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24. Dezember 2018
Frohe Festtage!
Ich wünsche all meinen Leserinnen und Lesern ganz herzlich frohe Festtage mit nicht zuviel Hektik, wichtige Atempausen und einen guten Rutsch ins neue Jahr! Danke, dass ihr mir weiter die Treue haltet, obwohl Blogs angeblich "out" sind!
15. Dezember 2018
Gefilztes Papier und Gewölle
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Handgeschöpftes rotes Kozo Papier kombiniert mit einem Eco Print von Blättern aus meiner neuen Kollektion Tribal Zen. Mehr Fotos hier. (C) by Petra van Cronenburg |
Gesucht hatte ich nach einer Technik namens Joomchi - Papier wird dabei sozusagen gefilzt und ist nachher einem Filzstoff oder Leder ähnlicher als Papier. Das funktioniert nicht mit jedem Papier, es muss handgeschöpftes Papier aus den Fasern des Papiermaulbeerbaums (Broussonetia papyrifera) sein. Das wird auch heute noch wie vor Hunderten von Jahren von Hand in ganz Asien hergestellt, mit Zentren in Korea, Japan und Thailand. In Korea heißt es Hanji, in Japan Kozo (Tesuki Washi = handgefertigtes Papier). Ich verwende für meinen Schmuck z.B. solches Kozo-Papier. Es ist so stark, dass man es kaum reißen kann und fühlt sich im Schmuck fast wie feines Leder an.
Bei Joomchi passieren hauptsächlich zwei Dinge: Das Kozo-Papier wird gewässert und mit den Händen traktiert, geknetet und geschlagen. Oft stundenlang. Es verbindet sich dabei mit anderen Papierschichten ohne jeden Leim und ist nachher so beständig, dass man sogar Kleidung daraus schneidern kann.
Und dann wurde es abenteuerlich. Es gibt nämlich für diese Papiere auch traditionelle japanische Formen des Eco dyeing - so nennt man das Färben und Drucken mit Naturfarbstoffen. Einer dieser Farbstoffe für Papier ist in Japan der Saft von Kakifrüchten. Vor allem eine Technik sticht dabei heraus, die man schon früh für Buchcover verwendet hat: Das Papier sieht aus wie Leder, fühlt sich fast an wie Leder. Wie kann das funktionieren? Im Westen stellt man sogenannte "fabric paper", eine Mischform aus Stoff und Papier her, die zur Verbindung Polymere brauchen. Kann das ohne Polymere funktionieren und wie?
Also bin ich eingetaucht in die Biologie: Kakis sind je nach Sorte stark tanninhaltig, das ist ideal zum Färben und Beizen. Tannine (natürliche Gerbstoffe) machen nicht nur Naturfarben haltbarer, sie können sie auch beim Färben und Drucken verändern. So wurden z.B. die Blätter auf dem Foto oben fast blauschwarz - weil ich das Papier vorher mit pflanzlichem Tannin gebeizt hatte. Setzt man nun dem Kakisaft eine leichte Säure zu, beginnen sich seine Bestandteile in natürliche Polymere umzubauen! Natürliche Polymere sind Grundbausteine allen Lebens, Proteine zählen dazu oder Zellulose und Chitin. Unsere Haare sind aus Polymeren aufgebaut. Synthetisch hergestellte Polymere sind der Grundbestandteil von Kunststoffen. Und da haben wir das Geheimnis der lederartigen Buchrücken gelüftet: Das Papier ist sozusagen mit natürlichem Kunststoff regelrecht verschmolzen, den man durch alte Handwerkstechnik künstlich aus den Kakis aufgebaut hat!
Übrigens kann das auch beim Essen passieren - und das ist weniger gemütlich. Wenn man nämlich zu viele Kakis mit Schale oder unreif verspeist, können sich im Magen durch die Magensäure Klumpen bilden, Polymerbollen, sogenannte "Phytobezoare". Bezoare kennen wir alle - so nennt man auch das Gewölle, das Raubvögel hochwürgen, oder das, was Katzen hervorwürgen. Ein Bezoar ist ein unverdaulicher Klumpen, der sich im Magen bildet, ein Phytobezoar ist pflanzlichen Ursprungs. Erstaunlicherweise soll der Genuss von Cola, rechtzeitig eingenommen, das Schlimmste verhindern helfen. Cola löst also Polymere auf ...
Dass ich dann mit den üblen Klumpen, die Darmverschluss bewirken können, unweigerlich wieder beim Schmuckmachen landete, hätte ich mir weniger erträumt. Tatsächlich galten diese Klumpen, die man sich in grauen Vorzeiten nicht erklären konnte, als magisch und als Heilmittel gegen alles mögliche. In der chinesischen Medizin nimmt man noch heute die Bezoare zu sich, die normalerweise töten können. Reich verziert, als wertvoller magischer Schmuck sind sie z.B. in der Schatzkammer der Wittelsbacher in der Münchner Residenz zu sehen, hier ein Foto. Dieses Foto zeigt sie geschliffen im Deutschen Apothekenmuseum Heidelberg.
So kann man durch Neugier auf abstruse Abwege geraten!
Aber keine Angst, ich werde nun nicht bei Nachbars Katzen das Gewürge sammeln, schleifen und vergolden. Ich kehre zurück zum Papier und möchte in der ruhigen Zeit zwischen den Jahren das Joomchi ausprobieren. Das würde nämlich bedeuten, dass ich völlig neue, naturnahere Formen schöpfen könnte, die mit herkömmlichem Papier nur schwer zu machen sind. Schon so lange versuche ich mich an Kokons und Samenhüllen - das wäre dann möglich. Es bleibt spannend im Atelier Tetebrec! Und hier unten noch ein kurzes Video, das die Technik des Joomchi ein wenig zeigt.
Alles über mein Atelier
Mein Schmuckladen
9. Dezember 2018
Die Eloquenz der Tiere
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Unterhalten sich Tiere untereinander in einer echten Sprache? Könnten Menschen Tiersprachen lernen? |
Die zweiteilige Doku "Die Eloquenz der Tiere" von Jérome-Cécil Auffret (2018) beschäftigt sich mit der Frage, ob Tiere womöglich genauso wie Menschen eine eigene Sprache haben und diese für den Menschen verstehbar, vielleicht sogar erlernbar wäre.
Keineswegs ein selbstverständlicher Ansatz, denn bisher ging man in der Wissenschaft eher davon aus, Tierlaute und Gestik seien instinktgetrieben, eher zufällig oder automatisiert, eher Affekt als etwas, das mit Linguistik zu tun haben könnte.
Die neue Herangehensweise von Forscherinnen und Forschern ist ein echter Paradigmenwechsel. Plötzlich lässt sich beweisen, was Tierliebende schon lange vermuten: Da steckt mehr dahinter, als der Mensch anderen Lebewesen früher zugestand. Sogar messbar im Gehirn.
Es ist absolut faszinierend, die hörbar gemachten Lieder von Mäusen zu hören, die wie Vögel zwitschern. Oder zu erleben, wie Fledermausbabies ihren Müttern Laute nachbrabbeln, um Sprache zu lernen. Delphine geben sich Namen und spielen plötzlich Computerspiele, ein Elefant imitiert seine Wärter klanglich und untergeordnete Schweine wenden List und Lügen gegenüber ihrem Rudelführer an.
Tiere haben eine Sprache und das Vermögen zu vokalem Lernen. Wer das anerkennt, erkennt auch an, dass sie Gefühle und Intelligenz haben, komplexe soziales Miteinander beherrschen. Der Mensch stürzt dabei wohltuend von seinem Sockel als "Krone der Schöpfung" - und das macht die Tierwelt nur noch faszinierender.
Die Doku ist beim Filmemacher auf Video noch im Original zu finden:
28. November 2018
Ein gefährlicher Ausflug
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Idylle kann täuschen. In dieser Landschaft standen einst Ölbohrtürme. Heute ist sie Teil des Regionalparks Nordvogesen. |
Dass die Zeit reif ist dafür, ja überreif, das lerne ich gerade von anderen und es motiviert mich sehr, zu den längeren Textformen zurückzukehren. Es schließen sich Kreise meines Schaffens* und Synchronizitäten passen dazu. So eine will ich dringend empfehlen: "In die Seele der Natur", ein Vortrag auf SWR 2 von Andreas Weber, dem Autor des Buchs "Alles fühlt" (Link = pdf Infos), das mich nachhaltig begeistert hat. Er schreibt übrigens noch mehr sehr lesenswerte Texte und Bücher - in einer wunderbar literarischen Sprache. Der Vortrag ist auch als Manuskript verfügbar. Ausgerechnet jetzt kommt das im Radio und er bringt so vieles auf den Punkt, was mich bewegt.
