Tante Erna und die abben Haare

Einladung zum Essen bei Tante Erna. Überhaupt ein vollgestopfter Tag - ich schaffe es gerade noch, den längst fälligen Friseurtermin dazwischen zu schieben. Warum sich also nicht mal für Tante Erna schön machen? Die schaut mich bei der Begrüßung groß an, umarmt mich etwas vorsichtiger als sonst, hält mich dann mit ausgestreckten Armen weit von sich, glotzt und schüttelt ihre wasserwellenondulierte Dauerwelle.


Tante Erna (im Folgenden kurz E genannt): Ja um Himmels willen, geht's dir denn soooo schlecht?
Ich (im Folgenden kurz I genannt): Mir geht's prächtig. Nun ja, ich bin ein wenig müde heute. Das Wetter...
E: Du bist aber nicht ernsthaft krank? Du würdest mir das sagen!?
I: Warum sollte ich krank sein?
E: Na, wie du aussiehst. Da steckt doch was Ernstes dahinter!
I: Tantchen, wie soll ich denn aussehen? Vorhin hatte ich jedenfalls noch keine Tränensäcke ...
E: Na die Haare!
I: Ich komme grade vom Friseur. Bin wahrscheinlich zu gut gekämmt. Wuschelt sich im Haarschopf.
E: Die fallen jetzt aus?
I: Nee, falls da was fällt, waren es Reste ...
E: Aber wenn du nicht krank bist, dann könntest du doch endlich mal wieder richtige Haare haben?
I: Tantchen, das sind meine richtigen Haare. Alle echt.
E: Das sind doch keine richtigen Haare, das sind abbe Haare! Willste dein ganzes Leben mit abben Haaren rumlaufen? Das kannste doch nicht machen als Frau.
I: Ähm, wie bitte?
E: Du willst doch sicher auch mal wieder richtige Haar haben, so lange halt. Also wie sich's gehört. Du kommst ja langsam in das Alter, wo die nicht mehr so gut wachsen ...
I: Keine Angst, Tante Erna. Die wachsen bei mir so schnell, dass ich alle sechs Wochen schneiden lassen muss. Ohne Rasiermesser wären die sogar viel zu dick.
E: Aber du kannst dir doch nicht mit nem Rasiermesser abbe Haare machen lassen, ja bist du denn von allen guten Geistern verlassen!?
I: Wieso?
E: Das machen doch nur Männer! Also wenn du nicht krank bist, abbe Haare mit nem Rasiermesser ... Kindchen, das ist doch nicht normal. Du bist doch krank!
I: Tantchen, ich bin nicht ...
E: Quatsch nich. Gegen sowas hab ich nen Tee. Den trinkste jetzt. Das mit den abben Haaren kann man heilen, glaub mir. Du musst nur ordentlich den Tee trinken und gesund werden wollen. Wirst sehen, die wachsen wieder richtig.

6 Kommentare:

  1. Sehr schöner Dialog. So sind sie, die Tantchen. Übrigens: Die abben Haare stehen Dir prächtig.

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  2. Madame macht 'nen Knicks.

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  3. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  4. Wir haben alle eine Tante Erna irgendwo. Eine (oder einer) die auf einen Blick sieht, wo´s fehlt, und immer aus der Güte ihres Herzens bereit ist, einen Kommentar zu liefern, Tee zu servieren und jemanden zu benennen, der den vermeintlichen Frevel behebt.

    Ich erinnere mich an Mutters Blicke und Kommentare: "Junge, die Haare!" und "Junge, die Schuhe!"
    Schuhe? Wieso Schuhe? Leder, schwarzer Rand, weißes Oberteil, wie Little Richard. Und Mutter wollte nicht fassen, wie ihr Sechzehnjähriger nach einjährigem Schulaufenthalt in Deutschland heimkehrt.

    Man muß sie lassen, die lieben Besserwisser und Lebensberater. Erklärungen sind ebenso widersinnig wie Bockigkeit.

    Ich hab mich kürzlich dabei erwischt, wie ich gerade meinem Enkel sagen wollte, dass seine Computerspiele totale Scheiße sind, asozial bis dorthinaus und menschenverachtend, weil nur auf Fliehende geschossen wird und die Abschußleistung verglichen.

    Zum Glück fiel mir wieder "Junge, die Haare!" ein. Wir, mein Enkel und ich, mögen uns nach wie vor.

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  5. Hey, Peter, deine Geschichte ist so viel schöner als meine. Darauf einen Tantentee! :-)

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  6. Herzlich gelacht. Danke. Mir gefällst du übrigens mit abben Haaren total gut :-)

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