Eben kommt bei mir ein Buchtipp rein, den ich weitergeben möchte. Er passt nämlich auch dazu, dass ich die Abteilung "Zukunft" hier im Blog öfter bestücken will.
Es ist ständig vollmundig die Rede davon, dass etwas "am System" nicht stimme. Meist ist damit eigentlich nur der Status Quo gemeint, aber wirtschaftlich kann man sich fragen: Wie nachhaltig und zukunftsweisend ist unser derzeitiges globales Wirtschaftssystem eigentlich? Schnell sind wir dann bei Schlagworten wie "Kapitalismus" und dann wird es meist lustig. Der müsste nämlich erst mal unter DebattenteilnehmerInnen genau definiert werden. Kürzlich hatte ich eine Kapitalismuskritik gesehen, die ein Alternativsystem lobte - wir ahnen es - das sich ebenfalls des Kapitalismus bediente. Was also ist nun was?
Haben wir überhaupt Zukunftsszenarien für andere Systeme? Oder können wir bestehende Systeme neu und umdenken? Was verbirgt sich hinter all den Schlagworten?
In diese Bresche springt das eben erschienene Buch "Pluriverse: A Post-Development Dictionary" (AUF, 2019). Herausgegeben von Ashish Kothari, Ariel Salleh, Arturo Escobar, Federico Demaria and Alberto Acosta. Zu denen heißt es:
"Ashish Kothari is with Kalpavriksh and Vikalp Sangam in India, co-editor of Alternative Futures: India Unshackled.
Ariel Salleh is an Australian scholar-activist, author of Ecofeminism as Politics and editor of Eco-Sufficiency and Global Justice.
Arturo Escobar teaches at University of North Carolina, and is author of Encountering Development.
Federico Demaria is with Autonomous University of Barcelona, and co-editor of Degrowth: A Vocubalary for a New Era.
Alberto Acosta is an Ecuadorian economist and activist, and former President of the Constituent Assembly of Ecuador."
Eine deutschsprachige Ausgabe ist geplant. Übersetzungen werden möglich, wenn genügend Sponsoring reinkommt. Denn das Buch selbst als Ebook kostet nichts.
Es ist, so man Englisch kann, absolut laienverständlich geschrieben und wie ein Wörterbuch zu Stichworten aufgebaut. Ein Must Have für alle, die bei Zukunftskonzepten und in der Wirtschaft mitreden wollen oder die nach Inspirationen suchen, was sich auf dieser Erde an neuen Denkansätzen entwickelt.
Man bekommt dort Dinge erklärt wie Circular Economy, Climate-Smart Agriculture, Lifeboat Ethics oder Smart Cities, oder kann lernen, was hinter transformativen Bewegungen steckt, die heißen wie Alter-Globalization Movement, Biocivilization, Convivialism, Cooperative Ecosystems, Degrowth oder Eco-Anarchism, aber auch Unbekannteres wie Minobimaatisiiwin oder Sentipensar. Außerdem gibt es einen Überblick, welche Zukunftskonzepte aus unterschiedliche Religionen erwachsen.
Die Artikel sind übersichtlich gestaltet, zum Vertiefen gibt es jeweils weitere Lesetipps. Und das Besondere: Das Buch kann kostenlos im Download geholt werden, es ist unter Creative Commons erschienen. Wer Druckexemplare kaufen möchte, wendet sich an per Mail hierhin: info@authorsupfront.com . Hier geht es zum Download auf Academia.
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30. Juni 2019
29. Juni 2019
Johannistriebe
Die typische Nachteule hat sich heute Morgen gaaaaaanz früh aus dem Bett gequält. Es ist mir aus zwei Gründen leicht gefallen: Trotz offener Türen und Fenster stand die Luft in der Nacht. Und Bilbo hat in letzter Zeit diesen herzzerreißenden Blick: "Wann laufen wir endlich mal wieder richtig?" Dabei macht er bei der Hitze recht schnell schlapp. Wie alle Tiere im Moment.
Ein junger Kleiber, der auf der Haustür hockte, starrte mich ungläubig an. Zweibeiner um diese Zeit war er offenbar nicht gewohnt. Zutraulich hängte er sich kopfüber und probierte aus, ob ich mich nicht aus dieser Richtung in Luft auflösen würde. Noch vor dem Frühstückskaffee leinte ich Bilbo an, denn bereits um sieben Uhr morgens heizte die Sonne vom makellos blauen Himmel.
Es war eine Freude, dass der Hund dank leichter Nordwestbrise endlich einmal durchschnaufen und laufen konnte. All die verpassten Pee-Mails und Mausspuren! Die Momente, sich mit Schmackes von oben im Mäuselsprung in trocknendes Heu zu werfen! Bilbo erzählte mir mit seinem Körper von Hasen, die im Maisfeld verschwunden waren, und wo der Rehbock gestanden hatte. Den rieche aber selbst ich.
Es ist eine eigene Stimmung am frühen Morgen, weil wir plötzlich nicht mehr allein unterwegs sind. Menschen eilen nur am Anfang auf dem kleinen Dorfsträßchen zur Arbeit. Auf Wiesen und Feldern hat die Gesellschaft lange Beine. Der Jungstorch, den wir bereits kennen, begleitet uns parallel und sehr nah, er beäugt Bilbo neugierig. Und ich habe dem Hund inzwischen klargemacht, dass ich ihm keinen Storch braten werde. Seither spazieren wir zu dritt. Über uns schwebt ein Fischreiher zu einer Wiese, auf der noch das Heu zum Trocknen liegt. Er ist sehr viel scheuer als der Storch und hält Sicherheitsabstand.
Am Bach bilden verwilderte Gartenwicken ein pinkfarbenes Nest und das Mädesüß mit seinem vanillefarbenen Blütenschaum fängt in der zunehmenden Wärme an zu duften. Ich habe es ganz verpasst, dass es bereits blüht. Früher hat man damit die gestampften Lehmböden in Häusern bedeckt, denn wenn es welkt, werden die Cumarine erst recht frei, der süße Duft verstärkt sich. Der gleiche Effekt wie beim Waldmeister.
So weit wie heute war ich in der großen Hitze der letzten Tage nicht gekommen. Bilbo drängt zum Wald, steht vor dem Eingang auf seinen Lieblingspfad. Das Bächlein, über das ich sonst springen muss, ist eine Wüstenlandschaft en miniature. Die Bäume am Waldrand fallen mir auf: Die Eichen zeigen allesamt lang geschossene Triebe in hellstem Grün, die Triebspitzen schimmern rötlich.
Johannistriebe nennt man dieses Phänomen. Es tritt entweder auf, wenn es im zeitigen Frühjahr einen großen Schädlingsbefall gab - oder wenn das Klima günstig ist, die Wachstumsperiode lang zu werden scheint. Normalerweise bilden die Eichen und manche Ahornarten in diesem Wald schlafende Knospen fürs nächste Jahr, die überwintern. Man kennt das, wenn man kahle Zweige im Dezember in die Vase stellt und sie plötzlich grünen. Ist der Frühling warm genug, schieben sich teleskopartig die Triebe aus diesen Knospen, bei uns etwa im April - dann werden die Eichen grün.
Sie haben sich im Lauf der Evolution angepasst. In manchen Jahren entwickeln sich diese Knospen, die eigentlich fürs nächste Jahr vorgesehen sind, um den Johannistag (24.06.) herum, also dem Sommeranfang. So lässt sich Blattfraß ausgleichen. Eichen, die fast kahl gefressen waren, tragen plötzlich belaubte Triebspitzen. Aber auch ohne Fraßfeinde haben Johannistriebe einen Sinn. Ist es nämlich besonders warm und besonders lange im Jahr warm, kann der Baum "Strecke" machen und sich inmitten der Konkurrenz schneller dem Licht entgegenstrecken. Die Eiche rechnet sozusagen damit, dass das Jahr lange warm bleibt - denn nach den Johannistrieben schafft sie weiter: Jetzt bilden sich die eigentlichen Knospen fürs nächste Jahr. Zwei Fliegen also mit einer Klappe.
Aber auch für so ein zartes Eichenblättchen ist die Sonneneinstrahlung derzeit zu stark. Was für ein Glück, dass der Baum ein lebendes Chemielabor ist! Fotosynthese können die älteren Blätter übernehmen, die ledrig und tough und dunkelgrün aussehen. Deren "Haut" hält einiges aus. Auf der Epidermis haben sie auch noch eine Wachsschicht. Die Kleinen dagegen bekommen einen baumeigenen Sonnenschutzfaktor: Anthocyane. Das sind Farbstoffe, die auch im Herbst für die Laubfärbung sorgen.
Anthocyane kommen in fast allen Pflanzen vor und ganz besonders konzentriert überall dort, wo Blüten blau und Früchte bläulich oder violett sind. Sie schwimmen frei im Pflanzensaft herum, fein verteilt. Hergestellt werden sie bei der Fotosynthese aus Kohlenstoff. Wenn im Herbst die Fotosynthese heruntergefahren wird und sich kein neues Chlorophyll bildet, werden sie sichtbar.