In meinem noch namenlosen Projekt geht es zuerst einmal um "Wildnis" und unsere Vorstellungen von "Naturpark" oder menschengemachter Natur. Mir fiel das in diesem Jahr geballt auf durch die elende Dürre und Hitze. Während ich mit immer größerer Trauer durch den Naturpark lief und sah, wie die Bäume selbst im Bergwald ums Überleben kämpften, wurde ich in Social Media von Jubelsonnenbildern fast erschlagen, jammerten Menschen groß herum, wenn es plötzlich zwei Tage bei ihnen regnete. "Von mir aus kann dieses Wetter so weitergehen", schrieben die Jäger knallbunter Sonnenuntergänge, ohne zu ahnen, was diese Farben verursacht. Und dann kamen die extrem frühen "Herbstfotos" mit Freude über die schönen Farben. Keiner wollte hören, dass das mit Herbst nichts zu tun habe, sondern der Trockenheit geschuldet war. Überlebensmechanismen leidender Bäume - wenn ich sie erklärte, galt ich als Spielverderberin. Selbst jetzt im Herbst: Wer sich auskennt, wer genau hinschaut - das ist eben nicht überall die normale Färbung. Man sieht das Sterben kreischbunt im Wald - wenn man zu sehen vermag.
Andreas Weber hat in seinem Vortrag den schönen Begriff von der "Baumblindheit" geprägt. Er sagt dazu:
Die Baumblindheit des Dürrefrühjahrs, -sommers und –herbstes 2018 ist das Ergebnis einer Betäubung. Baumblindheit ist Anästhesie. Anästhesie heißt „mit den Sinnen nicht wahrnehmen“. Sie ist der Verzicht darauf zu fühlen. (pdf des Vortrags)Während manche über Hitze und Dürre also jubelten, weil sie nur an ihr eigenes Wohlergehen dachten, sah ich, wie der Förster die abgestorbenen Bäumchen in den Schonungen mit weißer Farbe markierte, Bäumchen, die oft schon Jahrzehnte erlebt hatten. Ich sah diese Soldatenfriedhöfe des Klimakriegs, den wir gegen den Planeten führen, und fragte mich, woher diese Blindheit käme, dieses Fehlinterpretieren von Schönheit. Keine Frage: Auch Sterben geschieht oft in Schönheit. Aber was hat so viele Menschen derart von der Natur entfernt? Ich erzählte bereits Geschichten von dieser Entfremdung.
Und dann führte mich mein Hund Bilbo an diese Stelle am Waldrand, die perfekt verkörpert, was ich erzählen will. Weil ich durch einen hohen Zaun in ein Idyll schaue, in eine Vorstellung von "Wildnis", von womöglich intakter Natur. Es sind diese Landschaften, die man für Instagram festhält. Ich selbst stehe dabei an einem Hochsitz, an einem nicht sehr wild wirkenden Wald. Die Bäume darin sind recht jung, weil er der Holzerzeugung der Gemeinde dient, die davon lebt, weil er historisch abgeholzt worden war. Beide so gegensätzlichen, unüberwindlich getrennten Landschaftsteile sind Teil des regionalen Naturparks Nordvogesen, der mit dem Pfälzerwald eines der größten zusammenhängenden Biosphärenschutzgebiete Europas bildet - grenzüberschreitend. Auch hier der Gegensatz: Selbst im noch so geschützten und geachteten Bereich schaltet und waltet der Mensch, sind Wunden sichtbar. Denn diese Landschaft hat eine Geschichte. Was ich als "Wildnis" beschreibe, ist nämlich gar keine, die echte "Wildnis" ist der Wald, in dem ich stehe! Wie aber kommt es zu dieser "Blindheit"?
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In Kisten wartete mein Recherchematerial zur Erdölgeschichte des Elsass bald 20 Jahre lang. In der Landschaft verschwinden die Spuren. (Foto: Im Technologiepark des Nationalen Erdölmuseums Pechelbronn) |
Hier schließt sich der Kreis zu einem uralten Projekt*, das nicht als Buch zustande kam, für das ich jedoch vier Jahre lang in Spezialarchiven und mit Zeitzeugen recherchierte: Der Boden, auf dem ich mich da bewege, war Gegenstand des europäischen Ölrauschs, den kaum einer kennt. Ich fahre mit meinem Hund nämlich auch für dieses Buch zu der Stelle, wo der erste Ölbohrturm der Welt (!) errichtet wurde, 1813, auch heute noch mitten im Wald. Zur ersten Ölquelle, einer mehr oder weniger großen Pfütze, aus der Naturasphalt quillt, muss man sich schon eher durchschlagen und wissen, wo genau sie liegt. Aber eigentlich dringt bei Regen das natürliche Rohöl schon einmal aus Wiesen nach oben, schillern die Bäche in den angrenzenden Wäldern in Regenbogenfarben. Wildschweine nutzen das, um ihre Parasiten damit zu bekämpfen, die öligen Schubberstellen an Bäumen zeugen davon.
So hat das einst im Mittelalter angefangen in dieser elsässischen Region, von der ich in "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" erzählt habe. Im Mittelalter nahm man Bitumen und Rohöl als wertvolle Medizin und kurte damit, innerlich wie äußerlich. Grimmelshausen betrieb einen schwunghaften Handel mit dem "gülden Wasser". Aber es waren schon Anzeichen zu bemerken von dem, was im 18. Jahrhundert zu erbitterten Intrigen zwischen zwei Clans führte, die sich lesen wie Skripts für die Fernsehserien "Dallas" oder "Denver Clan", die während der Französischen Revolution zu Mord, Totschlag und ungerechtfertigten Einkerkerungen führten. Aus dem Staunen über die Wunder der Natur war irgendwann nackte Gier geworden - und eine der ersten Aktiengesellschaften entstanden. Später kam das Aus, weil arabische Länder und Russland mehr und leichter fördern konnten, es folgten Abriss und schließlich "Umbau", als Teil des Naturparks. Heute muss man die Landschaft lesen können, um die Geschichte zu erkennen.
Und darum ist diese vermeintliche Wildnis eingezäunt, zum Sperrgebiet gemacht worden. Es dient nicht der Hege, endlich einmal ein menschenleeres Idyll schaffen zu wollen. Der Zaun dient als Schutz für den Menschen vor einer Natur, die bis in die Zukunft gefährlich geworden ist, verbaut, vergiftet, in Ignoranz und historischem Unwissen. An diesem Zaun hängen riesige Warnschilder mit Notrufnummern und dem Hinweis auf Lebensgefahr. Was vermeintlich wild scheint, wo die Natur so gedeiht, ist in Wirklichkeit denaturiert, lebensfeindlich.
Wie groß die Kluft zwischen den beiden Landschaftsteilen ist, habe ich erst gestern in Zahlen erfahren, trotz aller Recherchen und Gesprächen mit Fachleuten war es mir nicht bewusst. Man spricht nicht gern darüber - und der alte Augenzeuge, der sich noch daran erinnern konnte und mir erzählte, wie all das vonstatten ging, ist seit längerem tot.
Gestern entdeckte ich eine Datenbank für geologische Untersuchungen in Frankreich, in der akribisch alle Tests auf Bodenveränderungen und Bodenbelastungen gesammelt werden. Spaßhalber gab ich jene Landschaft ein, man kann sie selbst mit GPS-Daten erfassen.
Am Tag zuvor war ich wieder einmal dem Hund gefolgt (der ab und zu aussuchen darf, wo wir hingehen, und ich folge ihm, statt umgekehrt). Er zeigte mir einen Weg am Zaun entlang, den ich nie zuvor gegangen war, an dem ich "der Sache" extrem nah kam. Ich habe Notizen mitgebracht von seltsamem Baumwuchs, völlig anderen Pflanzen, erstaunlichem Wachstumsverhalten. Auf halber Höhe kehrte ich um, zu viele Wildwechsel ließen Bilbo zu sehr ziehen - der Boden war rutschig mit dem Herbstlaub. Vielleicht aber war es auch nur das Bauchgefühl, dass der Mensch hier in der Tat nichts zu suchen habe.
Die Datenbank klärte mich auf: Jene vermeintliche Wildnis, über die so viele Menschen juchzen, ist eine unberechenbare, schreckliche Sondermülldeponie im Innern der Erde. Als die Raffinerie aufgegeben wurde, das hat schon der alte Mann erzählt, kippte man, was das Zeug hielt, all den Müll und die Chemikalien in die unterirdischen Schächte. Aus dem Auge, aus dem Sinn. In den 1960/70er Jahren geschah das mit offizieller Genehmigung und Wissen des Staates - man wusste noch nicht, was man heute weiß, das "Beerdigen" von Gefährlichem war normal. Heute lässt es sich tw. nicht aufarbeiten, weil man damals nicht getrennt hat, weil man verbaute, weil es geologisch nicht in den Griff zu bekommen ist. Auch damals herrschte also eine "Baumblindheit" mitten im Wald.
