Und sie bewegt sich doch, die Erde ...

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Ich parke mein Auto vor einer leerstehenden Fabrikhalle zwischen den Zeiten. Solange ich denken kann, war hier eine Autowerkstatt; länger, als ich denken kann, diente sie als Magazin für das Material einer Erdölmine. Leicht verblichene Zettel mit Zitaten von einer Kunstaktion künden von einer möglichen Zukunft für das französische Erdölmuseum von Pechelbronn. Der Termin erfüllt mich mit aufgeregter Vorfreude und Spannung.

 

Halle mit Spiegelungen
Zwischen den Zeiten - Spiegelungen im Magazin der Mine Clemenceau. - Wie alle Fotos hier: (C) Petra van Cronenburg - mit freundl. Genehmigung der ComCom Sauer-Pechelbronn

 


Obwohl ich vor Jahrzehnten noch viele Plätze elsässischer Erdölgeschichte privat betreten konnte, weil sie damals weder abgesperrt noch genauer untersucht waren, ist mir dieser immer versperrt geblieben: zu gefährlich oder privat genutzt, stets eingezäunt. Jetzt sind zumindest die neu angelegten Wege gesichert und das Gelände wird vom Erdölmuseum genutzt: Ich bekomme eine Führung durch das Areal der ehemaligen Mine Clemenceau, das insgesamt etwa zwei Hektar groß ist. Wo wir laufen, wurden früher die Loren auf Schienen aus den Galerien gezogen.


Trotz des viel zu heißen Dürresommers wirkt die Industriebrache erstaunlich grün. Kaskaden von Blättern winden sich in die Höhe, durchbrechen Öffnungen, fallen vor Schwere herab. Es ist der Baumwürger, der Mauerbrecher Efeu, der den großen Eroberer gibt. Sonnenhungrige Scheinakazien schießen dazwischen hoch, sogar unverwüstliche Buchen. Letztere stehen etwas schwachbrüstig im für die Region ungewöhnlichen sandigen Boden. Genauso wie unser Ziel, der Terril I oder auf Deutsch weniger elegant die "Abraumhalde 1", besteht dieser Boden aus dem, was einst unter der Erde steckte.


Auf den Boden der allgegenwärtigen Gefahr zurück holt mich das Warnschild an einer modernen Rohrkonstruktion hinter einer Umzäunung. Auf Französisch wirkt der Text "une atmosphère explosive peut se présenter" fast wie ein charmanter Sprachspaziergang, im Deutschen würde man wohl mindestens einmal "Achtung" mit Ausrufezeichen schreien und grellfarbiges "Verboten". Es könnte also zu Explosionen in der Luft kommen; die technische Zeichnung daneben zeigt, warum.

 

Warnschild mit Rohr
Warnschilder auf der Entgasungsanlage des Puits I.

 


Genau hier sausten früher die Kumpel im Puits I, dem Schacht I, in die Tiefe. Zunächst nur 150 Meter tief, später ins nächste Stockwerk. Etwa 425 km Galerien sollen das Gebiet von Pechelbronn bis zu einer Tiefe von 400 m durchzogen haben. Die Extraktionsmethode in dieser Mine des frühen 20. Jhdts. war einzigartig: Kamen die Bohrtürme nicht vorwärts oder lohnte ihr Ausstoß nicht, gruben sich Menschen unter Tage über eine Rohöllinse tief unten im Erdreich und senkten vom Galerieboden alle zehn Meter Rohre mit Pumpen ab. Über für heutige Verhältnisse lächerlich dünn aussehende Pipelines wurde das Öl dann von oben hochgepumpt. Auf diese Weise ließ sich auch der weniger lohnende bitumenhaltige Sand abbauen, aus dem das Öl mit Hitze abgeschieden wurde.

 

Heute ist dieser Eingang, wie alle anderen auch, massiv mit Beton verschlossen, die Entgasungsanlage ist mit einer fernüberwachten piezoelektrischen Sonde versehen, was auch immer das für uns heißen mag, falls sich Minengase bilden sollten und nach oben strömen.

