unbedingt reiche Leute, die absolut nicht verstehen wollten, warum ich weder antike Perlen noch Mammutelfenbein noch schillernde Käferflügel aus dem Regenwald beschaffe, obwohl es ein Leichtes wäre, all das per Internet zu bestellen. Und Kundschaft, die nicht versteht, warum ich lieber die teureren Glasperlen von tschechischen und japanischen Firmen beziehe als chinesische Billigstware - nun, die sollen bei Ali Baba einkaufen. Folgende Fragen können in diesem Bereich hilfreich sein (neben den üblichen administrativen und wirtschaftlichen):

  • Kann ich mich mit anderen Kleinststrukturen vernetzen, so dass wir uns gegenseitig fördern?
  • Wie kann ich möglichst direkt bei ErzeugerInnen einkaufen?
  • Kann ich Zwischen- oder GroßhändlerInnen finden, die mir bestimmte Standards garantieren (z.B. keine Kinderarbeit / ökologische Produkte etc.)?
  • Kann ich Strukturen in der Region nutzen?
  • Jede/r Erzeuger/in ist lokal, fördert eine Region. Ich muss beim Einkauf nicht zwingend nur meine eigene fördern. Wo kann ich z.B. etwas gegen Armut oder Abwanderung tun? (Beispiel: Statt blind Importware aus Indien zu kaufen, sich eine indische Frauenkooperative suchen und direkt beziehen).
  • Kann ich Kooperationen mit sozialen Unternehmen eingehen?
  • Kann ich Dinge in Behindertenwerkstätten u.ä. fertigen lassen?
  • Finde ich für ein Produkt eine Firma, die nachgewiesenermaßen nachhaltiger arbeitet?
  • Wie gehen meine Partner auf Wünsche bzgl. Nachhaltigkeit ein?

Und hier noch konkret ein Tipp speziell aus meiner Szene: Bei Etsy findet man (neben Billigheimern und Kram) überraschend viele Menschen, denen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und qualitativ hochwertige Handarbeit am Herzen liegen. Manche steigen auch dort ein, um später einen eigenen Shop aufzumachen. Ich habe z.B. auf diese Art ein britisches Paar gefunden, die auf einem Bauernhof Textilien ökologisch und mit Naturfarben färben und von Hand verarbeiten. Wenn sie Ware aus Indien beziehen, dann von einer kleinen Kooperative. Der Tipp kam von einer befreundeten Künstlerin, die auch dort einkauft.

Bei Glasperlen aus Tschechien werden auch in der Fabrik viele Arbeitsschritte zwingend von Hand gemacht wie früher in Manufakturen. Daneben kaufe ich auch tatsächlich Kleinauflagen von Glasperlen von Manufakturen oder tschechischen EinzelkünstlerInnen. Das ist auch von der Qualität und Schönheit her ein himmelweiter Unterschied zur Billigstware aus China. Und die Arbeitsbedingungen unterliegen der strengen europäischen Gesetzgebung.


Last but not least sind der Handelskrieg der USA und der Brexit als Problem längst bei mir angelangt, zumal ich bestimmte Materialien aus den USA beziehe, die einfach dort in der besten Qualität zu haben sind. Ich habe überlegt, ob ich beide Länder diesbezüglich meiden sollte, mich aber dagegen entschieden. Solange keine Zölle anfallen (und nur solange), finde ich es umso wichtiger, dort Menschen und Firmen zu unterstützten, die sich für Nachhaltigkeit engagieren und für Offenheit eintreten. Ein einziges Produkt habe ich aussortieren müssen, weil die US-Firma dahinter neuerdings an der Qualität spart und sehr unwillig in die EU liefert. Eine französische Firma fertigt inzwischen vergleichbare Spezialprodukte im eigenen Sortiment, neuerdings, als Folge des entstandenen Bedarfs.

Und ja, es ist verdammt viel Arbeit, einen Businessplan  auf Nachhaltigkeit hin abzuklopfen oder bestehende Gewohnheiten dahingehend zu ändern. Ich habe viele Monate gebraucht. Und ich hatte - vom französischen Staat bezahlt - fachliche Beratung. Es lohnt sich! Und das Klientel, dass solches Engagement zu schätzen weiß, ist durchaus bereit, die dadurch höheren Kosten mitzutragen. Die Vernünftigen unter uns wissen es längst alle: Wenn wir JETZT nichts gegen eine Klimakatastrophe und das damit verbundene Artensterben tun, wird uns das noch viel viel mehr kosten.

16. September 2019

Wie Asterix und Obelix beim Wildschweinfest

In Frankreich gibt es eine alte Tradition: die offizielle Eröffnung der Jagdsaison. Außerhalb dieser Zeit darf nur mit einer Genehmigung gejagt werden. Wie seit gefühlt Omas Zeiten beginnt die Jagdsaison je nach Departement zwischen Ende August und September. Wenn man sich die Karte anschaut, wird deutlich, dass sich abgesehen von Hintergründen in Sachen Amtskram die Sache auch nach den Wetterverhältnissen richtet. Und darum beginnt die Jagd in der Ebene oft zu einem etwas anderen Zeitpunkt als die im Gebirge. Im elsässischen Bas Rhin werden Wildschweine in diesem Jahr seit dem 23. August bejagt - und es gibt viele, zu viele.

Im Maison Rurale de l'Outre-Forets gibt es auch einen eingerichteten Schweinestall wie früher. Essbar sind die Tiere nicht.


