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29. Juni 2020

Museumsbesuch und die Lähmung danach

Gestern habe ich es geschafft! Fast vier Wochen habe ich gebraucht, um mich zu überwinden, an den sonst für mich schönsten Ort sozialen Lebens und wertvoller Inspirationen zurückzukehren: in die Maison Rurale im elsässischen Kutzenhausen. Es ist ein Zwitterding zwischen historischem Bauernhofmuseum und modernem Kulturerbezentrum, also nicht nur ein Ort zum Schauen und Lernen, sondern vor allem eine europäische Begegnungsstätte mit faszinierenden Veranstaltungen. Zur Erinnerung: Ich spiele dort eine Doppelrolle. Als Führerin durchs Museum und durch Sonderausstellungen arbeite ich ehrenamtlich. Meine Workshops (virtuell in Vorbereitung) und der Schmuckverkauf im Museumsshop sind beruflich.

Wir nennen ihn Georges. Gestern habe ich ihn zum ersten Mal vor einer Kollegin laut gegrüßt und sie fand es gar nicht seltsam. Ich glaube, ich bin nicht die einzige, die im Moment mit den Ausstellungspuppen spricht oder zumindest froh ist, dass sie vermeintlich Leben in die Bude bringen.

Ein Museumsbesuch der anderen Art

Die Übergabe meiner neuen Schmuckkollektion war ein Anlass, der mich nicht schwänzen ließ. Ohne festen Termin hätte eine Wiederbegegnung womöglich noch länger gedauert. Warum ich mich jetzt erst aufraffte? Ich habe Schiss. Schiss vor dem Virus (ich halte mein Immunsystem nicht für so robust wie andere). Und Schiss davor, einen weiteren vertrauten Ort nicht mehr wiederzuerkennen. Obendrein meide ich als Trägerin zweier Brillen und bei dieser Hitze außerdem gern Maskensituationen, wo ich nur kann (bin aber dafür, sie diszipliniert zu tragen). Und ich hole nach, was mir während des Confinements so sehr fehlte: die Natur! Darin unterscheide ich mich also womöglich kaum von BesucherInnen. Hinzu kommt die Trauer um den Wegfall meiner Arbeit, was es nicht einfacher macht für mich.

Als ich ankomme, fällt zunächst kaum ein Unterschied auf - außer den mehrsprachigen Tafeln am Tor mit den Pandemievorschriften der Präfektur. Die Gerätschaften im Hof werden öfter mal umgestellt, nur wer sie kennt, merkt, dass sie nun unauffällig Besucher in separierte Bahnen leiten. Den feuerroten Desinfektionsspender vor dem Kasseneingang empfinde ich als beruhigend, luxuriös. Wie lange hatten wir im Elsass keine Masken, kein Desinfektionsmittel - sicher mit einer der Gründe dafür, dass wir zum Hot Spot wurden!

Schnell wird klar, dass ich nicht mehr frei herumschlendern kann, wie man das auf einem riesigen Areal eines alten Bauernhofs instinktiv zu machen pflegt. Pfeile, Abstandsmarkierungen drinnen, Verbotsschilder an Türen. Ich darf sie als Mitarbeiterin übertreten, wenn niemand da ist; aber wenn ich führe, muss ich auf deren Einhaltung pochen, sie also vorher gut studieren. Ich notiere die Frage, ob ich befugt bin, Zuwiderhandelnde aus dem Museum zu werfen - und wie ich das durchsetzen kann, wenn sich jemand querstellt. Ich persönlich weiß, dass ich gegenüber von CoronaleugnerInnen sofort die Führung abbrechen würde. Der Vorteil vom Ehrenamt - das Führen ist auch für uns Mitglieder absolut freiwillig.

Die faszinierenden Geschichten in meinem Kopf, die ich zu erzählen pflege, werden verdrängt von einem pdf mit Sanitärvorschriften. Zum Glück steht die Höchstzahl für BesucherInnen an jedem Raum, so dass ich Negativmathegenie mir wenigstens das nicht merken muss. Fünf bis sechs Menschen im Schnitt sind überschaubar.

