Seiten

31. Dezember 2021

Guter Rutsch!

 

Guter Rutsch!

 Der nächste Frühling kommt bestimmt!

 


In diesem Sinne wünsche ich allen ein neues Jahr voll von Hoffnung und Mut, mit positiven Neuigkeiten und Verbesserungen, aber auch der Möglichkeit, sich vom bisher Geschafften zu erholen.

Ich freue mich schon aufs Singen der Vögel und Blühen und Keimen. Kein Winter dauert ewig.


Alles Gute,
Petra

3. Dezember 2021

Nature Match Cuts: mein neuer Podcast

Ich habe mir den Luxus gegönnt, lange im Verborgenen zu arbeiten, aber nun kann ich schon das Wichtigste verraten: 2022 starte ich mit einem neuen Podcast. Dessen Titel steht nun auch fest und gepitcht ist das Ding auch. Hier könnt ihr alles nachlesen, auch, warum ich diesen Titel gewählt habe.

 

Aufnahme von einer Street Art Ausstellung in Haguenau

 

Nature Match Cuts is the podcast that reconnects curious people with nature.

In times of transition, this podcast explores marvels of biodiversity in light of science, art and cultural heritage.

Ihr merkt, ich habe mich entschieden, in englischer Sprache zu produzieren. Das hat recht pragmatische Gründe:

  • Ich arbeite in einer dreisprachigen Region für internationales Publikum und will dabei auch die Menschen einbinden, für die ich vor Ort arbeite. Eine Weltsprache funktioniert immer.
  • In deutscher Sprache müsste ich mich ständig kulturellen Hürden stellen, die für mich Energieverschwendung sind. Was ich vorhabe, ist einfach zu crazy, hat kaum Formentraditionen im Deutschen. Ich würde mich wohl zerschmeissen an der harschen Trennung von Schubladen in meinem Beruf. Im anglo-amerikanischen Raum gibt es dagegen längst etablierte Medien für so etwas, ich lerne da sehr viel.
  • Die interessantesten und spannendsten Interviewpartner:innen für später sprechen alle möglichen Sprachen und Englisch.

Dieser Sprung ins kalte Wasser hat natürlich dazu beigetragen, dass es länger dauerte. Obwohl ich in den 1990ern auch als Journalistin für englischsprachige Medien gearbeitet habe, war ich etwas eingerostet und musste erst mal schriftlich wieder auf einen Level kommen, der mich als Berufsautorin einigermaßen zufrieden stellt. Ich habe mir Ziele gesteckt, geschuftet und dann mal ein Artikelchen veröffentlicht, wo ich dachte, ja, ich kann es mir zutrauen: Sweet Lady Violet Or The Fabric Of Life. Inzwischen flutschen sogar die Fachwörter in Sachen Natur und Ökologie.


Unterricht habe ich mir zuallererst gegönnt. Dank Pandemie ging das digital und international. Wenn ihr Englisch auf eine erfrischend unkonventionelle und unterhaltsame Weise lernen oder auffrischen wollt, empfehle ich euch Frank Peters mit seinem Projekt "Brida". Es ist echtes Learning by Doing ohne Angst und Hemmschwellen - und es ist egal, wo in der Welt ihr sitzt. In virtuellen Räumen wie z.B. einem Journal, einem Café oder einer vituellen Business School lässt sich Englisch für unterschiedliche Situationen einüben, natürlich mit Betreuung und Übungen. Außerdem ist Frank Peters ein fantastisch einfühlsamer und erfahrener Sprachcoach, wenn man sich besondere Ziele steckt.


Und ich bin jetzt noch glücklich, dass ich die Masterclasses vom Guardian dank der Pandemie entdeckt habe. Tolle Profis, die unterrichten, absolut professionell gemachte Kurse mit Material für nachher, viele für Medienschaffende, die bereits beruflichen Hintergrund mitbringen. Die Investition in den Kurs "How To Get Started In Podcasting" war Gold wert. Denn das letzte Mal habe ich Radio gemacht, als man noch mit schwersten Briketts von Rekordern herumlief, die einem Tontechniker in die Hand drückte und später vor dem Tonband sagte, wo er schneiden sollte. Der Kurs richtet sich weniger an Lai:innen, journalistisches Grundwissen ist empfehlenswert. Und so habe ich mir von zwei Leuten, die für die BBC arbeiten, erklären lassen, wie's geht.


Das ist vielleicht auch der Haken bei der Perfektionistin, die die Latte für sich selbst immer verdammt hoch hängt: Bis ich mal in die Puschen komme! Bis ich mal endlich so zufrieden mit dem eigenen Zeug bin, dass ich loslege. Fragt mich nicht, wie lang ich für die Auswahl der Hardware brauchte. Praktischerweise bis zum Black Friday, über den "alle" schimpfen. Den Leute mit wenig Geld aber ersehnen, weil dann einiges leistbar wird. Und alle, die Audacity & Co. im Schlaf beherrschen, dürfen sich jetzt kaputtlachen: Das muss ich auch noch lernen. Machte ja früher der Tontechniker. Noch bin ich im Stadium eines kleinen staunenden Kindes, weil ich die Hardware am liebsten auch per Learning by Doing ausprobiere. Die chinesische Gebrauchsanleitung zu einem Teil war jetzt doch nicht so doll lesbar, wie der Hersteller glaubt.


Ich lache selbst über mich. Wenn ich mein Mikrophon zum ersten Mal ausprobiere und plötzlich im Kopfhörer jeden falschen "Pups" meiner Stimmritze höre und den echten Pups vom Hund daneben ebenso. Und der Rekorder für die Naturaufnahmen später im Wald ist so ganz anders als die Briketts früher. Ich habe vor dem Fenster ein Vogelhäuschen. Also stellte ich ihn zum Test auf dem Fensterbrett auf, schloss die Tür und ging in die Küche nebenan. Meine Überraschung war groß: Positiv gesehen konnte ich die Vögel sogar hören, wie sie in Nachbars Garten flogen und was sie in der Hecke piepten. Negativ gesehen hatte ich auch sämtliche meiner Geräusche aus der Küche aufgenommen. Das Lernen geht weiter ...


Nebenbei texte ich wie besessen. In der Masterclass lernten wir eine Sache, die für alle Großprojekte wichtig ist, auch für Print: Ein Großteil aller Podcasts verröchelt nach zwei, drei Folgen. Weil die Leute nicht vordenken, planen, diszipliniert dranbleiben und irgendwann keine Ideen mehr haben. Meine größte Furcht, die ich aber vom Bücherschreiben her professionell zu bekämpfen weiß: Was ist, wenn ich diese tolle Grundidee habe und nachher kann ich die Seiten nicht füllen? Was mache ich, wenn mir das Thema nach 100 Seiten einfach wegstirbt? Autor:innen kennen sicherlich diese Anfangsängste und den wunderschönen Punkt, wenn man so im Fluss ist, dass man weiß: Es trägt. Ich muss allenfalls irgendwann tüchtig kürzen.


An dem Punkt bin ich seit heute. Ursprünglich hatte ich für den Anfang Podcastepisoden von 15 Minuten geplant. Die sind schon voll. Und ich schreibe jetzt einfach locker weg, was mir einfällt, was ich erzählen möchte. Kürzen geht immer. Themen liegen da für ein halbes Jahr und weil ich jedes einzelne selbst so spannend finde, geht mir womöglich der Erzählstoff nicht aus. Aber es ist richtig harte Arbeit. Ich möchte es ungefähr mit der Arbeit an einem Buch vergleichen, es ist nur nicht auf so lange Sicht ausgelegt.


Gleichzeitig etabliere ich die Strukturen, die man sonst so braucht: Website, Plattformen, Grafik, Dingszeugs und Zeugs und Dingens und so. Nature Match Cuts soll nämlich nicht nur Ton haben. Es wird ein Blog dazu geben und für Abonnent:innen auch Extra-Inhalte. Ja, ich mache das richtig beruflich. Das Podcast an sich wird kostenlos sein. Aber diejenigen, die meine Arbeit unterstützen werden, bekommen Extrabonbons.


Ein Gutes hatte die Pandemie für mich: Sie gab mir die Möglichkeit, mich noch einmal umzuorientieren, viel neu zu lernen (Pessimist:innen sagen dazu: Mist, nichts vom alten funktioniert mehr). Und wenn ich das mit dem Podcast durch habe, in dem es ja u. a. auch um Kunst gehen wird, wird Stufe 2 gezündet: Video. Einige von euch hatten schon digitale Kurse bei mir für Art Journals belegt, die ich via Zoom live anbot. Das hakte leider oft daran, dass die Termine nicht für alle passten. Und Zoom Menschen kreativ auch unter Druck setzen kann, man hat ja nicht auf Knopfdruck Ideen zum Selbstmachen. Da erarbeite ich parallel ein Digitalkonzept, bei dem ihr einen Kurs eurer Wahl bucht - und jederzeit und immer dann abrufen könnt, wenn ihr Lust und Zeit habt. In eurer Geschwindigkeit. Das Live-Verschalten gibt's dann als eine Art Schaumkrönchen obendrauf, wenn die Teilnehmer:innen auch so weit sind, dass sie etwas Eigenes zeigen wollen / können und Fragen haben.


Eigenes Tempo auch für mich. Ich bin ja seit Sommer auch endlich wieder "real live" aktiv. Deshalb nenne ich keine Termine und sage nur: 2022 kommt das alles. Wenn's die Pandemie zulässt, auch ab Frühjahr im Kulturerbezentrum vor Ort. Aber ich verlasse mich nicht mehr auf die Pandemie und diesen miesen fiesen Knilch von Virus. Spikes kann ich auch ausfahren! Die bestehen darin, mich möglichst unabhängig aufzustellen, digital. Und in der ersten Episode des Podcasts wird es unter anderem um Stacheln gehen! Ich hatte nämlich einen im Finger, als ich mir das Thema ausgedacht habe.

21. November 2021

Wider das Bananenbrot

Ziemlich durchgeknallte Zeiten, in manchen Ländern etwas mehr als in anderen. Ich kann nur fassungslos den Kopf schütteln, was im Nachbarland geschieht, wie es geschieht, denn es betrifft mich ja indirekt - Familie, Freunde sind den explodierenden Fallzahlen ausgeliefert. Und ich bekomme manchmal Nachrichten: "Klasse, dass es dir so fantastisch geht. Hab ich auf Instagram gesehen." Ungläubig schaute ich auf Instagram nach, wie es mir gehen könnte.

 

 

Der schöne Schein von Instagram! Bilbos Pelz glänzt, man sieht ihm die OP und all den Stress nicht an, der schon wieder "ewig" zurückzuliegen scheint. Alles scheint in diesen Zeiten "ewig", ich verwechsle sogar Jahreszahlen. Den Naturphotos sieht man es nicht an, dass sie teilweise aus einem Sperrgebiet stammen, einem ehemaligen Erdölfördergebiet, hochbelastet im Untergrund mit all der in den 1960/70ern entsorgten Chemie. Ich mache diese Fotos für ein berufliches Projekt, nicht als instagramgeile Reise.

 

All das Werken und Basteln und die Kunst zeigen nicht, dass ich das alles für eine völlig irrsinnig scheinende Hoffnung mache: um vielleicht endlich im Frühjahr 2022 damit auch öffentlich starten zu können. Noch träume ich den Traum von einem kollaborativen Kunstprojekt mit anderen Menschen! Die Fotos auf Instagram zeigen nicht, dass uns reihenweise Veranstaltungen wegfallen, weil nicht genügend Leute kommen und weil vor allem die so wichtigen Tourist:innen fehlen und die Kurzausflügler:innen aus Deutschland. Sie zeigen nicht, dass viele Menschen mittlerweile zu erschöpft sind für Kunst und Kultur, aber auch einfach entwöhnt oder zu arm. Dass es weniger Ausstellungen gibt, weil die Institutionen durch weniger Publikum weniger Budget haben. Ja, Künstler:innen können immer Kunst machen, solange sie noch können ...

