Die trinkende Biene oder Was ist wesentlich?
Ich komme mir dieser Tage irritierend unproduktiv vor. Das mag daran liegen, dass durch die Coronakrise ein Großprojekt erst einmal auf Eis gelegt wurde und dadurch ein mir liebgewordener Teil meiner Arbeit wegfiel. Andere Auftraggeber zieren sich noch, so schnell zuzusagen wie üblich. Und ein "klitzekleines" Zwischenprojekt ist nun schon öffentlich, fühlt sich also für mich so an, als seien die "Hausaufgaben" erledigt. Ein völlig blödsinniges Gefühl, denn ich arbeite kräftig an einem eigenen Projekt!
Das Content Management System (CMS) wird von den IT-SpezialistInnen programmiert und ich bin dann sozusagen der Nerd mit Lesebrille, der (schon immer) im Homeoffice - in obigem Beispiel - für die Digitalisierung der analogen Daten sorgt. Diese Arbeit wird je nach Projekt sehr viel komplexer, etwa wenn ich Lernlektionen erstelle, die so eindeutig und klar formuliert sein müssen, dass Auszubildende sie verstehen und das System aufgrund von Codes Antworten der Prüflinge als korrekt oder falsch einordnen kann. Ich denke also sozusagen Text gleichzeitig von Menschenseite her und als "robot" und überlege, wo wer Schwierigkeiten bekommen könnte.
Das braucht höchste Konzentration und hat in meinem speziellen Fall Nebeneffekte. Weil ich ein fotografisches Gedächtnis habe und in digitalen Räumen und Datenbanken Pfade erinnere wie in einem Computerspiel, bin ich anschließend vollgestopft mit lateinischen Namen von Spezies und anderem Wissen. Auch wenn ich in diesem Bereich selbst Fachwissen habe, kommt immer Neues hinzu. Und weil ich ja während der Ausgangssperre inzwischen auch mit Ameisen und Käfern rede, ertappe ich mich schon mal bei einem Ausruf wie "Hey, Bombus (Hummel), mach dich nicht so fett, ich trink hier meinen Kaffee und du bleib beim Nektar da drüben!"
So stopft sich mein Gehirn voll mit Wissen und ich betrachte selbst meine Schneckenhaussammlung in einem großen Blumentopf mit völlig neuen Augen: Es gibt Wildbienenarten, die leere Schneckenhäuser brauchen, um ihre Nester darin anlegen zu können. Andere nisten nur in dicken markigen Brombeerästen oder nur in den abgestorbenen Stängeln der Königskerze. "Dinge", die wir oft säuberlich wegräumen, weil sie uns stören oder weil wir sie für "Unkraut" halten. Solche Bienen besiedeln dann auch kein Bienenhotel, das auf schick getrimmt ist ... Wir räumen ganze Lebensräume weg! Und seit ich abgestorbene Königskerzen erst ausreiße, wenn die neuen jungen Pflanzen im Frühjahr wachsen, hat sich der Lebensraum sogar auf eine verblüffend erfreute Spezies ausgeweitet: Bilbo von Butterblum liebt diese "Wegweiser" für seine Pinkelstrecke.
Gestern war dann also so ein Tag, an dem ich mich irgendwie "nutzlos" und unproduktiv fühlte. Ich weiß auch warum: Ich muss derzeit nicht stundenlang hochkonzentriert auf den Monitor starren, habe keinen Zeitdruck und keine Deadlines. Das ist für Perfektionistinnen, die sich künstlich den Druck durch Prokrastination erhöhen, so ähnlich, wie plötzlich im Dschungel zu stehen. So viele mögliche Wege! So verdammt viel Freiheit auf einmal! Alles ist möglich! Weiterschaffen?
Die Zeit stand still und es gab nur noch die kleine Biene mit ihren großen Augen und mein Warten, ihre Zunge zu sehen. Sie saß auf meiner Hand, als wisse sie, dass ich ihr helfen wollte. Irgendwann nahm sie Nektar aus den angebotenen Blüten. Zuerst von Gelb, dann naschte sie lieber Blauviolett und Rotviolett. Ich beobachtete, mit welch verblüffender Gelenkigkeit sie ihren gesamten Körper putzte und trocknete, schließlich den Pelz auf der Unterseite mit den Beinen wieder aufrichtete. An den rotvioletten Storchenschnabelblüten hatte sie Gefallen gefunden, zu ihnen führte auch der erste taumelig kurze Flug.