Aber es macht etwas mit mir, schon vor der Kasse: Es erinnert mich fatal ans Einkaufen. Einkaufen ist seit der Pandemie für mich die meistgehasste Beschäftigung geworden. All diese zu bedenkenden Eventualitäten: Werde ich in der Schlange stehen müssen und wird es regnen? Wo darf ich gleich nochmal nicht hinfassen an meinem Körper? Ziehe ich mich schick und in Lieblingsklamotten an oder krame ich das T-Shirt vor, dass ich gleich danach in die Wäsche werfe und eh nicht mag? Mag ich meinen Körper überhaupt noch wahrnehmen da draußen oder sehe ich diese Comic-Knilche von Viren auf ihn einprasseln, die man überall als Illustrationen sieht? Wie erlebe ich mich jetzt in einer Kultur, die auf Nähe und Berührungen ausgerichtet war?

Quelle Tristesse!

Plötzlich fällt es mir auf, was falsch läuft: Es ist Sonntagnachmittag, das Wetter schön, sogar Wahlsonntag. Früher wäre der Hof unter diesen Umständen schon brechend voll gewesen mit flanierenden Menschen, plaudernden Gruppen und Leuten, die in Vorfreude für die an diesem Tag kostenlose Führung anstehen.

Ich bin jedoch die einzige. Die Leere erdrückt mich fast. Da ist es wieder, dieses Gefühl der Entfremdung, diese Idee, in einer Parallelwelt gelandet zu sein.

Die Bekannte an der Kasse ist hinter Plexiglaswänden verborgen. Früher (was für ein Wort!) haben wir uns zur Begrüßung geküsst, wir MitarbeiterInnen haben fröhlich unsere Taschen unter die Möbel geworfen, ein Schwätzchen in Nähe gehalten. "Früher" haben sie da zu zweit gearbeitet, um alles zu bewältigen. Sie ist jetzt allein. Ensteht ein Problem, selbst das kleinste technische, kann sie ihre Kollegin nur anrufen. "Quelle tristesse!", klagt sie und ihr Ausruf wird mir zur Umschreibung eines ganzen Nachmittags. Es sei seit der Wiedereröffnung am 3. Juni eigentlich immer so leer, erfahre ich, die Leute bleiben aus. Trotz der nun offenen Grenzen kommen auch die TouristInnen nicht mehr, keine Reisegruppen sind angesagt. Die TouristInnen und die Schulklassen zählen zu unseren HauptbesucherInnengruppen. Mir fällt ein, dass auch der Parkplatz am Dorfrestaurant völlig leer war.

Dann liegt es vor mir, das Herz unseres so besonderen Ortes, das Bindeglied zwischen dem Museum und dem Kulturerbezentrum, offene Begegnungsstätte für Menschen, die einfach nur Kontakt suchen, die zu unseren Kursen kommen oder den Besuch im Haupthaus nachbereiten, ausklingen lassen wollen. Oder die einfach nur zuschauen möchten, wenn spontan MitarbeiterInnen von uns am runden Tisch etwas vorführen. Viele holen sich dort Appetit auf einen längeren Besuch, erfahren, wie sie mitmachen und experimentieren können. Oft sitzen dort unsere Stickerinnen, manchmal habe ich an Art Journals gearbeitet und neugierige Fragen beantwortet, so oft andere KünstlerInnen kennengelernt. Sonntags ist das der offene Geheimtipp - und es gibt Getränke und Kaffee und stets selbstgebackenen Kuchen der Frauen vom Museumsverein.

Ich erinnere mich noch gut an die Weihnachtszeit, als dieser Raum so dicht mit Menschen aller Generationen gefült war, dass wir Bierbänke holen mussten. Ein Biobäcker erzählte von der Kulturgeschichte der Brezel, einem der Wahrzeichen des Elsass. Er führte vor, wie es geht, die Kinder durften beim Kneten helfen und dann gab es für alle Verkostung und Getränke. Es war heiß, die Luft stickig, man saß beengt, aber vollkommen glücklich. Die Augen der Leute leuchteten, das Leben summte und brummte - in mindestens drei Sprachen, sogar von Outre Mer waren BesucherInnen da.

