Nach dem Kaufen die Kunst?

Ich bin in ein paar FB-Gruppen zum Thema "Art Journals" und da tauchte heute ein sehr typisches Posting auf, typischerweise auch in mehreren Gruppen quergepostet. Eine Frau berichtet recht verzweifelt, welch wunderbare Produkte und Farben und Firmenkram sie sich nun alles angeschafft habe, und nun liege das da und sie sei völlig unfähig, damit etwas Kreatives anzufangen. Sie habe auch schon youtube-Tutorials angeschaut, aber dadurch werde es noch schlimmer. Ihr falle nichts ein, sie bekomme nichts gebacken, sie spüre dieses "Etwas" nicht mehr, völlig überfordert. Ein Problem nicht nur in kreativen Belangen!

Dieses Foto ist für Instagram nicht geeignet. Das Zeug müsste planparallel auf zenweißem Hintergrund liegen, um das Papier herum sollten Markenartikel stehen, die Marken sichtbar im Bild. Ich kann das nicht. Ich arbeite oft mit "Müll": Flaschendeckel und alte Yoghurtbecher als Farbschälchen, der Strohhalm für die Pustetechnik, mit der ich eine neue Tinte auf Wasserbasis getestet habe. Das Verpackungsmaterial, zerknülltes Kraftpapier, glätte und reiße ich in Seiten für Künstlerbücher, das Papier oben besteht aus gebrauchten Kaffeefiltern, mit Öko- und Rostdruck im Upcycling.



Ich habe mir abgewöhnt, auf solche Fragen zu antworten, weil ich weiß, dass meine Antwort wahrscheinlich niemand hören mag. Die Frau bekommt nun von den Leuten Kurse empfohlen, Bezahlinhalte im Internet, Bücher, Anleitungen. Nur wenige schlagen ihr vor, zuerst einmal mit einer einzigen Technik anzufangen. Ich wäre radikaler: Ich würde der Frau zuerst einmal alles wegnehmen, was sie hat, sprich, sie von ihren künstlerischen "Konsumgütern" trennen.

Ich würde sie dann mit in den Wald schleppen und sie fühlen und sehen lassen. Angenommen, sie sei ein Höhlenmensch, wo fände sie Farben, womit könnte sie Papier bearbeiten? Da ist diese herrlich rote Sandsteinerde, dort der umbrafarbene Lehm ... dazu das Wasserrinnsal und fertig ist die Farbpaste! Kann man auf Steine malen, mit Moospinsel! So kam der Urmensch wahrscheinlich irgendwann zur Pigmentherstellung. Und Erdboden, gesäubert und mit etwas Weißleim verdünnt, lässt sich heute noch als Strukturpaste einsetzen. Vielleicht würde ich die Frau auch entdecken lassen, welche Blätter besonders viel Feuchtigkeit enthalten, so dass man sie reiben kann, verschmieren. Von dort ist es nicht weit zum Hammerdruck, bei dem man unter einer Papierauflage Pflanzen regelrecht ins Papier einhämmern kann. Im Elsässischen sagt man so schön "rühre und schmüre" - und da dürfte sie sich austoben dabei!

Und dann die Frage: Worauf hast du jetzt Lust?

Sollte kreatives Arbeiten nicht ganz viel mit Lust zu tun haben? Mit Entdeckerfreude und Experimentierlust? Nehmen wir die Tinte auf Wasserbasis von meinem Foto hier: Wie soll ich damit arbeiten, wenn ich vorher nie gezeichnet oder gemalt habe, mir aber stattdessen ein Klugschwätzervideo reinziehe? In jenen Gruppen schwören alle auf die marketingstärkste Firma mit den Mondpreisen, das youtube-Instagram-Markengetue wirkt unwahrscheinlich stark und weltweit. Niemand kommt auf die Idee, einmal aufs Kleingedruckte zu schauen und festzustellen, dass es einfach unterschiedliche Tinten je nach Basis gibt und man die auf der ganzen Welt auch von anderen Herstellern haben kann, viel billiger oft. Dass es sogar hilfreich ist, über Inhaltsstoffe Bescheid zu wissen, denn die Farben reagieren anders, bieten andere Möglichkeiten. Das kann ich mir zeigen lassen. Aber dann sollte ich nicht zaudern, sondern loslegen. Herumprobieren. Dinge falsch machen. Blödsinn machen. Sich schmutzig machen.

