Ich weiß nicht woran es lag, das gestrige youtube-Video zerschmiss entweder gleich das Layout meines Blogs oder hinderte alles andere am Laden - sorry für die technischen Probleme, ich habe den Beitrag kurzerhand gelöscht.
Eigentlich hatte ich per Twitter für heute Abend News zu meinem nächsten Auftritt versprochen - aber auch das muss warten. 40 Grad am Rhein und ein "Ausflug" ohne Klimaanlage bei dieser Hitze nach Baden-Baden lassen entweder das Hirn eindorren oder meine Lektüre ist zu spannend (Polina Daschkowa). Ja, der Regen ist äußerst ungerecht verteilt, in unserer Region stöhnen wir seit Wochen unter Dürre, das Grollen und Blitzen eben blieb auch trocken und das Gras verbrennt. Nicht einmal der Hund ging freiwillig vor die Haustür.
Mehr also demnächst, wenn abgekühlt. Ich habe dann auch von einer Bibliothek zu schwärmen. Jetzt ist aber erst einmal die Daschkowa dran... Ich war mir sicher, ich hätte schon einmal einen ihrer Krimis (nichts für zarte Seelen) hier besprochen, kann aber den Beitrag in meinem Kopf auf dem Server nirgends finden. Geträumt?
Und als Notiz: Mich beschäftigt gerade die Frage: Was tut schreiberischen Projekten gut, was behindert sie? Irgendwelche Ideen?
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30. Juni 2009
29. Juni 2009
Neue Bettdecke
Als Freiberuflerin, die in ihrem Leben ganze zwei Jahre angestellt war, verfluche ich in regelmäßigen Abständen diese Lebenswahl. Vor allem in Zeiten steigender Ölpreise und galoppierender Entwertung von Textarbeit. Endlich einmal ruhig schlafen können, monatlich eine Grundversorgung aufs Konto bekommen, so schön automatisch mit einem Dauerauftrag, ohne sich ständig um neue Arbeitgeber sorgen zu müssen und Klinken zu putzen.
Einmal wollte ich noch Klinken putzen: Für einen gut bürgerlichen, "normalen", regelmäßigen Angestelltenjob. Obwohl ich - noch jenseits des halben Jahrhunderts - für die Gesellschaft bereits zu alt bin und immer irgendwie falsch qualifiziert. Hauptsache mehr Sicherheit (hahaha), damit ich nicht womöglich eines Tages Instantbücher schreiben muss, nur weil mein Hund so edel große Portionen frisst. Träumen darf man ja.
Jetzt hab ich keine Zeit mehr für die Bürgerlichkeit. Nicht mal fürs Bewerbungsschreiben. Vielleicht kommen auch mal Nachtschichten, statt ruhig zu schlafen.
Wunschlistenänderung für den Herbst: Neue Bettdecke kaufen.
Einmal wollte ich noch Klinken putzen: Für einen gut bürgerlichen, "normalen", regelmäßigen Angestelltenjob. Obwohl ich - noch jenseits des halben Jahrhunderts - für die Gesellschaft bereits zu alt bin und immer irgendwie falsch qualifiziert. Hauptsache mehr Sicherheit (hahaha), damit ich nicht womöglich eines Tages Instantbücher schreiben muss, nur weil mein Hund so edel große Portionen frisst. Träumen darf man ja.
Jetzt hab ich keine Zeit mehr für die Bürgerlichkeit. Nicht mal fürs Bewerbungsschreiben. Vielleicht kommen auch mal Nachtschichten, statt ruhig zu schlafen.
Wunschlistenänderung für den Herbst: Neue Bettdecke kaufen.
28. Juni 2009
Quellen verifizieren
Im Gegensatz zu anerkannten Nachrichtenmedien wissen wir bei Blogs oder Twitter und Privatnachrichten nicht, ob die Information wahr ist. Hier ist eine englischsprachige Anleitung, wie man Twitternachrichten verifizieren lernen kann, gefunden bei Carta.
Im Iran ist die Hölle los
Die neuesten Berichte via Internet, hier eine Zusammenfassung seit gestern von einem Übersetzer, zeichnen ein höllisches Bild von der Situation im Iran. Auch wenn nicht alle Statements unabhängig überprüft sind, CNN, Human Rights Watch, Amnesty International bestätigen einige der schlimmsten Annahmen.
Der Zusammenfassung zufolge verschwinden derzeit spurlos Menschen, vor allem aus Krankenhäusern, vor allem Journalisten und Blogger. Massive Verhaftungen (u.a. von wichtigen Twitterern) sind zwar ebenfalls an der Tagesordnung, aber diese Menschen verschwinden, ohne dass über ihr Schicksal etwas bekannt wird!
Folter wird wie selbstverständlich eingesetzt. Mit Folter werden derzeit auch von Gegnern Statements in der Öffentlichkeit und im Fernsehen abgepresst, die der Regime-Propaganda dienen udn die Widerstandsbewegung in Misskredit zu bringen versuchen.
Das Regime versucht nicht nur, technische Hilfsmittel an sich zu bringen (Satellitenschüsseln, Kameras, Handys etc.), inzwischen wird Human Rights Watch zufolge in nächtlichen brutalen Überfällen der paramilitärischen Basij-Miliz Privateigentum zerstört und werden Menschen zusammengeschlagen.
Dass Ahmadinejad auch außenpolitisch ausflippt, macht sich dagegen fast als Selbstverständlichkeit aus. Aber genau das ist der Punkt, an dem wir spätestens die Antwort darauf haben, was uns der Konflikt angeht.
Wer sich jetzt massiv an Terrorzeiten mit Gestapo und SS erinnert fühlt - und auch die internationalen Folgen jenes Wahnsinns im Kopf hat, wird sich vielleicht fragen: Was kann man da tun außer Zuschauen?
So kann man helfen:
Helfen kann man außerdem, indem man diese Nachrichten (auf möglichst seriöse Quellen achten und Vorsicht bei Propaganda, denn auch der Staat hackt inzwischen) weltweit verbreitet. Denn das hat das Dritte Reich, haben Militärdiktaturen oder Nordkorea gelehrt: Eine Unterdrückungsmaschinerie läuft nur dann reibungslos, wenn keinerlei kritische Informationen von innen nach außen und von außen nach innen dringen.
Weitere laufende Infos bei:
Anonymous Iran
bei Twitter unter dem Suchbegriff #iranelection
Human Rights Watch (HRW.de)
Amnesty International (dt. Seite)
Reporter ohne Grenzen
letzte Nachricht: Mitglieder der britischen Botschaft im Iran verhaftet
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Der Zusammenfassung zufolge verschwinden derzeit spurlos Menschen, vor allem aus Krankenhäusern, vor allem Journalisten und Blogger. Massive Verhaftungen (u.a. von wichtigen Twitterern) sind zwar ebenfalls an der Tagesordnung, aber diese Menschen verschwinden, ohne dass über ihr Schicksal etwas bekannt wird!
Folter wird wie selbstverständlich eingesetzt. Mit Folter werden derzeit auch von Gegnern Statements in der Öffentlichkeit und im Fernsehen abgepresst, die der Regime-Propaganda dienen udn die Widerstandsbewegung in Misskredit zu bringen versuchen.
Das Regime versucht nicht nur, technische Hilfsmittel an sich zu bringen (Satellitenschüsseln, Kameras, Handys etc.), inzwischen wird Human Rights Watch zufolge in nächtlichen brutalen Überfällen der paramilitärischen Basij-Miliz Privateigentum zerstört und werden Menschen zusammengeschlagen.
Dass Ahmadinejad auch außenpolitisch ausflippt, macht sich dagegen fast als Selbstverständlichkeit aus. Aber genau das ist der Punkt, an dem wir spätestens die Antwort darauf haben, was uns der Konflikt angeht.
Wer sich jetzt massiv an Terrorzeiten mit Gestapo und SS erinnert fühlt - und auch die internationalen Folgen jenes Wahnsinns im Kopf hat, wird sich vielleicht fragen: Was kann man da tun außer Zuschauen?
So kann man helfen:
- Es werden Menschen gesucht, die Bandbreite und vielleicht computertechnische Hilfe zur Verfügung stellen. Melden kann man sich hier und hier.
- Es werden medizinisch versierte Menschen und Übersetzer gesucht, um IranerInnen Anleitungen und Hilfen zu geben, die es nicht mehr wagen, in Krankenhäuser zu gehen. Ich zitiere:
Helfen kann man außerdem, indem man diese Nachrichten (auf möglichst seriöse Quellen achten und Vorsicht bei Propaganda, denn auch der Staat hackt inzwischen) weltweit verbreitet. Denn das hat das Dritte Reich, haben Militärdiktaturen oder Nordkorea gelehrt: Eine Unterdrückungsmaschinerie läuft nur dann reibungslos, wenn keinerlei kritische Informationen von innen nach außen und von außen nach innen dringen.
Weitere laufende Infos bei:
Anonymous Iran
bei Twitter unter dem Suchbegriff #iranelection
Human Rights Watch (HRW.de)
Amnesty International (dt. Seite)
Reporter ohne Grenzen
letzte Nachricht: Mitglieder der britischen Botschaft im Iran verhaftet
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26. Juni 2009
Kreise oder warum einen alles einholt
Kürzlich schnappte ich den Satz auf: "Man muss in der Kunst scheinbar Nutzloses wagen." Seit eben verstehe ich ihn.
Ich habe in meinem Leben auch ohne Kunst so viel scheinbar Nutzloses getan. Einfach, weil sich für mich eine Notwendigkeit ergab, deren Ursachen oder Ziele ich nicht orten konnte oder wollte. Statt im Studium brav die vorgeschriebenen Theologenscheine zu sammeln, beschäftigte ich mich z.B. bei einem nicht wohlgelittenen, weil unbequemen Schweizer Professor mit der Kirche im Dritten Reich. Damals lernte ich, mit Zeitzeugen umzugehen - und was ich erst in meiner zweiten Berufsausbildung erfuhr, mit journalistischen Techniken. Es lebten noch spannende Menschen Anfang der Achtziger. Weil ich diese Arbeit nicht als Journalistin tat, hatte ich Zeit für sie, konnte das Thema über ein Jahr lang verfolgen.
Es ist eine schwere Arbeit, die im Normalfall nicht abläuft wie über die Datenbanken für Doku-Soaps. Für das ganze Leben traumatisierte Menschen brauchen Respekt und Zeit, müssen Vertrauen entwickeln können. Sie sind keine Informationsbörsen, wohlfeil für die Medien, sie teilen ein Schicksal - mit. Manche schweigen auch weiter. Menschlich und inhaltlich hat mich diese Arbeit besonders geprägt, im Hinblick auf die brave Tour Richtung Examen hat sie nichts gebracht. Offiziell verschwendete Zeit. Nutzlos?
Noch ein loser Faden: Ein Roman, der vor Jahren hochblubberte in mir, dem ich untreu wurde. Ich schrieb stattdessen auf Anraten anderer "Nützliches" - heitere Unterhaltungsromane. Aber man fühlt, wenn man das Falsche tut; jener Roman holte mich wieder ein, veränderte sich, meldete sich immer wieder, packte zu. Wenn ich meinen Nijinsky fertig geschrieben habe, will ich ihn ernsthaft angehen. Die Arbeit wird mir jedoch zunächst nichts einbringen. So ein Manuskript verkauft man nicht vorab. Die Zeit wird querfinanziert werden müssen. Offiziell spinnert, unvernünftig. Nutzlos?
Der dritte lose Faden: Suchdienst Rotes Kreuz. Ein Namensdoppelgänger, Jahrzehnte falscher Suche mit falschen Angaben, scheinbar nutzlos - der Krieg war so lang vorbei. Und dann erreichte auch mich vor Jahren ein solcher Brief mit den falschen Leuten und den falschen Daten, ich sah in ein Schicksal hinein, erahnte ein anderes, konnte nicht weiterhelfen, weil auch ich die falsche dafür war. Datenfehler. Nutzlos?
Die Parallele zu meinem Romanthema war jedoch schon da. Gleicher Ort, gleiche Zeit. Aber das war meine Geschichte, die ich erfand und über die ich gebieten wollte. Recherche schien sicherer (ruhiger?) in Archiven, Büchern, Abhandlungen. Ich wusste doch so genau, was ich wollte. Diese Figur der Oma Anna würde ich schon noch erfinden können.
Heute plötzlich, nach Jahren, Kontakt zu einem der falschen Leute mit den falschen Daten und der falschen Geschichte, die nicht die zu verschriftende war. Kontakt aus einem völlig anderen Grund. Und dann war der Akku im Telefon leer. Nach einem Leben voller Schweigen sprudelte er plötzlich heraus. Erinnerte sich. An eine wie meine erfundene Anna. Und da sitze ich, immer noch ein wenig fassungslos über das Verknüpfen scheinbar nutzloser loser Fäden im Leben, und habe einen Augenzeugen, wenn nicht sogar DEN Augenzeugen für meinen Roman.
Falls ich mich darauf einlasse, wird das Schreiben zu schwerer menschlicher Arbeit werden. Dann wird das einer dieser Romane, aus denen der Autor anders heraussteigt als er hineingestiegen ist. Wandelstoff. Aber plötzlich erhalten auch all meine gesammelten Fotos, Pläne und Unterlagen eine zusätzliche Bedeutung. Vor mir liegt ein Wohnungsgrundriss aus einem Viertel, in dem der Augenzeuge seine Kindheit verbracht hat. Vor mir liegen Dokumente, die er damals nicht gekannt haben kann, die aber auf sein Leben eingewirkt haben mussten. Vor mir liegen Fotos, die seine Welt von damals zeigen. Er hat gelebt, was ich nur erfinden wollte.
Auch das ist Zeitzeugenarbeit: Aus-Tausch. Nicht Abfragen und Konsumieren. Ich müsste ein Stück von mir zurücklassen. Und dann trotzdem von erinnerter Wirklichkeit wieder in Distanz gehen können, ohne die Nähe zu einem Menschen zu verlieren. Denn ein Roman darf kein Leben 1:1 abbilden. Ein Roman schafft neues Leben...
Keine Frage: ich werde wieder etwas scheinbar Nutzloses tun. Ich glaube nämlich nicht, dass man etwas im Leben "umsonst" macht, wenn man mit Leidenschaft dahinter steht.
Ich habe in meinem Leben auch ohne Kunst so viel scheinbar Nutzloses getan. Einfach, weil sich für mich eine Notwendigkeit ergab, deren Ursachen oder Ziele ich nicht orten konnte oder wollte. Statt im Studium brav die vorgeschriebenen Theologenscheine zu sammeln, beschäftigte ich mich z.B. bei einem nicht wohlgelittenen, weil unbequemen Schweizer Professor mit der Kirche im Dritten Reich. Damals lernte ich, mit Zeitzeugen umzugehen - und was ich erst in meiner zweiten Berufsausbildung erfuhr, mit journalistischen Techniken. Es lebten noch spannende Menschen Anfang der Achtziger. Weil ich diese Arbeit nicht als Journalistin tat, hatte ich Zeit für sie, konnte das Thema über ein Jahr lang verfolgen.
Es ist eine schwere Arbeit, die im Normalfall nicht abläuft wie über die Datenbanken für Doku-Soaps. Für das ganze Leben traumatisierte Menschen brauchen Respekt und Zeit, müssen Vertrauen entwickeln können. Sie sind keine Informationsbörsen, wohlfeil für die Medien, sie teilen ein Schicksal - mit. Manche schweigen auch weiter. Menschlich und inhaltlich hat mich diese Arbeit besonders geprägt, im Hinblick auf die brave Tour Richtung Examen hat sie nichts gebracht. Offiziell verschwendete Zeit. Nutzlos?
Noch ein loser Faden: Ein Roman, der vor Jahren hochblubberte in mir, dem ich untreu wurde. Ich schrieb stattdessen auf Anraten anderer "Nützliches" - heitere Unterhaltungsromane. Aber man fühlt, wenn man das Falsche tut; jener Roman holte mich wieder ein, veränderte sich, meldete sich immer wieder, packte zu. Wenn ich meinen Nijinsky fertig geschrieben habe, will ich ihn ernsthaft angehen. Die Arbeit wird mir jedoch zunächst nichts einbringen. So ein Manuskript verkauft man nicht vorab. Die Zeit wird querfinanziert werden müssen. Offiziell spinnert, unvernünftig. Nutzlos?
