Wenn der Alp auf den Reader drückt

Normalerweise erzähle ich öffentlich keine Träume. Ich fürchte nicht so sehr fleißig mitschreibende Freudianer und Geheimdienstdeppen als vielmehr Langeweile beim Publikum. Aber der Traum von heute Nacht ist doch sehr bezeichnend.
Ich ging guter Dinge schlafen. Eigentlich sogar bester Dinge, denn eine Zuschauerin hatte mir eine überwältigende Mail zu meinem Theaterstück geschrieben, in der es u.a. hieß:
"Im Verlauf des Stückes wurden die so gegensätzlichen Gefühle, Träume und Visionen in eindrücklicher Brillanz erfahrbar und ließen beide Persönlichkeiten zur gelebten Wirklichkeit werden."
 Und dann stand ich im Traum plötzlich auf der Bühne, auf einer richtigen Theaterbühne ... und der Vorhang sollte aufgehen. Da ist passiert, was man wohl in solchen Momenten am meisten fürchtet: Mein Text war weg. Mein Kopf leer, fühlte sich an wie Watte. Keine Erinnerung an nichts mehr.

Die Schauspieler aufgeregt, versuchten, mir zu helfen. Ob ich wenigstens die Texte dabei hätte, sie zur Not ablesen könne. "Ich habe meinen Reader immer dabei", verkündete ich stolz und zückte meinen Kindle. Durchflog die Themengruppen, fand "Theater" ... und nichts! George Bernard Shaw, Anton Tschechow ... aber den Text von der komischen Trulla sah ich nicht. Aber der war doch bei den Proben noch da gewesen! Neuer Suchanlauf ... ich wollte in jedes Eck meines Readers spähen. Plötzlich ein Grinsekatzengesicht und die Meldung: "Dieses Stück ist bei Amazon nicht verfügbar, wofür halten Sie uns!" Hä?!? War das die Höhe!

"Bei Amazon gibt's das nicht", heulte ich den Schauspielern was vor, "was mach ich jetzt, es ist verschwunden!"

Drohend dräute der Dramaturg über mir und intonierte wie ein hohler Geist: "Ja, hast du denn deinen Text nicht auf PAPIER!? Bist du des Wahnsinns fette Beute?!?"

Ich wühlte verzweifelt in einer Handtasche, deren Inneres mindestens so groß und dunkel wie die Arktis wurde ... und fand die urkomischsten Dinge, aber kein Papier. Derweil dräute auch der Vorhang gefährlich ...

Ein letzter verzweifelter Griff zum E-Reader, vielleicht hatte ich ja aus Panik den Text nur übersehen. Passiert häufig, dass man kopflos und eilig etwas sucht, das ganze Haus auf den Kopf stellt und nachher findet es sich genau dort, wo es immer war. Ich also wieder auf den Anschaltknopf gedrückt. Kommt ein Bild mit einer leeren Batterie und den Worten: "Ich habe keinen Saft mehr. Glaubst du, ich lebe ewig?!?"

Das hat mir den Rest gegeben. Über der verzweifelten Suche nach einem Ausdruck meines Textes in den Requisiten bin ich dann panikartig aufgewacht.

So eine Aufregung, nur ja hoffentlich nicht zu versagen, wirkt ganz schön lange nach. Zuletzt hatte ich das mit Träumen, ich müsse nochmal das Abitur machen. Dabei ist der Erfolg schon bald einen Monat her. Dabei lese ich im Moment lauter begeisterte Zuschriften. Aber über all das kann man hinwegkommen. Viel erschütternder finde ich, dass die Branchendiskussion um Papierbuch oder E-Book solche bedrohlichen Formen annehmen kann und mein Reader nachts ein äußerst zweifelhaftes Eigenleben führt. Aber an diesem Traum ist ganz sicher wieder nur Amazon schuld, mein Buchhändler hätte solche Dialoge nie gesprochen ...

PS: Ja ja, ich weiß, Autorinnen inszenieren jeden Text. Aber ich schwöre hoch und heilig, die Dialoge sind echt. Ähm ... nur den verhunzten Shakespeare, den habe ich mir nicht verkneifen können, nachträglich einzusetzen.
PPS: Apropos Autoren und ihre seltsamen Träume: Christa S. Lotz hat da einen herrlichen Hamster zu bieten!

2 Kommentare:

  1. Liebe Petra,

    als verkappte Freudianerin werde ich den Teufel tun und da irgendetwas hineininterpretieren.
    Mir kam nur so ein Gedanke. Früher gab`s im Theater doch diese Souffleusen. Vielleicht gibt es sie auch noch. Früher hätte die Autorin verzweifelt nach der Souffleuse gesucht. Alle hätten nach ihr gesucht. Man hätte sie in irgendeiner Ecke oder in der Kneipe nebenan gefunden, und sie hätte ganz unschuldig geguckt und gesagt: Was wollt ihr denn eigentlich? Ich streike! Es geht also, unabhängig vom individuellen Erleben, um die Verlässlichkeit einer Technik oder eines Menschen.
    Vom Abitur machen habe ich übrigens auch jahrzehntelang geträumt, nämlich, dass ich mit dem Deutschaufsatz nicht fertig werden würde. Dabei bin ich damals knapp fertig geworden. Dein Beitrag hat mich jetzt dazu inspiriert, selbst so etwas in meinem Blog zu schreiben, nämlich einen kleinen Einblick
    in meine berufliche, schreiberische und meine Situation in den sozialen Medien. :-)

    Herzlichst
    Christa

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  2. Liebe Christa,
    natürlich gibt's heutzutage noch Souffleusen! Aber da siehst du mal, was passiert, wenn man Buchautorinnen auf die Bühne lässt ;-) Die dazu im echten Leben überhaupt nicht gut Auswendiglernen können!

    Ich glaube ja, es gibt solche Urträume, deiner ist auch so einer, das Suchen, das Flüchtenmüssen, das Einpacken oder wenn Leute flüchten wollen und plötzlich am Boden festkleben ... all das.
    Herzlichst, Petra

    (Deinen Hamster muss ich verlinken, der ist so eindrucksvoll!)

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