Was ich fürs Schreiben lerne

Wer hier regelmäßig mitliest, weiß, dass ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr an einem Buch schreibe - und vorhabe, diese Pause aus unterschiedlichen Gründen so schnell nicht zu beenden. Wobei ich zugeben muss, dass ich derzeit an einem Tweet von Emma Coats herumbeiße. Die ist Story Artist bei Pixar und hat 22 Tweets zum Thema Storytelling losgelassen. Nr. 11 lautet folgendermaßen:
PUTTING IT ON PAPER lets you start fixing it. If it stays in your head, a perfect idea, you'll never share it with anyone.
Doch alles, was ich derzeit zu Papier bringe, ist mein Papierschmuck. Seltsamerweise bringt der mich meinem Schreiben näher als viele Jahre meiner Autorinnenkarriere. Was ich davon lerne?

Ein Moment der Euphorie: Wenn Natur und Kunst miteinander verschmelzen, neue Welten entstehen. Papier, Glas, Lavendel. Atelier Tetebrec.
Die meisten, die so lange im Geschäft sind wie ich (beruflich schreibe ich seit 1984, mein erstes Buch erschien 1998), kennen wahrscheinlich bestens die Phasen, die einen als Buchautorin durchrütteln. Da sind vor allem all die wirklich groben Fehler, vor allem bei Entscheidungen, die man sich so gern gespart hätte. Aber jung, naiv oder Anfängerin - man tappt eben auch mal in Löcher. Geht KünstlerInnen in anderen Sparten übrigens nicht anders. Das sind dann die Erlebnisse, die man Jahre später als Anekdoten zum Besten gibt, weil sie wenigstens noch als Witz des Lebens taugen.

Was jedoch für die eigene Kreativität und einen einigermaßen "geraden" Weg am hinderlichsten ist, dürfte das Spannungsfeld sein zwischen übertriebenen Selbstzweifeln als Künstlerin und dem, was an (Pseudo)Erwartungen von außen an einen herangetragen wird. Noch schlimmer: Oft bildet man sich nur irgendwelche Erwartungen anderer / des Marktes ein. Das nenne ich dann die inneren Zensoren - da gibt es Techniken, sie stumm zu schlagen. Ich will hier jedoch nicht die üblichen Ratschläge für Storytelling geben, das können andere besser und eigentlich muss man auf die auch gar nicht hören.

In meinem Schmuckatelier lerne ich rasant, worauf ich beim Schreiben achten muss. Ich bin mit meinem Papierschmuck ja anfangs auch relativ blind und ungeübt drauflos gestakst. Dass Handwerk Lernen und Übung braucht, war mir dagegen klar. Dass die Inspiration und das dazugehörige High-Gefühl nur einen winzigen Bruchteil ausmachen, neben gefühlt 98% Schweiß, Feilen, Aufwickeln und Zuwickeln, Kleben und Lackieren, wusste ich vom Bücherschreiben. Aber da war ein vertrautes Gefühl, mit dem ich weniger zurecht kam: Ich musste erst noch "mein Ding" finden.

Beim Schmuck - vielleicht weil es so fachfern scheint - fallen mir die Fallstricke viel deutlicher auf:
  1. Der Massenmarkt ist äußerst kurzlebigen Trends unterworfen. Ist der Trend da, ist es zu spät, aufzuspringen.
  2. Gefühlt Zehntausende von Menschen machen genau das Gleiche wie ich. Wie soll ich da je hochkommen, etwas erreichen?
  3. Gefährlich für Profis wie mich, die von ihrer Kunst überleben müssen, sind Marktbeteiligte, die einem das Geschäft bedrohen: Kopisten und Plagiateure (bei Handwerksmärkten fotografieren sie jedes Detail), die Billigstkonkurrenz aus China, extreme Dumpingpreise von Hobbyisten. Aber auch die Abhängigkeit von Plattformen und anderen Geschäftsakteuren.
  4. Liebgemeinte Kritiken, die einem am Lack kratzen.
  5. Die Superkönner und Vorbilder, die einem am Selbstwertgefühl kratzen.
  6. Ganz gefährlich: das vermeintliche "Das ist so!"

