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10. Juli 2019

Absprung von Facebook (2)

Noch bin ich nicht gesprungen, da erlebte ich gestern zeitweise Slapstick beim Versuch, alle meine FB-FreundInnen per Messenger davon in Kentnis zu setzen, wo sie mich über eine Sommerpause erreichen können. Mein spontaner Untertitel dafür: kuriose Gehirnwäsche.

Facebook ermöglicht uns den Blick auf die Welt?


Es gibt bei Facebook inzwischen die Möglichkeit, ein Account zu deaktivieren oder zu löschen - feiner Unterschied. Wenn man sich bei ersterem auch nur einmal wieder einloggt, ist alles, als sei nichts geschehen - FB vergisst nichts. Früher zerstörte sich ein Account nach so und so vielen Wochen Nichtnutzung von selbst, heute können wir selbst Toten Geburtstagsgrüße hinterlassen. Dafür ist das echte Löschen so versteckt und ein wenig tricky, dass man sich besser vorher Anleitungen ergoogelt. Ich will aber erst einmal nur diese Stufe 1 versuchen, Gründe habe ich ja genug. Vor allem Arbeit, neue Orientierungen und den Sommer. Wird ganz einfach: Ich setze eine Rundmail auf, die ich per Messenger an alle versende, fertig. Pause, Ruhe, Erholung.

Denkste. Wer das so nachmachen will, der nehme sich viel, sehr viel Zeit - und werfe sich auch ab und zu den Hornhautmantel um.

Erstes Problem: Der FB-Messenger, eine der schlimmsten Datenschleudern (mindestens bis in die nächste Flughafenkontrolle der USA, aber durchaus auch direkt zu den Schlapphüten), technisch unsicher wie nur was, kommt mir nicht aufs Handy. Gruppen basteln am PC? Geht, wenn man genau hinschaut. Nur kam nie eine einzige dieser PNs an!

Ich schreibe alle einzeln an!

Nicht die beste Idee, wenn man vierstellige Freundeszahlen hat, aber bei mir waren es handverlesene unter 500 und was sollte schon schiefgehen seit Copy & Paste? Blauäugig setzte ich eine Rundmail auf mit einem Link zu allen anderen Kontaktlinks, nämlich auf mein Blog. Alte Hasen hätten mich wohl vorwarnen können, wenn ich gefragt hätte.

Im Nu hat mich Facebook gesperrt. Wegen Spamming. Es ploppen dann immer diese netten Links auf, bei denen man sich beschweren kann. Ich denke mal, im Laufe des gestrigen Tages gingen allein von mir wegen unmöglicher unterschiedlicher Blockings zehn Beschwerden ein, im Tonfall, muss ich zugeben, zum Schluss extrem gereizt. Man fragt sich ja wirklich, wie der ganze üble echte Spam und ungefragte Nazipropaganda so durchrutschen, während eine harmlose Sommerpausenankündigung geahndet wird. Es sind Maschinen, die das prüfen - und man streiche bei der Abkürzung K. I. dringend das I., das für Intelligenz stehen soll. Der K. D. (Künstlicher Dumpfbrumm) reagiert auf Texterkennung, das ist nichts Spezielles, das kann sogar ich als Code tippen (Angebermodus). Also ist es sehr einfach, das auszutricksen: indem man den Text variiert.

Dumm ist nur, dass man die Taktung nicht kennt. Und Vorsicht: es werden Anfang, Ende und Mitte des Texts analysiert. Man baue besser vorab fünf Versionen. Und dann kommt die Taktung. Und der Zeitmesser: "Sie benutzen dieses Feature zu schnell, weisen Sie nach, dass sie kein Roboter sind. Wir haben Sie bis 13:32 Uhr für neue Nachrichten gesperrt." Warum, zum Teufel, ausgerechnet bis 13:32? Ich muss insgeheim an Rainman denken.