Was der Mensch hier veranstaltet hat, erzählten mir die geologischen Messberichte und Aufstellungen der Arbeiten, mit denen man das Schlimmste zu sichern versuchte. Ich hatte also auch keine Halluzinationen, wenn ich ab und zu in Winternächten dort am Horizont eine Flamme über dem Wald sah. Es gibt hier eine Anlage, wo das immer noch austretende Erdgas abgefackelt werden kann - sonst würde jene Deponie uns heute um die Ohren fliegen. Die Datenbankberichte erzählen Geschichte, von Techniken, von Altlasten noch viel früherer Zeiten, vom Kampf der Menschen gegen das "Monster", das der Preis war für den technologischen Fortschritt. Sie erzählen davon, wie plötzlich und gründlich wir einschreiten müssen, wenn wir in einer fernen Zukunft auch nur halbwegs ein Stück Landschaft für uns Menschen retten wollen, das wir einmal malträtiert und vergiftet haben.
Die Natur gibt sich unberührt, sie passt sich an, überwuchert das Menschengemachte, wächst "Zivilisation" zu, überlebt in neuer Form. Doch die Abertausende prallroter Weißdornbeeren sind giftig für den Menschen, die duftenden Wiesen von wilder Pfefferminze nicht trinkbar. Das also ist die vermeintliche Wildnis, die sich auf Instagram so gut machen würde. Es ist dieser müde, viel zu junge und unter der Dürre leidende Wald gegenüber, dessen Boden sauber ist.
Es gibt so viele Geschichten, die in diesem winzigen Stück Landschaft regelrecht im Boden liegen. Aber auch so viele verblüffende Denkverbindungen. Eigentlich wollte ich beim Laufen über einen gewissen Pfad von einer bahnbrechenden Untersuchung einer alten Zivilisation berichten, 4000 Jahre alten Termitenbauten. Was sind dagegen diese Erdölarbeiter, die Minen in die Sandlinsen zwischen den Lehmschichten trieben und sich 1813 wie die Halbgötter fühlten mit ihrem lächerlichen Holzbohrturm? Es fügt sich perfekt zusammen, das Erzählen von beidem.
Es wird kein Buch über Erdöl. Aber das Erdöl hilft mir, über Gier und Macht nachzudenken, über die vermeintliche Wildnis und die Blindheit gegenüber der wahren Natur - vielleicht auch die Blindheit gegenüber unserer eigenen Natur?
23. November 2018
Neuem Denken auf der Spur
Es gibt in der Tat da draußen auf diesem wunderbaren blauen Planeten immer mehr Menschen, die praktizieren, was ich "neues Denken" nennen möchte. In Anführungsstrichen deshalb, weil es so neu nicht ist, denn es beschäftigt sich auch mit der Geschichte, mit Disziplinen wie Archäologie oder Paläontologie. Nur scheinbar neu ist es dadurch, dass man sich in einem völlig wissenschaftlichen und sachlichen Umfeld mit Dingen beschäftigt, die früher an dieser Stelle geschmäht wurden: Mythologie z.B., aber auch Poetik und Kunst. Die neuen ForscherInnen können erstaunlich literarisch werden und in Worten baden, dass es ein Vergnügen ist. Sie glauben wieder an die Kraft und Notwendigkeit des Erzählens. Und so strömen auf der anderen Seite auch SchriftstellerInnen zu den Sachthemen.
Richtig neu ist das Bedürfnis, aus dem medial überhitzten Hamsterrad der zerstörerischen und manipulativen Meldungen auszusteigen, die wir inzwischen schon manisch, süchtig und automatisiert empört in Social Media teilen. Dabei ist dieses Aussteigen ein notwendiges Umsteigen: Wir müssen uns endlich wieder Raum geben und Stille.
In einer immer schriller werdenden Kakophonie, die kein bißchen mehr von den Konstruktiven beherrscht wird, müssen wir uns tatsächlich aktiv verweigern lernen.
Was meine ich damit? Ich wähle Facebook an, beim Frühstück, eigentlich müsste mir dasselbe umgehend wieder hochkommen: 70% aller Beiträge sind trotz ehrlicher und wahrscheinlich gerechtfertigter Empörung von Trump besetzt, von Rechtsradikalen, von Rassisten und anderen Lebensfeindlichen, von Planetenzerstörern. Wohlgemerkt - ich bin von intelligenten Menschen umgeben, die natürlich daran Kritik üben. Aber sie dienen dank der Algorithmen nur noch als Schalltrichter für die Propaganda, die sie eigentlich bekämpfen wollen.
Da ist vielleicht der liebe, warmherzige und echt besorgte Familienvater, der sich intensiv gegen eine gewisse Partei engagiert und den lieben langen Tag deren Worte und Taten zerpflückt. Nichtsdestotrotz - das ist der Technologie der Plattform FB geschuldet - macht er sich zum Verstärker von deren Worten und Taten, die es früher vielleicht nicht einmal wert gewesen wären, dass man auch nur kurz darüber lacht. Und weil wir kaum noch hinlesen (können), sehen wir oft die Kritik nicht mehr, nehmen als Subliminal nur noch die PR-Fotos und markigen Sprüche der Partei wahr. Das setzt sich fest, übers Unterbewusstsein. Damit arbeiten solche gezielt. Empörung ist die Währung für eine Massenproduktion an "Nachrichten". Wissen wir alles, geht auch mir so. Auch ich teile einmal zu schnell, zu empört. Aber wie komme ich da raus?
Es ist eine immense Anstrengung, im riesigen World Wide Web diejenigen zu finden, die sich Gedanken um die Zukunft machen und zwar konstruktiv: Indem sie nicht jammern oder wüten, sondern nach Lösungen suchen. Indem sie scheinbar winzige Schritte gehen zu einem neuen Verständnis, zu einer Veränderung des Miteinander.
Anderes Beispiel: Dass der Klimawandel kommt, nein, eigentlich schon da ist, müsste jedem klar denkenden Menschen bewusst sein. Die Wissenschaftler, die die Situationen und Entwicklungen beschreiben, sind da, sind hör- und lesbar. Der reflexhafte Umgang damit, menschlich ganz sicherlich, ist das Herausschreien der Katastrophenmeldungen, das große Zeigefingerschwingen auf Facebook oder bei Twitter, immer schön brav mit Hashtag für die eigene Peer Group. Früher hat man sich in Verzweiflung auf einen Berg oder in einen Tunnel gestellt und gebrüllt, was das Zeug hält. Das befreit, besagte schon die Urschreitherapie. Aber was genau bewirke ich eigentlich, wenn ich am Tag zehn Katastrophenmeldungen diesbezüglich teile?
Natürlich kann ich Linksammler für Interessierte und Recherchierende sein. Natürlich ist es wichtig, aufzuklären, nichts zu verschweigen. Aber erreiche ich damit auch nur einen einzigen Klimawandelleugner? In der Regel nicht, ich sitze ja in meiner eigenen Bubble fest, bekomme lediglich mein Weltbild bestätigt - was durchaus gut tun kann. Ändere ich damit die Menschen? Wer denkt noch tiefer nach angesichts der Menge der immer lauter und schneller kommenden Einschläge?
Ich will damit kein Verhalten kritisieren - nur zeigen, warum es so schwer ist, umzusteigen und die leiseren Stimmen zu hören. Sich die Zeit zu nehmen, einmal an einem einzigen Stoff länger nachzudenken, ihn vielleicht im "Kohlenstoffleben" zu debattieren. Überhaupt mal wieder einen einzigen längeren Text zu lesen! So viele Menschen, die Stunden bei Whatsapp verbringen, sagen mir, sie läsen nicht mehr.
Langer Rede kurzer Sinn: Es gibt die Denkerinnen und Denker, die gnadenlos den Ist-Zustand der Erde analysieren und Ideen entwickeln, wie ein "Umbau" möglich wäre. Sie debattieren nicht nur, viele von ihnen leben ihn bereits, sind sichtbare Vorbilder oder stecken andere einfach nur zu kleinen Schritten an. Da geht es z.B. um unser Wirtschaftssystem, das nicht nur durch die derzeitige Ausformung des gnadenlosen Verzockens unsere Welt an den Abgrund bringt. Noch schlimmer ist es, dass wir selbst, sogar die Gegner, in geldwerten Kategorien denken, Menschenleben berechnen und selbst das Sterben in Formeln stecken, an deren Ende eine Währung steht. Es ist leicht zu sagen, man wolle das alles nicht mehr, wenn man sich z.B. selbst nur über seine Arbeit und den daraus resultierenden Lohn oder Erfolg definiert. Trotzdem leben Menschen bereits auch hier ein anderes Denken ... mitten im Kapitalismus, mitten im System. Wie machen die das?