Der dritte lose Faden: Suchdienst Rotes Kreuz. Ein Namensdoppelgänger, Jahrzehnte falscher Suche mit falschen Angaben, scheinbar nutzlos - der Krieg war so lang vorbei. Und dann erreichte auch mich vor Jahren ein solcher Brief mit den falschen Leuten und den falschen Daten, ich sah in ein Schicksal hinein, erahnte ein anderes, konnte nicht weiterhelfen, weil auch ich die falsche dafür war. Datenfehler. Nutzlos?
Die Parallele zu meinem Romanthema war jedoch schon da. Gleicher Ort, gleiche Zeit. Aber das war meine Geschichte, die ich erfand und über die ich gebieten wollte. Recherche schien sicherer (ruhiger?) in Archiven, Büchern, Abhandlungen. Ich wusste doch so genau, was ich wollte. Diese Figur der Oma Anna würde ich schon noch erfinden können.
Heute plötzlich, nach Jahren, Kontakt zu einem der falschen Leute mit den falschen Daten und der falschen Geschichte, die nicht die zu verschriftende war. Kontakt aus einem völlig anderen Grund. Und dann war der Akku im Telefon leer. Nach einem Leben voller Schweigen sprudelte er plötzlich heraus. Erinnerte sich. An eine wie meine erfundene Anna. Und da sitze ich, immer noch ein wenig fassungslos über das Verknüpfen scheinbar nutzloser loser Fäden im Leben, und habe einen Augenzeugen, wenn nicht sogar DEN Augenzeugen für meinen Roman.
Falls ich mich darauf einlasse, wird das Schreiben zu schwerer menschlicher Arbeit werden. Dann wird das einer dieser Romane, aus denen der Autor anders heraussteigt als er hineingestiegen ist. Wandelstoff. Aber plötzlich erhalten auch all meine gesammelten Fotos, Pläne und Unterlagen eine zusätzliche Bedeutung. Vor mir liegt ein Wohnungsgrundriss aus einem Viertel, in dem der Augenzeuge seine Kindheit verbracht hat. Vor mir liegen Dokumente, die er damals nicht gekannt haben kann, die aber auf sein Leben eingewirkt haben mussten. Vor mir liegen Fotos, die seine Welt von damals zeigen. Er hat gelebt, was ich nur erfinden wollte.
Auch das ist Zeitzeugenarbeit: Aus-Tausch. Nicht Abfragen und Konsumieren. Ich müsste ein Stück von mir zurücklassen. Und dann trotzdem von erinnerter Wirklichkeit wieder in Distanz gehen können, ohne die Nähe zu einem Menschen zu verlieren. Denn ein Roman darf kein Leben 1:1 abbilden. Ein Roman schafft neues Leben...
Keine Frage: ich werde wieder etwas scheinbar Nutzloses tun. Ich glaube nämlich nicht, dass man etwas im Leben "umsonst" macht, wenn man mit Leidenschaft dahinter steht.
ARTE und das Prekariat
Gestern Thema in ARTE: die prekäre Situation von Kunst und Kultur, mit einer Doku und der Diskussionsrunde Paris-Berlin zum Thema Kultursponsoring. Schade, dass ich mir letztere so spät noch angetan habe, sie brachte absolut nichts Neues und Zielführendes. Denn die Diskutanten mit einem Deutschen sprachen lediglich über Theater, als ob das schon alle Kultur eines Landes gewesen wäre (und dann bin ich eingeschlafen, vielleicht kam der Durchbruch ja noch kurz vor Schluss?). Ausgerechnet Theater: ein völlig unvergleichbares System in Frankreich und Deutschland. Das wenigstens lehrte die Diskussion, das aber bringt Kultureinrichtungen beider Länder nicht weiter. Über das eigentliche Thema, Kultursponsoring, lernt man mehr im Internet (z.B. hier oder hier)
Empfehlen kann ich aber die Doku davor, die sieben Tage online zu sehen ist (und vielleicht gibt es Wiederholungstermine?). "Prekär, frei und Spaß dabei" ist ein irreführender Titel, denn das ach so frei gewählte Prekariat der Künstler geschieht unter dem Druck des Systems - anders ist freie Kunst eben in unseren Landen nicht zu machen. Davon abzuleiten, Künstler lebten gern in prekärer Lage, wäre zynisch.
In der Doku geht es um anderes: Um Künstler, die Wege suchen, mit ihrer Misere zurecht zu kommen und die genau hinschauen. Die aus dem eigenen Erleben sehen, dass Leben im Prekariat heutzutage nicht mehr nur Künstler und Arme betrifft, sondern immer mehr Bevölkerungsschichten. Immer weniger Menschen können von einem einzigen Job leben. Und so gelingt der Spagat, Kunst gesellschaftliche Bedeutung zu verleihen und sie "ins Volk" zurück zu tragen.
Die Doku gibt nicht nur Anregungen für Künstler, politisch aktiv zu werden und sich aus dem Elfenbeinturm zu wagen - sie zeigt vor allem die überlebenswichtige Rolle von Kunst und Kultur in der Gesellschaft. Sie zeigt, wie Kunst und Kultur einfachen, armen Menschen Würde zurück geben kann, Stolz und Freude vermittelt, sie zum Agieren statt Erdulden bringt. Sie denkt neue Formen von Kunst im öffentlichen Raum an und beschäftigt sich mit Kunst als Systemkritik (hier: am Neoliberalismus) und damit auch Eigenkritik.
Über einen ähnlichen Ansatz in der plastischen Kunst in Frankreich habe ich schon einmal geschrieben.
Zwar geht es in der Doku hauptsächlich um Theater und Musik, aber die Ideen lassen sich durchaus auf andere Künste übertragen (z.B. die textenden). Man habe nur solche Gedanken im Kopf und höre sich dann die Texte des greade laufenden Bachmann-Wettbewerbs an (3sat)...
Wenn man im Anschluss die Zahlen des bei BMW für Kultursponsoring Verantwortlichen gehört hat, die bewiesen, welche große wirtschaftliche Rolle Kunst und Kultur in Deutschland spielen (auch in Sachen Arbeitsplätzen), kann man eigentlich nur zynisch fragen: Was ist das für ein Land, das die Angehörigen einer seiner wichtigsten Branchen im Prekariat ohne anständige Bezahlung leiden lässt, klein hält - und an anderer Stelle für Missmanagement und Gier Millionen und Milliarden Steuergelder verpulvert? Eine Frage - auch das zeigte die Doku - die man übrigens nicht nur in Deutschland stellen darf!
Bitte mehr solcher Berichte. Denn auch ich werde immer noch viel zu oft gefragt, warum ich mir noch kein Swimmingpool baue, wo ich doch schon so viele Bücher veröffentlicht habe...
Empfehlen kann ich aber die Doku davor, die sieben Tage online zu sehen ist (und vielleicht gibt es Wiederholungstermine?). "Prekär, frei und Spaß dabei" ist ein irreführender Titel, denn das ach so frei gewählte Prekariat der Künstler geschieht unter dem Druck des Systems - anders ist freie Kunst eben in unseren Landen nicht zu machen. Davon abzuleiten, Künstler lebten gern in prekärer Lage, wäre zynisch.
In der Doku geht es um anderes: Um Künstler, die Wege suchen, mit ihrer Misere zurecht zu kommen und die genau hinschauen. Die aus dem eigenen Erleben sehen, dass Leben im Prekariat heutzutage nicht mehr nur Künstler und Arme betrifft, sondern immer mehr Bevölkerungsschichten. Immer weniger Menschen können von einem einzigen Job leben. Und so gelingt der Spagat, Kunst gesellschaftliche Bedeutung zu verleihen und sie "ins Volk" zurück zu tragen.
Die Doku gibt nicht nur Anregungen für Künstler, politisch aktiv zu werden und sich aus dem Elfenbeinturm zu wagen - sie zeigt vor allem die überlebenswichtige Rolle von Kunst und Kultur in der Gesellschaft. Sie zeigt, wie Kunst und Kultur einfachen, armen Menschen Würde zurück geben kann, Stolz und Freude vermittelt, sie zum Agieren statt Erdulden bringt. Sie denkt neue Formen von Kunst im öffentlichen Raum an und beschäftigt sich mit Kunst als Systemkritik (hier: am Neoliberalismus) und damit auch Eigenkritik.
Über einen ähnlichen Ansatz in der plastischen Kunst in Frankreich habe ich schon einmal geschrieben.
Zwar geht es in der Doku hauptsächlich um Theater und Musik, aber die Ideen lassen sich durchaus auf andere Künste übertragen (z.B. die textenden). Man habe nur solche Gedanken im Kopf und höre sich dann die Texte des greade laufenden Bachmann-Wettbewerbs an (3sat)...
Wenn man im Anschluss die Zahlen des bei BMW für Kultursponsoring Verantwortlichen gehört hat, die bewiesen, welche große wirtschaftliche Rolle Kunst und Kultur in Deutschland spielen (auch in Sachen Arbeitsplätzen), kann man eigentlich nur zynisch fragen: Was ist das für ein Land, das die Angehörigen einer seiner wichtigsten Branchen im Prekariat ohne anständige Bezahlung leiden lässt, klein hält - und an anderer Stelle für Missmanagement und Gier Millionen und Milliarden Steuergelder verpulvert? Eine Frage - auch das zeigte die Doku - die man übrigens nicht nur in Deutschland stellen darf!
Bitte mehr solcher Berichte. Denn auch ich werde immer noch viel zu oft gefragt, warum ich mir noch kein Swimmingpool baue, wo ich doch schon so viele Bücher veröffentlicht habe...
25. Juni 2009
Carta, der Grimme-Preis und die Bücher
Das ist mal wieder typisch für Leserverhalten. Erst braucht es einen saftigen Preis, damit man auf gute Texte aufmerksam wird. In diesem Fall ist es der Grimme-Preis und der Preisträger heißt "Carta" - die Jury begründet: "Was die Website bietet, ist seriöser, unabhängiger und relevanter Journalismus, und sie ist auf dem Weg, eine medienpublizistische Marke im Web zu werden." Aus der Jurybeurteilung lässt sich gut herauslesen, was Blogs haben müssen, um in Richtung Qualitätsjournalismus zu weisen.
Beim Schmökern im Neuentdeckten fallen mir zwei Texte auf: Peter Glaser macht sich Gedanken über den künftigen Umgang mit den wachsenden Textmengen einer Gesellschaft, die das Schreiben zunehmend selbst in die Hand nimmt. Und Ulrike Langner rechnet mit der Attitude von Verlagen ab, isolierte Internetinseln zu bilden. Nutzerunfreundlich, wie die wachsende Beliebtheit von Buch-Communities bei LeserInnen beweist.
Lese ich beide Texte nebeneinander (dank Verlinkung!), fällt auf, dass Glaser genauso gut vom Buchmarkt sprechen könnte. Wir sind nicht nur Papst, sondern auch immer häufiger Schriftsteller. Ratgeber- und Kritikforen sprießen im Internet, die den Anschein erwecken, jeder Noch-nicht-Autor könne demnächst mit ein paar handwerklichen Kniffen auch gleich Deutschlands Superschriftsteller werden. Und Großverlage verkaufen Trendware, bis selbst das eigene Stammpublikum den Überblick verliert.
Nein, noch schlimmer. Buchkunden sind längst nicht mehr verlagstreu, kaufen nach Cover, Titel und (Marken)Namen. Gerade bei der Massenware werden Verlage immer austauschbarer (sind wir da wieder bei der Angst vor dem Verlinken?). Nur wenige Hardliner wie Diogenes oder kleinere Literaturverlage leisten sich eine beim Leser begehrte Corporate Identity (Beispiel), die perfekt zum Inhalt passt: Man findet die Bücher im Laden schon von weitem und wird als Fan vom Inhalt hinter dem Design selten enttäuscht. Altmodisch? Der bisher unverkennbare Aufbauverlag passt sich lieber an Wühltische an und auch Suhrkamp macht jetzt auf bunt und Fantasy.
Es passiert genau das, was Glaser und Langner sezieren. Leserinnen und Leser befinden sich auf See, die Textwellen schlagen hoch, schier unendlich scheint die Flut der Neuerscheinungen und will nicht abebben. Wer eine der großen Buchketten betritt, hält das Fernrohr am besten verkehrt herum, um durch gemachte Bestsellerstapel und Wühltischfluten nicht vom Wunschkurs abzukommen. Gnade dem, der genau weiß, wo er hinsteuert. Oder einen Sextant hat.
Dumm nur, dass ausgerechnet diese Navigationsgeräte ein wenig gealtert sind, weil jede Insel zwar lauthals ihr eigenes ultimatives, aber doch gewöhnliches Gerät anpries, gegen die eigenen hochgeblurbten bis gefälschten Werbewogen jedoch kaum noch glaubhaft anbrüllen kann. Längst haben Fähnlein Fieselschweif und andere Pioniere im Internet Basiscamps aufgeschlagen (Beispiele: 1-2-3), die hemmungslos nutzen, was der Buchmarkt scheut: Verlinkungen, Empfehlungen, Diskussionsforen. Fieselschweif fehlt es an Personal und Geld und Zeit, aber bekanntlich hat auch schon Huckleberry Finn den Mississippi mit einem Holzfloß überquert.
Trotzdem - auch hier entstehen Textfluten. Zwar organisiert man sich langsam in Eingeborenenstämmen auf Krimiinseln, Historische-Roman-Inseln, Liebesroman-Inseln, vergisst aber, dass der leibhaftige Leser mehr als nur sein Weihwasser berühren will - da locken so viele Lesesünden an fremden Ufern. Die Fähren mit dem großen F wie Feuilleton scheinen leider ebenfalls ein wenig in die Jahre gekommen zu sein. Kreuzfahrten fürs alternde Bildungsbürgertum sind angesagt. Aber welche Leser und Leserinnen erreichen sie, wenn Diskussionen um Literaturen, die man anfassen dürfe, und Literaturen, die eines wahren Seebären unwürdig seien, den Blick auf den weiten Horizont verstellen?
Zur Textflut kommt nun außerhalb der Verlagsinseln plötzlich noch ein Linksturm auf. Tante Erna verlinkt ihren romantischen Lieblingshafen in Hardcover, Onkel Ernst knallt seine neue Liebe gleich in drei Netzwerke und irgendwer, vielleicht der Autor selbst, hat ein halbes Dorf bezahlt, um sein Buch überall zu empfehlen. Die Netzwerk freuen sich und schreien im Chor, um ihre garantiert googlebeständigen GPS-Systeme zu verkaufen. Die können zwar mittlerweile Handlungsplätze in Romanen orten oder finden Unverblümtes von Autoren im Web, die sich zu privat geben. Aber richtig wegweisend auf hoher Textsee ist das Netzwerk-Chaos nicht.
Wo treibt die christliche Seefahrt hin? Darf man Prognosen glauben, die uns gleichzeitig erklären, der Golfstrom würde seine Bahn ändern? Wer bleibt oben, wer geht unter? Wird das massenhaft wuselnde Plankton über die Zukunft bestimmen oder der Wal? Wen soll man retten, wer ist noch zu retten?
Noch macht es manchmal Spaß, als unbedarft schippernder Leser an einem fremden Strand aufzulaufen und sich wie Robinson Crusoe durch die Seiten zu schlagen. Aber wenn es einen dann dreimal neben die wirklich geliebten Perlen ins Abseits verschlagen hat, stirbt die Lust am Austernsammeln bekanntlich zuerst. Noch halten kleinere und anspruchsvollere Verlage durch, indem sie in der Hoffnung auf eine frische Brise Mundpropaganda produzieren, im innigen Glauben an das rechte Buch zur rechten Zeit am rechten Ort.
Jeder Schiffer weiß: So kann man auf Dauer nicht navigieren. Da war schon einmal der Glaube an die Moderne und den Profit, die rechte Strecke und die eingebildete Bestimmung. Und dann erhob sich plötzlich wuchtig der Eisberg vor dem Luxusliner.
Vielleicht sollten wir alle schleunigst fliegen lernen und uns das alles einmal von oben anschauen?
