Am einschneidensten ist Macrons Entschluss, im ganzen Land vom Kindergarten über Schulen bis Universitäten alles zu schließen, um die Verbreitung von COVID19 zu verlangsamen. Offenbar sind französische WissenschaftlerInnen inzwischen - recht neu - zu dem Schluss gekommen, dass Kinder und Jugendliche zwar weitgehend symptomfrei bleiben, aber als rasante Überträger fungieren. Man befürchtet außerdem, dass sie in einer zweiten Welle sehr viel stärker krank werden könnten. Es sind jetzt nicht mehr nur die Alten und Vorerkrankten auf den Intensivstationen. Bis wann das dauern soll, ist offen, aber auf alle Fälle bis zu den Osterferien. Für Digitalunterricht und Ausgleich soll gesorgt werden, für Kinderbetreuung z.B. bei Pflege- und Krankenhauspersonal ebenfalls. Leider hat er noch nicht gesagt, wie!
Nun sitze ich in einem "Nest" von LehrerInnen und die sagen alle, die Maßnahme mag vielleicht ein wenig verlangsamen, dass der Ansturm auf die Krankenhäuser sofort kommt. Aber mehr hätte geholfen, diese nicht seit Jahren kaputt zu sparen. Mehr hätte geholfen, wenn im Gesundheitswesen nicht Neoliberalismus blühen würde, sondern die Orientierung am Menschen, am Helfen. Wir erinnern uns: Kürzlich erst waren die Belegschaften der Krankenhäuser auf der Straße, weil sie am Limit sind. Von der Belastung her und finanziell.
Die LehrerInnen hier sorgen sich ums Bac, um anstehende Prüfungen. In französischen Schulen ist das Lernen davor extrem eng getaktet, anspruchsvoll. Und das, sagt mir eine Berufsschullehrerin, würde jetzt nur die soziale Kluft verschärfen, wenn sich der Staat nichts einfallen lässt. Während ihr Kollege auf der privaten Schule locker seinen Unterricht ins Netz stellen kann und alles online weiterläuft, kommen bei ihr fast alle Auszubildenden aus Familien, die zu arm sind, um sich einen Computer leisten zu können. 5% der französischen Kinder haben wegen Armut keinen Computer zu Hause. Wir sind gespannt ... genauso wie die Eltern gespannt sind, die sich im sehr guten Kinderbetreuungsprogramm Frankreichs einrichteten. Sollen jetzt die gefährdeten Omas und Opas ran? Eine Nation wartet gespannt, welche Lösung hier kommen soll. Die SchülerInnen selbst finden es erst mal cool, dass die Schule ausfällt. Noch denken sie nicht an die Prüfungen und dass sie sich womöglich grässlich langweilen könnten mit der Zeit. Das ist ja keine Freiheit, um in Urlaub zu fahren.
Und darum waren die meisten von uns heute hamstern, weil der Großteil der Leute morgen für sich und Millionen von Kids einkaufen wird. Wir kennen den Vorferieneffekt nur zu gut.
Böse Überraschung für die ElsässerInnen, die wie gewohnt nach Deutschland zum Einkaufen fahren wollten: Ohne jede Rücksprache mit den französischen Partnern kontrolliert die Bundespolizei an der deutsch-französischen Grenze mit dem Fieberthermometer. Es gibt Staus. Sinnvollerweise übrigens nur französische Autos. Währenddessen fahren die karnevalskranken Deutschen lustig ins Elsass zum Einkaufen - die werden nicht kontrolliert. Warum es da keine binationale Absprache gab, ist allen ein Rätsel, auch der französischen Presse. Auch hier elende Ungewissheit für all die Menschen mit Familie beidseits der Grenze, die womöglich Angehörige pflegen. Macron hat ausdrücklich gesagt, der Virus kenne keinen Pass und darum sei nur ein gesamteuropäisches Vorgehen effektiv. Er ist längst überall. Die deutschen Behörden sahen das offenbar anders, da hat der Virus Autokennzeichen.***
Das Hamstern - auf französischer Seite - verlief sehr entspannt. Wer empfindlich oder ängstlich ist, kauft bei uns längst im Drive in. Jede größere Supermarkt hat einen. Man bestellt und bezahlt online, bekommt eine Nachricht, ab wann die Ware gepackt ist - und fährt dann einfach vor. Das Zeug wird in den Kofferraum gestellt, fertig. Wer kein Auto hat, kann via App einkaufen, die große Hypermarchés auch haben: Man bestellt und irgendwer Privates meldet sich, um die Einkäufe zu einem nach Hause zu fahren. Das ist aus einer Art Nachbarschaftshilfe entstanden, wo Leute sagen, sie machen eh grad die und die Tour und könnten dann etwas für Alte und Kranke mitnehmen. Ein Start-up hat das dann für Jedermann entwickelt und für Quarantänefälle ist das eine gute Variante. Der Bringer kann die Sachen sicher vor die Haustür stellen und abgerechnet wird online direkt mit dem Laden. Helfende müssen nicht umständlich fragen, wo sie helfen könnten, sie melden sich via App an. Das hilft sehr, wenn man niemanden kennt, wenn die Menschen einsam leben.