Das Herz dieses Ortes liegt nun düster und leer vor mir, hat sein Leben verloren, ist bis zur Unkenntlichkeit umgebaut. Pandemievorschriften: Die Cafeteria darf bis auf Weiteres nicht öffnen, Kurse, Workshops, der runde Tisch - alles abgesagt. Der runde Tisch ist nun Teil der vergrößerten Boutique, ausgestattet mit Waren, damit man im Kreisverkehr durchlaufen kann. Inmitten der wunderschönen Kleinigkeiten regionalen Kunsthandwerks und elsässischer Spezialitäten steht ein leerer Korb mit der liebevoll gemeinten Aufschrift "Quarantänekörbchen für berührte Gegenstände". Wer etwas kaufen will, sagt das der Mitarbeiterin, Berühren ist streng verboten. Da ist sie wieder - die neue Welt ohne Berührungen, die Welt einer Entkörperlichung.

Endlich sind zwei unserer Werkstätten nicht mehr nur Ausstellungsräume. Junge Menschen arbeiten sonntags in der Schmiede und der Wagnerei und man kann zuschauen und neugierige Fragen stellen.

Erfindungsreiche Improvisationen

Natürlich lassen wir uns von all dem nicht unterkriegen! Wo es Absagen gibt, gibt es auch Improvisationen. Ausschank und Cafeteria drinnen verboten? Wir bieten jetzt im hinteren Hof unter den Scheunendächern Sitzplätze auf Bierbänken (natürlich mit Abstandhalten und Gruppengrößen-Vorschriften) und Getränkeverkauf in Flaschen. Welch Glück, dass Sommer ist! Und es gibt eine weitere neue Attraktion: In zwei Werkstätten wird wieder gearbeitet.

Ich kannte die Vorführungen an Sonntagen noch aus der Anfangszeit, als das Museum noch sehr klein war. Irgendwann jedoch wurden die letzten Männer, die altes Handwerk beherrschten, zu alt. Die Menschen, die noch von Hand Fässer bauen können oder Matratzen polstern, sterben aus. Umso größer die Freude, als mir das "Kling kling" aus der Schmiede entgegentönte - wir haben wieder einen jungen Schmied und eine junge Frau arbeitete an Speichen für Holzräder. Die Handvoll BesucherInnen, die ich im Laufe des Nachmittags sah, fand schnell den Weg dorthin und konnte hoffentlich die Pandemie für ein Weilchen vergessen.

Solange die Cafeteria geschlossen bleibt, gibt es im Sommer Sitzplätze unterm Scheunendach und Getränke in Flaschen. Normalerweise haben wir hier unsere "Summerkiech" für Sommerfeste, aber auch die sind verboten. Kaum zu glauben, wie fern das letzte gemeinsame Wildschweinessen scheint, das sich wirklich anfühlte wie in einem gewissen gallischen Dorf.

Maskiertes Wiedersehen

Kann man die Pandemie denn vergessen? Ein Grüppchen Kolleginnen saß am Tisch, Menschen, die mir liebgeworden sind und die ich seit mindestens vier Monaten nicht gesehen hatte, neben kurzen virtuellen Kontakten mit ein paar.

Es überwältigt mich etwas, das Wiedersehen nach so langer Zeit, und es gibt wieder diesen inneren Stolperer, den ich für überwunden glaubte (irgendwann muss man sich doch gewöhnen!?!). Ich muss zweimal hinschauen, um die Frauen hinter den Masken zu erkennen, jemand fragt: "Bist du wirklich die Petra?" Denn auch ich bin vermummt und trage immer noch eine Coronafrisur mit selbstgeschnippeltem Pony darüber. Mein sonst perfekter Vulkanier-Gruß misslingt mir völlig, die zitternden Finger wollen sich nicht zwischen Mittel- und Ringfinger teilen.

Wenigstens sorgt das für Gelächter und Extrawinken, für Entspannung bei mir. Vor der Pandemie haben wir uns herzlichst abgeküsst, saßen auf Tuchfühlung, haben uns beim Scherzen und Reden völlig selbstverständlich berührt. Es gibt alleine so viele unterschiedliche Berührungen des Arms, die in einem Land der gestischen Sprache so viel aussagen können: von Bestätigung bis zu Trost, vom Mitfühlen bis zum Scherzen. Ich fühle mich doppelt der Sprache beraubt, mir bleibt nur das hinter der Maske muffelnd klingende Französisch, das mir diesmal unangenehm hartkantig gerät, weil ich mehr zu artikulieren versuche. Ich bin das Sprechen mit Maske im Liveleben noch nicht gewöhnt. Auf Zoom und Skype ist alles so einfach.