Die Inspiration kommt aus der Natur. Die Materialien dürfen edel sein: Perlen aus Maulbeerbaumpapier, das heute noch in Asien von Hand geschöpft wird, Papiergarn aus einer Manufaktur und Jetimitationen aus böhmischem Glas.
Wie damit umgehen?

Zu Punkt 1:
Ich muss mich kritisch selbst fragen: Will ich mich denn auf dem Massenmarkt verkaufen? Habe ich überhaupt die technischen Möglichkeiten? Bin ich fähig, Trends zu riechen, bevor sie schon stinken? Ist es das, was ich will: mich für den Rest meiner Tage wie ein Schilfrohr im Wind jeder neuen Trendsause anzupassen?

In meinem kleinen Atelier, das nur aus einem riesigen Tisch und einem Ikea-Regal besteht, ist die Frage viel einfacher zu beantworten als beim Bücherschreiben: Ich kann auf keinem Massenmarkt mitmischen, selbst wenn ich wollte. Ich bräuchte sonst eine Fabrik, Maschinen, MitarbeiterInnen und vor allem richtig dick Kapital. Als Künstlerin sind mir außerdem auch gesetzlich die Größen von Serien vorgeschrieben - überschreite ich die Zahl, ist es keine Kunst mehr. Sehr gesund, diese Reduktion auf sich selbst zu erkennen: Da bin zunächst einmal nur ich. Also muss ich einzigartig sein / werden. Im Kleinen muss ich großartig werden und auffallen.

Und genau das schaffe ich nicht, wenn ich in allgemeinen Trends untergehe! Natürlich ist es hilfreich zu wissen, welche Modefarben die meisten Menschen im nächsten Jahr tragen werden. Wenn sich alle orange anziehen, kommt schwarzer Schmuck womöglich besser als einer im falschen Orange, das sich beißt. Was nicht heißt, das ich nicht Orange im nächsten Jahr verkaufen kann! Natürlich schaue ich mir die neuesten Kollektionen von Perlen an oder technische Neuerungen in Sachen Material - die Entdeckungen inspirieren mich. Aber ich muss in meinem Atelier nicht alle aktuellen Kollektionen japanischer Glasperlen lagern - das ist unnötig gebundenes Kapital.

Weil ich klein bin, habe ich einen wichtigen Vorteil: Ich kann spontan und flexibel sehr schnell ordern, was ich brauche - und wenn es nur für ein einzelnes Schmuckstück ist. Dadurch kann ich viel leichter auf Kundenwünsche eingehen, viel individueller fertigen. Solchen Service können Große nicht bieten.

Übersetzt aufs Bücherschreiben heißt das: Ich muss mich entscheiden. Will ich ein Massenpublikum erreichen und bin ich bereit dazu, im Teamwork in einem Konzernverlag sehr regelmäßig und in immer kürzeren Abständen Bücher zu produzieren, die Trends folgen? Oder will ich mich nicht derart einordnen, will ich frei und kreativ bleiben und mein Ding finden - auch wenn das vielleicht Nische und kleinere Verlage bedeutet?

Zu Punkt 2:

Solche dämlichen Fragen ganz schnell vergessen! Täglich atmen über sieben Milliarden Menschen Luft in ihre Lungen - stelle ich etwa deshalb das Atmen ein?

Zu Punkt 3:

Abhängigkeiten von Plattformen, Bezahldiensten, Geschäftspartnern: ernst nehmen. Sich für Notfälle Alternativen bereitlegen. Darauf vertrauen, dass auch deren Konkurrenz nicht schläft. Sich unabhängig machen, wo es sinnvoll ist. Großstrukturen nutzen, weil sie einem helfen. Und mit Partnern immer gute Verträge machen.

Alles andere: Zumindest ich praktiziere eine Mischung aus Gleichgültigkeit und Aktion.
Mit Kopisten und Plagiatoren hat inzwischen jede Branche zu kämpfen. Ich kann vorbeugen (z.B. Fotoverbote auf Ausstellungen), agieren (dreiste Urheberrechtsverletzungen anzeigen) und es den Leuten erschweren, indem ich meine Arbeit möglichst unnachahmlich mache.