Die frischen, extrem zarten Johannistriebe der Eichen könnten die Sonneneinstrahlung derzeit nicht überstehen. Bei ihnen hat weder die Chlorophyll- noch die Wachsproduktion eingesetzt - und beides braucht ein Blatt bei dieser Hitzewelle. Dafür haben Eichen (und andere Bäume) aber vorgesorgt. In den Blättchen läuft die Produktion von sogenannten Jugendanthocyanen auf Hochtouren. Der körpereigene Sonnenschutz der Triebe lässt sie rötlich erscheinen. Sind sie dann groß und stark genug, um selbst Chlorophyll zu bilden, werden die anderen Farbstoffe wieder zurückgefahren.
Der Baum reagiert dabei sensibel auf Bodenbedingungen, Licht und Wärme. Er schützt sich so nicht nur gegen UV-Strahlung, sondern auch gegen ionisierende Strahlung. Oxidativer Stress wird vermindert, eine Schädigung der pflanzeneigenen Proteine und der DNA werden vermieden. Deshalb werden solche Pflanzen auch schon mal nur bei großem Stress rötlich bis bläulich. Ob der Mensch sich das Essen anthocyanhaltiger Pflanzen ähnlich zunutze machen kann, ist übrigens umstritten - nur ein winziger Bruchteil des Stoffs ist für ihn bioverfügbar.
Ich sinniere wohl etwas zu lange vor einer Eiche - der Hund zerrt an der Leine. In einer unüblichen Richtung. Sonst hält ihn nichts vom Wald zurück, aber diesmal ist er klüger als die Baumbetrachterin: Er will zurück. Wir müssen in der prallen Frühmorgensonne über Felder und Wiesen, Schatten gibt es selbst um diese Uhrzeit nicht. Nur noch wenige Spuren sind für Bilbo interessant, er kürzt ab, hechelt über die letzte Wiese. Als wir um acht Uhr zuhause sind, ist es bereits viel zu warm zum Laufen.
Nicht zu warm ist es für meinen Morgenkaffee. Und Monsieur stürzt sich auf den Wassernapf. Dann ein lauter Plopp - er liegt platt auf den Steinfließen im Bad. Wir bleiben während der Hitze drinnen, denn leider können weder Mensch noch Hund körpereigene UV-Schutzfaktoren aktivieren und sich fröhlich violett färben.
Spenden für die Blogarbeit (rechts im Menu unter "Wer liebt, gibt") werden derzeit übrigens in Kaffee und getrocknete Pansenstangen umgesetzt. Ich muss wohl nicht sagen, wer von uns beiden was liebt ...
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Ich bekomme Bilbo meist nur von hinten zu sehen, wenn er die Welt der Spuren erkundet. Im Heu duftet es besonders verführerisch nach Mäusen, die sich über die Grassamen hermachen. |
Ein junger Kleiber, der auf der Haustür hockte, starrte mich ungläubig an. Zweibeiner um diese Zeit war er offenbar nicht gewohnt. Zutraulich hängte er sich kopfüber und probierte aus, ob ich mich nicht aus dieser Richtung in Luft auflösen würde. Noch vor dem Frühstückskaffee leinte ich Bilbo an, denn bereits um sieben Uhr morgens heizte die Sonne vom makellos blauen Himmel.
Es war eine Freude, dass der Hund dank leichter Nordwestbrise endlich einmal durchschnaufen und laufen konnte. All die verpassten Pee-Mails und Mausspuren! Die Momente, sich mit Schmackes von oben im Mäuselsprung in trocknendes Heu zu werfen! Bilbo erzählte mir mit seinem Körper von Hasen, die im Maisfeld verschwunden waren, und wo der Rehbock gestanden hatte. Den rieche aber selbst ich.
Es ist eine eigene Stimmung am frühen Morgen, weil wir plötzlich nicht mehr allein unterwegs sind. Menschen eilen nur am Anfang auf dem kleinen Dorfsträßchen zur Arbeit. Auf Wiesen und Feldern hat die Gesellschaft lange Beine. Der Jungstorch, den wir bereits kennen, begleitet uns parallel und sehr nah, er beäugt Bilbo neugierig. Und ich habe dem Hund inzwischen klargemacht, dass ich ihm keinen Storch braten werde. Seither spazieren wir zu dritt. Über uns schwebt ein Fischreiher zu einer Wiese, auf der noch das Heu zum Trocknen liegt. Er ist sehr viel scheuer als der Storch und hält Sicherheitsabstand.
Am Bach bilden verwilderte Gartenwicken ein pinkfarbenes Nest und das Mädesüß mit seinem vanillefarbenen Blütenschaum fängt in der zunehmenden Wärme an zu duften. Ich habe es ganz verpasst, dass es bereits blüht. Früher hat man damit die gestampften Lehmböden in Häusern bedeckt, denn wenn es welkt, werden die Cumarine erst recht frei, der süße Duft verstärkt sich. Der gleiche Effekt wie beim Waldmeister.
So weit wie heute war ich in der großen Hitze der letzten Tage nicht gekommen. Bilbo drängt zum Wald, steht vor dem Eingang auf seinen Lieblingspfad. Das Bächlein, über das ich sonst springen muss, ist eine Wüstenlandschaft en miniature. Die Bäume am Waldrand fallen mir auf: Die Eichen zeigen allesamt lang geschossene Triebe in hellstem Grün, die Triebspitzen schimmern rötlich.
Johannistriebe nennt man dieses Phänomen. Es tritt entweder auf, wenn es im zeitigen Frühjahr einen großen Schädlingsbefall gab - oder wenn das Klima günstig ist, die Wachstumsperiode lang zu werden scheint. Normalerweise bilden die Eichen und manche Ahornarten in diesem Wald schlafende Knospen fürs nächste Jahr, die überwintern. Man kennt das, wenn man kahle Zweige im Dezember in die Vase stellt und sie plötzlich grünen. Ist der Frühling warm genug, schieben sich teleskopartig die Triebe aus diesen Knospen, bei uns etwa im April - dann werden die Eichen grün.
Sie haben sich im Lauf der Evolution angepasst. In manchen Jahren entwickeln sich diese Knospen, die eigentlich fürs nächste Jahr vorgesehen sind, um den Johannistag (24.06.) herum, also dem Sommeranfang. So lässt sich Blattfraß ausgleichen. Eichen, die fast kahl gefressen waren, tragen plötzlich belaubte Triebspitzen. Aber auch ohne Fraßfeinde haben Johannistriebe einen Sinn. Ist es nämlich besonders warm und besonders lange im Jahr warm, kann der Baum "Strecke" machen und sich inmitten der Konkurrenz schneller dem Licht entgegenstrecken. Die Eiche rechnet sozusagen damit, dass das Jahr lange warm bleibt - denn nach den Johannistrieben schafft sie weiter: Jetzt bilden sich die eigentlichen Knospen fürs nächste Jahr. Zwei Fliegen also mit einer Klappe.
Aber auch für so ein zartes Eichenblättchen ist die Sonneneinstrahlung derzeit zu stark. Was für ein Glück, dass der Baum ein lebendes Chemielabor ist! Fotosynthese können die älteren Blätter übernehmen, die ledrig und tough und dunkelgrün aussehen. Deren "Haut" hält einiges aus. Auf der Epidermis haben sie auch noch eine Wachsschicht. Die Kleinen dagegen bekommen einen baumeigenen Sonnenschutzfaktor: Anthocyane. Das sind Farbstoffe, die auch im Herbst für die Laubfärbung sorgen.
Anthocyane kommen in fast allen Pflanzen vor und ganz besonders konzentriert überall dort, wo Blüten blau und Früchte bläulich oder violett sind. Sie schwimmen frei im Pflanzensaft herum, fein verteilt. Hergestellt werden sie bei der Fotosynthese aus Kohlenstoff. Wenn im Herbst die Fotosynthese heruntergefahren wird und sich kein neues Chlorophyll bildet, werden sie sichtbar.
Die frischen, extrem zarten Johannistriebe der Eichen könnten die Sonneneinstrahlung derzeit nicht überstehen. Bei ihnen hat weder die Chlorophyll- noch die Wachsproduktion eingesetzt - und beides braucht ein Blatt bei dieser Hitzewelle. Dafür haben Eichen (und andere Bäume) aber vorgesorgt. In den Blättchen läuft die Produktion von sogenannten Jugendanthocyanen auf Hochtouren. Der körpereigene Sonnenschutz der Triebe lässt sie rötlich erscheinen. Sind sie dann groß und stark genug, um selbst Chlorophyll zu bilden, werden die anderen Farbstoffe wieder zurückgefahren.
Der Baum reagiert dabei sensibel auf Bodenbedingungen, Licht und Wärme. Er schützt sich so nicht nur gegen UV-Strahlung, sondern auch gegen ionisierende Strahlung. Oxidativer Stress wird vermindert, eine Schädigung der pflanzeneigenen Proteine und der DNA werden vermieden. Deshalb werden solche Pflanzen auch schon mal nur bei großem Stress rötlich bis bläulich. Ob der Mensch sich das Essen anthocyanhaltiger Pflanzen ähnlich zunutze machen kann, ist übrigens umstritten - nur ein winziger Bruchteil des Stoffs ist für ihn bioverfügbar.