Mir passiert Ähnliches oft beim Laufen mit dem Hund im Wald. Ich bin nicht der Typ, der lauthals singt, damit die Wildschweine fliehen. Ich werde immer stiller. Meine Gedanken beruhigen sich irgendwann und es gibt so viel zu sehen und zu staunen. Ich gehe in Gedanken als Winzling zwischen Flechten spazieren oder versinke im Anblick eines wunderschönen Baumpilzes. Oft drängelt der Hund, weil ich im Maigrün junger Blätter verharre oder dringend an einem Kraut riechen muss. Es ist, als würde ich mich selbst auflösen, ich bin innerlich still, denke an nichts mehr vorsätzlich, lasse mich einfach nur füllen von Bildern und Eindrücken und Natur. Manche kennen das von der Meditation. Und dann kommen sie, die Tiere. Plötzlich blickt mich ein Reh von der Seite an oder ein Käfer lässt sich auf meiner Schulter mittragen. Oder ich blicke in die Augen eines Wildschweins und das dreht einfach um und geht. Es ist ein Zustand, in dem ich nicht mehr nach Nutzlosigkeiten oder Aufgaben und Erledigungen frage. Das Einzige, was in solchen Augenblicken einen Sinn hat, ist die Schönheit einer Flechte, der Duft eines Krauts - und dass ich das wahrnehmen und genießen kann.
Gleichzeitig bin ich im digitalen Gebabbel so aktiv wie sonst nie. Abgeschnitten von Realkontakten sind mir Twitter und Signal, inzwischen auch wieder etwas Instagram, Türen zu anderen Menschen. Eben habe ich die Rede des Premierministers live über Twitter angehört, um mir abends die Nachrichtensendungen zu sparen und das lange Herumgequatsche. Ich telefoniere stundenlang und habe sogar wieder Skype installiert.
Worüber ich mich am meisten freue: Wildfremde Menschen aus Social Media oder Kontakte, die man mal früher aus Facebook kannte, kommen ein Stückchen ins Leben herein. Manche haben mir angeboten, bei Technikfragen zu helfen, andere wollen mir zeigen, wie Zoom funktioniert. Es bilden sich Grüppchen von Menschen, die sich gegenseitig helfen. Und auch die Leute von unserem leider geschlossenen Museum verknüpfen sich zusehends digital. Manchmal kommen mir die Tränen, wenn ich durch digitale Texte und Fotos ein Lebenszeichen bekomme, hineinschauen kann, wie ein kleiner Stab dort die Sammlungen und den Bauerngarten pflegt.
Ich war bisher der Meinung, es seien Social Media, die den großen Stress erzeugen, das Gefühl des Getriebenseins. Das ist bestimmt der Fall, wenn man sich nicht beschränkt und nicht eine gewisse Psychohygiene im Umgang mit gewissen Auswüchsen pflegt. Aber ich stelle fest, das Getriebensein kommt von viel schlimmeren Faktoren, die gerade ausfallen. Dem übertriebenen Konsumleben zuvorderst, dass sich allem Denken aufgezwungen hat. Dem Funktionieren-Müssen Tag für Tag, ohne jedes Atemholen. Dem Arbeiten, weil man eben das arbeitet, weil eben diese Deadline ansteht, weil man eben Geld verdient, um die Rechnungen bezahlen zu können. Das Getriebensein entstand mir, wenn ich zu oft die Frage vergaß: Was will eigentlich ICH? WIE möchte ich arbeiten, damit ich Sinn empfinden kann? Was könnte ich tun, um diese Wege zu verstärken?
Aber dafür muss ich erst ein wenig die Schulbank bei den Erfahreneren drücken. Ich bin schon ganz aufgeregt vor meinem ersten Zoom-Webinar in zwei Tagen, wenn Robin Wall Kimmerer, die Autorin von "Braiding Sweetgrass", aus den USA und Robert Macfarlane, Autor von "Underland", aus Großbritannien zusammengeschaltet miteinander sprechen werden und wir aus aller Welt Fragen stellen können. Live und mit Bild und Ton. So habe ich mir das Kommunizieren quer über den Globus hinweg als Kind immer erträumt. Ich bin so neugierig auf diese neuen Möglichkeiten!