 

In Frankreich geht es uns dank hoher Impfquote noch vergleichsweise gut, aber die Angst wächst, was aus dem Ausland herschwappen könnte, wir sind erst am Anfang mit dem Boostern. Theoretisch hätten wir in der reichen EU mit all den Impfstoffen die Pandemie jetzt in den Griff bekommen können, wenn alle rücksichtsvoll, vernunftbegabt und altruistisch (eine Eigenschaft, die ich zunehmend vermisse) an einem Strang gezogen hätten. Wenn wir Radikalisierungen nicht so aus dem Ruder hätten laufen lassen. Denn die Drahtzieher sind ja nicht "dumm" (da reden wir uns nur was klein), sondern extremistisch: Mit größtmöglichem Chaos, Leid und Mürbemachen wollen sie Demokratie schwächen. Was haben wir eigentlich vom System Trump gelernt, außer dass man es nachäffen kann?! Wir schauen weg, quatschen uns in Social Media in Erregung oder lachen uns schief. Genau das wollen solche. Wir? Nein, natürlich nicht wir alle. Aber viel zu viele von denen, die uns offiziell vertreten. Ich empfehle zum zigsten Male die Lektüre von Umberto Ecos "Urfaschismus". (Als "Der ewige Faschismus" bei Hanser erschienen)

 

Hätte hätte Fahrradkette. Menschen menscheln. Eine Menschheit, die nur nach dem Wahren, Schönen und Guten strebt, ist ein Ideal, keine Realität. Und das sapiens beim Homo halt auch nur ein von Menschen vergebenes Adjektiv. Und darum ist jetzt, wie Hundler sagen würden, die Kac.ke am Dampfen. Und das in einer Zeit, in der wir alle wohl mehr oder weniger am Anschlag leben, mit mehr oder weniger Glück oder auch Verdrängungsfähigkeiten. Zu all dem Unmus mit Artensterben, Klimawandel und Pandemie kommen ja weiter all die privaten Probleme, die im Alltag unter erschwerten bedingungen zu meistern sind: von der Vereinsamung junger Leute über Pflege von Angehörigen bis hin zur "stinknormalen" Erschöpfung. Und die kann, wenn man nicht arg auf sich acht gibt, durchaus gefährlich werden.

 

 

Darum die ganz handfeste Frage: Gibt es irgendwelche Rezepte, das alles zu überstehen, ohne zusammenzubrechen? Wie können wir für uns, wenn wir den trügerischen Hochglanzglitter von Instagram beiseite lassen, etwas Gutes tun, unsere psychische Befindlichkeit pflegen? Hilft uns das zigste Bananenbrot?


Der erste Schritt, der hilft: Es zugeben! 

Erinnert vielleicht verdächtig an die Treffen von Anonymen Alkoholiker:innen, ist aber ein persönlich oft schwerer und doch hilfreicher Schritt. Sibylle Berg macht es in ihrer Kolumne mit dem Titel "Ich kann kaum noch" vor, wie fest wir gelernt haben, nur ja nie Schwäche zu zeigen. Sie gibt es zu und sucht auch nach Rezepten fürs Weitermachen, die dann individuell verschieden sein mögen. Weg vom schönen Schein. Meine Instagrambilder sind "schön", das ist dieses Medium. Nur wenige Accounts bilden schnöde oder gar hässliche Wirklichkeit ab. Aber der Frau, die diese Fotos macht, geht es eigentlich nicht gut: Ich kann nämlich auch kaum noch. Lebe am Anschlag meiner Kraftreserven. Hangle mich von Tag zu Tag. Werde aggressiv und fluche mir einen ab, wenn ich Leute sehe, die keine Rücksichten mehr nehmen und alles zu zerstören suchen. Ich werde hochaggressiv, wenn ich sehe, wie solche Gruppen Journalist:innen angreifen, Ärzt:innen, Pflegepersonal. Und das tut mir wiederum nicht gut, weil ich ja damit allein bleibe.

 

Der zweite Schritt ist auch verdammt schwer: Nein sagen lernen.

Grenzen setzen und offen kommunizieren.

Wer am Ende seiner Kräfte ist, braucht Frei- und Heilräume für sich selbst. Es nützt den besten Klimaaktivist:innen nichts, wenn sie im Burnout oder der klinischen Depression landen. Die Kündigungsrate bei Pflegepersonal wird in den nächsten Jahren exponential steigen - diese Menschen hätten wieder Kraft, wenn unsere Gesellschaft sie nicht unter absolut miesen Arbeitsbedingungen ausbeuten würde und mit einem Klatschen abspeisen wollte. Die Leute können nicht mehr, haben aber nicht die Möglichkeit, im täglichen Betrieb Nein zu sagen. Leben müssen gerettet werden. Dann kommt eben irgendwann das ganz große Nein, zu einem sehr hohen Preis.


Konditionierungen machen es vor allem Frauen nicht leicht. Kleine Mädchen werden zum Kümmern erzogen. Das schlechte Gewissen, wenn die Aufopferung nicht vollkommen ist, das ist schon eher Domptage als Erziehung. Aus solchen selbstzerstörerischen Mustern herauszukommen, kann verdammt schwer sein. Aber es lässt sich lernen (auch mit Hilfe von außen). Ich weiß, wovon ich rede, weil ich in einer Betreuungssituation gerade gelernt habe zu sagen: Ich gehe nach 20 Uhr nicht mehr ans Telefon. Punkt. Ich habe das Recht auf diese Ruhe und kein schlechtes Gewissen. Welche Befreiung war das zu sehen, dass es wirkt! Die Grenze war schlicht nur deshalb überschritten worden, weil ich es vorher mit mir machen ließ. Weil ich meine Grenze nicht klar und deutlich kommunizierte.


Manchmal muss man in einer Notsituation über die eigenen Grenzen gehen. Und man steckt das weg, wenn es nur sporadisch passiert. Wer das zur Regelmäßigkeit macht, landet im Helfersyndrom, im Burnout. Und damit steht man dann plötzlich sehr alleine da.


Es ist also richtig zu sagen: Ich kann nicht mehr. Und zu kommunizieren, wo die Grenzen sind.
Ob das Freizeit ist, die ungestörte Stunde. Oder einfach mal die Entlastung im Haushalt, ein anderes Umgehen mit dem Homeoffice, der Mut, Alltagsarbeiten liegen zu lassen. Es muss in Ausnahmezeiten nicht alles perfekt sein. Wir müssen kein Instagramleben führen.


Was tut uns gut?

Sind wir so weit gekommen, können wir uns Gedanken machen, was uns gut tut, wieder aufhilft. Wo wir verschnaufen können, Kraft schöpfen. Einfach mal was Schönes haben, etwas Glück empfinden. Wenn das der sogenannten Psychohygiene dient, hat es mit Egoismus absolut nichts zu tun. Sollte also auch kein schlechtes Gewissen machen. Wir haben ein Recht darauf, uns um unsere Psyche genauso zu kümmern, wie wir das auch mit dem Körper machen.


Bevor ich jetzt mit Tipps wie Stricken (ich hasse Stricken) oder Sprachenlernen (mein Hirn ist auch mal müde) komme, hier lieber ein paar Tipps, was man vermeiden kann:


  • Setzt euch nicht unter Druck mit Vorsätzen. Kennen wir von Neujahr: Das bringt nur Frust.
  • Nichtstun ist auch eine Tätigkeit. Oder einen Baum anstarren. Vögeln am Futterhäuschen zuschauen. Schlafen. Herumfläzen. In belastenden Zeiten kann das herrlich die inneren Akkus aufladen.
  • Fangt also klein an. Man stampft nicht mal eben drei neue Hobbies aus dem Nichts.
  • Eskapismus hilft (muss ja nicht für immer sein). Man kann damit abschalten, egal, ob mit Daddeln, Netflix oder Meditation.

Schaut, dass ihr Ansprechpartner:innen habt. Reden hilft. Leute zum Klönen oder auch zwischendurch mal ein Problem betrachten. Und da ist es in einem weiteren Pandemiewinter zunächst nicht ausschlaggebend, über welches Medium man kommuniziert. Auch gemeinsames Kaffeetrinken via Zoom oder Skype kann richtig gut tun!


Carola Wolff hat feine praktische Ideen, dort in den Kommentaren habe ich noch zwei Ideen von mir beigesteuert - hier zu lesen.

23. September 2021

Wie kommt man ins Konstruktive?

Ich habe es seit der Pandemie nicht so mit Kalendern. Nicht nur, dass ich seit 2019 alle Jahre durcheinander werfe. Als ich gestern meine Terminaufzeichnungen seit Anfang 2020 durchgehen musste, bin ich richtig erschrocken: Absolut aberwitzig, was ich in dieser kurzen Zeit alles erlebt, durchgemacht und ausgehalten habe, um in meinem Alter nochmal "völlig neu" durchzustarten (gleichaltrige Bekannte reden derweil davon, dass sie ihre Rentenzeit nicht erwarten können). Und das wird jetzt sehr konkret, wobei es nicht wirklich völlig neu ist: Menschen bauen ja auf Erfahrungen auf. Viele fragen mich, wie das funktioniere, was ich vorhabe. Es hat damit zu tun, was mir beim Durchforsten meiner Terminkalender mit tagebuchartigen Notizen auffiel - und das möchte ich gern teilen. Ich glaube nämlich, es ist die wichtigste Fähigkeit für uns alle, um die Zukunft zu bewältigen: Wie kommt man ins Konstruktive?


"In die Puschen kommen" - das funktioniert manchmal am besten dadurch, dass man seine Schuhe mal auszieht, in denen von anderen läuft, öfter wechselt - oder noch besser barfuß auf der Erde steht.

Vor vielleicht 20 Jahren habe ich mir ein Zitat von Max Frisch aufgeschrieben, ohne zu ahnen, wie aktuell es noch einmal werden würde:

Krise ist ein produktiver Zustand. man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.

 

Leicht gesagt. Wie schafft man das in einer Zeit, in der die Katastrophennachrichten aus aller Welt in Echtzeit einschlagen? Während wir*** in Social Media, oft Tag und Nacht eingebunden wie in einem süchtig machenden Spiel, in Empörungswogen untergehen zu drohen, gegen Hass und Gewalt kämpfen ... und schon wieder schlägt eine Welle über uns zusammen, wo wir am liebsten spontan kotzen würden, schreien, schimpfen, uns erregen. Weil es spontan gut tut, befreiend wirkt. Aber bei Wiederholung verändert es uns. Irgendwann schmecken wir nur noch Kotze im Mund. Japsen nach Luft, denn das haben wir ganz schlimm vergessen: das Luftholen. Wir können jedoch nur schwimmen, wenn wir tief atmen. Zuerst einmal geht es darum, aus dieser Welle herauszukommen, den Kopf nach oben zu recken, zu überleben ...

 

Und dann? Wo schwimmen wir hin? Können wir uns noch orientieren oder schwimmen wir einfach gedankenlos anderen nach? Wohin wollen wir selbst eigentlich?

 

Genau das ist der Punkt, der so kinderleicht klingt und doch am schwersten zu erreichen ist: Wir können in dieser Welt etwas anders machen und wahrscheinlich auch bewirken, wenn wir nicht kopflos riesigen bequemen Grüppchen nachschwimmen, die einfachste, ja verdächtig einfache Lösungen versprechen, nur weil sie die eigene Angst nicht zugeben wollen oder schlicht machtgeil sind. Wir brauchen erst mal eine eigene Karte im Kopf!

 

Es ist wie beim Erschaffen eines Kunstwerks, bei dem man bekanntlich auch sehr allein ist: Es hilft, sich ruhig und abgeschirmt auf eine einsame Insel zu setzen, den Wellen zu lauschen und der Brise in den Blättern eines Baums. Blöd an der Sache ist nur, dass man die nirgends buchen kann und auch nicht kaufen. Die muss man nämlich in sich drinnen bauen. Und das bei all dem Lärm drumherum? Wie habe ich das eigentlich geschafft, zu dieser Karte im Kopf zu kommen?

 

Ich möchte konkret werden: Bei meiner künftigen Arbeit wird es um Klimakrise und Artensterben gehen - oder positiv ausgedrückt: um Klimaaktion und Artenschutz. Noch positiver ausgedrückt: Um diese leidenschaftliche Faszination und Liebe, die wir für diesen Planeten empfinden können, so tief, dass wir einfach handeln müssen, dass es normal wird, sich für das zu engagieren, was man liebt. Ich möchte auch Inspirationen und Hilfen geben, wie man die eigene Perspektive dahingehend verändern kann. Knallharte Sache: Von Doom & Gloom und "die Welt / Menschheit geht eh unter" hin zum Konstruktiven: "Ich nehme die katastrophalen Zustände wahr, sehe aber die Möglichkeit zu handeln. Und ich muss das nicht allein tun, weil das niemand allein schafft." Eine lebbare Zukunft schaffen wir, wie es uns andere Lebewesen vormachen: gemeinsam, vernetzt, solidarisch, miteinander teilend. Da kann man sogar Social Media gewinnbringend dafür nutzen. Und vielleicht hilft euch der ein oder andere Tipp?


Schafft euch reale Inseln zum Durchschnaufen. Mediale Dauerbeschallung tut genauso wenig gut wie alles monomane Tun. Es ist der berühmte Ausschaltknopf, das Abschalten von der Arbeit oder vom Alltag. Sich einmal aus der Tretmühle herausnehmen und schauen, was passiert, wenn man eine Weile nicht teilnahm: Genau genommen nichts. Man lebt immer noch.