Andere denken nach über Ökologie und das Miteinander auf diesem Planeten, über die Menschheit und die Artenvielfalt. Und hier geschieht durchaus Bahnbrechendes: Wie kann ich unsere Zukunft so denken, dass der Mensch nicht mehr das Maß aller Dinge ist, nicht mehr im Mittelpunkt steht? Woran messe ich Wichtigkeiten? Was persönlich verbindet mich mit einem uralten Baum, aber auch mit einer Kakerlake oder einer Spinne? Kann ich von Termiten lernen? Ließe sich "Mensch" auch völlig anders definieren, als wir das bisher tun? Und was bitte, sollen Worte wie Liebe oder Poesie in der Wissenschaft? Das Anthropozän knacken (vielmehr die Umstände und Denkweisen dahinter) ... gar nicht so einfach. Die Denkerinnen und Denker gibt es, die sich alle Mühe geben.
Vielleicht sind ihre Ideen zu belächeln, vielleicht erscheinen uns manche zu verstiegen. Andere wiederum mögen uns auf die Palme bringen oder auch völlig begeistern, so dass Debatten entstehen. Eines ist klar: Wir dürfen unsere Agenda nicht mehr beherrschen lassen von Politikern, die im Wahn die Welt mit Gülle volltwittern, von menschen- und lebensfeindlichen Machtbesessenen und von Hanseln, die an der Zerstörung Geld und Einfluss verdienen, nicht am Miteinander, nicht an der Zukunft. Ausgerechnet bei Twitter & Co. findet man aber auch die "Guten", die sich verbandeln ...
Solche Leute und Gedanken will ich in loser Folge hier im Blog vorstellen, außerhalb der Plattformen, damit es nicht untergeht. Es gibt hier das Thema "Zukunft" im Untermenu. Die Links sollen dabei auch helfen, sich bei Interesse selbst weiter zu verbandeln mit klugen Menschen oder auf Plattformen des Denkens.
Den Anfang machen möchte ich mit meiner gestrigen Nachtlektüre, die man auch als Podcast hören kann (es lohnt sich, so sprachgewaltig wie es ist). Ich fand den Tipp über Twitter bei Gavin Van Horn, dem Autor des Buchs "The Way of Coyote: Shared Journeys in the Urban Wilds" (University of Chicago Press).
Es ist ein Essay des nigerianischen Schriftstellers Bayo Akomolafe im Emergence Magazine:
When You Meet the Monster, Anoint Its Feet
Worum geht es?
Es ist eine Art Bestandsaufnahme unserer heutigen Art zu denken und zu handeln, und eine literarische Reise in das, was wir verlernt haben, nicht wissen wollen. Die Reise beginnt in die Zwischenräume in einer Welt des polarisierenden Denkens. Was, wenn wir uns plötzlich mit dem Dazwischen beschäftigen würden statt mit der einen oder anderen Seite? Es ist der Versuch, sich als Mensch anders zu begreifen, als es im Anthropozän üblich ist - Akomolafe spricht von Holobionten:
"We are holobionts. We live and are lived through; we are composite beings, companion species, emerging within and among assemblages."Es geht in diesem Essay auch um Rassismus und uralte Yoruba-Mythen, um die Definition des Menschseins und wie wir aus den Denkkäfigen entkommen könnten. Das Stichwort ist ein ganz großes, das derzeit viele Forschungen, aber auch philosophische und künstlerische Gedanken durchzieht: Interconnectedness - alles ist mit allem verbunden, verwoben. Uralte Sache, gab es schon in Urmythen. Neu ist, dass Ergebnisse wissenschaftlicher Studien davon sprechen.
Ein Essay, das man sicherlich mehrmals hören / lesen muss, wenn einem die Themen neu sind. Aber es lohnt sich als Nachdenkstoff über diese Welt. Und wenn wir einmal all die Trumpel dieser Welt kurz stummschalten, bleibt auch die Zeit zum Lesen.
Eine Bemerkung noch in eigener Sache: Dieses anregende, global sich verbreitende "neue" Denken findet fast ausschließlich in englischer Sprache statt - einfach, weil das die Welt- und Wissenschaftssprache ist. So sind uns auch Gedanken z.B. aus Afrika oder Indien zugänglich. Ein anderer Grund ist der, dass sich Buchmarkt und Medien im deutschsprachigen Raum für "Randthemen" nur zögerlich öffnen, man sieht das daran, welche wichtigen Bücher nicht übersetzt werden oder nur, weil sie schon für internationale Preise nominiert wurden oder bereits Bestseller sind. Einheimische AutorInnen steckt man dann auch schon mal in unbekanntere Kleinverlage. Wenn mir ein bahnbrechender deutscher Text auffällt, werde ich ihn natürlich teilen, aber grundsätzlich werden die Stoffe wohl englischsprachig bleiben.
Wenn die Texte nicht zu komplex sind, kann man die Websites mit Google Translate lesen (einfach die URL eingeben, dann wird die Website im Original übertragen). Eher fürs gesprochene Wort und kürzere, einfachere Texte geeignet ist Deepl.
13. November 2018
Von Pilzen, Hunden und der Erde
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Bilbo erkennt Zweibeiner, die ihn kraulen könnten, von weitem. |
Pilze sind faszinierende Lebewesen - sie brauchen nicht viel. Ein wenig Feuchtigkeit nach dieser Dürre nur, schon streckt das unsichtbare, aber im Boden quicklebendige Myzel seine Fruchtkörper aus der Erde. Ich kenne mich zu wenig mit essbaren Pilzen aus und wage das Sammeln eher nicht. Dass die dicken weißen Knubbel, oft handtellergroß, Wiesenchampignons sein könnten, konnte aber selbst ich mir ausmalen.
Da stapfte denn auch ein alter Mann mit Korb und Messer, man grüßt sich. Und weil er sich schon parallel genähert hatte, obwohl die Wiese so weit ist, war klar: Angst vor dem Hund hat er nicht, aber ein Schwätzchen will er wahrscheinlich halten. Ich frage ihn, ob die Ernte gut ist und er nickt; ja, das sei das Wetter für Wiesenchampignons, bei der Wärme würden sie jetzt richtig explodieren. Ungewöhnlich für November - ich laufe im Sweatshirt bei fast 20 Grad. Bilbo beäugt er neugierig, der will sich an ihn ranmachen, um gekrault zu werden, aber ich halte den Hund immer erst auf Abstand. Nicht jeder Mensch mag kraulewütige Hunde.
Ob der lieb sei - und ich sage ja, ich wolle nur nicht, dass er an Leuten hochspringt. Und dann muss sich Bilbo setzen und wird tatsächlich gekrault. Er habe auch einen Hund. Und jetzt weiß ich endlich einen Anhaltspunkt fürs Schwätzchen, denn es ist wie so oft: Ich verstehe die alten Elsässer, wenn sie partout Französisch reden wollen, oft nur schlecht. Sie sind es nicht gewohnt, haben einen extremen Akzent. Er spricht nur Französisch, weil ich damit angefangen habe und er sich keine Blöße geben will, und ich bin zu dumm, um umzuschwenken in den Dialekt.
Wie alt sein Hund sei - oh ja, 16 sei ein stolzes Alter. Und dann schweift er ab, sagt mir, dass er der Bauer sei, dem das Land hier gehöre und er verpachte jetzt im Alter nur noch Wiesen für Pferde. Grinsend deutet er an den Hang, da ist ein Pferdepaar ausgerückt, genießt vorsichtig-ängstlich die Freiheit zwischen zwei Dörfern und einem Wald. Dem Pferdehalter sage er nichts, die sollten ihre Freiheit noch genießen, denn der Kerl schlage seine Pferde und deshalb würden sie auch nicht bleiben wollen. Und sein Blick schweift den Hang entlang, über seine Wiesen, die er so viele Jahre selbst gemäht hat. Seinen Hund habe er bis vor kurzem noch mitgenommen, aber der sei jetzt zu alt für solche langen Spaziergänge. Und er müsse doch weit laufen, wegen der Pilze, damit der Korb für den Abend voll wird.
Wieder krault er Bilbo, ich merke, sein Hund fehlt ihm dabei und er erzählt, dass der Nachbar extra jeden Morgen mit seinem Hund käme, damit sein alter Herr spielen kann mit dem Kumpel. Spielen, das kann er noch und bis zur Wiese laufen auch, aber dann wird er müde. - Dann wird er hoffentlich noch ein gutes langes Leben haben - was wünscht man sonst in so einem Fall, wo man doch weiß, wie das ist mit den alternden Hunden und dem eigenen Schmerz dabei?
Er wolle so viel und so oft wie möglich laufen, seinen Grund und Boden besuchen und die Erde spüren, sagt der Mann, der eine leise, brüchige Stimme hat. Man traut ihm die Kraft kaum zu, mit der er die Runde macht. Wenn er nach Hause komme, erzähle er seinem Hund vom Land, wie das Gras steht und was gerade wächst. Der soll auch etwas davon haben, auch wenn er nicht mehr kann. Weil er nicht weiß, wer zuerst gehen werde, denn er habe den Krebs im Leib.