Die Lehrer hier in Frankreich nutzen für den digitalen Unterricht meist Zoom und die Chat-App Discord. Eine Lehrerin gestand mir lachend, dass sie das mit Discord eben mal schnell von ihrem Sohn gelernt habe und das sei einfach toll mit all den Möglichkeiten. Als er wegen seiner Computerspiele damit herumdaddelte, hatte es kaum jemanden interessiert. Außer vielleicht einige Aktivistengruppen, die darüber arbeiten. In Deutschland ist die bekannteste die Bürgerrechtsbewegung Reconquista Internet. Die Leute lernen schnell. Die Möglichkeiten verändern sich.
Es macht mir Freude, Wildbienen durch Honiglösung zu retten oder Wildbienen in Datenbanken einzugeben. Ich werde mich immens darauf freuen, meine durch Corona gestrichenen Workshops eines Tages nachholen zu dürfen, dabei Materialien zu tauschen, Dinge zum Anfassen und Berühren zu zeigen. Aber ich werde mich von nichts abhalten lassen, diese Freude digital zu vermitteln. Emotionen und lachende Gesichter auf dem Bildschirm zu sehen, virtuell zu scherzen, wenn ein Versuch daneben geht. Wenn ich hier still bin, dann lerne ich dafür und schlage mich mit der Hardware herum. Oder ich trinke Kaffee mit Menschen, die weit weg von mir sitzen und die doch näher gerückt scheinen. Wir können tatsächlich unsere "neue Normalität" umträumen, neu gestalten!
PS: Ich schulde vielen Leuten eine Mailantwort, die sich jetzt sicher fragen, warum ich hier so viel tippe, aber sie "vergesse". Tu ich nicht. Ich habe eben erst mein Mailsystem im neuen Computer rekonstruiert, kann aber - das fehlende Kabel - mein Backup noch nicht aufspielen, das ich für viele Mailadressen brauche. Es liegt an der Technik. Ich habe früher neue Computer von jemandem fertig einrichten lassen. Im Moment habe ich ja nicht mal Kontakt mit denen, die mir bei Problemen halfen. Also habe ich auch das ganz allein gelernt ... Es dauert alles etwas länger, aber ich melde mich!
PPS: Grund zur Vorfreude: Ab 12. Mai sollen wir in Frankreich endlich wieder in einem Radius von 100 km bewegungsfähig sein, ich kann dann also zum ersten Mal wieder so lange mit dem Hund durch den Wald laufen, wie wir Lust haben. Laufen können in der Natur - dann bin ich endlich wieder Mensch!
Die Arbeit
Wer wissen will, was ich so treibe, wenn ich von "CMS" und digitalen Lernmanagementsystemen rede, kann sich ein Beispiel online anschauen in der "Wildbienenwelt". Zusammen mit dem Team des Ulmer Verlags habe ich da mitgearbeitet. Meine Arbeit steckt z.B. hinter dem Wildbienenfinder und den Steckbriefen der einzelnen Spezies (Beispiel). Man muss sich das so vorstellen: Am Anfang stehen Texte und Bilder, in diesem Fall beides analog aus einem riesigen Fachbuch (es wiegt tatsächlich eine Menge). Eine Redaktion und die IT entwickeln zusammen ein Konzept für eine digitale Lösung, eine meist interaktive Umsetzung der Inhalte, die vom Web aus oder als App gedacht wird.Das Content Management System (CMS) wird von den IT-SpezialistInnen programmiert und ich bin dann sozusagen der Nerd mit Lesebrille, der (schon immer) im Homeoffice - in obigem Beispiel - für die Digitalisierung der analogen Daten sorgt. Diese Arbeit wird je nach Projekt sehr viel komplexer, etwa wenn ich Lernlektionen erstelle, die so eindeutig und klar formuliert sein müssen, dass Auszubildende sie verstehen und das System aufgrund von Codes Antworten der Prüflinge als korrekt oder falsch einordnen kann. Ich denke also sozusagen Text gleichzeitig von Menschenseite her und als "robot" und überlege, wo wer Schwierigkeiten bekommen könnte.