Beim Schmökern im Neuentdeckten fallen mir zwei Texte auf: Peter Glaser macht sich Gedanken über den künftigen Umgang mit den wachsenden Textmengen einer Gesellschaft, die das Schreiben zunehmend selbst in die Hand nimmt. Und Ulrike Langner rechnet mit der Attitude von Verlagen ab, isolierte Internetinseln zu bilden. Nutzerunfreundlich, wie die wachsende Beliebtheit von Buch-Communities bei LeserInnen beweist.
Lese ich beide Texte nebeneinander (dank Verlinkung!), fällt auf, dass Glaser genauso gut vom Buchmarkt sprechen könnte. Wir sind nicht nur Papst, sondern auch immer häufiger Schriftsteller. Ratgeber- und Kritikforen sprießen im Internet, die den Anschein erwecken, jeder Noch-nicht-Autor könne demnächst mit ein paar handwerklichen Kniffen auch gleich Deutschlands Superschriftsteller werden. Und Großverlage verkaufen Trendware, bis selbst das eigene Stammpublikum den Überblick verliert.
Nein, noch schlimmer. Buchkunden sind längst nicht mehr verlagstreu, kaufen nach Cover, Titel und (Marken)Namen. Gerade bei der Massenware werden Verlage immer austauschbarer (sind wir da wieder bei der Angst vor dem Verlinken?). Nur wenige Hardliner wie Diogenes oder kleinere Literaturverlage leisten sich eine beim Leser begehrte Corporate Identity (Beispiel), die perfekt zum Inhalt passt: Man findet die Bücher im Laden schon von weitem und wird als Fan vom Inhalt hinter dem Design selten enttäuscht. Altmodisch? Der bisher unverkennbare Aufbauverlag passt sich lieber an Wühltische an und auch Suhrkamp macht jetzt auf bunt und Fantasy.
Es passiert genau das, was Glaser und Langner sezieren. Leserinnen und Leser befinden sich auf See, die Textwellen schlagen hoch, schier unendlich scheint die Flut der Neuerscheinungen und will nicht abebben. Wer eine der großen Buchketten betritt, hält das Fernrohr am besten verkehrt herum, um durch gemachte Bestsellerstapel und Wühltischfluten nicht vom Wunschkurs abzukommen. Gnade dem, der genau weiß, wo er hinsteuert. Oder einen Sextant hat.
Dumm nur, dass ausgerechnet diese Navigationsgeräte ein wenig gealtert sind, weil jede Insel zwar lauthals ihr eigenes ultimatives, aber doch gewöhnliches Gerät anpries, gegen die eigenen hochgeblurbten bis gefälschten Werbewogen jedoch kaum noch glaubhaft anbrüllen kann. Längst haben Fähnlein Fieselschweif und andere Pioniere im Internet Basiscamps aufgeschlagen (Beispiele: 1-2-3), die hemmungslos nutzen, was der Buchmarkt scheut: Verlinkungen, Empfehlungen, Diskussionsforen. Fieselschweif fehlt es an Personal und Geld und Zeit, aber bekanntlich hat auch schon Huckleberry Finn den Mississippi mit einem Holzfloß überquert.
Trotzdem - auch hier entstehen Textfluten. Zwar organisiert man sich langsam in Eingeborenenstämmen auf Krimiinseln, Historische-Roman-Inseln, Liebesroman-Inseln, vergisst aber, dass der leibhaftige Leser mehr als nur sein Weihwasser berühren will - da locken so viele Lesesünden an fremden Ufern. Die Fähren mit dem großen F wie Feuilleton scheinen leider ebenfalls ein wenig in die Jahre gekommen zu sein. Kreuzfahrten fürs alternde Bildungsbürgertum sind angesagt. Aber welche Leser und Leserinnen erreichen sie, wenn Diskussionen um Literaturen, die man anfassen dürfe, und Literaturen, die eines wahren Seebären unwürdig seien, den Blick auf den weiten Horizont verstellen?
Zur Textflut kommt nun außerhalb der Verlagsinseln plötzlich noch ein Linksturm auf. Tante Erna verlinkt ihren romantischen Lieblingshafen in Hardcover, Onkel Ernst knallt seine neue Liebe gleich in drei Netzwerke und irgendwer, vielleicht der Autor selbst, hat ein halbes Dorf bezahlt, um sein Buch überall zu empfehlen. Die Netzwerk freuen sich und schreien im Chor, um ihre garantiert googlebeständigen GPS-Systeme zu verkaufen. Die können zwar mittlerweile Handlungsplätze in Romanen orten oder finden Unverblümtes von Autoren im Web, die sich zu privat geben. Aber richtig wegweisend auf hoher Textsee ist das Netzwerk-Chaos nicht.
Wo treibt die christliche Seefahrt hin? Darf man Prognosen glauben, die uns gleichzeitig erklären, der Golfstrom würde seine Bahn ändern? Wer bleibt oben, wer geht unter? Wird das massenhaft wuselnde Plankton über die Zukunft bestimmen oder der Wal? Wen soll man retten, wer ist noch zu retten?
Noch macht es manchmal Spaß, als unbedarft schippernder Leser an einem fremden Strand aufzulaufen und sich wie Robinson Crusoe durch die Seiten zu schlagen. Aber wenn es einen dann dreimal neben die wirklich geliebten Perlen ins Abseits verschlagen hat, stirbt die Lust am Austernsammeln bekanntlich zuerst. Noch halten kleinere und anspruchsvollere Verlage durch, indem sie in der Hoffnung auf eine frische Brise Mundpropaganda produzieren, im innigen Glauben an das rechte Buch zur rechten Zeit am rechten Ort.
Jeder Schiffer weiß: So kann man auf Dauer nicht navigieren. Da war schon einmal der Glaube an die Moderne und den Profit, die rechte Strecke und die eingebildete Bestimmung. Und dann erhob sich plötzlich wuchtig der Eisberg vor dem Luxusliner.
Vielleicht sollten wir alle schleunigst fliegen lernen und uns das alles einmal von oben anschauen?
Romangesindel
Ich empfehle ein unbedingt lesenswertes Interview im Poetenladen mit Christoph Wilhelm Aigner (via Kehles Lyrikblog), der Gedicht wie Roman beherrscht. Es geht natürlich - ums Schreiben. Wenn ich seine Ausführungen zum Dichten lese, möchte ich ständig rufen: "Aber das ist beim Romaneschreiben doch ähnlich!" Und dann finde ich mich mit einem köstlichen Ausdruck widerlegt: Dem "saisonalen Romangesindel", das er definiert:
"Das sind Bücher, die aus irgendwelchen Kalkülen geschrieben wurden. Konstruierte Storys, bei denen der Plot wichtig ist, die mir wie intellektuelle Spiele vorkommen, die nicht richtig gelebt worden sind."
Bei seiner Behauptung, dass es kaum wirklich freie, das Risiko nicht scheuende Autoren gibt, möchte ich schon wieder nicken. Mir gefällt auch seine Definition von Erfolg. Da gäbe es den aus Verlegersicht (gut verkauft, womöglich gefeiert) und den aus Autorensicht (das Beste gegeben, ohne Kalkül). Wen von uns zerreisst es nicht manchmal zwischen diesen beiden Extremen?
"Das sind Bücher, die aus irgendwelchen Kalkülen geschrieben wurden. Konstruierte Storys, bei denen der Plot wichtig ist, die mir wie intellektuelle Spiele vorkommen, die nicht richtig gelebt worden sind."
Bei seiner Behauptung, dass es kaum wirklich freie, das Risiko nicht scheuende Autoren gibt, möchte ich schon wieder nicken. Mir gefällt auch seine Definition von Erfolg. Da gäbe es den aus Verlegersicht (gut verkauft, womöglich gefeiert) und den aus Autorensicht (das Beste gegeben, ohne Kalkül). Wen von uns zerreisst es nicht manchmal zwischen diesen beiden Extremen?
24. Juni 2009
Iran
Zitate von Augenzeugen:
@persiankiwi : "In Baharestan we saw militia with axe choping people like meat - blood everywhere - like butcher - Allah Akbar"
andere:
"They pull away the dead into trucks - like factory - no human can do this"
"people are hoarding the injured in their homes because they’re afraid of going to hospitals "
"Iran Secret Service destroying archives, accounting papers showing money sent to outside of Iran"
"situation today is terrible - they beat the peoples like animals"
"Various sources r telling us that Bahares Sq was a slaughterhouse today. Regime brutality escalated to massacre"
(Wer kein Englisch kann, Übersetzungsmaschine rechts im Menu benutzen)
Die sekündlich eintreffenden Berichte sprechen vom blutigsten Tag bisher. Unmenschliche Brutalität der Regierung. Das aktuellste Video bei youtube und Material bei CNN. Nichts für Couch-Potatoes...
Eine Zusammenfassung.
Und die letzten Katastrophen via Huffingtonpost (Kriegsrecht, Schießereien)
Ein Wort zu Drecksgeschäften. PR-Leute der Firma Habitat missbrauchten laut BBC die Widerstandskanäle bei Twitter, um dort Werbung für ihre Produkte abzusetzen. Auch wenn sich die Firmenleitung entschuldigt und nichts gewusst haben will (aber über Einbauen von #hashtags genau Bescheid weiß) - von denen kommt mir kein Produkt mehr ins Haus. Wie gierig, mies, klein und verächtlich kann man im Namen des Profits eigentlich noch werden?
Journalistischer Griff ins Klo: Weltwoche (via @ugugu)
@persiankiwi : "In Baharestan we saw militia with axe choping people like meat - blood everywhere - like butcher - Allah Akbar"
andere:
"They pull away the dead into trucks - like factory - no human can do this"
"people are hoarding the injured in their homes because they’re afraid of going to hospitals "
"Iran Secret Service destroying archives, accounting papers showing money sent to outside of Iran"
"situation today is terrible - they beat the peoples like animals"
"Various sources r telling us that Bahares Sq was a slaughterhouse today. Regime brutality escalated to massacre"
(Wer kein Englisch kann, Übersetzungsmaschine rechts im Menu benutzen)
Die sekündlich eintreffenden Berichte sprechen vom blutigsten Tag bisher. Unmenschliche Brutalität der Regierung. Das aktuellste Video bei youtube und Material bei CNN. Nichts für Couch-Potatoes...
Eine Zusammenfassung.
Und die letzten Katastrophen via Huffingtonpost (Kriegsrecht, Schießereien)
Ein Wort zu Drecksgeschäften. PR-Leute der Firma Habitat missbrauchten laut BBC die Widerstandskanäle bei Twitter, um dort Werbung für ihre Produkte abzusetzen. Auch wenn sich die Firmenleitung entschuldigt und nichts gewusst haben will (aber über Einbauen von #hashtags genau Bescheid weiß) - von denen kommt mir kein Produkt mehr ins Haus. Wie gierig, mies, klein und verächtlich kann man im Namen des Profits eigentlich noch werden?
Journalistischer Griff ins Klo: Weltwoche (via @ugugu)
Im Fieber
Zwischen Steuererklärung, Halsweh und Fieber passt nicht mehr viel Hirn. Kleiner Tipp für Lesewütige: In solchen Dürrezeiten gibt's rechts im Menu meist doch noch etwas Twittergeschwätz von mir (denn ich müsste schon halb tot sein, um schreibabstinent zu leben). Man muss kein Mitglied sein, noch ist mein account (follow-Link) öffentlich lesbar. (Was sich angesichts des Werbemülls allerdings ändern könnte).
Bei Twitter werde ich vor allem Kurznachrichten, Nebengedanken und Links los, für die sich kein eigener Blogbeitrag lohnt oder die Zeit nicht reicht, etwas Größeres daraus zu machen. Außerdem gefällt es mir, aus fragmentarischen Splittern Persönliches sprießen zu lassen (Ausrede für: Unsereins muss jede Schriftform ausprobieren), die Langform mit der Kurzform zu verbinden - und jede Menge Wissenswertes und Interessantes bei anderen zu finden.
Dementsprechend gibt's dort in loser Folge auch eigenen Rubriken:
#Rosen - Tipps und Tricks und Infos rund um Rosen
Landleben France - Einblicke ins Asterixdorf
Und ich geh mich jetzt kurieren, mit einem guten Buch natürlich! (Turgenjew, Erzählungen)
Bei Twitter werde ich vor allem Kurznachrichten, Nebengedanken und Links los, für die sich kein eigener Blogbeitrag lohnt oder die Zeit nicht reicht, etwas Größeres daraus zu machen. Außerdem gefällt es mir, aus fragmentarischen Splittern Persönliches sprießen zu lassen (Ausrede für: Unsereins muss jede Schriftform ausprobieren), die Langform mit der Kurzform zu verbinden - und jede Menge Wissenswertes und Interessantes bei anderen zu finden.
Dementsprechend gibt's dort in loser Folge auch eigenen Rubriken:
#Rosen - Tipps und Tricks und Infos rund um Rosen
Landleben France - Einblicke ins Asterixdorf
Und ich geh mich jetzt kurieren, mit einem guten Buch natürlich! (Turgenjew, Erzählungen)
Missbrauch, Öffentlichkeit, Unterricht
Missbrauch
Literaturcafé schreibt über den Skandal des Missbrauchs von Heidenreich und Reich-Ranicki. Dumm gelaufen, denn die bei der FAZ üblichen Buy-out-Verträge, bei denen sich Schreibende mit Haut und Haaren lebenslänglich verkaufen, beinhalten auch, dass die FAZ verkaufen kann, was und wem sie will. Wenn selbst eine der angesehendsten Feuilletonzeitungen allerdings nicht mehr unterscheiden kann, was ein seriöser Verlag ist, bleibt für fairlag noch viel Aufklärungsarbeit zu tun. Wer mit Buy-out-Vertrag schreibt, sollte jetzt spätestens den kompletten Grusel bekommen!
Druckfrisch: Elke Heidenreichs Stellungnahme
Öffentlichkeit
Kulturmanagement bringt eine österreichische Studie über Journalistenverhalten. Sie lässt tief blicken und fast vergessen, dass deutsche Journalisten mit Einführung von Google befürchteten, die mediale Wirklichkeit würde irgendwann durch eine ergoogelte ersetzt werden. Kahlschlag in den Redaktionen, schlechte Bezahlung von Freien und zunehmend Aufträge an Ungelernte weil billiger) hinterlassen Spuren. AutorInnen und andere Selbstdarsteller finden in dem Beitrag gute Tipps zur Gestaltung des Pressebereichs der Website (und da sollte auch ich mal endlich ran...)
Unterricht
Die PR-Frau in mir stöhnt häufig, wenn sie Webaktivitäten von KollegInnen betrachtet. Internet wird eher als Spielerei benutzt, man wähnt sich in einem privaten Wohnzimmer. Der eine weiß nichts um die Funktion und Wichtigkeit von Kommentaren in Blogs, der nächste verlinkt Blogs, die seit Monaten keinen Beitrag brachten, wieder ein anderer sammelt Links, die seinem Profil eher schaden und so mancher nutzt das Web 2.0 entweder als Monologabsonderungsmaschine oder Küchentisch. So viele Chancen werden verschenkt, dabei könnten die technischen Möglichkeiten preiswert und schnell ergänzen, was einige Presse- und Werbeabteilungen in Verlagen nicht mehr können oder wollen - wenn sie denn überhaupt existieren.
Jetzt gibt's Grundlagenunterricht für Kunst- und Kulturschaffende, die wissen wollen, was Web 2.0 überhaupt ist, welche technischen Formen es gibt - und was sich damit gezielt für die eigenen Arbeit anfangen lässt. Und zwar endlich so schön knapp, umfassend und allgemeinverständlich geschrieben, dass das auch ein Heimbastler wie ich versteht. Die Serie "Web 2.0 im Kulturbereich - Basiswissen" beginnt gerade bei stARTconference.
Literaturcafé schreibt über den Skandal des Missbrauchs von Heidenreich und Reich-Ranicki. Dumm gelaufen, denn die bei der FAZ üblichen Buy-out-Verträge, bei denen sich Schreibende mit Haut und Haaren lebenslänglich verkaufen, beinhalten auch, dass die FAZ verkaufen kann, was und wem sie will. Wenn selbst eine der angesehendsten Feuilletonzeitungen allerdings nicht mehr unterscheiden kann, was ein seriöser Verlag ist, bleibt für fairlag noch viel Aufklärungsarbeit zu tun. Wer mit Buy-out-Vertrag schreibt, sollte jetzt spätestens den kompletten Grusel bekommen!