Man muss also nicht unbedingt ein schlechtes Gewissen haben, wenn man sich sonntags fein herausputzt und auf dem Land zu den entsprechenden Festen geht. Sie finden sich inzwischen wieder häufiger in den Nordvogesen: Mit Beginn der Jagdsaison wird das berühmte Wildschwein am Spieß aufgetischt. Mal grillt es die örtliche Feuerwehr, mal der Fußballverein. Immer sitzen viele Menschen zusammen und genießen und quasseln, in dörflichen Mehrzweckhallen oder unter freiem Himmel. Es ist September und man vergnügt sich wie Asterix und Obelix an der großen Tafel auf Bierbänken. Traiteure sind darauf spezialisiert und fahren schon am frühen Morgen ihren Wunderapparat vor. Bei dem gestern drehten sich zwei große Schweine am Spieß über dicker Glut, dazwischen ragte ein Gittergeflecht in die Höhe, das mit dicken Holzkloben gefüllt wird. So kommt die Glut von zwei Seiten heran und auch die Art der Befeuerung ist alte Landtradition: Nach der Sommerhitze wird wieder Holz geschlagen, werden schnell die Vorräte für den Winter mit abgelagertem Holz aufgefüllt.

Landfeste erzählen etwas von alten Bauernkalendern und dadurch von Naturkreisläufen, die sich über Jahrhunderte ins kollektive Gedächtnis eingegraben haben.

Aber etwas ist anders: Wildschweine müssen nicht erst seit diesem Jahr vermehrt abgeschossen werden. Die Schäden in der Landwirtschaft, aber auch in den Wäldern, die zu große Horden anrichten, sind teilweise enorm. Landwirte verlangen Entschädigungen vom Staat, denn die Kosten erreichen siebenstellige Ziffern. Und da sind sich Landwirte wie Jäger einmal einig: Hintergrund ist der Klimawandel, sind die ungewöhnlich heißen Hitzeperioden nebst Dürre nun schon im zweiten Jahr. Was aber hat das mit den Wildschweinen zu tun?

Blickt man nur kurzfristig auf die Entwicklung, so gab es einen fetten Winter für die Pflanzenfresser im Wald. Bäume und Sträucher haben 2018 besonders viele Eicheln, Nüsse und Beeren gebildet, der Tisch im Herbst und Winter war überreichlich gedeckt. Das passiert ganz natürlich so etwa alle fünf Jahre, aber verstärkt unter Stress: Bäume, die gefährdet sind, sorgen damit schlicht für die Erhaltung ihrer Art. Das Phänomen besonders üppiger Blütenbildung kann man als LaiIn noch am ehesten bei der sogenannten Notblüte erkennen. Dann blühen nämlich vor allem Bäume und Sträucher zur "Unzeit", meist ein zweites Mal, oft auch mit kleineren Blüten. Hinter dem Treiben von Notblüten stecken Stress- und Mangelsymptome: starker Nährstoffmangel, extremer Schädlingsbefall, Dürre - und immer öfter das Klima als Auslöser, das außerdem die anderen Auslöser bedingt. Eine Pflanze, deren Blätter in extremer Hitze vertrocknen, kann nicht mehr ausreichend Photosynthese betreiben, der daraus entstehende Nährstoffmangel schwächt sie, sie wird anfälliger gegen Krankheiten und Schadorganismen. Die Pflanze will vor ihrem Tod noch einmal möglichst viele Samen bilden und "blüht sich tot". Weniger sichtbar ist das, wenn die normale Blütezeit einfach üppiger ausfällt.

In den hiesigen Wäldern im Naturpark Nordvogesen haben sich 2018 beide Phänomene überlappt: Der natürliche Kreislauf der fetten Waldjahre traf auf die Stressreaktionen durch Hitze und Dürre. Das passiert immer häufiger in den letzten Jahren auch anderswo***. In Mecklenburg-Vorpommern etwa hat es die Notblüte von Rosskastanien seit 2016 immer mal wieder in die Zeitungen geschafft, weil sie wirklich jedem auffiel. Der Forstingenieur Roland Günter hat in "Hilferuf der Bäume" nicht nur sehenswerte Fotos von Notblüten eingestellt, sondern beschreibt sehr eindrücklich seine Gefühle beim Anblick dieser Bäume und fragt:
Ist das das Sinnbild der aktuellen, gravierenden Veränderungen in unserer Umwelt? Sind das die Zeichen und Bilder, die aus unserem Umgang mit der Natur resultieren?
Immerhin sind das Bilder, die jede/r versteht in in der Natur und ohne allzu großes Fachwissen diagnostizieren kann. Wenn im Herbst üppig die Weißdornbeeren an den Waldrändern leuchten und die Waldwege knacken und knallen, weil man ständig auf Eicheln tritt, dann ist das aber zunächst einmal idyllisch ... Darum zurück zu den Wildschweinen, denn die erzählen deutlicher von den Vorgängen im Wald. Schließlich hängt alles mit allem zusammen!

Die Folge des Nahrungsüberangebots 2018 war logisch: Das Wild vermehrte sich besonders stark, für die Aufzucht der Jungtiere war reichlich gesorgt. Vor allem die Wildschweine profitierten - ihre Paarungszeit findet in unseren Breiten im Winter statt, die Frischlinge kommen je nach Wetter ab März auf die Welt. Ich habe das große Eichelschlemmen selbst beobachtet. Paradiesisch - oder? Den Schweinen gefällt die Wärme doch offensichtlich auch?

Der Boden eines Maisfeldes. Der Mais trägt in diesem Jahr oft nur einen Kolben pro Pflanze, maximal zwei, die Pflanzen selbst sind schon vor dem Ausreifen fast völlig vertrocknet. Die Bauern warten, dass die Sonne wenigstens etwas nachreifen lässt. Wenn es regnet, entstehen in den Rissen kleine Rinnsale, die den letzten Humus und Oberboden ausspülen, denn der Boden ist viel zu trocken, um die Feuchtigkeit gleichmäßig aufzunehmen.