Einen kleinen Schaugarten haben wir auch, in dem traditionelle Pflanzen eines Bauerngartens wachsen und wo man traditionelle Pflegearten kennenlernen kann, die heute wieder im ökologischen Landbau entdeckt werden. Passend dazu gibt es Vorträge und Veranstaltungen zu den Themen Ökologie und Natur, denn ein Kulturerbezentrum verbindet altes Wissen und Wege in die Zukunft. So sorgt der rotblühende Amaranth (meist Amaranthus cruentus) regelmäßig für Überraschungen: FreundInnen der Pseudogetreide Quinoa und Amaranth glauben kaum, wie lange man die wie Unkraut wuchernde Pflanze schon in unseren Breiten anbaute. Neben den Samen werden auch die jungen Blättchen als Salat und überaus gesundes Gemüse verzehrt, übrigens mit einem Eiweißgehalt, der den von Soja übertrifft.

Wohltat des Eintauchens

Und dann wird es ein bißchen wie früher, als ich mit einer unseren ganz großen Kennerinnen in den Bauerngarten gehe, weil ich während der Ausgangssperre aus unserem virtuellen Rundbrief erfahren habe, dass sie Färberwaid angebaut hat. In meinen Workshops, die wegen der Pandemie gestrichen wurden und ebenfalls auf absehbare Zeit nicht mehr stattfinden können, sollte es u.a. um pflanzengefärbte Papiere gehen. Entsprechend bin ich neugierig, aber natürlich sind die Jahreszeiten auch hier nicht stehengeblieben. An den Pflanzen merkt man es intensiv. Die Bündel mit den Samenständen hängen schon zum Trocknen an der Wand, die neuen Pflänzchen sind winzig. Ein paar kleine Proben kann ich mitnehmen. Dagegen wuchert eine andere Überraschung meterhoch: Färberkrapp. Trotz des Starkregens ist es zu trocken, um Wurzeln auszuziehen, aber auch hier reicht es für ein paar Proben. Die Kollegin zeigt mir im Ausstellungsraum getrocknete Wurzeln und Blätter beider Pflanzen und erzählt mir, wie sie Ostereier damit gefärbt hatte. Ostern, das von der Katastrophe des großen Sterbens überlagerte Fest, das als Highlight im Museum geplant gewesen war.

Schnell sind wir auch wieder am Tisch im Gespräch über alte Techniken, das sich an meinem Papierschmuck entspinnt. Eine Frau, die in den 1960ern Ferienkolonien für Kinder geleitet hat, kennt von dort jede Menge Techniken und Tricks, mit Pflanzen zu färben und Pflanzenabdrücke auf Stoff zu zaubern. Zu jener Zeit boomte das, erzählt sie, auch der heute wiederentdeckte Rostdruck.

Sie kennt all die Beizen, ihre Wirkungen. Wir hätten so viel zu erzählen - wenn BesucherInnen zum Zuhören da wären. Fast wird uns die Zeit zu kurz und wir verabreden uns zu einem "Ersatz". Während sie stickt, wird es mir nicht verboten sein, meine Art-Journal-Objekte mitzubringen und zu zeigen. Weil ich meine Workshops nun virtuell vorbereite, habe ich einen Karton von Material zum Zeigen. Und ich kann dabei Neues übers Färben lernen. Es ist doch ein Unterschied, ob man im Internet nach Rezepten surft oder jemanden mit Erfahrung ausfragen kann! Es ist ein Unterschied, ob man ein virtuelles Programm linear aufsetzen muss oder beim Fühlen und Schauen durch Assoziationen und Inspirationen auf neue Ideen oder Fragen kommt. Ein Grund übrigens, warum ich meine Workshops per Zoom ausführen möchte und nicht per einseitigem Video: um Gespräch zu ermöglichen.

