Seiten

27. Dezember 2013

Geht doch mit links!

Feiertägliche Stille ohne Mediengetingel, gepaart mit gutem Essen, viel Schlaf und Bewegung tun ihre Wirkung: Madame läuft quer durchs Arbeitszimmer, hält inne, versucht eine Drehung und plappert wie irre vor sich hin. Schweigt, schüttelt den Kopf, sagt einen neuen Satz, dreht und wendet ihn, verändert ihn, sagt ihn wieder, kaut ihn durch. Zwischendurch rast sie wie besessen zu einem blau verhängten Schuhkarton und spielt mit Papp-Püppchen zum gleichen Text. Manchmal, mitten in der Nacht mit einem "Heureka!" auf den Lippen aus dem Schlaf hochgeschreckt, notiert sie etwas mit Bleistift in eine Notizbuch, das sie derzeit immer bei sich trägt. Getippt wird eher wenig, dafür kann man die Zahnrädchen in ihrem Gehirn fast wie in einem Chaplin-Film bei der Arbeit sehen. Ein "Stück" entsteht mit dem Titel: "Jeux - russische Spiele in Baden-Baden".

Low-Budget-Produktion: Madame lässt die Puppen tanzen (Foto: PvC)

Wenn ich irgendwo erzähle, woran ich gerade arbeite und warum mir das so viel Hirnschmalz abverlangt, dann höre ich grundsätzlich ein lustiges: "Das geht doch mit links!" Wohlgemerkt: Es handelt sich dabei nicht um ein persönliches "Das machst du doch mit links" - etwa, weil die Leute meine Fähigkeiten abschätzen und mir das zutrauen. Nein, einige setzen dem noch eins drauf: "Fürs Theater schreiben ist doch kinderleicht! Du musst einfach nur den Zwischentext weglassen, brauchst nix mehr erzählen und lässt die Leute einfach nur babbeln."

Aha. Schöne neue Zeiten. Alles ist so einfach heutzutage! Bücher schreiben beispielsweise. Dazu braucht man nicht einmal einen einzigen Satz geradeaus schreiben können, Hauptsache, man muss dringend diese eine Geschichte erzählen wie Tante Erna mit ihrem Fußpilztagebuch. Dann ab ins Super-Casting unter den Superfußpilzen und schon bist du reich und berühmt!

Und jetzt soll es noch einfacher gehen. Lässte einfach allen Ballast weg, musst nicht mehr das Wetter beschreiben und Cliffhangers aufhängen, plotten musste auch nicht mehr und schick einfach alles zum Teufel, was zwischen den Dialogen steht. Schon haste ein Theaterstück. Wenn ich gewusst hätte, dass Typen wie Ibsen und Tschechow solche faulen Stinker gewesen sind, ich hätte mir weniger Panik gemacht! Wozu habe ich eigentlich vorher so viele Dramen in Minimalbesetzung gelesen? Lernen von den Könnern? Kann doch heute jeder! Stell Tante Erna auf die Bühne und ihren Fußpilz daneben, verpass ihm am besten eine Naziuniform, streich den ganzen Text aus Tante Ernas Tagebuch und lass die beiden schwadronieren. Schon haste ein Erfolgsstück. Aua.

Irgendwie will die Masche von Tante Erna bei mir nicht funktionieren.

Als ich das "Stück" zum ersten Mal vor meinem geistigen Auge sah, rannten schätzungsweise sieben Menschen auf einer Bühne herum, das aufwändige Dekor änderte sich mit den Akten, die Kostümbildnerin hätte in den 1910er Jahren schwelgen können. Aber in der Realität geht es einem wie Drehbuchschreibern beim Fernsehen: "Lassen Sie den Kommissar Bienzle um Himmels Willen auf dem schwäbischen Weinberg sitzen, eine Mexikoreise können wir für den Tatort unmöglich finanzieren!" In meinem Fall setzt Low Budget noch viel tiefer an: Zunächst wird hier gar nichts inszeniert werden, es gibt eine sogenannte szenische Lesung - das, was Schauspieler machen, bevor sie spielen.

Wo aber kann man sparen, wenn man überall sparen muss? Und macht das überhaupt noch Spaß?
Und wie es Spaß macht! Es ist eine Herausforderung, die zu einer völlig neuen Geschichte führt. Die Beschränkungen der Antike auf die Einheit von Ort und Zeit waren so ungeschickt nicht! Möglichst wenige Schauspieler, eine absolut winzige Bühne und natürlich kein Bühnenaufbau wie für "Aida" in Plüsch. Ich habe mich gegen einen Monolog entschieden und werde Nijinsky und Diaghilew mit- und gegeneinander antreten lassen: in einer Ménage à trois! Lange habe ich gegrübelt, aber genau das ist die Chance der Bühne, wenn auch schriftstellerisch die Herausforderung: Man kann Unsichtbare agieren lassen. Man kann ungehörte Dialogteile im Kopf der Zuschauer entstehen lassen. Wer je einem dieser Exhibitionisten mit Handy zugehört hat, der auf dem Gehsteig seine Monologe in den Hörer brüllt, weiß, was ich meine.

Wenn ich mich recht erinnere, stehen auf der Bühne moderne Stahlrohrsessel und ein Glastisch. Letzteren könnte man leicht verschwinden lassen, aber habe ich Möbelpacker? Aber muss Diaghilew denn im luxuriösen Jugendstilambiente sitzen und zu einem der neuesten Tischfernsprecher seiner Zeit greifen? Wie modern ist 1913 eigentlich? Rein in den Stahlrohrsessel, gebt dem Mann ein Handy! Schließlich ist gerade erst Bankier J. P. Morgan gestorben und man zerbricht sich den Kopf, was aus dieser Bank wird; alle Welt schaut Fantomas im Kino, die New York Times berichtet quasi "zeitecht" mittels drahtloser Marconi-Technik vom schlimmsten Theaterskandal in Paris, auf den Straßen toben die Frauen für mehr Rechte und man trällert Irving-Berlin-Songs, während Baden-Baden einen auf Zeppelinflughafen macht! Die Romanows können es nicht lassen, ihr 300jähriges Thronjubiläum zu feiern - währenddessen die zwei berühmtesten Russen der Welt ihre Theaterneuerungen nebst schwulem Liebesleben nur im Exil ausleben können. Alles tanzt übernervös auf einem Vulkan, aber wenn ein blutjunger Choreograf die Puppen mal nicht so tanzen lässt, wie sich das die reichen Mäzene vorstellen, provoziert das beinahe internationale Verwicklungen. Die Engländer sind die Schlimmsten: Geld für die Kunst, ja, aber nur gegen Zugeständnisse an die Konservativen!

Wie viel 1913 ist heute? Welche Scheren haben die Künstler heute im Kopf, was würde die Reichen und Schönen schockieren? Wollen wir wirklich die "reine, anspruchsvolle Kunst" (Nijinsky) oder lieber Zerstreuung, Unterhaltung, Wohlgefallen mit nur etwas wohldosiertem Kitzel (die Mäzene)? Zwei schwule Russen, von denen einer für Hochglanz-Sammelalben der Szene posiert und plötzlich, unerklärterweise heiratet ... während der andere sich mit jungem Frischfleisch tröstet, heimwehkrank nach Russland - heute noch ein Thema?

Es macht verdammt viel Spaß, zur Essenz eines Konflikts vorzudringen. Aber da muss jedes Wort sitzen. Wie eröffnet man vor einem Publikum, das die Namen und Begebenheiten vielleicht nie zuvor gehört hat? Wie vermeidet man "Infodumping"? Wie zeichnet man gleich mit der ersten Szene Charaktere, Situation, innere Bilder - wie deutet man einen Konflikt an?

Wenn mir noch einmal jemand mit dem Spruch kommt, Schreiben für die Bühne sei ja noch viel einfacher als Bücherschreiben, weil man einfach nur alles weglassen müsse ... wenn noch einmal jemand findet, ich würde mir zu viel Sorgen machen, das könne ja schließlich jeder, dann - ich schwöre - lasse ich ihm eine Einladung von Tante Erna zukommen. Die wollte sich schon immer mal mit durchlauchten Gästen ausführlich über ihren Fußpilz unterhalten!

Update:
Jemand hat mir gesteckt, dass es im Internet 1001 wohlfeile Anleitungen für Tante Erna gibt, auch Theaterstücke schreiben zu können. Ich möchte es mir verkneifen, auf die schlimmsten Blüten zu verlinken, aber zitieren möchte ich einige doch, des Amusements wegen:
In einer Anleitung heißt es: "Ein Theaterstück zu schreiben macht dich noch einzigartiger und du solltest darauf stolz sein." Nur mal so, falls ich an mir zweifeln sollte ... Und ich bräuchte unbedingt einen Bösewicht und eine lustige Rolle, damit man mir das Stück auch abkaufe. Klar, dass Tante Erna Testleserin wird ... und immer schön laaaaangsam schreiben, denn "auch brauchen die Schauspieler immer etwas Zeit, um sich in Position zu stellen." Sehr wichtig ist die Abgrenzung zum Film: "Beim Theater heißt dein Werk nicht Drehbuch, weil ja nichts gedreht wird." Aha. Ich bin dann an der Stelle ausgestiegen, als eine Mäusefee gesteht, sie studiere das Zeug zwar, habe aber eigentlich auch keine Ahnung und könne deshalb nur raten, sich Anleitungsbücher zu kaufen.
Immerhin hat sich die ZEIT schon 1959 Gedanken darum gemacht, wie es denn nun eigentlich funktioniert und prompt die Vorlage für mein Tantchen Erna gefunden: „Kann ich schreiben rechts, kann ich schreiben links...“ ... sagte der Schmock von Gustav Freitag. Und nein, diesen Link kann und will ich mir nicht verkneifen: Zum eigenen Theaterstück in nur einer Stunde!

21. Dezember 2013

Ein rasendes, verrücktes Jahr

Als Kind habe ich mir einmal selbst einen Brief in die Zukunft geschrieben - ich habe ihn auf das Jahr 2001 datiert, wenn ich meiner damaligen Meinung nach längst eien uralte Frau sein würde; in einer Welt, in der Autos durch die Luft schweben, Menschen auf Rollbändern durch die Straßen getragen würden und kleine Übersetzungsmaschinen am Hals hätten. Viel war in diesem Brief vom Träumen die Rede, vom Leben von Träumen und von Freiheit. Lass dir ja nie von Erwachsenen die Freiheit nehmen, schrieb ich der vermeintlich alten Frau.

Zwölf Jahre nach Ankunftsdatum fühle ich mich immer noch jung und lustig und bin fasziniert, wie sich Alterswahrnehmungen mit der Zeit verschieben. Es ist auch rührend, wenn wir - egal in welchem Alter - gefragt werden, wie wir uns die Zukunft vorstellen ... in zehn, zwanzig oder auch vierzig Jahren. Was davon tritt ein? Und wie viel von dem, was kommt, gestalten wir aktiv und bewusst selbst - wie oft mischen wir uns ein, damit unsere Zukunft auch wirklich die unsrige wird? Wie viele Träume holen wir ins Leben, anstatt uns durch dieses ewige "Aber" selbst zu behindern? Sind wir uns immer dessen bewusst, wie schnell so ein Leben vorbei sein kann ... wo man doch so viel auf die lange Bank geschoben hat? Das Karussell dreht sich ...


