Ein Buch entsteht und alle nölen!

Wenn ich eines in Social Media gelernt habe, dann sind es Clickbaits; hier in Frankreich übrigens Klickhuren genannt: diese aufreizenden Schlagzeilen, die jeder aus Neugier dringend anklicken muss. Meist kommt dahinter nur heiße Luft, weil es entsprechenden Medien nur um Traffic geht. Aber keine Angst, diese Schlagzeile ist echt und die Reaktionen, die ich mit dem Herumnölen zusammenfasse, bringen mich zwar zum Kopfschütteln, werfen aber ein Licht auf die Sache, über das ich mich nicht wirklich wundere.

Diesmal werde ich stur sein wie ein Ochse!

Irgendwas mit Natur?

Ich habe bereits erwähnt, dass es in meinem Kopf wieder herumbrummelt, weil womöglich ein längerer Text, vielleicht sogar ein Buch entstehen will. "Irgendwas mit Natur" zeigte sich da - und inzwischen formt es sich schon recht konkret mit Inhalten. Im Moment bin ich noch im Zustand des inneren Köchelns, der wachsenden Begeisterung und der Sichtung von Wegen, die sich abzeichnen. Nach jahrzehntelanger Erfahrung in der Buchbranche strecke ich auch schon mal kleine Fühler aus und stelle Fragen an Menschen in meinem Bekanntenkreis, die gute Bücher machen.

Die Überraschung ist groß: Insider raten mir ab. Deutsche Verlage hätten seit der Frankfurter Buchmesse noch weniger Mut als sonst.

Neugierig wollte ich wissen, was dahintersteckt. Meine Idee ist einfach und in meinen Augen doch auch raffiniert: Ich will etwas von Natur und meinen Waldläufen mit Bilbo erzählen, aber mit einem Sinn dahinter. Also nicht so ein niedliches Hundegeschichtchen, sondern ein erzählendes Sachbuch, das unterhaltsam knallharte Fakten transportiert, während ich natürlich auch Wahrnehmungen und Hundliches erzähle. In der angloamerikanischen Welt gibt es dafür ein eigenes Genre mit großer Tradition, das seit wenigen Jahren boomt wie nie zuvor: Nature Writing. Im Deutschen gibt es nicht einmal einen Begriff dafür.

Das Sperrgebiet

Unterbewusst geistert es wohl schon länger in meinem Kopf herum. Seit einigen Jahren knipse ich Fotos von immer der gleichen Stelle. Es ist ein Sperrgebiet, das man von außen leicht beobachten kann, wo aber der Zutritt nicht nur lebensgefährlich ist, sondern auch strengstens verboten. Die Idee zum Buch kam mir, als ich außerhalb an einem Hochsitz saß und wie mein Hund gebannt durch den Zaun blickte. Ich kann mich da wunderbar erholen. Den hohen Zaun mit den Warnschildern blende ich längst aus, meine Augen schweifen auf große knorzige Eichen und Weiden, ungewöhnlich gesunde Eschen und die Wildpfade im hohen Gras der Steppenlandschaft. Wenn es warm genug ist und ein Lüftchen weht, duftet es minzgetränkt von wilder Minze, über der trunken Schwärme von Schmetterlingen taumeln. Ein Hügel erhebt sich über dem entstehenden Wald, stets seltsam kahl, lediglich vergrast und mit ein paar verkrüppelten Koniferen bestanden. Auch die Steppe wirkt fremd.

Ich selbst sitze im Kulturland, unweit der Maisfelder in Monokultur, am aufgeräumten Waldsaum, der wegen des Sperrzauns regelmäßig gemäht wird wie ein Vorgarten. Ligusterhecken breiten sich aus, die Jäger haben hier einen Aufgang zu ihren Jagdstellen und den Futterplätzen. Es ist ein extrem junger Kulturwald, von dessen Holzeinschlag die Gemeinde lebt.

Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich sitze im "Wohnzimmerwald" und schaue auf eine ungestörte Wildnis, die radikal von der Natur erobert wird. Dabei müsste es eigentlich andersherum bezeichnet werden! Denn jenes "Wohnzimmer" ist der eigentlich ach so wilde, freie Wald. Das Sperrgebiet hinterm Zaun dagegen ist verwundetes Land, einstige Industriebrache, womöglich belastetes Gebiet.

Ich musste daran denken, wie viel wir Menschen als Gattung mit diesem Stück Natur zu tun haben. Sind wir nicht selbst verwundet in diesen Zeiten, belastet, erschöpft? Könnte das hinterm Zaun ein Spiegel sein für unseren Zustand in einer immer verrückter erscheinenden Welt, die wir manchmal kaum noch fassen können? Das Gelände wurde nicht umsonst enteignet und abgesperrt: Es könnte nämlich zusammenbrechen. Es könnte sich einfach die Erde auftun aufgrund der alten Wunden und alles verschlingen.