Wenn da nicht die immer trockeneren Winter wären, in denen auch die tiefen Frostperioden zu kurz sind, um Schädlinge zu vernichten. Schadorganismen arbeiten sich also selbst im Winter weiter durch die unter Stress stehenden und dadurch besonders anfälligen Bäume. Es geht ihnen an den Kragen, noch bevor die Frühlingssäfte steigen. Der viel zu niedrige Grundwasserspiegel macht sich dann im Frühjahr bemerkbar - und 2019 schlug gleich die nächste Hitzeperiode zu und die übernächste ...

Gewässer sind permanent ausgetrocknet, Pfützen gibt es nicht mehr. Viele Früchte haben im zeitigen Frühjahr Wurzeln getrieben und versprachen zunächst reichlich Baumnachwuchs. Es folgte die erste Hitze. Die verbrannte die meisten winzigen Eichentriebe noch vor dem Blattansatz zu schwarzen Leichnamen. Rehe flüchteten zuerst aus dem Wald, auf der Suche nach Fressbarem. Die Wildschweine, die sich so üppig vermehren konnten, finden im Wald nicht mehr genügend Nahrung, sie ziehen über Wiesen und Felder in die Siedlungen, um dort zu suchen.

Kurzum: Dass man sie auf dem Land wieder öfter essen kann, liegt nicht etwa an einer Renaissance alten gallischen Traditionsguts. Es ist vor allem den höheren Abschussquoten geschuldet, die wiederum daher rühren, dass sich die Tiere einerseits schneller vermehren und andererseits im Wald immer weniger Nahrung finden. Die Folgen des Klimawandels reichen also bis zum Fest selbst.

Und da brachte es ein älterer Mitarbeiter ironisch auf den Punkt, was wir alle wahrnahmen und an diesem speziellen wunderbaren Tag tatsächlich sogar genossen:
Wir können unsere Sommerfeste bis in den Oktober feiern, dann kommt der Herbst!
Tatsächlich verschieben sich die Jahreszeiten in unserer Region schon sehr, sehr lange nach hinten.

Ich erinnere mich gut an die Zeiten, als die alten Bauernweisheiten noch stimmten. Mariä Himmelfahrt war traditionell der letzte Tag, um Heilkräuter zu sammeln, nach dem 15. August würde der Saft dann eher in die Wurzeln gehen, die man bis zum nächsten Marienfest ausgrub, dem 8. September. Und das war auch tatsächlich stimmig, denn ab Mitte August konnten die Nächte tüchtig kalt werden im Gebirge, hatte die Sonne tagsüber nicht mehr die Kraft. Es gab immer mal wieder einen Wetterausreißer, der wenige Tage dauerte, aber nie Wetterextreme über lange Perioden hinweg wie Sommertemperaturen im späten Oktober.

Die geschnittenen "Marienkräuter" wie z.B. die Zitronenmelisse treiben inzwischen wieder so stark aus, dass ich ein zweites Mal ernten werde. Bleibt es bei diesem Wetter, könnten die Kräuter sogar ein zweites Mal blühen. Alles hat sich etwa um vier Wochen nach hinten verschoben. So gibt es den "Indian Summer" meist nicht mehr schon Anfang Oktober wie früher, sondern immer öfter in den November hinein. Dessen typisches Schmuddelwetter meldet sich dann im Dezember ... Dafür beginnt die Weinlese immer früher.

Die Schlachtfeste im September passten früher zum Wetter. Beim Holzmachen und schweren Arbeiten hatten sich die Bauern hungrig geschafft. Noch war es tagsüber mild genug, um draußen zu sitzen, aber auch kalt genug, um sich gemeinsam an den riesigen Feuern wärmen zu wollen, über denen sich die Spieße drehten. Man heizte sich ein mit Tanz und Alkohol, vor allem die selbstgebrannten Wässerchen aus Obst vom Sommer machten die Runde. Kalorien taten ihr Übriges, um die empfindlich kalte Nacht hindurch zu feiern. Veranstalter bangten um einen regenfreien Tag, weshalb dann die wetterfesten Mehrzweckhallen oder mindestens eine Waldhütte beliebter wurden.

Wir saßen gestern auch unter einem Holzdach und waren aus einem anderen Grund froh darum: Es spendete Schatten. Im wolkenlosen azurblauen Himmel glühte eine Sonne, wie man sie dem August zuschreiben würde. Dreißig Grad Celsius und mehr im absoluten Schatten - das Tanzen kam nur schwerfällig in Gang! Die Leute, die an den Spießen arbeiteten, machten einen Knochenjob in praller Sonne. Die Temperaturen lagen in Frankreich 6 - 10 Grad über Normal.

Wir haben das durch und durch genossen, denn das muss auch einmal sein. Man kann unmöglich täglich und jede Stunde an Untergangszenarien oder Katastrophen denken, wenn man sich nicht völlig lähmen lassen will. Und körperlich anpassen müssen wir uns sowieso.

Also freuten wir Künstlerinnen uns auch einmal darüber, dass die Zeit des jämmerlichen Frierens im viel zu eisigen Atelier noch auf sich warten lassen könnte. Vielleicht ließe sich das Heizen der Wohnung in diesem Jahr lange verschieben? Da waren wir schon wieder beim Thema, dem Klimaschutz. In einem Land, in dem immer öfter Menschen aus Armut im Winter in den eigenen Wohnungen erfrieren; in dem die meisten zwar besitzen, aber kein Geld zur Instandhaltung haben, baut man nicht einfach so schnell die supermoderne ökologisch vertretbarere Alternative von Heizung ein. Man fährt das alte Ding hoch, so lange es noch irgendwie hält. Und was ist ökologisch?