Das Jahr 2013 hat sich für mich angefühlt, als sei es wie ein Komet vorbeigerast, als könne ich keinen einzigen Tag fassen. Mag sein, dass dieses Gefühl auch am Alter liegen mag - ich glaube es nicht. Ich glaube, dieses Gefühl der Raserei kommt durch zwei Effekte zustande: Wenn man sich selbst bis an die Grenze aus- oder belastet und zu wenig Auszeit nimmt. Oder aber, wenn ein Ereignis, das zunächst nebensächlich erscheinen mag, plötzlich einen Schlund in uns aufreißt, durch den wir in einen Abgrund sehen können, auf etwas "Größeres". Das kann manchmal eine persönliche Lebenserschütterung sein, durch die man sich der eigenen Endlichkeit wieder bewusst wird und nachzudenken beginnt über den Tod. Plötzlich wirkt so ein Menschenleben ganz winzig im kosmischen Gefüge, wo bleibt die Zeit ... was tut die Zeit dort? Rast sie? Steht sie?

Es kann aber auch einer dieser seltenen Momente sein, wie ich ihn in diesem Jahr erlebt habe: Etwas im fernen Außen passiert. Und man wird sich plötzlich dessen bewusst, dass ein ganzer Geschichtsverlauf umkippt. Das nichts mehr ist, wofür man es vorher hielt. Man fällt aus dem Weltgefüge, das man sich in vermeintlicher Sicherheit zurechtgezimmert und fein tapeziert hat. Da gähnt wieder dieser Schlund - man ahnt einen möglichen Abgrund, aber diesmal schließen alle die Augen. Diese Angst vor dem Aufprall! Dieser kurze, blitzartige Gedanke, dass man genau in der Katastrophe landen könnte, vor der das Kind damals die Erwachsene eindringlich gewarnt hat: dem Verlust der Freiheit! Geschichte geschieht. Und ich ... und jeder andere mit mir ... wir stehen am Rande und schauen und haben die letzte Chance zu sehen. Geschichte wird gemacht. Und wir können das regelrecht beobachten, das Stichwort heißt NSA.

Wie viel habe ich selbst für eine gute Zukunft getan, wie oft weggeschaut? Das Karussell dreht sich seit 2013 so rasend, dass wir immer noch allzu fassungslos staunen: Wir leben in theoretisch klarem Bewusstsein in einer Welt, in der jede einzelne Bürgerin, jeder einzelne Bürger zum gläsernen Menschen wird, a priori kriminalisiert. Wir werden überwacht in all unseren Äußerungen: im Internet, in unseren Mails, unseren privaten Telefongesprächen und per Überwachungskamera auch noch in Städten abgefilmt - denn jeder von uns wird in einem solchen System a priori verdächtigt, er könne ein Verbrecher sein, ein Terrorist. Was dagegen ist Wirtschaftsspionage von Staaten oder das Abhören von befreundeten Politikern? Wir rasen offenen Auges in einen Abgrund und schauen still zu. Es gehen nicht Millionen von Bürgern auf die Straße.

Im Gegenteil: Viele von uns ziehen sich erstaunlich ungeniert in aller Öffentlichkeit aus. Was ich in diesem Jahr bei Facebook erleben durfte und leider auch musste, lässt mich tief philosophisch nachdenken über das Wesen Mensch. Mehrfach wurde ich per Foto unfreiwillig Zeugin von Krankenhausaufenthalten, wo manchmal fast bis zum OP-Tisch gesendet wurde. Wollte ich wirklich all das Blut sehen, die OP-Entstellungen von halbnackten Körpern? Wollte ich von manchen Menschen den Eindruck bekommen, sie seien da drinnen im Krankenhaus elend einsam oder einfach nur öffentlichkeitsgeil oder irgend etwas Undeutbares?

Was waren das für Zeiten, als es noch ein Mindestmaß an Intimzone gab! Als man sich selbst guten Bekannten erst einmal vorsichtig annäherte und deren Grenzen des Aushaltbaren respektierte. Als man vielleicht im Stillen mit Freunden da draußen im Leben über die Ängste auf der Intensivstation sprach oder über das Bewusstwerden der eigenen Grenzen, der Zerbrechlichkeit von Gesundheit. Als man noch den "rechten Moment" abpasste und nicht zu den Mahlzeiten über Leichenteile redete. Stattdessen klicken wir "gefällt mir" im Akkord, tippen "Gute Besserung" gleich im Dutzend und rauschen zum nächsten Patienten. Dazu Bilder misshandelter Tiere zum Frühstück, Agitationen wegen gequälten Essens zum Mittag ... und ja, ich habe zum Abendessen dann auch schon mal Petitionen unterschrieben, an die ich mich nicht mehr erinnern kann.

An all dem bin ich nämlich selbst schuld: Ich kann ja filtern, kann stumm schalten, kann mich verweigern. Schlimm, wenn dann Dinge geschehen, wie ich sie von außen bei anderen erlebte: Da streitet sich ein Paar nicht am Küchentisch, sondern macht sich bei FB gegenseitig im jeweils eigenen Profil stinkig ... jemand wird im echten Leben auf den Partner eifersüchtig, weil der in Social Media mehr Erfolg und Zulauf hat ... und die Höhe: Eine Hochzeit wird online aufgekündigt. Da ist die Frau, die für das, was sie ins Internet kübelte, nun Job und Familie verloren haben soll, eigentlich nur noch ein winziges Mosaiksteinchen, das wir in 30 Tagen schon wieder vergessen haben werden. Sie ist aber auch ein Beispiel dafür, dass wir uns vehement fragen müssen, wie wir in Zukunft in einer vernetzten Welt mitmenschlich sein wollen, miteinander umgehen wollen. Was bedeuten uns die Gefühle und Verletzungen anderer? Wollen wir in Zukunft den entfesselten Mob und die Instant-Trennung per Smartphone oder lieber Werte wie Achtsamkeit und Behutsamkeit, womöglich Empathie?

Auch das ist in diesem Jahr für mich erstmals spürbar geschehen: Längst ist eine Trennung von "echtem Leben" und "Internetleben" absolut nicht mehr denkbar. Dinge, die wir früher mit uns alleine ausgemacht haben oder nur unter wahren Freunden, finden inzwischen in aller Öffentlichkeit statt, virtuell, mit heruntergelassenen Hosen. Trauer, Schmerz, Trennung, Scheidung, Mobbing, Haß, Shitstorms - alles längst in Social Media angekommen.

Ich möchte wetten, so mancher, der da im Internet seine Lieben (?) in die Wüste schickt, steht womöglich sprachlos mit gezückten Smartphone im Nebenzimmer eben jener Lieben. Aber Anrufen ist nicht mehr. Clicktivism statt echter Kommunikation. Vielleicht rast auch deshalb mein Jahr so dahin ... weil ich nicht fassen kann, nicht fassen möchte, wie Dinge ausgetragen werden, die Tiefe verdient hätten und Bedeutung.

Auch ich war nämlich in diesem Jahr im Krankenhaus. Für mich persönlich trotz der "Routinesache" eine derart umwälzende Erfahrung, dass ich absolut offline war und ganz bewusst währenddessen akribisch und auf Papier Tagebuch geführt habe, intensiv Menschen beobachtete und natürlich mich selbst. Gespräche blieben im inneren Kreis. Schriftsteller machen so etwas, irgendwann wachsen die Erfahrungen und Bilder in Bücher hinein ... aber sie müssen Zeit und Luft haben zum Wachsen, umgeben von lieben Menschen. Im Nachhinein frage ich mich, was ich hätte twittern oder teilen sollen? Wo ich doch jetzt im Moment schon bereue, es auch nur erwähnt zu haben! Wer sagt mir denn, dass nicht irgend eine Versicherung mir demnächst kündigt, weil sie mitliest? Oder dass ich eines Tages deshalb in einem Unrechtsstaat leichte, angreifbare Beute sein werde? In welche Schublade bringt mich das bei der NSA und in den Werbealgorithmen? So viel Schere schon im Kopf ...

Oh ja, ich hätte Fotos teilen können. Vielleicht vom Supermanager auf der Intensivstation, der angesichts dessen, dass er das Bett einkotete, dem Personal gegenüber zum Vieh wurde, weil der supertoughe, supercoole Pascha sich noch nie damit auseinandergesetzt hatte, dass ihm eines Tages Fremde den Hintern abwischen müssten. Ich hätte das Lächeln der algerischen Putzfrau fotografieren können, die mir einen extra Kaffee besorgte, weil ich sie nach ihrer Tochter fragte. Oder jenen brüllenden, puterroten Sohn, der seine demente Mutter nicht in die Spezialstation bringen lassen wollte, der nicht sehen wollte, wie das Personal am Ende war, der herumbrüllte, hier seien doch einfach alle irre, seine Mutter sei schon seit zehn Jahren so und man müsse akzeptieren, dass sie nachts herumwandle und andere Patienten würgen wolle. Folie à deux. Ich hätte den Tropf mit dem wohltuenden Drogencocktail fotografieren können oder die Angst einer jungen Mutter vor der OP. Ich hätte Hände fotografieren können, die andere Hände halten. Fremde Menschen, die sich plötzlich verbunden fühlten, die sich gegenseitig beistanden, obwohl es beiden Seiten jämmerlich ging. Ein immer lächelndes, immer lebenslustiges Personal hätte ich fotografieren können, das sich keine Belastung anmerken ließ. Was davon wäre geblieben? Ein Klick, ein "gefällt mir"?

Vielleicht aber müssen diejenigen, die sich selbst beobachten können und müssen bis zum bitteren Ende, die ihr Leben schreibend erleben und schreibend bearbeiten, das wirklich für die Öffentlichkeit tun. Vielleicht ist das unsere moderne Art des Lernens für die eigene Vergänglichkeit? Wolfgang Herrndorf hat sich auf diese Weise 2013 selbst in den Tod hineingeschrieben. Als der Schriftsteller nichts mehr zu verlieren hatte - das Todesurteil hatte ein bösartiger Hirntumor erteilt - begann er mit einem Blogtagebuch, unerbittlich seinen täglichen Weg in die Katastrophe zeigend. Der begabte Schriftsteller hat sich im August selbst vom Leiden erlöst und uns jenen letzten Gang als Erbe zum Nachdenken hinterlassen, nun auch als Buch.

Da ist sie wieder, diese Frage: Was tue ich, um meine Träume ins Leben zu holen, wo doch so ein Leben endlich ist?

Ich bin da inzwischen radikal. Zum Glück. Und stelle fest: Seit ich frech ins eiskalte Wasser springe, habe ich solche wunderbare Begegnungen, mit denen ich schwimmen lerne! Nijinsky und Diaghilew ... nie waren "Buchfiguren" so lebendig für mich. Ich hätte sie auf einer Bühne sehen können. Warum eigentlich nicht? Als mir Unterlagen in die Hände fielen, die das 100 Jahre alte Geheimnis lüften könnten, warum sich Diaghilew so plötzlich mit Nijinsky überwarf und der völlig unlogisch eine Frau heiratete, obwohl er sein Leben lang nur mit Männern zusammen war, da brodelte es in mir.