Das ist für mich die Maison Rurale an Sonntagen: einfach hingehen und man findet immer und ohne jede Schwellenangst jemanden zum Reden, zum Schauen, zum Lernen von Kunsthandwerk oder Kunst. Die meisten von uns sind mehrsprachig, Altersgrenzen kennen wir nicht. Am runden Tisch haben schon Kinder deutscher TouristInnen mit unseren ältesten Stickerinnen Kreuzstich geübt. Wir stellen uns wohl alle die gleiche Frage: Wie können wir etwas von diesem Miteinander und Lebenspüren hinüberretten in die Entkörperlichung? Womöglich werden jetzt die Teile des Museums noch wichtiger, wo man berühren kann und darf!

Ich bin dann so begeistert vom Wiedersehen und Reden und den Themen, dass ich die Ausstellungsführung verpasse, bei der ich eigentlich mitlaufen wollte, um mich einzulernen neben all den Unterlagen. Im Gespräch mit dem Kollegen stellen wir fest, dass es zuviel Text ist, die Menschen ermüden jetzt noch schneller als früher. Wir müssen die Gegenstände zum Sprechen bringen, sie be-greifbar machen, auch wenn man sie nicht berühren kann und darf.

Berührbarkeit. Begreifbarkeit. Rituale gegen die Entkörperlichung. Wir brauchen das so sehr.

Und da fällt mir die wunderbare Autorin Robin Wall Kimmerer ein, die in einem Webinar über diese Entkörperlichung gesprochen hat und darüber, dass sie sie als Chance begreift. Sie erzählte, dass in indigenen Ritualen Entkörperlichung eine Rolle spiele, wenn auch gezielt eingeleitet. Aber wir könnten die erzwungene Phase eben auch für eine Art Verinnerlichung nutzen, neue Rituale dazu finden, die uns den Boden unter den Füßen wiedergeben können und einen veränderten Blick auf die Dinge.

Meine Workshops mit den "Escape Books" und Träumestäbchen erscheinen mir auf einmal so aktuell wie kaum eine andere Arbeit im Atelier - und sie wird noch lange wichtig bleiben, weil wir nach der Pandemie und eigentlich längst schon jetzt noch viel größere Überlebensherausforderungen zu meistern haben: Artensterben und Klimawandel. Ja, auch das sind Themen in einem Kulturerbezentrum, auch hier kann man aus der Reflektion der Vergangenheit und modernem Vordenken viel entwickeln.

Art Journal mit Lindenholz-"Träumestäbchen" als Buchrücken - aus dem Atelier Tetebrec.

Hoffnungen

Auf dem Weg zum Auto besuchte ich die alten Dorflinden neben dem Museum, deren Blüte in diesem Jahr völlig an mir vorbeigegangen war. Aber nach den heftigen Gewittern hatten sie mir doch wieder besondere Geschenke hinterlassen, Äste, aus denen wir die Rücken der Art Journals fertigen werden, die Träumestäbchen ... wenn wir denn dürften.

Reich beschenkt kehrte ich zurück, beladen mit Lindenholzästen, Blütenhonig vom Imker gekauft im Museumsshop und Färbepflanzen. Erfüllt von den menschlichen und tierischen Begegnungen, denn auch unsere Kaninchen und das Geflügel müssen sich erst wieder an Menschen gewöhnen. Im Rückblick stelle ich fest, dass der Schleier der Tristesse langsam aber mühsam zu heben sein könnte. Und dass unsere künftige Arbeit noch mehr denn je mit Gefühlen zu tun haben wird, mit Empathie und menschlichen Beziehungen. Exponate selbst bleiben unberührt, überstehen die alten Römer, die Pest und den Coronavirus gleichermaßen. Sie bleiben kalt und stumm, wenn wir nur Zahlen und LehrmeisterInnenwissen herunterbeten. Es liegt an uns MitarbeiterInnen, sie immer wieder neu zum Leben zu erwecken und fühlbar zu machen, gerade weil die Perspektiven auf unsere Welt sich ständig verändern.