Ich sinniere wohl etwas zu lange vor einer Eiche - der Hund zerrt an der Leine. In einer unüblichen Richtung. Sonst hält ihn nichts vom Wald zurück, aber diesmal ist er klüger als die Baumbetrachterin: Er will zurück. Wir müssen in der prallen Frühmorgensonne über Felder und Wiesen, Schatten gibt es selbst um diese Uhrzeit nicht. Nur noch wenige Spuren sind für Bilbo interessant, er kürzt ab, hechelt über die letzte Wiese. Als wir um acht Uhr zuhause sind, ist es bereits viel zu warm zum Laufen.
Nicht zu warm ist es für meinen Morgenkaffee. Und Monsieur stürzt sich auf den Wassernapf. Dann ein lauter Plopp - er liegt platt auf den Steinfließen im Bad. Wir bleiben während der Hitze drinnen, denn leider können weder Mensch noch Hund körpereigene UV-Schutzfaktoren aktivieren und sich fröhlich violett färben.
Spenden für die Blogarbeit (rechts im Menu unter "Wer liebt, gibt") werden derzeit übrigens in Kaffee und getrocknete Pansenstangen umgesetzt. Ich muss wohl nicht sagen, wer von uns beiden was liebt ...
24. Juni 2019
Mustreads
Aktuellen Lesestoff teile ich normalerweise auf meinem Twitteraccount. Weil da nicht jeder ist, möchte ich die wichtigsten Artikel in sehr loser Folge auch im Blog kurz empfehlen. Und weil ich selbst dreisprachig und gar nicht so oft deutschsprachig unterwegs bin, sind viele Artikel auf Englisch (die Französischen lasse ich schon weg). Man kann die relativ gut via Google Translate lesen - dort einfach die URL eingeben!
Der einzige deutschsprachige Text ist ein richtig starker. Martin Gommel bei den Krautreportern mit seinem lesenswerten Rant gegen Leute, die neuerdings Profitmacherei mit Sinnhaftigkeit verbrämen wollen und bei wirklich sinnvollen Jobs arrogant die Nase rümpfen. Nur, weil man in denen viel zu wenig verdient. "Du findest deine Arbeit sinnlos? Mach doch meinen Job!
Handarbeitende Frauen sind zahm, haben nur Mode und Frauenzeitschriften im Kopf und flüchten aus der Welt? So klingen Vorurteile. Ich bereite gerade einen Blogbeitrag über die politisch äußerst wehrhafte DIY-Szene vor. Und lese mich durch diese Artikel: "How Feminist Cross Stitching Became A Tool Of The Resistance" von Kase Wickman und im Guardian "'White supremacy': popular knitting website Ravelry bans support for Trump". Ebenfalls im Guardian: "Stitch-up: online sewing community at war over cultural appropriation". Wie ich zu dem Thema komme? Ganz einfach, ich habe mit der aufblühenden Stickereikultur in Frankreich real zu tun (Wollfestival, Kreuzstichfestival) - und ich war schon als Kind fasziniert von den sogenannten "Strickerinnen", die von den hinteren Rängen aus die Französische Revolution maßgeblich beeinflussten. Wenn ich den Blogbeitrag schreibe, werde ich die Artikel noch einmal verlinken.
Was war eigentlich vorher? Und vorvorvorher? Solche Fragen trieben mich ins Theologiestudium und weiter bis in die Religionswissenschaften. Schnell war klar, dass die großen Weltreligionen Vorgängerreligionen hatten. Und so ziemlich jeder Gott, jede Göttin hatte andere abgelöst, mal friedlich, mal zerstörerisch. Wie aber kamen diese moralisierenden monotheistischen Götter in die Welt? Da hat man sich früher sehr gestritten. Spannend deshalb eine neue Studie der Uni Wien, die herausfand, dass ein solcher Gott nicht die Geburt von komplexen und besonders zivilisierten Gesellschaften verursachte - es war umgekehrt. Nachzulesen in "Complex societies gave birth to big gods, not the other way around"
Um Zeitbilder geht es in den folgenden Artikeln. Der Mensch denkt in Bildern. Darum können manche Fotos Zeitumstände oder Situationen oft viel treffender und eindrücklicher auf den Punkt bringen als Texte. Zu traurigster Berühmtheit werden es wohl Fotos von Eisbären bringen. Sie könnten eines Tages in Geschichtsbüchern vorkommen, sinnbildlich für alles, was der Mensch der Erde und seinen Mitgeschöpfen antut. Ich würde dieses Foto auswählen, mitsamt Hintergrundgeschichte: "Stricken polar bear turns up in Siberian city, hundreds of miles from home". Andere Fotos sind rosa. Aber die Farbe, die Einhornfans zum wohligen Quietschen bringt, verheißt auf Gletschern nichts Gutes. Die letzten Gletscher dieser Erde werden eines Tages wohl blutrot zu Tal fließen. Woher die Farbe kommt und wie alles mit allem zusammenhängt, beschreibt der New Yorker: Why the Last Snow on Earth May Be Red.
Für die Siesta habe ich etwas auf meiner Leseliste, das ich noch nicht kenne. Thema Zukunft, Internet, Fakes, Realitäten: "You can handle the post-truth: a pocket guide to the surreal internet" von Aaron Z. Lewis.
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Madame liest ... |
Der einzige deutschsprachige Text ist ein richtig starker. Martin Gommel bei den Krautreportern mit seinem lesenswerten Rant gegen Leute, die neuerdings Profitmacherei mit Sinnhaftigkeit verbrämen wollen und bei wirklich sinnvollen Jobs arrogant die Nase rümpfen. Nur, weil man in denen viel zu wenig verdient. "Du findest deine Arbeit sinnlos? Mach doch meinen Job!
Handarbeitende Frauen sind zahm, haben nur Mode und Frauenzeitschriften im Kopf und flüchten aus der Welt? So klingen Vorurteile. Ich bereite gerade einen Blogbeitrag über die politisch äußerst wehrhafte DIY-Szene vor. Und lese mich durch diese Artikel: "How Feminist Cross Stitching Became A Tool Of The Resistance" von Kase Wickman und im Guardian "'White supremacy': popular knitting website Ravelry bans support for Trump". Ebenfalls im Guardian: "Stitch-up: online sewing community at war over cultural appropriation". Wie ich zu dem Thema komme? Ganz einfach, ich habe mit der aufblühenden Stickereikultur in Frankreich real zu tun (Wollfestival, Kreuzstichfestival) - und ich war schon als Kind fasziniert von den sogenannten "Strickerinnen", die von den hinteren Rängen aus die Französische Revolution maßgeblich beeinflussten. Wenn ich den Blogbeitrag schreibe, werde ich die Artikel noch einmal verlinken.
Was war eigentlich vorher? Und vorvorvorher? Solche Fragen trieben mich ins Theologiestudium und weiter bis in die Religionswissenschaften. Schnell war klar, dass die großen Weltreligionen Vorgängerreligionen hatten. Und so ziemlich jeder Gott, jede Göttin hatte andere abgelöst, mal friedlich, mal zerstörerisch. Wie aber kamen diese moralisierenden monotheistischen Götter in die Welt? Da hat man sich früher sehr gestritten. Spannend deshalb eine neue Studie der Uni Wien, die herausfand, dass ein solcher Gott nicht die Geburt von komplexen und besonders zivilisierten Gesellschaften verursachte - es war umgekehrt. Nachzulesen in "Complex societies gave birth to big gods, not the other way around"
Um Zeitbilder geht es in den folgenden Artikeln. Der Mensch denkt in Bildern. Darum können manche Fotos Zeitumstände oder Situationen oft viel treffender und eindrücklicher auf den Punkt bringen als Texte. Zu traurigster Berühmtheit werden es wohl Fotos von Eisbären bringen. Sie könnten eines Tages in Geschichtsbüchern vorkommen, sinnbildlich für alles, was der Mensch der Erde und seinen Mitgeschöpfen antut. Ich würde dieses Foto auswählen, mitsamt Hintergrundgeschichte: "Stricken polar bear turns up in Siberian city, hundreds of miles from home". Andere Fotos sind rosa. Aber die Farbe, die Einhornfans zum wohligen Quietschen bringt, verheißt auf Gletschern nichts Gutes. Die letzten Gletscher dieser Erde werden eines Tages wohl blutrot zu Tal fließen. Woher die Farbe kommt und wie alles mit allem zusammenhängt, beschreibt der New Yorker: Why the Last Snow on Earth May Be Red.
Für die Siesta habe ich etwas auf meiner Leseliste, das ich noch nicht kenne. Thema Zukunft, Internet, Fakes, Realitäten: "You can handle the post-truth: a pocket guide to the surreal internet" von Aaron Z. Lewis.
Hitzeschaden Frankreich, die Erste!
Es muss dringend ein Brief abgeschickt werden. Ich quäle mich müde durch meinen Morgenkaffee. Um 10 Uhr ist Terminschluss, da kommt das Postauto aus der Stadt und holt den Postsack. Die Dorfstelle hat noch bis 12 Uhr offen.
Ums Auto herum 41 Grad (pralle Sonne). Ich war kurz draußen, um die Vogel- und Wespentränken aufzufüllen. Ich schaue meinen Inspirational Manager an. Der hat sein (zu warmes) Kuschelbett im Atelier verlassen, hechelt platt wie eine Flunder auf den Holzdielen. "Soll ich?", frage ich ihn und denke, er wird mir Beine machen.