Gleichzeitig machte ich spannende Bekanntschaften in der Ballettwelt. Ich traf auf Menschen, die ich begeistern konnte, die an mich glaubten. Und nun ist es so weit: Ich muss das Stück schleunigst schreiben! Bis zur letzten Minute drohte alles, an den Finanzen zu scheitern - ein öffentlicher Zuschuss fiel aus. Und dann das große Wunder: eine Überweisung, die alles rettete! Völlig unerwartet, unverhofft, verblüffend. Eine Mäzenin, die im Internet von dem Projekt erfahren hatte. Sie tauchte so plötzlich und unerwartet auf wie die russischen Freunde, die nach meiner Heimkehr aus dem Krankenhaus mit einem riesigen Fresskorb vor der Tür standen.

Für all diese Menschen bin ich in diesem rasenden, verrückten Jahr 2013 dankbar. Genauso wie für die kurzen Momente, wo Leserinnen und Leser mir so berührend geschrieben haben, was meine Bücher ihnen gaben. Es sind die Momente, die mich immer wieder mit Kraft und Motivation versorgen, diesen irrsinnigen Beruf durchzuhalten und wieder zu wissen, warum ich das tue.

2014 kann kommen.
Und ich wünsche in diesem Sinne all meinen Leserinnen und Lesern besinnliche, stressfreie Feiertage, die man mit seinen Lieben verbringt oder einfach nur zum Innehalten nutzt. Und weil ich jetzt ins Schreibkämmerchen abtauche, wünsche ich jetzt schon einen guten Rutsch in ein Jahr, in dem wir hoffentlich unsere Zukunft etwas aktiver anpacken als im letzten!

17. Dezember 2013

Bilbo lässt grüßen

Hobbingen ist ja derzeit in den Medien in aller Munde ... mein Hund Bilbo meinte, da würde es Zeit, seinen Fans mal wieder die neuesten Fotos zukommen zu lassen. Hochzufrieden ist das Kerlchen derzeit, weil es bei diesem Wetter die Menschin fast durch ganz Mittelerde schleifen kann. Nach zweieinhalb Stunden Marsch setzt sich Bilbo dann mal kurz hin, schnauft dreimal und drängelt weiter ... Wie gut dass dieser Hobbit nicht in der Stadt leben muss!

Jetzt noch ein Jäger und ein Wildschwein und er würde den Napf apportieren.

Einfach ... ganz Nase!

Neue Rassenbestimmung: Feld-, Wald und Wiesenhund.

Wasserscheu war mal. Jetzt heißt es nach Herzenslust herumsauen!

14. Dezember 2013

Wenn der Zander in Bits schwimmt

Es ist bald so weit für eine besondere Premiere - das E-Book zu einem im renommierten Insel-Verlag verlegten Buch wird in meinem eigenen Verlag "Edition tetebrec" erscheinen. Und die große Überraschung: Es soll der Auftakt einer Serie werden!

Noch vor Weihnachten ist die E-Book-Ausgabe online!
Noch vor wenigen Jahren war der Weg für Autoren klar vorgezeichnet: außer seriösen Verlagen und betrügerischen Halsabschneidern gab es keinen Mittelweg. Das Buch "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" war ein Glücksfall - als Hardcover im Geschenkschuber im Imprint "sanssouci" bei Hanser Verlag 2004 erschienen, wurde es mustergültig gepäppelt, umsorgt und groß gemacht: Zwei restlos ausverkaufte Auflagen und eine Hörbuchlizenz mit der von ARTE bekannten "Genussreisen-Stimme" Doris Wolters, zahlreiche Lesungen meinerseits, auch kulinarische Lesungen mit auf dem Buch basierenden Menus.

Leider passierte dann das, was heutzutage so oft passiert: Der Verlag strukturierte sein Programm um und stellte die Reihe "Oasen für die Sinne" ein, von der mein Elsass-Buch einer der Bände gewesen war. Zu diesem Zeitpunkt war das Buch derart ausverkauft, dass nicht einmal mir ein Vorrat an Exemplaren blieb. Normalerweise bedeutet so etwas das Aus für ein Buch. Normalerweise geschieht so etwas in großen Publikumsverlagen noch viel früher. Bei Hanser hatte ich einen wahren Longseller gelandet. Und das Publikum verlangte nach mehr! Ständig musste ich Leute vertrösten, dass auch ich kein Exemplar mehr abgeben könne und leider im Moment nicht die Zeit hätte, eine Neuauflage selbst in die Hand zu nehmen.

In der Zwischenzeit war nämlich das Self Publishing in die Buchbranche eingebrochen, Verlagsautoren konnten endlich vergriffene Exemplare mit Eigeninvestition und viel Arbeit selbst neu herausbringen. Die Rechte lagen wieder bei mir. Aber manchmal ist es ganz gut, wenn man vor lauter Arbeit nicht zu Schnellschüssen kommt!

Der Anruf von Hanser kam völlig überraschend: Ob ich mir vorstellen könne, wenn Suhrkamp die Taschenbuchlizenz für seinen Insel-Verlag erwerbe. Ich muss niemandem sagen, welche Schriftstellerträume mit diesem Verlagsnamen zusammen hängen. Auch wenn heutzutage immer wieder behauptet wird, man brauche doch keine Verlage mehr: Manche Verlagsnamen öffnen nicht nur alle möglichen Türen, sie adeln einen sogar ein wenig. Und manche liebt man geradezu, weil sie sich wirklich vorbildlich um ihre Autoren und Bücher kümmern. Dass ein Verlag, der längst alle Rechte an mich zurückgegeben hatte, sich noch einmal für mich krummlegt und eine Lizenz bei einem anderen Verlag unterbringt - das hat mir umso mehr gezeigt, wie gute Zusammenarbeit zwischen Autoren und Verlag aussehen kann.

Inzwischen ist das Taschenbuch im Insel-Verlag erschienen. Es kann sich natürlich nicht mit der Hardcover-Ausgabe messen, ist aber diesmal mit Farbfotos ausgestattet, einem zu jedem Kapitel plus Frontispiz.
Und weil ich alle anderen Rechte selbst halte, war da natürlich die Überlegung: Was geschieht mit einer möglichen E-Book-Ausgabe? Ich habe mich dafür entschieden, sie selbst herauszubringen. Heute, nach all dem juristischen Hickhack und der Insolvenz bei Suhrkamp und Insel, bin ich heilfroh darum. Zwar funktionieren beide Verlage weiter, scheinbar wie gewohnt - aber was vor Gericht und in den Medien läuft, lässt Autoren nicht wirklich ruhig schlafen. Inzwischen habe ich auch den eigenen Verlag für solche Schritte - die Edition tetebrec.

Es ist nun nicht damit getan, einen vorhandenen Text einfach nur technisch zu konvertieren, zumal eine Problemlösung gefunden werden musste: Im gedruckten Buch sind die Rezepte mitten im Text vom Buchsatz her sofort zu identifizieren ... auf dem Reader gibt es keinen Satz in diesem Sinne - die Leser wählen ihre Schriften und Schriftgrößen. Aus urheberrechtlichen Gründen mussten außerdem Layout und Bebilderung sowie das Cover völlig neu gestaltet werden. Allein die Fotorecherchen gestalteten sich langwierig: Datenbanken, in denen Verlage mit einem Fingerschnipp einkaufen, sind für Autoren nicht nur nicht immer erschwinglich, sondern vor allem für ein E-Book nicht wirtschaftlich. Denn eines war klar: Ich will keine E-Book-Preise à la Suhrkamp nehmen!

Es fanden sich Lösungen: Die Rezepte sind nun kursiv gesetzt und mit Sternchen abgegrenzt vom Fließtext. Und wenn alles klappt, kann man sie vom Rezepteregister aus direkt als Link ansteuern. Der Vorteil von E-Books, wenn sie richtig programmiert sind: Man kann auch innerhalb des Buchs Dinge verlinken. Dreizehn Fotos gibt es auch im E-Book, ebenfalls vom Inhaltsverzeichnis aus einzeln anzusteuern. So kann man auch mal nur Bilder anschauen. Eine besondere Herausforderung ist hier die Bildbearbeitung angesichts des Geräte-Chaos. E-Ink-Reader zeigen Fotos derzeit nur in Schwarzweiß und in kleineren Formaten. Sind die Fotos zu groß formatiert, etwa für Tablets, schrumpft sie der Reader zwar zusammen, aber man hat die Gestaltung dann nicht mehr wirklich selbst im Griff ... plötzlich können Leerseiten auftauchen und andere technische Probleme, die man lösen muss. Ich muss also die Fotos in einer mittleren Größe so optimieren, dass sie sowohl in Farbe als auch in Grauwerten nach etwas aussehen - ein wirkliches Optimum ist das natürlich nie. Bleibt die Konvertierung in die beiden derzeit gängigsten Formate: mobi (Kindle) und epub. Außerdem nach dem Erfassen des Texts und nach jedem größeren technischen Eingriff: Korrektorat! Das sparen sich manche Verlage übrigens beim E-Book in der irrigen Annahme, der Text sei ja schon einmal lektoriert und korrigiert worden. Unsäglich, was beim Gestalten des E-Books aber noch an Fehlerquellen auftauchen kann.

Und wer jetzt glaubt, so eine fertige Buchdatei ist schnell mal in die Shops hochgebeamt, der macht sich etwas vor. Aller Lobbyistenschimpferei gegen Amazon zum Trotz muss ich sagen: Das ist die derzeit einzige Firma weit und breit, bei der ich täglich und kinderleicht mein Buch selbst in den Shop bringen kann - und die auch noch pünktlich bezahlt. Alle anderen haben höhere Hürden und der vielgepriesene Buchhandel in Deutschland verlangt mir außerdem ab, dass ich einen Distributor, also Zwischenhändler einschalte - selbst einen Shop bestücken ... wo kämen wir denn da hin! Und ja, natürlich verdient der Zwischenhändler am Buch mit, während mir bei Amazon die vollen Tantiemen bleiben!

Das ist der Grund, warum es noch vor Weihnachten das Kindle bei Amazon geben wird. Die sind jeden Tag für mich und meine LeserInnen da, auch an Feiertagen. Und wenn ich dann einen Distributor gefunden habe und der auch noch aus der Weihnachtspause (!) gekommen ist, dann kann ich dem schon mal die Epub-Datei geben. Bis er die auf die einzelnen Läden verteilt haben wird ... das dauert wieder. Doch noch bin ich so weit nicht. Ich lade die Datei nämlich jetzt erst einmal zur Endkontrolle auf meinen Kindle. Ich bin zu gespannt, ob die Verlinkung zwischen Register und Rezepten wirklich funktioniert! Und ob das technisch alles rund geworden ist ... Die Daumen dürfen gedrückt werden ...
Wenn dann alles läuft, wird hochgeladen, werden Preise und Klappentexte eingestellt und hoffentlich auch alle Buchausgaben miteinander verknüpft.

Folgende Ausgaben von "Petra van Cronenburg: Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" gibt es derzeit (wird ergänzt):

Hardcover bei sanssouci / Hanser Verlag (nur antiquarisch)
Hörbuch bei Gugis (nur antiquarisch)
Taschenbuch im Insel Verlag (überall im Buchhandel)
Kindle in der Edition tetebrec bei Amazon (soeben erschienen!)
Epub in der Edition tetebrec in den üblichen Läden wie Weltbild, Thalia etc. (bald)

6. Dezember 2013

Nijinsky kommt auf die Bühne

Es ist eigentlich ein Projekt des "galoppierenden Wahnsinns". Aber wenn ich betrachte, wie es dazu kam, dann ist mein neuer Traum von Anfang an daraus entstanden, verwegen ins eiskalte Wasser zu springen und nicht nach möglichem Scheitern zu fragen. Scheitern kann man in der Kunst immer - aber um Fehler machen zu können, muss man schließlich erst einmal etwas anpacken!