Wie man das erreicht, ist individuell absolut verschieden. Diese Pflege der eigenen Psychohygiene funktioniert dann am besten, wenn sie regelmäßig ist und man sich in belasteten Situationen auch mal mehr gönnt. Zehn Minuten regelmäßiger Komplettentspannung helfen also mehr als ein einmaliges, wochenlanges Social-Media-Fasten. Die einen werden es brauchen, alle Kanäle komplett abzuschalten, für immer. Wenn aber die Nachteile überwögen, ist es besser, so lange abstinent zu sein oder feste Zeiten einzuhalten, bis man wieder die eigene Mitte gefunden hat und weiß, was man damit machen will. Man muss nichts abschaffen, aber wissen, wie man damit umgehen möchte. Medienkompetenz.


Ballert euch nicht nur mit Katastrophennachrichten zu. Selbst wenn die Welt in 30 Minuten unterginge, habt ihr das Recht dazu, euch wieder zu erholen, wieder Atem zu schöpfen. Ihr habt das Recht dazu, selten dämliche und schnulzige Filme anzuschauen oder laut die Musik zu hören, die eure Eltern schon immer in die Flucht geschlagen hätte. Menschen brauchen Ausgleich - holt euch den. Und vermeidet besonders alarmistisch-polarisierende Quellen, denen es nicht um Sachlichkeit geht, sondern um Quote und Likes. Was viele selbsternannte Prediger:innen vordergründig in Social Media nicht mehr verstehen: Die ganze Bandbreite des Menschseins gibt uns erst Kraft, zu handeln.

Ja, wir müssen trauern und wütend sein und sollten es tatsächlich kaum noch aushalten, wie wir mit diesem Planeten umgehen. Das ist so wichtig für die Aktion! Wir müssen aber auch miteinander lachen, genießen, das Leben lieben, Quatsch machen, herumdödeln, spielen. Das brauchen wir, um nicht durchzudrehen und nicht zu resignieren. Und das wiederum brauchen wir, um nachhaltiger Aktivist:in zu sein, nicht zu früh in den Burn Out zu geraten. Wer auf sich achtet, wird irgendwann ein Gleichgewicht finden zwischen seriösen, wissenschaftlich untermauerten Fakten, dem Blick in einen möglichen Abgrund - und der Kraft des Handelns, der Sicht auf Möglichkeiten und Lösungswege.


Arbeitet an eurer Erregungsspirale. Ist verdammt schwer. Ich habe für mich den Spruch drauf, dass ich mich bei bestimmten Themen in Social Media oder wenn mich etwas zu sehr antriggert, am besten erst einmal auf meine Hände setze, damit ich sie nicht zur Tastatur bringe. Aber du schreibst ja dann doch über diese Themen, sagen dann manche. Ja, mache ich, weil mir bestimmte Themen wichtig sind. Aber tatsächlich setze ich mich zuerst auf meine Hände, ganz real. Und während mein Hinterteil dann so unbequem auf dem Stuhl herumwackelt, zwinge ich mich zum Nachdenken:

Was erreiche ich, wenn ich jetzt diesen Erregungspost absetze? Wessen Stimme verstärke ich? Agiere ich wirklich von mir aus - oder re-agiere ich nur? Hat mich das, was mich erregt, vielleicht sogar schon instrumentalisiert? Muss die Welt zigtausendfach erfahren, was Vollpfosten XY abgesondert hat? Und da ist eine Frage, die man sich eher seltener stellt, die mMn aber am wichtigsten ist:

Wieviel Aufmerksamkeit ziehe ich jetzt wieder von der "guten Seite" ab, von den Menschen, die wirklich etwas besser machen, bewirken wollen? Wieviel Energie und Text schenke ich dem Vollpfosten anstatt einer leiseren Stimme? Genau darum polarisieren die Vollpfosten ja, damit sie Lautstärke erreichen. Seriöse und integre Menschen schreien eher seltener. Wessen Stimme aber will ich verstärken?

 

Auch hier sind die Wege individuell verschieden und der Situation angepasst. Aber gerade in Social Media gibt es viele Tricks, sich nicht zum Propagandainstrument machen zu lassen. Etwa, indem man nicht retweetet, sondern nur Screenshots zeigt, damit der andere nicht durch Klicks in den Algorithmen steigt und damit noch mehr Aufmerksamkeit bekommt. Oder man dreht die Sache radikal um: Jemand greift z.B. mit einem Satz die Demokratie an. - Ich zitiere den jetzt gar nicht. Sondern denke nach. Wie kann ich positiv genau das verteidigen, was dieser Mensch angreift? Dann texte ich aktiv das meine und kann den anderen nonchalant nur erwähnen, als Vollpfosten oder armes Hascherl. Alle anderen werden wissen, worauf ich mich beziehe. Aber da ist jetzt eine konstruktive Aussage, die das stärkt, was der Vollpfosten einreißen will. Die man wiederum verstärken kann (was leider nicht oft passiert, weil die meisten wie das Pawlow'sche Hündchen eher auf Hetze reagieren und weil die Systeme der Plattformen so gebaut sind, dass sie das verstärken, was am meisten "Kommunikation" erntet).


Vernetzt euch mit den "Guten", den Inspirierenden, denen, die etwas weiterbringen und bewegen. Das war für mich am Schwierigsten, weil ich dazu Social Media völlig verquer benutzen musste. Normalerweise ist das ja so gebaut, dass man Leuten folgt, mit denen man nette Worte wechselte, die vielleicht den gleichen Beruf haben oder tolle Hobbies. Leuten, die einem die Algorithen ständig anspülen oder denen der Freund von der Freundin folgt. Manche folgen sogar automatisch. So entstehen Bubbles. So ist das Funktionssystem aufgebaut, so ist es bequem.

Eine Eigenstrategie baute ich auf, als Trump die Welt terrorisierte und immer gefährlicher wurde. Ich legte mir bei Twitter eine Liste an, für die ich aktiv zuerst einmal all die Medien suchte, die ich als absolut seriöse und vielseitige Quelle nutzen wollte. Da beobachtete ich, welche Journalist:innen mir besonders auffielen, weil sie am besten zum Thema beizutragen hatten, mir den Horizont weiteten. Ich habe also ganz aktiv über Twittersuche Namen eingegeben und nachgeschaut, ob die dort sind. Ob ihr Profil auch hält, was ihr Name verspricht. Und denen folgte ich dann. Ein hoher Prozentsatz an Menschen, denen ich folge, fällt mir außerhalb von Social Media auf.


Das Vernetzen. Von da aus machte ich weiter. Und darum mag ich meine Twitterlisten, weil ich so thematisch lesen kann und mir die Algorithmen nicht kreuz und quer Müll reinballern. So gibt es inzwischen eine Liste für ökologische Themen, für faszinierende Wissenschaftler:innen und Wissenschaftsthemen, eine für Künstler:innen, die mich zum Lächeln bringen oder inspirieren, eine für Zukunftsthemen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt: Man kann auch die Liste anlegen "Menschen, mit denen ich dringend quasseln will" oder "Herzschmalz", Podcasts oder Strickmuster.

Inzwischen durchdringen sich die Bereiche, wo ich solche Menschen wahrnehme. Es reicht bis auf meinen Nachttisch, wo sich die Bücher stapeln. Ich erlebe manche in Zoom-Events oder bei virtuellen Konferenzen, wo ich etwas lerne. Schaue bei Zeitmangel später auf Youtube nach oder höre sie in einem Podcast. Und ganz genau so kann ich Menschen bis in mein Leben vor Ort bringen. Ich bin nicht allein da draußen und kann mich austauschen. Weltweit und jederzeit. Wer hat schon im eigenen Dorf so viele Menschen auf einmal, mit denen man über die eigenen Themen wirklich sprechen kann? Und manchmal helfen einem die Digitalkontakte sogar dabei, analog Menschen auf eine neue Weise anzusprechen.


Das alles ist der Grund, warum ich mit dem Blog abgetaucht war. Ich habe die Zeit intensiv genutzt.

Eine Amtsangestellte hat sich kürzlich gewundert, wie ich ihr erzählt habe, wie und wo ich mich in den letzten Monaten weitergebildet habe. Sie bekam regelrecht ungläubige Kugelaugen.

In Frankreich zahlen wir nämlich als Freiberufler:innen eine Fortbildungsabgabe auf die Honorare (bei Angestellten zahlen die Arbeiteger:innen). Dafür hat dann jede/r ein Fortbildungskonto mit Geld drauf - und das kann man dann aktiv nutzen. Blöd nur, dass die Fortbildungsfirmen vom Staat ausgesucht und zertifiziert sind und dementsprechend meist recht altbacken. Da gibt's dann den herkömmlichen Englischkurs zum Pauken. Zum Glück bin ich in einem Alter, wo ich renitent nicht mehr auf die Schulbank muss. Im letzten halben Jahr habe ich so viel gelernt wie schon lange nicht mehr. Und zwar von Menschen, die irgendwo auf diesem Globus sitzen und mir und anderen Dinge erzählen können, die sie einfach am besten beherrschen und nicht, weil sie auf einer Behördenliste stehen. Und es ist wie beim Reden über Bücher: Manchmal findet man vor Ort Menschen, die plötzlich fragen: Was, du warst auch bei dem Zoom-Meeting!? Schon ist man miteinander im Gespräch.


Das ist der andere Punkt: Ich habe endlich wieder massiv und viel Bücher gelesen, die mich inspirieren, wobei ich da leider nicht so viel schaffe, wie ich gern wollte. Auf Twitter werde ich dazu immer wieder Empfehlungen los und vielleicht mal später auch im Podcast, denn ich lese fast nur noch englisch.


Es hat gut getan, sich auszuklinken, gewisse Medienformen völlig gegen den Strich zu bürsten und neben den Algorithmen auch den eigenen Kopf sprechen zu lassen. Spannende Zeiten. Sicher katastrophale Zeiten, aber Menschen können Probleme lösen, wenn sie nur wollen und den Hintern hochkriegen. Und zwar plötzlich!


*** wir als Gattungsbegriff, nicht allgemeingültig.


12. Juli 2021

Öffzl!

Wer täglich im Sprachgemisch eines wilden Europlais rudert, darf sich eine Onomatopoesie aus den Lustigen Taschenbüchern als Schlagzeile leisten. "Öffzl" wird gern von Tick, Trick und Track genutzt, wenn sie mal wieder zu viel für Onkel Dagobert oder Donald schuften mussten. Und weil es auch irgendwie süß klingt, passt es jetzt: Ich bin matschig vor Arbeit, fühl mich aber absolut "sproing", "lechz" und "tänzel" (die letzten beiden, weil Verbformen, sind sogenannte Inflektive, durch den "Erikativ" berühmt geworden ... nur, um diesen Text mal auf Niveau zu heben).

 

Alles Lüge. So sah mein Ateliertisch vor Jahren aus, als ich noch mehr aufräumte als arbeitete. Aber perfekt zur Selbstinszenierung à la Instagram-Influencer, oder? Wahrscheinlich noch nicht clean genug ... Die Wirklichkeit im Moment ist eine chaotische Schweinerei.


Ich will euch heute etwas über schweinsmäßige Arbeit erzählen. Oder warum es wichtig ist, sich genügend Zeit zu nehmen, wenn man völlig Neues aus dem Boden stampfen möchte. Und immer offen dafür bleiben, was das Projekt mir diktiert und nicht umgekehrt.


Vor 20 Tagen bloggte ich, dass nun endlich der Groschen für das neue Podcastprojekt gefallen sei. Aber solche langfristigen Projekte sind wie Bücher, spätestens 20 Tage später überraschen sie mit Kehrtwendungen. In Social Media klingt dann oft alles glatt und easy, aber dann ist es meist reichlich inszeniert. Oder ich mache alles falsch: Die heutige Arbeit gipfelte in dem Ereignis, dass ich auf meinem Tisch im Paper-Art-Atelier zwei Pinselbecher gleichzeitig umgeschmissen habe. Zackzapomm! Zum Glück weder Farbe noch Leim drin. Aber es ist einfach irre, wieviel Wasser in kleine Becherchen passt! Im Moment dient mein trockenstes Zimmer bei hoher Luftfeuchtigkeit als Trockenraum für Ausdrucke, Papiere, Art-Journal-Seiten ... Oberschusselchen darf sich jetzt in den Feierabend bloggen und Kaffee trinken. Das Skript für den Podcast habe ich gerettet. Mit dem stieß ich nämlich die Becher um ...


