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16. August 2019

Voller Genuss

Kürzlich hat sich bei Twitter eine Deutsche, die offenbar ins Elsass gezogen ist, sehr ereifert, dass alles so schrecklich teuer sei in Frankreich und dass deshalb "alle" in die deutschen Discounter flüchten müssten. Ich habe versucht, sie ein wenig aufzuklären, wie es tatsächlich ist, stieß aber leider auf taube Ohren. Tatsache ist: Wir sind in diesem Landstrich ähnlich wie die Badner und Pfälzer und andere Menschen an Binnengrenzen der EU unwahrscheinlich privilegiert! Keine nervigen und restriktiven Zollgrenzbezirke mehr wie früher (3 Flaschen Alkohol pro Person), eine gemeinsame Währung - und viele alte Zollstationen sind heute Einkaufszentren. Wir können vom Besten profitieren, was die Regionen bieten. Und damit die abgelegeneren Gebiete nicht ganz abgehängt sind, gibt es längst Aldi und Lidl auch in Frankreich.

Ich bin verrückt nach guten Gewürzen. Salz und Pfeffer würden mir in der Küche nie reichen.


Die wirklich feinen, frischen Sächelchen aber kaufen wir auf dem Markt. Dort ist Gemüse und Obst nicht nur frischer und aus der Region, es ist vor allem um ein Mehrfaches billiger als die Spanienware in den Hypermarchés. So kann man dann sogar beim Biobauern einkaufen, das kostet nicht so viel mehr als im Supermarkt. Es hat sich dabei sehr viel getan in den letzten Jahren. Viele Bauern haben auf "bio" umgestellt, Einzelkämpfer haben Cooperativen gebildet, Netzwerke entstanden. Durch die Cooperativen und in den Städten inzwischen sogar Cooperativläden sind die Preise auch für Bioware erschwinglicher geworden. Und es wird kräftig weiter investiert und subventioniert. So fährt im Nordelsass inzwischen ein Biobus über die Dörfer, die weniger Anschluss haben. Bahnhöfe werden zu Versorgungszentren (in Haguenau wird diesbezüglich groß umgebaut). Auch das gibt es inzwischen: Man kauft bei unterschiedlichen regionalen HändlerInnen online ein - und holt die Ware dann einfach am Bahnhof gesammelt bei einer Sammelstelle ab.

Ich liebe Märkte und nehme mir für den unseren immer extra Zeit, ein festes Ritual des Genusses schon beim Einkaufen. Früher musste man noch mühsam mit dem Auto durch die Berge kurbeln, um all die regionalen Spezialitäten direkt einzukaufen, heute haben diese Leute einen Marktstand. Da ist die Familie, die Forellen und andere Fische im Bergwasser züchtet, der Müller bringt sein Mehl, der Ziegenzüchter seine Käse. Es gibt unterschiedliche Gemüsestände, Spezialitäten aus der Provence, Fertigspezialitäten vom Vietnamesen und den Gewürzstand aus Strasbourg. Manchmal kommt ein Imker, manchmal eine Bäuerin, die Äpfel übrig hat. Jemand bringt frisch gepresstes Walnussöl von der Ölmühle. Der Viehzüchter verkauft sein Fleisch, an einem Stand gibt es Tarte Flambée. Und manchmal verkaufen Eltern irgendeiner Schule leckere Kuchen und Waffeln zur Finanzierung von Ausflügen.

Es ist ein anderes Einkaufen, wenn die Pfifferlinge direkt aus dem Wald von Roeschwoog kommen und am Morgen gesammelt wurden. Natürlich würzen wir auch mit Zitronengras aus Thailand, aber unsere thailändisch-elsässische Bauersfrau steht fast in der Nacht schon auf dem Feld, um die regionalen Genüsse zu ernten. Die können manchmal so exotisch sein wie Grünkohl, den ich in diesem Jahr zum ersten Mal im Leben in Händen hielt! Er ist eher unbekannt in Frankreich, entwickelt sich aber gerade zum Hipster-Gemüse.

Zum ersten Mal konnte ich auch völlig plastikfrei einkaufen. Auf dem Markt sauten die Franzosen leider ziemlich herum, Hemdchentüten für alles. Die sind inzwischen verboten, eine Übergangsfrist erlaubt im Moment nur noch Plastik aus Recycling oder biodegradables, dann müssen die Tüten ganz weg. Es ging perfekt ohne: Ich bekomme einen flachen Karton, den ich fülle. Den gebe ich dem Bauern samt riesiger Einkaufstasche oder Korb - er wiegt ab und füllt alles um, lose. Und weil man ja immer dazulernt, habe ich heute entdeckt, dass man inzwischen selbst auf dem Markt mit Kreditkarte zahlen kann. Bisher war das die letzte Bastion für Bargeld, aber seit es die kontaktlosen Karten gibt ... Das hätte ich wissen müssen, als mir schon öfter das Kleingeld ausging und ich noch mehr gebraucht hätte!