Wer hier schon länger mitliest, kennt die Geschichte meines Herzensprojekts "Faszination Nijinsky. Annäherung an einen Mythos" über den berühmtesten Balletttänzer des 20. Jahrhunderts, der tragisch im Wahnsinn endete - und die kulturprägenden Ballets Russes, ein literarisches Sachbuch. Der erste Verlag musste kurz vor Produktion die Geschäfte aufgeben, ein zweiter hielt mich über wertvolle, somit vertane Monate hinweg hin, um dann mit einer absolut fadenscheinigen Begründung abzuspringen (ein englischer Ausstellungskatalog in London habe angeblich den Markt für dieses Buch in Deutschland kaputt gemacht). Ich habe im Blog damals ausführlich die Geschichte meiner Verzweiflung erzählt, die mich schriftstellerisch fast lähmte. Zum Glück haben mir die richtigen Menschen einen Tritt verpasst und mich gefragt, warum ich das Projekt nicht selbst anpacke, anstatt mich auf Dritte zu verlassen. Habe ich gemacht und es war gut so.

Seither hat dieses Buch mein Leben völlig umgeblasen. Ich habe neue Welten kennen gelernt, die ich mir zuvor nicht erträumt hätte; war endlich dort, wo ich mich immer hin wünschte: künstlerisch tätig zu sein ohne diese ewigen Behinderer und Bedenkenträger, die nur nach Quoten und billigen Trends schielen. Es ist hart, es ist ärmlich, aber um so viel befriedigender. Aber man muss sein Buch auch gegen den Millionenwust an Neuerscheinungen und Altauflagen selbst sichtbar halten. Im nächsten Jahr steht Vaslav Nijinskys 125. Geburtstag an, im Jahr darauf rundet sich sein Todestag. Immer noch in den alten Buchwelten gefangen, dachte ich also an Lesungen zum Jubiläum. Und dann begann alles damit, dass mir ein Veranstalter erzählte, die Leute seien der herkömmlichen Lesungen müde, dazu käme kaum mehr jemand freiwillig.

Recht gab ich ihm - ich hatte bisher eher zu Dias frei erzählt und Proben gelesen, das machte die Welt der Ballets Russes viel lebendiger. Der Satz setzte sich fest in meinem Hinterkopf. Ich blätterte zum soundsovielten Male mein eigenes Buch wieder durch und stieß auf ein Geheimnis. Diese so bedeutende Nahtstelle, an der sich die gesamte Geschichte änderte: Für Nijinsky, den Startänzer - für Diaghilew, seinen Lebenspartner und Impresario - und damit für die gesamte kulturelle Welt der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Beide waren inkognito in Baden-Baden. Vorher das berühmteste schwule Paar Europas, das sich deshalb nicht verstecken muss ... kurze Zeit später Nijinskys Überraschungsheirat mit Romola, einem Society-Girl und Groupie. Vorher die größten Theaterskandale der Zeit, Nijinsky seiner Zeit voraus ... und dann der Ruck in Diaghilew, sich lieber wieder Konventionellerem zuwenden zu wollen, um das reiche Publikum nicht zu sehr zu verschrecken. Was war in jener Zwischenzeit geschehen? Weder Biografen noch Forscher haben es je herausgefunden ... es gibt jede Menge abenteuerlicher Theorien, aber keine Beweise.

Mir fiel ein Text eines Augenzeugen in die Hand, der mich auf eine Idee brachte. Was aber macht man mit einer Begebenheit, deren Rätsel nie gelöst werden konnte? Man kann sie nur künstlerisch bearbeiten. Ich trieb mich wieder einmal am Ort des Geschehens herum und hörte die beiden förmlich miteinander reden. Das muss aufs Papier, dachte ich. Aber wer kauft Dialoge auf Papier? Es schrie nach Bühne ...

Diaghilew und Nijinsky
Ich will nicht damit langweilen, wie ich mir ein Exposé aus dem Bauch hämmerte, mit wie vielen Menschen ich darüber sprach - Menschen, die vorab Vertrauen in mein Können haben mussten, weil ich das Stück noch nicht geschrieben habe. Es war zunächst nur ein völlig verrückter, verwegener Traum ... und diese Geschichte, mit der ich irgendwie noch nicht fertig bin. Gestern kam die Zusage vom Dramaturgen. Die Veranstaltung wird eine szenische Lesung mit Schauspielern sein, sozusagen als Generalprobe ... ich muss mich ja erst noch beweisen. Es könnte ein Anfang werden ...

Und so kann ich jetzt schon herzlich einladen:
Die Bibliotheksgesellschaft Baden-Baden und das Stadttheater bringen am 27. Mai 2014 anlässlich des 125. Geburtstags von Vaslav Nijinsky eine szenische Lesung auf die Bühne des Literaturmuseums Baden-Baden:
"Jeux - russische Spiele in Baden-Baden" von Petra van Cronenburg

Ich werde natürlich rechtzeitig bekannt geben, welche Schauspieler lesen werden und wann der Vorverkauf startet, denn der Raum ist begrenzt. Und sicher wird jeder verstehen, dass ich jetzt in Schöpfungspause gehe!

Es hat mich wieder eines gelehrt: Nicht Rankings und Trends spielen eine Rolle, sondern brennende Leidenschaft. Sie überträgt sich auf andere, steckt an, begeistert. Und da draußen sind so viele fantastische Leute, mit denen man etwas auf die Beine stellen kann!

3. Dezember 2013

Prolls oder Publikum?

Ein Bild:
Unwahrscheinlich hohe Zypressenwipfel werden vom Sturm gezaust, sie bewegen sich vor einem düsteren Himmel. Irgendwo ein breiter Fluss, unsichtbar, man kann ihn nur wegen des Tutens von Lastkähnen erahnen. Beton. Viel Beton zwischen den Zypressen, in der Ferne möglichwerweise Waldboden, aus dem eine hohe Mauer wächst. Ein hoher, schmaler Durchgang aus Betonquadern darin, der einzige Ausblick, der einzige Durchgang in eine andere Welt. Drüben scheint die Sonne. Dort liegt ein Waldsee, in den ein Bach hineinplätschert. Die eigenen Quellen wiederfinden, bevor der Beton alles zudeckt ...

Mich packt zunehmend ein Unbehagen speziell bei Facebook, und ganz besonders, nachdem Zuckerberg zum zigsten Mal alles Mögliche neu einstellt und verändert. Anfangs diente dieser Kanal seinen Usern, jetzt dienen nur noch die User dem Kanal, habe ich den Eindruck. Letztens brauchte ich drei Stunden und Beratung durch eine Kollegin, wie ich die willkürlich von FB eingesetzte Ortsangabe wieder löschen konnte, die nicht einmal dem Ort entsprach, in dem ich mich aufhielt, aber zu jedem Posting erschien. Ich werde morgens mit einem Wust von "Mitteilungen" beballert, die nicht wirklich welche sind ... und wenn ich sie nicht sofort anklicke, poppt eine Erinnerung auf, dass ich doch diese Mitteilungen hätte. Alles, was ich nicht ganz schnell  so mache, wie Zuckerberg das gern hätte, lässt irgendwo eine dämliche Message aufblinken ... und der Stream von den Freunden wird immer chaotischer, springt auch schon mal während des Lesens weg. Kommuniziere ich noch? Oder bin ich Sklave einer Führung wohin auch immer, die nur noch einer Effektivität des Profits und der Datensammelströme gehorcht? Was macht das mit mir, meinem Gehirn, meiner Wahrnehmung?

Aber da ist noch etwas anderes. Etwas, an dem ich durchaus selbst schuld bin. Ich bin ein offener Mensch, habe neugierig wichtige Medien abonniert und schaue auch mal, was "Freunde" so liken. Dementsprechend bekomme ich auch Kommentare von Menschen mit, die ich nicht kenne, mit denen ich selbst nicht verbandelt bin. Auch hier beobachte ich eine Veränderung der Qualität. Will ich aber wirklich den Hassaufruf von Männern lesen, eine Frau zu vergewaltigen, die von einer Zeitung als Beispiel für die neue Unlust am Sex gebracht wurde? Will ich die allerletzten Prolls mit Namen kennenlernen, die einfach nur auf niedrigstem Niveau hetzen: gegen Demokratie, gegen Minderheiten, gegen Literatur, gegen den Gebrauch von Intelligenz, gegen Fleischesser, gegen Veganer, gegen Religiöse oder Nichtreligiöse? Will ich "FB-Freunde" haben, die "FB-Freunde" haben, die so sind? Ich setze mich doch auch in der Kneipe nicht an den Tisch von solchen Leuten!

Der Prollfaktor steigt irgendwie in den letzten Monaten eponential mit dem Nervfaktor. Und die guten Leute werden vom Grundrauschen und Lärm übertönt, bleiben langsam immer öfter auf der Strecke. Mich macht das unzufrieden bis aggressiv. Das Geschrei wird mir zu laut, wenn ich Stille zum Innehalten brauche, zur kreativen Schöpfung.

Ich bin nicht die einzige, die nun das Folgende ankündigt (und dass es so viele von den spannenden Leuten tun, gibt mir auch zu denken):
Bis übers Jahresende hinweg werde ich nur hauptsächlich hier in meinen Blogs aktiv sein. Wer etwas von mir will, muss sich schon hierher bewegen. Bei Twitter und FB werde ich natürlich verkünden, falls in der Zwischenzeit ein neues Buch von mir erscheint.
Mir ist nach Publikum statt nach Prolls. Nach meinen Leserinnen und Lesern - den Menschen, die mir am Herzen liegen. Mir ist nach Selbstbestimmung in einer durchaus langsameren Kommunikation statt nach Knechtung durch Mitteilungsgedöns und Algorithmen. Mir ist nach Tiefe statt nach Konsumismus von Dauersprechblasen ... zu denen ich mich vermehrt selbst angesteckt fühlte.

Ich freue mich auf jeden, der in meine drei Blogs findet:
cronenburg fürs Autorenleben und die Buchwelt
Vaslav Nijinsky über den Startänzer, die Ballets Russes und verwandte Kunst & Kultur
Grenzgängereien für Feines aus dem Dreiländereck und Russland.
Und die bestücke ich langsam und gemächlich, durchaus mit Pausen.

Denn im "real life" tauche ich dieser Tage ab und schreibe fürs Theater. Vermessen und verrückt. Ob "das Ding" jemals aufgeführt werden wird, steht in den Sternen. Aber wer nicht wagt, gewinnt auch nicht. Schon allein deshalb muss ich mich aus dem Lärm in andere Welten begeben ...
Und ich wünsche euch allen, dass ihr euren ganz persönlichen See mit seinem frischen, plätschernden Quellwasser nicht aus den Augen verliert!
Nächstes Jahr werde ich entscheiden, wie das mit mir und Social Media weiterlaufen wird.