Man muss dazu sagen, dass hier eigentlich jeder ein Handy hat oder Zugriff auf eins der Familie - und das Bezahlen mit Kreditkarte üblich ist. Trotzdem kann man bei kleineren Läden natürlich noch altmodisch anrufen. Unser Dorfladen samt Metzger liefern schon seit Jahren auch frei Haus.
Heute hat man zum ersten Mal bemerkt, dass die Leute Vorräte anlegen. Es fehlte das Toilettenpapier in der Großpackung, aber kleinere Packungen und Küchenrolle waren genug da. Es fehlte aber leider auch die Flüssigseife (Duschgel tut's auch) und frische Hefe war aus. Dadurch, dass die Leute verteilter einkaufen, können die Läden aber auch besser nachordern und sie machen natürlich Geld mit Vorratshaltung: Heute waren die Großpackung Koteletts und Champagner im Angebot. Wenn wir schon alle sterben, dann bitte stilvoll!
Auch wenn der Preis für Handdesinfektionsmittel von der Regierung gedeckelt wurde - es gibt schlicht keins mehr im Umkreis und auch nicht in Onlineapotheken des Landes. Auch sieht man hier in der Region niemanden mit Schutzmasken auf den Straßen. Die gibt es nur auf Rezept im Krankheitsfall. Kaum einer würde sich die Blöße geben, mit einem bei Amazon teuerst bezahlten Teil als "ansteckend" durch die Straßen zu laufen. Wie es in der Großstadt aussieht, weiß ich nicht, wir sind ja in vielem hier selig abgelegen.
Und in die Großstadt fahren derzeit viele nur, wenn sie unbedingt müssen. In Strasbourg nämlich ist der Sitz der Coronavirus-Klinik - jedes Departement muss mindestens eine haben, die Schwerstfälle retten kann. Und Strasbourg ist uns gefühlsmäßig zu nah dran am Hot Spot Mulhouse. Das Verhalten derzeit hat viel mit Gefühlen zu tun.
Ansonsten freuen wir uns über die Sonne, die nach unendlich langem Dauerregen endlich herauskommt. Wir warten sehnsüchtig auf den Frühling und bestaunen die Natur, die förmlich explodiert. Was mir durchaus gefällt, ist eine sehr viel fatalistischere Haltung als in Deutschland. Es gibt hier keinen um mich herum, der nicht mit einer völligen Durchseuchung rechnet. Es geht nur um Verlangsamung fürs Gesundheitssystem. Und darum lebt man damit, arrangiert sich und improvisiert. Wir haben so viel Chaos ausgestanden, wir werden auch das überstehen ... oder was ich aufgeschnappt habe:
"Wir haben die Demos und die Blockaden überstanden", meinte eine Frau, "jetzt ist es ähnlich umständlich, aber dafür haben wir nicht mehr diese aggressiven Menschenmassen auf den Straßen."So kann man das natürlich auch sehen. In den Ortschaften ist es schon leerer als sonst. Die Leute gehen weniger aus. Aber im Supermarkt waren fast nur RentnerInnen unterwegs, die den Drive in hassen, weil sie da keine Schwätzchen mit Bekannten halten können. Es wurde dann im Laden lustig gehustet und geschwätzt. Ich hatte Angst, mir von jemandem mit 80+ etwas zu holen ...
Das Benzin ist endlich erschwinglicher geworden. Und so werde ich die Zeit geschlossener Veranstaltungen ähnlich nutzen wie unsere LehrerInnen und Daheimbleibenden: den Frühling genießen, mit dem Hund in den Bergwald fahren.
Abschotten habe ich auch noch nicht erlebt. Das Schwätzchen mit Nachbarn über den Zaun oder auf der Straße wird einfach ohne Knutscherei gehalten und mit mehr Abstand als sonst. Wir sagen im Voraus, wenn wir krank sind, dann vergrößert sich der Abstand ein bißchen. Zu dieser Jahreszeit hustet und schnupft gefühlt jeder zweite. Ich komme mir nur noch ein wenig komisch vor, weil wir jetzt alle wie kleine Kinder winken. Wo vorher drei bis vier Küsse (eine Wissenschaft für sich) üblich waren, kann man unmöglich nur mit einem Winker oder Handheben auskommen. Nur die Jugend hielt es bisher knapp - mit Ghettofaust. Also machen wir jetzt tüchtig wedelnd Winkewinke.
*** Nachtrag:
Wie sieht die Lage im Elsass aus?
Freunde aus dem deutschen Grenzgebiet haben mir gesagt, dass seit Tagen in Radio und Zeitungen davon berichtet wird, das Elsass sei ein sogenannter Hot Spot und darum lebensgefährlich. Ich habe versucht zu recherchieren, wieso man auf deutscher Seite zu dieser Einschätzung kommt, die uns im Bas Rhin sehr verwunderte.Die Quelle ist das deutsche Robert-Koch-Institut. Das hat nämlich den gesamten Grand Est zum Hochrisikogebiet erklärt, das wäre also diesselbe Stufe wie Norditalien!