Druckfrisch: Elke Heidenreichs Stellungnahme
Öffentlichkeit
Kulturmanagement bringt eine österreichische Studie über Journalistenverhalten. Sie lässt tief blicken und fast vergessen, dass deutsche Journalisten mit Einführung von Google befürchteten, die mediale Wirklichkeit würde irgendwann durch eine ergoogelte ersetzt werden. Kahlschlag in den Redaktionen, schlechte Bezahlung von Freien und zunehmend Aufträge an Ungelernte weil billiger) hinterlassen Spuren. AutorInnen und andere Selbstdarsteller finden in dem Beitrag gute Tipps zur Gestaltung des Pressebereichs der Website (und da sollte auch ich mal endlich ran...)
Unterricht
Die PR-Frau in mir stöhnt häufig, wenn sie Webaktivitäten von KollegInnen betrachtet. Internet wird eher als Spielerei benutzt, man wähnt sich in einem privaten Wohnzimmer. Der eine weiß nichts um die Funktion und Wichtigkeit von Kommentaren in Blogs, der nächste verlinkt Blogs, die seit Monaten keinen Beitrag brachten, wieder ein anderer sammelt Links, die seinem Profil eher schaden und so mancher nutzt das Web 2.0 entweder als Monologabsonderungsmaschine oder Küchentisch. So viele Chancen werden verschenkt, dabei könnten die technischen Möglichkeiten preiswert und schnell ergänzen, was einige Presse- und Werbeabteilungen in Verlagen nicht mehr können oder wollen - wenn sie denn überhaupt existieren.
Jetzt gibt's Grundlagenunterricht für Kunst- und Kulturschaffende, die wissen wollen, was Web 2.0 überhaupt ist, welche technischen Formen es gibt - und was sich damit gezielt für die eigenen Arbeit anfangen lässt. Und zwar endlich so schön knapp, umfassend und allgemeinverständlich geschrieben, dass das auch ein Heimbastler wie ich versteht. Die Serie "Web 2.0 im Kulturbereich - Basiswissen" beginnt gerade bei stARTconference.
23. Juni 2009
Dilemma
Brilliante Einsichten in das (Un)Wesen des Journalismus in der ZEIT. Gefunden via ugugu via Zappadong.
22. Juni 2009
Autoreninnereien
Heute ist die Steuererklärung dran, ein willkommener Anlass, sich ständig mit Internet abzulenken, weil der Arbeitstag eh vertan ist (Steuer und Kreativität vertragen sich irgendwie nicht). Also spicke ich, was berühmte Schriftsteller so zwitschern, wenn sie sich knapp fassen müssen und plaudern dürfen. Überraschend. Wer errät sie?
Einer hat mit 105 Followern jetzt genau so viele Leser wie bei seinem ersten Buch. Er belohnt sich mit Pizza für einen neuen Vertrag und lenkt sich im Internet von der Arbeit ab (1). Eine Berühmtheit sudelt in ihren Ejakulaten herum, dass die Langeweile der Attitüde ausbricht (2). Bei einem bekannten Denker regnet es nur, wenn er nicht gerade raucht (3). Ein ruhmreicher Star ist witzig und persönlich bis zur aufdringlichen Buchhändlerin (4). Einer - bekannt aus Funk und Fernsehen - sammelt nur Follower und gibt nichts - den raten wir nicht, reines Werbeunternehmen.
Und den Abschuss an Geschmack bietet Random-House mit einem twitternden Walter Kempowski. Wie tot muss man sein, damit man in Ruhe leben kann? Vorsicht, Schriftsteller, verkauft euch nicht mit Haut und Haaren an eure Verlage...
Die Auflösung:
1 - 2 - 3 - 4
Einer hat mit 105 Followern jetzt genau so viele Leser wie bei seinem ersten Buch. Er belohnt sich mit Pizza für einen neuen Vertrag und lenkt sich im Internet von der Arbeit ab (1). Eine Berühmtheit sudelt in ihren Ejakulaten herum, dass die Langeweile der Attitüde ausbricht (2). Bei einem bekannten Denker regnet es nur, wenn er nicht gerade raucht (3). Ein ruhmreicher Star ist witzig und persönlich bis zur aufdringlichen Buchhändlerin (4). Einer - bekannt aus Funk und Fernsehen - sammelt nur Follower und gibt nichts - den raten wir nicht, reines Werbeunternehmen.
Und den Abschuss an Geschmack bietet Random-House mit einem twitternden Walter Kempowski. Wie tot muss man sein, damit man in Ruhe leben kann? Vorsicht, Schriftsteller, verkauft euch nicht mit Haut und Haaren an eure Verlage...
Die Auflösung:
1 - 2 - 3 - 4
Verknappung
RF: Re-Fertilization, Rückbefruchtung. Was würde passieren, wenn wir morgen unsere Manuskriptideen nicht mehr in lange Exposés fassen, nicht mehr pitchen würden? Sondern nur noch 140 Zeichen in überlastete Lektorate senden dürften?
Der Selbstversuch über mein Nijinsky-Hörbuch lässt mir die Haare zu Berge stehen.
Der Selbstversuch über mein Nijinsky-Hörbuch lässt mir die Haare zu Berge stehen.
Journalistische Tugenden
Spielen mit dem Internet
Journalistische Tugenden: in alter Zopf für einen neuen Gig?
Ich liebe es, als absolutes Greenhorn und völlig unbedarft-naiv neue Dinge auszuprobieren, anfangs regelrecht damit zu spielen. In einer solch gelockerten, experimentellen Atmosphäre fallen mir Dinge auf, die mir später als altem Hasen entgehen dürften oder an die ich mich zu sehr gewöhnt haben könnte. Wie ich mir einst Nächte mit Computerspielen um die Ohren geschlagen habe, war gestern Schlecht-Wetter-Twittern als Newbie dran. Ein neues Spielzeug, für neugierige kommunikative Leute wie gemacht, mit allen Vor- und Nachteilen. Nur ein Spielzeug?
Erstaunlicherweise hat mich ausgerechnet dieses Spielen an meine Wurzeln erinnert, als ich im Volontärsunterricht zum ersten Mal den Ausdruck "journalistische Tugenden" hörte.
Beim Verfolgen von #iranelections wurde mir etwas bewusst, was heute scheinbar ein uralter Hut ist.
Der alte Hut
Seit die Menschheit Naturkenntnisse und mündliche Überlieferung oder schließlich Keilschrift und dann andere Schriften besaß, gilt:
Wissen / Information ist Macht. Wer die Mittel kontrolliert, Information zu konservieren, womöglich auszuwählen oder zu verteilen, hat die größte Macht. Der Zugang zur Partizipation wiederum hängt von drei Faktoren ab: 1. Bildung, 2. wirtschaftliche Situation, 3. Techniken.
Da hat sich nicht viel geändert in Tausenden von Jahren. Statt Tontafeln aus Mesopotamien Handys im Iran. Statt Keilschrift Bits & Bytes. Immer noch Übertragungen, aus dem Englischen in Farsi und umgekehrt, aus Bild in Text und Text ins Fernsehen. Augenzeugen, Wissende, Machthaber, Kontrolleure, Propaganda, Volktratsch, Unwissenheit, Dummheit, Klugheit. Vorschnelles Nachplappern, zähe Übernachdenklichkeit. Kadavergehorsam und Kritik und Kritik an der Kritik. Nichts hat sich verändert. Wir tun so, als seien wir eine Bildkultur, aber wir funktionieren nicht anders als die Schriftkulturen vor uns. Aber ist wirklich alles beim Alten?
Zugetickert
Als gestern in Windeseile die Falschmeldung von Mussawis angeblicher Verhaftung bei Twitter als Propaganda entlarvt wurde und die Quelle festgemacht, erinnerte es mich an die Zeiten, als unsereins als Journalist bei Krisen manchmal hilflos vor dem Ticker stand. Was heißt ein Ticker - es war ein riesiges Büro, in dem zwei Dutzend Maschinen Nachrichten wie Bandwürmer ausspien. Welche Nachrichten für den Redakteur auswählen? Welche davon würde der ins Blatt heben? Wie darüber nachdenken, dass unsere Auswahl ein Bild der Welt zeichnen würde, mit oft gravierenden Folgen, während das Ticken zum Dauergeräusch wird und Textmengen unfassbar werden?
Es gab natürlich Regeln, damit man als kleiner fehlbarer Mensch gegen die Informationsmaschinen ankam. Alle Papierbandwürmer abreißen, nichts unterschlagen oder wegwerfen. Dann das Gesetz der Nähe: Menschen müssen einen Punkt des Interesses finden, Identifikation / Nähe geht vor Größe. Das bedeutet: Im Ernstfall verdrängt der Autobahnunfall mit zwanzig Busreisenden bei Hintertupfingen tausende Tote in Bangladesh. Kommen gleichzeitig 20 Menschen in Südafrika beim Besuch eines deutschen Politikers um, verdrängt der wiederum die Hintertupfinger. Abwägen von Leben im Sekundentakt. Viele Kollegen brüht es ab, bestenfalls schärft man an der Arbeit seinen Zynismus.
Die alten Tugenden
Aber da waren ja noch die journalistischen Tugenden. Als ich vor einem Vierteljahrhundert lernte, waren wir noch stolz darauf und orientierten uns am guten alten BBC-Journalismus (den es so auch nicht mehr gibt). Objektiv, distanziert, erhaben über persönliche Interessen oder die der Anzeigenkunden.
Wähle nicht unbedacht, sei dir bei jeder Auswahl einer Nachricht, bei jeder Präsentation bewusst über mögliche Folgen. Verantworte deine Folgen. Fälsche durch Auswahl nicht die Realität. Gib ein möglichst breites Bild, zeige alle Seiten ohne persönliche Wertung, zeig auch das, was dir persönlich nicht passt. Lass den Leser / Zuhörer / Zuschauer sich ein eigenes Bild machen, indem du ihn so objektiv und umfassend wie möglich informierst.
Noch eine alte Tugend: Bleib unabhängig. Lass dich nicht vor fremde Karren spannen. Plappere nicht unbedacht Informationen nach. Prüfe deine Quellen! Frage dich immer: Cui bono - wem nützt es, dass dir ausgerechnet dies so mitgeteilt wird.
Ja, heute kaum zu glauben, aber wir prüften damals jede ins Blatt gehobene Agenturmeldung noch nach. Recherchierten zumindest an, ob sie verlässlich war oder bereits "Färbung" enthielt. Wenn wir über ihren objektiven Wahrheitsgehalt nicht sicher waren, schrieben wir das dazu oder kombinierten die Meldung mit einer Gegenmeldung. Jeder, der über Krisengebiete, Kriege und Katastrophen schrieb, wusste, dass es Interessensgruppen gab, Propaganda, Fehlinformationen. Und die, die sie in die Welt setzten, bedienten sich hemmungslos der Verteiler - der Journalisten. Wer Propaganda unwissentlich verbreitet, ist nicht besser als der Propagandist. Im Ernstfall kosten solche Meldungen Menschenleben.
Irgendwann waren viele Redaktionen überfordert, das alles so akribisch wie früher zu machen. Die Informationsflut wuchs, die Ticker wurden von leistungsstarken Computern überholt, die weltweite Vernetzung schuf neue Datenmengen. Gleichzeitig entließ man immer mehr Journalisten, ersetzte erfahrene Könner durch die billige Generation Praktikum und wollte vielleicht auch nur noch den Platz zwischen den Anzeigen schnell füllen. Noch heute leisten sich viele Zeitungen zwar weiterhin Sorgfaltspflicht und journalistische Verantwortung, aber unter erschwerten Bedingungen, mit weniger Personal, mit weniger erfahrenen Fachleuten.
Demokratisierung von Verantwortung
Gestern war ich dann erstaunt, die gleichen Worte wie von meinem Ausbilder bei Twitter zu hören: Prüft eure Quellen. Recherchiert, woher Aussagen kommen. Setzt nicht alles unüberlegt in RT (retweet = man zitiert andere). Seid euch über die Folgen eures Tweets ( = Mitteilung) bewusst. Seid euch bewusst, dass Nachrichten töten können. Überlegt, ob eine vermeintliche Nachricht Propaganda ist. Wisst, dass man Nachrichten (und Filme / Fotos) vorsätzlich fälschen kann. Informiert euch nach allen Seiten.
Etwas ist anders. Das sind keine Journalisten, die im Web Sorgfalt und Verantwortung anmahnen. Diesmal sind es Laien aus allen möglichen Berufen, denen wir in unserer Ausbildungszeit damals solche Gedanken nicht zugetraut hätten. Und ausgerechnet aus einem Land, das keinen uneingeschränkten Zugang zu den neuen Techniken und dem Internet hat, in dem ein riesiges Gefälle in Sachen Armut und Bildung herrscht, kommen die guten alten Tugenden der Informationsverarbeitung wieder in den ach so zivilisierten Westen der Welt.
Dort schläft man längst den Schlaf der Berieselten. Wir funktionieren nach Trends und spielen sorglos mit unseren Daten herum, offenbaren uns bis in die winzigsten Banalitäten jedem; ohne darüber nachzudenken, dass all diese Regeln auch für uns gelten könnten. Wissen und Information sind Macht. Noch missbaucht keiner beides. Stopp. Wie war das bei der Telecom, bei Lidl? Und wie viele Menschen sind entlassen worden, weil sie im Internet an falscher Stelle Spaß haben wollten? Wie sehr nimmt Internetstalking zu, wird im Netz Rufmord betrieben? Was könnten Riesen wie Google, wenn sie könnten? Wenn man mit Twitter eine Revolution organisieren kann, was könnte man damit an Unsäglichem anrichten? Alles wirklich nur ein lustiges Spiel?
Medienkompetenz nennt man diesen Umgang, schlaue Leute haben schon viel Schlaues und Dummes darüber geschrieben. Wer an der Informationsverbreitung teilnimmt, zahlt einen Preis: er steht jetzt selbst am Ticker. Kein freundlich hilfsbereiter Ausbilder nebenan. Kein Chefredakteur, der den Kopf hinhält. Grenzenlose Freiheit mit grenzenlosen Folgen.
Zukunftsmusik
Die Kritischen, die Erfahrenen, die Distanzierten sind da. Doch Hilfe kommt von allen Seiten, auch von den falschen. Trau, schau, wem. Irgendwie scheint sich das System selbst zu organisieren. Und so geschieht noch etwas, was es früher nicht gab: Als ich gestern die Nachrichten in der ARD sah, brach für mich die Welt in zwei Informationshälften. Denn die Realität aus dem Internet war längst eine andere als die im Fernsehen. Gibt es so wenige Berufskollegen, die die gute alte Technik des Vergleichens von Augenzeugenberichten (Internet) auf sich nehmen wollen / können / dürfen? Die vom Ticker abreißen, was geht und nachrecherchieren? Man muss ihnen zugute halten: Zu viele wurden längst entlassen oder "outgesourct". Die Bedingungen haben sich verschärft.
Es wird Zeit, dass auch das Volksgewusel aus dem Internet als eine Quelle von mehreren analysiert, hinterfragt und betrachtet wird. Es geht nicht mehr an, dass meine Freundin ohne Internetzugang in einer anderen Wirklichkeit lebt als ich. Die Demokratisierung der Informationswelt braucht nicht nur Eigenverantwortung eines jeden Teilnehmenden - sie braucht für eine beständige Zukunft auch Handreichung und Bildung durch diejenigen, die Chancen und Gefahren von Informationen kennen. Gegenseitige Hilfe und Aufklärung statt künstlicher Blockaden - die Menschen im Iran lehren es uns.
In solchen Momenten träume ich von einer kulturellen Revolution. An deren Ende der schreibende, fotografierende, filmende, sprechende Mensch sich wieder der Macht des Wortes bewusst ist und lieber einmal zu viel überlegt, was er verbreitet. Lustig, sich selbstorganisierende Informationssysteme auszudenken, die in Relevanz münden könnten...
Lesetipp:
Die Gefahren der neuen Technik: Was wäre, wenn man die Revolution umkehrt? (englisch, via @kulturmanager)
Journalistische Tugenden: in alter Zopf für einen neuen Gig?
