Der Drang zur Schriftstellerei

Viel gibt es über die heutigen Zeiten zu jammern, und wer nicht genügend Gründe findet, der durchforste die Social Media Kanäle, wo man nun wirklich bei allem mitreden kann, selbst wenn man nichts zu sagen hat. Grandios hat der Journalist Wolfgang Michal gerade die Befindlichkeit unserer Welt analysiert, in der die totale Medialisierung auch vor dem Bundespräsidenten nicht Halt macht. Medialisierung, zu leichte Verfügbarkeit von Techniken, Casting-Gier - das werfen manche Kritiker ja auch der "Versumpfung" des Mediums "Buch" vor, wo sich der von Suhrkamp geadelte Hochliterat neben Tante Ernas grammatikalisch abenteuerlichen Ergüssen über ihren Fußpilz und Promibüchern à la Dieter Bohlen beim gleichen Händler behaupten muss.

Wer sich einmal ins Vortrags- oder Volkshochschulleben einer mittleren Stadt begibt, wird plötzlich feststellen, dass die Presse auch fleißig Druckkostenzuschuss-Autoren bejubelt. Selbsternannte Selberbastler lehren in Seminaren, wie man als Schriftsteller schnell berühmt wird. Und die meisten der unzähligen Autoren einer Stadt haben noch nie einen Verlag von innen gesehen. Die Menschen außerhalb der Buchbranche juckt das wenig - und so vermehrt sich eine Spezies scheinbar ins Unermessliche: die Autoren. Fast jeder hat schließlich einmal Lesen und Schreiben gelernt, die Analphabetenquoten sinken. Aber ist der Drang zum Buch wirklich so neu?

In einer Facebookgruppe hat kürzlich jemand Ergebnisse einer Umfrage unter Self Publishers gepostet. Gefragt war, was man sich vom neuen Jahr am meisten wünsche. Auf Platz 2 landete der Wunsch, endlich das eigene Buch zu veröffentlichen und bald zu Ruhm und Ehre zu gelangen. Ruhm und Ehre - ist es das, was ein Heer von Schreibern antreibt? Anderswo wird geklagt, man versinke langsam im unseligen E-Book-Spam und fände die "echten" Bücher kaum noch. Zu viele Menschen würden Bücher schreiben. Und schuld daran sei nur die schöne neue Welt, die die technischen Mittel zur Verfügung stelle, die es jedem "Dahergelaufenen" ermöglichten, ein Buch zu machen. Wohlgemerkt, das sind nicht meine Worte, sondern Stimmen aus unzähligen Diskussionen.

Denn ich selbst grinse mir gern eins, wenn über die moderne Welt geschimpft wird. Als historisch Arbeitende sehe ich die Sache gelassener. Man könnte den Spieß auch umdrehen und behaupten: Im Prinzip arbeiten wir uns jetzt erst am 19. Jahrhundert richtig ab. Damals wurden die ersten Techniken erfunden, die es ermöglichten, mit Kunst und Literatur in Serie zu gehen, beides aus den adligen und Bürgershäusern billiger unters Volk zu bringen. Auch Romane wurden damals in Serie geschrieben und in Schreibfabriken verfasst. Und damit emanzipierten sich plötzlich auch diejenigen, denen es vorher unmöglich war, in Schriftstellerkreise hineinzukommen. Wer sich den Druck eines Buches leisten konnte, schrieb fröhlich drauflos, ungeachtet dessen, ob das Werk auch verkaufbar sein würde. Ist unsere heutige Zeit also wirklich so quirlig, unübersichtlich und komplex, wie manche vorgeben?

Ich entdecke gerade die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Fanny Lewald (1811-1889) und ihre Briefe an die Frauen, die sie damals in Zeitschriften veröffentlicht hatte. Und da traue ich meinen Augen kaum, als sie über Frauen schreibt, die sich an sie wandten, weil sie Schriftstellerinnen werden wollten. Im 19. Jahrhundert klang das so:

Lewald beklagt sich, dass die "Buchautorinnen" für diesen Beruf "nichts Ordentliches gelernt und nur allerlei bunte Lectüre getrieben, aus der sie ein unbestimmtes Verlangen nach einer glückbringenden Selbstständigkeit in sich aufgenommen hatten." Und sie schreibt weiter:
"Alle aber hielten ... die geheime Überzeugung zurück, dass sie zu Schriftstellerinnen geboren wären, dass ich sie ermuthigen würde, sich als solche zu versuchen, und dass, wenn sie nur erst ihren Namen unter dem Titel einer Novelle ... gedruckt gesehen hätten, auch gleich die ersehnte Selbstständigkeit und alle Genüsse des Lebens ihren Anfang nehmen und dann in immer reicherer Fülle auf sie herniederregnen würden."
Fanny Lewald, die sich in der Tat für die Selbstständigkeit von Frauen einsetzte, rät ihnen in der Regel, zuerst einmal genügend Bildung anzusammeln und unbedingt einen bürgerlichen Beruf zu erlernen, um sich unabhängig zu machen. Denn sie ist der Meinung, dass die Seligkeit nicht vom Himmel fällt, schon gar nicht für Frauen, die in diesem Jahrhundert ohne Mann so gut wie keine Rechte hatten - und mit Mann nur nach dessen Gutdünken. Die Schriftstellerei alleine kann kein Ausweg in den Himmel sein, wenn nicht ein fester Beruf und das Können im Hintergrund stehen. Doch von den Schreibwilligen erntet sie daraufhin Ablehnung:
"Haben sie bisweilen es ausgesprochen, dass ich sie und das innerste Bedürfniß ihres Herzens und Geistes nicht verstanden hätte, dass sie sich in mir und in dem Glauben an meine Menschenliebe ... betrogen gefunden hätten ..."
Fanny Lewalds erster Brief, den sie 1868 in Montreux verfasste, geht noch weiter auf jene Diskrepanz ein und schenkt zumindest mir immer wieder Aha-Erlebnisse, weil auch 2012 noch so vieles unverbraucht und aktuell erscheint.