28. November 2013

Vorauseilender Gehorsam

Schriftsteller ... es gab einmal Zeiten, da stand diese Spezies für gesellschaftliche Verantwortung und politische Wachheit. In Ländern, in denen dafür Repressalien drohen, in denen keine Demokratie herrscht, schreiben Schriftstellerinnen und Schriftsteller mutig gegen das System und gegen Zensur an - nicht selten unter Lebensgefahr. Weltweit werden immer wieder Buchautoren bedroht, verfolgt, getötet.

In was für einer weichen, wohligen Welt leben wir dagegen! Wir können alles aussprechen, alles schreiben. Vor allem in der großen Nation der Meinungs- und Pressefreiheit: Amerika. Halt. Stop. Da war doch was!

Der Überwachungsstaat im Staate - die NSA. Deren Arbeit womöglich längst aus dem Ruder läuft, an der Regierung vorbei. Wäre es jetzt nicht an der Zeit, dass gerade die Intellektuellen aufstehen, um gegen die Verletzung von Menschenrechten und demokratischen Grundprinzipien anschreiben? Wer würde mehr gehört als unsere Lieblingsschriftsteller? Aber tun sie es denn? Oder stecken sie nur den Kopf in den Sand?

Der amerikanische PEN-Club hat nun eine Studie vorgelegt. "Chilling Effects" (Download pdf) ist nach einer Befragung von SchriftstellerInnen in den USA entstanden, ob die Aufdeckung der NSA-Affäre eine Wirkung auf ihr Verhalten und Schreiben habe.

Dass ziemlich viele Schriftsteller seither die ganz großen Datensammelanlagen wie Facebook & Co. meiden, kann man durchaus verstehen - es gab Boykottaufrufe, um politischen Protest zu artikulieren, weltweit entstehen schon "Schulungspartys", wie man sich möglichst anonym und verschlüsselt im Netz bewegt. Das mag gleichwohl naiv sein, weil ja schlichtweg alles abgehört und gespeichtert wird, auch das private Telefonat. Am anderen Ende der Skala liegt die Theorie, man müsse jene Kanäle nun erst recht mit Datensammlungen kosmischen Ausmaßes zumüllen. Ein Künstler praktizierte es schon vor Snowdens Enthüllungen: Er setzt sein Leben komplett ins Internet, bis in intimste Einzelheiten.

Was wirklich erschreckt, ist die hohe Anzahl derer, die nun plötzlich ihr Rechercheverhalten ändern, bestimmte Themen auch beim Schreiben ausklammern, bestimmte Websites nicht mehr aufsuchen.

Aber ist das alles wirklich nur der NSA geschuldet? Haben wir nicht auch seit Jahren schon eine Art Duckmäusertum und vorauseilenden Gehorsam, bequeme Themen und vor allem Trends lieber zu bearbeiten ... weil die Verlage dann freudiger einkaufen könnten, weil unbequeme und sperrige Themen öfter Absagen bekommen? Einfach ist die Sache nicht, die Studie äußerst komplex, denn sie zeigt auch, dass Schriftsteller versuchen, sich auf technischer Ebene gezielt zu schützen. Was so verkehrt nicht sein kann. Bleibt die Frage, wie wir es denn nun halten wollen mit dem eigenen Rückgrat.

Download der Studie

Ilja Trojanow in der taz zur Studie

27. November 2013

Eingekauft fürs Cover

Allen, die mitgemacht haben bei der Coverabstimmung: Dank euch wird nun doch alles gaaaanz anders! Und ich bin froh, dass so manche Verirrung gleich weggefallen ist. Aber leider muss man bei diesem Cover doch ein oder zwei kleine Tode sterben. Es ist einfach irrsinnig, wie schwer ein ordentliches Rieslingglas zu besorgen wäre, das nicht nur im Format und der Farbgebung stimmt, sondern auch noch ein wirklich elsässisches Glas zeigt, tatsächlich Riesling ablichtet und im Hintergrund dann nicht die Paprikapizza bringt. Und roher Fisch macht ja nun auch nicht wirklich an.
Kurzum: Ich habe mich gegen Fressbilder entschieden - die einzig schönen hätten dem Titel widersprochen.

Und ich habe mich gegen ein "erzählendes" Cover entschieden, weil's so nicht machbar wäre, wie ich das gern hätte - zu kleinteilig. Also doch wieder wie alle möglichen Tourimusbücher: nette Ansichten.

Ich zeige vorab mal die Fotos, die ich gerade eingekauft habe. Achtung, das ist noch keine Gestaltung, nur eine Zusammenschau!
Gewonnen haben diese, weil sie erstens ordentlich fotografiert sind, zweitens in der Farbtemperatur hinkommen, drittens die richtigen Rechte bezahlbar erreichbar machten. Und vor allem für mich eine Dreiheit symbolisieren, die das Elsass ausmachen, wollte man es auf die Schnelle beschreiben: Moderne und Weltoffenheit - Tradition - Landschaft.




Wem's nicht gefällt - jetzt ist alles zu spät, die Rechte sind bereits bezahlt.
Fotonachweis (v.o.n.u.): elec / clodio / cook0278 - alle von clipdealer.com

Und nun geht's an die Gestaltung ...

21. November 2013

Glück ist, wenn das Seil spannt

Dieses Glücksgedusel derzeit in Radio und Fernsehen kann einem manchmal ganz schön auf die Nerven gehen - vor allem dann, wenn man sich so richtig down fühlt. Für dieses Gefühl gab es eigentlich keinen rationalen Grund (außer einem Packen von Rechnungswahnsinn). Ich hatte angefangen, ein recht verrücktes und eigentlich viel zu großes künstlerisches Projekt anzudenken ... und dann ist mir genau das passiert, was mit dem Projekt Nijinsky ganz am Anfang auch passiert war: Es bröselten so langsam aber sicher alle möglichen positiven Umstände davon.


Das Projekt steht vor dem möglichen Erstickungstod - an leider recht "deutschen" Situationen in der geordneten Kulturwelt, wer mit wem darf und mag, aber mit wem nicht mag, weil er was teilen müsste, und mit wem nicht darf, damit er Zuschüsse bekommt, oder welche Gelder nicht annehmen darf, die über fehlende Zuschüsse hinweg retten könnten. Und dann kam das Aus für den Landeszuschuss, weil mein Vorhaben "nicht literarisch" sei. Das wäre es gewesen, wenn ich brav als Tante Erna aus einem drittklassigen Buch vorgelesen hätte. Aber ich Trottel will ja nicht lesen. Ich will mehr.

"Nicht literarisch" - obwohl ich mir diesen zerlatschten Pantoffel nun wirklich nicht hätte anziehen müssen, lähmen mich solche Urteile gewaltig. Nicht, dass ich nicht mehr an meine Idee geglaubt hätte! Ich glaubte einfach nicht mehr daran, dass ich kleines Hascherl kann, was ich will. Was sind wir Autoren doch für Sensibelchen! Immerhin müsste ich für dieses Projekt einen Text schreiben, den ich durchaus als Herausforderung betrachte. Endgültiges werde ich erst im Dezember erfahren, eigentlich viel zu spät. Aber nun ja, ich fühlte mich wie das Wetter: trübe, mit einem Himmel, der auf die Erde zu fallen droht.

Ich mache mich mein ganzes Leben lang schon über Bungee-Springer lustig. Wie sie dämlich von Brücken und hohen Kanten in die Tiefe rasen, zumindest im Kopf wissend, dass der finale Crash wahrscheinlich ausbleibt. Und dann macht es Plop, das Seil spannt, das Menschlein hüpft wie ein irrer Gummiball hoch und runter. Und ist dann so mit Adrenalin und Endorphinen angefüllt, dass es süchtig wird. Und sich künftig immer wieder von der Brücke stürzen wird.

Gestern habe ich festgestellt, dass das Künstlerdasein auch nicht besser ist. Kein vernünftiger Mensch würde sich so oft und immer wieder in die existenzielle Achterbahn begeben. Man könnte doch auch gemütlich aus der ersten Reihe auf der Brücke diesen Irren zuschauen! Aber nein. Als wüsste man es nicht besser, schaut man in freien Fall auch noch bewusst nach ganz unten. Auf den Fels, auf dem man aufschlagen könnte. Wenn das Seil nicht hält. Wenn das Seil nicht endlich spannt. Zu viel Adrenalin kann töten ...

An jenem tiefsten Punkt klingelt manchmal das Telefon. Ich klagte irgendwann mein Leid. Hubuh, mein verrückter Traum, ich wusste ja, er ist viel zu verrückt, ich war ja darauf vorbereitet, dass er platzen könnte ...
Das hätte ich nur einer Russin nicht sagen dürfen. "Ihr lebt doch in einem so freiheitlichen Land - und dann habt ihr selbst in der Kunst solche Reglementierungen!?" Komisch, wie recht sie hatte. Je institutionalisierter Kunst und Kultur in Deutschland abläuft, desto verrückter werden die Verflechtungen und Vorschriften, Gewohnheiten und "das tut man nicht".

"Was hast du denn vor, was brauchst du?", fragte sie mich. Ich träumte noch einmal laut und zählte auf.
"Ja, aber warum machst du das nicht einfach - mach es doch selbst!?!"
Das war der Moment, in dem das Seil seine stärkste Spannung hatte. Diesen Satz hatte ich schon einmal gehört. Als drei Jahre Arbeit am Nijinsky-Projekt umsonst erschienen, weil die vorgesehenen Partner nicht mehr da waren. Damals bekam ich auf die gleiche Weise einen vor den Bug geknallt: "Warum machst du das nicht selbst?" - Und ich habe gekämpft, bis ich mein fertiges Buch in Händen hielt. Endorphin pur. Ob ich die Kraft noch einmal aufbringe?

Wroooooom ... sauste das Seil mit dem Gummifrauchen nach oben. Wir waren im Nu in einem kreativen Brainstorming begriffen, wen man alles so anhauen könnte, wie gestalten und wo - und wie man eine Budgetierung ohne Zuschüsse macht. Plötzlich tauchen Leute auf, die ich ansprechen könnte und eigentlich schon lange kenne; Wege, die ich selbst nicht gesehen habe.
"Du machst das, im Winter schreibst du den Text dafür!", wurde ich verdonnert. Ich war erst mal so high, dass ich ihn am liebsten gleich in die Tasten gehauen hätte.

Am Tag danach ist der erste Rausch, der mich nicht schlafen ließ, natürlich verflogen. Ich stehe wieder ganz gesund mit beiden Beinen auf der Erde und mache mir Checklisten, recherchiere das Budget.
Die Frau am Telefon hatte recht: Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass mein Traum nicht stattfindet. Aber wenn ich es nicht wenigstens versuche, werde ich nie erfahren, ob ich es nicht auch schaffen könnte. Behaltet euer Glücksgeduselgefasel. Reicht mir ein neues Gummiseil!

16. November 2013

Oh diese Bebilderungen!

Mal wieder Zeit für eine Mitmachaktion. Ich möchte demnächst das E-Book zur Printausgabe von "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" herausbringen. Es handelt sich um ein literarisches Reisebuch, in dem es neben persönlichen Erlebnissen, Kultur, Land und Leute und Geschichte auch eingestreut Rezepte gibt ... wobei ein Gericht titelgebend war.

