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18. März 2020

CN Es kommt hier mehr Virusgebabbel

Ich kann nicht anders - es beherrscht unser Leben im Moment und es hilft sehr, darüber zu sprechen. Also werde ich weiter einige Eindrücke in Sachen Viruskrise schildern und die Beiträge mit empfindlichen Inhalten werde ich für empfindliche Menschen mit CN markieren, dem etwas leichteren Warnkürzel vor der Triggerwarnung (TW). Aber eigentlich schildere ich nichts, was man nicht selbst draußen sehen oder in der Zeitung lesen kann. Außerdem bitte beachten: Meine Eindrücke sind absolut subjektiv (in Isolation eh), stammen aus Frankreich (andere Lage als in D) und können am nächsten Tag schon völlig überholt sein!

Morbide Zeiten


Ich möchte eigentlich demnächst ein wenig mehr auf der Meta-Ebene schauen, was sich an Gutem entwickelt, was Hoffnung gibt oder woraus wir etwas lernen können. Denn diesen Stress übersteht man tatsächlich besser mit positiven und konstruktiven Gedanken, die ja auch das Immunsystem irgendwie beeinflussen. Ein Gucktipp hier - Fotos aus Strasbourg von der totalen Ausgangssperre, die wir seit gestern Mittag in ganz Frankreich haben. Sie haben etwas Grusliges wie aus einem Film, in dem es keine Menschheit mehr gibt - aber auch etwas anrührend Schönes in ihrer Leere.

Heute Nacht stand ich plötzlich senkrecht im Bett und bekam einen Laufzwang, bin in der Wohnung herumgestromert, kopflos. Schließlich nach draußen vor die Haustür. Habe nach oben geschaut und den Sternenhimmel genossen, diese unendliche Weite ... bin in Gedanken zu anderen Sternen geflogen ... unendliche Freiheit - und Virenvakuum. Ich habe mir sagen lassen, das sei normal. Die Nachbarn seien auch plötzlich mitten in der Nacht auf der Terrasse gestanden. Schlafstörungen sind wohl das Geringste.

Dabei ist das erst Tag 2 der totalen Ausgangssperre. Wie die meisten bekomme ich es gedanklich nicht auf die Reihe, wie man bei der derzeitigen Lage noch leichtfertig sein kann, wie Länder so locker wie in Deutschland damit umgehen oder sich Leute einfach stur widersetzen und in Gruppen abhängen, sich drängen. Die schlimmsten, die dystopischen Bilder zeigt man aus gutem Grund nicht in den Medien, Massenpanik wäre das letzte, was wir brauchen können. Aber vielleicht müsste man sie manchen in die Birne hämmern.

Tatsache ist: Schwere Fälle werden Folgeschäden wahrscheinlich fürs Leben haben. Und das Sterben an COVID zählt zur jämmerlichsten Art des Verreckens überhaupt. Ein Arzt hat es beschrieben, es sei, als ertrinke man an der eigenen Lunge.

Alles halb so schlimm, mich erwischt es ja nicht, ich bin ja jung, ach, das muss einfach alle mal kräftig durchseuchen - solche Worte hört man leider oft, nicht nur in Social Media. Aber jeder einzelne von uns, auch gesund und symptomfrei, kann eben auch gleichzeitig Überträger sein.

Ich versuche trotzdem die meiste Zeit, das Wissen zu verdrängen. Etwa, dass es im Hotspot Haut Rhin mit Mulhouse (ich berichtete über die Entstehung) jetzt wirklich wie in einer ekligen Netflixserie zugeht. Heute startet einer von drei "Sanitätszügen", die vom Militär organisiert und abgeschirmt werden (sie fahren meist nachts). Sie transportieren Schwerstfälle in andere Kliniken des Landes, weil im Haut Rhin keine freien Kapazitäten mehr da sind. Die ÄrztInnen dort, wie das Pflegepersonal körperlich und psychisch oft am Limit, erzählen vom Sterben ohne Angehörige und davon, dass sie demnächst entscheiden müssen, wer überleben darf und wer nicht. Weil es nicht genug Beatmungsmaschinen gibt.