Ich lerne ja auch viel im Internet, was Techniken betrifft - und ich folge einigen Leuten, die Inspirierendes zeigen. Und dann war es plötzlich auch mir passiert: Ich glaubte auf einmal, alle anderen seien um so vieles besser als ich. Weil alle anderen nur die studiobeleuchteten Erfolge und schönretuschierten Bilder bei Instagram zeigen. Wer fotografiert schon, wenn er sich vermalt hat, wenn er an einem Tag grässliches Geschmier liefert?

Noch schlimmer: Ich war plötzlich der Meinung, Tausende auf dieser Welt würden genau das Gleiche machen wie ich. Meine Werke seien austauschbar. Millionen Menschen formen Papierperlen, Hunderttausende binden Künstlerbücher. Und weil das Millionen sind, haben so viele Menschen den scheinbar gleichen Stil hier, die scheinbar identische Idee dort.
Würde ich dem Internet das glauben, ich wäre gelähmt wie jene Frau in der FB-Gruppe.

Wir müssen uns heutzutage oft mit Gewalt (und Entzug) klarmachen, wie Facebook oder Instagram und Pinterest die Realität regelrecht ausbeulen! Hashtags sind praktisch, um gefunden zu werden, um Gleichgesinnte anzulocken. Aber umgekehrt bergen sie die Gefahr ,uns zu zeigen was passiert, wenn alle Welt sich auf drei Grundfarben stürzt. Egal, wie sehr eine Plattform wachsen mag, es bleibt bei drei Grundfarben. Egal, ob wir sie bis zum Überdruss ansehen - die Schönheit einer Farbe bleibt jedoch diesselbe.

Kreativität besteht zu großen Teilen aus der Kunst, sich selbst zu entdecken und "sein Ding zu machen", in einer sehr eigenen Art. Natürlich wurde irgendwie alles auf dieser Welt wahrscheinlich schon einmal gemacht. Rein statistisch ist es zu erwarten, dass irgendwo auf der Welt Menschen einen Pinsel in genau dem gleichen Winkel über das Papier ziehen oder Papierperlen auch frech auf Stricknadeln rollen. Und wenn ich mir diese Hashtag-Ähnlichkeiten Tag für Tag anschaue, dann entmutigt mich das. Wenn ich nur noch zusehe, wie andere arbeiten und was sie können, hält mich das davon ab, durch Selbermachen zu lernen, zu üben.

Üben - das will diese Frau bei FB eigentlich gar nicht erst. Sie will gleich können, alles können, passend zur Marke, die sie eingekauft hat. Weil ihr diese Marke, im Echoraum der youtube- und Blog-Marketenderinnen unendlich verstärkt, vorgaukelt, dass man ja nur diese Marke zu kaufen brauche und schon könne man loslegen wie die Videostars. Aber zum Glück merkt sie es selbst: Es überfordert sie, es macht sie platt, erschöpft sie, bevor sie auch nur einen Strich gezogen hat.

Es trifft ganz sicher auf viele andere Lebensbereiche ebenso zu: Rund um die Uhr, weltweit, jederzeit auf alle Informationen zugreifen zu können, ist verführerisch. Aber es kann uns auch zuknallen, kann die innere Stimme überschreien, die eigenen inneren Quellen verstopfen. Vor allem bergen die Algorithmen und Hashtags eine große Gefahr: Wo sie uns Mengen von Gleichgesinnten vorgaukeln, mit denen wir in einen inspirierenden und fördernden Dialog treten könnten, verstärken sie doch nur egogetriebene Echokammern. Und in denen verreckt unsere Einzigartigkeit.