Burnout

Das Stück Land gehört zum ehemaligen Erdölfördergebiet im Nordelsass. Messungen haben ergeben, dass die unterirdischen Galerien in dem von Sandlinsen durchsetzten Lehmboden angefangen haben zu arbeiten. Es besteht einerseits die Gefahr, dass sie einbrechen. Andererseits weiß niemand wirklich, was damals bei Aufgabe der Ölförderung in die Galerien gekippt wurde. Dort, wo einst die Raffinerie stand, hat man den Sondermüll in den alten Galerien entsorgt, das haben die ganz Alten noch erzählt, die dort gearbeitet hatten und nun auch schon gestorben sind. Und hier?

Das Besondere an diesem Stück Land ist, dass es keine moderne Industriebrache wie unten im Dorf oder auf dem ehemaligen Raffineriegelände ist. Ich laufe mit dem Hund ein Stückchen im Wald hoch und stehe vor einem Wegweiser: nur 200 Meter bis zum Bohrturm. Der ist eine Replik auf geschichtsträchtigem Boden: Da stand der erste Bohrturm der Welt. Lange vor den Amerikanern hat man hier 1813 zum ersten Mal auf 42 Meter Tiefe gebohrt. Zu der Zeit haben sich Amerikaner noch gefragt, was die Natives mit diesem seltsam schmierigen schwarzen Zeug anfingen, haben es mit Lumpen aus der Erde getunkt, als Mittel gegen Insektenstiche und Medizin.

Ich habe ein Faible fürs Spurenlesen in uralten Industriebrachen. Dieser Laster vermaß einmal die geophysikalischen Spuren der Erde, um Naturasphalt und Erdöl aufzuspüren.

Ökoaufstand

Wenn ich meinem Hund Bilbo nachgebe, bin ich ziemlich schnell in einem Wald, der einmal nationale Geschichte schrieb in Frankreich. Dort gab es nämlich einen der ersten "Ökoaufstände" gegen den Kohleabbau, wütende Bauern schäumten vor Wut gegen eine profitorientierte Adelsfamilie, die nicht aus der Region stammte, aber intrigant nach Geld gierte. Damals hat es Flugblätter gegeben und Eingaben beim französischen König, Blockaden der Landbevölkerung im Wald. Von der Belastung ihres Wassers hatten sie es und schimpften beim König, dass das Abholzen des Waldes ihr gesamtes Mikroklima verändere. Ich habe die Texte der Flugblätter noch. Es hieß noch anders, aber die haben tatsächlich erkannt, was Mikroklima ist und wie es sich auf Mensch und Vieh auswirkt! Das war noch vor der französischen Revolution! 250 Jahre vor dem Hambacher Forst, vor den Protesten gegen RWE.

Und da hat es mich dann endgültig gepackt.

Nein, ich möchte nicht mein nie geschriebenes Buch über die Erdölgeschichte nachholen. Aber ich habe so viele Kisten Material davon übrig, in denen ich Spannendes finde zur verwundeten Landschaft, zu einer Welt, die einmal nicht mehr lebenswert schien. Vor Jahrhunderten vergiftet, baumlos geworden, immer wieder von Erdöl überschwemmt - heute Teil des Regionalparks und absolutes Naturidyll, die Spuren nur noch für Wissende lesbar. Ein Untergang, der zur Hoffnung wurde. Und ich sitze draußen vor diesem Zaun und erlebe, wie der Wald, der wild sein sollte oder zumindest gesund, an der Maismonokultur und anderen Problemen krank wird.

"Gesunde" Herbstfarben in einem Wald, der nicht unter Dürre leidet.

Wider die Entfremdung

Nicht, das das viele Menschen wahrnehmen würden. Bilbo und ich begegnen allenfalls Waldarbeitern, mal einem Jäger oder Bauern. Es ist wunderschön einsam auf all diesen Wegen, was der Natur zugute kommt. Aber die Menschen, die sich seltener in die Wälder bewegen, entfremden sich. Vom Mikroklima lesen sie Theoretisches in den großen Zeitungen und glauben nicht mehr, dass auch ihr eigenes Dorf gemeint sein könnte. Sonst würden sie nicht ihre Gärten mit Planen abdichten und zu Tode schottern. Es sind die gleichen Menschen, die bei Instagram sonntags Bilder vom bunten Herbstlaub posten, sich freuen, dass es schon so früh so bunt wurde, dass es so schön heiß blieb und zum Glück nie nass. Dürreschäden? Trockenheitsfarben? Da kichern sie ungläubig.

Idylle schauen sich die meisten inzwischen von der Straße aus an oder vom Wanderparkplatz. Und doch ist die Sehnsucht der Menschen nach Natur und nach dem Wald ungebrochen.
Ich habe also durchaus ein Programm. Möchte unseren Verletzungen nachspüren und unseren Sehnsüchten, möchte die Entfremdung der Menschen überwinden und ihnen Zusammenhänge unterhaltsam erzählen. Mir geht es darum vor allem ums Staunen, um die Faszination. Ums Fühlen, wo wir als klitzekleines Teilchen der Natur vielleicht stehen könnten, lebensfroh werden könnten. Das kann man mit Fakten und Wissenschaft, ganz ohne Esoterik.