Ich liebe es, als absolutes Greenhorn und völlig unbedarft-naiv neue Dinge auszuprobieren, anfangs regelrecht damit zu spielen. In einer solch gelockerten, experimentellen Atmosphäre fallen mir Dinge auf, die mir später als altem Hasen entgehen dürften oder an die ich mich zu sehr gewöhnt haben könnte. Wie ich mir einst Nächte mit Computerspielen um die Ohren geschlagen habe, war gestern Schlecht-Wetter-Twittern als Newbie dran. Ein neues Spielzeug, für neugierige kommunikative Leute wie gemacht, mit allen Vor- und Nachteilen. Nur ein Spielzeug?
Erstaunlicherweise hat mich ausgerechnet dieses Spielen an meine Wurzeln erinnert, als ich im Volontärsunterricht zum ersten Mal den Ausdruck "journalistische Tugenden" hörte.
Beim Verfolgen von #iranelections wurde mir etwas bewusst, was heute scheinbar ein uralter Hut ist.
Der alte Hut
Seit die Menschheit Naturkenntnisse und mündliche Überlieferung oder schließlich Keilschrift und dann andere Schriften besaß, gilt:
Wissen / Information ist Macht. Wer die Mittel kontrolliert, Information zu konservieren, womöglich auszuwählen oder zu verteilen, hat die größte Macht. Der Zugang zur Partizipation wiederum hängt von drei Faktoren ab: 1. Bildung, 2. wirtschaftliche Situation, 3. Techniken.
Da hat sich nicht viel geändert in Tausenden von Jahren. Statt Tontafeln aus Mesopotamien Handys im Iran. Statt Keilschrift Bits & Bytes. Immer noch Übertragungen, aus dem Englischen in Farsi und umgekehrt, aus Bild in Text und Text ins Fernsehen. Augenzeugen, Wissende, Machthaber, Kontrolleure, Propaganda, Volktratsch, Unwissenheit, Dummheit, Klugheit. Vorschnelles Nachplappern, zähe Übernachdenklichkeit. Kadavergehorsam und Kritik und Kritik an der Kritik. Nichts hat sich verändert. Wir tun so, als seien wir eine Bildkultur, aber wir funktionieren nicht anders als die Schriftkulturen vor uns. Aber ist wirklich alles beim Alten?
Zugetickert
Als gestern in Windeseile die Falschmeldung von Mussawis angeblicher Verhaftung bei Twitter als Propaganda entlarvt wurde und die Quelle festgemacht, erinnerte es mich an die Zeiten, als unsereins als Journalist bei Krisen manchmal hilflos vor dem Ticker stand. Was heißt ein Ticker - es war ein riesiges Büro, in dem zwei Dutzend Maschinen Nachrichten wie Bandwürmer ausspien. Welche Nachrichten für den Redakteur auswählen? Welche davon würde der ins Blatt heben? Wie darüber nachdenken, dass unsere Auswahl ein Bild der Welt zeichnen würde, mit oft gravierenden Folgen, während das Ticken zum Dauergeräusch wird und Textmengen unfassbar werden?
Es gab natürlich Regeln, damit man als kleiner fehlbarer Mensch gegen die Informationsmaschinen ankam. Alle Papierbandwürmer abreißen, nichts unterschlagen oder wegwerfen. Dann das Gesetz der Nähe: Menschen müssen einen Punkt des Interesses finden, Identifikation / Nähe geht vor Größe. Das bedeutet: Im Ernstfall verdrängt der Autobahnunfall mit zwanzig Busreisenden bei Hintertupfingen tausende Tote in Bangladesh. Kommen gleichzeitig 20 Menschen in Südafrika beim Besuch eines deutschen Politikers um, verdrängt der wiederum die Hintertupfinger. Abwägen von Leben im Sekundentakt. Viele Kollegen brüht es ab, bestenfalls schärft man an der Arbeit seinen Zynismus.
Die alten Tugenden
Aber da waren ja noch die journalistischen Tugenden. Als ich vor einem Vierteljahrhundert lernte, waren wir noch stolz darauf und orientierten uns am guten alten BBC-Journalismus (den es so auch nicht mehr gibt). Objektiv, distanziert, erhaben über persönliche Interessen oder die der Anzeigenkunden.
Wähle nicht unbedacht, sei dir bei jeder Auswahl einer Nachricht, bei jeder Präsentation bewusst über mögliche Folgen. Verantworte deine Folgen. Fälsche durch Auswahl nicht die Realität. Gib ein möglichst breites Bild, zeige alle Seiten ohne persönliche Wertung, zeig auch das, was dir persönlich nicht passt. Lass den Leser / Zuhörer / Zuschauer sich ein eigenes Bild machen, indem du ihn so objektiv und umfassend wie möglich informierst.
Noch eine alte Tugend: Bleib unabhängig. Lass dich nicht vor fremde Karren spannen. Plappere nicht unbedacht Informationen nach. Prüfe deine Quellen! Frage dich immer: Cui bono - wem nützt es, dass dir ausgerechnet dies so mitgeteilt wird.
Ja, heute kaum zu glauben, aber wir prüften damals jede ins Blatt gehobene Agenturmeldung noch nach. Recherchierten zumindest an, ob sie verlässlich war oder bereits "Färbung" enthielt. Wenn wir über ihren objektiven Wahrheitsgehalt nicht sicher waren, schrieben wir das dazu oder kombinierten die Meldung mit einer Gegenmeldung. Jeder, der über Krisengebiete, Kriege und Katastrophen schrieb, wusste, dass es Interessensgruppen gab, Propaganda, Fehlinformationen. Und die, die sie in die Welt setzten, bedienten sich hemmungslos der Verteiler - der Journalisten. Wer Propaganda unwissentlich verbreitet, ist nicht besser als der Propagandist. Im Ernstfall kosten solche Meldungen Menschenleben.
Irgendwann waren viele Redaktionen überfordert, das alles so akribisch wie früher zu machen. Die Informationsflut wuchs, die Ticker wurden von leistungsstarken Computern überholt, die weltweite Vernetzung schuf neue Datenmengen. Gleichzeitig entließ man immer mehr Journalisten, ersetzte erfahrene Könner durch die billige Generation Praktikum und wollte vielleicht auch nur noch den Platz zwischen den Anzeigen schnell füllen. Noch heute leisten sich viele Zeitungen zwar weiterhin Sorgfaltspflicht und journalistische Verantwortung, aber unter erschwerten Bedingungen, mit weniger Personal, mit weniger erfahrenen Fachleuten.
Demokratisierung von Verantwortung
Gestern war ich dann erstaunt, die gleichen Worte wie von meinem Ausbilder bei Twitter zu hören: Prüft eure Quellen. Recherchiert, woher Aussagen kommen. Setzt nicht alles unüberlegt in RT (retweet = man zitiert andere). Seid euch über die Folgen eures Tweets ( = Mitteilung) bewusst. Seid euch bewusst, dass Nachrichten töten können. Überlegt, ob eine vermeintliche Nachricht Propaganda ist. Wisst, dass man Nachrichten (und Filme / Fotos) vorsätzlich fälschen kann. Informiert euch nach allen Seiten.
Etwas ist anders. Das sind keine Journalisten, die im Web Sorgfalt und Verantwortung anmahnen. Diesmal sind es Laien aus allen möglichen Berufen, denen wir in unserer Ausbildungszeit damals solche Gedanken nicht zugetraut hätten. Und ausgerechnet aus einem Land, das keinen uneingeschränkten Zugang zu den neuen Techniken und dem Internet hat, in dem ein riesiges Gefälle in Sachen Armut und Bildung herrscht, kommen die guten alten Tugenden der Informationsverarbeitung wieder in den ach so zivilisierten Westen der Welt.
Dort schläft man längst den Schlaf der Berieselten. Wir funktionieren nach Trends und spielen sorglos mit unseren Daten herum, offenbaren uns bis in die winzigsten Banalitäten jedem; ohne darüber nachzudenken, dass all diese Regeln auch für uns gelten könnten. Wissen und Information sind Macht. Noch missbaucht keiner beides. Stopp. Wie war das bei der Telecom, bei Lidl? Und wie viele Menschen sind entlassen worden, weil sie im Internet an falscher Stelle Spaß haben wollten? Wie sehr nimmt Internetstalking zu, wird im Netz Rufmord betrieben? Was könnten Riesen wie Google, wenn sie könnten? Wenn man mit Twitter eine Revolution organisieren kann, was könnte man damit an Unsäglichem anrichten? Alles wirklich nur ein lustiges Spiel?
Medienkompetenz nennt man diesen Umgang, schlaue Leute haben schon viel Schlaues und Dummes darüber geschrieben. Wer an der Informationsverbreitung teilnimmt, zahlt einen Preis: er steht jetzt selbst am Ticker. Kein freundlich hilfsbereiter Ausbilder nebenan. Kein Chefredakteur, der den Kopf hinhält. Grenzenlose Freiheit mit grenzenlosen Folgen.
Zukunftsmusik
Die Kritischen, die Erfahrenen, die Distanzierten sind da. Doch Hilfe kommt von allen Seiten, auch von den falschen. Trau, schau, wem. Irgendwie scheint sich das System selbst zu organisieren. Und so geschieht noch etwas, was es früher nicht gab: Als ich gestern die Nachrichten in der ARD sah, brach für mich die Welt in zwei Informationshälften. Denn die Realität aus dem Internet war längst eine andere als die im Fernsehen. Gibt es so wenige Berufskollegen, die die gute alte Technik des Vergleichens von Augenzeugenberichten (Internet) auf sich nehmen wollen / können / dürfen? Die vom Ticker abreißen, was geht und nachrecherchieren? Man muss ihnen zugute halten: Zu viele wurden längst entlassen oder "outgesourct". Die Bedingungen haben sich verschärft.
Es wird Zeit, dass auch das Volksgewusel aus dem Internet als eine Quelle von mehreren analysiert, hinterfragt und betrachtet wird. Es geht nicht mehr an, dass meine Freundin ohne Internetzugang in einer anderen Wirklichkeit lebt als ich. Die Demokratisierung der Informationswelt braucht nicht nur Eigenverantwortung eines jeden Teilnehmenden - sie braucht für eine beständige Zukunft auch Handreichung und Bildung durch diejenigen, die Chancen und Gefahren von Informationen kennen. Gegenseitige Hilfe und Aufklärung statt künstlicher Blockaden - die Menschen im Iran lehren es uns.
In solchen Momenten träume ich von einer kulturellen Revolution. An deren Ende der schreibende, fotografierende, filmende, sprechende Mensch sich wieder der Macht des Wortes bewusst ist und lieber einmal zu viel überlegt, was er verbreitet. Lustig, sich selbstorganisierende Informationssysteme auszudenken, die in Relevanz münden könnten...
Lesetipp:
Die Gefahren der neuen Technik: Was wäre, wenn man die Revolution umkehrt? (englisch, via @kulturmanager)
21. Juni 2009
Iran im Sekundentakt
Wie sich das dann liest, wenn man einmal "drinnen" ist - erschütternd.
RT (Twitterkürzel), sozusagen Zitate, sekundenalt:
The ministry has dispatched teams to newspapers' printing-houses to censor what they wish. / Set your location to Tehran GMT +3.30. Apparently security forces use location/timezone searches to hunt Iranian bloggers. / Tehran Enghelab & the streets around it are full of Riot Police. No 1 can pass.Even in small alleys they R present. / already petrol shortages being reported / We are saddened to report LIFE's Iranian photojournalist is missing. / Google Earth is showing protests at street of Tehran. / VERIFIED - Moussavi arrested about ten minutes ago BBC CNN / There is absolutely NO report of Mousavi being arrested. Do NOT listen to Gov's rumours. / PLEASE STOP RT THAT MOUSAVI HAS BEEN ARRESTED, NO INDEPENDENT VERIFICATION OF THIS / Iranian authorities have asked the BBC's correspondent in Tehran to leave the country within 24 hours. BBC...
Früher hatten Journalisten solche Gefühle vor dem Ticker. Heute kann das jeder lesen, ob verifiziert oder nicht, lange vor den offiziellen Nachrichten.
Zu finden bei Twitter unter #iranelections
oder - es entstehen sogar neue schreiberische Formen: Der heutige Tag im Iran, in 500 Tweets erzählt.
Und immer wieder wichtig: Auch in Blogs keine Spuren legen, der iranische Geheimdienst u.a. Kräfte mischen jetzt im Internet kräftig mit, um Menschen zu verfolgen. Natürlich ohne Zugangsbeschränkungen. Entsprechend schwierig wird es, Aussagen zu verifizieren. Eine neue Internetbestie ist geboren: der "gov troll". Aber was man in Laienkreisen kaum für möglich hielt: Sie kontrollieren gegenseitig ihre Glaubwürdigkeit - denn hier geht es nicht um Quote, sondern um Leben.
RT (Twitterkürzel), sozusagen Zitate, sekundenalt:
The ministry has dispatched teams to newspapers' printing-houses to censor what they wish. / Set your location to Tehran GMT +3.30. Apparently security forces use location/timezone searches to hunt Iranian bloggers. / Tehran Enghelab & the streets around it are full of Riot Police. No 1 can pass.Even in small alleys they R present. / already petrol shortages being reported / We are saddened to report LIFE's Iranian photojournalist is missing. / Google Earth is showing protests at street of Tehran. / VERIFIED - Moussavi arrested about ten minutes ago BBC CNN / There is absolutely NO report of Mousavi being arrested. Do NOT listen to Gov's rumours. / PLEASE STOP RT THAT MOUSAVI HAS BEEN ARRESTED, NO INDEPENDENT VERIFICATION OF THIS / Iranian authorities have asked the BBC's correspondent in Tehran to leave the country within 24 hours. BBC...
Früher hatten Journalisten solche Gefühle vor dem Ticker. Heute kann das jeder lesen, ob verifiziert oder nicht, lange vor den offiziellen Nachrichten.
Zu finden bei Twitter unter #iranelections
oder - es entstehen sogar neue schreiberische Formen: Der heutige Tag im Iran, in 500 Tweets erzählt.
Und immer wieder wichtig: Auch in Blogs keine Spuren legen, der iranische Geheimdienst u.a. Kräfte mischen jetzt im Internet kräftig mit, um Menschen zu verfolgen. Natürlich ohne Zugangsbeschränkungen. Entsprechend schwierig wird es, Aussagen zu verifizieren. Eine neue Internetbestie ist geboren: der "gov troll". Aber was man in Laienkreisen kaum für möglich hielt: Sie kontrollieren gegenseitig ihre Glaubwürdigkeit - denn hier geht es nicht um Quote, sondern um Leben.
Madame Babbelwasser
Um Himmels Willen, nicht die auch noch! Doch. Ausgerechnet eine, die sich gegen den Wahn der Dauerkommunikation und ständigen Verfügbarkeit stemmt. Die sich dem Social Web gegenüber verdammt a-social zeigt. Die auch weiter keine Zeit zu verschenken hat. Die sich nicht kurz fassen kann.
Ich twittere unter http://twitter.com/buchfieber
Immerhin bin ich alt genug dafür.
Kulturmanagement hat Appetit gemacht.
Achmadingens und das deutsche Fernsehen sind schuld daran. Während dieses sich auf Allgemeinplätzen ausruhte und jener despotische menschenverachtende Brachialgewalt ausübt, fühle ich mich im Internet informierter. Und weil ich als Journalistin an der Berufskrankheit Neugier leide, konnte ich unmöglich draußen bleiben.
Vor allem aber: Ich bin chaotisch genug. In diesem Blog versuche ich, ein ausgeklügeltes Themenprofil zu halten. Das fühlt sich bereits an wie die Dressur eines Sacks voller Flöhe, weil ich nicht mal in meinen Büchern bei einem Thema bleiben kann. Wie tut es mir manchmal weh, wenn unpassende Schnipsel und Lieblingsthemen bei der Redaktionskonferenz mit mir selbst gekippt werden. Könnten sie nicht noch jemanden glücklich machen (vielleicht Tante Ernas Hund?)
Im Moment stell ich mich im Twitterkosmos noch reichlich blöd an. Ich will nicht verraten, wie lange ich nach dem Kästchen für die neuen Beiträge gesucht habe. Noch suche ich nach all den Leuten, die ich längst kenne und von denen ich glaube, sie seien längst dabei. Aber die machen das wohl wie ich und schreiben unter Pseudonym.