Ich wusste, dass enorm viel Arbeit auf mich zukommen würde, als ich im Workshop hörte, man solle besser ein halbes Jahr im Voraus alle Episoden zumindestens entwerfen, die man senden wolle, damit einem nicht unterwegs die Ideen ausgehen, damit man auch mit 39 Fieber noch arbeiten könne oder die Ferien überbrücken kann. Wieviel Arbeit es tatsächlich ist - ich sag es mal so: Wenn ich gewusst hätte, wieviel, hätte ich mir selbst den Mittelfinger gezeigt und mir vielleicht einen "vernünftigen" Job gesucht. Aber ich bin ja nicht vernünftig und das ist der Beruf, den ich ganz offiziell gelernt habe.


Heute gab es endlich einen Durchbruch: Die Nullausgabe existiert als zweiseitiges Gekritzel mit bullet points zum Inhalt. Das sieht so aus, als wüsste ich, was ich tue, und das tut gut. Jetzt kann ich endlich an die Feinrecherche gehen, weil ich mir mal wieder das Schwierigste ausgesucht habe: Inhalte statt Herumlabern und Kichern. Sogar knallhart Wissenschaftliches. Und das wird erst dann gut, wenn man es wirklich locker und spannend als Geschichten erzählen kann.


Meine Faulheit ist dabei legendär. Ich habe schon als Kind ungern Vokabeln gelernt und mir lieber fotografisch die Seite im Lehrbuch ins Hirn gescannt. Diesmal höre ich faul  auf den Spreißel aus dem Brombeergebüsch und komme von Spreißel auf Stöckchen. Was ich im letzten Beitrag beschrieben habe, ist längst überholt, umgeplant, mit Abstand betrachtet, logischer. Und passt endlich in ein Grundkonzept, das nun auch gewachsen ist. Da habe ich eine gekritzelte Seite mit Baukästen, aus denen eine Episode aufgebaut sein wird. Intro, Outro, Zwischenrufe, Stories und all das, die Eigenwerbung ... kurzum, das Gerüst. Da will ich, wie gesagt, noch für ein halbes Jahr Themen sammeln.

 

Habe ich schon gesagt, dass das Arbeiten in Zeiten der Pandemie unendlich mühsam ist? Solches Entwickeln lebt normalerweise vom Austausch. Und eine nölende Redaktionskonferenz bringt einen weiter als jede Zoom-Sitzung. Ich fühle mich oft unendlich allein mit der Tatsache, dass ich mich selbst annölen muss. Immerhin muss ich nur noch eine gute Woche durchhalten, dann wirkt die 2. Impfung und ich kann mir wieder Input und Inspirationen unter Menschen holen, an Plätzen mit Kunst und Kultur. Derweil bin ich den wenigen dankbar, die mich per Internet motivieren, denen ich langweilige Fragen stellen darf.


Ich will nicht verraten, worum es in der Nullnummer gehen wird - wer weiß, wie oft ich das noch umwerfen werde. Jedenfalls irritiere ich meinen Hund Bilbo schon kräftig, weil ich den ganzen Tag vor mich hinplappere, um auszutesten, wie lahm ich live erzähle und wieviel ich skripten muss. Monsieur ist irritiert, weil ich Englisch spreche. Und da wird immer behauptet, bei Tieren machten es allein die Gesten und der Tonfall. Aber da müssen wir durch, Bilbo. Auch ich mit meinem Gestammle, wenn ich mal wieder nach einem Wort suche. Zum Glück gibt's Schneide-Software. Die muss ich auch noch lernen, learning by doing.


Und von wegen ich hätte die Hardware nun schon. Bin ich die Einzige, die sich bei so großen Klöpsen nicht entscheiden kann, ob sie nun A oder B oder doch lieber A benutzen sollte? Ich. Muss. Das. Endlich. Bestellen!


Nun recherchiere ich noch ein wenig, ob sich bei der Datierung der ersten Rosen wissenschaftlich etwas getan hat und wie die Welt damals aussah (ja, ich bin die mit dem Rosenbuch, aber die Forschung bleibt nicht stehen). Außerdem will ich wissen, wieviele Spezies so ein einzelner Heckenbusch ernähren kann und wer dort alles herumkreucht, was die miteinander treiben. Während die großen Cracks der Naturdoku Treibstoff bis Feuerland oder in die Antarktis verpuffen, reise ich mit der Lupe in Nachbars Thujahecke, aber hallo! Die Story von den Göttlichkeiten, die besser nicht barfuß gelaufen wären, steht (Hommage an den Spreißel). Ich habe eine völlig verrückte, episodenweise zu variierende Idee fürs Intro, die mir kam, als ich mich an völlig verrückte Kleinstsender in der irischen Pampa erinnerte und anderes Hinterwäldlerradio. Es wird daneben noch ne Menge anderes spannendes "Zeugs" geben! Und natürlich ein Outro. Öffzl.

22. Juni 2021

Der Spreißel ist raus!

Freudengebrüll. Endlich. Es war eine verdammt schwere Geburt. Die Wehen: Selbstzweifel, Hitzenebel im Hirn, Versagensängste. Dann dieses "du kriegst diese Themen nie und nimmer zusammen, das ist zu schräg, die passen nicht!" Zum Glück kenne ich diesen Zustand, in dem ich unleidlich werde, vom Bücherschreiben. Es ist diese Phase zwischen einer noch schwammigen Idee und dem Ausformulieren des Exposés für die Agentur. Das Bangen, ob dort der Daumen hoch oder runter geht. Die Selbstzweifel in dieser Phase sind relativ gesund: Sie helfen, das Beste zu geben. Aber auch, nicht größenwahnsinnig aufzutreten und sich innerlich darauf vorzubereiten, falls es schief läuft.


In meinem Kopf summten seit langem ungeordnet die Gedanken und ich kam einfach nicht zu Potte. Jetzt endlich mit der Abkühlung draußen sind sie bienenfein. Traditioneller Bienenkorb im Maison Rurale, der mit Brombeerranken gebunden wurde.


Es kam, wie es immer kommt, durch offene Sinne, intensive Wahrnehmung und irre viel Zufall. Ich las bei der Morgenlektüre einen Satz, in dem ein Teil meines zweiten Themas in einem Buch neben dem ersten stand. Ha, es geht also, das zusammen zu denken! Es dudelte Pink Floyds Meddle und gurgelte der Wasserkocher, während ich im Affenzack ein riesiges Stück Papier mit meinem Konzept füllte. Das floss nur so heraus. Wie ein Puzzle fügten sich die angeblich nicht passen wollenden Teilchen zusammen und der Kaffee war rechtzeitig fertig für diesen einen einzigen Satz, den ich für mich immer schreibe, um ein neues Projekt zu pitchen.


Dann ein scharfer Schmerz im Zeigefinger, kurz, aber mächtig. Der Spreißel, der dort seit einer Woche saß und den ich nicht herausbekam, meldete sich. Das Ende eines Brombeerstachels, der die Zeit meines Haderns und Zauderns begleitet hatte. Er schaute aus der Haut heraus, schob sich von selbst nach draußen. Alle Probleme gelöst - Spreißel draußen.


Und was macht die vom Stachel und den Sorgen Befreite? Denkt über den Spreißel und die Brombeeren nach und hat schon wieder eine tolle Geschichte auf Lager. Einfach mal auf die Brombeere gehört, die sich hier gerächt hatte, weil ich sie rodete. Es fängt an, ich bin "drin". Die angenehm abgekühlte Luft und der sanft rieselnde Landregen tun ihr Übriges: Ich notiere mir die Finger wund. Muss ich aber auch, ich brauche viel viel Stoff im Voraus.


Ach ja, die Brombeeren. Es gibt bei uns einen uralten Bauernspruch, dass nach einer besonders reichen Brombeerernte der Winter besonders kalt würde. Kann man als Aberglauben abtun. Kann man drüber lachen, weil es heutzutage meist nicht hinhaut. Wenn man aber nachschaut, warum die Pflanze in manchen Jahren mehr oder weniger trägt, kommt man auf die Bestäuberinnen und die Konditionen für deren Arbeit. Die Früchte bilden sich nämlich nur bei Befruchtung aus. Und schon springen wir mit dem Spruch in ein ungeheuer modernes Thema: Klimawandel und Artensterben.

 

Es ist nämlich nicht etwa der Spruch, der blöd oder unsinnig wäre - er ist schlicht eine in Worte gefasste Beobachtung früherer Menschen, die eng mit dem Wechsel der Jahreszeiten und Natur zusammenlebten, die darauf angewiesen waren, die Natur genau zu beobachten. Die womöglich selbst Bienen hielten, wie das oft in traditionellen Höfen der Fall war: Mensch und Biene lebten zusammen, verbunden durch mythische Erzählungen wir räumliche Nähe. Selbst die Bienenkörbe wurden mithilfe von Brombeerranken hergestellt, aus Gründen. Der Spruch funktioniert nur deshalb nicht mehr, weil das Klima sich brutal verändert hat und die Zahl der Bestäuberinnen extrem schwankt, durch Menscheneinflüsse. Die tiefe Wahrheit dahinter zwischen den Verbindungen, dem Miteinander, der Gegenseitigkeit - die gilt noch heute. Ist aber offenbar verschütt gegangen.


Kurzum, der Groschen für mein Podcastprojekt ist endlich gefallen. Am Wochenende entscheide ich mich fürs Equipment und bestelle es. Richte mir eine kleine Studioecke ein. Die Hauptarbeit beginnt schon heute: Themen sammeln, Episoden planen, recherchieren, das Gesamtkonzept erstellen. Titel suchen, Logo kreieren, Technik und Plattformen etc. planen. Website endlich mal neu aufsetzen.

 

Anders als beim Bloggen ist das jetzt richtig harte journalistische Arbeit. Und sie macht verdammt viel Spaß. Der Themenspagat: Ich will Natur, Kulturerbe und Kunst zusammenbringen. Freue mich schon auf die kühleren Tage jetzt, um einmal ohne Menschenmassen wieder durch unser Kuturerbezentrum zu streifen, denn da verstecken sich die tollen Geschichten in jedem Winkel, in jeder Schublade. Und ich darf die als Mitarbeiterin ja aufziehen.

18. Juni 2021

Auf die Wiesen hören

Lange vor der Jahrtausendwende hatte ich einen Klartraum, der mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht. Die Bilder begleiten mich, so farbig und lebendig, als wäre es echt gewesen. Ich sah mich in dem Traum selbst als alte Frau. Sitzend in einem selbstfahrenden Wagen mit anderen Menschen, die viel jünger waren. Zu der Zeit schien die Erfindung selbstfahrender Autos noch Science Fiction. Ich erinnere mich, dass ich mich im Traum wunderte: über mein Alter, über die Sitzplatzanordnung. Alle schauten zu den Seitenfenstern hinaus, nicht nach vorn.

 



Und was wir sahen, tat mir in Herz und Seele weh. Unendlich weite grüne Flächen, deren Monotonie nur von immensen Strommasten und Überlandleitungen unterbrochen wurden. In dieser Außenwelt schien es nur den Strom zu geben und dieses völlig gleichförmige Grün. Die Mitfahrenden fanden es idyllisch - es habe schon einmal kahler und schlimmer ausgesehen, erzählten sie. Und ich als alte Frau erzählte den Jungen von früher. Von damals, als Wiesen noch bunt waren und aus mehr als einer einzigen im Labor gezüchteten Grassorte bestanden. Ich fand kaum die richtigen Worte: Wie sollte ich ihnen Schmetterlinge und Käfer und Insekten beschreiben, diese vielfältige und bunte, brummende, summende, zirpende Vielfalt? Sie hatten ja noch nie ein Tier gesehen, dass in der Luft fliegen kann! Diese zukünftige Welt war so still, nicht einmal die Fahrzeuge machten Lärm.


Wie gesagt, diesen Traum hatte ich sehr lange vor dem Jahr 2000. Er schien mir zunächst nur deshalb so eindrücklich, weil ich mich selten selbst im Traum sehe und weil das wie Science Fiction wirkte oder wie eine Vision. Aber je mehr wir uns einer solchen Zukunft nähern und täglich beim Artensterben regelrecht live zusehen können, desto weniger lässt er mich los.


Ich will nämlich nicht eines Tages von Wiesen erzählen müssen, weil es sie nicht mehr gibt. Ich will von ihnen erzählen, während es sie noch gibt. Und dann der Klick im Kopf: Ich will jetzt von Wiesen erzählen, um vielleicht etwas dazu beizutragen, dass wir und die Nachkommenden nicht in dieser tristen ausgeräumten und künstlichen Fata Morgana von "Natur" leben müssen. Jetzt können wir nämlich das Ruder noch herumreißen. Aber wir müssen das jetzt tun.