In einem Jahr propagieren sie Pellets, dann fördern sie Holz, im nächsten Jahr gibt es Subventionen auf Biogas und was dann noch alles hip ist, ist gar nicht überall machbar. Wir wissen alle, wir müssen etwas tun. Aber wir sind verunsichert, weil die Regierung jedes Jahr etwas anderes erzählt. Und weil wir das Geld zum Tun gar nicht haben. Diejenigen, die es üppig hätten, tun dagegen oft nichts. So scheitert manches an der unüberschaubaren Praxis oder am Amtsschimmel. Was bei Twitter & Co. so vollmundig einfach in Schwarz- und Weiß gemalt wird, ist bei näherer Betrachtung viel komplexer. Die Leute streiten sich pro und contra Holz, pro und contra Biogas und jeder wartet auf das Gelbe vom Ei. Ein wenig Symptomkosmetik hier, ein wenig Greenwashing da, der Klimawandel ist längst auch ein Marktmotor geworden. Auf Dorffesten kann man sie hören, die Unsicherheiten, den Bedarf an Lernen und Beratung.

Also trinkt man doch lieber noch ein Schnäpschen aufs Genießen und das Leben sowieso, der Schwarzgebrannte ist längst Edelbränden gewichen, die man auch im Internet bestellen kann. Die gehen in den Kopf wie früher die extrem Hochprozentigen - es ist schlicht zu heiß dafür. Und das ist kein kurzfristiges Wetterphänomen, das sind langfristige Entwicklungen mit immer neuen Rekorden. Frankreich hatte seine brutalsten Hitzerekorde in diesem Jahr. Aber immerhin sollen laut Umweltministerium nur 1.500 Menschen daran gestorben sein,  man hat aus den 15.000 Hitzetoden im Jahr 2003 gelernt, hat Krankenhäuser und Altenheime aufgerüstet, weil es zuerst die Alten, die Kleinsten und die Schwachen trifft. Trinkwasser steht ebenfalls auf der Agenda. In unsere Region, in der die Grundwasserspeicher viel zu tief gesunken sind, hat es schon lange nicht mehr nennenswert geregnet und für die nächste Woche besteht auch nur maximal ein 50%iges Regenrisiko. Im Klartext: Wenn wir Glück haben, tröpfelt es mal.

Das ist dann die Kehrseite an einem solchen Tag: Ich kann mich noch so wunderbar amüsiert haben, ich muss durch den Wald zurück nach Hause. Anders als viele Touristen verwechsle ich nicht die bunten Farbtöne mit herrlichen Herbstfarben, dazu ist es viel zu früh. Hitzetrocknis nennt man das Phänomen - und wie man diese Dürreschäden von Herbstlaub unterscheiden kann, das erkläre ich in einem anderen Beitrag in dieser Woche.
Es war ein rundum gelungenes, wunderschönes Fest mit tollen Leuten. Ich habe mit allen Sinnen genossen, geschlemmt, und viel "gebabbelt". Aber was da in der Natur passiert, holt uns immer wieder ein, vor allem, wenn man mitten in der Natur lebt.


Anmerkung***
In meiner Blogreihe zum Klimawandel beziehe ich mich i. A. regional auf den Naturpark Nordvogesen, um die Sinne dafür zu schärfen, dass sichtbare Veränderungen in unserer jeweils eigenen Umgebung stattfinden. Es geht dabei jedoch nicht um subjektive Gefühligkeiten, sondern ausschließlich um Phänomene, die typisch für bestimmte Landschaften oder Breiten auf dem Globus sind und die auch anderswo vorkommen. Erzähle ich z.B. über Wildschweine, können ähnliche Situationen in anderen Ländern bei ganz anderen Tierarten sichtbar werden. Berichte ich über Dürre, ist das kein subjektiver kurzzeitiger Wettereindruck, sondern eine messbare Größe. Selbst für die Hitze im Elsass und Frankreich allgemein gibt es Entsprechungen: Der Sommer 2019 ist eine Anomalie in Sachen Hitze weltweit. Entsprechende Daten findet man im Internet auf seriösen Seiten und bei KlimawissenschaftlerInnen.

Schwerpunktthema: Global Climate Strike

Eine Anleitung für den Global Climate Strike am 20. September kürzlich las sich ungefähr so: Schließe dich einer Demo an, verlange zur Not einen Urlaubstag und debattiere mit deinem Chef, den Angestellten, über die Klimakrise. Wie aber streikt man als Freiberuflerin, wo Streikende und Chefin eins sind? Wo man gar nicht streiken kann, weil es allen - außer dem eigenen Einkommen - herzlich wurscht ist, ob man freitags am Pool liegt, sich kaputt malocht oder sich die Zehen rasiert, während eine Videokonferenz mit dem wichtigsten Kunden läuft. Bei mir kommt erschwerend hinzu: Die nächste Demo ist recht weit weg, in Strasbourg, zu einer Uhrzeit, die es unmöglich macht, sie mit ÖPNV zu erreichen. Ich stehe also alleine im Wald.



Deshalb habe ich nach Alternativen gesucht, um doch auch ein Zeichen setzen zu können. Ich fragte bei Twitter nach Alternativen zum Streik und bekam nicht wirklich Antworten. Immerhin kam dann der Tipp, an diesem Tag zum Thema zu twittern oder einen Instawalk zu machen (ich oute mich: Ich musste erst googeln, was das ist). Nun denn, bei letzterem müsste ich also meinen Hund fragen, ob er beim Spazieren auch ein paar Selfies mit toten Bäumen schießen mag. Alles nicht so einfach.

Und darum habe ich beschlossen, mich auf das zu besinnen, was ich kann, was ich beruflich UND in der Freizeit mache, wo der Hund Hund sein darf und ein Zeichen ortsunabhängig gesetzt wird: Ich blogge.