Ich mach es nämlich anders. Also so, wie viele andere auch.
Weil ich keine Zeit fürs Twittern habe, schicke ich die momentan arbeitslose Viola Beer los. Wie praktisch, dass man als Schriftsteller gespaltene Per..., ähm, Pseudonyme haben kann. Viola twittert also, während ich eisern diszipliniert Bücher schreibe und mich lieber in der langen Form des Blogs auslasse.
So kann ich ihr auch besser auf die Finger klopfen, wenn sie zu viel schwätzt. Außerdem rutschen ihr keine Banalitäten aus meiner Intimsphäre heraus, wie "zu wenig Kaffee im Zucker" oder "Klopapier alle".
Na, und die geldgierigen Datensammler und vereinigten Geheimdienste der Welt müssen sich ein klein bißchen mehr anstrengen.
Ich werde das Dingens beschränken. Dafür, dass ich nicht stundenlang Zeit für Dialoge habe, gibt's eine feine Ausrede: Noch weiß ich gar nicht, wie das geht und was man wie machen muss und nicht machen darf und trotzdem machen sollte.
Und natürlich erträume ich mir den gigantischen megaloelefantösextrapyramidalen Werbeeffekt für meine ungewisse Zukunft. Paolo Coelho followe ich aber trotzdem nicht.
Tipp: Die neuesten Tweets kann man rechts im Menu mitlesen.
Ich twittere unter http://twitter.com/buchfieber
Immerhin bin ich alt genug dafür.
Kulturmanagement hat Appetit gemacht.
Achmadingens und das deutsche Fernsehen sind schuld daran. Während dieses sich auf Allgemeinplätzen ausruhte und jener despotische menschenverachtende Brachialgewalt ausübt, fühle ich mich im Internet informierter. Und weil ich als Journalistin an der Berufskrankheit Neugier leide, konnte ich unmöglich draußen bleiben.
Vor allem aber: Ich bin chaotisch genug. In diesem Blog versuche ich, ein ausgeklügeltes Themenprofil zu halten. Das fühlt sich bereits an wie die Dressur eines Sacks voller Flöhe, weil ich nicht mal in meinen Büchern bei einem Thema bleiben kann. Wie tut es mir manchmal weh, wenn unpassende Schnipsel und Lieblingsthemen bei der Redaktionskonferenz mit mir selbst gekippt werden. Könnten sie nicht noch jemanden glücklich machen (vielleicht Tante Ernas Hund?)
Im Moment stell ich mich im Twitterkosmos noch reichlich blöd an. Ich will nicht verraten, wie lange ich nach dem Kästchen für die neuen Beiträge gesucht habe. Noch suche ich nach all den Leuten, die ich längst kenne und von denen ich glaube, sie seien längst dabei. Aber die machen das wohl wie ich und schreiben unter Pseudonym.
Ich mach es nämlich anders. Also so, wie viele andere auch.
Weil ich keine Zeit fürs Twittern habe, schicke ich die momentan arbeitslose Viola Beer los. Wie praktisch, dass man als Schriftsteller gespaltene Per..., ähm, Pseudonyme haben kann. Viola twittert also, während ich eisern diszipliniert Bücher schreibe und mich lieber in der langen Form des Blogs auslasse.
So kann ich ihr auch besser auf die Finger klopfen, wenn sie zu viel schwätzt. Außerdem rutschen ihr keine Banalitäten aus meiner Intimsphäre heraus, wie "zu wenig Kaffee im Zucker" oder "Klopapier alle".
Na, und die geldgierigen Datensammler und vereinigten Geheimdienste der Welt müssen sich ein klein bißchen mehr anstrengen.
Ich werde das Dingens beschränken. Dafür, dass ich nicht stundenlang Zeit für Dialoge habe, gibt's eine feine Ausrede: Noch weiß ich gar nicht, wie das geht und was man wie machen muss und nicht machen darf und trotzdem machen sollte.
Und natürlich erträume ich mir den gigantischen megaloelefantösextrapyramidalen Werbeeffekt für meine ungewisse Zukunft. Paolo Coelho followe ich aber trotzdem nicht.
Tipp: Die neuesten Tweets kann man rechts im Menu mitlesen.
20. Juni 2009
Hat Mainstream einen Ausgang?
Mal wieder Lust auf richtig klugen Lesestoff? Dann empfehle ich zum Wochenende den Artikel "Versuch über das Unübertragbare" von Susanne Göße im Parapluie.
Ihre These besticht: Wir leben demnach in einem Zeitalter der zunehmenden Übertragung und Übertragbarkeit, die alles vom Wert zum Geldwert erniedrige, Gleichmacherei betreibe und damit den Raum für Individualismus und kreative Schöpfung nimmt. Aber: "der " Akzent des Lebens und der Entwicklung" liege nicht auf dem Gleichen, sondern auf dem "absolut Eigenen.""
Autoren kennen "Übertragungen", wie sie Göße an anderen Beispielen bringt, aus der eigenen Arbeit: Eine Idee findet ihre adäquate Form, ein Buch wird in eine andere Sprache übersetzt oder verfilmt. Die ideale Übertragung arbeitet, das kennen wir von Literaturverfilmungen, immer mit einem Verlust, weil sie umformt und Neues schöpft. Andernfalls - das klingt zunächst banal - hätten wir es mit Kopien zu tun. Aber genau damit "dealt" unser auf den reinen Geldwert ausgerichtetes Zeitalter plötzlich noch viel lieber: mit den Kopien. Mit der Macht über die Kopien. Die Diskussion um das Google Books Settlement interessiert uns mehr als die Frage, wann Schriftsteller endlich wieder sehr individuelle und eigene Stoffe an Verlage verkaufen können.
Kommt uns Susanne Gößes Aussage aus der täglichen Arbeit nicht bekannt vor: "Im Zeitalter der Datenübertragung, der virtuellen Welten schrumpft durch die immer ausgereiftere Technik das schöpferische Moment naturgemäß immer mehr, das Verändernde soll möglichst gering gehalten werden und mit ihm der Verlust. Planung, Vorhersehbarkeit, Berechnung werden vorherrschend. Angestrebt wird das perfekte Duplikat, am besten in Echtzeit."
Susanne Göße sucht natürlich nach den Inseln, die der großen Superübertragbarkeit und Durchkommerzialisierung trotzen könnten. Kunst ist so ein Protestgebiet. Wie aber schafft man künstlerisch Eigenes, wenn der Wert des Künstlers am Warenwert seiner "Produkte" gemessen wird? Wie finden Individualisten im Massenmarkt überhaupt noch Gehör?
Schön liest sich ihre Gegenwartsbeschreibung nicht, aber treffend - Selbstausbeutung, prekäre Existenzen, zunehmende Vereinzelung unter den KünstlerInnen, die dem Malstrom der austauschbaren Beliebigkeit nicht folgen wollen oder können.
Zum Glück denkt Susanne Gößer nicht nur über die Kunst nach, sondern "überträgt" ihre Fragen auf alle Bereiche des Lebens. Sie findet dadurch eine nachdenklich stimmende Bestandsaufnahme unseres Ist-Zustands und zeigt emotionslos klar die Gefahren und Schlupflöcher auf. Liegt die Freiheit künftig, wie sie schreibt, in der Negierung, dem Sich-Entziehen? Wie aber wird der Stille dann im Heer der Brüllhälse noch gehört? Wie erobern wir uns die Freiheit des Individualismus zurück, bevor wir glattgebügelt sind? Wie werden wir wieder zu echten Schöpfern einer Kunst, einer Kultur, der Zukunft? Wo und wie lässt sich heute wirklich noch etwas bewegen - wo wird uns unsere Pseudomacht nur vorgegaukelt?
Der Artikel gibt keine einfachen Antworten. Er wirft eine Menge unbequemer Fragen auf und reizt zur Reaktion. Aber er sei jedem ans Herz gelegt, der fühlt, dass im jetzigen System etwas nicht stimmt - und vor allen denjenigen, die sich Gedanken darüber machen, wie sie selbst und ihre Arbeit weder mehr Bedeutung erlangen könnten, als nur ein austauschbares Cent-Rädchen im Getriebe zu sein. Und er gefällt mir vor allem deshalb, weil es Zeit wird, sich wieder mehr Fragen zu stellen und nicht jeden Trend unhinterfragt mitzumachen, nur weil man uns weismacht, wir würden sonst an der Zukunft nicht mehr teilhaben. Wo bleiben wir in dem Spiel?
Lesetipp:
Susanne Göße: Versuch über das Unübertragbare. Die Allmacht der Übertragung und die Inseln der Rebellion. In: E-Zeitschrift für Kulturen, Künste, Literaturen "parapluie"
Ihre These besticht: Wir leben demnach in einem Zeitalter der zunehmenden Übertragung und Übertragbarkeit, die alles vom Wert zum Geldwert erniedrige, Gleichmacherei betreibe und damit den Raum für Individualismus und kreative Schöpfung nimmt. Aber: "der " Akzent des Lebens und der Entwicklung" liege nicht auf dem Gleichen, sondern auf dem "absolut Eigenen.""
Autoren kennen "Übertragungen", wie sie Göße an anderen Beispielen bringt, aus der eigenen Arbeit: Eine Idee findet ihre adäquate Form, ein Buch wird in eine andere Sprache übersetzt oder verfilmt. Die ideale Übertragung arbeitet, das kennen wir von Literaturverfilmungen, immer mit einem Verlust, weil sie umformt und Neues schöpft. Andernfalls - das klingt zunächst banal - hätten wir es mit Kopien zu tun. Aber genau damit "dealt" unser auf den reinen Geldwert ausgerichtetes Zeitalter plötzlich noch viel lieber: mit den Kopien. Mit der Macht über die Kopien. Die Diskussion um das Google Books Settlement interessiert uns mehr als die Frage, wann Schriftsteller endlich wieder sehr individuelle und eigene Stoffe an Verlage verkaufen können.
Kommt uns Susanne Gößes Aussage aus der täglichen Arbeit nicht bekannt vor: "Im Zeitalter der Datenübertragung, der virtuellen Welten schrumpft durch die immer ausgereiftere Technik das schöpferische Moment naturgemäß immer mehr, das Verändernde soll möglichst gering gehalten werden und mit ihm der Verlust. Planung, Vorhersehbarkeit, Berechnung werden vorherrschend. Angestrebt wird das perfekte Duplikat, am besten in Echtzeit."
Susanne Göße sucht natürlich nach den Inseln, die der großen Superübertragbarkeit und Durchkommerzialisierung trotzen könnten. Kunst ist so ein Protestgebiet. Wie aber schafft man künstlerisch Eigenes, wenn der Wert des Künstlers am Warenwert seiner "Produkte" gemessen wird? Wie finden Individualisten im Massenmarkt überhaupt noch Gehör?
Schön liest sich ihre Gegenwartsbeschreibung nicht, aber treffend - Selbstausbeutung, prekäre Existenzen, zunehmende Vereinzelung unter den KünstlerInnen, die dem Malstrom der austauschbaren Beliebigkeit nicht folgen wollen oder können.
Zum Glück denkt Susanne Gößer nicht nur über die Kunst nach, sondern "überträgt" ihre Fragen auf alle Bereiche des Lebens. Sie findet dadurch eine nachdenklich stimmende Bestandsaufnahme unseres Ist-Zustands und zeigt emotionslos klar die Gefahren und Schlupflöcher auf. Liegt die Freiheit künftig, wie sie schreibt, in der Negierung, dem Sich-Entziehen? Wie aber wird der Stille dann im Heer der Brüllhälse noch gehört? Wie erobern wir uns die Freiheit des Individualismus zurück, bevor wir glattgebügelt sind? Wie werden wir wieder zu echten Schöpfern einer Kunst, einer Kultur, der Zukunft? Wo und wie lässt sich heute wirklich noch etwas bewegen - wo wird uns unsere Pseudomacht nur vorgegaukelt?
Der Artikel gibt keine einfachen Antworten. Er wirft eine Menge unbequemer Fragen auf und reizt zur Reaktion. Aber er sei jedem ans Herz gelegt, der fühlt, dass im jetzigen System etwas nicht stimmt - und vor allen denjenigen, die sich Gedanken darüber machen, wie sie selbst und ihre Arbeit weder mehr Bedeutung erlangen könnten, als nur ein austauschbares Cent-Rädchen im Getriebe zu sein. Und er gefällt mir vor allem deshalb, weil es Zeit wird, sich wieder mehr Fragen zu stellen und nicht jeden Trend unhinterfragt mitzumachen, nur weil man uns weismacht, wir würden sonst an der Zukunft nicht mehr teilhaben. Wo bleiben wir in dem Spiel?
Lesetipp:
Susanne Göße: Versuch über das Unübertragbare. Die Allmacht der Übertragung und die Inseln der Rebellion. In: E-Zeitschrift für Kulturen, Künste, Literaturen "parapluie"
19. Juni 2009
Die Krux mit der GEMA
Was haben Schriftsteller mit der GEMA zu tun? Mehr als ihnen manchmal lieb ist. Wer zu Lesungen eingeladen wird, muss sich eigentlich keinen Kopf darum machen, was die GEMA fordert und was nicht, nur weil ein Flötenschüler und GEMA-Mitglied nebenbei Selbstkomponiertes bläst. Wer aber wie ich z.B. Veranstaltungen plant, die über das Lesen des eigenen Buches hinausgehen oder bei freien Veranstaltern stattfinden, wer womöglich selbst organisieren muss, der wird sich zeitweise wundern, warum es an solchen Auftrittsmöglichkeiten mangelt - oder warum der Veranstalter den Musiker ablehnt, obwohl der doch der beste Kumpel des Schriftstellers ist.
Wir kennen es von der VG Wort und Bild: Für gewisse Leistungen, die aus unseren Rechten erwachsen, stehen uns Tantiemen zu. So muss z.B. eine Lesung, bei der ich einen urheberrechtlich geschützten Text von anderen Autoren vortrage, nicht nur mit diesen abgesprochen werden, sondern auch bei der VG Wort gemeldet werden. Selbst wenn ich den Autor nicht zu entlohnen brauche, stehen ihm nämlich für die Verbreitung seines Werks Tantiemen zu. Logisch, einfach, tut nicht weh.
Man sollte meinen, mit der GEMA, die für die Musik zuständig ist, funktioniert das genauso. Nein, die machen das komplizierter - gerade die Nichtprofis unter den Veranstaltern verstehen selten, wie's wirklich funktioniert. Und oft ist es so teuer und aufwändig, dass viele Veranstalter inzwischen grundsätzlich Nein sagen: Keine Musik mehr.
Ich selbst kenne mich zu wenig mit dem Thema aus, erlebe die Wehen aber bei Auftritten immer wieder am Rande mit. Ich kenne Musiker, die schon aus der GEMA ausgetreten sind, weil sie sich als Mitorganisatoren und Mitveranstalter für die eigenen Werke dumm gezahlt haben sollen. Ich kenne Veranstalter, die an der Berechnung der Zahlungen nach der Raumgröße schier verzweifeln. Die alten Wirtschaften mit kleiner Bühne und riesigem Saal von früher auf dem Land - unbezahlbar. Zwanzig Gäste - lieber in einen engen miefigen Raum gesperrt als in eine lichte luftige Scheune.
Falls es dann doch einmal ein wenig Musik gibt, wird genau an dem gespart, der eigentlich durch seine Verwertungsgesellschaft einen Vorteil haben sollte: am Künstler. Immer mehr Kleinveranstalter specken ihr Programm ab, weil ihnen die Künstlerhonorare neben den hohen GEMA-Gebühren zu teuer werden.
Wen es betrifft oder wer sich solidarisieren möchte, der findet hier eine online-Petition an den Deutschen Bundestag (läuft bis 17.7.2009), die bewirken soll, dass die Modalitäten der GEMA überprüft und modernisiert werden. Weitersagen erlaubt... (gefunden bei oxnzeam)
Kleines Schmankerl am Rande: Ich bin immer wieder überrascht, wo die Undercover-Prüfer der GEMA so zu finden sind. Wirklich bei jeder Popelveranstaltung im hinterletzten Kuhstall auf der Juchhé tauchen sie unverhofft auf. Wenn die so viele Mitarbeiter bezahlen müssen, ist klar, dass da tüchtig Geld hereinkommen muss... Wäre vielleicht eine Alternative für arbeitslose Musiker?