Wer die Geschichte des Buchs mitverfolgt hat, wird wissen, dass es dann der vierte Verlag sein wird, der sich daran zu schaffen macht, nämlich meinereiner. Und wie das so ist: Man kann weder die Vorgänger nachahmen noch übernehmen, da bekanntlich andere die Rechte am Cover halten. Mir geht es jetzt nicht um Farbgebungen und feinere Gestaltung, sondern zunächst einmal NUR um die Bildfindung: Wie bebildere ich so ein Buch, ohne dass es zu sehr nach Reiseführer à la Baedecker aussieht? Wie vermittle ich eine Atmosphäre und zeige vielleicht sogar Typisches, ohne in den üblichen Elsasskitsch zu verfallen? Kommt ein mehrteiliges Cover besser als ein Cover mit nur einem eindrucksvollen Bild? Das mehrteilige Bild hätte für mich den Vorteil, ein Reihencover für weitere Bände mit Wiedererkennungseffekt entwickeln zu können.

Den Storch habe ich übrigens aus einem Grund gewählt: Er ist das Nationalemblem des Elsass - und er stiefelt wenigstens in dem, worin der Zander sonst so schwimmt!

Aber zuerst die Vorgeschichte:

Im Hanser-Verlag kam das einfache bordeauxrote Hardcover-Bändchen in einem farbigen Fotoschuber - die Gestaltung nahm der Gugis-Hörbuchverlag dann für die CD auf:

Hardcover-Schuber

Hörbuch-Cover
Der Insel-Verlag entschied sich bei der Taschenbuchausgabe für Kontrast - ein einziges eindrucksvolles Foto mit viel Farbfläche. Leider auch ein Foto, das man in jedem zweiten Tourismusprospekt und Elsasskalender sieht:
Taschenbuch-Cover
Ich möchte nun für das E-Book einen Mittelweg beschreiten. Keine kleinteiligen Bildergewusel, weil das Cover auch als Briefmarke und in Schwarz-Weiß wirken muss. Und ich habe für ein einziges Foto wirklich nichts gefunden, das mir  als Symbol wirklich behagt ... alles zu sehr Kitsch oder gestellt oder Tourismusbroschüre ... So kam mir die Idee mit einer Querteilung:
Anmerkung: Die Fotos zeige ich hier nur als Arbeitsfassung (darum die Balken), die Bilder werden später aus rechtlichen Gründen wieder gelöscht werden!







Was meint ihr? (Vielleicht völlig andere Ideen?)
Ich wäre übrigens dankbar, Kommentare direkt hier im Blog abzugeben und nicht über FB und Twitter zu verstreuen, wo sie nicht jeder lesen kann!

Süß macht warm

Morgens beim Bäcker ein Auflauf ... Regale voller Kuchen in allen Formaten, so viel Süßes wurde schon lange nicht mehr gekauft. Droht mal wieder ein Feiertag in Frankreich? Nein, es ist Feiertag, klärten mich die Leute auf. Einer, der in keinem Kalender steht.


Typografie beim Bäcker. Ideal für ein Schriftstellerfrühstück!

Heute haben es viele Menschen in meiner Region zum ersten mal warm - ich übrigens auch, ich habe bis heute morgen durchgehalten. Da ist das alte Mütterchen, das sich den Riesenzimtkuchen gönnt, weil sie endlich nicht mehr mit Wollstrümpfen und Wollpullover ins Bett geht. Süß tut gut, sagt die Bäckerin, das hilft der Seele auf. Eine Frau sagt, dass sie der Klimaerwärmung fast dankbar sei, sie hätten die Ölheizung noch nicht anwerfen müssen, sondern mit dem alten Herd von der Oma in der Küche geheizt. Aber das Baden und Schlafen sei doch bei den ersten Frostnächten sehr unangenehm geworden, ein Heizlüfter spare ja auch keine Kosten. Bitter haben wir das alle in diesem Monat bemerkt. Es ist der traditionelle Monat der Endabrechnungen und diversen Jahressteuern. Alles, wirklich alles ist teurer geworden, manches sogar tüchtig. Ein junger Mann will weiter durchhalten. Er habe schon schlimmer gefroren, da ginge noch was. Die Hausfrau warnt ihn: Zu lange keine Heizung, bei dieser Feuchtigkeit, da fielen ihm irgendwann die Tapeten von der Wand.

Es herrscht mittlerweile ein Wettlauf, wer seine Heizperiode am spätesten einläutet. Zum Glück leben wir in einer Region mit langen Zwischenjahreszeiten, sprich, die Nächte können frostig sein, tagsüber wird es dann doch noch manchmal recht warm. Die Bäckerin gibt zu bedenken, man müsse sich vorsehen, ein später Winter sei oft ein sehr langer Winter. Daran will heute keiner denken. Sie denken alle nur an heißen Tee, heißen Kaffee und duftende Kuchen - in einer geheizten Wohnung, einem warmen Haus.

Schade ist, dass sich manche Leute trotz der allgemeinen Lage schämen, wenn sie diese Riesenkästen der 1920er und 1930er nicht mehr geheizt bekommen, die man in früheren Jahren mit unendlich viel verfügbarem Holz bullig hochgeheizt hatte. Damals hat man noch nicht drauf schauen müssen. Die Preise waren niedrig, Energiesparen unbekannt. Jetzt wird auch das Holz, das sie als ökologische Alternative preisen, immer teurer. Und die Ölfirma hält den Pellet-Verkauf. Manche kaufen heute so viel Kuchen, weil sie jetzt erst wieder Freunde einladen. Sie haben sich nicht getraut vorher. Dabei finde ich genau das wieder heimelig ... wenn ich ausgehe im dicken Pullover ... und wir dann bei Freunden in der Küche sitzen, dem einzigen hochgeheizten Raum im Hause. Wo man in dieser Übergangszeit lebt und arbeitet und erzählt und sich trifft. Was braucht man mehr als ein heißes Getränk, an dem man wohlig die Finger wärmt, gute Freunde ... und ein wenig "douceur", wie es auf der Bäckertüte heißt. Zärtlichkeit, Süße, Sanftheit.

Madame braucht jetzt einen sehr heißen Café au lait. Im warmen Büro genossen.

13. November 2013

Wie dumm sind wir eigentlich?

Ich war nie wirklich weg, auch wenn ich gegen Ende der Buchübersetzung nur noch pausenlos geschuftet habe. Wer mein Blog mit wachen Augen beobachtet, wird gesehen haben, dass ich in meinen anderen Blogs geschrieben habe (Menu oben rechts). Mir ist ohnehin danach gewesen, ein wenig mehr für meine Leserinnen und Leser zu schreiben anstatt für KollegInnen, die selbst schreiben können ...

In den Kaffeepausen habe ich viel gelesen. Ja, es gibt unwahrscheinlich viel Müll in den Medien, aber auch jede Menge wirklich guten Journalismus. Den lasse ich mir täglich via Twitter und FB liefern, weltweit. Kein Zufall, dass der Guardian öfter dabei ist, die strengen sich im Gegensatz zu anderen Blättern richtig an. Am liebsten würde ich ihnen dafür ja was bezahlen.

Wer mich bei FB abonniert hat, wird gemerkt haben, dass mich die NSA-Affäre alles andere als kalt lässt. Als Schriftstellerin kann ich extrapolieren, welche gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Folgen so etwas haben könnte ... und wie gefährlich ein unkontrollierbarer "Staat im Staate" ist. Was mir jedoch immer noch nicht eingeht, ist die Gleichgültigkeit unter den Bürgern. Dieses allgemeine Schlucken und Schweigen, obwohl wir doch aus einer Geschichte mit Gestapo und Stasi gelernt haben sollten. Nie wieder? Oder nur den Überblick verloren?

Neben der Washington Post, die nah am Geschehen ist (etwa mit der Aufdeckung des Dateneinbruchs bei Yahoo, Google etc.), bietet der Guardian mit seinen NSA-Files absolut gut gemachte Einführungen, Geschichtsverläufe und Hintergründe, die jeder versteht (sofern er Englisch kann). Vergleichbares in deutschen Medien habe ich nicht gefunden. Wer glaubt, das alles betreffe ihn doch nicht, er habe ja nichts zu verbergen, der sollte zumindest hier einmal reinschauen! Vor allem aber auch für diejenigen ideal, die einen schnellen Überblick über das schier Unfassbare finden wollen.

Ranga Yogeshwar glaubt ja, die Gesellschaft würde dumm gehalten ... von den Medien, die eigentlich den Auftrag hätten, aufzuklären. Das Interview mit ihm ist absolut lesenswert und man kann auch tüchtig darüber diskutieren, ob er überhaupt recht hat. Es sei auch all denen ans Herz gelegt, die an steigender Informationsflut verzweifeln und eben nicht mehr wissen, was sie sich noch herauspicken können und wann sie besser abschalten sollten, weil das Leben zu kurz kommt.

Schon schlimm, Wachstum allüberall, alles muss größer, dichter und noch  profitträchtiger werden. Zum Glück denken immer mehr Menschen um und hinterfragen die These vom ewigen Mehr. Vandana Shiva definiert das Streben nach ökonomischem Dauerwachstum im Guardian sogar als lebensfeindlich und fordert neue Konzepte. Ein Artikel zum Innehalten und Nachdenken auch über das eigene Konsumverhalten.

Womit wir bei dem Projekt wären, das sozusagen das totale ökonomische Wachstum einläuten soll: Die geplante Freihandelszone zwischen den USA und Europa. Nicht nur, dass man jetzt spätestens der Totalüberwachung und "präventiven Kriminalisierung" von Bürgern einen Riegel vorschieben müsste. Die SZ erklärt, was das Mammutprojekt für die ganz normalen Verbraucher bedeuten könnte. Wollen wir das alles wirklich?

Und ausgerechnet jetzt kommt so ein Zukunftsdenker daher, der eine völlig neue Profitrechnung aufmacht, mit etwas, das wir absolut nicht in Zahlen ausrechnen können und auch nicht wirklich vermarkten: Unserer Fantasie! Neil Gaiman sagt in seiner Rede "Why our future depends on libraries, reading and daydreaming" etwas, das sich fast wie ein Programm liest, um all unsere globalen Schwierigkeiten vielleicht einmal mit neuen Augen zu betrachten:
"Fiction can show you a different world. ...Once you've visited other worlds, like those who ate fairy fruit, you can never be entirely content with the world that you grew up in. Discontent is a good thing: discontented people can modify and improve their worlds, leave them better, leave them different."
Die Welt ist nur so schlecht, wie wir sie machen ... sie kann jederzeit umgedacht, umgebaut werden. Fangen wir vielleicht doch mal mit dem Lesen an?

update: Link repariert!

22. Oktober 2013

Sprachmarathon

"Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Du sitzt doch ständig gemütlich am Schreibtisch herum!?" So kann nur Tante Erna meine Arbeit in einem Satz zusammenfassen. Es sieht in der Tat gemütlich aus: Neben dem Schreibtisch liegt die Hundedecke mit einem niedlich gelangweilten Bilbo, zwischen dicken Klopfern von Spezialwörterbüchern (ich bin da noch so eine olle Papierfrau) und dem Mauspad erkaltet ein riesiger Milchkaffee ... und manchmal steht sogar der Teller fürs Sandwich auf dem Wörterbuch, weil ich nicht wirklich zum Essen komme.