Als ich ihn mit einem dicken Knödel im Hals verlasse, mit sämtlichen guten Wünschen, versinkt er wieder völlig in den Anblick vom frisch keimendem Grün seiner Wiesen und dem blauen Himmel darüber mit den dramatischen Wolken. Dann kniet er sich wieder hin, andächtig wie in der Kirche, kniet und schaut und schneidet behutsam den nächsten Pilz.
11. November 2018
Endlich Regen!
Ehe ich noch verstehen konnte, wer sich da nach langer Abwesenheit vorstellt, murmelte es, tackerte die alten Dachziegel fest, plitschte und platschte auf den Wegen. Die kleinen Blibs verbündeten sich mit vielen anderen, liefen in kleinen Rinnsalen in die dürstenden Beete, konnten der Gravitation zur Regentonne nicht widerstehen.
Der Hund blickte verdutzt in das Naturschauspiel und pinkelte vor Schreck an seinen Ausguck. Nur ja keinen Schritt zuviel machen, so ein Busch hätte sich ja unversehens vor Lust schütteln können! In der Nacht fühlen sich Kuschelkissen im Trockenen doch viel besser an, schließlich schlüpfen auch Wolfswelpen in ihre Wohnhöhlen. Da stand der Schauspieler bedröppelt vor der Tür, den nassen, verlorenen Wolfswelpen mimend. Verstand nicht, warum ich nicht mit dem Handtuch kam. Aber er spielte die Nässe ja nur, hatte seine Geheimpfade unter Dachvorsprüngen und ausladenden Ästen, um trocken zu bleiben.
Irgendwo verschwand gurgelnd das Wasser, der Boden schmatzte hörbar. Es gibt einen Platz am Waldrand, da redet der Boden nach solchen Regenfällen, weil er sich unter den Baumwurzeln bewegt, weil unterirdische Sandlinsen im Lehm sich mit Wasser füllen und mit Druck das Nass durch Mäusegänge nach oben treiben. Es sieht dort aus wie im Vulkanland, aber bei großer Nässe wird es zum Sumpf und dann quaken die Frösche mit den Sprudelquellen im Chor.
Jetzt lichten sich eben die dunklen, tiefen Regenwolken über dem Berggipfel, darunter leuchtet es in Rostfarben und Sonnengold. Es ist erstaunlich lau, der Himmel frischgewaschen blau und es war kein Traum. Es hat wirklich und wahrhaftig endlich richtig geregnet, nicht nur genieselt, nicht einfach nur geplatscht und sofort wieder aufgehört. Die Regentonne ist fast voll, zum ersten Mal seit ungefähr Mai, Juni. Das war die Nacht des paradiesischen Regens und Blätter und Blüten sind trunken davon, öffnen sich dem kostbaren Nass. Ich kann sie fast schlürfen hören.
27. Oktober 2018
Ein Buch entsteht und alle nölen!
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Diesmal werde ich stur sein wie ein Ochse! |
Irgendwas mit Natur?
Ich habe bereits erwähnt, dass es in meinem Kopf wieder herumbrummelt, weil womöglich ein längerer Text, vielleicht sogar ein Buch entstehen will. "Irgendwas mit Natur" zeigte sich da - und inzwischen formt es sich schon recht konkret mit Inhalten. Im Moment bin ich noch im Zustand des inneren Köchelns, der wachsenden Begeisterung und der Sichtung von Wegen, die sich abzeichnen. Nach jahrzehntelanger Erfahrung in der Buchbranche strecke ich auch schon mal kleine Fühler aus und stelle Fragen an Menschen in meinem Bekanntenkreis, die gute Bücher machen.Die Überraschung ist groß: Insider raten mir ab. Deutsche Verlage hätten seit der Frankfurter Buchmesse noch weniger Mut als sonst.
Neugierig wollte ich wissen, was dahintersteckt. Meine Idee ist einfach und in meinen Augen doch auch raffiniert: Ich will etwas von Natur und meinen Waldläufen mit Bilbo erzählen, aber mit einem Sinn dahinter. Also nicht so ein niedliches Hundegeschichtchen, sondern ein erzählendes Sachbuch, das unterhaltsam knallharte Fakten transportiert, während ich natürlich auch Wahrnehmungen und Hundliches erzähle. In der angloamerikanischen Welt gibt es dafür ein eigenes Genre mit großer Tradition, das seit wenigen Jahren boomt wie nie zuvor: Nature Writing. Im Deutschen gibt es nicht einmal einen Begriff dafür.
Das Sperrgebiet
Unterbewusst geistert es wohl schon länger in meinem Kopf herum. Seit einigen Jahren knipse ich Fotos von immer der gleichen Stelle. Es ist ein Sperrgebiet, das man von außen leicht beobachten kann, wo aber der Zutritt nicht nur lebensgefährlich ist, sondern auch strengstens verboten. Die Idee zum Buch kam mir, als ich außerhalb an einem Hochsitz saß und wie mein Hund gebannt durch den Zaun blickte. Ich kann mich da wunderbar erholen. Den hohen Zaun mit den Warnschildern blende ich längst aus, meine Augen schweifen auf große knorzige Eichen und Weiden, ungewöhnlich gesunde Eschen und die Wildpfade im hohen Gras der Steppenlandschaft. Wenn es warm genug ist und ein Lüftchen weht, duftet es minzgetränkt von wilder Minze, über der trunken Schwärme von Schmetterlingen taumeln. Ein Hügel erhebt sich über dem entstehenden Wald, stets seltsam kahl, lediglich vergrast und mit ein paar verkrüppelten Koniferen bestanden. Auch die Steppe wirkt fremd.Ich selbst sitze im Kulturland, unweit der Maisfelder in Monokultur, am aufgeräumten Waldsaum, der wegen des Sperrzauns regelmäßig gemäht wird wie ein Vorgarten. Ligusterhecken breiten sich aus, die Jäger haben hier einen Aufgang zu ihren Jagdstellen und den Futterplätzen. Es ist ein extrem junger Kulturwald, von dessen Holzeinschlag die Gemeinde lebt.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich sitze im "Wohnzimmerwald" und schaue auf eine ungestörte Wildnis, die radikal von der Natur erobert wird. Dabei müsste es eigentlich andersherum bezeichnet werden! Denn jenes "Wohnzimmer" ist der eigentlich ach so wilde, freie Wald. Das Sperrgebiet hinterm Zaun dagegen ist verwundetes Land, einstige Industriebrache, womöglich belastetes Gebiet.
Ich musste daran denken, wie viel wir Menschen als Gattung mit diesem Stück Natur zu tun haben. Sind wir nicht selbst verwundet in diesen Zeiten, belastet, erschöpft? Könnte das hinterm Zaun ein Spiegel sein für unseren Zustand in einer immer verrückter erscheinenden Welt, die wir manchmal kaum noch fassen können? Das Gelände wurde nicht umsonst enteignet und abgesperrt: Es könnte nämlich zusammenbrechen. Es könnte sich einfach die Erde auftun aufgrund der alten Wunden und alles verschlingen.
Burnout
Das Stück Land gehört zum ehemaligen Erdölfördergebiet im Nordelsass. Messungen haben ergeben, dass die unterirdischen Galerien in dem von Sandlinsen durchsetzten Lehmboden angefangen haben zu arbeiten. Es besteht einerseits die Gefahr, dass sie einbrechen. Andererseits weiß niemand wirklich, was damals bei Aufgabe der Ölförderung in die Galerien gekippt wurde. Dort, wo einst die Raffinerie stand, hat man den Sondermüll in den alten Galerien entsorgt, das haben die ganz Alten noch erzählt, die dort gearbeitet hatten und nun auch schon gestorben sind. Und hier?Das Besondere an diesem Stück Land ist, dass es keine moderne Industriebrache wie unten im Dorf oder auf dem ehemaligen Raffineriegelände ist. Ich laufe mit dem Hund ein Stückchen im Wald hoch und stehe vor einem Wegweiser: nur 200 Meter bis zum Bohrturm. Der ist eine Replik auf geschichtsträchtigem Boden: Da stand der erste Bohrturm der Welt. Lange vor den Amerikanern hat man hier 1813 zum ersten Mal auf 42 Meter Tiefe gebohrt. Zu der Zeit haben sich Amerikaner noch gefragt, was die Natives mit diesem seltsam schmierigen schwarzen Zeug anfingen, haben es mit Lumpen aus der Erde getunkt, als Mittel gegen Insektenstiche und Medizin.