Der Inspirational Manager hebt müde ein Augenlid, lässt die Zunge noch ein Stück weiter nach draußen hängen. Wir verstehen uns auch ohne Worte. Es bringt gar nichts, jetzt durch die Hitze zu sauen, will er mir sagen. Denn wenn ich zu spät komme und der Brief im Dorf dann bis morgen liegenbleibt, kann ich auch gleich selbst liegenbleiben. Aber weniger schwitzen.
Möchtegernbeagles sind so weise. Ich werde mich in der Siesta ausschlafen. Dann bin ich morgen früh früher auf der Post. Dankbar möchte ich das Kerlchen knuddeln. Aber Bilbo brummt. Ich soll ihm vom Pelz bleiben, ich sei viel zu warm.
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Inspirational Manager Bilbo hatte schon als Welpe für jede Lebenslage einen guten Rat. |
Ums Auto herum 41 Grad (pralle Sonne). Ich war kurz draußen, um die Vogel- und Wespentränken aufzufüllen. Ich schaue meinen Inspirational Manager an. Der hat sein (zu warmes) Kuschelbett im Atelier verlassen, hechelt platt wie eine Flunder auf den Holzdielen. "Soll ich?", frage ich ihn und denke, er wird mir Beine machen.
Der Inspirational Manager hebt müde ein Augenlid, lässt die Zunge noch ein Stück weiter nach draußen hängen. Wir verstehen uns auch ohne Worte. Es bringt gar nichts, jetzt durch die Hitze zu sauen, will er mir sagen. Denn wenn ich zu spät komme und der Brief im Dorf dann bis morgen liegenbleibt, kann ich auch gleich selbst liegenbleiben. Aber weniger schwitzen.
Möchtegernbeagles sind so weise. Ich werde mich in der Siesta ausschlafen. Dann bin ich morgen früh früher auf der Post. Dankbar möchte ich das Kerlchen knuddeln. Aber Bilbo brummt. Ich soll ihm vom Pelz bleiben, ich sei viel zu warm.
21. Juni 2019
Absprung von Facebook (1)
Damit diejenigen, die schon bei der Schlagzeile stöhnen und die Augen verdrehen, nicht allzu genervt sind, werde ich meine neue lose Minireihe "Absprung von Facebook" mit immer der gleichen Schlagzeile versehen und nummerieren. So können die Betreffenden das schneller wegscrollen. Wer später die Serie ganz nachlesen will, rufe einfach das Label Facebook auf. Was die Serie soll? Ihr könnt erfahren, wie ich mich auf den Ausstieg vorbereite, was das mit mir macht und welche Tipps ich habe.
Ich könnte es mir nun sehr einfach machen und sagen: "Ich konsumiere Facebook und ich bin süchtig." Das wäre aber nicht ganz die Wahrheit. Ich möchte viel weniger ohne Schokoladenmuffins leben und bin komplett süchtig nach Wald. Ohne Facebook könnte ich, wenn ...
Da sind wir schon bei der hilfreichen Bestandsaufnahme, die auch zwischendurch ganz nützlich ist, selbst wenn man bleiben möchte:
1. Warum bin ich bei Facebook eingetreten und so lange geblieben? Hat sich hier etwas verändert? Habe ich mein Ziel erreicht? Bin ich zufriedener oder unzufriedener geworden?
2. Warum brauche ich Facebook unbedingt?
3. Was gibt mir Facebook, was ich woanders absolut nicht haben kann?
4. Wo ertappe ich mich bei emotionalen Abhängigkeiten?
5. Ertappe ich mich dabei, bereits konditioniert zu sein auf ein bestimmtes Verhalten?
6. Reicht es mir, nur abzuspecken, den Konsum herunterzufahren?
7. Warum will ich weg?
Fangen wir mit dem letzten Punkt an, für mich der einfachste:
Müssen in einem halben Jahr fast 4 Milliarden (!) Fake-Accounts gelöscht werden, Tendenz stark steigend, Dunkelziffer unbekannt, dann wird klar, wie groß das Problem mit Fakes und Propaganda inzwischen ist. Das mag FB noch so schön reden, ich werde dazu noch einen Artikel empfehlen, der zeigt, dass genau dieses Löschen immer noch nicht richtig stattfindet.
Gleichzeitig vereint das Konglomerat Facebook, Instagram und Whatsapp eine immense Monopolmacht, worüber andernorts auch genug geschrieben wurde. Auch hier muss ich fast schmunzeln, wenn bei Facebook Boykottaufrufe etwa gegen Nestlé geteilt werden, aber nicht darüber nachgedacht wird, was Zuckerbergs Monopol eigentlich so tut, das man so gern dafür nutzt. Noch schlimmer als der Griff zu immer mehr Macht sind jedoch in meinen Augen gewisse Attitüden des Big Boss, der es zwar scherzhaft auf seine Frau schiebt, aber sich selbst völlig mit Kaiser Augustus identifiziert:
Ich mache es kurz: Über all das kann man entsetzt sein, man kann darüber hinwegsehen, man kann sich Ausreden überlegen, warum man trotzdem mitmacht. Denn all das funktioniert ja nur, weil Milliarden von Datenviechern brav einloggen, um sich melken zu lassen und vermeintlich Wichtiges dafür zu bekommen.
Auch ich habe mir alle möglichen Ausreden gesucht. Die beste: Ich brauche das beruflich.
Aber dann hat es "klick" gemacht. Beim Lesen des Verge-Artikels "Bodies in Seats". Es geht in diesem Longread um die Sweatshops, die für FB Inhalte checken, aussortieren, löschen oder nicht löschen. Es geht um all das Brutale, was diese Leute aushalten müssen, weil es schlicht auf dieser Plattform stattfindet. Es geht um die ebenso brutalen Arbeitsbedingungen - nicht etwa in irgendeinem fernen Entwicklungsland, sondern in dem Land, in dem Zuckerberg lebt und arbeitet. Der Artikel hat einen Warnhinweis, zu Recht. Selbst ich, die ich professionell lese, also dabei zumachen kann, konnte einige Absätze nicht zu Ende lesen. Es sind die Schilderungen dessen, was bei Facebook eingestellt wird - und oft nicht einmal gelöscht werden darf. Rechtsradikale Propaganda ist ein Sonntagsspaziergang mit der Oma dagegen.
Wer diesen Longread liest, der mMn das beste zum Thema seit langem ist, wird eines erkennen: Das System FB ist in sich absolut toxisch geworden. Was diese Arbeitskräfte berichten, zeigt, dass bei FB längst das schlimmste Extrem stattfindet und alltäglich lebt, das die Menschheit treffen kann: der schmale Grat zwischen Zivilisation und tiefster, unfassbarer Barbarei kippt langsam. Befördert durch Algorithmen, die auf Kommerz und Profit und Datenabgreiferei reagieren, aber eben nicht auf Ethik. Kleingeredet vom "Machthaber" an der Spitze. Verleugnet und irgendwie sogar aktiv geduldet, wenn selbst nach mehrmaligen Vorstößen der MitarbeiterInnen nicht einmal gelöscht werden darf. Wenn der tiefste Punkt, auf den Menschen sinken können, schöngeredet wird mit einem "verstößt nicht gegen unsere Richtlinien." Was ist das für ein Unternehmen, das sich Richtlinien gibt, die abgrundtief hassende, sadistische wie narzisstische Zerstörung aller menschlichen Werte erlauben? Ich spare es mir, hier die Beispiele zu nennen. Eines wird mich wohl noch Monate nicht loslassen. Lest den Artikel!
Ich persönlich schaffe es jedenfalls nicht mehr, einfach nur auf Zuckerberg mit dem Finger zu zeigen oder zu nölen, dass die Politik endlich zu Potte kommen müsste. Klar ist das richtig, aber mir persönlich inzwischen zu bequem. Ich mache mich mitschuldig.
Ich glaube nicht daran, dass eine derart riesige, monopolistische Datenkrake je von dieser Toxizität "geheilt" werden könnte. Das ganze System baut darauf auf. FB ist insofern der perfekte Spiegel all dessen, was derzeit auf dieser Welt schiefläuft. Wir haben hier das perfekte Kommunikationsmedium des Anthropozäns.
Darum steige ich aus. Gerade WEIL ich glaubte, FB beruflich zu brauchen.
Denn ich habe beruflich eine Firmenphilosophie. Die gründet sich auf Nachhaltigkeit, auf bestimmte Werte. Ich achte u.a. darauf, keine Produkte aus unethischem Handel zu beziehen oder aus Sklavenfabriken in Billigstlohnländern. Und dann mache ich ausgerechnet bei FB Werbung für so eine Firma? Ich empfinde das inzwischen als unglaubwürdig.
Darum bereite ich den Ausstieg vor, aus Konsequenz. Ich will keins der Rädchen mehr sein, dass ein toxisches System mitstützt, welches alles zerstört, was mir wichtig ist. Das Argument "Die machen ja auch Gutes / man kann das auch positiv nutzen" zieht für mich persönlich nicht mehr. Den Spruch haben Leute in Diktaturen leider auch drauf.
Ja, klar, ich könnte nun einfach mein Account löschen und Ruhe geben und das war es.
