Lieber Agrikultur als Kultur?
Der Bürgermeister eines der Dörfer im Umkreis hat einmal vor einem Theaterverein einen in meinen Augen bezeichnenden Spruch getan, aus dem Brustton der Überzeugung. Bezeichnend deshalb, weil der Spruch eine bestimmte Geisteshaltung auf den Punkt bringt, unter der KünstlerInnen (und eine ganze Gesellschaft obendrein) geistig verhungern können: "Culture, das ist doch auch wieder nur eine moderne Form von Agriculture?" Nein, der Mann wollte damals keine philosophische Rede halten und auch nicht spaßen, er hält nach wie vor Kultur für überflüssig, Kunst sowieso. Ob er immer noch dem Dorf vorsteht, in dem sich auch im Sommer keiner auf die Bänke am Kirchplatz zu setzen wagt, weil man dann von allen anderen als "Nichtstuer" beschimpft würde, weiß ich nicht.
In diesem Jahr war alles anders: Kürzung des sonst über drei Wochenenden verteilten Festivals auf vier Tage, darunter Werktage. Die offenen Ateliers lediglich im viel zu spät und nur regional verteilten Prospekt erwähnt, die Aussteller nicht aktualisiert oder fehlend. PR für die Auswärtigen, die so aufs Web angewiesen wären ... ich räuspere mich jetzt nur. Immerhin gab es 2015 mal eine deutschsprachige Version. Dazu die Vollsperrung einer Hauptroute wegen Bauarbeiten nebst fehlenden Leit- und Hinweisschildern in den anderen Orten.
Kurzum: Wir wussten, dass es schwierig werden würde und versuchten, wenigstens die eigenen Kontakte zu aktivieren. Selbst die fanden teilweise nicht mal den Weg ... siehe fehlende Schilder in den Zentren. Dort standen die Schlangen am Einlass, dort hielten die Reisebusse. Wer dennoch zu uns fand, stöhnte nicht selten: "Nach der großen Ausstellung in den Hauptorten bin ich nur noch platt und müde. Und habe all mein Geld schon dort gelassen." Wir spürten das schmerzhaft. Aber ich habe bei meiner ersten Ausstellung eine Menge über falsches Zielpublikum gelernt und möchte hier eine augenzwinkernde Typenlehre bieten, die natürlich oft haarscharf am Vorurteil vorbeischrammt. Bewusst, denn die waren echt, ich schwöre!
"Erna, fotografier mer des Bild mit dem Farbgespritz! Des kann ich daheim selber, bloss so Farbfleckzeugs. Und dafür wollen die auch noch Geld!"
"Oh, Papierschmuck, des hab ich als Kind in der Schule auch immer gemacht, kinderleicht!"
"Sie drehen Perlen aus Papier? Das macht man doch in der Vorschule? Das wollen Sie verkaufen?"
"Guck mal, auf dem Bild kann man gar nichts erkennen. Da können wir ja gleich kleine Kinder malen lassen."
"Sie töten Pilze für Schmuck!? Pilze sind Lebewesen!"
Ich erkläre freundlich, dass das Myzel weiterlebt, der Fruchtkörper, den man erntet, jedoch sowieso absterben würde. Dass Pilze trotzdem keine Tiere sind, verkneife ich mir zu sagen. Stattdessen betone ich, dass diese Pilze garantiert eines natürlichen Todes im hohen Alter stürben und von mir nicht gequält würden.
Dann eine Frau mit gierigen Blicken auf eine Schamanenkette in Grün und Weiß. Ich werde frech und erkläre die Materialien, auch die handgravierten Knochenperlen.
Die Frau kreischt fast: "Knochen, igitt! Knochen von Tieren!??" Alle Leute im Raum drehen sich um.
Ich überlege kurz, ob es auch andere Knochen gibt, und entgegne breit lächelnd: "Naja, was mein Hund so übrig lässt. Soll ich das in den Mülleimer werfen? Upcycling, gelebter Umweltschutz!"
Die Elsässer, die den Dialog verstehen, glucksen schon, die Touristin ist jetzt auf 180: "Das ist eine absolute Schweinerei! Sowas kommt mir nicht an den Hals! Heutzutage kann man doch wirklich so viel Verantwortung zeigen, dass man veganen Schmuck macht. Igittigitt!"
Ich glaube, sie hätte mich in dem Moment am liebsten Mörderin gerufen. Sie nahm aber rechtzeitig wahr, dass die Umstehenden nicht über mich lachten. Zu gern hätte ich ihr nachgerufen, dass ich riesiges Vergnügen daran hätte, Bücher zu quälen, wenn ich deren Torso aufreiße und ihnen die Rippen einzeln herausbreche. Hoffentlich hat sie kein Gemälde mit Eitempera gekauft. Und warum wollte sie überhaupt eine Kette von mir an den Hals?
Planung über Kreuz - kein Stich ins Schwarze
Trotzdem und zum Glück gibt es auch in ländlichen Gebieten (noch) Kunst und Kultur zu erleben. So stand die vergangene Wochenhälfte im Nordelsass ganz unter dem Zeichen des Internationalen Kreuzstich- und Stickfestivals, das unter Insidern einen Namen hat. Menschen aus ganz Frankreich und anderen Ländern treffen sich dort. Und weil so etwas den Tourismus fördert und damit eine Region entwickeln kann, weil solche Leute Kunsthandwerk und Kunst mögen, hat man frühzeitig die KünstlerInnen der Region mit ihren offenen Ateliers eingebunden.In diesem Jahr war alles anders: Kürzung des sonst über drei Wochenenden verteilten Festivals auf vier Tage, darunter Werktage. Die offenen Ateliers lediglich im viel zu spät und nur regional verteilten Prospekt erwähnt, die Aussteller nicht aktualisiert oder fehlend. PR für die Auswärtigen, die so aufs Web angewiesen wären ... ich räuspere mich jetzt nur. Immerhin gab es 2015 mal eine deutschsprachige Version. Dazu die Vollsperrung einer Hauptroute wegen Bauarbeiten nebst fehlenden Leit- und Hinweisschildern in den anderen Orten.