Lernen von den Großen

Natürlich interessiere ich mich für die großen Vorbilder und lerne für mein Leben gern. Das Sujet ist ja in Teilen neu für mich. Also habe ich mir die Besten der Besten zusammengesucht und preisgekrönte Bücher bestellt. Ich habe mich wenig gewundert: Sie sind allesamt englischsprachig. Ein paar davon wurden oder werden übersetzt, aber eigentlich auch eher nur deshalb, weil man an einer Pulitzernominierung oder einem internationalem Bestseller so leicht nicht vorbeikommt (oder sich den Mitnahmeprofit ausrechnet). Noch weniger davon landen als Spitzentitel im Programm von Mainstream-Verlagen. Ich jedenfalls bin hin und weg, verschlinge die Bücher (ich werde sie später einmal vorstellen). Und verliebe mich in die "Schreibe" des Nature Writing.

Nature Writing

Da stehen poetische Naturbeschreibungen gleichberechtigt neben dem subjektiven und sehr persönlichen Spaziergang (auch mit Hund) und knallharten wissenschaftlichen Fakten z.B. aus der Biologie oder Ökologie. Das ist genau mein Schreiben. Erzählendes Sachbuch ist so sehr meins ... bei "Das Buch der Rose" wie bei "Faszination Nijinsky" oder "Elsass. Wo der Zander am Liebsten im Riesling schwimmt." Da schließen sich Kreise.

Natürlich habe ich recherchiert, was Nature Writing für ein Standing bei uns hat. Und war dann schon leicht entsetzt. Das deutsche Feuilleton rümpft die Nase, nölt herum oder macht sich gepflegt lustig. Ein einigermaßen vernünftiger Artikel ist aus dem Amerikanischen übersetzt. Sonst nur Arroganz zu finden. Wie solche Bücher in Deutschland aufgenommen werden, nenne ich bei mir den "Peter-Wohlleben-Effekt". Der Mann weiß viel und erzählt absichtlich so, dass ihn eben auch naturferne, einfach gebildete Stadtmenschen und Kinder verstehen. Und dafür erntet er dann Häme, allerdings eben auch Erfolg. Irgendwie tut man sich in deutschsprachigen Ländern schwer, wenn jemand zu sachlichen Themen Gefühle anspricht, es einfach hält. Ich reite übrigens bewusst auf einem "deutschen Effekt" herum, weil es sich um eine fehlende kulturelle Tradition handelt, weil da aber auch geschichtlich gewachsen gewisse Vorbehalte da sind. In Frankreich ist das auch anders, jemand wie Wohleben würde hier in Schulen und zu Waldführungen eingeladen werden (inzwischen ist er dort auch bekannt).

Einen guten Artikel habe ich gefunden, der einfühlsam zeigt, was Nature Writing ist und was dahintersteckt: "Schläft ein Lied in allen Dingen" in der ZEIT. Den hat aber ausgerechnet ein Autor geschrieben, der sich selbst immer häufiger in englischer Sprache ausdrückt und in diesem Kulturkreis auch ernst genommen wird. Auch über ihn lachen viele in Deutschland: Dr. Andreas Weber. Bekannt wurde er mit seinem Buch "Alles fühlt" (Leseprobe pdf). Er ist Philosoph und Biologe und schreibt sogenannte erzählende Sachbücher, sehr poetisch und literarisch außerdem. Und schon damit können und mögen so viele nichts anfangen. Dabei ist gerade dieses Buch die Initialzündung gewesen zu meinem Denken, meiner Idee ...

Derart vorgewarnt habe ich dann ein paar Verlagsleute in meinem Bekanntenkreis interviewt, was sie über Nature Writing denken. Sie hatten durch die Bank zwei Vorschläge für mich:
- Schreibe unbedingt auf Englisch.
- Werde am besten ein Mann.
Und ja, deutschsprachigen Verlagen fehle es an Mut für Ungewöhnliches wie selten zuvor. Aber das hatten wir ja schon. Öfter.

Da stehe ich nun mit meiner Idee und bin mir noch unschlüssig, wie ich sie tatsächlich umsetzen werde. Das Notizbuch jedenfalls füllt sich, vorläufig in der Muttersprache.

2 Kommentare:

  1. Was für ein spannendes, wunderbares Thema. Du musst dieses Buch unbedingt schreiben. Vielleicht mit Crowdfunding?

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    1. Danke Carola!
      Aufgrund des Feedbacks bei Facebook glaube ich tatsächlich an das Thema. Wie ich es praktisch umsetzen werde - kommt Zeit, kommt Rat! Ein ordentlich zahlender Verlag wäre auch nicht übel.

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