Aber so einfach ist es nicht. Wer so viel in diese Infrastruktur verlagert hat, muss eine Strategie für den Ausstieg haben. Den meisten Leuten ist nicht einmal klar, ob man das Profil wirklich dauerhaft löschen kann oder ob es nur ruht.
Darum in loser Folge diese kleine Reihe: Ich möchte mir beim Umbau meiner Kommunikation über die Schulter schauen lassen, vielleicht hilft es auch anderen. Ich möchte beleuchten, ob es Alternativen gibt, wie sie mein Verhalten ändern. Oder ob ich auf gewisse Dinge verzichten muss. Last but not least wird mich die kleine Serie daran erinnern, was ich vorhabe. Damit das Suchtzentrum im Hirn sich klar daran erinnert, dass Schokoladenmuffins einfach besser sind.
Teil 2: Absprung von FB (2)
Teil 3: Absprung von FB (3)
Leseliste:
New Yorker: Can Mark Zuckerberg Fix Facebook Before It Breaks Democracy?
The Atlantic: The 8 Most Revealing Quotes From the Big Zuckerberg Profile
SZ: #Alleinherrscher
Reuters:Inside Facebook’s Myanmar operation:Hatebook
Neunetz: Die Tragweite von Facebook Libra
The Verge: Bodies In Seats
Feedback:
Es gab sehr viel Echo und Feedback zu diesem Beitrag. Leider, wie meist, kurzlebig und im Verborgenen / Privat bei Facebook. Zum Glück aber auch öffentlich zugänglich:
Annette Schwindt: Brauche ich Facebook?
Netzpolitik: Facebook ist eine digitale Ödnis geworden
GLS: Facebook - die Manipulationsmaschine
... und in meinem Blog ein scheinbar völlig anderes Thema, das doch damit zu tun hat - und mit den Befindlichkeiten in Sachen Facebook: Wenn es Killerschnecken treiben
Ich könnte es mir nun sehr einfach machen und sagen: "Ich konsumiere Facebook und ich bin süchtig." Das wäre aber nicht ganz die Wahrheit. Ich möchte viel weniger ohne Schokoladenmuffins leben und bin komplett süchtig nach Wald. Ohne Facebook könnte ich, wenn ...
Da sind wir schon bei der hilfreichen Bestandsaufnahme, die auch zwischendurch ganz nützlich ist, selbst wenn man bleiben möchte:
1. Warum bin ich bei Facebook eingetreten und so lange geblieben? Hat sich hier etwas verändert? Habe ich mein Ziel erreicht? Bin ich zufriedener oder unzufriedener geworden?
2. Warum brauche ich Facebook unbedingt?
3. Was gibt mir Facebook, was ich woanders absolut nicht haben kann?
4. Wo ertappe ich mich bei emotionalen Abhängigkeiten?
5. Ertappe ich mich dabei, bereits konditioniert zu sein auf ein bestimmtes Verhalten?
6. Reicht es mir, nur abzuspecken, den Konsum herunterzufahren?
7. Warum will ich weg?
Fangen wir mit dem letzten Punkt an, für mich der einfachste:
Warum will ich weg?
Ich beobachte Facebook schon länger mit Unbehagen. Dabei stoßen mir die wirklich immer schlimmer werdenden, immer häufiger auftretenden Datenskandale auf und Zuckerbergs Art zu reagieren, wenn er von offiziellen Stellen dazu einbestellt wird. Es stinkt mir, dass alle rufen, man solle bei Amazon nichts mehr bestellen, weil die keine Steuern bezahlen, aber dann genau das bei Facebook posten oder teilen - obwohl auch Facebook sich überall um Steuern herumdrückt. Dann ist da eine ganz üble politische Einflussnahme und Manipulation, wo ich durch Recherchen öfter mal in die Abgründe schaue. Angeblich sind es immer die anderen, die das ach so unschuldige FB missbrauchen, aber man tut nicht wirklich etwas dagegen. Das ganze System ist so aufgebaut, dass es genau dazu einlädt. Inzwischen gibt es nicht nur massivste Kampagnen anlässlich von Wahlen, es tummelt und verabredet sich inzwischen auch die rechtsradikale Szene samt Terrornetzwerken in geheimen FB-Gruppen. Frankreich ist da schon mal tätig geworden, woanders schaut man gern weg, redet sich das Problem klein.Müssen in einem halben Jahr fast 4 Milliarden (!) Fake-Accounts gelöscht werden, Tendenz stark steigend, Dunkelziffer unbekannt, dann wird klar, wie groß das Problem mit Fakes und Propaganda inzwischen ist. Das mag FB noch so schön reden, ich werde dazu noch einen Artikel empfehlen, der zeigt, dass genau dieses Löschen immer noch nicht richtig stattfindet.
Gleichzeitig vereint das Konglomerat Facebook, Instagram und Whatsapp eine immense Monopolmacht, worüber andernorts auch genug geschrieben wurde. Auch hier muss ich fast schmunzeln, wenn bei Facebook Boykottaufrufe etwa gegen Nestlé geteilt werden, aber nicht darüber nachgedacht wird, was Zuckerbergs Monopol eigentlich so tut, das man so gern dafür nutzt. Noch schlimmer als der Griff zu immer mehr Macht sind jedoch in meinen Augen gewisse Attitüden des Big Boss, der es zwar scherzhaft auf seine Frau schiebt, aber sich selbst völlig mit Kaiser Augustus identifiziert:
My wife was making fun of me, saying she thought there were three people on the honeymoon: me, her, and Augustus,” Zuckerberg said of a 2012 trip to Rome. “All the photos were different sculptures of Augustus. (The Atlantic)Ich finde, ein Narzisst als Präsident reicht. Und der Mann, der mich so sehr von Anfang an an Elliot Carver in "Tomorrow Never Dies" (James Bond Film) erinnert, greift inzwischen ganz offen nach dem Wahnwitz von Weltherrschaft. Neuerdings mit einer "Weltwährung" namens Libra. Ob er dann wenigstens damit Steuern bezahlt?
Ich mache es kurz: Über all das kann man entsetzt sein, man kann darüber hinwegsehen, man kann sich Ausreden überlegen, warum man trotzdem mitmacht. Denn all das funktioniert ja nur, weil Milliarden von Datenviechern brav einloggen, um sich melken zu lassen und vermeintlich Wichtiges dafür zu bekommen.
Auch ich habe mir alle möglichen Ausreden gesucht. Die beste: Ich brauche das beruflich.
Aber dann hat es "klick" gemacht. Beim Lesen des Verge-Artikels "Bodies in Seats". Es geht in diesem Longread um die Sweatshops, die für FB Inhalte checken, aussortieren, löschen oder nicht löschen. Es geht um all das Brutale, was diese Leute aushalten müssen, weil es schlicht auf dieser Plattform stattfindet. Es geht um die ebenso brutalen Arbeitsbedingungen - nicht etwa in irgendeinem fernen Entwicklungsland, sondern in dem Land, in dem Zuckerberg lebt und arbeitet. Der Artikel hat einen Warnhinweis, zu Recht. Selbst ich, die ich professionell lese, also dabei zumachen kann, konnte einige Absätze nicht zu Ende lesen. Es sind die Schilderungen dessen, was bei Facebook eingestellt wird - und oft nicht einmal gelöscht werden darf. Rechtsradikale Propaganda ist ein Sonntagsspaziergang mit der Oma dagegen.
Wer diesen Longread liest, der mMn das beste zum Thema seit langem ist, wird eines erkennen: Das System FB ist in sich absolut toxisch geworden. Was diese Arbeitskräfte berichten, zeigt, dass bei FB längst das schlimmste Extrem stattfindet und alltäglich lebt, das die Menschheit treffen kann: der schmale Grat zwischen Zivilisation und tiefster, unfassbarer Barbarei kippt langsam. Befördert durch Algorithmen, die auf Kommerz und Profit und Datenabgreiferei reagieren, aber eben nicht auf Ethik. Kleingeredet vom "Machthaber" an der Spitze. Verleugnet und irgendwie sogar aktiv geduldet, wenn selbst nach mehrmaligen Vorstößen der MitarbeiterInnen nicht einmal gelöscht werden darf. Wenn der tiefste Punkt, auf den Menschen sinken können, schöngeredet wird mit einem "verstößt nicht gegen unsere Richtlinien." Was ist das für ein Unternehmen, das sich Richtlinien gibt, die abgrundtief hassende, sadistische wie narzisstische Zerstörung aller menschlichen Werte erlauben? Ich spare es mir, hier die Beispiele zu nennen. Eines wird mich wohl noch Monate nicht loslassen. Lest den Artikel!
Ich persönlich schaffe es jedenfalls nicht mehr, einfach nur auf Zuckerberg mit dem Finger zu zeigen oder zu nölen, dass die Politik endlich zu Potte kommen müsste. Klar ist das richtig, aber mir persönlich inzwischen zu bequem. Ich mache mich mitschuldig.
Ich glaube nicht daran, dass eine derart riesige, monopolistische Datenkrake je von dieser Toxizität "geheilt" werden könnte. Das ganze System baut darauf auf. FB ist insofern der perfekte Spiegel all dessen, was derzeit auf dieser Welt schiefläuft. Wir haben hier das perfekte Kommunikationsmedium des Anthropozäns.
Darum steige ich aus. Gerade WEIL ich glaubte, FB beruflich zu brauchen.
