Das kann dann mal weg!

Die "Internetoma" hat heute etwas völlig Neues ausprobiert, technologisch aufgeschlossen und schlicht zu faul und pandemieeklig, um sich in eine ultralange Reihe an der Kasse anzustellen. In einem Hypermarché, der geschätzt so groß ist wie unser Dorf, waren nämlich nur zwei Kassen besetzt. Also probierte ich die "menschenlose" Kasse.

 

Passend zu einem Wunschprojekt der Zukunft habe ich mir eine Arbeitstasche geleistet: Wann findet man schon mal Monsieur Linné und Vintage-Schmetterlinge!


Die war nur für maximal 15 Artikel erlaubt. Aber ich bekam eh, bevor die Zahl erreicht war, den Fluchtreflex eines Wildtiers. Ich fange mal von vorn an zu erzählen ...


So viele schwärmen herum: Musste unbedingt mal hin, riiiiiiiiiesengroß jetzt, Waaaaaahnsinn. Ich hasse riesengroße Hypermarchés, aber ab und zu sind sie praktisch, wenn man kunterbunt Zeug braucht vom Druckerpapier bis zum Akku. Ich hätte gerne Rollschuhe gehabt oder einen Roller: um die Wege dort zu bewältigen. Der Eingang mit Vorhalle eine Kathedrale des Konsums. Verloren stand in der Mitte ein dreirädriges Lastenauto als Deko da. "Bitte nicht berühren" hatte man daran aufgehängt, weil dieses verlorene echte ! Auto den Eindruck eines einsamen Spielzeugs machte, das man dringend streicheln müsse, bis es auch mal groß würde. Ein schöner Anhaltspunkt für den immensen Naturverbrauch, die der "Laden" gekostet hat. Mit überbreiten geräumigen Parkplätzen und zweispurig befahrbar, dafür ohne jedes Grün. Bäume: null. Die überbreiten Gänge, in denen man nun pandemiemäßig übergroßen Abstand halten kann, droschen auf mich ein. Wenn Leere knallt.


Leere knallt, wenn sie konterkariert wird durch einfach nur noch irrsinnige Überfülle. Brauche ich wirklich vier Meter unterschiedliche Shampoos, deren Aufdrucke sich mittlerweile lesen wie Zen-Kräutertees? In denen aber annähernd die gleiche Brühe drin ist! Und was mache ich mit dieser Fülle, wenn ich ewig lange herumsuche nach meiner Sorte - und genau die gibt es nicht? Als der Hypermarché noch ein Supermarché war, bekam ich sie. Gewusst wo, hingegriffen, weiter.


Ich streifte durch ellenlange Keksalleen, bis sich meine Zunge klebrig anfühlte, rannte durch Putzmittel- und Weinstraßen. Welcher Mensch kann ernsthaft 30 oder 40 unterschiedliche Schinkenverpackungen vergleichen? Und welcher Misanthrop hat eigentlich dieses Warensystem geschaffen, bei dem winzige, lichtverblendete Displays anthrazitfarbene Zahlen auf Gallendunkelumbra als Preis zeigen? Ich wusste schnell, warum auf jedem Einkaufswagengriff ein Lageplan integriert war. Berge musste ich nicht steigen, aber die Wanderung von Milch zu Brot war heftig.


Je tiefer ich in den adrett sauberen Konsumtempel vordrang, desto mehr fiel mir die Wahnwitz auf. Einerseits war die Ware nicht besser geworden. Das eher mediokre Angebot dieser Kette hatte sich lediglich stark verteuert. Dann setzte der Fluchtreflex ein. Und ich muss vorher sagen: Ich bin keine Vegetarierin. Ich lebe weitgehend vegetarisch, mag aber auch selten und dann ausgesucht, ein Fleisch aus der Region. In diesem Laden jedoch wurde mir übel: Gefühlt Kilometer toter Tierteile, plastikverpackt, portioniert, zerhackt, nach Tieren getrennt. Die Lammstraße und die Hühnerstraße, irgendwo allein das Schwein und die Avenue der Rinder. Dahinter eine Wurstautobahn und eine Aufschnittallee. Spätestens hier wurde mir dann so übel, dass ich rausmusste. In so einer irrsinnigen Konsumkathedrale wird nämlich plötzlich das industrielle Töten spürbar. Diese Massen. Diese Mühe, zu verbergen, dass die netten Portionsstückchen mal vier Beine hatten und ein Fell. Und das schmeckt ja nicht mal mehr, wenn es so industriell aufgezogen wird.