Dabei leiden sie nicht nur an der besonderen Herausforderung, dass dieser Virus die Lungen zerstört, sondern auch am neoliberalen Zusammensparen im Gesundheitswesen. Noch vor Wochen gab es deshalb verzweifelte Demonstrationen. Macron scheint im Moment umzulernen, aber die Verhältnisse sind ja geschaffen. Auch im Bas Rhin sind die Kapazitäten fast ausgeschöpft, ein Militärkrankenhaus ist nun geöffnet worden.

Kaum zu ertragen ist außerdem, dass dem Gesundheitspersonal die Sicherheitsmasken ausgehen, die neuen Lieferungen immer nur tröpfchenartig kommen - alle vier Stunden müssen sie gewechselt werden, um nicht selbst ansteckend zu werden. Derweil die Nachrichten, dass Dreckskriminelle zehntausende Masken stehlen und antisoziales Gesindel Masken hortet, um damit Geld zu machen. Das sind übrigens die zivilisiertesten und seriösesten Bezeichnungen, die mir für solche Leute einfallen, im Kopf habe ich ganz andere Verwünschungen.

Es geht aber auch lustig zu in diesen Zeiten und entspannt. Wir brüllen uns über die Zäune zu (die Entfernungen sind hier etwas größer) und bleiben in Kontakt. Ich hänge an Signal wie andere an Whatsapp und tippe mich döselig. Es hilft, darüber zu reden. Wir telefonieren wie die Weltmeister.

Mittags schnappe ich mir Bilbo und seinen Passierschein. Ja, Bilbo hat einen eigenen Passierschein! Den müssen wir während der Ausgangssperre dabei haben und strenge Regeln beachten. Der meine hat ein Kreuzchen bei "Bedürfnisse eines Haustiers befriedigen". Ich darf damit kurz (?) raus, um die Wohnung herum (wie weit ist das nur?) und nur allein, nicht in Gruppen. Wenn mir Menschen begegnen, muss ich Sicherheitsabstand halten. Laufen mit Kumpels von Bilbo fällt flach, was er gar nicht kapiert. Er vermisst es auch, dass kaum einer mehr am Tor vorbeikommt. Als ich oben am Hügel bin, sehe ich eine gute Bekannte weiter unten. Sonst hätten wir aufeinander gewartet. Diesmal gibt's Winkezeichen: "Schön, dich zu sehen, geht alles gut? Halt durch!"

Manche nehmen den Punkt der individuellen Sporterlaubnis (in Wohnungsnähe) des Passierscheins, um Rasen zu mähen. Vor dem Virus war man verärgert, wenn es überall brummte. Jetzt sagen wir: "Ah, der XY mäht, also der lebt noch und dem geht's gut, fein." Die ausschwärmenden Trecker (Aussaatzeit) und die Rasenmäher verkünden Leben. Denn es ist unwahrscheinlich ruhig. Außer extrem wenigen Lieferfahrzeugen ist selbst auf der Landstraße kaum Verkehr. Wir genießen die Wärme, den Frühling, jede Kleinigkeit. Man kann tatsächlich mit den Augen auch in einem Blumentopf spazierengehen.

Es fühlt sich alles so irreal an. Was mich sonst nicht hätte schlafen lassen, dringt kaum noch durch: Ich werde nächsten Monat auf Sozialhilfe sein und muss mir erst einmal durchlesen, welche Soforthilfen ich bekommen könnte und ob und wie. So viele Freie bekommen keine Aufträge mehr, weil plözlich die Budgets fehlen. Und auch im Atelier ist erst einmal Ebbe. Das Museum geschlossen, also auch der Schmuckverkauf dort und die Workshops - auf unbestimmte Zeit verschoben. Gestern dann die Nachricht von meinen Großhändler und Zulieferer in Südfrankreich, dass er auf Notsparflamme zurückfährt, weil er die meisten MitarbeiterInnen ins Homeoffice schicken musste und die Hygienevorschriften für den Versand (genügend Distanz, Schutz für Angestellte) nicht erfüllen kann. Es gibt ja eben keine Masken und Desinfektionsmittel ist seit Wochen ausverkauft. Ich kann noch eine halbe Flasche Leim lang produzieren.