Trauerarbeit wird uns die nächsten Monate weiter begleiten. Ob virtuell oder im physischen Leben, wir müssen den Mut haben, Gefühle zu teilen, miteinander zu bewältigen. Dabei können uns, so wichtig sie sind, Wissenschaft oder Politik nicht helfen, das müssen wir selbst leisten. Bei der Arbeit in einem Kulturerbezentrum werden wir erfahren, was im kollektiven Gedächtnis bleibt und was es uns lehren kann - und irgendwann lässt sich auch das aufarbeiten für spätere Ausstellungen. Aber zu glauben, wir könnten einfach so tun, als sei nichts gewesen, wir könnten einfach so weitermachen wie bisher, das ist wahnwitzig. Es mag eine bequeme Verdrängungsmethode sein, vielleicht als kleine Flucht kurzfristig vermeintliche Sicherheit vorgaukeln. Nur trifft Menschen, die verdrängen, das Trauma zwar später, jedoch umso heftiger.

Ich werde am Sonntag wieder ins Museum gehen und vieles wird sich dann schon vertrauter anfühlen. Diesmal werde ich brav meinen Stoff für die Ausstellung lernen. Denn ich bin sicher, die BesucherInnen werden sich langsam wieder einstellen - in Frankreich beginnen in wenigen Tagen die Sommerferien.

Ich freue mich jederzeit über eine kleine Spende hier:
KAFFEE- UND HUNDELECKERLIKASSE


Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade  #KulturAlltagCorona - neuer Alltag mit Corona in Kultur und Museum von Zeilenabstand.net und Kultur hoch N. Unter diesen Links erfahrt ihr auch, wie / ob ihr mitmachen könnt und was andere zum Thema schreiben.

4 Kommentare:

  1. Danke für diesen wundervollen Beitrag für unsere Blogparade, Petra. Er ist emotional und mitreißend geschrieben. Ich glaube, dass es zur Zeit vielen Besuchern und Mitarbeiter*innen ebenso ergeht, wenn sie die gewohnten Orte nach der langen Zeit betreten. Du hast es in Worte gefasst.

    Wir müssen uns in Geduld üben. Es wird der Tag kommen, an dem wir zu alter Normalität gelangen. Bis dahin ist es ein beschwerlicher Weg, mit einem Zustand, in dem wir uns neu einrichten müssen.

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    1. Ich danke fürs Kompliment und die Möglichkeit der Teilnahme an der spannenden Blogparade!
      Ich habe bemerkt, dass MitarbeiterInnen dringend auch Gesprächsmöglichkeiten über diese "Befindlichkeiten" brauchen, wenn sie nicht ausbrennen sollen. Aber auch klare Ansagen bei Organisatorischem wie bei meiner Frage: Was mach ich mit einem Besucher, der offen und vorsätzlich gegen Coronaregeln verstößt? Wie schütze ich mich und die anderen? Wer ist letztlich verantwortlich?

      Ich glaube übrigens nicht daran, dass wir zur alten Normalität zurückkehren können / sollten. Normalität ja. Aber für alte Zeiten wurde zu massiv gestorben, sind zu viele fürs Leben gezeichnet. Entwickeln wir uns lieber weiter! ;-)

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  2. Es ist berührend und bedrückend zugleich diese Worte zu lesen. Als Leserin entdecke ich mich in vielen kleinen Punkten wieder. Ich glaube, dass es einen großen Teil der “Trauerarbeit“ ausmacht, sich dieses beklemmende Gefühl von der Seele zu schreiben. Gerade in Kulturzentren, in denen auch fühlen und mitmachen ein essentieller Bestandteil der Vermittlungsarbeit darstellen wird das Virus wohl noch sehr lange sehr präsent sein. Vielen Dank, für diesen sehr persönlichen, ausführlichen Bericht.

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    1. Danke für das mitfühlende Feedback! Ursprünglich habe ich den Artikel tatsächlich nur geschrieben, um diesen Tag zu bewältigen - dann bekam ich den Hinweis, er würde in die Blogparade passen.
      Und weil ich eben denke, dass es anderen genauso geht, dass wir viel zu wenig über all diese Verletzungen reden.
      Ich sehe darin übrigens auch eine Chance und Hoffnung, wenn wir es tun. Wir werden mit dem Klimawandel und Artensterben noch ganz andere Szenarien aushalten müssen und können jetzt eine Menge lernen, angefangen beim Zwischenmenschlichen. Ich danke für die Verbreitung!

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