Zunächst geht es im weitesten Sinne um Kunst - und beide Artikel kann man in Teilen durchaus auch auf andere Künste übertragen. Wolfgang Ullrich befasst sich in einem Vortrag "Publizieren, um - nicht - gelesen zu werden" zwar mit dem kulturwissenschaftlichen Schreiben, aber ich denke, die meisten BuchautorInnen werden sich in seinem Werkstattbericht wiederfinden. Wenn er sich anschaut, wie Auftritte von Schreibenden zum Event werden müssen, wie Menschen immer mehr AutorInnen "abgreifen", aber immer weniger lesen wollen, so trifft er bei vielen Medienbrüchen unserer Zeit ins Schwarze.
Ich stelle mir ähnliche Fragen: Längst wäre ich innerlich wieder so weit, ein Buch zu schreiben - und vor Jahren wäre es die einzige Konsequenz gewesen. Heute frage ich mich aus ähnlichen Gründen, wie er sie nennt, ob nicht genau diese Zeit des Buchs im herkömmlichen Sinne einfach vorbei ist, finanziell gesehen wie vom Erzählmedium her. Mein Blog fungiert dabei als ein Augenöffner, der mich kein bißchen in dem bestätigt, was ich mir wünschen würde: Artikel, die richtig viel Mühe machen, viel Recherche brauchen und m.M.n. wirklich gut geschrieben sind, werden kaum gelesen. Stattdessen geht in kürzester Zeit durch die Decke, was ich nur hingerotzt habe oder was überhitzte Hypethemen berührt. Mein Artikel über die Mondlandung: ganze 143 LeserInnen zur Stunde - Absprung von Facebook 1433. Wir brauchen als LeserInnen gar keine Algorithmen mehr, wir denken selbst nur noch im Clickbait-Rausch.
Höher, reicher, monopolistischer - so geht es auch im Kunstbetrieb zu. Die FAZ untersucht das "Ökosystem der Kunstwelt" an den Stellen, wo die Millionen fließen, "gefüttert durch die Selbstausbeutung von Künstlern und Kunstexpertinnen, die noch an andere Werte glauben als das Geld", wie es heißt, und sie zeichnet damit eine erstaunliche (?) Parallele zu unserer heutigen Form von Kapitalismus.
Für mich wird der Artikel an den Scharnieren der Kunstwelt interessant, deren ungewöhnliche Seiten im Artikel nicht vorkommen und die der winzigen Leserschaft versus Hype-Leserschaft entsprächen. Denn längst machen sich viele KünstlerInnen Gedanken um Kapitalismus wie Kunst, proben neue Ideen auf ähnlich kleinen, aber durchaus erfolgreichen Wegen, wie man sie in Sachen Degrowth in der Wirtschaft erdenkt. In Frankreich boomen die KünstlerInnen-Kooperativen und Galerien in Kooperativbesitz. Junge Menschen, die Kunst machen, überlegen sich, wie sie all die Zwischenstrukturen loswerden, die mit ihnen Geld verdienen. Es gibt da durchaus Parallelen zur Selfpublishing-Szene: Wer professionell mitspielen will, muss genauso Geld in die Hand nehmen, muss Kontakte schaffen. Der Unterschied zu AutorInnen: Statt Einzelkämpfertum tut man sich zusammen, im Idealfall sitzen in der KünstlerInnenkooperative eben auch gleich die passenden PR- und Medienleute. Und auf Instagram boomen Hashtags wie #smallart - winzige oder kleinste Kunstformate zu bezahlbaren Preisen. Kunst, die sich Menschen leisten können und wollen, die früher nie und nimmer Kunst gesammelt hätten.
Könnte hier die Lösung für viele unterschiedliche Ebenen liegen? Degrowth? Klasse statt Masse? Ein Sich-Rar-Machen eher - oder die sehr persönliche Konzentration auf kleine, aber feine LeserInnenschaften? Und das unter Verwendung moderner Medienformen?
Ein Zeichen dafür, dass da draußen ein Hunger nach Verlangsamung und Übersichtlichkeit herrscht, könnte die Tatsache sein, dass auch in Deutschland eher ruhigere Bücher wieder Erfolg haben können. Im Podcast des Deutschlandfunk Kultur geht es um "Wanderlust" und das Gehen, die Links darunter zeigen, dass das Thema keine Eintagsfliege im Sender ist.
Apropos Podcast - ich höre sie zu gern bei repetitiven Arbeiten im Atelier, weil ich dann die Hände frei habe. Zwei englischsprachige bieten immer wieder spannende Folgen, die mich zum Nachdenken bringen, bei denen ich meine eigene Perspektive verändern und auch mal umdenken kann. Vor allem aber gehen sie die Welt konstruktiv an, in realistischer Sicht der Schwierigkeiten, aber hoffnungsvoll:
"Outrage and Optimism" wird von Christiana Figueres und ihrem Team gemacht. Sie war Generalsekretärin bei der Klimarahmenkonvention der UN und kann durch ihre Kontakte aus dem Vollen schöpfen. Da werden dann Leute eingeladen wie Greta Thunberg, Richard Attenborough oder Jane Goddall.
Zum Programm des Podcasts heißt es:
Outrage and Optimism seek to highlight how we need both the outrage we see on the streets as well as the deep conviction that we CAN address climate change to break through the current status quo.Ohne Website kann man den Podcast auch direkt hier hören.
Das "Emergence Magazine" ist dabei mein absoluter Liebling, schon allein von der medialen Form her. Hätte ich das Geld und die Leute, ich wäre derzeit genau so unterwegs: Multimedial mit künstlerischem und qualitativen Anspruch. Man muss sich die Website einfach mal anschauen, wie sie mit Bewegtbildern, Kunst und Videos aufgemacht ist, absolut anspruchsvolle Essays bringt, von KönnerInnen des Genres geschrieben. Und das Wunderbare daran ist, dass man sich viele der Texte eben auch als Podcast anhören kann, ganz nach Gusto. Auch hier Qualität - sie sind durchweg professionell und angenehm gesprochen, nicht selten von den AutorInnen selbst.
Die Ausgaben erscheinen vierteljährlich zu einzelnen Themen - eine angenehme Geschwindigkeit, um nicht nur oberflächlich einzutauchen. Der Newsletter als Erinnerungsklingel lohnt sich durchaus. Das Magazin zum eigenen Auftrag:
As we experience the desecration of our lands and waters, the extinguishing of species, and a loss of sacred connection to the earth, we look to emerging stories. In them we find the timeless connections between ecology, culture, and spirituality.Natürlich geht es darin nicht einfach nur um "connection" und Hoffnung, sondern um Einsichten von DenkerInnen unserer Zeit, die von ihren Wegen erzählen, mit Situationen umzugehen, die Jetztzeit auszuhalten und sich für die Zukunft zu engagieren. In der neuesten Ausgabe geht es um das Thema Sprache. Ein guter Einstieg auch in den Geist des Magazins selbst ist das Interview mit dem Nature Writing Autor Robert Macfarlane: "Speaking the Anthropocene"- zum Lesen und Hören.
Hab ich schon mal empfohlen? Nun, das ist dann nicht so sehr der Hitze geschuldete Vergesslichkeit, sondern die Tatsache, dass ich manchmal nicht mehr weiß, ob ich etwas bei FB oder im Blog empfahl (wird nicht mehr passieren). Kann man aber nicht oft genug empfehlen, denn zum Nachsuchen im Blog ist es definitiv zu heiß.
Kommt gut durch die neuerliche üble Hitzewelle der nächsten Woche! Podcasts kann man auch herrlich flach im Liegen anhören!
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