Aber dann werfe ich mich vor Stolz in die Brust: Ich bin wohl eine der wenigen Journalistinnen und Autorinnen, der bescheinigt wurde, so schnell wie ein Roboter zu tippen. Mit N. I. (Natürlicher Intelligenz) natürlich. Sollte ich je eines Tages ein Buchhonorar verhandeln, wird das in die Berechnung eingehen, aber hoppla!
Das Dumme ist nur: Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Und knapp 500 Mitteilungen wegzuklicken! Auch um 17 Uhr bin ich noch gesperrt, diesmal gibt es kein Beschwerdeformular. Die wissen, warum. Und als der Laden endlich wieder läuft, stelle ich fest, dass meine Rundmail jetzt über den darin verteilten Link gesperrt ist! Egal wie - meinen Blog kann ich nicht mehr verlinken. Darum bekommen die nächsten Freunde die URL in "Handschrift", als cronenburg Punkt blogspot Punkt com. Sie werden intelligenter sein als K. D. und das entschlüsseln!

Als ich nach einem ganzen Tag und Restarbeit für heute im wahrsten Sinne des Wortes geschafft bin, möchte ich meinen Newsletter knuddeln.

Was für eine fantastische Erfindung so ein Newsletter ist!

DSGVO-konform besitzt man trotzdem immer den Direktkontakt zu seinen AbonnentInnen, verfügt über eine Mailadresse und die verfügen über meine. Kein Problem, wir können uns jederzeit kontaktieren. Es mögen sehr viel weniger Leute sein als FB-FreundInnen, aber die haben mich aus freien Stücken und vorsätzlich abonniert, haben also wirklich Interesse. Plattformen können kommen und gehen - wir haben uns!

Wie fein könnten Messenger sein!


Wenn sie keine Datenschleudern sind. Wenn sie Hackerangriffen trotzden können und die übertragenen Daten wirklich alle verschlüsselt werden. Wenn man darüber wirklich alle Freunde erreichen kann - und auch selbst über die Kontaktdaten verfügt und diese nicht versteckt bei Dritten liegen. Der FB-Messenger gehört definitiv in allen Kategorien nicht dazu! Deshalb fand ich es dann drollig, dass mir manche als Antwort den Link schickten, ich solle ihn als App holen. Ich gehe mal wohlwollend davon aus, dass das der Herr Zuckerberg eingestreut hat, als Zuckerli, um mich noch mehr zu ärgern. Vorerst bin ich jedenfalls bei Signal, nach einigen Recherchen über Sicherheit und Datenumgang. Telegram schneidet da gar nicht so gut ab, wie es tut. Threema wäre der zweite meiner Wahl, ist aber kostenpflichtig - dazu muss ich erst wissen, ob ich überhaupt ein Messenger-Typ bin oder ob mich das nicht ganz schnell nervt. Aber ich wollte eigentlich etwas ganz anderes erzählen (den Technikkram können die Technikkönner besser verbloggen):

Die Menschen!

Ich bekam natürlich Antworten. Und wurde bestätigt: Es reicht absolut nicht aus, Ankündigungen und Wichtiges als Posting zu verfassen. Nicht jeder hat jedes Profil abonniert. Und wer es hat, bekommt die Beiträge, die wenig aufregend, aber wichtig sind, durch die Algorithmen gekillt.

Die Antworten waren durchweg sehr nett - und ich war gerührt, welches Feedback selbst von Leuten kam, mit denen ich schon ewig nicht kommuniziert hatte, deren Beiträge mir FB trotz Abo nie zeigte. Hätten sie nur einmal einen Smiley verteilt oder etwas kommentiert - FB hätte mir ihre Inhalte auch zugespielt. Es sind immer die Ruhigen, die dort verlieren.

Es gab dann aber auch Laute. Und Lustige. Kuriose.

Ich kann es ja verstehen, wenn man wenig Zeit hat und bequem ist. Aber wenn mir jemand sagt, dass er nicht extra einen Blog aufrufen werde, um Kontaktmöglichkeiten zu mir zu sehen, dann kann das Interesse nicht weit sein. Hätte ich alles als Link einzeln aufgeführt, wäre ich gleich komplett als Profil blockiert worden! Oder das: Man habe es gern bequem und gehe nicht "nach außen ins Internet", man rufe auch keine Blogs auf, um sie zu lesen, die müsse man dann immer kompliziert extra anklicken. Hey, schon mal was von Feeds gehört? Und der Linkklick bei FB war euch auch zuviel? Aber nein, bei FB kommentiert man ja inzwischen, ohne die Inhalte zu kennen ...