In dieser Woche wird das Klima, die Klimakrise, Schwerpunkt im Blog sein.

Aber ich möchte dabei die übliche Art der Artikel aufbrechen. Infos zum Klimawandel, wissenschaftliche Fakten und Statistiken findet Tante Gugel zuhauf, dazu braucht es mich nicht. Und wenn man damit an einem einzigen Tag massiv beballert wird, tritt der berühmte Effekt ein, dass es bei vielen zu einem Ohr rein und zum anderen rausgeht. Darum will ich bloggen wie immer. Ich erzähle euch von einem Dorffest oder von meinem Hund und anderen alltäglichen Dingen, die mich umtreiben - so wie immer.

Nicht ganz wie immer. Denn ich werde die Perspektive öfter leicht drehen und dabei aufs Klima schauen. Ich weiß nicht, ob mir das Experiment gelingt, das ich im Sinn habe. Aber es wäre schön, wenn diese Veränderungen spürbar würden, fühlbar würden - jenseits der großen Schlagworte. So, wie es für meinen Hund einen Unterschied macht, ob ich zur Waldtour extra Wasser mitnehmen muss oder ob wir genug davon in der Natur vorfinden - und in welchen Jahreszeiten das so ist. Oder eben nicht mehr so ist. Ich mache das auch deshalb, weil so viele Menschen unterschwellig etwas spüren, aber nicht einordnen können, nicht wirklich wahrnehmen. So wie derzeit die meisten über die ach so hübschen Herbstfarben frohlocken und nicht merken, dass die Schadsymptome von Hitzetrocknis (so nennt man das im Fachjargon) stammen und ein Alarmsignal sind. Ich will einfach ein wenig genauer hinschauen und sicher auch mal das ein oder andere erklären.

Es verändert sich spürbar.

Eben habe ich wieder meinen drei Jahre alten Beitrag "Die Himmelsgabel" gelesen und bin von diesem Baum so begeistert wie beim ersten Mal der Entdeckung. Aber der uralte Eichenwald, den ich da erwähne und den ich inzwischen auf 100 bis 180 Jahre Alter geschätzt habe, ist nicht mehr derselbe. Selbst Eichen dieses Alters halten übermäßig zunehmende Hitze und Dürre im zweiten Jahr nicht mehr aus. Einige beginnen das langsame Sterben ... Das habe ich bei Bäumen diesen Alters während meiner Lebzeiten in diesem Ausmaß noch nie gesehen.

Die deutschsprachige Seite für den internationalen Klimastreik gibt es HIER.

6. September 2019

Cli-Fi - ein neues Genre?

Ich will mal wieder eine Leseliste teilen, weil ich sie zu spannend finde, als dass sie in meinen Bookmarks verstauben sollte. Ich beschäftige mich gerade bei Recherchen für ein Thema mit der Frage, wie nahe gewisse Narrative rund um den Klimawandel an alte Literaturen der Apokalypse kommen, warum das so ist und was es mit uns macht. Und mit dem Hintergrund meines religionswissenschaftlichen und Theologiestudiums weiß ich natürlich, dass die biblischen Apokalysen keine Zukunftsvoraussagen waren, sondern eine antike literarische Form, die sich auf damals zeitgenössische große Umbrüche bezog und diese verarbeitete.

Weltuntergangsstimmung (im Unterschied zur Apokalyptik) wurde immer auch absichtlich hervorgerufen, weil wirtschaftlich ausgenutzt - wie hier auf einem Werbeplakat für Liberty Bonds, das Joseph Pennell 1918 schuf. Kein Land hatte damals überhaupt technisch die Möglichkeiten, einen solchen Feuersturm vom Himmel auszulösen, aber die Grafik zeigte nach der realen Katastrophe des Ersten Weltkriegs Wirkung. So gehen mit ernstgemeinter und seriöser Problembeschreibung leider auch immer Extreme einher, wenn bestimmte Gruppen ein Narrativ ausnutzen. (Joseph Pennell - Library of Congress, Prints & Photographs Division, LC-DIG-ppmsca-18343)


Anders als heute, sollten antike Apokalypsen Hoffnung und Mut machen. So war z.B. die Offenbarung des Johannes durch das Grauen der Christenverfolgungen im Römischen Reich entstanden. Spannend wäre außerdem die Frage, wie sich Klimakatastrophen der Antike in Kunst und Literatur niederschlugen.

Als erstes habe ich erfahren, dass es ein neues Untergenre der Dystopie gibt, die sogenannte Cli-Fi, Climate-Fiction. Erstaunlich, dass es nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia-Beitrag gibt, obwohl der englischsprachige deutsche Literaturbeispiele auflistet (Link).

Der Pacifik Standard beschäftigt sich in "The Literature of Climate Change" mit der Bandbreite von "cli-fi" bis "post-apocalit".

Electric Lit kehrt die Perspektive um: "All Literature Is Climate Change Literature". Es geht um ein Buch - The Great Derangement - und die Frage, ob nicht die Essenzen von Cli-Fi auch in älteren Klassikern zu lesen seien.

Einen Überblick über die sogenannte Apokalyptik, also die antiken "Vorbilder", gibt die deutschsprachige Wikipedia aus recht theologischer Innensicht und etwas dünn. Aber immerhin erfährt man da, wie gegenwartsbezogen und diesseitig das antike Genre damals war. Die englischsprachige Wikipedia schafft hier den großen Bogen und vergleicht Apokalyptik global in unterschiedlichen Religionen, bis hin zu modernen Sekten und Verschwörungstheorien, nur mangelnd mit Belegen versehen. Typisch Wikipedia eben, man muss sie kritisch lesen, kommt aber ins Thema rein.

