Zäh wie Leder ...

... sind mir die alten Russen heute. Auch für Recherchejunkies wie mich gibt es Tage, wo alles in schmelzendem Asphalt zu versinken scheint und jeder Schritt am Buch zur Qual wird. Mein Projekt mit den "russischen Spaziergängen" soll in einer bestimmten Straße beginnen, die ich für mich "die Straße der Sehnsucht" nenne. Denn Sehnsucht ist das, was alle eint, die hier schon einmal gelebt haben. Gleichzeitig können die illustren Leute aber kaum gegensätzlicher gewesen sein. Und so hatte ich die glorreiche Idee, meinen roten Faden mit der Sehnsucht auch noch in die Revolution zu tunken. Ausgerechnet hier wohnten nämlich fast Seite an Seite einer der berühmtesten badischen Revolutionäre und ein ganz eingefleischter berühmter russischer Monarchist, der am liebsten aus dem Badischen geflohen wäre, wenn er denn gekonnt hätte.

Hätte ich doch heute nur auch so einen Riecher! (Foto: PvC)

Im Roman kann man Protagonist und Antagonist nach Herzenslust aufeinander hetzen. Bei historischen Persönlichkeiten muss dagegen alles stimmen. Dass zwei Leute nur zwei Häuser voneinander wohnten, heißt noch lange nicht, dass sie sich auch kannten. Auch 1848 konnten sich Nachbarn mit Nichtachtung strafen. Und dann taucht eine mögliche Verbindung auf: Der badische Spezl kannte einen gewissen Herrn Bakunin, warum eigentlich der russische nicht auch? War Bakunin je selbst in Baden-Baden? Hatte man sich in Dresden oder Paris kennengelernt? Wann genau hat wer was mit wem gehabt? Ach, jetzt schaut her, der Herr Bakunin hat Madame Georges Sand geschrieben?! Die wiederum trank Tee mit Turgenew. Und der hat auch den Bakunin ... Es wäre zu schön gewesen. Ausgerechnet in dem Moment, in dem alle ihren Zucker in den Tee rühren, hockt der badische Spezl schon wieder in der Schweiz, die schön gedachte Szene geht nicht auf. Und zu allem Überfluss mischt nun der Herr Gogol, seines Zeichens Schriftsteller, an unvermuteter Stelle mit und trinkt wiederum Tee mit dem Monarchisten, obwohl er beinahe selbst Opfer der zaristischen Zensur wird.

Ich will niemanden langweilen. Auch wenn ich mich heute auf höchst verdächtigen Internetseiten mit den Stichworten Anarchie und Nihilismus herumtreibe, liest sich das Material alles andere als frisch-fröhlich-revolutionär. Und weil ich immer Originalquellen bevorzuge, muss ich dann auch noch solche Texte lesen, wie sie ein gewisser Michail an eine gewisse Georges schrieb. Da sage mal noch einer, wir würden uns bei Facebook und Twitter zu lang verlustieren! Was die Leute sich im 19. Jahrhundert an Briefen schrieben, geht auf keine Kuhhaut! Manchen Schriftstellern könnte man fast unterstellen, sie hätten vor lauter Briefen ihre Arbeit vernachlässigt. Aber komischerweise sind die großen Schwätzer vor dem Herrn dann auch die mit dem großen Buchausstoß.

Und die Moral von der Geschicht': Bakunin war ein Irrweg, der kam erst später in jenen Dunstkreis. Und wie ich jetzt den badischen Spezl und den russischen Monarchisten zusammenbringen soll, ohne dass sie dem Turgenew begegnen, das rate mir Tolstoi! Hoppla, falsch. Der hat zwar auch kurz in der Straße gewohnt, aber viel später und völlig unpolitisch. Monsieur hat nämlich radikal all sein Geld verzockt und sich das Scherflein für die Rückreise von seinen russischen Kollegen leihen müssen! Da hat er jede Menge mit Dostojewskij gemeinsam  - der übrigens in einem Seitensträßchen hauste. Aber nein, Fjodor, huschhusch ... du kommst erst später dran! Und ich freue mich schon jetzt darauf, aus den bissigen Tagebüchern deiner Frau zu zitieren!

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