Wir kennen es von der VG Wort und Bild: Für gewisse Leistungen, die aus unseren Rechten erwachsen, stehen uns Tantiemen zu. So muss z.B. eine Lesung, bei der ich einen urheberrechtlich geschützten Text von anderen Autoren vortrage, nicht nur mit diesen abgesprochen werden, sondern auch bei der VG Wort gemeldet werden. Selbst wenn ich den Autor nicht zu entlohnen brauche, stehen ihm nämlich für die Verbreitung seines Werks Tantiemen zu. Logisch, einfach, tut nicht weh.
Man sollte meinen, mit der GEMA, die für die Musik zuständig ist, funktioniert das genauso. Nein, die machen das komplizierter - gerade die Nichtprofis unter den Veranstaltern verstehen selten, wie's wirklich funktioniert. Und oft ist es so teuer und aufwändig, dass viele Veranstalter inzwischen grundsätzlich Nein sagen: Keine Musik mehr.
Ich selbst kenne mich zu wenig mit dem Thema aus, erlebe die Wehen aber bei Auftritten immer wieder am Rande mit. Ich kenne Musiker, die schon aus der GEMA ausgetreten sind, weil sie sich als Mitorganisatoren und Mitveranstalter für die eigenen Werke dumm gezahlt haben sollen. Ich kenne Veranstalter, die an der Berechnung der Zahlungen nach der Raumgröße schier verzweifeln. Die alten Wirtschaften mit kleiner Bühne und riesigem Saal von früher auf dem Land - unbezahlbar. Zwanzig Gäste - lieber in einen engen miefigen Raum gesperrt als in eine lichte luftige Scheune.
Falls es dann doch einmal ein wenig Musik gibt, wird genau an dem gespart, der eigentlich durch seine Verwertungsgesellschaft einen Vorteil haben sollte: am Künstler. Immer mehr Kleinveranstalter specken ihr Programm ab, weil ihnen die Künstlerhonorare neben den hohen GEMA-Gebühren zu teuer werden.
Wen es betrifft oder wer sich solidarisieren möchte, der findet hier eine online-Petition an den Deutschen Bundestag (läuft bis 17.7.2009), die bewirken soll, dass die Modalitäten der GEMA überprüft und modernisiert werden. Weitersagen erlaubt... (gefunden bei oxnzeam)
Kleines Schmankerl am Rande: Ich bin immer wieder überrascht, wo die Undercover-Prüfer der GEMA so zu finden sind. Wirklich bei jeder Popelveranstaltung im hinterletzten Kuhstall auf der Juchhé tauchen sie unverhofft auf. Wenn die so viele Mitarbeiter bezahlen müssen, ist klar, dass da tüchtig Geld hereinkommen muss... Wäre vielleicht eine Alternative für arbeitslose Musiker?
Leseratten sterben nicht aus
Die Studie "Das Buch im Medienportfolio" (via autorenexpress) bringt es an den Tag: Leserinnen und Leser sterben nicht aus. Inzwischen hat nämlich sogar das noch hauptsächlich schriftbasierte Internet das Fernsehen als beliebtes Medium überholt - es steht auf Platz eins, gefolgt vom Fernsehen und dann vom Buch.
Genauso wie ich sucht sich derzeit jedes Medium die passenden Aussagen heraus, nachzulesen im Spiegel, im Börsenblatt, beim Börsenverein. Wer sich jenseits der Interpretationen und Auswahlfilter ein eigenes Bild machen will, findet die Originalstudie als frei zugängliche Zusammenfassung in einem pdf hier - Mitglieder des Börsenvereins können die komplette Studie hier downloaden.
Denn die Deutungen sind so vielfältig wie ein Glas halb voll oder halb leer ist. Muss man sich Sorgen machen, dass das Lesen von Büchern auf Platz drei steht? Oder gibt es Hoffnung zu hören, dass die Menschen eben immer stärkere Mediennutzer werden, zwischen den Medien springen und noch mehr Texte lesen als früher? Interessant, damit eine andere Studie zu vergleichen (via textguerilla), die sich mit dem Verhältnis der Deutschen zu ihrer Sprache beschäftigt. Darin heißt es, Lesen im Internet hemme das Interesse an Büchern nicht - im Gegenteil:
"Menschen, die häufig im Internet lesen, zeigen insgesamt ein intensiveres Leseverhalten. Sie nutzen häufiger deutsche Wörterbücher und lesen häufiger Bücher, Zeitungen und Zeitschriften. Hinweise darauf, dass der Internetkonsum dazu führt, dass weniger Bücher gelesen werden, finden sich in der Studie nicht."
Interessant fand ich, dass sich das Interesse an Büchern sehr viel stärker fragmentarisiert als gedacht - es gibt die typische Leserin aus Lektoratsvorstellungen also nicht. Leser sind sehr vielschichtige Wesen und werden ganz offensichtlich vom Buchmarkt nicht immer passend bedient. Schaut man sich die unterschiedlichen Lesetypen an, so bleibt jede Menge Nachholbedarf bei den jüngeren (bis 50) männlichen Internet-Freaks - für die es zu wenig ansprechende Bücher zu geben scheint. Sie lesen weniger Bücher, nicht weil sie diese nicht mögen. Sie lesen weniger Bücher, weil ihr bevorzugter Lesestoff öfter online zu finden ist. Vielversprechend für Marketingexperten wäre außerdem der Hinweis, dass man das Buch wieder zum Statussymbol aufwerten könnte - wie es das z.B. bei den Österreichern ist, die darum auch am liebsten Hardcover kaufen.
Mich persönlich freut es natürlich ganz besonders, dass Sachbücher bei den beliebtesten Genres auf Rang 2 stehen, gleich hinter den Krimis und noch vor historischen Romanen, die hinter Kochbüchern, Fachbüchern und Ratgebern auf dem 6. Platz zu finden sind. Sachbücher sind außerdem ein Genre, das von beiden Geschlechtern gelesen wird und selbst männliche Lesemuffel anspricht.
Warum ich das so ungewöhnlich finde? Im Schreiballtag wird einem oft ein anderes Bild vermittelt. Sachbuchautoren gelten gern als "Beta-Autoren" gegenüber den Belletristikern. Selbst in Verlagskreisen wird oft die Saga erzählt, Romane würden "besser drehen". Denkste. Wenn ich jetzt den Renner "Sachbuch" mit dem Topstar "Internet" zusammendenke - welch spannende Möglichkeiten...
Seltsam finde ich, dass "echte" Literatur nicht vorzukommen scheint. Also all die Bücher, die in kein Genre einzuordnen sind. Aber noch habe ich die Originalstudie nicht angeschaut. Dass sich die Medien jedenfalls nur auf die Unterhaltungsindustrie stürzen, gibt zu denken. Lesen wir wirklich nur noch Kochbücher und Liebesromane?
Genauso wie ich sucht sich derzeit jedes Medium die passenden Aussagen heraus, nachzulesen im Spiegel, im Börsenblatt, beim Börsenverein. Wer sich jenseits der Interpretationen und Auswahlfilter ein eigenes Bild machen will, findet die Originalstudie als frei zugängliche Zusammenfassung in einem pdf hier - Mitglieder des Börsenvereins können die komplette Studie hier downloaden.
Denn die Deutungen sind so vielfältig wie ein Glas halb voll oder halb leer ist. Muss man sich Sorgen machen, dass das Lesen von Büchern auf Platz drei steht? Oder gibt es Hoffnung zu hören, dass die Menschen eben immer stärkere Mediennutzer werden, zwischen den Medien springen und noch mehr Texte lesen als früher? Interessant, damit eine andere Studie zu vergleichen (via textguerilla), die sich mit dem Verhältnis der Deutschen zu ihrer Sprache beschäftigt. Darin heißt es, Lesen im Internet hemme das Interesse an Büchern nicht - im Gegenteil:
"Menschen, die häufig im Internet lesen, zeigen insgesamt ein intensiveres Leseverhalten. Sie nutzen häufiger deutsche Wörterbücher und lesen häufiger Bücher, Zeitungen und Zeitschriften. Hinweise darauf, dass der Internetkonsum dazu führt, dass weniger Bücher gelesen werden, finden sich in der Studie nicht."
Interessant fand ich, dass sich das Interesse an Büchern sehr viel stärker fragmentarisiert als gedacht - es gibt die typische Leserin aus Lektoratsvorstellungen also nicht. Leser sind sehr vielschichtige Wesen und werden ganz offensichtlich vom Buchmarkt nicht immer passend bedient. Schaut man sich die unterschiedlichen Lesetypen an, so bleibt jede Menge Nachholbedarf bei den jüngeren (bis 50) männlichen Internet-Freaks - für die es zu wenig ansprechende Bücher zu geben scheint. Sie lesen weniger Bücher, nicht weil sie diese nicht mögen. Sie lesen weniger Bücher, weil ihr bevorzugter Lesestoff öfter online zu finden ist. Vielversprechend für Marketingexperten wäre außerdem der Hinweis, dass man das Buch wieder zum Statussymbol aufwerten könnte - wie es das z.B. bei den Österreichern ist, die darum auch am liebsten Hardcover kaufen.
Mich persönlich freut es natürlich ganz besonders, dass Sachbücher bei den beliebtesten Genres auf Rang 2 stehen, gleich hinter den Krimis und noch vor historischen Romanen, die hinter Kochbüchern, Fachbüchern und Ratgebern auf dem 6. Platz zu finden sind. Sachbücher sind außerdem ein Genre, das von beiden Geschlechtern gelesen wird und selbst männliche Lesemuffel anspricht.
Warum ich das so ungewöhnlich finde? Im Schreiballtag wird einem oft ein anderes Bild vermittelt. Sachbuchautoren gelten gern als "Beta-Autoren" gegenüber den Belletristikern. Selbst in Verlagskreisen wird oft die Saga erzählt, Romane würden "besser drehen". Denkste. Wenn ich jetzt den Renner "Sachbuch" mit dem Topstar "Internet" zusammendenke - welch spannende Möglichkeiten...
Seltsam finde ich, dass "echte" Literatur nicht vorzukommen scheint. Also all die Bücher, die in kein Genre einzuordnen sind. Aber noch habe ich die Originalstudie nicht angeschaut. Dass sich die Medien jedenfalls nur auf die Unterhaltungsindustrie stürzen, gibt zu denken. Lesen wir wirklich nur noch Kochbücher und Liebesromane?
18. Juni 2009
Safer S..
Bewusst Nichtgebärende kennen das Gefühl sicher: Plötzlich kommt der Frühling, der letzte Stromausfall ist neun Monate her oder die Maikäfer fliegen. Warum es gerade jetzt passiert, weiß so recht keine, aber man ist umringt von Hochschwangeren oder frisch gebackenen Muttis. Und dann steht Frau machtlos da, umzingelt von Fachgesprächen über Steißgeburten, Sodbrennen und Namenswahl, bekommt die Zehen von Kleinchen vorgezählt oder erfährt, dass der noch nicht geborene Wonneproppen bereits professorale Talente zeigt.
Lacht nicht. Kinderlose Schriftstellerinnen haben es doppelt schwer, denn die Kolleginnen gebären nicht nur Kinder mit Kopf, Beinen und Armen, sondern auch Buchprojekte, z.B. hier und da. Derzeit gibt es wieder eine Baby-Explosion. Und wenn frau sich einer gewissen Schwelle im Frausein nähert, macht sie sich natürlich massiv Gedanken: Ist es jetzt auch bald für die Karriere zu spät? Was mache ich, wenn der verdammte Buchsprung ausbleibt und sich die Musenhormone langsam verabschieden? Können mir Nachtkerzenöle heimleuchten? Braucht mein Manuskript vielleicht nur noch ein wenig Omega 3, um angenommen zu werden? Sind die Schwitzanfälle vor Bewerbungen normal? Sollte ich es lieber beim Frauenarzt einreichen statt bei einem herkömmlichen Verlag?
Zum Glück habe ich all diese Weiberprobleme nicht. Nach dem ersten Musenkuss wird erst mal wild und hemmungslos einer draufgemacht, mit viel Genuss und wenig Reue. Der Musenkuss kann nämlich noch so erregend sein, die meisten Ideen taugen doch nur für eine Nacht - und die möchte man beim Aufwachen und Frühstücken nicht mehr unbedingt sehen. Sollte die Erotik dann doch nachhaltiger knistern, heißt es zupacken. So mancher geile Entwurf ist derart flüchtig, dass man ihn gern ein Weilchen an den Schreibtisch kettet.
Ich empfehle sogar Schutz und Verhütung! Wer will schon jedes Mal nach gelungenem Vergnügen Serie schreiben oder sich einen von diesen permanent juckenden Plots holen... Sagen wir es laut und deutlich: Am ungeschützten Schriftstellern ist nicht nur Balzac gestorben! Hört nicht auf Verlage, die raten, die Pille wegzulassen - das sind genau die, bei denen man dann im Neun-Wochen-Takt Bestellware runterreißen kann. Und das manchmal für Honorare, die selbst illegal auf der Straße unverschämt wären.
Nicht mal abtreiben kann man die Bälger. Aufgrund von höherem Mütterrat habe ich das mal versucht. Eines Nachts stand diese Tussi mit ihrem Projekt vor mir und hauchte: Nimm mich! Ich hatte gerade nichts Besseres zu tun, sie hatte diese betörenden grauen Augen, ich warf mich in eine Beziehung. Um nach vier Wochen zu merken, dass uns die Realität überholt hatte. Das war nichts fürs Leben. Schluss. Nach höherem Mutterrat wäre das theoretisch eine Abtreibung gewesen. Dann hätte aber Ruhe sein müssen! Ich hätte ja was drum gegeben, wenn das nur ein ungeborener Zellhaufen gewesen wäre.
Aber keinen Monat später stand die Schlampe unter falschem Namen vor meiner Tür und wollte mit mir Leichen beschauen! Ich bin ja immer aufgeschlossen für Neues, aber nach über 200 Seiten habe ich sie an die Luft gesetzt. Was soll ich mit so einem morbiden Weib, das mich obendrein plötzlich aufs Standesamt schleppen wollte, so von wegen "fürs Leben" und "auf immer und ewig dein". Mit mir nicht. Ich bin erst mal in die Kneipen geschlichen, Junggesellenfreiheit feiern, und hab mir tüchtig Wodka reingeballert. Hätte vielleicht auf die Sorte achten sollen. Naja, sie heißt Weronika, hat wieder diese verdammt tollen runden Augen und dunkle kurze Haare, und ich glaube, wir zwei halten es so ungefähr ein Jahr lang miteinander aus. Vielleicht länger.
Weil sie nicht so tut, als wolle sie mein Baby sein (und mir womöglich länger als geliebt an der Backe kleben). Die Frau steht so auf eigenen Füßen, dass ich sie die nächsten Monate nur sporadisch mal besuche. Für eine Nacht, vielleicht auch mal drei. Im Moment treibe ich's ja lieber mit Balletttänzern. Sie versteht das und sammelt derweil Fische. Hach, was werden wir später miteinander... ! Und irgendwann ist es so weit: Dann suche ich eins von diesen Häusern, die sie auf die Straße schicken werden, damit du auch was davon hast und du und du auch.
Ganz ehrlich: Ich bin froh, keins von diesen Lebewesen zu sein, die wie die Jungfrau zum Buch kommen. Unsereins kriegt höchstens mal einen ordentlichen Kater und nicht gleich eine postnatale Depression. Mich macht Bücherschreiben nicht fett und kotzen könnte ich höchstens über Absagen. Ich tapp auch manchmal einfach so rein. So wie jetzt mit dem Nijinsky.
Was ich aber total pervers finde, das sind diese Verträge mit Abgabetermin. Ich finde, das ist doch nicht normal, dass unsereins sich erst austoben kann und dann punkt Uhrschlag die Quelle der Lust an wildfremde Leute in Verlagen weitergeben soll. Nur damit die auch mal können. Manche sind so schlimm drauf, dass sie auch noch Sonderwünsche haben: "Schmeiss mir ne starke Frau rüber" (heimliche Freude vor allem bei Lektorinnen). "Ich tät's ja zu gern mal mit 'nem Vampir...". "Mach's sanfter." Ob deshalb so viele Romane ein Happy End haben?