Janet Fiskio von der Abteilung Environmental Studies am Oberlin College hat ein wissenschaftliches Essay geschrieben:  Apocalypse and Ecotopia: Narratives in Global Climate Change Discours. Es geht um Narrative rund um den Klimawandel zwischen den Extremen von Dystopie und Utopie.

Hochinteressant ist der Artikel Catastrophes of biblical proportions: why the apocalypse is back. Anders als der Titel vermuten lässt, geht es auch hier um die Möglichkeiten unterschiedlicher Narrative. Es wird gezeigt, wie gerade modern ein völlig falsches Verständnis von antiker Apokalypsenliteratur zum Vorbild wird - und wie diese psychologisch wirken kann. Auch hier entsteht die Frage, wieviel wirkliche Visionen wir bräuchten und ob Dystopie nicht sogar kontraproduktiv wirkt.

Mit solchen Fragen haben sich Neurowissenschaftler und Psychiater auseinandergesetzt. Im Beitrag des Scientific American, Psychology Reveals the Comforts of the Apocalypse, wird apokalyptisches oder dystopisches Schreiben unter dem Aspekt der Angstforschung untersucht - die Ergebnisse decken sich verblüffend mit dem Wissen der Religionswissenschaften über die antiken Genres. Solche Arten des Schreibens sollen nicht nur beruhigend wirken, sondern beim Verdrängen helfen. Das geht so weit, dass besonders düstere Katastrophengemälde sogar regelrecht ersehnt werden, weil man sich die Welt eines Neuanfangs schöner und einfacher vorstellt. Da sind wir dann wieder bei der Geschichte, aus der man lernen kann: Politische Umstürzler vor allem des Faschismus haben solche Träume vom vermeintlichen "Neuanfang" und Verdrängungen weidlich ausgenutzt, selbst Intellektuelle fielen immer wieder darauf herein.

Zugegeben, alles ein wenig "Nerdstuff", aber vielleicht bin ich ja nicht der einzige Nerd hier. Und vielleicht kann einiges zum Nachdenken anregen, wie wir selbst vom Klimawandel sprechen und ob wir damit wirklich das erreichen, was wir im Sinn haben.

Nachtrag:

Dadurch, dass Daniel Bloom hierhergefunden hat, der maßgeblich daran beteiligt war, das Untergenre CliFi publik zu machen, kann ich zu diesem Thema noch ein paar Links anbieten:

Daniel Blooms enorme Sammlung CliFi Report Global für Fans wie Forscher.
Ein Interview mit Daniel Bloom.

Wer die Bezeichnung wirklich zuerst benutzt hat und wer sie später bekannt machte, darüber streiten sich die Geister, aber das spielt auch eher eine kleine Rolle gegenüber der Frage, ob das Untergenre überhaupt eines ist oder nur marketingtechnisch als Etikett auf alles geklebt werden kann, in dem Wetter vorkommt: But is it the real deal or just a flight of fancy?

Wie gesagt, im deutschsprachigen Raum spielt es meines Wissens keine wirkliche Rolle, aber das kann sich ja durch Amazons Schubladen immer auch bis in den stationären Buchhandel ändern. Es gibt wenige deutschsprachige Beiträge, die deutlich machen: Entweder ist das Ganze das typische Marketing-Untergenre, mit dem sich altbekannte Formen hipper vermarkten lassen - oder es bleibt schlicht auf den anglo-amerikanischen Markt begrenzt.

"Climate-Fiction ist das Genre der Stunde" behauptet vollmundig die WELT, um sich dann im Beitrag mit dem Verriss eines Buchs selbst zu widerlegen. Der Titel hätte auch lauten können: "Sendungsbewusstsein macht noch keine Literatur". Aber die WELT war diesbezüglich noch nie sehr intellektuell gestrickt ...

Die Riffreporter mit einer Leseliste können auch nur zeigen, dass man diese Bücher früher einfach nur anders genannt hat.

Der Klimawandel ganz realistisch in Romanen vom Deutschlandfunk versucht, Gemeinsamkeiten zu finden, kann aber auch nur anglo-amerikanische Beispiele nennen. Und kommt zum Schluss: Das sind eigentlich "realistische Romane".


1. September 2019

I did it!

Es ist erschreckend lange her, dass ich mein letztes Buch geschrieben habe: "Faszination Nijinsky", das erste deutschsprachige Portrait des Weltstars der Ballets Russes erschien 2011 als Hardcover. Und die Premiere eines von mir dazu geschriebenen Theaterstücks "Jeux – russische Spiele" in Baden-Baden gab es in Zusammenarbeit mit dem Stadttheater und der Bibliothek im Jahr 2014. Was folgte, war ein Mix aus Frustrationen in Sachen Buchbranche (ich hatte von den Verkäufen her die der Verlage vorher getoppt), von Erschöpfung (Schreiben und Herausgeben und Gelder auftreiben und Partner suchen) und Verzweiflung an einer immer rasanter absurd erscheinenden Realität, für die ich keine adäquate Sprache mehr fand. Ich würde erst mal keine Bücher mehr schreiben, tönte ich, konzentrierte mich auf Paper Art.

Die meisten Menschen können sich gar nicht vorstellen, welchen Sprachenmix ich lebe. Hoch- und Schriftdeutsch erlebe ich nur im Internet, in Büchern und deutschen Medien, im Fernsehen. Meine Alltagssprache ist seit bald 30 Jahren Französisch, Elsässisch fast nur noch unter älteren Menschen und auf dem Land. Und weil die Medien hierzulande zu wünschen übrig lassen, kam das Englische dazu. Das war in Polen meine Zweit- und eine Veröffentlichungssprache gewesen. Um mich im Kuddelmuddel zurechtzufinden, lernte ich Pflanzen- und Tiernamen nur noch auf Lateinisch. Und wenn ich mir dann spontan Notizen mache, sieht das so aus wie auf dem Bild. Ich selbst bemerke das Umschalten der Sprachen weder beim Schreiben noch beim Lesen. Ich träume auch auf Europlais, wie ich scherzhaft das Mischmasch nenne.