Verrückt, was einem beim Planen eines Projekts so alles durch den Kopf geht. Aber dass ich auf dem richtigen Weg bin, erkenne ich immer daran, dass scheinbar zufällig das Thema überall auftaucht.


Mit Zufall hat das natürlich eher weniger zu tun. Ich nenne es den "Badewanneneffekt", denn Dorothy L. Sayers hat den Vorgang in ihrer Kurzgeschichte "Der Mann, der zuviel wusste" meisterhaft umgesetzt. Ein Mann namens Pender fährt im Zug und ärgert sich über einen schlechten Krimi. Kein Wunder, dass er sich von einem Mitreisenden ablenken lässt, den Krimis anöden. Es entspinnt sich ein Gespräch über schlecht gemachte Kriminalromane - und über den perfekten Mord. Mr Pender ist natürlich ganz der Skeptiker seiner Zeit und steigt irgendwann unbeeindruckt aus. Suspense.

 

Fortan begegnen ihm überall Notizen über Menschen, die immer in der Badewanne sterben. Das hatte ihm doch jener Mitreisende als perfekten Mord angepriesen - ein scheinbar natürlicher Tod in der Badewanne? Mr Pender glaubt derart fest an Zusammenhänge zu den sich mehrenden Zeitungsnachrichten bis ... auch er in der Badewanne liegt. Man nennt das, was ihm zustieß, einen Flow mit verschärftem Fokussieren. Kennen wir alle: Wir lesen etwas scheinbar Kurioses, es berührt uns. Und plötzlich scheint es überall aufzutauchen, wir finden Bücher darüber, Videos, im Bekanntenkreis reden sie auch schon davon. Nun, es war immer da, auch medial. Aber erst jetzt, wo es uns berührt und interessiert hat, achten wir besonders darauf. So funktionieren Kreativität und Suspense (und leider auch Verschwörungserzählungen). Ich benutze es beispielsweise in einer Projektplanungsphase, um die eigenen Ideen zu spiegeln und kritisch zu hinterfragen.


Heute bekam ich via Twitter den Link zu einem taz-Artikel: "Ein ganz normaler Nachbar. Unser gestörtes Verhältnis zur Natur". Der Kolumnist beschreibt eindrücklich die journalistische Déformation professionelle, mit der Natur in den Medien nur noch als Gegenstand von Katastrophen, im Zusammenhang mit Feindseligem (und leider auch als verniedlichter Flausch) vorkommt. Er sucht auf einer Wanderung nach einer neuen Perspektive.


Was mich so erschreckt hat, ist das Ausmaß der Entfremdung von der Natur, das offenbar viele Menschen bereits leben. Als Landei mache ich mir diese Untiefen oft gar nicht bewusst. Und dann erschreckt mich auch ein Satz von ihm als Fazit:

"... sondern sie einfach als Nachbarn wahrnehmen, mal nett, mal nervig, aber man muss mit ihnen auskommen."

Natürlich verstehe ich seine Ironie. Er will die Leute niederschwellig packen. Aber verändern sich so Narrative wirklich nachhaltig? Einen frühmorgens rufenden Kuckuck bringt er dann als Beispiel für so einen "ganz normalen blöden Nachbarn." Er ist damit schon weiter, als viele total Entfremdete, die Natur als schmutzig, gefährlich und störend wahrnehmen, als feindliches Gegenüber - und die gibt es auch auf dem Land. Aber er geht nicht den konsequenten Schritt, sein Urteilen über die Natur zu hinterfragen.


Müssen wir wirklich mit der Natur "auskommen"? Sind wir derart getrennt von ihr? Oder muss nicht vielmehr die Natur ganz schwer mit Homo sapiens auskommen, der einfach ökologische Zusammenhänge nicht kapieren will? Wer nervt und schadet denn hier wem? Wer ist der Eindringling? Und ist nicht alles Teil der Natur?


Der Kuckuck hätte so ein Schlüssel sein können: Wir campen in dessen Revier, stören seine Kreise. Wir sind die nervigen Nachbarn, die diesen Fremdkörper aufgebaut haben. Und jetzt setzen wir uns einfach mal hin und lauschen. Vielleicht hören wir, was uns der Kuckuck zu sagen hat? Der Kuckuck könnte so viel erzählen: Von der Bedeutung seiner Rufe, seinem Revierverhalten. Was Menschen mit ihm machen. Wie und warum sie ihn so schlimm dezimieren, in Großbritannien in den letzten 30 Jahren um 60 Prozent, in Niedersachsen ist er als gefährdet eingestuft. Er steht auf der Vorwarnliste der Roten Liste der Brutvögel in Deutschland. Zuerst musste der Kuckuck in alten Legenden und Sprichwörtern für alles mögliche menschenerdachte Schlechte herhalten. Heutzutage geht ihm die industrialisierte Landwirtschaft viel effektiver an den Kragen.


Es ist nicht einfach, zu einem solchen Perspektivwechsel zu kommen, wenn man in einem System groß wurde, dass Menschen als angebliche "Krone der Schöpfung" stilisiert und Kapital und Wirtschaft als Gradmesser allen Handelns sieht. Aber man kann das lernen und üben. Ganz genau so, wie kleine Kinder beim Geschichtenerzählen lernen, in unterschiedliche Perspektiven zu schlüpfen. Es mag ja tough sein, wenn die Prinzessin den Frosch an die Wand klatscht. Aber hat mal jemand gefragt, wie der Frosch dieses Märchen erzählen würde?


Natürlich sind das im Märchen Metaphern und Symbole - ähnlich wie in Träumen und Mythen. Aber wenn wir hier weitergraben, warum genau welche Metapher verwendet wurde und von wem, dann wird es noch spannender, noch schmerzhafter. Mit dem Rollenspiel, dass jede brave Prinzessin sich gefälligst anzustrengen hat, um einen Prinzen zu heiraten, fallen wir in patriarchale Erzählweisen. Der Frosch als das fremde, ach so eklige Wesen, das Prinzessinnen nur mit viel Überwindung küssen mögen (und weil das Gold winkt), erinnert an die Art und Weise, wie wir auch mit Naturgeschichte aufwuchsen: Es mieft der koloniale Modder! Nicht nur Menschenwesen wurden missbraucht. Und der perverse Umgang mit Natur ist sehr verwickelt mit abstrusen Ideologien, die selbsternannte Herrschende für den Sklavenhandel entwickelten, für Rassismus und die irrsinnige Hybris, irgendein Lebewesen könne wichtiger oder besser sein als andere.


Zu weit hergeholt? Keineswegs, ich bringe es nur etwas salopp und schnell auf den Punkt, wozu es zig wissenschaftliche Studien gibt und kluge Bücher obendrein.


Wir bekommen das mit der Klimakrise und dem Artensterben nicht allein mit Statistiken und Infos in den Griff. Wir müssen an unsere Gefühle ran, auch die verdrängten. Wir bekommen die drängenden Probleme nicht gebacken, solange wir uns als Außenstehende neben einem "Gegenüber" von Natur wahrnehmen. Unsere Kultur hat unwahrscheinlich viel zu tun mit unserer Beziehung zur Natur! Erst wenn wir wissen und fühlen, dass diese wunderbare, faszinierende Diversität des Lebens unser Überleben sichert, wenn sie so reichhaltig divers sein kann, haben wir ökologische Räume verstanden. Erinnern wir uns an Mr Pender: Wir verändern unser Handeln in dem Moment, in dem uns etwas besonders berührt hat. Vorher ist es womöglich nur ein langweiliger Krimi über Badewannentote. Gelesen, weggelegt, abgehakt.


Das Ego zurücknehmen, einfach mal zuhören und verstehen lernen, was uns andere Lebewesen zu erzählen haben. Durch Wissenschaft, durch Mythen, durch Erleben. Käfer, Elefanten, von uns verschiedene Menschen, Blumen, Bäume, Pilze ...

 

Es wird zuerst vielleicht wehtun zu lernen, dass ein Wald perfekt ohne Homo sapiens auskommt und viel besser gedeiht. Aber genau dieser Schmerz ist eine Chance zu lernen, wo eigentlich unser Platz sein könnte in einer Zukunft des Miteinanders. Unity in Diversity ist der Wahlspruch der EU. Den sollten wir endlich leben, weltweit, mit allen Mitwesen. Denn erst dann, wenn die uns sehr am Herzen liegen, bekommen wir auch den Hintern hoch. Bevor wir in laborgemachten Ein-Gras-Steppen leben und uns von alten Leuten erzählen lassen, wie wunderbar und bewahrenswert die Welt vor der großen heißen Stille war. Setzen wir uns in eine Wiese und lauschen und fühlen wir. Sie hat uns eine Menge zu sagen über das Miteinander der Spezies und das, was wir ihr antun und was wir besser machen könnten. Jetzt.

12. Juni 2021

Match Cut! Und neue Szene!

Filme sind voll von Perspektivwechseln. Die meisten bemerken wir überhaupt nicht. Aber manche brennen sich ins Gedächtnis. Wer kennt nicht die Szene in Stanley Kubricks "2001: A Space Odyssey", in der Primaten einen der ihren brutalst totknüppeln. Es haut immer noch einer zu, bis einer von ihnen beobachtet, wie solch ein Knochenknüppel zurückspringt. Er zögert, wirft den Knochen stattdessen hoch in die Luft. Wir sehen den Knochen im hellen Himmel nach oben und wieder nach unten taumeln - Match Cut - der Knochen ist jetzt ein Raumschiff ähnlicher Form im All. Atemberaubend anzusehen, vielsagend in der Deutung.

 

Wäre das ein Video, könnte man einen Match Cut aus den Rundungen konstruieren. In der nächsten Szene wären die Orangen Killertomaten, die Espressotasse läge zerschlagen auf dem Tablett, die Tomaten würden ins Unermessliche wachsen.


Andere berühmte Regisseure haben diese Art von Perspektivwechsel eingesetzt: In Hitchcocks "Psycho" wird vom in den Abfluss wirbelnden Blutwasser direkt auf ein anderes Rund geschnitten: das offene Auge der Ermordeten. In "North by North West" haben die Zuschauer:innen noch nicht ganz aufgeatmet, als Cary Grant Eva Marie Saint am Mount Rushmore mit dem Arm hochzieht, um sie zu retten - schon zieht er sie im Zug mit der gleichen Geste hoch. Hitchcock spart sich damit eine Menge Liebesgefasel nebst Heiratsantrag und nimmt uns noch einmal den Atem, weil die Feinde von vorher plötzlich aus einer völlig anderen Perspektive zu sehen sind. Match Cut nennt man diese Art des nicht ganz einfachen Schnitts, bei dem ein Element der vorherigen Szene in der nachfolgenden wiederholt, aber völlig verfremdet wird.


Dieser Schnitt löst einen Klick im Kopf aus: neue Perspektive. Ich habe lange überlegt, womit ich den Effekt beschreiben könnte, dem man in der Kunst und beim Artjournaling ständig begegnet. Man sieht etwas: Farben, Texturen, Formen, Komposition. Und plötzlich sieht man etwas völlig anderes mit genau diesen Einzelheiten. Und legt los. Ich habe hier bei Instagram ein Beispiel, wie ich mit der zufällig entstandenen Rückseite einer Artjournal-Seite umgehe, um sie mit dem Vorhandenen völlig neu zu gestalten. Manche sagen, man brauche für so etwas den "künstlerischen Blick" (was auch immer das sein mag), manche lesen - ziemlich vergebens - zig schlaue Kunstanalysen. Denn was dahintersteckt, kann jede und jeder von uns: Mit Intuition und Empathie die Perspektiven wechseln! Einfach mal versuchen, ein Ding ganz anders zu sehen, als es scheint. Sich nicht irre machen lassen von Farben oder Formen. Nicht zu krass kaputt analysieren.


Manchmal möchte ich in Social Media das Match-Cut-Teufelchen spielen. Jemand behauptet vollmundig ein Pauschalurteil. Am schlimmsten reizen mich die Selbstgerechten, die Genussverächter und Lebensfeinde. Ich mach's dann nicht, weil genau diejenigen solche Cuts gar nicht verstehen würden.


Beispiel: Jemand schreibt, dass er endlich mal wieder schwimmen war. Der Dumpfbrumm an Spontankommentaren (natürlich meist von Leuten, die den Kontext nicht kennen) ist unerträglich. Man ballert dem Lebenslustigen eins rein, dass er andere gefährde mit dem Virus, ob er hoffentlich den Sicherheitsabstand eingehalten habe. Dass der Wasserverbrauch die Erde zerstören werde und wegen ihm der Wald verdurste.