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Ich habe ein Faible fürs Spurenlesen in uralten Industriebrachen. Dieser Laster vermaß einmal die geophysikalischen Spuren der Erde, um Naturasphalt und Erdöl aufzuspüren. |
Ökoaufstand
Wenn ich meinem Hund Bilbo nachgebe, bin ich ziemlich schnell in einem Wald, der einmal nationale Geschichte schrieb in Frankreich. Dort gab es nämlich einen der ersten "Ökoaufstände" gegen den Kohleabbau, wütende Bauern schäumten vor Wut gegen eine profitorientierte Adelsfamilie, die nicht aus der Region stammte, aber intrigant nach Geld gierte. Damals hat es Flugblätter gegeben und Eingaben beim französischen König, Blockaden der Landbevölkerung im Wald. Von der Belastung ihres Wassers hatten sie es und schimpften beim König, dass das Abholzen des Waldes ihr gesamtes Mikroklima verändere. Ich habe die Texte der Flugblätter noch. Es hieß noch anders, aber die haben tatsächlich erkannt, was Mikroklima ist und wie es sich auf Mensch und Vieh auswirkt! Das war noch vor der französischen Revolution! 250 Jahre vor dem Hambacher Forst, vor den Protesten gegen RWE.Und da hat es mich dann endgültig gepackt.
Nein, ich möchte nicht mein nie geschriebenes Buch über die Erdölgeschichte nachholen. Aber ich habe so viele Kisten Material davon übrig, in denen ich Spannendes finde zur verwundeten Landschaft, zu einer Welt, die einmal nicht mehr lebenswert schien. Vor Jahrhunderten vergiftet, baumlos geworden, immer wieder von Erdöl überschwemmt - heute Teil des Regionalparks und absolutes Naturidyll, die Spuren nur noch für Wissende lesbar. Ein Untergang, der zur Hoffnung wurde. Und ich sitze draußen vor diesem Zaun und erlebe, wie der Wald, der wild sein sollte oder zumindest gesund, an der Maismonokultur und anderen Problemen krank wird.
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"Gesunde" Herbstfarben in einem Wald, der nicht unter Dürre leidet. |
Wider die Entfremdung
Nicht, das das viele Menschen wahrnehmen würden. Bilbo und ich begegnen allenfalls Waldarbeitern, mal einem Jäger oder Bauern. Es ist wunderschön einsam auf all diesen Wegen, was der Natur zugute kommt. Aber die Menschen, die sich seltener in die Wälder bewegen, entfremden sich. Vom Mikroklima lesen sie Theoretisches in den großen Zeitungen und glauben nicht mehr, dass auch ihr eigenes Dorf gemeint sein könnte. Sonst würden sie nicht ihre Gärten mit Planen abdichten und zu Tode schottern. Es sind die gleichen Menschen, die bei Instagram sonntags Bilder vom bunten Herbstlaub posten, sich freuen, dass es schon so früh so bunt wurde, dass es so schön heiß blieb und zum Glück nie nass. Dürreschäden? Trockenheitsfarben? Da kichern sie ungläubig.![]() |
Idylle schauen sich die meisten inzwischen von der Straße aus an oder vom Wanderparkplatz. Und doch ist die Sehnsucht der Menschen nach Natur und nach dem Wald ungebrochen. |
Lernen von den Großen
Natürlich interessiere ich mich für die großen Vorbilder und lerne für mein Leben gern. Das Sujet ist ja in Teilen neu für mich. Also habe ich mir die Besten der Besten zusammengesucht und preisgekrönte Bücher bestellt. Ich habe mich wenig gewundert: Sie sind allesamt englischsprachig. Ein paar davon wurden oder werden übersetzt, aber eigentlich auch eher nur deshalb, weil man an einer Pulitzernominierung oder einem internationalem Bestseller so leicht nicht vorbeikommt (oder sich den Mitnahmeprofit ausrechnet). Noch weniger davon landen als Spitzentitel im Programm von Mainstream-Verlagen. Ich jedenfalls bin hin und weg, verschlinge die Bücher (ich werde sie später einmal vorstellen). Und verliebe mich in die "Schreibe" des Nature Writing.Nature Writing
Da stehen poetische Naturbeschreibungen gleichberechtigt neben dem subjektiven und sehr persönlichen Spaziergang (auch mit Hund) und knallharten wissenschaftlichen Fakten z.B. aus der Biologie oder Ökologie. Das ist genau mein Schreiben. Erzählendes Sachbuch ist so sehr meins ... bei "Das Buch der Rose" wie bei "Faszination Nijinsky" oder "Elsass. Wo der Zander am Liebsten im Riesling schwimmt." Da schließen sich Kreise.Natürlich habe ich recherchiert, was Nature Writing für ein Standing bei uns hat. Und war dann schon leicht entsetzt. Das deutsche Feuilleton rümpft die Nase, nölt herum oder macht sich gepflegt lustig. Ein einigermaßen vernünftiger Artikel ist aus dem Amerikanischen übersetzt. Sonst nur Arroganz zu finden. Wie solche Bücher in Deutschland aufgenommen werden, nenne ich bei mir den "Peter-Wohlleben-Effekt". Der Mann weiß viel und erzählt absichtlich so, dass ihn eben auch naturferne, einfach gebildete Stadtmenschen und Kinder verstehen. Und dafür erntet er dann Häme, allerdings eben auch Erfolg. Irgendwie tut man sich in deutschsprachigen Ländern schwer, wenn jemand zu sachlichen Themen Gefühle anspricht, es einfach hält. Ich reite übrigens bewusst auf einem "deutschen Effekt" herum, weil es sich um eine fehlende kulturelle Tradition handelt, weil da aber auch geschichtlich gewachsen gewisse Vorbehalte da sind. In Frankreich ist das auch anders, jemand wie Wohleben würde hier in Schulen und zu Waldführungen eingeladen werden (inzwischen ist er dort auch bekannt).
Einen guten Artikel habe ich gefunden, der einfühlsam zeigt, was Nature Writing ist und was dahintersteckt: "Schläft ein Lied in allen Dingen" in der ZEIT. Den hat aber ausgerechnet ein Autor geschrieben, der sich selbst immer häufiger in englischer Sprache ausdrückt und in diesem Kulturkreis auch ernst genommen wird. Auch über ihn lachen viele in Deutschland: Dr. Andreas Weber. Bekannt wurde er mit seinem Buch "Alles fühlt" (Leseprobe pdf). Er ist Philosoph und Biologe und schreibt sogenannte erzählende Sachbücher, sehr poetisch und literarisch außerdem. Und schon damit können und mögen so viele nichts anfangen. Dabei ist gerade dieses Buch die Initialzündung gewesen zu meinem Denken, meiner Idee ...
Derart vorgewarnt habe ich dann ein paar Verlagsleute in meinem Bekanntenkreis interviewt, was sie über Nature Writing denken. Sie hatten durch die Bank zwei Vorschläge für mich:
- Schreibe unbedingt auf Englisch.
- Werde am besten ein Mann.
Und ja, deutschsprachigen Verlagen fehle es an Mut für Ungewöhnliches wie selten zuvor. Aber das hatten wir ja schon. Öfter.
Da stehe ich nun mit meiner Idee und bin mir noch unschlüssig, wie ich sie tatsächlich umsetzen werde. Das Notizbuch jedenfalls füllt sich, vorläufig in der Muttersprache.
22. Oktober 2018
Endlich erscheint er wieder!
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Das Blog von der Bildadresse gibt es nicht mehr. Aber den Newsletter ;-) |
HIER ist das Formular fürs Abo und da kann man sich auch im Archiv Appetit holen. Wir lesen uns! :-)
17. Oktober 2018
Hummeln brummeln in meinem Kopf
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"Orange 45 Voodoo", Mixed media (Acrylfarben / Collage) im Künstlerrahmen, von Petra van Cronenburg |
Zuerst mal freue ich mich wie Bolle über den Weg, den das Bild oben nehmen wird. Ich habe bereits darüber gebloggt, wie es aus einer Wut heraus entstand, als Voodoo-Ritual sozusagen. Und heute habe ich es - professionell verpackt - per Post nach Straßburg geschickt. Dort wird es nämlich mit anderen Kunstwerken zusammen ausgestellt und kommt dann in eine Kunstauktion.
Wer Lust und Zeit hat: Die Kunstwerke sind zu sehen in der Galerie Aedan, 1 a rue des aveugles, Strasbourg, und zwar vom 25.-28.10.18. Die Galerie hat sich zu einem "hippen" Treffpunkt in der Altstadt von Strasbourg gemausert, denn sie ist verbunden mit dem Aedan Place drei Hausnummern weiter, einer Art kulinarischen Erlebnislandschaft mit Brasserie, Pizzeria, Bar und Künstlercafé - früher war das alles eine alte Malzfabrik. Versteigert wird am Sonntag, den 28.10.18 von 17:30 Uhr bis 20 Uhr. Was dahintersteckt, ist von den USA abgeschaut und zumindest in der französischen Provinz recht neu, aber die Europahauptstadt ist da eine quirlige Ausnahme. Es handelt sich nämlich um eine Art Crowdfunding für einen guten Zweck: Alle KünstlerInnen spenden 30% ihres Erlöses für die Makers for Change, die sich in Strasbourg um Flüchtlingsarbeit kümmern. Die Auswahl der zugelassenen Werke besorgte übrigens eine Jury der Galerie ... deshalb bin ich so hin und weg, dass ich mit dabei sein kann!