Um ein Gegengewicht zu schaffen: Ersatz-Burger und Ersatzfleisch hatten sie natürlich auch über mehrere Meter. Da kam mir das Würgen durch die Lektüre des Kleingedruckten. Methoden wie bei der Hundefutterherstellung und Chemie satt. Blöde, dass ich in all dem Zinnober keine puren, stinknormalen Kichererbsen fand, mit denen man viel leckerer Burger machen kann.


Ich wolllte mir dann wegen der Pandemie diese Kasse ohne Kassiererin geben. Nicht übel, um einmal schätzen zu lernen, was die Frauen und Männer an den Kassen den ganzen Tag leisten! Bis man den Code gefunden hat, rübergezogen ... Das "schlaue" System "sieht" alles: Ob man die gescannte Ware brav in der dafür vorgesehenen Bucht ablegt oder zu lange in der Hand hält. Aber es ist alles andere als schlau. Wir haben alle eine Kassierin gebraucht, die Fehler berichtigte und dem Trottelsystem den Befehl gab, weiterzumachen, wenn es streikte. Sie bekam von allen Seiten Komplimente für ihre Arbeit. Keine Frage: Diese Kassen sind praktisch, wenn man nur drei Sachen gekauft hat und nicht auf übervolle, kleinwagengroße Einkaufswagen warten will. Früher hat man Leute mit wenig Zeug einfach vorgelassen.


Ich war platt, müdegelaufen, erschöpft vom Suchen und hatte den völligen Overflow von Zeugs. Vom grauenhaften Klangteppich ganz zu schweigen. Und dann bin ich erst mal in den gemütlichen Supermarkt, in dem die Leute lustig Slalom laufen, um den Abstand einzuhalten. Wo ich weiß, was wo liegt. Wo ich bekomme, was ich brauche. Und halt nur zwischen 20 Sorten Wurst aussuchen kann und zwei Sorten Äpfeln. Noch nie habe ich mich so in Vorfreude gefühlt auf den Wochenmarkt.

 

Dort erzählt mir die Bauersfrau, was sie selbst morgens geerntet hat. Der Fischverkäufer hat seine Forellen morgens aus dem Wasser geholt und Fleisch gibt's beim Bauern nur, was gerade dran ist beim Schlachten. Sonst laufen seine Tiere auf den Wiesen herum. Am Käsestand erzählen sie mir beim Kosten einer neuen Sorte, dass es am Brotstand die passenden Fougasses mit Oliven dazu gibt. Und am Brotstand wird mir der Mund wässrig gemacht, weil doch der Imker gleich ums Eck den idealen Honig fürs nach alter Art gebackene Baguette hat.


Einen Vorteil hat die Pandemie bei mir erreicht. Dadurch, dass ich nur noch Vorräte möglichst schnell eingekauft habe, brauche ich viel weniger. Und solche Kapitalismuskathedralen, die sich nicht mal mehr Normalverdienerinnen leisten können - müssen wir die wirklich haben? Unzählige Hektar von Wiesenland und Feldern liegen unter diesem Beton.

2 Kommentare:

  1. Oh ja, Petra, geht mir auch so. Ich hab überhaupt das Einkaufen soooo satt. Wenn ich nicht zu faul zum Gärtnern wäre, würde ich mir alles selbst ziehen. So nutze ich statt Supermarkt den kleine Bauernmarkt. Geringe aber gute und schmackhafte Auswahl. Das behalte ich auch nach Corona-Zeiten bei.
    Bei deiner Beschreibung läuft mir das Wasser im Mund zusammen.
    Ich wünsche dir einen guten Appetit.
    Elli

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  2. So schön, wieder von dir zu hören, Elli!
    Mir hat's beim Antworten jetzt schon 2 Kommentare weggehäckselt (Störungen bei Blogger?) ... nochmal.
    Hier sprießen zum Glück auch immer mehr Bauernmärkte aus dem Boden, selbst in kleinen Dörfern. Seit der Pandemie improvisiert in Mehrzweckhallen oder einem großen Zelt. Da tut sich viel Gutes.
    Danke und liebe Grüße,
    Petra

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