Der Grand Est ist ein erst kürzlich künstlich geschaffenes Super-Departement, in das Präsident Hollande mal schnell alles "Östliche" reingekippt hat: Bas Rhin und Haut Rhin, die gemeinsam das Elsass bilden, aber auch die Lorraine, die Champagne, die Ardennen - Gegenden ziemlich weit weg. Weil das Robert-Koch-Institut aber nach offiziellen politischen Regionen einteilt, hat es die nun alle zusammen erwischt.
Schaut man jedoch kleinteilig geographisch und nach alter Einteilung hin, sieht die Sache differenzierter aus: Wir haben einen Hotspot sehr begrenzt im Haut-Rhin (Südelsass) rund um Mulhouse / Bourtzwiller. Da hatte nämlich eine evangelikale "Kirche", die übrigens auch Impfungen oder Transplantationen verweigert, trotz Massenversammlungsverbot gemeint, unbedingt 2000 Leute in geschlossenem Raum versammeln zu müssen, die sich dann auch intensiv umarmten und küssten, wie das in diesen Gottesdiensten so üblich ist. Es hat die Predigerfamilie erwischt und noch viele mehr. Die französischen Behörden haben sofort reagiert und die Betreffenden unter Quarantäne gestellt. Da hat sich also ein sehr begrenzter Hot Spot gebildet.
Anderes Problem der Zählung: Jedes Departement in Frankreich hat mindestens ein zentrales Krankenhaus als "Coronavirus-Zentrum" eingerichtet. Weil man dort die Klinik entsprechend abriegeln kann und genügend Geräte hat, um die Schwerstfälle zu retten, zu reanimieren etc. Dieses Zentralkrankenhaus für den gesamten Grand Est ist eine Klinik in Strasbourg. Dort werden unter strengsten Sicherheitsbedingungen die schlimmsten Fälle behandelt. Dorthin kamen die schwersten Fälle aus Mulhouse. Und weil Strasbourg zum Bas-Rhin gehört, tauchen eben diese Klinikzahlen dann bei der Zählung im Bas-Rhin auf. Das sind aber keine Leute, die frei herumlaufen - und sie kommen von überall her.
Tatsächlich verbreitet sich natürlich der Virus auch im Elsass!
Die aktuellsten Zahlen von gestern, welche die l'Agence régionale de santé du Grand Est (ARS) lieferte:
Insgesamt gibt es 910 positiv getestete Fälle im gesamten Grand Est, die sich derzeit alle in entsprechenden Kliniken befinden, aufgeschlüsselt nach Regionen (Stand 13.3.2020):
20 Marne
1 Aube
1 Ardennes
219 Bas-Rhin (Nordelsass)
1 Haute-Marne
463 Haut-Rhin (Südelsass)
35 Meurthe-et-Moselle
6 Meuse
114 Moselle
44 Vosges
6 von außerhalb des Grand Est.
Das ist natürlich ein exponentieller Anstieg und muss entsprechend behandelt werden. So sind bei uns z.B. Veranstaltungen über 50 Menschen verboten.
Für eine Einordnung (alle Zahlen Stand 13.3.2020):
Das sind im Elsass also 682 Fälle.
Laut Landesregierung gibt es in Baden-Württemberg 569 Fälle.
(Das Robert-Koch-Institut listet für Baden-Württemberg nur 454 Fälle auf und betont, dass hier nur übermittelte Fälle gezählt werden und es Probleme bei der Aktualisierung gäbe. Die Zahl des Sozialministeriums dürfte also aktueller sein, obwohl vom gleichen Tag.)
Im Ländervergleich (Zahlen des RKI) sind es:
Frankreich 2876 Fälle
Deutschland 3062 Fälle
Italien 15.113.
Und so kam es wahrscheinlich zu den hektischen Grenzkontrollen von deutscher Seite aus - durch die Einschätzung des RKI. Natürlich ein Ding der Unmöglichkeit, das im Alleingang zu machen und nicht die französischen Behörden zu informieren. Dass hustende und schniefende Deutsche lustig weiter bei uns einkaufen durften, ohne bei der Rückreise Fieber gemessen zu bekommen - darüber breiten wir gnädig dreilagiges Klopapier. ;-)
Liebe Petra, halt die Ohren steif und bleib gesund. Und unseren Kaffee kriegen wir auch noch hin ... Herzliche Grüße Heike
AntwortenLöschenLiebe Heike, mais ouiiiiii! Wir lassen uns nicht unterkriegen, irgendwann ist das ausgestanden.
LöschenÜbrigens kann man virtuell einen mit mir trinken via Signal - einfach privater (Mail PN etc.) nach dem Nümmerchen fragen.
Bleib gesund - herzlichst, Petra
Liebe Petra,
AntwortenLöschendanke für den aufschlussreichen Artikel. Ich bin wieder zu errreichen. Einen Schmatz an Bilbo- Hunde darf man muss man küssen.
Aber klar doch - ich hab ganz vergessen, den deinen welche zu übermitteln!
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