Ich kaufe auch gern auf dem Markt, weil schon die Beschreibungen um so viel appetitanregender sind als im Laden. Und die Gespräche dazu sind nochmal so schön. Was denn ein "Ägyptisches" sei, wollte ich am Brotstand wissen und erfahre gleich, dass Kamut, der sogenannte Khorasan-Weizen, ursprünglich aus Ägypten nach Frankreich kam. Das 6000 Jahre alte Getreide wird inzwischen auch bei uns wieder angebaut und schmeckt einfach köstlich in einem "au levain" gebackenen Weißbrot.

Von Ägypten aus ging es dann auf Weltreise am Gewürzstand, den ich viele Wochen verpasst hatte. Ich hatte also Nachholbedarf. Mischungen ohne Geschmacksverstärker, wirklich frisch und einfach köstlich, wie die weltbeste Hühnchenwürze, die auch zu Reis und Gemüse passt. Lavendelblüten aus der Provence, eine Kräutermischung aus Italien - das ist noch einfach. Aber welcher von den vielen Currys könnte der leckerste sein? Einkaufen mit Fachberatung: Ich erfahre die Schärfen, die Unterschiede im Aroma und wage ausnahmsweise Schärfe 4-5 statt 1. Ein Kräutertee klingt von der Zusammensetzung her wie ein Paradies zum Entspannen. "Marchand de sables" klingt exotisch, ich denke dabei an Sandhändler oder Händler auf dem Weg durch endlose Wüsten, aber der Händler kichert. So heiße in Frankreich das Wesen, das den Sand in die Augen streue, das Sandmännchen! Ein leckerer Einschlaftee also.

Es gibt noch ein Ritual am Abend, das für französische Markttage kennzeichnend ist: Man kocht an diesem Abend nicht. Es macht genügend Arbeit, einzukaufen, die Vorräte zu verstauen und andere Dinge zu erledigen, wenn man schon in der Stadt ist. Darum gibt es auf jedem französischen Markt fertige Leckereien, die nur noch warm gemacht werden müssen. Der Vietnamese mit seinen Teigtaschen, Nemröllchen und anderen Spezialitäten ist immer zuerst ausverkauft. Und das gibt es auch heute bei uns im Hause, mit einem schönen gekühlten Weißwein dazu, einem frischen Salat und anschließend Früchten auf Ziegenmilchjoghurt.

Über das Elsass mitsamt seinen Genüssen habe ich auch ein Buch geschrieben: Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt.

2 Kommentare:

  1. Liebe Petra,

    der Khorassan-Weizen mag über Ägypten gekommen sein, aber der Name selbst deutet auf Persien hin.
    Khorassan ist eine persiche Provinz...

    danke für den schönen Beitrag. Ich lebe in der Agrarwüste Ostvorpommern und hier gibt es fast nichts Regionales mehr

    Danke! Connie

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  2. Liebe Connie,
    da hast du absolut recht, der Ursprung dieses Weizens liegt im historischen Khorassan, einem Gebiet, das heute ungefähr den NO des Iran, nördliche Teile Pakistans, Teile von Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan und einen Großteil Afghanistans umfasst. Er gelangte aber schon früh über die alten Handelswege in den Fruchtbaren Halbmond, in den Kaukasus und nach Ägypten.

    In Ägypten ist er als Balady Durum sehr beliebt und kam wahrscheinlich in der Antike dort an. Und die Franzosen haben ihn dort entdeckt und importiert. Vielleicht hat ihn Napoleon mitgebracht. Heißt es.

    Die Realität sieht weniger märchenhaft aus, habe ich mir inzwischen sagen lassen. Denn alles, was unter der Bezeichnung "Kamut" verkauft wird, ist eine Marke ... aus den USA. Ein Amerikaner hatte die alte Weizensorte in Ägypten entdeckt, mit nach Hause genommen und vermehrt. Kamut ist ein Kultivar, der streng biologisch angebaut wird und nicht durch Züchtung genetisch verändert werden darf. Der Bauer aus Montana hat dann auch die "Kamut Enterprises of Europe" gegründet - und die vertreiben Saatgut, Mehl und fertige Produkte. Kamut wird inzwischen von Biobauern auch bei uns angebaut. Eine wahrhaft globale Geschichte! Aber faszinierend, was Menschen zur Rettung alter Sorten alles tun.

    Agrarwüsten hatten wir hier leider auch (Maismonokultur), aber dank des Naturparks können sie nicht unendlich wuchern. Und Landkreise, Kommunen wie Naturpark fördern jetzt verstärkt den regionalen Anbau in Vielfalt und biologische Landwirtschaft. Dadurch hat sich viel verändert. Einen großen Schub gab es dann noch, weil sich die an "Bio" Interessierten zusammengeschlossen haben und Aufklärungsarbeit leisteten. Das hat so manchen Landwirt angesteckt.

    Ich lese mich übrigens gerade absolut hingerissen auf deiner Website fest! Ich bewundere Menschen, die diese winzigen Muster überhaupt lesen können - und dann auch noch stricken. Ich geh dann mal schmökern ...

    Herzlichst aus den Nordvogesen,
    Petra

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