Einerseits ist der Onlinehandel gerade unsere Rettung, weil ja alle nicht überlebenswichtigen Läden geschlossen haben. Wer mal schnell Batterien braucht, wem die Klospülung verreckt oder die Kaffeemaschine, dem bleibt nur noch Amazon. Und das, was in Deutschland zur Rettung des Einzelhandels läuft, wo man fröhlich miteinander packende Buchhandelsangestellte im engen Lager miteinander wurschteln sieht - ist bei uns aus Sicherheitsvorschriften so gar nicht mehr möglich. Zuviel Risiko, diese aufeinanderhockenden Menschengruppen ohne Schutz!

Die Post hat in den Städten weiter geöffnet, aber die Abholstationen dort werden fast alle geschlossen. Nicht, weil man sich von Paketen anstecken könnte - es ist der Publikumsverkehr. Die Viren überleben doch lang genug in der Luft. Geliefert wird im Moment wie in China kontaktlos vor die Haustür. Die Postlerin verlässt das Auto nicht mehr, wirft von dort aus in den Kasten oder hupt und stellt das Paket im Vorgarten ab. Die Lieferanten tragen ein immenses Gesundheitsrisiko und darum sollte man ihnen auch helfen, sich zu schützen. Es mangelt inzwischen an Personal: Viele bleiben zuhause, weil sie jetzt Kinder betreuen müssen oder in Quarantäne sind, für sich oder Familienangehörige. Wir lernen, welche Berufe wirklich wichtig sind, um das normale gesellschaftliche Leben aufrecht zu erhalten. Börsenzocker sind es eher nicht ...

Man wird geduldig. Irgendwann wird wohl auch die Onlineapotheke meine Bestellung ausliefern, die sie sonst innerhalb von 48 Stunden verschickt. Zum Glück ist es nichts Eiliges, nur ein Fieberthermometer u.a.. Ich fand für mein altes einfach nirgends mehr passende Batterien. Vier Tage Aufzeit beim Hundefutterversand. Zum Glück hab ich auch da rechtzeitig bestellt. Bilbo würde zwar mit Wonne selbst Aldidosen fressen, aber die Verdauung ... Immerhin verweigern die Vögel jetzt das Winterfutter - Insekten sind doch leckerer und nahrhafter.

Draußen brummt und summt es, Wildbienen und Wildhummeln saugen sich am Nektar der Frühblüher voll. Und darum werde ich - neben der (vorerst) letzten Arbeit in diesem Monat jetzt doch erst einmal raus in die Sonne gehen, mit dem Hund dasitzen, Kaffee trinken und mit meinem tollen Wildbienenbuch Insekten bestimmen. Es gibt nichts Wichtigeres in diesen Zeiten, als das Leben zu genießen. Und beim nächsten Mal erzähle ich euch von schönen Dingen, die entstehen.

Bleibt gesund!

PS: Und so schnell ändert sich immer etwas. Während ich das schrieb, kommt die Meldung, dass die Kranken von Mulhouse nun doch mit einem Militärflugzeug ausgeflogen werden, nicht per Zug transportiert.

4 Kommentare:

  1. Alles Gute, gesundheitlich wie finanziell, und wackeres Durchhalten! So bitter nötig die derzeitigen Einschränkungen sind, dass es viele Freie jetzt in den Ruin reißt, ist wirklich schlimm.