Denn ich habe beruflich eine Firmenphilosophie. Die gründet sich auf Nachhaltigkeit, auf bestimmte Werte. Ich achte u.a. darauf, keine Produkte aus unethischem Handel zu beziehen oder aus Sklavenfabriken in Billigstlohnländern. Und dann mache ich ausgerechnet bei FB Werbung für so eine Firma? Ich empfinde das inzwischen als unglaubwürdig.
Darum bereite ich den Ausstieg vor, aus Konsequenz. Ich will keins der Rädchen mehr sein, dass ein toxisches System mitstützt, welches alles zerstört, was mir wichtig ist. Das Argument "Die machen ja auch Gutes / man kann das auch positiv nutzen" zieht für mich persönlich nicht mehr. Den Spruch haben Leute in Diktaturen leider auch drauf.
Ja, klar, ich könnte nun einfach mein Account löschen und Ruhe geben und das war es.
Aber so einfach ist es nicht. Wer so viel in diese Infrastruktur verlagert hat, muss eine Strategie für den Ausstieg haben. Den meisten Leuten ist nicht einmal klar, ob man das Profil wirklich dauerhaft löschen kann oder ob es nur ruht.
Darum in loser Folge diese kleine Reihe: Ich möchte mir beim Umbau meiner Kommunikation über die Schulter schauen lassen, vielleicht hilft es auch anderen. Ich möchte beleuchten, ob es Alternativen gibt, wie sie mein Verhalten ändern. Oder ob ich auf gewisse Dinge verzichten muss. Last but not least wird mich die kleine Serie daran erinnern, was ich vorhabe. Damit das Suchtzentrum im Hirn sich klar daran erinnert, dass Schokoladenmuffins einfach besser sind.
Teil 2: Absprung von FB (2)
Teil 3: Absprung von FB (3)
Leseliste:
New Yorker: Can Mark Zuckerberg Fix Facebook Before It Breaks Democracy?
The Atlantic: The 8 Most Revealing Quotes From the Big Zuckerberg Profile
SZ: #Alleinherrscher
Reuters:Inside Facebook’s Myanmar operation:Hatebook
Neunetz: Die Tragweite von Facebook Libra
The Verge: Bodies In Seats
Feedback:
Es gab sehr viel Echo und Feedback zu diesem Beitrag. Leider, wie meist, kurzlebig und im Verborgenen / Privat bei Facebook. Zum Glück aber auch öffentlich zugänglich:
Annette Schwindt: Brauche ich Facebook?
Netzpolitik: Facebook ist eine digitale Ödnis geworden
GLS: Facebook - die Manipulationsmaschine
... und in meinem Blog ein scheinbar völlig anderes Thema, das doch damit zu tun hat - und mit den Befindlichkeiten in Sachen Facebook: Wenn es Killerschnecken treiben
20. Juni 2019
Die letzten Gesänge
Was am Internet so brutal sein kann (sein muss?): Wir bekommen inzwischen das Artensterben live mit. Ich schreibe bewusst "das Internet", denn es gibt online die Roten Listen und jede Menge wissenschaftliches Material, das wir konsultieren könnten. Und doch gibt es innerhalb des Internets eine "Abteilung", wo die Erkenntnis auch einmal die treffen kann, die es gar nicht kümmert oder die lieber Katzenfotos sehen wollen: Social media.
Plötzlich sehen wir tausendfach geteilt das Todesfoto von einem letzten seiner Art. Die ganze Zeit vorher jedoch hat es Leute in Social Media kalt gelassen, dass es diese Art bald nicht mehr geben wird. Viele wussten gar nicht, dass es sie überhaupt gab. Wir teilen inzwischen Fotos von aussterbenden Spezies wie die RIP-Fotos von Hollywoodstars.
Dieser Artikel im Guardian wirft uns ebenfalls in einen Zwiespalt. Er präsentiert Walgesänge, die wissenschaftlich etwas Besonderes sind: Von dieser seltenen Walart sind bisher noch keine Aufnahmen gelungen. Es ist so überaus faszinierend, diese Wallaute zu hören.
Doch denken wir einmal nach, bevor wir sie genießen: Es hat einen Grund, warum wir vielleicht noch nie von einer Spezies mit dem Namen Pazifischer Nordkaper (Eubalaena japonica) gehört haben. Sie ist nämlich vom Aussterben bedroht. Diese Art aus der Familie der Glattwale besteht im Ostpazifik noch aus etwa 30 Exemplaren. Man geht davon aus, dass sich dieser Bestand nie mehr erholen wird.
Was wir hören, ist die Sprache von Lebewesen, die seit Dutzenden von Millionen Jahren die Erde bevölkern. Der Mensch hat für die Quasi-Ausrottung der Nordkaper genau 180 Jahre gebraucht.
Im Guardian heißt es:
Auch andere Wale sind stark gefährdet und Wale werden immer noch gejagt. Wale haben verstärkt mit Umwelteinflüssen durch Menschen zu kämpfen. Die Nordkaper sterben wohl aus.
Zu uns sprechen die letzten ihrer Art.
Hier noch ein Video einer besonderen Begegnung zwischen einem Fotografen und einem Nordkaper ... mit einem Blick in die Augen des Tieres.
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Wale sind stark bedroht: 1. Grönlandwal, 2. Orca (Schwertwal), 3. Nordkaper (Glattwal), 4. Pottwal, 5. Narwal, 6. Blauwal, 7. Furchenwal, 8. Belugawal (Weißer Wal) (Wikipedia) |
Plötzlich sehen wir tausendfach geteilt das Todesfoto von einem letzten seiner Art. Die ganze Zeit vorher jedoch hat es Leute in Social Media kalt gelassen, dass es diese Art bald nicht mehr geben wird. Viele wussten gar nicht, dass es sie überhaupt gab. Wir teilen inzwischen Fotos von aussterbenden Spezies wie die RIP-Fotos von Hollywoodstars.
Dieser Artikel im Guardian wirft uns ebenfalls in einen Zwiespalt. Er präsentiert Walgesänge, die wissenschaftlich etwas Besonderes sind: Von dieser seltenen Walart sind bisher noch keine Aufnahmen gelungen. Es ist so überaus faszinierend, diese Wallaute zu hören.
Doch denken wir einmal nach, bevor wir sie genießen: Es hat einen Grund, warum wir vielleicht noch nie von einer Spezies mit dem Namen Pazifischer Nordkaper (Eubalaena japonica) gehört haben. Sie ist nämlich vom Aussterben bedroht. Diese Art aus der Familie der Glattwale besteht im Ostpazifik noch aus etwa 30 Exemplaren. Man geht davon aus, dass sich dieser Bestand nie mehr erholen wird.
Was wir hören, ist die Sprache von Lebewesen, die seit Dutzenden von Millionen Jahren die Erde bevölkern. Der Mensch hat für die Quasi-Ausrottung der Nordkaper genau 180 Jahre gebraucht.
Im Guardian heißt es:
Right whales make a variety of sounds. A predominant call sounds like a gunshot. They also make upcalls, downcalls, moans, screams and warbles.
Auch andere Wale sind stark gefährdet und Wale werden immer noch gejagt. Wale haben verstärkt mit Umwelteinflüssen durch Menschen zu kämpfen. Die Nordkaper sterben wohl aus.
Zu uns sprechen die letzten ihrer Art.
Hier noch ein Video einer besonderen Begegnung zwischen einem Fotografen und einem Nordkaper ... mit einem Blick in die Augen des Tieres.
16. Juni 2019
Landeierleben: Mäuse
Frühstückslaune im Hause Landei: sehr tief gesunken. Aufs Niveau eines Mauselochs tief gesunken. Da stehe ich extra früh auf, um fröhlich das Sauerteigbrot in den Ofen zu schieben, in dem Madame Hoppla seit einem Tag arbeitet. Und dann die böse Überraschung!
Das wunderschöne rotkarierte Leintuch über der Teigschüssel sieht aus, als habe es Granateneinschläge hinter sich. Riesige Löcher klaffen im Gewebe, fein säuberlich und ziemlich perfekt rund ausgenagt. Ein Loch für einen riesigen Popo, weitere Löcher für kleinere Popos. Wer das Unheil angerichtet hat, lässt sich auf dem Teig erkennen: Mäuseköttel. Ganz eindeutig von der Maus mit dem Riesenpopo.
Madame Hoppla ist schlecht. Sie hat sich zurückgezogen. Wahrscheinlich ist die Attacke in der Nacht passiert, als sie noch vorfreudig auf den Ofen ihre Backen aufgeblasen hatte. Nun müffelt Madame Hoppla scharf und penetrant ... nach Mäusepipi. Verhindert definitiv die Gärung und Kohlendioxidproduktion im Teig! Ich sehe rot, knirsche mit den Zähnen und will Madame Hoppla auf gar schröckliche Art rächen. Da fällt mir ein, dass Sonntag ist und ich eigentlich sehr gute Laune haben wollte. Ich sollte an etwas positives denken, konstruktiver sein. Also denke ich mir eine Vorrichtung aus, die das CO2-Problem dieser Welt effektiv in den Griff bekommt. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Myriaden von Mäusen die Stätten menschlicher Zivilisation mit dem großen Rettungsintrumentarium beglücken: Mäusepipi!
