Der Georges im Glaskasten
James Frey, der nicht identisch ist mit dem James N. Frey, welcher immer besser weiß, wie man gute Romane schreibt, hat dagegen gleich 20th Century Fox hinter sich. Und andere Großkopfete, die fett und aggressiv in die PR einsteigen können, eigene Angestellte hat er auch. Denn so ein einzelner Autor allein reißt so ein Multimediaspektakel nicht auf einer Backe sitzend herunter. Nun hatte sich's aber gerade dieser Autor mit seiner Lesergemeinde aufgrund einer erstunkenen und erlogenen Autobiografie verscherzt. Seine Angestellten und Lohnschreiber soll er jämmerlich bezahlen, konnte man im New York Magazin lesen. Kein Problem ... damit die Leute so richtig heiß anspringen auf seinen Stoff, sind diesmal reale Millionen zu gewinnen. Diese Idee ist durchaus neu: Versprechen wir künftig unseren Lesern eine Art Schmerzensgeld fürs Lesen ... und damit wir nicht an alle ausschütten müssen, machen wir einen Hauptgewinn daraus. Schlau. Kreatives Zocken statt Schriftstellerei.
Dieser Hauptgewinn nun soll mit Riesentrara in einem gläsernen Schrank präsentiert werden. Hoppla. Moment mal. Das war doch alles schon mal da! Genau so, wie er mit seinem Büro von Billigschreibern Alexandre Dumas nachmacht, gab's auch schon mal diesen gläsernen Schrank. Es sollte die größte Betrugsgeschichte der Literatur werden!
Es war einmal ein weitscheifiger Schreiber bei einer Pariser Klatschzeitung, dem Merle blanc. Der dachte sich einen "Scherz" aus und setzte mit dem Zeitungsmacher und einem Kerl namens Desnos einen Scheinvertrag auf: Der junge Schriftsteller würde sich verpflichten, in einem eigens gebauten Glasschrank - vor dem Moulin Rouge - mitten im Publikum einen Roman zu schreiben. Damit das Ganze nicht zu einfach würde, in Echtzeit, in nur drei Tagen und Nächten. Paris Matin war bereits dafür gewonnen, die Fortsetzungsgeschichten abzudrucken. Und damit das Ganze noch schwieriger wurde, gab's so eine Art Crowdsourcing: Das Publikum würde dem Schriftsteller im Glaskasten Figuren und Plot zurufen können - der musste reagieren und alles verarbeiten.
Schmerzensgeld, pardon, Honorar, sollte dem jungen Mann im Glaskasten dafür gezahlt werden. Bei so viel PR und Öffentlichkeit nicht wenig. Und hey, das war immerhin vor dem Moulin Rouge, Freys Las Vegas von damals! Ein Vorschuss von 25.000 Francs war sofort fällig, der Rest der 100.000 Francs sollte nach Beendigung des Romans ausgezahlt werden. Das war 1927 eine Menge Geld! Der junge Mann kassierte schon mal seinen Vorschuss von den hoffnungsvollen Geldgebern.
Und prompt kam die Maschinerie in Gang: Was wenig kostet, ist bekanntlich nichts wert; was so viel kostet, musste das Hammer-Event werden! Berühmte Leute ließen sich öffentlich jubelnd für die PR einspannen: Youki und Robert Desnos, André Warnod und andere. Der Schriftsteller und seine Spießgesellen jubelten noch lauter: Sie hatten nie vorgehabt, je dieses Buch zu schreiben, je dieses Spiel zu spielen! Das einzige, was an diesem "Spaßbetrug" echt war, der die Literaturwelt vorführen sollte, war der Erfinder desselben: Georges Simenon.
Der 24jährige Redakteur Simenon bekam vor der Durchführung kalte Füße. Man brach das betrügerische Experiment kurz vor der Inszenierung ab. Ob Simenon seine 25.000 Francs je zurückgezahlt hat, ist nicht überliefert. Er ist nie in einen Glaskasten gestiegen und war doch fortan in Paris bekannt. Die PR hat seiner späteren Karriere nicht geschadet und Publikum wollte schon immer beeindruckt werden ... und sei die Blubberblase noch so leer.
Nun will uns also ein Schriftsteller Geld in einen Glasschrank legen. Mögen sie ihn auch weltweit so feiern, wie damals alle auf Simenon angesprungen sind: Diese Ideen sind alles andere als neu. Nur hat der Erfinder der Bombast-PR in der Buchbranche sich damals rechtzeitig auf das besonnen, was Bücher wirklich ausmacht.
Chapeau! - Was sind wir doch für Ignoranten, dass wir diese wunderbare Geschichte nicht gekannt haben! Und wie klug, dass ausgerechnet George S., der wohl als einziger mit etwas Vorbedacht diesen Roman hätte leidlich schreiben können, darauf verzichtet hat. Sein Welrekord steht in der Quote Mensch-pro-Handlung, Da kommt ein heutiger Mechaniker nie hin.
AntwortenLöschenMerci für das Kompliment, Philipp! Ich könnte wetten, die Geschichte würde heute ganz anders verlaufen. Da würde wahrscheinlich ein Verlag dem guten Georges S. nahelegen, wenn er denn einen Vertrag wolle, so müsse er sich schon für ein wenig Social Media im Glaskasten hergeben ;-)
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