 "Speedübersetzung" nennt man das, was ich ab und zu mache, um für den gelangweilten Welpen genug Hundefutter heranschaffen zu können. Ich spiele sozusagen Übersetzungsfeuerwehr. Diesmal habe ich genau sechs Wochen Zeit für eine druckreife Übersetzung ... macht nach Adam Riese bei mir vier Wochen für die Rohübersetzung. Der Rest bleibt fürs Schleifen und als Puffer, falls ich mal krank werden sollte. Für letzteres bleibt eigentlich keine Zeit, denn mein Pensum steht täglich fest. Täglich bedeutet: ohne Wochenende und Feiertage, ich arbeite in diesen sechs Wochen ohne Pausen. Es geht schließlich nicht um irgendeinen Text, sondern um ein ganzes Buch.

Vom sprachlichen Niveau her ist es grundsätzlich nicht zu anspruchsvoll, also zu schaffen. Verfällt meine Autorin mal wieder in Slang, den sie mit superintellektuellen Ausdrücken zu eigenen "lustigen" Metaphern kombiniert, stehen im Rohtext erst einmal rot markierte Platzhalter. Die schaue ich morgens vor der Arbeit oder abends in einer Extraschicht nach. Sehr viel aufwändiger sind ihre spontanen Ausflüge ins Altfranzösische, das ich eigentlich nicht beherrsche ... und all die lateinischen Ausdrücke, die ich öfter nachschlagen muss.

Solches Übersetzen ist Fließbandarbeit. Man hat nicht wie in der Hochliteratur üblich, die Zeit, einen Text sich tagelang setzen zu lassen und mit Formulierungen zu spielen. Ich muss gleich am Anfang erfassen, in welchem Ton das Buch daherkommt, welche Atmosphäre es schaffen will, welche Ausdrucksweise im Deutschen adäquat dafür wäre. Wenn das Buch perfekt wäre, könnte ich "runterübersetzen", aber es ist leider nicht so perfekt. Französische Edelverlage sparen offenbar zunehmend am Lektorat. Die Autorin hat sich selbst öfter kopiert ... manche Texte kommen daher wie in einem Zeitschriftenartikel, manche wirken wie aus Wikipedia geholt, andere sind fast hölzern. Im Deutschen muss ich einen mittleren, durchgängigen Ton finden, der sich "glatt" liest. Und dann sind da Lektoratsfehler: Doppelungen, Ausdrucksschwächen und echte inhaltliche Fehler. Ich bin zum Glück vom Fach und rieche, wenn da etwas nicht stimmt. Eigentlich muss ich jede größere vollmundige Behauptung nachrecherchieren. Zur Übersetzung kommen also Textprüfung und Recherche.

Dann sitze ich mit meinen schlauen und korrekten Erkenntnissen da - aber ich kann nicht einfach einen Originaltext vergewaltigen! Wie korrigiere ich den Inhalt, ohne zu sehr ins Original einzugreifen? Wie formuliere ich ihren Satz ein klein wenig um, ohne dass ich mich zu weit von der Autorin entferne? Man muss da trickreich sein. Eine Aufgabe, die sehr viel Spaß machen kann, weil sie das eigene Sprachvermögen herausfordert. Die aber auch unendlich ermüden kann, weil sie zeitraubend ist und man eben kaum im Fluss übersetzen kann. Einfach die Fehler stehenlassen ... das geht nicht. Leser lasten Fehler ja nie den Autoren, sondern ihren Übersetzern an.

Im Laufe dieser intensiven Arbeit kommt man den Autoren und ihren Texten unwahrscheinlich nah, wahrscheinlich näher als jeder Lektor. An der Art, wie jemand seine Sprache benutzt, kann ich Dinge herauslesen, die mit dem Buch nicht einmal etwas zu tun haben. Manchmal weiß ich, zu welcher gesellschaftlichen Klasse ein Autor gern gehören würde, aber auch, wo seine schriftstellerischen Grenzen liegen. Ich kann sehen, woran er scheitert oder welche persönlichen Komplexe er im Text abarbeitet. Manchmal sehe ich einen Autor vor mir im Bistro und kann hören, worüber er sich auskotzt bei seinen Freunden ... weil er das in seiner Sprache auch im Buch heraushören lässt. Oder ich erkenne Vorlieben, die den meinen diametral entgegenstehen. Sprache verrät so viel über Menschen.

Das ist aber auch das Schwierigste: Ich muss einerseits hochsensibel auf Ausdruck und Autorenstimme achten - andererseits darf ich nicht emotional werden. Ich muss objektiv bleiben, weder meine persönliche Stimmung noch mein Urteil haben in einer Übersetzung etwas zu suchen! Trotzdem - ich kann das natürlich nicht durchweg ... Manchmal kommt ein Punkt, an dem mir ein Autor einfach wirklich auf den Wecker fällt. Wo ich ihn am liebsten schütteln würde. Ich bin schließlich auch nur eine Leserin! Jeder hat hier wohl eigene Techniken, damit umzugehen. Ich schimpfe im Geiste tüchtig mit meinen Autoren: "Hättest du vor diesem Kapitelende nicht mal schlafen können? Musste das so viel schwächer als der Anfang hingehudelt werden?" - "Hat dieser absolut degoutante Seitenhieb auf die Frauen jetzt wirklich sein müssen? Ist doch gar nicht relevant für die Handlung, die Figuren, den Text! Woran hast du dich da wieder abarbeiten müssen?" - "Madame, das Stückchen haben Sie jetzt aber aus dem Internet abgeschrieben. Hatten Sie wirklich keine eigenen Worte dafür? Aber keine Angst, ich verrate Sie nicht. Wir Übersetzer sind ja diskret." - "Oha, du hast die gleiche schlimme Angewohnheit wie ich! Wenn ich mich vor einer Wahrheit drücke, landen auch immer mehr Füllwörter in den Sätzen!"

Nach solchen Tiraden geht es mir wieder besser. Wenn ich mir solchermaßen Luft gemacht habe, kann ich auch einen schwachen Text mit der Wertschätzung behandeln, die jedem Text zusteht: Ich übersetze ihn, als sei er für den nächsten Buchpreis vorgeschlagen. Und ein ganz kleines bißchen erröte ich auch innerlich: Was wohl die Übersetzerinnen über mich geschimpft haben, die meine Bücher ins Spanische, Italienische und Litauische übersetzt haben? Ich kann sie im Geiste fast hören ... ahne, an welchen Stellen sie womöglich einen Extrakaffee brauchten oder das Buch gern an die nächste Wand geschleudert hätten. Ich lerne unwahrscheinlich viel für meine Arbeit als Autorin, bekomme einen neuen Blick für das Funktionieren von Texten, für Sprachnuancen kleinster Art. Eine faszinierende Arbeit ... aber die Uhr tickt!

Das macht sich auch körperlich bemerkbar. An guten Tagen versuche ich, das doppelte Pensum zu schaffen, um mir einen freien Tag herausschaufeln zu können. Das jetzige Buch ist reich an unterschiedlichen Schriftfonts, manche so fein und klein, dass ich eigentlich mit einer Lupe lesen müsste. Wenn ich Feierabend mache, tränen mir die Augen und manchmal ist alles unscharf. Ich kann abends selbst keine Bücher mehr lesen, welch eine Ödnis! Ich will auch nicht über die Muskeln jammrn, die schmerzen können, weil ein großformatiges Buch neben der Tastatur nebst dem Geblättere in Nachschlagewerken nicht unbedingt immer ergonomisch ist. Zu jeder Speedübersetzung sollte es Massagegutscheine geben. Schlimmer jedoch ist dieser andere Muskel, die graue Schwabbelmasse im Kopf, die den Eindruck macht, als turne sie wirklich. Da ist plötzlich ein ungeheurer Hunger auf Proteine und Schokolade. Und nach drei Stunden intensiver Arbeit ist erst mal Schluss. Nichts geht mehr. Ruft mich jemand in dieser Zeit an, lalle ich in hilflosem Europlais herum, finde die Wörter in der eigenen Muttersprache nicht mehr oder kann nicht einmal mehr sagen, in welcher Sprache der Anruf getätigt wurde. Letztens schrie ich eine Frau von einem Callcenter einfach an, sie solle gefälligst logisch stringent auf meine Frage antworten, ihr Geeiere könne man ja nicht mal übersetzen ...

Oft peitsche ich mich dann nach einem erfrischenden Hundelauf trotzdem weiter, über die Zielmarke. Bei fünf Stunden Arbeit ist dann alles aus. Danach will ich nicht mehr sprechen, nicht mehr zuhören, einfach nur sprachlos irgendwohin starren, nie wieder ein Buch in die Hand nehmen. Ich bin dann Gemüse, auch körperlich völlig fertig, als hätte ich mit allen Muskeln geschuftet. Das sind die Tage, wo ich mich freue, wenn sogar der Hund verschläft ... aber es hilft nichts: Das Tagespensum wartet. Es wartet auch jetzt.

Eine herausfordernde, wunderschöne und lehrreiche Arbeit. Weh tut sie erst dann, wenn da draußen manche Leser nicht zu schätzen wissen, wie viele Menschen oft an einem guten Buch arbeiten, für das so viele am liebsten gar kein Geld mehr bezahlen würden. Von Tante Erna ganz zu schweigen. Wenn ich der erzähle, dass ich eigentlich täglich nur drei bis vier Stunden lang hochkonzentriert arbeiten kann, hält sie mich wahrscheinlich für das faulste Ei im Hühnerstall.

8. Oktober 2013

Das Glück liegt in einer Pfütze

Kurz vor dem Anpfiff zur Buchmesse hört und liest man nur noch eins: "Profit"! Klar, Büchermachen ist ein Geschäft, Bücher unterscheiden sich als Ware nicht sonderlich von Shampoo mit Eierlikörgeschmack oder Lasagne mit Gammelfleischeinlage. Was mir dabei auffällt: Vielen Beteiligten am großen Profitkarussell kommt der Spaß abhanden. Wenn Autoren miteinander diskutieren, fällt immer häufiger das Wort "Ranking" aber nie das Wort "Beglückung"! Wo bleibt da noch das kleine Glück, für das Bücher früher so gerühmt wurden? Ich weiß seit gestern wieder einmal: Das Glück liegt in einer Pfütze. Einfach den Computer ausschalten, Gummistiefel anziehen und raus ins verregnete Land, das seit gestern wieder verhaltenen Altweibersommer spielt.


Mein Hund Bilbo ist absolut wasserscheu. Bei Regen verdrückt er lieber seine Bedürfnisse. Er taucht zwar lustig mit der Nase nach Blättern im Wassernapf .. aber sich die Pfoten feucht machen? Nada! Als ich ihn dann zum ersten Mal nach Schütteregen mit einem Handtuch trockenrubbeln wollte, flippte er voll aus. Panik, Übersprungshandlungen. Das und anderes körperliches Verhalten in "nassen" Situationen zeigte mir: Der Welpe war in frühem Alter von den Vorbesitzern ganz offensichtlich bestraft worden, wenn er nasse oder schmutzige Pfoten hatte! So zeigte mir sein Verhalten auch, dass er dann nicht mehr zu seinen Menschen ins Haus hatte dürfen. Körper vergessen nichts, Körper erzählen ...

Die Sache mit der Handtuchpanik haben wir dann recht einfach beheben können. Ich habe mich einfach neben das nasse Kerlchen gesetzt und mich selbst abgetrocknet. Später ihn an einem Ende des Handtuchs herumkauen und spielen lassen. Irgendwann sind wir gemeinsam unters Handtuch geschlüpft. Dann habe ich mal mich abgetrocknet, mal ihn berührt. Inzwischen findet er das Handtuch lustig - und es kommt ja nur zum Einsatz, wenn er völlig durchgeweicht sein sollte. Mit dem Erwachsenenpelz, der sich langsam bildet, wird das kaum mehr ein Problem sein.