Match Cut: Den jungen Mann zeigen, wie er mühsam das Chlorwasser ausschöpft, zum Wald trägt und Eichen gießt, die in seiner Region aber saftig im Regenwasser stehen. Vielleicht verzichtet er auch auf die Flugreisen in den Karibikurlaub, die er früher liebte? Oder von oben filmen: So viel Wasser um den Mann, so wenige Menschen. Ein anderes Bild würde ihn allein im heimischen Kinderschwimmbecken zeigen. Gleiche Szene, wiederholtes Symbol, aber anderes Umfeld. 99% aller Kommentare wären damit das, was sie sind: einfach nur absurd und überflüssig.


Regt sich eine auf, dass ein Politiker frei redet, eine Politikerin ihre Rede abliest. Was will sie damit sagen außer dem beabsichtigten Bashing? Der beginnende Shitstorm spiegelt intelligent das Versagen des Tweets: Obama liest vom Teleprompter ab, der große Redner. Ein berühmter Pianist spielt vom Blatt. Die Bundeskanzlerin redet auch nur ein Weilchen frei. Wie ein Match Cut: Das Motiv wird wiederholt, aber nun in eine völlig andere Szene gestellt. Schon ist der Perspektivwechsel da.


Und das funktioniert auch viel wilder. Erinnern wir uns an die Primaten Kubricks! Was, wenn mir Nachbars Hahn mehr zu sagen hätte als obige Twitterin? Und ist sein Schwein nicht auch genussfähig, wenn es sich bei diesem Wetter genüsslich im Schlamm wälzt und dann in der Sonne liegt? Jemand zeigt das Foto einer Litfasssäule mit einem üblen Spruch. Match Cut denken: Ein Hund pinkelt eben diese Säule an. Schon könnte man auf die Idee kommen, dem Spruch nicht eine extra Bühne zu bereiten (was die Urheber desselben ja provozieren wollen). Und statt dessen vielleicht besser zu pinkeln ... sprich, die Staatsanwaltschaft einzuschalten, die mehr kann als Social Media.


Öfter mal den Cut im Kopf proben. Mit Bildern spielen. Neue Inhalte schöpfen. Dahinter schauen.

Die Killertomaten von oben. Das Messer. Match Cut. Messer mit Titel.



 

Und die schnöde Tatsache: Dieser Beitrag entstand nur, weil ich in einem Workshop gelernt habe, dass man einen Titel besser vorher testet, indem man ihn sehr oft wiederholt. #qed Worum es geht? Das ist noch ... pssssstttt ....

7. Juni 2021

Es ist kompliziert

"When I was a little girl, I had an imaginary friend. And when I grew up, he came back. He’s called the Doctor." So beginnt das berühmte Filmintro mit Amy Pond in der britischen Erfolgsserie Dr Who: Die Kleine hat durch einen Zeitriss versehentlich als Kind den Zeitreisenden in ihrem Zimmer entdeckt und wartet von da an sehnsüchtig auf seine Rückkehr. Während die Erwachsenen sie wegen ihres "imaginären Freunds" von einer Psychotherapie zur anderen schleppen, bastelt sie ihn und seine Tardis, schreibt und zeichnet Geschichten. Sie ist bereits volljährig, als er endgültig zurückkehrt, als sei kaum Zeit vergangen. Bis zu dieser Folge erinnern sich die Fans an eine unvergleichliche Szene der kindlichen Zufallsbegegnungen: Amy ist sieben Jahre alt, da platzt der hungrige Zeitreisende herein. Weil seine Regeneration als 11. Doctor noch nicht abgeschlossen ist, kann er sich nur leider nicht entsinnen, was ihm eigentlich schmeckt. Und so erfindet er, wie köstlich kalte Fischstäbchen munden, wenn man sie in Vanillepudding tunkt (Video).

 

Vom Luftschnappen über Wasser ...

 

Warum ich diese Geschichte erzähle?

Weil ich mir zunehmend wie die kleine Amy vorkomme, die geduldig auf diese imaginäre, einmal selbst erlebte Welt wartet, von der sie überzeugt ist: Die ist echt. Da ist nur so ein blöder Zeitriss, der sie verdeckt. Und weil ich gestern wieder einmal sehr deutlich bemerkt habe: Was wir nach dem Zeitriss der Pandemie brauchen werden, ist sicher jede Menge Psychotherapie. Aber fast noch wichtiger sind Amys kleine Basteleien, die gezeichneten, geklebten, gekritzelten Geschichten, die ihr helfen, an den leugnenden Erwachsenen nicht irre zu werden. Uns droht nämlich neben dem Zeitriss eine zweite Gefahr: das Verstummen.


Ich war gestern zum ersten Mal seit Ich-Weiß-Nicht-Wann wieder unter Menschen. Und zwar unter Menschen, die ich fast ein Jahr nicht gesehen hatte, flüchtig kannte oder gar nicht. Die in Gruppen auftauchten, draußen, drinnen. Selbstverständlich unter den herrschenden Hygienevorschriften und zahlenmäßig begrenzt. Trotzdem empfand ich einen Stress wie früher in einem Rockkonzert, wenn sich Menschenmassen mal bedrohlich eng zusammenknäulten. Es war für mich ein Wechselbad extremer Gefühle, das ich heute noch nicht ganz verarbeitet habe.


Da sind so viele hilflose Momente. Wenn du nur völlig inadequat die Ellenbogen aneinander reiben kannst und es treffen sich Augen über der Maske, die gleichzeitig funkeln vor Wiedersehensfreude, die tieftraurig sind über die Unmöglichkeit, jetzt einfach das zu machen, was ein Menschentier instinktiv machen möchte: Sich in den Armen liegen und ganz lang nicht mehr loslassen. Wärme zu spüren, ein anderes Herz, das klopft, sich die Freude herauszustreicheln. Und dann blitzt die Hilflosigkeit auf in den Augen, da ist dieser Blick, der vom geduldigen Durchhalten spricht und von der Hoffnung. Und immer häufiger die Sprachlosigkeit.


In den Anfangszeiten vor einem Jahr haben wir nicht oft und lange genug über die Pandemie reden können. Alles war so neu und anders. Wir lachten uns kaputt, weil wir beim Händewaschen Happy Birthday sangen, nicht ahnend, wieviele Geburtstage von uns Nahestehenden wir nicht würden feiern können. Wir sprachen über die Kranken und über den Tod oder über die Geräusche und Bilder, die das Wegbringen mit sich brachte: Hubschrauberschrappen, Feuerwehrleute in dystopischen Seuchenanzügen vor Einfamilienhäuschen auf dem Land. Irgendwann verschwanden die Militärmaschinen aus dem Nachthimmel und es säuselte nur noch der TGV durchs Land, nachts, immer nachts, wegen der Ansteckungsgefahr, wegen der Lebensgefahr. Das Wegbringen wurde leiser. Wir ersetzten emotionale Trauer durch eiskalte Statistiken, Familienschicksale durch Zahlen. Wie soll man das auch anders aushalten?


Wissenschaft ist wichtig. Statistiken und Informationen sind wichtig. Aber haben wir die Hilflosigkeit erkannt? Auf Social Media wurde schnell vereinfachend eingeteilt: Da gab es die Informierten mit dem scharfen Verstand. Die Leerdenker und Leugner. Zwischen beiden Fronten aufgerieben wurden die "Gefühlsdusel", die Menschen, die außerhalb der nackten Zahlen mit Tragödien fertig werden mussten: dem Verlust naher Angehöriger oder Freund:innen. Dem Ausbleiben bisher selbstverständlicher Bewältigungs- und Spaßstrategien wie Abtanzen oder Feiern. Zerrieben zwischen den Gegensätzen wurden die Hilflosen mit den Trennungen, dem Trennungsschmerz, die bis heute nicht immer nachvollziehen können, warum ein Land über seine Grenzen so entscheidet und nicht anders. Die Nichtbetroffenen verdrängen. Man hat ja selbst genug zu bewältigen. Das große Verstummen geht um.


Vor etwa einem Jahr machte sich die Welt teilweise lustig über Macrons Kriegsrede. Eine Pandemie ist doch kein Krieg! Heute beginnen wir erst langsam zu begreifen, dass wir auch die "Nachkriegsjahre" überstehen lernen müssen. Und durchaus vom falschen Umgang mit den Gefühlen und dem hochgefährlichen Verdrängen der Generationen vor uns lernen könnten. Im ersten Moment hilft es einem über die Katastrophe hinweg. Aber wenn die posttraumatischen Folgen nicht aufgearbeitet werden, vererben sie sich eines Tages.


Der Mensch ist nicht nur Verstand. Menschen sind auch Gruppentiere mit eher intuitiven Beziehungen, sie haben Wahrnehmungen, Empfindungen, Emotionen. Anders als mein Hund kann ich über Emotionen reden, mich austauschen, daran wachsen, miteinander bewältigen lernen. Es schlagen nicht umsonst Psychater:innen Alarm, entstehen Plattformen selbst für "Unternehmer:Innen in Verzweiflung". Welche Ventile haben wir, im geschützten Raum (Social Media mit ihrer systemischen Hassbeförderung und Verächtlichmachung zählen dazu nicht) die Luft ablassen zu können? Hilflosigkeit und Emotionen zeigen zu können, ohne dafür verurteilt zu werden?


Ich habe gestern erlebt, wie sehr manche gealtert sind in dieser kurzen Zeit. Da spricht aus den meisten diese unendliche Sehnsucht nach Leben und Lieben, die der Verstand allein nicht befriedigen kann. Eine Szene ist für mich so vielsagend gewesen, als eine Bekannte erzählte, dass sie sich lange gesperrt hatte, geimpft zu werden. Diverse Ängste, Unsicherheiten. Sie ist klug, aber der Verstand allein, das Infodumping konnten sie nicht überzeugen. Da war ja noch dieses diffuse Angstgefühl, das nicht weggehen wollte. Sie hat ohnehin eine Spritzenphobie von Kindheit an. Mus sich dann hinlegen, die Augen schließen.


Diese Bekannte erzählte mir dann in einem Atemzug von ihrer Vorfreude, dass es ihr fast zu lange dauere bis zur zweiten Impfung. Sie könne es nicht abwarten. Sie sehne diesen Tag herbei wie als Kind Weihnachten. Ich fragte sie, wie es zu diesem Sinneswandel gekommen sei. "Ach weißt du", meinte sie, "ich will einfach endlich wieder leben! Ich will LEBEN ohne diese viel größere Angst!"


Nicht die Vernunft hatte sie umgestimmt, sondern das Hinschauen auf ihre Gefühle. Die Angst, eines Tages fürs Leben gezeichnet zu sein, selbst wenn sie nicht sterben würde, war plötzlich viel größer als die vor der Impfung. Und als sie sich endlich mit diesen diffusen Emotionen auseinandersetzte, da kamen die Erinnerungen an die Zeit vorher und eine andere Emotion hoch: Lebensfreude und Lebenslust. Sie sah auch bei Freund:innen, welche Lebensqualität wieder einkehrte. Jetzt zählt sie die Tage und macht Pläne. Hat Hoffnung. Ihr Arzt hat etwas sehr Wichtiges geschafft: Er nahm ihre Gefühle ernst. Und sprach mit ihr darüber.


Das derzeitige Verstummen ist eine normale und wichtige Funktion einer verletzten Seele. Und zum Glück bildet es bei den meisten nur einen unzureichenden Damm gegen das Mitteilungsbedürfnis, dem die Befreiung folgt, dass man sich endlich mal wieder etwas von der Seele hat reden dürfen. Dass jemand zuhörte. Einfach nur da war und zuhörte. Bei posttraumatischen Störungen ist das Redenkönnen ein wichtiger Teil der Therapie. Und das müssen wir uns in der nächsten Zeit ganz massiv und immer wieder gönnen.

 

Wir sind keine Gefühls"dusel", wenn wir hilflos kaum aushalten, was es mit uns macht, neben tiefinnerlicher Trauer höchste Freude beim Wiedersehen nach langer Zeit zu empfinden. Wenn es uns dreht und beutelt, ist es gar nicht so dumm, uns wirklich wie wild zu drehen und es herauszutanzen. Herauszumalen, zu kleben, zu basteln wie Amy, in der Erwartung, dass das Leben endlich wieder ein ganzes Leben wird.

 

Lockdown-Emotionen

 

Ich war gestern unterwegs in meiner von oben bis unten bestickten und geflickten bunten Jeans, die zu einem Emotionenmonument der vergangenen Lockdowns geworden ist. Eine Frau war ganz begeistert und meinte: "Ich würde da jetzt zu gern ein Loch hineinschneiden!" Verdutzt fragte ich, warum. "Damit du dieses hässliche, schreckliche Loch auch mit Farbe und Schönheit füllen kannst wie die anderen Löcher zuvor!" Das haben wir jetzt vor uns: die Zeit des Flickens, aber auch Stickens. Es ist ein bißchen wie bei Amy mit Dr. Who: Wir bekommen die früheren Zeiten nicht zurück. Aber einen Zeitriss kann man stopfen und völlig neue Farben und Muster für die Zukunft aussuchen.