Mir war natürlich klar, dass ich mit dem Schreiben an sich nie würde aufhören können. "Schreiben ist Atmen" steht nicht umsonst auf meinen Visitenkarten als Autorin und Journalistin. Den fast zu Ende geschriebenen "gemütlichen Gartenkrimi" legte ich in den Ordner für Textleichen. Ich konnte darüber nicht mehr schmunzeln, es erschien mir als vertane Zeit, es passte nicht mehr. Erfand ich eine besonders absurde Szene, toppte sie ein absurder Kerl mit orangefarbenen Haaren zwei Stunden später - um metaphorisch zu beschreiben, was ich empfand. Ich fühlte mich wunderbar beim Aufhören.

Es folgte die Totalentspannung. Irgendwann hatte ich mich derart aus der Buchbranche entfernt, dass ich all das, was ich in diesem Haifischbecken erlebt hatte, wie Anekdoten betrachten konnte, die jemand anderem widerfahren waren. Ich lernte, dass ich nicht die einzige war, der zig Fusionen oder Insolvenzen anderer das Projekt im schlechtesten Moment zerstört hatten, aber immerhin schien ich eine der wenigen zu sein, die noch rechtzeitig die Honorare eingetrieben hatte. Und als ich hörte, dass auch 2019 noch in renommierten Verlagen die männliche Sicht vorherrsche, hätte ich all die Anekdoten erzählen können, wo ich als Frau die schlechteren Karten hatte, schlecht behandelt oder gar nur wegen des Geschlechts abgelehnt worden war. Aber in der Hasswelt von heute hieße es dann nur: Du bist frustriert! Dabei wurden all die dämlichen Absagen von gewissen Männern davon ausgeglichen, dass die betreffenden Manuskripte kurze Zeit später von der Konkurrenz gekauft wurden. "Das Buch der Rose" war so ein Fall. Der sehr bekannte Programmchef eines sehr bekannten Sachbuchverlags meinte damals zu meinem Agenten: "Diese Autorin schreibt viel zu intelligent. Kann die das nicht sanfter, so wie Frauen schreiben!?" Vier Wochen später griff eine Verlegerin zu, die keine Probleme mit Intelligenz hatte. Es hat immer geklappt, aber ich habe heute so die Nase voll davon, in Rollenklischees gestopft zu werden. Ich führe eine Blacklist für solche - und bin auch da nicht die einzige.

Es ist also so weit: Ich habe den Abstand. Mir ist alles egal. Die ewig Gestrigen können mich mal. Und ich weiß, wie der Hase läuft, nämlich um Ecken, die man in der freien Wildbahn nicht immer vermuten würde. Wenn ich heute schreibe, dann weil ich es mir weder finanziell noch zeitlich leisten kann (würde ich mit Verstand rangehen). Sprich: Ich bin völlig frei. Ich könnte 500 Seiten schreiben und einfach verbrennen, es wäre mein Ding. Trotz macht irgendwann kreativ.

Und lange Pausen lassen einen das Handwerk nicht vergessen. Im Gegenteil, sie können diesbezüglich gut tun. Weil man beim Schreiben, das nicht zielgerichtet oder vereinnahmt ist, eine Menge über die eigene Sprache und Herangehensweise lernt. Es ist wie Fahrradfahren. Man verlernt es nicht, wenn man immer beruflich schrieb. Der einzige Unterschied ist nun, dass der Text einen anderen Atem braucht, einen längeren. In der hektischen Welt mochte ich das Bloggen als adäquate, ephemere Form des Kurzen. Jetzt schwanke ich zwischen Essay und Buch.

Aber da war noch die Sache mit der Sprache. Ich habe es unter dem Foto beschrieben, wie das bei mir durcheinanderläuft. Es gab zwei Überlegungen: In welcher Sprache würde ich mich wohlfühlen? Und weil ich den professionellen Blick habe: In welcher Sprache würde was funktionieren?

Ich habe heute das berühmte weiße Blatt zum ersten Mal gefüllt - mit einem Experiment. Draußen im Garten schreibend, während um mich herum die Sommerabschiedsfeiern erklangen: drei französische Dialekte von Nord bis Süd, Elsässisch - und britisches Radio. Wir sind eben Europa in einem Landstrich, in dem die Menschen Sprachen locker mitten im Satz wechseln.

Der französischsprachige Versuch schlug bei den ersten Sätzen jämmerlich fehl, aus einem erstaunlichen Grund: Mir fehlte es an fast allen Fachwörtern. Ich könnte aus dem Stand einen Artikel über archäologische Ausgrabungen schreiben, aber diese Thematik hatte ich außer in den historischen Teilen nie auf Französisch bearbeitet. Also Muttersprache. Das würde doch flutschen! Tat es seltsamerweise nicht. Den Anfang strich ich mehrmals, er klang nach Schulaufsatz, es holperte, es wollte nicht - warum auch immer. Dritter Versuch. Und ich war drin. Ich habe keine Ahung, wieviel Lektorat ich brauchen werde, aber da waren in Nullkommanichts drei Seiten auf Englisch "hingeworfen". Wenn mir ein Wort fehlt oder ich ein besseres suchen will, unterstreiche ich einfach, um im Fluss zu bleiben. Mir fällt auf, dass ich in all der Zeit, als ich z.B. für die Warsaw Voice schrieb, nicht gelernt hatte, was "Schlappohren" sind. Die lop ears, die bei Bilbo schnell zu floppy ears werden ...