Ist es also wirklich alles so neu und ungewöhnlich, was wir heute erleben? Wie lange schon drängt es Menschen zur Schriftstellerei? Spannender, als sich darüber die Haare zu raufen, finde ich die Analyse der Beweggründe. Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, Lebensgenuss, Ruhm und Reichtum, Überfülle - das wünschten sich diejenigen, die im 19. Jahrhundert mit der Schriftstellerei liebäugelten. Ruhm und Reichtum - das wünschen sich die Facebook-User des 21. Jahrhunderts an erster Stelle.

Steht Schriftstellerei vielleicht auch für einen unerfüllbaren Traum, den Traum, aus den eigenen kleinen Verhältnissen auszubrechen, seien sie finanziell oder geistig oder auf beiden Gebieten beschränkt? Schriftstellerei als Flucht in eine andere Welt, eine zusammengeträumte, eine Gegenwelt, eine, in der ich mich nicht mehr anstrengen muss, weil die Wünsche wie im Schlaraffenland von selbst erfüllt werden? Nicht umsonst wurde im 19. Jahrhundert das große Genre der Fluchtliteratur überhaupt geschaffen. Die neuen sogenannten Trivialromane eroberten die Kantinen der Fabriken, als es weder Sozialwesen noch ein Verbot von Kinderarbeit gab und Gleichstellung der Frau schon gar nicht.

Schlimm ist der tiefe Fall nach misslungenen Versuchen - wenn die Schriftstellerei am Publikum scheitert, wenn sie nicht wirklich eine werden kann. Bildet euch weiter, erlernt die Fertigkeiten, die ihr dafür braucht - und erlernt einen bürgerlichen Beruf, der euch ernährt, kommt aus der rosaroten Wolke der Illusion und des Selbstbelügens herunter - das riet Fanny Lewald vor bald 150 Jahren. Sie wurde dafür von vielen Schreibwilligen angefeindet.

Lesetipps:

3 Kommentare:

  1. Liebe Petra,
    wie soll man denn zum Schreiben kommen, wenn Du einem so viele tolle Lesetipps gibst - neben all Deinen eigenen lesenswerten Blogbeiträgen?
    Schönes Wochenende wünsch ich Dir,
    Lisa

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  2. Liebe Petra,

    das ist wirklich sehr interessant!
    Mir fiel gleich die damals in Schwaben sehr bekannte und viel gelesene Schriftstellerin Ottilie Wildermuth (1817-1877) ein, die dem entpricht, was den Möchtegernschriftstellerinnen damals geraten wurde: Sie war sehr gebildet, hatte einen Damenkranz, einen Professor als Mann, und sie schickte ihre Geschichten an Zeitungen, die sie auch druckten. Es waren Geschichten aus ihrem Umfeld.
    Wenn nun die Facebook-Autoren "reich und berühmt" werden wollen und man ihnen diesen Zahn ziehen würde-reagieren sie dann auch so ungehalten wie die Leserinnen jener Fanny Lewald?

    Herzlichst
    Christa

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  3. Liebe Christa,
    Ottilie Wildermuth war da schon eine Ausnahme, weil sie wirklich auch mit ihrer Bildung und ihrem Können arbeiten konnte / durfte. Bei den Frauen, die sich an Fanny Lewald wandten, sah es viel übler aus - die hatten außer Sticken, Liedlein auf dem Klavier klimpern und Haushalt nichts lernen dürfen (damals üblich) und träumten nun davon, sich durch plötzliche Berühmtheit und Reichtum aus der Malaise zu befreien. Deshalb dieser dringende Aufruf von Fanny Lewald, erst einmal zu lernen und dafür zu sorgen, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen.

    Fanny Lewald sagt auch, der Zahn sei nicht zu ziehen, sie sei mit diesen Frauen leider schnell zu "geschiedenen Leuten" geworden, weil sie sich nichts sagen lassen wollten udn im Gegenteil - sie angriffen.
    Ob das heute anders ist? Ich weiß es nicht - obwohl die hier wiedergegebene Meinung aus dem 19. Jahrhundert stammt, hat sie bereits Buhrufe hervorgerufen ;-) Ist also wohl noch hochaktuell...

    Liebe Elisabeth - alles muss niemand lesen. Ich versuche nur hin und wieder, Dinge zu entdecken, die in Läden und Medien nicht so sichtbar sind. Aber das Kompliment grapsche ich mir gern.

    Euch beiden auch ein schönes Wochenende - herzlichst,
    Petra

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