Leider tröstet mich der rosige Blick in die Zukunft wenig. Mein Brotteig ist hinüber, wahrscheinlich mit allen möglichen Keimen kontaminiert, und ich frage mich, als welche Art Müll ich ihn einordnen soll. Würde mir jetzt eine Maus begegnen, ich würde mein "French Chief's Knife" nach ihr werfen, so wütend bin ich.
Plötzlich sehe ich die Vergangenheit vor mir. Und mich, wie ich schlauschwätze. Ich stehe im Vorratskeller des Musée Rurale und führe eine Gruppe Touristinnen und Touristen. Meine Finger schubsen ein Konstrukt an, das an der Decke hängt und nun wie eine Kinderwiege schwingt, ich grinse frech in die Runde und frage. "Na, was wird das wohl sein?" Das Grinsen kann ich mir leisten, weil es nur noch die Alten wissen, die anderen raten die urkomischsten Dinge. Jetzt im Moment weiß ich das Ding voll zu würdigen.
Es ist ein leiternartiges Ding aus Holz mit zwei Bretterlagen wie bei einem Regal, wie ein Himmelbett hat es vier Eckpföstchen und daran hängt es freischwingend.
Während ich den klebrigen, stinkenden Teig aus der Schüssel kratze, höre ich mich, wie ich den Leuten erkläre, dass das Ding fürs Brot sei und ein effektiver Mäuseschutz. Mäuse können es nämlich absolut nicht leiden, wenn etwas wackelt und schwingt. Sagt man. Springt nun also eine Maus zum Brot auf das Gestänge, gibt es einen Ruck und das Tier fährt Achterbahn. Jede weitere Maus bringt das Ding nur noch mehr zum Wackeln. Ratzfatz springen die Mäuse seekrank zurück auf den festen Boden und fliehen angeekelt. So heißt es.
Ein neuer konstruktiver Gedanke keimt in meinem Kopf: Ich sehe mich die Teigschüssel beim nächsten Mal an der Decke aufhängen.
Nichtsdestotrotz: die Mäuse müssen weg. Die mit dem dicksten Popo sollte zuerst dran glauben. Ich werde mir die mörderische Abteilung für Mausefallen im Museum näher anschauen ...
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Nicht alles war schlecht in uralten Küchen. Die Leute damals wussten sich schlau zu wehren! (Küche des Maison Rurale in Kutzenhausen) |
Das wunderschöne rotkarierte Leintuch über der Teigschüssel sieht aus, als habe es Granateneinschläge hinter sich. Riesige Löcher klaffen im Gewebe, fein säuberlich und ziemlich perfekt rund ausgenagt. Ein Loch für einen riesigen Popo, weitere Löcher für kleinere Popos. Wer das Unheil angerichtet hat, lässt sich auf dem Teig erkennen: Mäuseköttel. Ganz eindeutig von der Maus mit dem Riesenpopo.
Madame Hoppla ist schlecht. Sie hat sich zurückgezogen. Wahrscheinlich ist die Attacke in der Nacht passiert, als sie noch vorfreudig auf den Ofen ihre Backen aufgeblasen hatte. Nun müffelt Madame Hoppla scharf und penetrant ... nach Mäusepipi. Verhindert definitiv die Gärung und Kohlendioxidproduktion im Teig! Ich sehe rot, knirsche mit den Zähnen und will Madame Hoppla auf gar schröckliche Art rächen. Da fällt mir ein, dass Sonntag ist und ich eigentlich sehr gute Laune haben wollte. Ich sollte an etwas positives denken, konstruktiver sein. Also denke ich mir eine Vorrichtung aus, die das CO2-Problem dieser Welt effektiv in den Griff bekommt. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Myriaden von Mäusen die Stätten menschlicher Zivilisation mit dem großen Rettungsintrumentarium beglücken: Mäusepipi!
Leider tröstet mich der rosige Blick in die Zukunft wenig. Mein Brotteig ist hinüber, wahrscheinlich mit allen möglichen Keimen kontaminiert, und ich frage mich, als welche Art Müll ich ihn einordnen soll. Würde mir jetzt eine Maus begegnen, ich würde mein "French Chief's Knife" nach ihr werfen, so wütend bin ich.
Plötzlich sehe ich die Vergangenheit vor mir. Und mich, wie ich schlauschwätze. Ich stehe im Vorratskeller des Musée Rurale und führe eine Gruppe Touristinnen und Touristen. Meine Finger schubsen ein Konstrukt an, das an der Decke hängt und nun wie eine Kinderwiege schwingt, ich grinse frech in die Runde und frage. "Na, was wird das wohl sein?" Das Grinsen kann ich mir leisten, weil es nur noch die Alten wissen, die anderen raten die urkomischsten Dinge. Jetzt im Moment weiß ich das Ding voll zu würdigen.
Es ist ein leiternartiges Ding aus Holz mit zwei Bretterlagen wie bei einem Regal, wie ein Himmelbett hat es vier Eckpföstchen und daran hängt es freischwingend.
Während ich den klebrigen, stinkenden Teig aus der Schüssel kratze, höre ich mich, wie ich den Leuten erkläre, dass das Ding fürs Brot sei und ein effektiver Mäuseschutz. Mäuse können es nämlich absolut nicht leiden, wenn etwas wackelt und schwingt. Sagt man. Springt nun also eine Maus zum Brot auf das Gestänge, gibt es einen Ruck und das Tier fährt Achterbahn. Jede weitere Maus bringt das Ding nur noch mehr zum Wackeln. Ratzfatz springen die Mäuse seekrank zurück auf den festen Boden und fliehen angeekelt. So heißt es.
Ein neuer konstruktiver Gedanke keimt in meinem Kopf: Ich sehe mich die Teigschüssel beim nächsten Mal an der Decke aufhängen.
Nichtsdestotrotz: die Mäuse müssen weg. Die mit dem dicksten Popo sollte zuerst dran glauben. Ich werde mir die mörderische Abteilung für Mausefallen im Museum näher anschauen ...
13. Juni 2019
Workshops und Kunst für alle
Im Hinterkopf habe ich es schon lange, wie eine fleißige Spinne knüpfe ich Kontakte, schaue mir Orte an, lerne Leute kennen ... weil ich gern wieder etwas mit Menschen machen möchte. Kurse nämlich. Aber es soll passen, die Chemie muss stimmen. Und das nimmt nun langsam konkrete Formen an.
Der Ort als Kulturzentrum ist ideal, die Räumlichkeiten sind inspirierend. Und so habe ich mich gestern überreden lassen, zuerst einmal am Feiertag Mariä Himmelfahrt, dem 15. August, am Markt für regionale Produkte, Kunst und Kunsthandwerk im elsässischen Kutzenhausen teilzunehmen. Das ist ein Markt mit Verkaufsständen, aber man hat mich auf die Idee gebracht, dort auch etwas vorzuführen, was Lust auf die späteren "Stages", die Workshops macht: wildes Sticken auf Papier beispielsweise (ist noch offen). Ich nannte es spontan "broderie sauvage", um es überhaupt beschreiben zu können. Und natürlich ist es nur ein winziger Teil der Papierkunst, wie ich ihn auch auf Schmuck anwende.
Aber der Reihe nach, bevor ich hier so wirr herumsprudle! Ich möchte mit einer überschaubaren Gruppe Papierkunst machen, wusste bisher nur nicht so recht wie. Beim Schmuck kann ich nicht alles zeigen, da gibt es schlicht Firmengeheimnisse. Es wird von HändlerInnen schon genug kopiert, tw. dann in China nachproduziert - ohne Geheimnis lässt sich in diesem Metier nicht lange überleben. Außerdem verlangt vieles doch sehr viel Fingerfertigkeit oder dauert einfach zu lange. Der Trocknungsprozess von Papierperlen etwa, mit all den Schichten - da kann eine Woche vergehen. Nichts für ein paar Stunden Zusammensein. Es sollte also etwas werden, das alle Menschen können, ohne Vorkenntnisse, ohne je in Sachen "Kunst" unterwegs gewesen zu sein.
So bin ich beim Art Journaling hängengeblieben. Grob fällt unter diese "Kunst-Tagebücher" eigentlich alles, was Seiten hat und selbst frei gestaltet wird, ob gemalt, gezeichnet, als Collage geklebt oder gestempelt und gedruckt. Inzwischen hat sich eine ganze Bastelindustrie draufgesetzt und in einschlägigen Facebook-Gruppen staune ich dann manchmal Bauklötze, wie sehr sich alle Seiten ähneln. Diejenigen, die sie fertigen, folgen schlicht brav und akribisch den jeweiligen Influencerinnen auf Youtube, kopieren und zeigen, dass sie auch alle Produkte gekauft haben. Das geht so weit, dass man sich schon Material für Collagen, wie man es früher aus alten Zeitschriften schnitt, zum Ausdrucken kaufen kann!
Mir geht so etwas fürchterlich auf den Zeiger und dementsprechend werden meine Kurse ganz anders ablaufen. Getreu dem Motto: "Wie kann ich als absolut Unerfahrene/r mit einfachsten Mitteln, ja sogar Müll, etwas gestalten?" Ich möchte Fantasie fördern statt Markenkram. Und eine Atmosphäre schaffen, wo ich nicht die einzige Lehrende bin, sondern wir auch voneinander lernen können.