4. Juni 2021

Eine neue Ära

Seit heute Nacht steht es fest: Ja, ich will. In guten wie in schlechten Tagen ... einen eigenen Podcast machen. Braucht die Welt noch einen zigdrölfzigsten Podcast? Der Programmchef eines Verlags sagte mir mal: Wenn du das 1001ste Buch über Drachen schreiben möchtest, schreib es. Mach es zu deinem ganz eigenen Ding und so, wie nur du es sehen kannst und niemand anders. So entstand später mein Buch über die Kulturgeschichte der Rosen.

 

Es wird heftigst umgebaut ...



Vom Zustand "Ich hab so ne Idee im Bauch, ganz breiig und diffus" übers Bequakeln mit Freund:innen bis zum Entschluss hilft eine klare Analyse. Denn für Podcasts muss man echtes Geld in die Hand nehmen. Also habe ich einen Kurs des "Masterclass"-Programms vom Guardian belegt. Dieses Programm möchte ich euch ganz allgemein (gibt auch andere Themen) heftig ans Herz legen, wenn ihr euch sicher in der englischen Sprache bewegt - der Kurs war jeden Penny wert. Die Kursleiter, die für die BBC und andere internationale Produktionen arbeiten und Radiomenschen coachen, haben sich perfekt ergänzt. Ich habe in zweieinhalb Stunden mehr gelernt als in zwei Wochen Volontariat. Das Publikum, das Fragen stellte, schien vom Fach, Journalisten, Radiomenschen, Musiker. Und ich hatte ja auch mal eine Weile Radio gemacht bei einem Privatsender, aber das war in der Steinzeit! Damals arbeiteten wir noch mit schweren Klötzen von tragbaren Rekordern und echten Tonbändern. Die Tontechnik war so kompliziert, dass der erste Gang vor dem Senden eines Kurzinterviews der zum Tontechniker war. Ja, Frauen waren damals schlimm in der Minderheit. Wir hatten da noch eine Wetterfee, die Gewitter so erotisch hauchen konnte, dass sie bei einer Datingshow als Stimme unterkam.


In einer vor Informationen und Tipps nur so sprühenden Tour de Force ging's übers Pitching (ich weiß jetzt, wie man für die BBC pitcht) und Scripten zu Hard- und Software, Hosts und Verteilplattformen, Marketing, Monetarisierung (Podcastmachen kostet Geld), Editing, Interviewführung und all die Formen von Podcasts und wie man sie technisch produziert. Immer mit berühmten Beispielen gewürzt - und ab und zu mit einem Clip von "Family Guy", wo Peter findet, er wolle jetzt auch einen Podcast machen, das können ja nicht schwieriger sein, als sich in der Kneipe zu unterhalten. Insofern ist Brian Griffin schuld daran, dass ich mich entschlossen habe ... cooler Typ.


Die Alte in mir war richtig gerührt, zum Interviewen wieder diese alten Tricks von damals zu hören, die man durch viel Menschenkenntnis und Übung erwirbt. Und das Kind in mir kicherte: Als ich damals mit Freunden Donald Duck auf MC-Kasetten in verteilten Rollen vertonte, war das sowas wie ein Ur-Podcast. Der kann auch mal nah ans Hörspiel geraten.


Übers Wochenende muss ich erst einmal eine klare Rechnung aufstellen für die Investitionen. Was mich nach der Tonbandzeit begeistert: Wie man mit kleinsten Mitteln eigentlich ein ganzes Studio in der Tasche trägt. Was allein mit einem Smartphone möglich ist, wenn man unterwegs ist und spontan etwas einfangen möchte ... Und mit welch verblüffend preiswerten Methoden man so bei der BBC arbeitet! Da sah man dann den Kollegen im hallenden, lauten Hotelzimmer mit dem Mikrophon unter einer speziell zugeschnittenen Decke sitzen. Eierkartons an den Wänden waren früher. Selbst mit ollen Bettdecken, die man in eine Ecke stopft, lässt sich erstaunlich Klang produzieren.


Und dann dieser Satz: "If someone has a very strong accent ...." Postproduktion kann solche Sprecher:innen deutlicher verständlich machen. Mein Spontangedanke: Und wenn ich Tag und Nacht üben muss, ich bin zu faul für diese Art Postproduktion!


Das ist die andere Neuigkeit. Ich möchte den Podcast in englischer Sprache produzieren. Ich haderte hier im mehrsprachigen Landstrich, gleich ums Eck die Europahauptstadt, ziemlich lange mit der Sprache. Ich möchte auch Publikum hier erreichen. Mein Thema ist global. Und Deutsch engt es ein. Ich spreche einigermaßen fließend Französisch, habe aber auch Tage, an denen ich herumstottere auf der Suche nach einem Wort, das mir wieder mal nur auf Europlais einfällt, sprich, in allen anderen Sprachen. Ich kann's, aber das bin nicht ich. Mit Englisch öffnen sich so viele Möglichkeiten, spannende Menschen interviewen zu können. Die Französ:innen in meinem Themenbereich können es meist auch.


Übers Wochende werde ich erst mal meine Skripte verdauen und all die Links nachlesen. Es kribbelt mir verdammt stark in den Fingern ... oder sollte man sagen, in der Kehle?

20. Mai 2021

Das kann dann mal weg!

Die "Internetoma" hat heute etwas völlig Neues ausprobiert, technologisch aufgeschlossen und schlicht zu faul und pandemieeklig, um sich in eine ultralange Reihe an der Kasse anzustellen. In einem Hypermarché, der geschätzt so groß ist wie unser Dorf, waren nämlich nur zwei Kassen besetzt. Also probierte ich die "menschenlose" Kasse.

 

Passend zu einem Wunschprojekt der Zukunft habe ich mir eine Arbeitstasche geleistet: Wann findet man schon mal Monsieur Linné und Vintage-Schmetterlinge!


Die war nur für maximal 15 Artikel erlaubt. Aber ich bekam eh, bevor die Zahl erreicht war, den Fluchtreflex eines Wildtiers. Ich fange mal von vorn an zu erzählen ...


So viele schwärmen herum: Musste unbedingt mal hin, riiiiiiiiiesengroß jetzt, Waaaaaahnsinn. Ich hasse riesengroße Hypermarchés, aber ab und zu sind sie praktisch, wenn man kunterbunt Zeug braucht vom Druckerpapier bis zum Akku. Ich hätte gerne Rollschuhe gehabt oder einen Roller: um die Wege dort zu bewältigen. Der Eingang mit Vorhalle eine Kathedrale des Konsums. Verloren stand in der Mitte ein dreirädriges Lastenauto als Deko da. "Bitte nicht berühren" hatte man daran aufgehängt, weil dieses verlorene echte ! Auto den Eindruck eines einsamen Spielzeugs machte, das man dringend streicheln müsse, bis es auch mal groß würde. Ein schöner Anhaltspunkt für den immensen Naturverbrauch, die der "Laden" gekostet hat. Mit überbreiten geräumigen Parkplätzen und zweispurig befahrbar, dafür ohne jedes Grün. Bäume: null. Die überbreiten Gänge, in denen man nun pandemiemäßig übergroßen Abstand halten kann, droschen auf mich ein. Wenn Leere knallt.


Leere knallt, wenn sie konterkariert wird durch einfach nur noch irrsinnige Überfülle. Brauche ich wirklich vier Meter unterschiedliche Shampoos, deren Aufdrucke sich mittlerweile lesen wie Zen-Kräutertees? In denen aber annähernd die gleiche Brühe drin ist! Und was mache ich mit dieser Fülle, wenn ich ewig lange herumsuche nach meiner Sorte - und genau die gibt es nicht? Als der Hypermarché noch ein Supermarché war, bekam ich sie. Gewusst wo, hingegriffen, weiter.


Ich streifte durch ellenlange Keksalleen, bis sich meine Zunge klebrig anfühlte, rannte durch Putzmittel- und Weinstraßen. Welcher Mensch kann ernsthaft 30 oder 40 unterschiedliche Schinkenverpackungen vergleichen? Und welcher Misanthrop hat eigentlich dieses Warensystem geschaffen, bei dem winzige, lichtverblendete Displays anthrazitfarbene Zahlen auf Gallendunkelumbra als Preis zeigen? Ich wusste schnell, warum auf jedem Einkaufswagengriff ein Lageplan integriert war. Berge musste ich nicht steigen, aber die Wanderung von Milch zu Brot war heftig.


Je tiefer ich in den adrett sauberen Konsumtempel vordrang, desto mehr fiel mir die Wahnwitz auf. Einerseits war die Ware nicht besser geworden. Das eher mediokre Angebot dieser Kette hatte sich lediglich stark verteuert. Dann setzte der Fluchtreflex ein. Und ich muss vorher sagen: Ich bin keine Vegetarierin. Ich lebe weitgehend vegetarisch, mag aber auch selten und dann ausgesucht, ein Fleisch aus der Region. In diesem Laden jedoch wurde mir übel: Gefühlt Kilometer toter Tierteile, plastikverpackt, portioniert, zerhackt, nach Tieren getrennt. Die Lammstraße und die Hühnerstraße, irgendwo allein das Schwein und die Avenue der Rinder. Dahinter eine Wurstautobahn und eine Aufschnittallee. Spätestens hier wurde mir dann so übel, dass ich rausmusste. In so einer irrsinnigen Konsumkathedrale wird nämlich plötzlich das industrielle Töten spürbar. Diese Massen. Diese Mühe, zu verbergen, dass die netten Portionsstückchen mal vier Beine hatten und ein Fell. Und das schmeckt ja nicht mal mehr, wenn es so industriell aufgezogen wird.


Um ein Gegengewicht zu schaffen: Ersatz-Burger und Ersatzfleisch hatten sie natürlich auch über mehrere Meter. Da kam mir das Würgen durch die Lektüre des Kleingedruckten. Methoden wie bei der Hundefutterherstellung und Chemie satt. Blöde, dass ich in all dem Zinnober keine puren, stinknormalen Kichererbsen fand, mit denen man viel leckerer Burger machen kann.


Ich wolllte mir dann wegen der Pandemie diese Kasse ohne Kassiererin geben. Nicht übel, um einmal schätzen zu lernen, was die Frauen und Männer an den Kassen den ganzen Tag leisten! Bis man den Code gefunden hat, rübergezogen ... Das "schlaue" System "sieht" alles: Ob man die gescannte Ware brav in der dafür vorgesehenen Bucht ablegt oder zu lange in der Hand hält. Aber es ist alles andere als schlau. Wir haben alle eine Kassierin gebraucht, die Fehler berichtigte und dem Trottelsystem den Befehl gab, weiterzumachen, wenn es streikte. Sie bekam von allen Seiten Komplimente für ihre Arbeit. Keine Frage: Diese Kassen sind praktisch, wenn man nur drei Sachen gekauft hat und nicht auf übervolle, kleinwagengroße Einkaufswagen warten will. Früher hat man Leute mit wenig Zeug einfach vorgelassen.


Ich war platt, müdegelaufen, erschöpft vom Suchen und hatte den völligen Overflow von Zeugs. Vom grauenhaften Klangteppich ganz zu schweigen. Und dann bin ich erst mal in den gemütlichen Supermarkt, in dem die Leute lustig Slalom laufen, um den Abstand einzuhalten. Wo ich weiß, was wo liegt. Wo ich bekomme, was ich brauche. Und halt nur zwischen 20 Sorten Wurst aussuchen kann und zwei Sorten Äpfeln. Noch nie habe ich mich so in Vorfreude gefühlt auf den Wochenmarkt.

 

Dort erzählt mir die Bauersfrau, was sie selbst morgens geerntet hat. Der Fischverkäufer hat seine Forellen morgens aus dem Wasser geholt und Fleisch gibt's beim Bauern nur, was gerade dran ist beim Schlachten. Sonst laufen seine Tiere auf den Wiesen herum. Am Käsestand erzählen sie mir beim Kosten einer neuen Sorte, dass es am Brotstand die passenden Fougasses mit Oliven dazu gibt. Und am Brotstand wird mir der Mund wässrig gemacht, weil doch der Imker gleich ums Eck den idealen Honig fürs nach alter Art gebackene Baguette hat.