Wer je eine Papierperle von mir in der Hand hatte, kennt die Unterschiede zur Billigstware aus China. Was die meisten KünstlerInnen aber falsch machen: Sie kommunizieren das nicht für all die Menschen, die eben keinen Vergleich in Händen halten! Ich muss mich nicht mit schlechter Ware vergleichen. Aber wenn ich erzähle, dass so eine Papierperle allein 2-3 Durchläufe an Leimungen erlebt und 2-3 mal lackiert wird, wenn ich zeige, wie diese Perlchen einzeln auf Zahnstochern trocknen müssen oder auf Metalldrähte gefädelt werden - dann ist das Staunen groß und jeder wird begreifen, warum Papierschmuck von Qualität einen gewissen Preis hat.

Damit hat sich auch die Angst bei der Preisgestaltung erledigt. Menschen, die nur tiefste Hobbypreise bezahlen wollen oder bei Alibaba bestellen, können und sollen gar nicht meine Kundschaft sein. Anstatt hier Ängste zu züchten, muss ich mich fragen, wo mein wertschätzendes Zielpublikum sitzt und wie ich rankomme. Zwar versuche ich immer einen Mix aus günstigeren einfachen Ketten (Ich mag es, wenn viele Menschen sich Schönheit gönnen können) und hochwertigen Luxusstücken, aber die Preisgestaltung muss wirtschaftlich sein. China interessiert mich also schlichtweg nicht. Und deshalb verkaufe ich auch meine Bücher nicht zu 99 Cent.

Eine Firma ohne Kapital zu gründen, kann einen den Hals kosten. Es ist aber auch eine kreative Herausforderung, ressourcenschonend. Warum für Ohrringe spezielle Steckkarten kaufen? Jetzt weiß ich endlich, warum ich für meine Visitenkarten diese Filmstreifengrafik verwendet habe!
 Zu Punkt 4:

Umwandeln! Sich selbstkritisch fragen: Warum kratzt das gerade an meinem Lack?
Kürzlich meinte eine Freundin (zu Recht), mein Schmuck treffe so gar nicht den gängigen deutschen Geschmack. Das müsste unauffälliger sein, bloß nicht so farbig, kleiner, grafischer. Früher hätte mich so ein Einwand fertig gemacht, weil ich den Fehler bei mir gesucht hätte. Heute kann ich solche Angaben dazu benutzen, um meine eigenen Stärken besser zu analysieren und vor allem zu kommunizieren. Ich will ja bunt, ich will ja statement!

Anhand dieser Kritik habe ich übrigens meinen neuen Etsy-Shop gestaltet. Ich habe mich gefragt: Wer sind die KundInnen, die es sehr bunt lieben, die künstlerischen Schmuck tragen, die Statement-Ketten kaufen? Gibt es die? Prompt landete ich bei den richtigen Hashtags für üppigen Schmuck, der durchaus gekauft wird (sonst gäbe es die Hashtags nicht): High Fashion, Jazzy Glitter, Statement Jewellery, Fairy Style und all die Dinge wie boho, tribal, chic ... und schon war mein Slogan geboren: "Joie de Vivre from France - Lebenslust aus Frankreich"!

Das nämlich muss bunt sein, darf glitzern und sprühen, frech oder ungewöhnlich sein. Nachdem ich den Slogan und das Shopfoto mit "blingbling" hatte, fiel mir die Selbstdarstellung in Bild und Wort gleich viel leichter. Ich musste mein Ding beschreiben, das, was mich persönlich ausmacht - in der Hoffnung, dass es weltweit irgendwo Menschen gibt, die den gleichen Geschmack haben. Und so kam eins zum anderen - ich entdeckte Bräute als Zielgruppe, bestärkt durch ein Erlebnis in meinem Dawanda-Shop: Dort hatte jemand eine Kette für die Hochzeit geordert. Und ich stellte eine andere Linie heraus: Die Inspirationen aus der Natur! Was sich mit der regionalen Herstellung im Naturpark verbindet und meiner Firmenphilosophie in Sachen Nachhaltigkeit. Und so gehört die Region, in der ich lebe, fest zu meinem Schaffen.