Und darum brauche ich für ein Triptychon einfach nur einen alten Pizzakarton, Billig-Gesso, Farben, alte Zeitschriften, Leim. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind vielfältig: Ich kann damit die Fotos von meinen Lieben genauso präsentieren wie einen kleinen Miniaturaltar basteln. Ich kann mit einem Art Journal ein Thema bearbeiten - vielleicht mein Lieblingstier zeigen, illustrieren, ausschneiden, kalligrafieren ... ich kann aber auch Gefühle ausdrücken oder Tagesgefühle bildhaft umsetzen, damit "abarbeiten". Es gibt so viele Möglichkeiten, auch der Zusammenarbeit. Es lässt sich ein kleines Buch binden, wenn jede Frau eine Doppelseite gestaltet und dazu beiträgt. Wenn man die Seiten nicht bindet, kann man sie aufhängen, ein Gesamtkunstwerk schaffen.
Kurzum - die Möglichkeiten sind so reichhaltig, dass ich mir jetzt erst einmal ein stimmiges Konzept und einen Plan ausarbeiten muss, den ich einreichen werde. Bis zum 15.08. will ich dazu einen Prospekt haben.
Die Workshops finden zwar in französischer Sprache statt, aber wir sind ja im Elsass und in überschaubaren Gruppen kann ich hemmungslos "Europlais" sprechen, sprich, dreisprachig mitten im Satz "um und num" schalten. Ich bin gespannt ... und ein wenig aufgeregt.
Der Ort als Kulturzentrum ist ideal, die Räumlichkeiten sind inspirierend. Und so habe ich mich gestern überreden lassen, zuerst einmal am Feiertag Mariä Himmelfahrt, dem 15. August, am Markt für regionale Produkte, Kunst und Kunsthandwerk im elsässischen Kutzenhausen teilzunehmen. Das ist ein Markt mit Verkaufsständen, aber man hat mich auf die Idee gebracht, dort auch etwas vorzuführen, was Lust auf die späteren "Stages", die Workshops macht: wildes Sticken auf Papier beispielsweise (ist noch offen). Ich nannte es spontan "broderie sauvage", um es überhaupt beschreiben zu können. Und natürlich ist es nur ein winziger Teil der Papierkunst, wie ich ihn auch auf Schmuck anwende.
Aber der Reihe nach, bevor ich hier so wirr herumsprudle! Ich möchte mit einer überschaubaren Gruppe Papierkunst machen, wusste bisher nur nicht so recht wie. Beim Schmuck kann ich nicht alles zeigen, da gibt es schlicht Firmengeheimnisse. Es wird von HändlerInnen schon genug kopiert, tw. dann in China nachproduziert - ohne Geheimnis lässt sich in diesem Metier nicht lange überleben. Außerdem verlangt vieles doch sehr viel Fingerfertigkeit oder dauert einfach zu lange. Der Trocknungsprozess von Papierperlen etwa, mit all den Schichten - da kann eine Woche vergehen. Nichts für ein paar Stunden Zusammensein. Es sollte also etwas werden, das alle Menschen können, ohne Vorkenntnisse, ohne je in Sachen "Kunst" unterwegs gewesen zu sein.
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Collagen mit Fundstücken aus der Natur sind ebenfalls leicht gemacht. Es braucht nur eine Idee, Papier, Stifte, Farbe. |
So bin ich beim Art Journaling hängengeblieben. Grob fällt unter diese "Kunst-Tagebücher" eigentlich alles, was Seiten hat und selbst frei gestaltet wird, ob gemalt, gezeichnet, als Collage geklebt oder gestempelt und gedruckt. Inzwischen hat sich eine ganze Bastelindustrie draufgesetzt und in einschlägigen Facebook-Gruppen staune ich dann manchmal Bauklötze, wie sehr sich alle Seiten ähneln. Diejenigen, die sie fertigen, folgen schlicht brav und akribisch den jeweiligen Influencerinnen auf Youtube, kopieren und zeigen, dass sie auch alle Produkte gekauft haben. Das geht so weit, dass man sich schon Material für Collagen, wie man es früher aus alten Zeitschriften schnitt, zum Ausdrucken kaufen kann!
Mir geht so etwas fürchterlich auf den Zeiger und dementsprechend werden meine Kurse ganz anders ablaufen. Getreu dem Motto: "Wie kann ich als absolut Unerfahrene/r mit einfachsten Mitteln, ja sogar Müll, etwas gestalten?" Ich möchte Fantasie fördern statt Markenkram. Und eine Atmosphäre schaffen, wo ich nicht die einzige Lehrende bin, sondern wir auch voneinander lernen können.
Und darum brauche ich für ein Triptychon einfach nur einen alten Pizzakarton, Billig-Gesso, Farben, alte Zeitschriften, Leim. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind vielfältig: Ich kann damit die Fotos von meinen Lieben genauso präsentieren wie einen kleinen Miniaturaltar basteln. Ich kann mit einem Art Journal ein Thema bearbeiten - vielleicht mein Lieblingstier zeigen, illustrieren, ausschneiden, kalligrafieren ... ich kann aber auch Gefühle ausdrücken oder Tagesgefühle bildhaft umsetzen, damit "abarbeiten". Es gibt so viele Möglichkeiten, auch der Zusammenarbeit. Es lässt sich ein kleines Buch binden, wenn jede Frau eine Doppelseite gestaltet und dazu beiträgt. Wenn man die Seiten nicht bindet, kann man sie aufhängen, ein Gesamtkunstwerk schaffen.
Kurzum - die Möglichkeiten sind so reichhaltig, dass ich mir jetzt erst einmal ein stimmiges Konzept und einen Plan ausarbeiten muss, den ich einreichen werde. Bis zum 15.08. will ich dazu einen Prospekt haben.
Die Workshops finden zwar in französischer Sprache statt, aber wir sind ja im Elsass und in überschaubaren Gruppen kann ich hemmungslos "Europlais" sprechen, sprich, dreisprachig mitten im Satz "um und num" schalten. Ich bin gespannt ... und ein wenig aufgeregt.
10. Juni 2019
Fliegende Giftfabrik
Gestern sind sie uns mehrfach in den Wiesen begegnet, zu schnell, um selbst ein gutes Foto zu machen. Wunderschöne mottenhafte Schmetterlinge in schillerndem Schwarzblau, mit kirschroten Flecken und Unterflügeln.
Sie sind je nach Unterart mehr oder weniger bedroht. Denn die Falter brauchen typische Magerwiesen oder Feuchtwiesen, je nach Art. Die Familie der Zygenidae, auf Deutsch auch Zygänen, Widderchen oder Blutströpfchen genannt, zählt zwar zu den Nachtfaltern, ist aber tagaktiv. Ich sah wohl das Hornklee-Widderchen, dessen Falter am liebsten auf hochstehenden violetten Blüten Nektar sammeln, auf Witwenblumen, Skabiosen oder Flockenblumen, aber auch Disteln. Die Raupen ernähren sich, wie es der Name sagt, von Hornklee und anderen Kleearten.
Vögel wissen: Wer so auffällig gefärbt ist, ist giftig! Die Schmetterlinge sind sogar richtig kleine Chemiefabriken. Aus Aminosäuren der Nahrung bauen sie cyanogene Glycoside auf, Gifte, die eigentlich in Pflanzen vorkommen, die sie aber aus diesen nicht aufnehmen, sondern selbst synthetisieren. Diese können sie dann selbst zu Blausäure spalten, ohne dass sie Schaden dabei nehmen. Werden sie angegriffen, ist nicht nur ihr Körper giftig, sie sondern auch einen blausäurehaltigen Schaum am Kopf ab. Gegen die Dezimierung ihrer natürlichen Lebensräume durch den Menschen sind sie allerdings machtlos ...
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Beliebte Nahrungspflanze bei Widderchen: Acker-Witwenblume (Knautia arvensis) |
Sie sind je nach Unterart mehr oder weniger bedroht. Denn die Falter brauchen typische Magerwiesen oder Feuchtwiesen, je nach Art. Die Familie der Zygenidae, auf Deutsch auch Zygänen, Widderchen oder Blutströpfchen genannt, zählt zwar zu den Nachtfaltern, ist aber tagaktiv. Ich sah wohl das Hornklee-Widderchen, dessen Falter am liebsten auf hochstehenden violetten Blüten Nektar sammeln, auf Witwenblumen, Skabiosen oder Flockenblumen, aber auch Disteln. Die Raupen ernähren sich, wie es der Name sagt, von Hornklee und anderen Kleearten.
Vögel wissen: Wer so auffällig gefärbt ist, ist giftig! Die Schmetterlinge sind sogar richtig kleine Chemiefabriken. Aus Aminosäuren der Nahrung bauen sie cyanogene Glycoside auf, Gifte, die eigentlich in Pflanzen vorkommen, die sie aber aus diesen nicht aufnehmen, sondern selbst synthetisieren. Diese können sie dann selbst zu Blausäure spalten, ohne dass sie Schaden dabei nehmen. Werden sie angegriffen, ist nicht nur ihr Körper giftig, sie sondern auch einen blausäurehaltigen Schaum am Kopf ab. Gegen die Dezimierung ihrer natürlichen Lebensräume durch den Menschen sind sie allerdings machtlos ...