Aber das arme Kerlchen scheute so schrecklich vor Pfützen in Wald und Wiesen, soff nicht mal bei Durst daraus. Einmal, da muss er völlig ausgedörrt gewesen sein, leckte er ängstlich nur den feuchten Schlammrand. Gestern nun überall Pfützen, meterlang ... und herrlichster Sonnenschein: Ich wollte raus!

Es war verrückt. Ich bin selbst in die Riesenpfütze gestiegen, habe Bilbo ermuntert, zu mir zu kommen. Den zerriss es fast. Er wäre ja zu gern zu mir gekommen, aber er zitterte vor Angst am Pfützenrand!
Das ging dann eine Weile ganz ruhig zu ... die Alphawölfin stand bis zu den Knöcheln im Wasser, streichelte das Kleinchen und machte lustige Spritzespiele mit dem Finger, später mit der ganzen Menschenpfote. Lies ein Blatt vorbeisegeln. Bilbo war gebannt, schaute fasziniert zu, wagte sich mit der Nase rein, um das Blatt zu schnappen. Großes Lob.

Und die Möchtegernwölfin spielte weiter, wurde ausgelassener, tappte nach den Hundepfötchen und nach dem Wasser und für die erste nasse Pfotenspitze gab's wieder Freudenjubel und Einladungen, doch mit in den Schmodder zu kommen. Und dann ist es passiert: In dem kleinen Kerlchen kämpften die Neugier und die Lust gegen die Angst. Er soff ein bißchen. Menschin schimpfte nicht? Er tappste mit dem Pfötchen ins Wasser. Huch, die Menschin freute sich lauthals? Plötzlich war Bilbo hinter mir in der Pfütze, freudig erstaunt, überrascht, kurz wieder erschrocken vor dem eigenen Mut ... aber die Menschin lobte und freute sich ... also hinter ihr her. Und noch einmal die Pfütze entlang in die andere Richtung. Streicheln statt Strafe. Knuddeln und Wasserhüpfen.


Und dann ist es passiert: Ein Welpe ist vor Glück explodiert! Selten habe ich so etwas gesehen. Bilbo raste wie ein verrückter im Kreis, durchs Wasser, sprang und hüpfte wie ein Ball in alle Richtungen und war endlich bis zum Bauch voller Schmodder. Und die Menschin hüpfte vor Freude mit und war genauso glücklich und die beiden verknäulten sich im Spiel und dann war die Menschin endlich auch bis zum Bauch voll mit Schmodder. Ich habe schon lange nicht mehr ein so glückliches Wesen erlebt, das seine Freude derart spontan und offen heraustanzt. Und das steckt verdammt gut an!

Auf dem Heimweg habe ich mich dann gefragt, wann ich eigentlich das letzte Mal unter Zweibeinern spontan einen Indianertanz getanzt habe und meine Freude über etwas herausgelassen. Warum macht man das so selten? Wer bestraft uns denn dafür?

4. Oktober 2013

Die Buchmesse als Ausrede

Ja, ich lebe noch. Nein, ich gebe mein Blog nicht auf. Aber ich habe "mal eben schnell" eine Firma gegründet und das braucht nun doch mehr Offline-Arbeit. Natürlich ist die Geschwindigkeit maßlos übertrieben, auch wenn der Anmeldeprozess selbst nur sechs Tage dauerte. Voraus gingen Monate von Überlegungen, ob ich nun einen Verlag gründen müsse, um meine Texte selbst unters Volk zu bringen, wie ich all meine so unterschiedlichen Fähigkeiten praktischer sammeln könnte. Herausgekommen ist "Tetebrec - Atelier für Erzählkunst und Kommunikation" - was das genau bedeutet, wird eine noch zu erstellende Website erhellen.
Daneben bin ich vollauf mit einer Buchübersetzung beschäftigt, für die ich richtig ranklotzen muss, um den Termin zu schaffen. Und weil jetzt die Buchmesse kommt, wo sowieso alle Buchschaffenden überbeschäftigt sind - so wie ich auch, nehme ich das Event doch gleich mal zum Anlass zu sagen: Ich bin im Moment rar, aber ich bin nicht weg. Es kommt alles wieder und vieles neu!

25. September 2013

Vom Überangebot und vom Begehren

Wer kennt dieses Gefühl nicht: Die Haare sind fettig, die Shampooflasche leer, schnell hechtet man in den nächsten Supermarkt. Und da ist zwar das Lieblingsshampoo gerade ausverkauft, aber dafür schreien einem gefühlt 1001 andere Sorten ihre Werbebotschaften entgegen. Es gibt Shampoo für fettiges Langhaar mit Fruchtgeschmack oder Shampoo für fettiges Kurzhaar mit Rottönung ohne Schuppen. Andere Flaschen versprechen gar ein Ende mit Fett; biologisch abbaubaren, garantiert veganen Fruchtgeschmack und Seidenpartikel für die Halbglatze. Welches nehmen? Die Mittagspause ist gleich zu Ende. Das Überangebot macht blind, macht müde und frustriert. Wie einfach wäre der Einkauf, hätte der Laden nur drei Sorten auf Lager!

Was aussieht wie eine Collage von Alexandra Exter, ist der Liegeplatz eines verwöhnten Welpen

Inzwischen haben sich Forscher ernsthaft mit den Qualen aufgrund eines Überangebots beschäftigt. In einer Welt, in der fast alles käuflich zu erwerben ist, in der sogar ständig neue Produkte auf den Markt kommen für Bedürfnisse, die ich im Alptraum nicht ahnte ... da frohlockt der Konsument nicht nur. Er fühlt sich frustriert. Deprimiert. Es wird ihm einfach alles zu viel. Manchmal so zu viel, dass er sich dem Konsum sogar verweigert.

Vor Jahren hat der Focus dazu eine Titelstory geschrieben und u.a. mich dafür interviewt - als Beispiel für eine, die "reduziert" hatte. Ich war ziemlich frisch aus der Millionenstadt Warschau, diesem hypermodernen wimmelnden Zentrum des Neokonsums, zurückgegekehrt ins Landleben Frankreichs. Für den Redakteur war es damals schon eine Sensation, dass jemand nicht täglich in einer Stadt war und erst vorsätzlich mit dem Auto hinfahren musste. Dass jemand kein Interesse an 1001 Shampoosorten hatte, dafür aber noch Zeit fand, Marmelade einzukochen und Küchenkräuter zu ziehen. Der Fotograf kam mit einer alten Klapperschreibmaschine, um mich am Tisch mit Naturkulisse hinterm offenen Fenster abzulichten. Mit Espressotasse und Blumenvase, das machte sich passender als das neueste Modell des Computers, an dem ich tatsächlich arbeitete - in einem sehr schattigen Büro übrigens. "Die Leser sehnen sich nach dieser Einfachheit", meinte der Redakteur. Damals jubelte man noch einem Guru zu, wenn er "simplify your life" rief ...

Kürzlich machte ich eine Beobachtung in Sachen Überangebot: Welpe Bilbo hat in wenigen Wochen einen wahren Reichtum an Spielzeug angesammelt. Das wird gern an die unterschiedlichen Liegeplätze in der Wohnung geschleppt. Mal ist der gefundene Apfel dran, dann der Markknochen, den der Vorgänger in meiner Bibliothek versteckt hatte; da gibt es ein Knautscheschwein und einen toten Volleyball und ein Geschirrtuch zum Tauziehen. Die Menschin dachte, sie sollte mal aufräumen und platzierte das alles an einem einzigen Liegeplatz. Prompt stellte der Hund jegliches Spielen ein! Gelangweilt schaute er sich die Sachen an, fand seinen Liegeplatz nun gar nicht mehr reizvoll und schlappte missgelaunt in den Garten. Dort grub er einen älteren Wirbelknochen aus und platzierte ihn fast trotzig in der Mitte. Das ist Spielzeug, das will ich, nicht deinen ganzen wohlfeilen Krempel, schien mir sein Blick zu sagen.

Menschen sind lernfähig. Deshalb gibt es seinen Lieblingsknochen, ein eklig knatschiges Ding, an dem noch die Fetzen hängen, nur auf Zuteilung. Menschin verbuddelt das Ding bildhaft in der Küche und rückt es nur manchmal heraus. Wenn der Hund sich etwas ganz Besonderes verdient hat. Und siehe da, es passiert Interessantes: Alles Spielzeug dieser Welt verliert sofort jeglichen Reiz. Da kann das Quietscheschwein noch so teuer gewesen sein, das Wurfding noch so ergonomisch wertvoll, Welpe Bilbo vergnügt sich Stunden an seinem wertvollen Aasknochen, den Zweibeiner am liebsten im Müll sähen. Und dann fängt er an, sein Spielzeug wieder auf die Wohnung zu verteilen, nach einem geheimen Muster, das nur er kennt. So viel steht fest: Er hat nie mehr als drei Teile gleichzeitig im Blick. Fängt an zu wandern. Sucht aus. Und apportiert, was er haben möchte. Trotzdem kommt nichts, aber auch gar nichts an den Status seines ekligen alten Knochens heran.

Ich habe viel nachgedacht über die Langeweile eines Hundes angesichts der Überfülle - und sein Begehren nach dem Einfachsten aller Dinge. Das doch so authentisch ist, so klar dieses Ding selbst. Das man nicht mal so gleich und überall hundertfach und austauschbar kaufen kann. Das in seinem Geruch unverwechselbar geworden ist.

Verhält es sich nicht genauso mit dem Buchmarkt?!

Wenn plötzlich immer mehr Cover sich derart ähneln, dass sie austauschbar werden, wenn plötzlich 1001 Vampirromane zu haben sind - entwertet das nicht das Produkt? Könnte mir dann als Leserin im Laden nicht plötzlich genauso übel werden wie im Supermarkt? Weil meine Mittagspause bald vorbei ist, ich auf die Schnelle nicht mehr finde, was mich wirklich befriedigen würde? Empfinde ich noch Leselust oder schon Lesefrust? Zu viel Kram und zu wenig das, was ich wirklich liebe?

Mein Hund hat mich etwas gelehrt und ich denke darüber nach: Was, wenn ich statt der ständigen Verfügbarkeit von all diesen genormten Selbstverständlichkeiten genau das bieten könnte, was jenes Begehren weckt? Es muss manchmal nur ein einfacher Knochen sein. Aber auch Leser haben ihre Lieblingsknochen, auch sie kauen manchmal jahrelang immer wieder auf dem gleichen Buch herum. Was aber macht dieses Buch für sie so einzigartig?

Mein Hund wählt nicht nach Verfügbarkeit. Er wählt nicht nach dem Preis. Die Stapelware von der Kasse, der absolute Hundebeststeller, das Quietscheschwein liegt seit Tagen unbeachtet in der Ecke. Er begehrt diesen einen Knochen, den er nur manchmal haben kann. Er hat Lust auf diesen Knochen. Und ganz gewiss ist da auch ein Bedürfnis (das Zahnen), das ihn wertvoller macht als den toten Volleyball.
Bilbo, erzähl mir mehr über das Vermarkten von Büchern!