Das braucht höchste Konzentration und hat in meinem speziellen Fall Nebeneffekte. Weil ich ein fotografisches Gedächtnis habe und in digitalen Räumen und Datenbanken Pfade erinnere wie in einem Computerspiel, bin ich anschließend vollgestopft mit lateinischen Namen von Spezies und anderem Wissen. Auch wenn ich in diesem Bereich selbst Fachwissen habe, kommt immer Neues hinzu. Und weil ich ja während der Ausgangssperre inzwischen auch mit Ameisen und Käfern rede, ertappe ich mich schon mal bei einem Ausruf wie "Hey, Bombus (Hummel), mach dich nicht so fett, ich trink hier meinen Kaffee und du bleib beim Nektar da drüben!"
Das Gehirn
Die Rotfransige Sandbiene wird mir auf immer im Gedächtnis bleiben, weil mir ihr Name begegnete, als ich besonders viel Sitzfleisch brauchte. Ich sehnte mich danach, endlich aufzustehen und laufen zu können, dachte scherzhaft, dass man von solcher Computersitzerei ja womöglich eines Tages Hämorrhoiden bekommen könne. Und da war sie: Andrena haemorrhoa, die ich wegen der Assoziation nie mehr vergessen werde, auch wenn das arme Tier nun wirklich nichts mit Hämorrhoiden zu tun hat.So stopft sich mein Gehirn voll mit Wissen und ich betrachte selbst meine Schneckenhaussammlung in einem großen Blumentopf mit völlig neuen Augen: Es gibt Wildbienenarten, die leere Schneckenhäuser brauchen, um ihre Nester darin anlegen zu können. Andere nisten nur in dicken markigen Brombeerästen oder nur in den abgestorbenen Stängeln der Königskerze. "Dinge", die wir oft säuberlich wegräumen, weil sie uns stören oder weil wir sie für "Unkraut" halten. Solche Bienen besiedeln dann auch kein Bienenhotel, das auf schick getrimmt ist ... Wir räumen ganze Lebensräume weg! Und seit ich abgestorbene Königskerzen erst ausreiße, wenn die neuen jungen Pflanzen im Frühjahr wachsen, hat sich der Lebensraum sogar auf eine verblüffend erfreute Spezies ausgeweitet: Bilbo von Butterblum liebt diese "Wegweiser" für seine Pinkelstrecke.
Gestern war dann also so ein Tag, an dem ich mich irgendwie "nutzlos" und unproduktiv fühlte. Ich weiß auch warum: Ich muss derzeit nicht stundenlang hochkonzentriert auf den Monitor starren, habe keinen Zeitdruck und keine Deadlines. Das ist für Perfektionistinnen, die sich künstlich den Druck durch Prokrastination erhöhen, so ähnlich, wie plötzlich im Dschungel zu stehen. So viele mögliche Wege! So verdammt viel Freiheit auf einmal! Alles ist möglich! Weiterschaffen?
Die Wildbiene
Eine kleine Wildbiene machte mir einen Strich durch die Rechnung. Ich fand sie halb tot auf der Treppe liegen, sie hatte offenbar den Weg nach draußen nicht mehr gefunden. Also mixte ich schnell ein paar Tropfen Lindenblütenhonig in Wasser und nahm die Biene samt Schälchen mit in die pralle Sonne. Sicherte sie mit Blüten vor dem Umfallen und wartete lange, bis sie endlich vorsichtig die Zunge aus ihrem Rüssel herausstreckte und etwas trank. Es dauerte sehr lang, bis sie überhaupt fähig dazu war zu trinken. Und bei ihrem winzigen Körper fiel sie auch erst einmal ins klebrige Nass, ich musste sie dann vorsichtig mit Wassertropfen vom Klebrigen befreien und sie ließ es zu, sich in einer Kuhle meines T-Shirts zu trocknen.Die Zeit stand still und es gab nur noch die kleine Biene mit ihren großen Augen und mein Warten, ihre Zunge zu sehen. Sie saß auf meiner Hand, als wisse sie, dass ich ihr helfen wollte. Irgendwann nahm sie Nektar aus den angebotenen Blüten. Zuerst von Gelb, dann naschte sie lieber Blauviolett und Rotviolett. Ich beobachtete, mit welch verblüffender Gelenkigkeit sie ihren gesamten Körper putzte und trocknete, schließlich den Pelz auf der Unterseite mit den Beinen wieder aufrichtete. An den rotvioletten Storchenschnabelblüten hatte sie Gefallen gefunden, zu ihnen führte auch der erste taumelig kurze Flug.