Aber jetzt endlich zu den Hummeln ...
Wie ich kürzlich so mit meinem Hund Bilbo an einem Hochsitz flätzte und wir beide die Sommerhitze im Oktober genossen, bewarf mich die Eiche dahinter und es war ein Genuss, diese Musik vom Ploppen der Eicheln und vom zarten Klicken der Bucheckern zu hören, während ein leiser Windhauch die ersten Blätter durch die Luft wirbelte. Manche blieben in einem Zaun hängen wie Herbstbilder, andere spielten Torpedo im Quirlflug.
Keine Ahnung, ob mir nur eine Eichel auf die richtige Stelle vom Hirn fiel oder ob es der neugierig nach Wild schnüffelnde Hund an meiner Seite war, der ja ganz offiziell den Job eines Inspirational Managers ausübt. Vielleicht waren es auch nur die Farben, dieser Buntrausch vor Himmelsblau. Da war jedenfalls plötzlich dieses Heureka.
Ich wollte ja eigentlich keine Bücher mehr schreiben. Aber plötzlich wusste ich, was ich schreiben will oder schreiben muss. Völlig verquer, weil ich solche Bücher nicht kenne, obwohl die Idee so nah ist an einem Künstlerbuchprojekt, an dem ich nebenher arbeite. Plötzlich hatte ich diesen Missing Link zwischen Kunst und Literatur. Und einen Weg, der es erlauben würde, mit diesem Wahnsinn der Welt irgendwie fertig zu werden, der es mir z.B. unmöglich macht, meinen Krimi fertig zu schreiben. Die Realität kann inzwischen alles schneller und absurder als meine Fantasie.
Was ich mir ausgedacht habe (nein, eigentlich schrieb ich es gleich auf, von Hand in einem schönen Notizbuch), ist vielleicht nicht nur für mich ein Weg, ein wenig Erdung in wilden Zeiten zu finden. Und es hat verdammt viel mit Natur zu tun und kann vielleicht diese Entfremdung überwinden, die manche inzwischen in Sachen Natur haben. Ich will nicht zuviel verraten, denn zu junge und feine Pflänzchen sterben oft ab, wenn sie gleich von vielen Leuten betatscht werden. Darum bitte ich noch um Geduld.
Natürlich habe ich nachgeschaut, ob es so etwas schon gibt. Und fiel aus allen Wolken, weil das "Genre" boomt wie blöd: im angloamerikanischen Raum, in Frankreich auch. Es gibt weder ein deutsches Wort dafür noch einen deutschsprachigen Eintrag in der Wikipedia, aber immerhin ein paar Feuilletonartikel über das englische Phänomen. Ansonsten viel deutsche Häme, leider typisch und nicht Mut machend. Einer, der den besten deutschsprachigen Artikel zum Thema geschrieben hat und mich mit seinem Buch sehr berührt hat, ein deutscher Autor, schreibt zunehmend nur noch auf Englisch. Da weiß man ihn und seine Arbeit zu schätzen. Ich bin noch sehr zwiegespalten, ob ich auch frech die Sprache wechsle oder gleich nur auf Selfpublishing setze. Aber zuerst einmal habe ich, aus Forschungszwecken natürlich, wunderbare Bücher von den ganz großen Könnern des Genres bestellt. Wen wundert es - sie kommen alle aus England und den USA.
Seitdem habe ich Hummeln im Kopf. Mir fallen nämlich so viele Dinge ein. Vor allem aber fallen mir viele Dinge auf, Kreise nämlich. Es schließen sich so viele Kreise damit. Zu meinem Schmuck und zu meiner bildenden Kunst, zu den Künstlerbüchern und meinen Inspirationen aus den Vogesen. Zur Landschaft, zum Gehen und den vielen Hundeausflügen, selbst zu meinem Nebenjob. Und zu meiner Kindheit schließen sich die Kreise, als ich Wissenschaftlerin für Marienkäfer werden wollte und die Mikrowelten unter einem losen Mauerstein beobachtete. Es fühlt sich gut an, als sei die Zeit reif.
Inzwischen habe ich außerdem den gehörigen Abstand zur Buchbranche - Schubladen und Trends interessieren mich kein bißchen mehr, obwohl es international ja einer ist. Inzwischen weiß ich ja, wie man so etwas produziert. Und die Hummeln brummeln noch mehr ... aber das ist nur Schnapsidee ... mir schwebt das Internet als Vorstufe vor. Warum soll man immer erst fertige Bücher am Stück lesen? Da schwirrt es ... eine Art Club, in dem man Vorabinhalte bekommt, oder Geschichten drumherum. Mal sehen. Alles noch unausgegoren. Und vielleicht wird es so schlecht, dass ich abbreche. Wer weiß?
Ach ja - ein Roman wird es definitiv nicht werden. Sondern ein literarischer Sachtext: erzählt, wie ich hier erzähle, mit Wissenseinsprengseln und hoffentlich einer angemessen schönen Sprache. Um Schönheit wird es nämlich gehen. Und um Natur.
Wie praktisch - jetzt habe ich mich an die Apéritifzeit herangeschrieben - darauf muss ich nämlich jetzt einen Sekt trinken. Und die Hummeln noch ein wenig brummeln lassen!
3. Oktober 2018
Es gibt mich noch, lachend
Da ist, wie gesagt, mein Doppeljob: Ein Nebenjob zum Geldverdienen und mein Atelier Tetebrec. Und die Welt drumherum, auf diesem immer seltsamer anmutenden Planeten.
Es ist nicht sehr schön, welche Entwicklungen ich dabei beobachten muss. Und darum mache ich mir eher kurz Luft bei Facebook oder Twitter und mag mir nicht auch noch im Blog die Laune verhageln. Gleichzeitig aber wird mein Lachen immer schriller. Die irresten Geschichten, für die man früher ein ganzes Team von Gagschreibern brauchte, passieren inzwischen täglich. Die Berufssparte PolitikerIn versucht sich immer häufiger an Realsatire. Weil ich also recht schlecht mit der Realität zurechtkomme (wie erklärt man eigentlich einem unter Paranoia leidenden Menschen, dass das alles echt ist, was er sich einbildet?), möchte ich von einem Traum erzählen.
Ich will ja keine Bücher mehr schreiben. Unter anderem deshalb: Ich bin nicht mehr fantasievoll genug, mir solche Klopper auszudenken, wie sie täglich passieren. Aber offenbar gärt da noch etwas im Unterbewusstsein. Jedenfalls bin ich kürzlich vor dem Fernseher eingeschlafen. Es lief eine Dokuserie über "Die Science-Fiction-Propheten", in der nachgegangen wird, was Science-Fiction-Autoren vorhergesehen haben und wie Fiktion manchmal zu Realität wird. Meinem Hirn im Schlafmodus muss das irgendwie gefallen haben, es hat sich festgebissen an der Möglichkeit, dass Realität eigentlich wurscht sein könnte, wenn man sie erfindet. Im Zeitalter von Fakenews und Lügenbolden in hohen Ämtern wird das ja schon zur Realität.
Während also diese Dokus liefen, warf mich mein Gehirn in mein brachliegendes Krimimanuskript. Würde ich das fertig schreiben, käme es wahrscheinlich ins Regal "cozy crime" / "netter Gartenkrimi" oder, ganz übel, "Regiokrimi". Wahrscheinlich würde man mich zwingen, die Regio auszuregionalisieren, denn die ist ja nur erfunden. Wenn das ZDF im Unterbewusstsein mitschreibt, ist das natürlich völlig anders!
Meine Ermittlerin, die schlaue Gärtnerin mit diversen Spleens, war plötzlich ein Cyborg, hatte eine erstaunliche künstliche Allzweckhand und einen Chip im Kopf, dessen Funktionsweisen ich noch nicht genau erkunden konnte. Ihr zur Seite stand nicht mehr das von mir erfundene Personal, sondern ein Weltenwechslerhund - so eine Art Tardis auf vier Beinen. Noch im Traum fiel mir ein, dass ich genau damit angefangen hatte, Bücher schreiben zu wollen. Es gibt da ein unsägliches Jugendmanuskript, in dem eine nette Hexe mit Weltenwechslerhund gegen den finster-fiesen Troll namens Brombo von Brombonien kämpft, der die Welt bedroht. Ich denke, jede Autorin hat so ein unsägliches Dingens in der Schublade - und da gehören solche Dinger auch hin. Früher hat man sie bei entsprechenden Fanzines eingeschickt.