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    1. Danke dir! Ich versuche, das Positive zu sehen: Nachdem sich plötzlich alle aufs Homeoffice stürzen und Kinder zu Hause lernen, werden meine Kenntnisse aus digitalen Lernsystemen und Content Management vielleicht künftig durchaus gefragt sein.
      Was das Atelier betrifft, das muss halt leider mal komplett ruhen, aber die Kurse sind nur verschoben. Ich bin guter Dinge, dass die Leute nach der Einschließerei Hunger auf soziales Miteinander haben werden und die Art Journals sind auch eine wunderbare Art der Bewältigung. Und sollte ich noch Leim haben, bereite ich Stücke für eine mögliche Ausstellung vor.
      Ebenfalls als Optimistin gehe ich insofern ran, als ich ja immer für mich selbst Kunst machen kann (hahaha). Und ich harre der Dinge, was der Staat anbietet ...

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  2. Mal auch kurz ein Lebenszeichen von mir! Ich wünsch dir alles Gute, les hier immer wieder hier und auf dem Zwitscherforum nach und bin beruhigt, wenn ich wieder einen neuen Eintrag finde. Selber schreiben tu ich fast nur noch mit der Familie und im Facebook mit ein paar Freunden, aber ganz wenig, weil ich sonst zu viel über das ganze in den Medien mitbekomme, und ich gestehe, ich hab eine Scheiß-Angst vor den Bildern und dem Wissen, was da auf uns alle zurollt - und noch mehr vor der unglaublichen Dummheit mancher, die mir aus diversen Posts entgegentropft und mich fassungslos macht.
    Und doch gibts diese Momente der Surrealität, wo alles einen speziellen Schimmer bekommt, eine Einzigartigkeit der Nähe im Abstand, eine zähe Adhäsion der Hoffnung entgegen aller Informationen und Prognosen. Im großen und Ganzen hat sich an meinem sowieso sehr zurückgezogenen Leben kaum was geändert, außer dieser dauernden GRundschwingung von Angst um Menschen, die man liebt. Das Gelb der Narzissen, die Rufe der Kiebitze, die Farben und Gerüche des Frühlings sind so viel intensiver, und so viel trauriger als in den Jahren davor. Ich hoffe, wir überstehen alles das gut (was ist gut? man traut sich solche Phrasen gar nimmer ausschreiben)und muß immer, sobald ich beginne, in Wahrscheinlichkeiten zu denken, weg vom Netz, raus in den Garten, in die Sonne, hinein in die Normalität der Alltagsarbeiten... NWY, ich denk oft an dich und Bilbo, und bitte paß gut auf dich auf! Und danke, danke, danke für deine Posts hier, sie sind ein Refugium! Liebe GRüße aus Österreich von Karamelle aka Windfrau.

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    1. Es ist so schön, dich nicht aus den Augen zu verlieren udn wiederzufinden, liebe Karamelle! :-)

      Und du beschreibst das so treffend und zeigst, was essentiell wichtig ist in diesen Zeiten: Sich eben nicht alle verfügbaren Bilder anzuschauen und auch wegschalten zu können. Die Allgegenwart von Infos macht uns ja in normalen Zeiten schon wuschig.
      Ich bin überzeugt davon, dass wir das überstehen werden - und zwar auch, indem wir viel gelernt haben werden, uns weiterentwickeln.
      Nicht alle, denn Gottes Zoo ist ja arg bunt, wie meine Oma immer sagte. Aber es macht doch auch Hoffnung, wenn man es aus dem Abstand betrachtet: Die Mehrheit der menschen ist absolut vernünftig, diszipliniert und hilfsbereit. Und gleichzeitig wird immer deutlicher, dass die brüllenden Extremisten keinerlei Lösungen haben, kein bißchen sozial oder empathisch denken, sondern nur Zerstörung und Chaos erträumen. Und damit ergo völlig überflüssig sind auf dieser Erde.

      Wir haben jetzt auch wieder etwas mehr Zeit zu überlegen, wer und was uns wichtig ist in diesen Tagen. Erleben dabei auch Überraschungen. Plötzlich reden wieder Menschen miteinander, die sich vorher kaum noch angesehen haben. Die Hoffnung überwiegt.

      In diesem Sinne wünsche ich dir viel Kraft und alles alles Gute für dich und deine Lieben! Petra

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