Ich habe es mir manchmal wirklich verkniffen, zurückzufragen: Seid ihr euch eurer Totalabhängigkeit eigentlich bewusst? Wenn ich lese "nach draußen ins Internet", wird mir gruslig zumute. All das, warauf ich bei FB die ganze Zeit neugierig machen wollte, das war das Draußen! "Draußen" im Internet, draußen im echten Leben.

Das ist Gehirnwäsche pur. Eine kuriose Gehirnwäsche, denn sie verkleidet sich wie ein Game. Facebook als immenses Manipulations-Game, die UserInnen als Spielfiguren? Ganz ehrlich: Solche Äußerungen machen mir verdammt viel Angst. Weil solche Leute, die sich absolut nicht mehr aus dem vermeintlich sicheren Zuckerbergimperium herausbewegen, leider auch die Realität mitgestalten. Kann man diese noch klar erkennen, wenn man nicht nach "draußen" geht? Wie gleichgeschaltet sind wir bereits?

Sehr belustigend war dann auch die Marke Besserwisser (hier spare ich mir die weibliche Form, es war keine Frau dabei). Die mich mit erhobenen Zeigefinger aufklären wollten, dass ich aber eine grundlegend falsche Entscheidung träfe (das Warum interessierte nicht), dass ich keine Ahnung von Kommunikation hätte (nö, ich hab das nur auch beruflich schon für andere gemacht), dass ich beruflich ganz arg auf die Nase fallen würde ohne FB. Es war wirklich spaßig, weil der Besserwisser mit der Nase nicht mal wusste, was ich beruflich mache. Und der mit den Kommunikationsermahnungen hatte während der gesamten Zeit unserer FB-"Freundschaft" kein einziges Wort mit mir gewechselt. Und dann war da einer, der es sehr traurig fand, dass ich mich völlig von der Welt abschneiden würde - und dem ich dann verklickern konnte, dass ich ihm bei Instagram schon lange folge ...

Es menschelt halt immer wieder sehr. Aber macht euch beruflich um mich keine Sorgen. Denn ausgerechnet meine StammkundInnen halten auch anderswo Kontakt zu mir und die meisten haben meinen Newsletter abonniert. Viele von denen waren nie bei FB gewesen. Und dann gibt es da durchaus ein nicht unwichtiges Real Life. Meine geplanten Workshops etwa.

Was mir wirklich elend weh tut, sind ein paar wenige (mehr schafft man in dieser Intensität nicht) Menschen, mit denen ich einen sehr innigen und tiefen Austausch hatte und von denen ich jetzt nicht mehr so schnell und einfach hören werde. Aber wir haben haltbare Kontaktmöglichkeiten ausgetauscht. Und mit einigen habe ich auch hin und wieder telefoniert. Dafür war FB mal schön und eine wunderbare Erfindung, als es noch nicht durchkommerzialisiert war.

Manches hat mich auch kurzzeitig erschreckt. Eine wollte unangemeldet vor meiner Tür stehen. Überhaupt wollten mich schon viele als "Durchgangsstation" für den Urlaub nutzen. Oder mein Atelier besichtigen. In meinen Alpträumen sehe ich knapp 500 Leute nebst Anhang und Haustieren unangemeldet vor meiner Tür stehen. Dabei habe ich schon wegen der Zeugen Jehovas die Klingel abmontiert! Oder andersherum gesagt: Wer mich ernsthaft besuchen will, muss wissen, wie das geht und sich anmelden. Hier in Frankreich lernt man fremde Menschen eigentlich zuerst im Bistro kennen. Und Leute mit Homeoffice haben durchaus feste Arbeitszeiten und viel zu tun!