Meine Cyborg-Gärtnerin machte also irgendwie an einem Aquaponiksystem herum und überlegte, warum ihre Kundin nicht eines natürlichen Todes gestorben war. Sie lebt irgendwo weit in der Zukunft, die Menschheit hat den "Großen Rückfall" des 21. Jahrhunderts überlebt, ist mit Robotern und KI verschmolzen und alles ist eben Science Fiction. Nur die Polizei ist ein bißchen doof (in diese Typen wurde nie investiert, die laufen noch auf Normalhirn) und deshalb ermittelt also nun die Gärtnerin. Mit dem Weltenwechslerhund. Der hat den Vorteil, dass sie irre viel herumkommt beim Ermitteln und ihr die Verbrechen nicht ausgehen. Gibt ja so viele Sterne, auf denen was passieren könnte ...
Ich brauchte natürlich etwas Flair und Umgebung, geht ja nicht, dass man so eine wundervolle "Regio" aufgibt, nach der alle Lektorinnen lechzen. Notiz an mich: Es ist erschreckend, wie sehr mir die Buchbranche mit ihren Spinnereien im Unterbewusstsein steckt. Ich flog im Traum plötzlich durch eine immense, dreidimensionale 42 und hatte die Lösung: Inmitten dieser irre zukünftigen Welt würde die Protagonistin in einer Region leben, die völlig spießig, kleinbürgerlich, heimatdeppert und kleinteilig daherkommen müsste.
Ich kann nichts dafür und will niemanden beleidigen, aber im Traum sagte mir ein Sternenweiser, Bayern sei doch ein nettes Vorbild für so etwas, oder zumindest ein fiktives Möchtegernbayern, vielleicht mit einem genveränderten Bier, das alle glücklich macht und ruhigstellt. Ratzfatz baute mein Kopf die tollsten Abenteuer zusammen, die mir wahrscheinlich dieser wundervoll zum Einschlafen bringende Ton der Dokus suggerierte. Ich verwurstete sicherlich Arthur C. Clarke mit Jules Verne, Stephen Spielberg und Raumschiff Enterprise, bis der Doctor kam. Also THE doctor.
Und dann wachte ich auf und es fühlte sich irgendwie nett an und ich konnte die Bücher schon vor mir sehen. Aber der Weltenwechslerhund musste pinkeln und konnte plötzlich nicht mehr durch Türen diffundieren.
Das versetzte mir einen Schlag. Depperte Fiktion. Glupscht mich dieser Hund mit einem Blick an, der sagt: "Hehehe, ich kann doch die Welten wechseln, du hast nur noch nicht herausgefunden wie!" Und ich muss ihn wie der depperte Zweibeiner aus der Zeit des Großen Rückfalls vor die Tür bringen! Ich habe danach die laufende Doku abgeschaltet, geschlafen und bin morgens aufgewacht.
In einer neuen Fiktion hatte ein bayrischer Ministerpräsident der Sternenflotte aus Raumschiff Enterprise das Emblem geklaut und ein Gesicht einbauen lassen von einem Alien, der unter seltsamen Drogen zu stehen schien. Das Buch hieß "Söderchens Mondfahrt". (Links = Fotos)
Ich lachte mich krümelig und wusste wieder: Meine Fiktionen würden nie und nimmer mit dieser Realität da draußen mithalten können. Ich bin nicht absurd genug, meinen Plots fehlt vollkommen das Irresein unserer Zeit. So wird das nix ... es sei denn, ich bleibe bei dieser Vorlage von Bayern, die ich geträumt habe. Vielleicht hat der Söder das auch nur gemacht, weil ich geträumt habe, wie irre diese Science-Fiction-Regio sein müsste, und weil das ZDF gesagt hat, dass Science Fictions manchmal wahr würden und Autorinnen ...
Nein, an diesen Plot muss ich unbedingt noch einmal ran. Wenn das alles so schnell wahr wird, wie ich das erfinde ...
30. August 2018
Vergangenheit in einem Päckchen
Und da steht "Uncle Tony", der eigentlich einmal Anton hieß, und der auf seinem letzten Deutschlandbesuch ever auch bei uns vorbeikommt, denn meine Mutter ist die Tochter seines Schwagers. Es sind die frühen 1960er, Uncle Tony ist bereits 1923 in die USA emigriert - aus Böhmen, denn er ist Tscheche, wie der ganze Zweig der Familie. Ich denke, das müssen Haifischzähne sein, weil der Onkel doch über einen großen Teich gekommen sein soll, und als er sie in meine Hände gibt, rieche ich diesen Geruch. Es ist eine himmelblaue Perlenkette, die er mir mitgebracht hat, aus Glas, aus Bohemian Glass Beads from Cleveland, wie er womöglich meinen Eltern erklärt haben mag. Himmelblau und Haifischmeeresblau. Die Farben duften. Sie nehmen mir die Kette sofort weg, als der Onkel wieder weg ist, und eine andere auch, weil solcher Schmuck nichts für Kinder sei und weil die blauen Perlen gefährlich scharf seien.
Wer meine Texte kennt, kennt Uncle Tony. Seinem Besuch habe ich ein Denkmal gesetzt in der Kurzgeschichtendammlung "Blaue Fluchten". Ich erzähle, wie er mir die Wunder der Kurzwelle gezeigt hat und ich im Radio fortan Drähte sah, auf denen Vögel sitzen. In meinem Sketchbookproject ist er der "John" - und darin findet sich meine Geschichte von Familiengeheimnissen und versuchter Künstlerverhinderung - man kann sich das online in der Brooklyn Art Library ansehen.
Plötzlich bin ich wieder ein kleines Kind und habe die "Haifischzähne" in der Nase, ein Duft von altem Glas und Dachboden und den Farben, die sie hat. Und ich weiß, wo sie liegen. Die ursprüngliche Kette ist längst mürbe geworden, ich habe die Perlen zur Aufbewahrung auf Nylon gefädelt.
So muss es sich wohl anfühlen, wenn man mit der Tardis durch die Zeiten wirbelt und plötzlich alles um einen kreist. Da sind die tschechischen Auswanderer wieder, die 1923 aufs Schiff gingen. Da ist ihr hart erarbeiteter Wohlstand in den 1950ern, als Cleveland und Detroit noch blühten. Sie haben zu Festen die Kinder und Kindeskinder beschenkt, mit Puppen und Spielzeug und mit Bohemian Glass Beads. In ihren Clubs waren Handwerk und Kunst aus der alten Heimat noch lebendig. Und dann steht Uncle Tony bei uns zuhause und meine Mutter weiß nicht, dass der Glanz des Rust Belts zu rosten beginnt. Sie ist nur neidisch auf die Amerikaner, die Häuser haben und Autos und kleinen Kindern Perlenketten schenken. Währenddessen entvölkert sich Cleveland zum ersten Mal in den Vorstädten, die Arbeitslosigkeit greift um sich. Und meine Verwandtschaft wird weiterziehen in den USA, immer der Arbeit nach ...
Und dann fällt mir Uncle Tony's Frau ein, ich komme zurück auf meine Urgroßmutter und diesen alten Familienmythos von deren Großmutter. Eine Glasfabrik in Böhmen hätten die gehabt und dann sei sie später aus unerfindlichen Gründen einfach nach Frankreich emigriert. Dort stehe ich im Zeitenwirbel, der aus einem Überraschungspäckchen aus Tschechien kam.
Anmerkung zwecks Transparenz:
Die Werbung für Preciosa Ornela ist unbezahlt, die Perlen habe ich nicht für diesen Blogbeitrag bekommen, sondern bei Facebook gewonnen. Ich mache sie aus Begeisterung, um meine Geschichte zu erzählen. Und sehe sie außerdem als Info für meine KundInnen an, die oft wissen wollen, ob ich Qualität verarbeite. Zudem verkauft die Firma nicht an EndkundInnen.
25. August 2018
Wimmelbilder - Wunderstücke
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Names Project Aids Memorial Quilt auf der National Mall in Washington DC, 1987 gestartet, 1996 zum letzten Mal dort ausgelegt. (Foto: National Institutes of Health USA via National Park Service, public domain) |
10. August 2018
Ich will nicht schnell berühmt werden!
23. Juli 2018
Vom Leben geküsst
Un matin, Mme Dupont ouvrit la porte et fut embrassée par la vie.
One morning, Madame Dupont opened the door and was kissed by life.
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Un matin, Mme Dupont ouvrit la porte et fut embrassee par la vie. Petra van Cronenburg. Zum Vergrößern Bild anklicken |
18. Juli 2018
Nachdenken über Workshops
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Sogenanntes Fabric Paper - die Verbindung aus Papier und Stoff. Kombiniert mit Papiergarn und Aquarellfarben (Atelier Tetebrec, Petra van Cronenburg) |
13. Juli 2018
Weltlage kurz erklärt
7. Juli 2018
Heimat sind Fische auf Blumen
3. Juli 2018
30. Juni 2018
Heiße Parallelwelten
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Es wurde zu einer Begegnung der dritten Art ... |