 

Puits I und Magazin
Die Entgasungsanlage von Puits I, im Hintergrund die Rückseite des Magazins, das eines Tages das neue Museum beherbergen könnte. Auf den breiten Sandwegen kann man sich gefahrlos bewegen.

 

 

Dass ich die Wege nicht verlassen darf, weil es hier explodieren und anderswo sich plötzlich das Terrain senken könnte, theoretisch die Erde alles verschlucken würde, erfüllt mich im Katastrophenjahr 2020 eher mit Sarkasmus. Wäre es nicht der krönende Abschluss nach all dem, wie wir die Erde trotz Wissens um die Klimakrise schinden, wenn die sich einfach kurz aufbäumen würde, und uns Menschen mit einem Happs verschlänge? Was haben wir aus der Vergangenheit gelernt?

 

Efeu erobert Ruinen
Die Natur erobert die Ruinen

 


Da ist er wieder, der Zeitsprung im Kopf. Ich denke daran, wie zynisch meine Gedanken für die Menschen wäre, die an dieser Stelle ihre Kumpel verloren haben. Auf einem historischen Foto sah ich sogar ein Mädchen und mehrere Frauen, die unter der Erde schufteten. In Texten und Ausstellungen kommen sie viel zu selten vor. Es ist heiß unter Tage, bis zu 40 Grad. Die bitumenhaltige schwarze Schmiere, die sich auf die Haut legt, rubbeln sich die Kumpel vor dem Duschen mit Lampenöl oder destilliertem Petroleum ab.


Die Zeit der ersten Bohrung hier war ein doppelt gefährliches Datum. 1916 haben sie am Puits I die unterirdischen Galerien in die Erde getrieben, zwei Meter breit und 2,50 m hoch. Seit zwei Jahren tobt der Erste Weltkrieg, dessen industrialisiertes Töten zum ersten Mal auch in großem Stil Erdöl verschlingt, die Ausbeutung der Ressourcen erst so richtig anheizt. 800 Arbeiter sind es 1917, 1920 schließlich 3000. Durch den Bedarf wiederum entsteht technischer Fortschritt: Die Erfahrungen in den Minen wachsen. Die Ironie der Geschichte dabei: Es ist die DEA, die Deutsche Erdöl Aktiengesellschaft, die in der von Paul de Chambrier angelegten Mine fördert, denn zu der Zeit befindet sich das Elsass unter deutscher Besatzung. Der Treibstoff geht also ans Militär, das die eigenen Brüder und Schwestern tötet. Aber wer hier arbeitet, muss wenigstens nicht an die Front, kann als Arbeiterbauer zuhause die Felder bestellen - neben der Minenarbeit, versteht sich. Trotzdem ist die Schufterei in den unterirdischen Galerien lebensgefährlich.


Obwohl man die Gefahr von Grubengasen schon seit dem 17. Jhdt. untersuchte und 1815 die ersten Sicherheitslampen zur Verfügung standen, hat es die Kumpels von Pechelbronn an dieser Stelle doch erwischt. 1919 ist gerade der ganz große Weltenbrand erloschen, da schlagen in dieser Mine mehrere Feuer und eine Explosion zu. Es ist so schlimm, dass der Betrieb ein Jahr stillsteht. Was da hochkommt beim Ölbohren ist Methan. Vereinfacht gesagt, sammelt sich beim Abbau des Rohöls aus einer im Erdreich eingeschlossenen Linse das natürliche Methangas und steigt nach oben. Endlich werden in der Mine Clemenceau die Sicherheitsauflagen strenger. Puits IV, Schacht IV., wird als Entlüftungsschacht gebohrt.  

Durchblick ins Fenster einer Ruine
Auf dem Minengelände herrscht eine eigenartig faszinierende Stimmung zwischen überbordendem Grün, sprechenden historischen Installationen und Vergänglichkeit. Erst auf den zweiten Blick geben die Ruinen ihre Geheimnisse preis. Die Menschen haben Spuren über 100 Jahre hinterlassen.