Aus einer Kritik war also eine bessere Definition meines USP geworden, eine Konzentration auf das Wesentliche. Ich hatte gelernt zu kommunizieren, was ich sein will - damit ich nicht ständig die Fragen beantworten muss, warum ich nicht bin, was ich nicht sein kann. Wie man damit letztendlich zum Ziel kommt, das wären mehrere extra Artikel, das ist zähe, langwierige Arbeit, die ich noch vor mir habe.

Zu Punkt 5:

Falsche Denke. Könner bewundern, ist etwas Feines. Von Vorbildern kann man lernen und sich auch anstacheln lassen. Visionen sind gut für die eigene Entwicklung. Aber das darf einen nicht herunterziehen. Wenn man den eigenen Platz gut kennt, kann man zugeben, was alles noch nicht funktioniert, ohne dass man sich klein und kaputt fühlt. Alle ausgezeichneten Menschen in einem Metier waren einmal blutige Anfänger. Lernen. Üben. Weitermachen.

Zu Punkt 6:

Es ist immer anders als man denkt.
Eine Freundin sagt: Alle in meinem Umfeld kaufen nur noch Schmuck der Marke XY. Google sagt: Die Marken A, B, C ... verkaufen aber trotzdem ungeheuerlich viel. Und sogar ich kleines Licht verkaufe. XY lässt also genügend Platz.
Jemand meint, auffälliger Glitzerschmuck sei vollkommen out. Google Images hilft - da gibt es Zeug wie "Hollywood Regency". Schon kann man recherchieren, in welchen Umfeldern das funktionieren kann. Denn irgendwer kauft diese Klunker. Geht nicht, gibt's also nicht.

Das A und O für mich ist es, mich täglich neu überraschen zu lassen. Da fragt eine Kundin nach einem Extra bei der Maßanfertigung, auf das ich allein nie gekommen wäre. Ich frage andere, ob ihnen das wichtig sein könnte. Ich probe statt Farbe etwas in Schwarz - und heraus kommt wieder mein Stil, aber immerhin, mal ohne Farbigkeit. Ob es läuft? Inzwischen biete ich z.B. bei Papiergarn unterschiedliche Farben an und lasse mich überraschen! Und was wird zuerst bestellt? Farbe. Wer hätte das gedacht?

Viel extremer als bei Büchern lerne ich im Schmuckgeschäft, meinen eigenen Stil zu entwickeln und mich vor allem zu unterscheiden. Mich gegen die Masse und die Trends zu positionieren, mit dem, was nur eine einzelne Künstlerin so viel besser kann als ein behäbiger Konzern: Direkte Kommunikation mit den Kundinnen, absolut maßgeschneiderte Einzelstücke, handgefertigt. Wer weiß, vielleicht schaffe ich es eines Tages mal, so etwas in Literatur umzusetzen.


Warum ich zwei Shops habe? Dawanda ist als Plattform sehr auf Deutschland orientiert und bleibt so auch bestehen. Internationales Publikum spreche ich bei Etsy an, auf Englisch (natürlich kann man da auch aus Deutschland bestellen). Und bei Etsy kann ich technisch etwas machen, was bei Dawanda unmöglich ist: Stücke verkaufen, die erst auf Bestellung maßangefertigt werden.
Wer übrigens für die Arbeit an meinem Blog spendet, finanziert ein neues Projekt mit: Ich brauche dringend eine Kamera, die Makrofotografie schafft. Denn gute Fotos sind das A und O beim Schmuck. Was ich im Blog zeige, kommt von einer 40-Euro-Kamera mit 5 Megapixeln - das reicht nicht mehr. Auf die neue Kamera spare ich jetzt eisern.

2 Kommentare:

  1. Hallo,ich habe einfach nur und will nicht ohne ein paar Worte wieder gehen. Der Papierschmuck wirkt originell und in deine Literatur muss ich mich erst hineinklicken. Liebe Grüsse zuerst einmal

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