Einen Vorteil hat die Pandemie bei mir erreicht. Dadurch, dass ich nur noch Vorräte möglichst schnell eingekauft habe, brauche ich viel weniger. Und solche Kapitalismuskathedralen, die sich nicht mal mehr Normalverdienerinnen leisten können - müssen wir die wirklich haben? Unzählige Hektar von Wiesenland und Feldern liegen unter diesem Beton.

2. Mai 2021

Challenge Your Challenge!

Ich hätte es ahnen können: Ich bin zu faul, unzuverlässig, trotzig, widerspenstig, unfähig und viel zu chaotisch für sogenannte Challenges, die mit Hashtags oder Kalenderdaten daherkommen. Spätestens bei der zweiten Folge einer Aufgabe befällt mich wieder dieses Kindergefühl, das ich bei einer bestimmten Sorte Hausaufgaben hatte. Wenn es nur darum ging, etwas komplett Blödsinniges nachbeten zu müssen anstatt etwas Hochspannendes selbst zu recherchieren. Wenn ich etwas denken sollte, weil es im Lehrplan stand, nicht, weil es mich weiterbrachte. Ich spürte fast körperlich ein Jucken in der Wirbelsäule, das mir sagen wollte: Spring auf und renn davon!

 

Spring auf und renn davon!


Dank der Pandemie praktiziere ich das inzwischen maßlos. Endlich habe ich die perfekte Ausrede, nicht dranzubleiben, vorzeitig auszusteigen oder gar nicht erst einzusteigen. Alle haben sie doch, diese Matschbirne! Erschöpfung und Zeitmangel - vor einem Jahr ein Unding, verschaffen einem heutzutage Mitgefühl. Wir haben das doch alle irgendwie: übernehmen uns ständig. Wieso haben wir bei Überforderung früher nicht einfach mal Stop geschrien? Und erinnert sich noch jemand an die Zeiten, als wir vor Selbstoptimierung nur so strotzten und Leute Influencer wurden, die im Überschall lebten und arbeiteten? Warum eigentlich?


Vorhin musste ich laut lachen. Ich las online einen Text (per Google gefunden), der mich sehr berührte. So viele verwandte Gedanken darin! Hätte ich nicht auch mal so etwas aufschreiben können? Erst dann bemerkte ich es: Der Text war von mir selbst. Autsch. Und als ich in mein anderes Blog surfte, kam mir ein eigener Text dagegen wieder völlig neu vor, als hätte ich ihn nicht schon längst geschrieben, sondern nur angedacht. Und sososo, er sollte der Auftakt für eine einmonatige Challenge sein? Eine Hausaufgabe, die ich mir selbst stellte?


Wie blöde kann man sein? Ich kann gar keine Challenges! Ich mag dieses regelmäßige, stets gleichförmige Gedöns nicht. Schreibe zwei Texte pro Woche. Zeichne jeden Tag zum Frühstück deine Kaffeetasse. Häkle alle zwei Tage einen Topflappen. Und schau: Alle machen das doch heutzutage! Die können und wollen das. Und die profitieren davon, haben jede Menge Spaß mit Gleichgesinnten und lernen dabei auch noch.

 

Ich freue mich für diese Leute. Aber ich bin zu faul, unzuverlässig, trotzig, widerspenstig, unfähig und viel zu chaotisch für sogenannte Challenges, die mit Hashtags oder Kalenderdaten daherkommen. Vielleicht sollte ich endlich einmal verkünden, dass ich an der Challenge aller Challenges arbeite - nämlich jede noch so kleine Challenge schnöde abzubrechen. Ich brauche das für meine Selbstoptimierung. Oder um einfach meine Matschbirne ordentlich zu pflegen?

2. April 2021

Eine Challenge für mich selbst

 Wer mich hier vermisst: Ich bin dann mal drüben, auf meinem Blog "Landscapes Of Change".

 

Ein Foto vom Lockdown 1 im Frühjahr 2020, als wir nur eine Stunde im Radius von 1 km nach draußen durften, nur mit Passierschein. Das Fehlen der Naturgänge machte mich schier verrückt, diese Sandsteinstufen wurde zu meinem Rückzugsplatz. Wir können jetzt bis zur Ausgangssperre (19-6 Uhr) im Umkreis von 10 km so lange wandern, wie wir Lust haben, ohne Amtswisch. Da hat man dazugelernt.


Damit ich die Kombination von Lockdown 3 (nicht so streng wie die anderen beiden) ab morgen und einem Temperatursturz um 17 Grad nebst Aussichten auf womöglich Schnee aushalte, habe ich mir eine Challenge für mich selbst ausgedacht. Die läuft einen Monat lang, mehr dazu HIER.


Und ich wünsche euch jetzt schon frohe und erholsame Feiertage!


(Auf Twitter krachen zahllose Aufreger herum, dass man das gefälligst nicht vor der Auferstehung wünschen solle. Bei allem Respekt - ich werde über die Feiertage das Leben genießen und das Internet auf einem Minimum halten. Falls ihr zu denen gehört, die das unmöglich finden, lest meine Wünsche einfach später oder bezieht sie nicht auf euch. Sie sind ohnehin sehr weltlich gemeint! Der Osterhase bleibe euch allen gewogen. ;-)

27. März 2021

Der Duft der Kindheit

Veilchenzeit, Frühlingsahnen - der Wind treibt einen Duft über die Wiese, der nach den vorgetriebenen Hyazinthen in der Winterwohnung und vor dem nachösterlichen Flieder süße Zeiten verspricht. Ich habe mir einmal in einem französischen Kloster ein natürliches Fliederöl besorgt, das pur fast unerträglich ist in seiner Intensität. Aber wenn ich einen richtig trüben Durchhängertag im Winter habe, hellt es stark verdünnt die Stimmung auf und verheißt Frühling. Vielleicht wirkt es auch so gut bei mir, weil es Kindheitserinnerungen weckt. Großmütter parfümierten sich damals gern mit Veilchenwasser.

Hesperis matronalis


Ich will heute von einem sehr besonderen veilchenähnlichen Duft erzählen - und wie sich damit Kreise in die Kindheit schließen. Gleichzeitig ist das ein Lebenszeichen, das zeigt: Ich habe hinter den Kulissen fürchterlich viel gearbeitet - obwohl ich wie viele Kolleg:innen als Künstlerin im Kohlenstoffleben recht unsichtbar geworden bin.


Zum einen sind meine digitalen Art-Journal-Workshops so gut angekommen, dass ich in einer verlängerten Osterpause das für mich neu Gelernte umsetzen werde und diese Kurse auch in Nachpandemiezeiten beibehalten möchte. Es ist wunderbar: Ich erreiche damit Menschen, die sonst nie in unser Kulturerbezentrum reisen würden oder könnten. Jetzt will ich erst einmal eine feste Studioecke einrichten und diverses Zubehör kaufen, damit ich auch kurze Anleitungsvideos fertigen kann, die den Liveunterricht ergänzen. Die Schnupperkurse haben mir durch die Wiederholungen gezeigt, welche Themen die Leute besonders interessieren und welche nicht.


Auf alle Fälle sind Art Journals nach meinen neuen Erfahrungen eine vielversprechende Technik der Selbstfürsorge in diesen harten Zeiten - und werden es bleiben bei der Aufarbeitung danach. Gleichzeitig - und das hat mich positiv überrascht - kann man sie zum Storytelling in Bereichen benutzen, an die ich bisher kaum dachte. Was mir eine neue Themenidee eingab. Aber davon mehr, wenn die Eier auch gelegt sind.


In den vergangenen zwei Monaten ( so lange schwieg ich hier schon?!) bebrütete ich ein ganz anderes Ei, von dem ich schrieb. Es schlüpfte schneller als gedacht!


Ich wollte wissen, ob ich nach all den hirnerweichenden Monaten der Pandemie noch schreiben kann - und das auch noch auf Englisch. Das kleine Essay lag seit Monaten in dürftigen Ansätzen herum, ich war irgendwie nicht fähig, war zu nah am Horror des Frühjahrs 2020, denn in dieser Zeit ist es angelegt. Und eigentlich sollte es nur Einleitung für ein ganz großes Thema sein.


Dann kam der richtige Moment. Zufällig spülte mir Twitter von einer meiner Lieblingsplattformen genau die richtige Frage in den Stream, die mich so lange beschäftigt und die mit meiner künftigen Arbeit so viel zu tun hat. Dem Aufruf "We invite you to share your reflections as we explore the relationship between humans and nature" konnte ich nicht widerstehen.Ich wollte es einfach wissen: setzte mir eine Deadline fürs Essay und nahm mir vor, dass ich das genau dort veröffentlichen werde.


Plötzlich ging alles ganz schnell: Die Ideen schwappten in einem Schreibanfall aufs Papier. Gleichzeitig fand ich durch einen der verrückten Zufälle des Lebens einen feinen Sprach-Coach, der mit mir nicht nur im Lektorat meine Texte durchgeht, sondern mir dadurch auch jede Menge Feinheiten beibringt. Ich schickte das Essay ein, kurze Zeit später war es online. Ihr könnt es hier lesen:


Sweet Lady Violet And The Fabric Of Life


Es geht um den besonderen Duft einer mir liebgewordenen Pflanze in einem sehr besonderen Zusammenhang. Aber lest selbst! Es ist Teil einer Textsammlung von mittlerweile 82 Beiträgen zur Frage: What happens when we see ourselves as separate from or as a part of nature? Entstanden im Center for Humans & Nature in Zusammenarbeit mit Studierenden vom Loyola University Chicago's Institute of Environmental Sustainability.


Und jetzt weiß ich, wie und woran ich in Zukunft arbeiten möchte und warum das Schreiben und die Art Journals sich sogar fantastisch ergänzen. Unsere nächste große Zukunftsherausforderung ist längst da: Klimaschutz und Artenschutz. Wir haben hervorragende Aktivist:innen weltweit, die uns mit dem theoretischen Hintergrund, dem wissenschaftlichen Wissen versorgen. Ergänzend habe ich aber noch eine freche These: Wir engagieren uns sehr viel schneller und leichter für etwas, das wir auch fühlen und vor allem lieben.


An dieser Schnittstelle zwischen Kunst und Ökologie möchte ich arbeiten. Es ist kein Zufall, dass ich im Nationalpark gelandet bin. Ich möchte an Konzepten arbeiten, um Menschen Natur wieder nahe zu bringen, das Faszinierende an der Natur fühlbar zu machen. Irgendwann auch wieder ganz körperlich in den Nordvogesen. Aber eben auch digital.


Und das trifft sich fantastisch mit einer Kindheitserinnerung, die mir gerade bei Twitter kam, bei der Frage, welches Non-Fiction-Buch uns am meisten beeinflusst habe. Es steht an einem Ehrenplatz in meiner Bibliothek. Zum neunten Geburtstag wünschte ich es mir heiß und innig und sehr bestimmt, denn es war sogar preiswerter als die blöde Puppe, die mir meine Eltern eigentlich zugedacht hatten. Das Original war eine Time Life Artikelserie zur Naturgeschichte der Erde aus den 1950ern, die als "The World We Live In" zu einem Buch zusammengefasst wurde. Der Bertelsmann-Buchclub übersetzte das als "Die Welt in der wir leben" in den 1960/70ern.

"Die Welt in der wir leben"


Das für Kinderbegriffe riesige Coffee-Table-Buch mit über 300 Seiten war damals eine Sensation wegen seiner vielen ausklappbaren Panoramabilder. Die aus der Urzeit wurden später häufig nachgedruckt. Ursprünglich hatte das Bild oben Rudolph F. Zallinger als armer Student auf eine Mauer des Peabody Museums der Yale University im Auftrag gemalt. Er bekam später den Pulitzer Preis für Kunst dafür und wurde berühmt.


Ich konnte stundenlang in diesen Bildern herumspazieren und lernte die lateinischen Namen der Spezies auswendig. Es fiel mir wieder ein: Das war auch die Zeit, als ich Bärtierchen mit einem Kindermikroskop beäugte und über Mikrokosmos und Makrokosmos staunte. Ich frage mich, ob ich damals arg nerdig erschien. Jedenfalls züchtete ich auch heimlich Kartoffelkäfer unterm Bett, die ich für mich Pyjamakäfer nannte. Wo sonst züchtet man Pyjamakäfer in Marmeladengläsern mit Stoffdeckel zum Atmen?! So ein wenig Ahnung von Biotopen muss ich auch gehabt haben: Ich fütterte sie mit Kartoffelblättern aus der benachbarten Gärtnerei und setzte die frisch geschlüpften Nachkommen, sobald das Chitin ausgehärtet war, auch genau dort aus - auf Nachbars Kartoffelfeld. Nicht auszudenken, was aus mir geworden wäre, hätte ich damals die blöde Puppe bekommen!