 


Es lebt da unten immer noch. Bis 1998 haben die Hightechinstrumente angezeigt, wie beide Bohrstellen miteinander in Verbindung standen. Seit zwanzig Jahren kommunizierten die beiden Bohrstellen nicht mehr miteinander, was auch immer das für uns bedeuten mag, die wir nun über ein Gelände spazieren, das in ungesicherten Bereichen absinken könnte. Ich habe das Gefühl, unter mir lauerten die Gedärme verschütteter Urzeittiere, als wir den eigentlichen "Lost Place" betreten, jene faszinierende Ansammlung einsturzgefährdeter Ruinen. Von dort führt der Weg direkt auf die größte Abraumhalde, wo mich die Natur überraschen wird.

 

Zum zweiten Teil der Exkursion.

Spenden in die Kaffeekasse

 


Ich danke herzlich Sonja Fath von der ComCom Sauer-Pechelbronn für die spannende Führung und die Genehmigung, hier meine Fotos zu zeigen - und den MitarbeiterInnen des Erdölmuseums Pechelbronn für die Zusammenarbeit bei jahrelangen Recherchen zum Thema Erdöl, vor allem Daniel Rodier und Pascale Roll-Schneider.

Alle Fotos (C) Petra van Cronenburg

2 Kommentare:

  1. Ich staune gerade über die Größe und Tiefe der Mine. Dies war so ausladend nicht in meiner Vorstellung, die ich aus deinen Erzählungen hatte. Wenn man bedenkt, unter welchen Umständen solche Anlagen mit den damaligen Mitteln gebaut/gebohrt und eingerichtet wurden, muss man diesen Menschen für ihre Leistung großen Respekt zollen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Arbeiter mit ihrem Leben bezahlen mussten. Ist davon etwas bekannt?

    Du bist sehr mutig gewesen! :-)

    Wetterbluesige Grüße, Ele

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    1. Liebe Ele,
      über dieses spezielle Minenareal hatte ich noch nie geschrieben, das war früher nicht zugänglich.
      Die 425 km unterirdischer Galerien bis zu 400 m tief beziehen sich auf das gesamte Gelände der damaligen Erdölförderung von Pechelbronn - das war riesig! Und dazu gehörten nicht nur unzählige herkömmliche Bohrtürme, sondern acht Schächte nebst Abraumhalden. Clemenceau ist einer der Schächte, seine 2 Hektar sind nicht viel in so einem Gebiet.

      Besonders mutig muss man nicht sein. Die unterirdischen Schächte sind ja mit Betonpropfen verschlossen und ich vertraue den modernen Messanlagen. Ich fand es ungeheuer spannend! Die Wege für die Führung sind sicher, der Zugang zu den Ruinen ist selbstverständlich verboten.

      Natürlich ist es faszinierend, wie in Pechelbronn mit dem ersten "Bohrturm" der Welt in der ersten Hälfte des 19. Jhdts. Technikgeschichte geschrieben wurde, dann ab 1919 auch die berühmte Erdölschule gegründet wurde. Know-How wie Fachleute wurden in die USA exportiert, nach Kalifornien, Houston. Da gibt es jede Menge faszinierende Geschichten.

      Und ja, Tote und vor allem Verletzte hat es natürlich auch immer wieder gegeben, wie hier beschrieben (Zahlen müsste ich recherchieren). Aus den frühen Zeiten weiß man es nicht so genau. Aber während der Französischen Revolution list sich die Geschichte der Erdölbarone contra Kohlebarone in der Nachbarschaft wie eine Soap Opera à la Dallas. Die haben auch alles versucht, ihre Gegener auf die Guillotine zu bringen.

      In meinem englischsprachigen Blog https://landscapesofchange.blogspot.com/ schreibe ich etwas über frühe Umweltprobleme.

      Ich danke dir herzlich für dein Interesse!
      Petra

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