Ich gebe zu, mein Englisch ist lückenhaft!


Für mich selbst habe ich jetzt als Ziel gesetzt: Ich probiere frech ein englischsprachiges Essay. Wenn ich mit dem stranden werde, kann ich immer noch umschalten.

Ich weiß, dass ich damit viele wunderbare Stammleserinnen und Stammleser verprellen und traurig machen werde. Aber ich denke praktisch.

Für das, was ich vorhabe, gibt es in Deutschland im Moment nicht einmal eine Handvoll Verlage - jeder Agent rät dann ab. Und für mich gibt es nur eine Alternative: Verlag mit Agentur oder im Falle von Nische das Selfpublishing. Im Ausland sieht das ganz anders aus. Da gibt es vor allem viele Fachzeitschriften und Plattformen für Veröffentlichungen z.B. von Essays. Tatsächlich haben außerdem Frauen ein besseres Standing. Kommt hinzu, dass mein Recherchematerial fast ausschließlich englisch ist. In deutscher Sprache ist da echt tote Hose.

Es geht aber noch weiter: Ich will alte Kontakte aufwärmen im englischsprachigen Raum. Denn ein Teil dessen, was ich in dieses Erzählen hineinverschränken werde, ist ein uraltes Projekt. Ich hatte schon mehrfach davon erzählt - deutschsprachige Verlage hatten es vor vielen Jahren verschmäht, weil ich 1. als Frau doch nicht soooo ein Thema (ja, schon wieder) und 2. das Thema doch viiiiiel zu dreckig sei, nicht hübsch genug. Schließlich hatte ich Fernsehleute beraten, die Dokus dazu für ARTE drehten. Die alte Erdöl-Sache. Ich habe weiter in Frankreich die volle Unterstützung der Fachleute für die Recherchen - und da gehen die Kontakte eben auch in die USA. Diesmal werde ich mir die Möglichkeit, beispielsweise aus dem Schlumberger Archiv seltenste historische Aufnahmen zu bekommen, nicht nehmen lassen.

Es ist etwas, was eigentlich nicht zusammengehört und doch einfach Leben ist: Schönheit und Dreck, Natur und Ausbeutung, Idylle und Verwundung, Forschung und Blauäugigkeit, ein auszulotender Raum zwischen Werden und Untergang. Ein Text über Wald wie über das, was einmal ein Wald gewesen war - Erdöl. Ein Text, für den die Zeit überreif ist.

Gut getan hat die Abstinenz, gut getan hat das überlange Liegen des historischen Stoffs. Gut getan hat aber auch mein fleißiges Lesen der Genres Essay und literarische Reportage, die im angloamerikanischen Raum seit einigen Jahren brillante Vorbilder liefern. Als ich einmal meine Lektorin bei Suhrkamp fragte, wie es denn darum in deutschen Verlagen stehe ... ich will gar nicht mehr an die Antwort denken. Ein Trauerspiel.

Die Befreiung an allen Fronten zeitigte dann ein kurioses Ergebnis. Es stahl sich ein Typ in den Text, der so und in dieser Form nicht vorgesehen war. Der Inspirational Manager schien die Zunge herauszustrecken und zu sagen: Was der Dirk Steffens in Dokus kann, kann ich auch! Und so schlappt das Schlappohr plötzlich ständig ins Bild, quatscht mir was von Geruchskarten, springt mutig über leere Bachbetten und sagt, warum Menschen in einem Heißluftballon auch nur fette Enten seien. Ich muss wohl am Honorar noch einiges drehen, das er verlangt, damit er nicht überdreht. Jedenfalls meint er, er müsse mich vom "anthropozentrischen Blick" abbringen, mir helfen, die eigenen Perspektiven zu hinterfragen.

Das kann nur schiefgehen! Nature Writing, in dem ein Typ namens Bilbo von Butterblum durchs Bild läuft und die Läuferin von Stöckchen auf Hölzchen kommt, von Ameisenhaufen auf unterirdische Galerien, vom Klimawandel zum Flugblatt übers Mikroklima des 18. Jahrhunderts.

Mal sehen, ob ich über das erste Kapitel hinauskomme und wie ich das zeitlich neben zwei Jobs stemmen will. Aber täglich eine Seite sind schließlich auch 365 im Jahr. Wegwerfen kann ich dann immer noch. Und wenn es ganz schlimm wird, teile ich mir mit Herrn von Butterblum ein Würstel und wir lachen uns gemeinsam eins. Ich schwöre, das Viech kann lachen!

PS: Wenn ich hier Fehlschläge und Frustrationen benenne, dann ganz bestimmt nicht, um zu jammern oder weil sie mir heute noch etwas ausmachen würden. So etwas gehört zum Geschäft, auf jeden Vertrag kommen soundsoviele Fehlschläge. Ich will damit aufmuntern, dass Scheitern immer einen Moment des Werdens in sich trägt. Diese Kultur des Scheiterns müssen wir oft erst wieder lernen. KollegInnen werden es kennen, dass ein Thema nach mehreren Seiten Probetext plötzlich verrecken kann, weil es nicht tragfähig genug war, weil ihm etwas fehlte. Umgekehrt sind aber zeitlose und starke Themen schlicht nicht totzukriegen. Nicht von Genderdinosauriern, nicht von Hypes und Schreibmoden. Es ist wie mit dem Rohöl, wenn es regnet: Es blubbert aus der Erde hoch, färbt Pfützen in allen Regenbogenfarben und wartet nur darauf, dass sich ein Wildschwein in ihm wälzt. Tja, so würde es der Inspirational Manager wohl formulieren, der jetzt nach seinem Würstel brummt!