Spaß beiseite, sie hat das als Witz gemeint. Leider hatte ich schon LeserInnen meines Elsassbuchs, die es gnadenlos ernst meinten. Nie vergesse ich das Paar, das mir samstags mailte, sie würden gern am Sonntag nachmittag bei mir vorbeikommen und ich könne ja da den tollen Kugelhopf aus meinem Buch backen! Das ist kein Witz. Die meinten das bitter ernst. Das war das erste und einzige Mal, dass ich bei einer Antwortmail Tacheles geschrieben und meine Contenance vergessen habe. Wenn man mal von dem Typen absieht, der mich unangemeldet besuchen wollte, weil sein Vater der Leibarzt vom Kaiser von China gewesen sei und ich dringend meinen guten Namen für seine Healing-Sitzungen des Dritten Durchgeknallten Grades hergeben sollte. Den bekam ich nur mit Anwalt vom Hals. Ich bin da also durchaus leicht vorgeschädigt und suche mir meine FreundInnen gern selbst aus. Planen muss ich das auch (Arbeit und Privatleben und so!). Auch mein Atelier ist nicht zu besichtigen, es ist tabu. Abgesehen davon, dass sich da drin nur eine Person und ein Hund gleichzeitig drehen können. Der Rest ist Regal und ein Chaostisch. Kurzum: FB-Parties machen mir Angst. Und Leute, die ich in meine Wohnung einlade, die stehen mir schon nah. Die wissen dann auch, wie sie mich ohne FB erreichen können.

Was mir außerdem auffiel, das waren fast grummelige Vorwürfe von Leuten, die auf mehreren Kanälen unterwegs sind. So ein wenig in dem Stil, ich nähme ihnen jetzt den bequemsten Kanal weg. Ich versteh's nicht. Wir sehen uns auf Instagram, twittern mal miteinander und dann ist das eklig, wenn ich ihnen den bequemsten Kanal wegnehme? Merkt ihr selbst, oder?

Ich habe jetzt natürlich die Extreme geschildert und auch vermantscht, um sie unkenntlich zu machen. Wenn sich trotzdem jemand erkennt, ja dann kann nur er / sie gemeint sein, dann zieht euch dringend diesen Schuh an. Ich erzähle das, weil ich damit sagen will: Wer auf diese Art aussteigt, sollte sich darauf gefasst machen, dass die Antworten die eigenen Erwartungen nicht unbedingt treffen.

Das Gros der Leute lässt man allerdings wirklich nur ungern zurück und es macht dann traurig, wenn sich keine anderen gemeinsamen Kanäle finden. Aber so ist das Leben. Jeder Abschied kostet Menschen, aber es kommen auch immer neue hinzu.

Am meisten aber habe ich mich über diejenigen gefreut, die sich vorstellen konnten, dass ich Gründe habe. Dass ich vielleicht schlicht was anderes plane, was spannend werden könnte. Das nenne ich dann echtes und wirkliches Interesse. Und auch wir bleiben hoffentlich weiter irgendwie verbandelt, bis ich darüber rede. Ich will mir den wichtigen Luxus gönnen, der auch am Anfang eines Buchs steht: Nicht darüber zu reden, bis ein Projekt stark genug ist. Öffentliches Zerreden hat schon so manches wunderbare Projekt im Keimstadium schlicht umgeblasen.

Und jetzt gehe ich an den Rest der Rundmails bis zum nächsten Blockiertwerden. Ihr dürft derweil über meine Naivität und anderes lachen, denn ich nehme mich bei diesem Blogartikel selbst am wenigsten ernst. Und ich habe gelernt, dass ich dringend noch einen Artikel über die Welt "draußen" schreiben muss, sprich, über die Entwicklung dezentraler Netzwerke und Verbandelungen, die sowohl virtuell als auch im Realleben stattfinden. Diese andere Welt ist bei politischen Protestbewegungen entstanden, erobert aber längst den Alltag. Hier suche ich noch nach konkreten Beispielen zur Illustration.

Ach, eins noch: Es war höchst interessant zu sehen, wieviele meiner FB-FreundInnen längst Karteileichen waren. Sprich, FB verlassen hatten, ohne dass ich es mitbekommen hatte. Darunter waren durchaus extrem medienaffine Menschen, die auch beruflich mit Social Media arbeiten. Menschen, die Tausende von FreundInnen sausen ließen. Und ein paar, die ihr Profil nicht mehr selbst bestücken, sondern bestücken lassen. Zu gern hätte ich die gefragt, warum sie gegangen sind und wie es ihnen danach erging. Immerhin, von Robert Habeck weiß man es: Es hat ihm nicht geschadet.

Mein FB-Account ist jetzt deaktiviert.

Lesetipp zu meinen Beweggründen und dem Entschluss:
Absprung von Facebook (1) Absprung von FB (3)


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