Das Innehalten
Ich blieb bei ihr, bis sie die große Runde zwischen den Wildkräutern und dann in die Ferne flog, hatte alle Zeit und allen Druck vergessen und war einfach nur glücklich wegen der kleinen Biene. Verblüfft stellte ich fest, dass ich inzwischen wie ein Stein bedeckt war mit Besuchern, die auf mir herumkrabbelten und herumhüpften, aufflogen oder landeten. Winzige Insekten, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, aber auch Blattläuse und wohlbekannte Käfer benutzten mich als Ausflugsziel. Das T-Shirt war weiß, an dem lag es nicht.Mir passiert Ähnliches oft beim Laufen mit dem Hund im Wald. Ich bin nicht der Typ, der lauthals singt, damit die Wildschweine fliehen. Ich werde immer stiller. Meine Gedanken beruhigen sich irgendwann und es gibt so viel zu sehen und zu staunen. Ich gehe in Gedanken als Winzling zwischen Flechten spazieren oder versinke im Anblick eines wunderschönen Baumpilzes. Oft drängelt der Hund, weil ich im Maigrün junger Blätter verharre oder dringend an einem Kraut riechen muss. Es ist, als würde ich mich selbst auflösen, ich bin innerlich still, denke an nichts mehr vorsätzlich, lasse mich einfach nur füllen von Bildern und Eindrücken und Natur. Manche kennen das von der Meditation. Und dann kommen sie, die Tiere. Plötzlich blickt mich ein Reh von der Seite an oder ein Käfer lässt sich auf meiner Schulter mittragen. Oder ich blicke in die Augen eines Wildschweins und das dreht einfach um und geht. Es ist ein Zustand, in dem ich nicht mehr nach Nutzlosigkeiten oder Aufgaben und Erledigungen frage. Das Einzige, was in solchen Augenblicken einen Sinn hat, ist die Schönheit einer Flechte, der Duft eines Krauts - und dass ich das wahrnehmen und genießen kann.
Die Maschinerie
In diesen Tagen des Innehaltens bin ich gleichzeitig extrem intensiv mit Computer und Technik beschäftigt. Ich muss ja mein neues System einrichten, musste es so einrichten, dass ich den "Nerdjob" wieder machen kann und noch mehr: Ich werde meine Workshops digital geben. Und da muss ich auch wieder Neues lernen und vor allem die Technik weiter einrichten. Alles nicht so einfach während der Ausgangssperre, wo schon ein Kabelkauf zum Abenteuer werden kann.Gleichzeitig bin ich im digitalen Gebabbel so aktiv wie sonst nie. Abgeschnitten von Realkontakten sind mir Twitter und Signal, inzwischen auch wieder etwas Instagram, Türen zu anderen Menschen. Eben habe ich die Rede des Premierministers live über Twitter angehört, um mir abends die Nachrichtensendungen zu sparen und das lange Herumgequatsche. Ich telefoniere stundenlang und habe sogar wieder Skype installiert.
Worüber ich mich am meisten freue: Wildfremde Menschen aus Social Media oder Kontakte, die man mal früher aus Facebook kannte, kommen ein Stückchen ins Leben herein. Manche haben mir angeboten, bei Technikfragen zu helfen, andere wollen mir zeigen, wie Zoom funktioniert. Es bilden sich Grüppchen von Menschen, die sich gegenseitig helfen. Und auch die Leute von unserem leider geschlossenen Museum verknüpfen sich zusehends digital. Manchmal kommen mir die Tränen, wenn ich durch digitale Texte und Fotos ein Lebenszeichen bekomme, hineinschauen kann, wie ein kleiner Stab dort die Sammlungen und den Bauerngarten pflegt.
Ich war bisher der Meinung, es seien Social Media, die den großen Stress erzeugen, das Gefühl des Getriebenseins. Das ist bestimmt der Fall, wenn man sich nicht beschränkt und nicht eine gewisse Psychohygiene im Umgang mit gewissen Auswüchsen pflegt. Aber ich stelle fest, das Getriebensein kommt von viel schlimmeren Faktoren, die gerade ausfallen. Dem übertriebenen Konsumleben zuvorderst, dass sich allem Denken aufgezwungen hat. Dem Funktionieren-Müssen Tag für Tag, ohne jedes Atemholen. Dem Arbeiten, weil man eben das arbeitet, weil eben diese Deadline ansteht, weil man eben Geld verdient, um die Rechnungen bezahlen zu können. Das Getriebensein entstand mir, wenn ich zu oft die Frage vergaß: Was will eigentlich ICH? WIE möchte ich arbeiten, damit ich Sinn empfinden kann? Was könnte ich tun, um diese Wege zu verstärken?