Kurzum: Wir wussten, dass es schwierig werden würde und versuchten, wenigstens die eigenen Kontakte zu aktivieren. Selbst die fanden teilweise nicht mal den Weg ... siehe fehlende Schilder in den Zentren. Dort standen die Schlangen am Einlass, dort hielten die Reisebusse. Wer dennoch zu uns fand, stöhnte nicht selten: "Nach der großen Ausstellung in den Hauptorten bin ich nur noch platt und müde. Und habe all mein Geld schon dort gelassen." Wir spürten das schmerzhaft. Aber ich habe bei meiner ersten Ausstellung eine Menge über falsches Zielpublikum gelernt und möchte hier eine augenzwinkernde Typenlehre bieten, die natürlich oft haarscharf am Vorurteil vorbeischrammt. Bewusst, denn die waren echt, ich schwöre!
Kleine Typenlehre für AusstellerInnen
Die Knipserle
Damit auch die abgelegeneren Orte Publikum abbekamen, hatten sich die Organisatoren eine Tombola ausgedacht: Wer sich auf einer Karte mindestens sieben Plätze abknipsen ließ, konnte teilnehmen und ein Stickset gewinnen. Der Einfallsreichtum beim Publikum war immens: Manche kamen zum Knipsen und liefen wenigstens anstandshalber im Laufschritt durch die Ausstellungsräume, um gleich zum nächsten Knips weiterzuhasten. Die Vorwitzigen machten aus, wo das Knipserle versteckt war und bedienten sich gleich selbst. Den gemeinen Homo Knipserle kann man übrigens sehr leicht am schweifenden, gehetzten Blick erkennen. Es ist die Sorte Mensch, die bei der historischen Stadtführung zuerst nach dem Biergarten sucht. Als dann die Dame mit zehn Karten in der Hand vor mir stand, ist mir der Geduldsfaden gerissen. "Können Sie sich bitte verbreitern?", fragte ich sie. Indigniertes Starren ihrerseits, sie war schon recht breit: "Wieso!?" - "Nun ja, für zehn Personen sind Sie mir einfach zu dünn, beweisen Sie mir, dass sie mehr sind, ja?" Sie schnaubte von dannen. Wahrscheinlich zu den Freundinnen, die sie im Kreis herumgeschickt hatten.Die ewigen Kinder
Erkennbar am eher fortgeschrittenen Alter und an ihren Sprüchen:"Erna, fotografier mer des Bild mit dem Farbgespritz! Des kann ich daheim selber, bloss so Farbfleckzeugs. Und dafür wollen die auch noch Geld!"
"Oh, Papierschmuck, des hab ich als Kind in der Schule auch immer gemacht, kinderleicht!"
"Sie drehen Perlen aus Papier? Das macht man doch in der Vorschule? Das wollen Sie verkaufen?"
"Guck mal, auf dem Bild kann man gar nichts erkennen. Da können wir ja gleich kleine Kinder malen lassen."
Die Schmuckveganer
Kamen ausschließlich aus Deutschland. Eher Städter als Dörfler."Sie töten Pilze für Schmuck!? Pilze sind Lebewesen!"
Ich erkläre freundlich, dass das Myzel weiterlebt, der Fruchtkörper, den man erntet, jedoch sowieso absterben würde. Dass Pilze trotzdem keine Tiere sind, verkneife ich mir zu sagen. Stattdessen betone ich, dass diese Pilze garantiert eines natürlichen Todes im hohen Alter stürben und von mir nicht gequält würden.
Dann eine Frau mit gierigen Blicken auf eine Schamanenkette in Grün und Weiß. Ich werde frech und erkläre die Materialien, auch die handgravierten Knochenperlen.
Die Frau kreischt fast: "Knochen, igitt! Knochen von Tieren!??" Alle Leute im Raum drehen sich um.
Ich überlege kurz, ob es auch andere Knochen gibt, und entgegne breit lächelnd: "Naja, was mein Hund so übrig lässt. Soll ich das in den Mülleimer werfen? Upcycling, gelebter Umweltschutz!"
Die Elsässer, die den Dialog verstehen, glucksen schon, die Touristin ist jetzt auf 180: "Das ist eine absolute Schweinerei! Sowas kommt mir nicht an den Hals! Heutzutage kann man doch wirklich so viel Verantwortung zeigen, dass man veganen Schmuck macht. Igittigitt!"
Ich glaube, sie hätte mich in dem Moment am liebsten Mörderin gerufen. Sie nahm aber rechtzeitig wahr, dass die Umstehenden nicht über mich lachten. Zu gern hätte ich ihr nachgerufen, dass ich riesiges Vergnügen daran hätte, Bücher zu quälen, wenn ich deren Torso aufreiße und ihnen die Rippen einzeln herausbreche. Hoffentlich hat sie kein Gemälde mit Eitempera gekauft. Und warum wollte sie überhaupt eine Kette von mir an den Hals?
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