Wir fühlen nicht mehr, wie einzigartig jeder Mensch ist. Eigentlich müsste es für jede Erdenbürgerin, jeden Erdenbürger einen ganz eigenen, individuellen Hashtag geben! Einen, an den man keine Marken anzecken kann und keine Besserwisser. Wenn uns früher ein autoritärer Lehrer dummgequatscht hat, machen das heute hundert Halbkönner bei youtube. Aber wer hört uns wirklich zu? Hören wir uns selbst noch in diesem Lärm?

Natürlich muss man das Art Journaling nicht dadurch lernen, dass man mit Schlamm im Wald herumschmiert. Aber wenn wir wirklich wissen wollen, wonach uns ist; wenn wir dieses dringende Bedürfnis wieder spüren wollen, etwas zu erschaffen, dann hilft es doch ganz gut, auch mal abzuschalten. Vielleicht auch nur, um uns selbst mal wieder aushalten zu müssen ...

4 Kommentare:

  1. Danke, sie sprechen mir aus der Seele. Auch wenn ich mir 100 videos übers Fahrradfahren anschaue und in meiner Garage 10 verschiedene Fahrräder stehen, werde ich dennoch beim ersten Fahren unweigerlich vom Fahrrad fallen. Erst nach wochenlangem üben werde ich den Fahrtwind genießen können und eventuell auch weitete Strecken ohne Muskelschmerzen zurücklegen können. Trotzdem wird es Tage geben, an welchem mir Regen, Wind oder der Untergrund die Fahrt schwer macht.Tage, an welchen ich so viele Gedanken im Kopf habe, dass mir egal ist, wohin ich fahre - hautsache ich fahre. Oder Tage, an denen ich am Zielpunkt meines Ausfluges ankomme und feststelle, dass es von meiner Vorstellung von Schönheit abweicht. Aber wenn ich auf der Fahrt die Augen geöffnet hatte, habe ich eventuell die Blumen am Wegesrand entdeckt, oder die fantastische Struktur der Rinde - oder die Abzweigung zu meinem nächsten Ziel.
    Sonja

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    1. Danke für den Beitrag, Sonja,
      der beschreibt so wunderschön, wie man das auch auf andere Tätigkeiten übertragen kann!

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  2. Barbara Ams4/6/18 11:13

    Liebe Petra, danke für diesen Text. Ich male seit etwa eineinhalb Jahren, mal mehr, mal weniger. Das ist so ein Gefühl,und dann geht's und da ich das nicht muss, sondern darf, genieße ich diese,Stunden in denen ich einfach meinem Gefühl und meiner Seele Folge. Für technische Informationen habe ich auch schon Tutorien angeschaut, aber auf die Leinwand kommt nur, was aus mir rauskommt. Und das sieht mitunter sehr interessant aus, mal vorsichtig formuliert.
    Beim schauen auf Instagram und Co. Hat mir das schon oft das Gefühl vermittelt, dass ich das nicht richtig mache oder nicht “gut genug“ bin um meine Bilder zu zeigen. Du bestärkst mich darin, meinem weg weiterzugehen. Danke dafür!

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  3. Danke, liebe Barbara!
    Es macht mich immer wieder froh, wenn ich jemanden anstiften oder ermutigen kann. Was wäre kreatives Werkeln, wenn es keinen Spaß machen würde oder nicht in der eigenen, individuellen Geschwindigkeit möglich wäre!

    Und man muss auch nicht immer alles zeigen. Icfh habe das von den Büchern her: Sehr junge Pflänzchen sind einfach oft noch zu empfindlich für die Öffentlichkeit, die wollen erst eine Weile gepäppelt werden. Am Druck von außen, auch an der Kritik, selbst wohlwollender, gehen sie nicht selten ein.

    Du machst das schon richtig so! Ich hab ja mal bei FB diese von dir bemalten Jeans gesehen, die sehen richtig heiß aus!

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