Die Chancen
Nicht, dass ich nicht schon arbeiten würde, was mir auch Spaß macht - das Wildbienenprojekt ist ein Beispiel dafür. Aber als Freiberuflerin muss man ja immer wieder nachjustieren. Und so sehe ich die Beschränkungen im Moment als Chance, denn wir werden noch länger mit welchen leben müssen. Ich arbeite an der Schnittstelle zwischen "Maschinendenke" und Menschenbedürfnissen. Wie also kann ich z.B. einiges von dem, was wir als Sozialleben und Sozialkontakte so schätzen, in die Maschine bringen, ins Digitale? Kann man wirklich mit digitalen Workshops kreativ werden, Emotionen transportieren? Man kann. So, wie man etwas Waldstille und Wildbienensummen in einen Blogtext packen kann, kann man Technologie positiv für mehr Zwischenmenschlichkeit nutzen.Aber dafür muss ich erst ein wenig die Schulbank bei den Erfahreneren drücken. Ich bin schon ganz aufgeregt vor meinem ersten Zoom-Webinar in zwei Tagen, wenn Robin Wall Kimmerer, die Autorin von "Braiding Sweetgrass", aus den USA und Robert Macfarlane, Autor von "Underland", aus Großbritannien zusammengeschaltet miteinander sprechen werden und wir aus aller Welt Fragen stellen können. Live und mit Bild und Ton. So habe ich mir das Kommunizieren quer über den Globus hinweg als Kind immer erträumt. Ich bin so neugierig auf diese neuen Möglichkeiten!
Die Lehrer hier in Frankreich nutzen für den digitalen Unterricht meist Zoom und die Chat-App Discord. Eine Lehrerin gestand mir lachend, dass sie das mit Discord eben mal schnell von ihrem Sohn gelernt habe und das sei einfach toll mit all den Möglichkeiten. Als er wegen seiner Computerspiele damit herumdaddelte, hatte es kaum jemanden interessiert. Außer vielleicht einige Aktivistengruppen, die darüber arbeiten. In Deutschland ist die bekannteste die Bürgerrechtsbewegung Reconquista Internet. Die Leute lernen schnell. Die Möglichkeiten verändern sich.
Es macht mir Freude, Wildbienen durch Honiglösung zu retten oder Wildbienen in Datenbanken einzugeben. Ich werde mich immens darauf freuen, meine durch Corona gestrichenen Workshops eines Tages nachholen zu dürfen, dabei Materialien zu tauschen, Dinge zum Anfassen und Berühren zu zeigen. Aber ich werde mich von nichts abhalten lassen, diese Freude digital zu vermitteln. Emotionen und lachende Gesichter auf dem Bildschirm zu sehen, virtuell zu scherzen, wenn ein Versuch daneben geht. Wenn ich hier still bin, dann lerne ich dafür und schlage mich mit der Hardware herum. Oder ich trinke Kaffee mit Menschen, die weit weg von mir sitzen und die doch näher gerückt scheinen. Wir können tatsächlich unsere "neue Normalität" umträumen, neu gestalten!
PS: Ich schulde vielen Leuten eine Mailantwort, die sich jetzt sicher fragen, warum ich hier so viel tippe, aber sie "vergesse". Tu ich nicht. Ich habe eben erst mein Mailsystem im neuen Computer rekonstruiert, kann aber - das fehlende Kabel - mein Backup noch nicht aufspielen, das ich für viele Mailadressen brauche. Es liegt an der Technik. Ich habe früher neue Computer von jemandem fertig einrichten lassen. Im Moment habe ich ja nicht mal Kontakt mit denen, die mir bei Problemen halfen. Also habe ich auch das ganz allein gelernt ... Es dauert alles etwas länger, aber ich melde mich!
PPS: Grund zur Vorfreude: Ab 12. Mai sollen wir in Frankreich endlich wieder in einem Radius von 100 km bewegungsfähig sein, ich kann dann also zum ersten Mal wieder so lange mit dem Hund durch den Wald laufen, wie wir Lust haben. Laufen können in der Natur - dann bin ich endlich wieder Mensch!
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