Sollen die mal nur heiraten da draußen. Von mir aus sich auch fleißig Babys machen lassen. Ich greif mir dann die willigen Projekte ... und am liebsten gleich zwei auf einmal.
Lacht nicht. Kinderlose Schriftstellerinnen haben es doppelt schwer, denn die Kolleginnen gebären nicht nur Kinder mit Kopf, Beinen und Armen, sondern auch Buchprojekte, z.B. hier und da. Derzeit gibt es wieder eine Baby-Explosion. Und wenn frau sich einer gewissen Schwelle im Frausein nähert, macht sie sich natürlich massiv Gedanken: Ist es jetzt auch bald für die Karriere zu spät? Was mache ich, wenn der verdammte Buchsprung ausbleibt und sich die Musenhormone langsam verabschieden? Können mir Nachtkerzenöle heimleuchten? Braucht mein Manuskript vielleicht nur noch ein wenig Omega 3, um angenommen zu werden? Sind die Schwitzanfälle vor Bewerbungen normal? Sollte ich es lieber beim Frauenarzt einreichen statt bei einem herkömmlichen Verlag?
Zum Glück habe ich all diese Weiberprobleme nicht. Nach dem ersten Musenkuss wird erst mal wild und hemmungslos einer draufgemacht, mit viel Genuss und wenig Reue. Der Musenkuss kann nämlich noch so erregend sein, die meisten Ideen taugen doch nur für eine Nacht - und die möchte man beim Aufwachen und Frühstücken nicht mehr unbedingt sehen. Sollte die Erotik dann doch nachhaltiger knistern, heißt es zupacken. So mancher geile Entwurf ist derart flüchtig, dass man ihn gern ein Weilchen an den Schreibtisch kettet.
Ich empfehle sogar Schutz und Verhütung! Wer will schon jedes Mal nach gelungenem Vergnügen Serie schreiben oder sich einen von diesen permanent juckenden Plots holen... Sagen wir es laut und deutlich: Am ungeschützten Schriftstellern ist nicht nur Balzac gestorben! Hört nicht auf Verlage, die raten, die Pille wegzulassen - das sind genau die, bei denen man dann im Neun-Wochen-Takt Bestellware runterreißen kann. Und das manchmal für Honorare, die selbst illegal auf der Straße unverschämt wären.
Nicht mal abtreiben kann man die Bälger. Aufgrund von höherem Mütterrat habe ich das mal versucht. Eines Nachts stand diese Tussi mit ihrem Projekt vor mir und hauchte: Nimm mich! Ich hatte gerade nichts Besseres zu tun, sie hatte diese betörenden grauen Augen, ich warf mich in eine Beziehung. Um nach vier Wochen zu merken, dass uns die Realität überholt hatte. Das war nichts fürs Leben. Schluss. Nach höherem Mutterrat wäre das theoretisch eine Abtreibung gewesen. Dann hätte aber Ruhe sein müssen! Ich hätte ja was drum gegeben, wenn das nur ein ungeborener Zellhaufen gewesen wäre.
Aber keinen Monat später stand die Schlampe unter falschem Namen vor meiner Tür und wollte mit mir Leichen beschauen! Ich bin ja immer aufgeschlossen für Neues, aber nach über 200 Seiten habe ich sie an die Luft gesetzt. Was soll ich mit so einem morbiden Weib, das mich obendrein plötzlich aufs Standesamt schleppen wollte, so von wegen "fürs Leben" und "auf immer und ewig dein". Mit mir nicht. Ich bin erst mal in die Kneipen geschlichen, Junggesellenfreiheit feiern, und hab mir tüchtig Wodka reingeballert. Hätte vielleicht auf die Sorte achten sollen. Naja, sie heißt Weronika, hat wieder diese verdammt tollen runden Augen und dunkle kurze Haare, und ich glaube, wir zwei halten es so ungefähr ein Jahr lang miteinander aus. Vielleicht länger.
Weil sie nicht so tut, als wolle sie mein Baby sein (und mir womöglich länger als geliebt an der Backe kleben). Die Frau steht so auf eigenen Füßen, dass ich sie die nächsten Monate nur sporadisch mal besuche. Für eine Nacht, vielleicht auch mal drei. Im Moment treibe ich's ja lieber mit Balletttänzern. Sie versteht das und sammelt derweil Fische. Hach, was werden wir später miteinander... ! Und irgendwann ist es so weit: Dann suche ich eins von diesen Häusern, die sie auf die Straße schicken werden, damit du auch was davon hast und du und du auch.
Ganz ehrlich: Ich bin froh, keins von diesen Lebewesen zu sein, die wie die Jungfrau zum Buch kommen. Unsereins kriegt höchstens mal einen ordentlichen Kater und nicht gleich eine postnatale Depression. Mich macht Bücherschreiben nicht fett und kotzen könnte ich höchstens über Absagen. Ich tapp auch manchmal einfach so rein. So wie jetzt mit dem Nijinsky.
Was ich aber total pervers finde, das sind diese Verträge mit Abgabetermin. Ich finde, das ist doch nicht normal, dass unsereins sich erst austoben kann und dann punkt Uhrschlag die Quelle der Lust an wildfremde Leute in Verlagen weitergeben soll. Nur damit die auch mal können. Manche sind so schlimm drauf, dass sie auch noch Sonderwünsche haben: "Schmeiss mir ne starke Frau rüber" (heimliche Freude vor allem bei Lektorinnen). "Ich tät's ja zu gern mal mit 'nem Vampir...". "Mach's sanfter." Ob deshalb so viele Romane ein Happy End haben?
Sollen die mal nur heiraten da draußen. Von mir aus sich auch fleißig Babys machen lassen. Ich greif mir dann die willigen Projekte ... und am liebsten gleich zwei auf einmal.
Prekariat satt
Wien, 22.-23.6.2009: Konferenz "Prekäre Perspektiven. Zur sozialen Lage von Kreativen" Eine Studie über die prekäre Lage der Kulturschaffenden hat die Österreicher aufgescheucht - nun wird diskutiert. Eine ähnlich erschreckende Studie gab es unlängst in Deutschland - wo bleibt dort der öffentliche Diskurs?
Frankfurt, 15.7.2009: Urheberrechtskonferenz veranstaltet vom Institut für Textkritik Heidelberg und dem Verlag Klostermann, unter der Schirmherrschaft der FAZ. Das ist die Gelegenheit für einen öffentlichen fundierten Diskurs in Sachen Heidelberger Appell. Bei der Podiumsdiskussion sind Verleger, Börsenverein, Schriftsteller, Google etc. vertreten, in Sachen open access gibt es auch reichlich Programm - könnte spannend werden. Anmeldung läuft. (Randnotiz: Zu den prominenten Gegnern des Google Book Settlements gehört nun auch Jeff Bezos)
Honorarverhandlungen für Freie: Ein Schulungsvideo der etwas anderen Art, gefunden bei der Protextbewegung.
Passend zur Stimmung die Gewissheit, dass die Krise im Buchmarkt angekommen ist. Und zwar so, dass die Großen sparen und die Kleinen in ihrer Existenz bedroht sind. AutorInnen stehen bekanntlich am Ende der Nahrungskette.
Randnotiz: Was kommt, wenn wir alle neue Autos haben und keine Kunst und Kultur mehr? Die Abwrackprämie für KünstlerInnen?
Frankfurt, 15.7.2009: Urheberrechtskonferenz veranstaltet vom Institut für Textkritik Heidelberg und dem Verlag Klostermann, unter der Schirmherrschaft der FAZ. Das ist die Gelegenheit für einen öffentlichen fundierten Diskurs in Sachen Heidelberger Appell. Bei der Podiumsdiskussion sind Verleger, Börsenverein, Schriftsteller, Google etc. vertreten, in Sachen open access gibt es auch reichlich Programm - könnte spannend werden. Anmeldung läuft. (Randnotiz: Zu den prominenten Gegnern des Google Book Settlements gehört nun auch Jeff Bezos)
Honorarverhandlungen für Freie: Ein Schulungsvideo der etwas anderen Art, gefunden bei der Protextbewegung.
Passend zur Stimmung die Gewissheit, dass die Krise im Buchmarkt angekommen ist. Und zwar so, dass die Großen sparen und die Kleinen in ihrer Existenz bedroht sind. AutorInnen stehen bekanntlich am Ende der Nahrungskette.
Randnotiz: Was kommt, wenn wir alle neue Autos haben und keine Kunst und Kultur mehr? Die Abwrackprämie für KünstlerInnen?
17. Juni 2009
Lektoratsersatzmaschine
Soeben läuft die Meldung ein, dass Gugl an einer Maschine arbeitet, die künftig Lektorinnen in Großverlagen ersetzen wird und Romane noch passgenauer auf Trends bürstet als dies mit Womanpower bisher möglich war. Für Autoren bedeutet dies extreme Arbeitserleichterung: Künftig sind weder Exposés noch Pitching-Kenntnisse gefragt, ausgewählt wird aufgrund von Reizwörtern. Das Publikum entscheidet in einem basisdemokratischen Prozess, welches Buch gedruckt werden wird. Und selbstverständlich prüft die Lektoratsersatzmaschine objektiv, unbeeindruckbar und völlig unabhängig vom Biorhythmus.
Ich habe mir den elektronischen Lektor kurz ins Haus geholt und vier verschiedene Manuskripte angeboten. Welch Überraschung!
MS 1: Eine Hure als starke Frau und Mönche und Nonnen
Lektoratsbeurteilung:
Huren und Nonnen waren Ende 2007 leicht gefragt, tendieren aber sowohl in den Medien wie im Leserinteresse gegen Null. Mönche nehmen wir gar nicht. Frauen sind eher gefragt als starke Frauen, interessant ist vor allem ein gegenläufiger Trend: Wer über Frauen lesen will, möchte sie schwach, wer über Stärke lesen will, sucht keine Frauen. Seit 2009 brechen beide Trends ein, lassen sich aber umso besser an die Medien verkaufen. (Das Gutachten komplett)
MS 2: Krimi mit Serienkiller und Blut
Lektoratsbeurteilung:
Serienkiller sind sowas von out, outer geht's gar nicht. Allenfalls noch in Teilen Österreichs ein Thema. Krimis laufen schlechter, als es uns die Medien weismachen wollen. Blut ist dafür medial voll im Trend, kommt aber lange nicht mehr so gut wie Anfang 2007. Ein Serienkiller-Regiokrimi würde in Wesel funktionieren. (Das Gutachten komplett)
MS 2: Essen und Genuss und Kunst
Lektoratsbeurteilung:
Genuss komplett streichen, läuft überhaupt nicht in Deutschland, Null-Linie! Essen haut doppelt so gut rein wie Kunst, also Kunstthemen immer mit Essbarem hochzureißen. Medial der absolute Bringer, als Buch eher ein Opfer des Krisenjahres. Größte Käuferschicht in Essen, Lizenzmöglichkeiten nach Israel. (Das Gutachten komplett) Wir würden uns für Ihr MS interessieren, wenn Sie den Genuss durch Sex ersetzen könnten. Essen und Sex läuft vor allem in Deutschland (Zentren Berlin und München) irre gut mit Kunst. Evtl. Export nach Wien denkbar, Lizenzen nach Frankreich oder Italien wider Erwarten unmöglich. (der Beweis)
MS 3: Ballett, Nijinsky, Ballets Russes (man will es ja wissen)
Lektoratsbeurteilung:
Endlich mal ein Thema von internationalem Interesse. Absolut trendy zu jeder Wintersaison mit Schwerpunkt Weihnachten, verkauft sich in Spitzenzeiten so gut wie Sex. Nijinsky kündigte sich 2008 vorsichtig an und schlägt jetzt Wellen. Vor allem medial seit Anfang 2009 der Bringer, Nijinsky überhüpft jetzt noch das Ballett. Die Stuttgarter und die Norweger wären das dankbarste Publikum, die Hamburger liegen auf einem müden Platz 5. Sie sollten eine schwedische Ausgabe prüfen. (Das Gutachten komplett)
Ich habe mir den elektronischen Lektor kurz ins Haus geholt und vier verschiedene Manuskripte angeboten. Welch Überraschung!
MS 1: Eine Hure als starke Frau und Mönche und Nonnen
Lektoratsbeurteilung:
Huren und Nonnen waren Ende 2007 leicht gefragt, tendieren aber sowohl in den Medien wie im Leserinteresse gegen Null. Mönche nehmen wir gar nicht. Frauen sind eher gefragt als starke Frauen, interessant ist vor allem ein gegenläufiger Trend: Wer über Frauen lesen will, möchte sie schwach, wer über Stärke lesen will, sucht keine Frauen. Seit 2009 brechen beide Trends ein, lassen sich aber umso besser an die Medien verkaufen. (Das Gutachten komplett)
MS 2: Krimi mit Serienkiller und Blut
Lektoratsbeurteilung:
Serienkiller sind sowas von out, outer geht's gar nicht. Allenfalls noch in Teilen Österreichs ein Thema. Krimis laufen schlechter, als es uns die Medien weismachen wollen. Blut ist dafür medial voll im Trend, kommt aber lange nicht mehr so gut wie Anfang 2007. Ein Serienkiller-Regiokrimi würde in Wesel funktionieren. (Das Gutachten komplett)
MS 2: Essen und Genuss und Kunst
Lektoratsbeurteilung:
Genuss komplett streichen, läuft überhaupt nicht in Deutschland, Null-Linie! Essen haut doppelt so gut rein wie Kunst, also Kunstthemen immer mit Essbarem hochzureißen. Medial der absolute Bringer, als Buch eher ein Opfer des Krisenjahres. Größte Käuferschicht in Essen, Lizenzmöglichkeiten nach Israel. (Das Gutachten komplett) Wir würden uns für Ihr MS interessieren, wenn Sie den Genuss durch Sex ersetzen könnten. Essen und Sex läuft vor allem in Deutschland (Zentren Berlin und München) irre gut mit Kunst. Evtl. Export nach Wien denkbar, Lizenzen nach Frankreich oder Italien wider Erwarten unmöglich. (der Beweis)
MS 3: Ballett, Nijinsky, Ballets Russes (man will es ja wissen)
Lektoratsbeurteilung:
Endlich mal ein Thema von internationalem Interesse. Absolut trendy zu jeder Wintersaison mit Schwerpunkt Weihnachten, verkauft sich in Spitzenzeiten so gut wie Sex. Nijinsky kündigte sich 2008 vorsichtig an und schlägt jetzt Wellen. Vor allem medial seit Anfang 2009 der Bringer, Nijinsky überhüpft jetzt noch das Ballett. Die Stuttgarter und die Norweger wären das dankbarste Publikum, die Hamburger liegen auf einem müden Platz 5. Sie sollten eine schwedische Ausgabe prüfen. (Das Gutachten komplett)
Mit Rosen würzen

Wie schmeckt das?
Zugegeben, zuerst gewöhnungsbedürftig, auch für Rosenliebhaber. Und im Gegensatz zu anderen Aromen schmeckt man sofort die Qualität. Selbst im Hochpreissegment sind jede Menge gefälschter oder künstlich geschönter Rosenprodukte auf dem Markt, deren Geschmack entweder aufdringlich süß ist oder an Seife und Parfum erinnert. Echte Rose schmeckt nicht derart vor. Auf der Zunge ähnelt sie ihrem Duft zu Lebzeiten. Ihre unaufdringliche Süße hat Unternoten, kann honigartig oder blumig sein, krautig und bisweilen sogar pfeffrig. Dazu kommt - was man weniger vermutet - eine leicht bittere Note, die dort, wo das Blütenblatt anwächst, am stärksten wirkt. Manche schneiden den Blütengrund deshalb ab. Ich selbst liebe gerade diesen Gegensatz, rein süß wäre Rosengeschmack für mich - außer in Desserts - unerträglich. Wer die reichhaltigen Düfte von Rosen kennt, ahnt bereits: Nicht jede Rose eignet sich für die Küche!
Wie ernte ich die Rosen?
Für die Küche eignen sich nur stark duftende Rosen, am besten historische und englische, Damaszenerrosen natürlich und deren Abkömmlinge. Moderne Duftrosen sollte man vorher probieren - sie haben gern diesen seifigen Nebengeschmack, den man auf der Zunge nicht liebt. Helle zarte Sorten sind leichter in Sirup oder Alkohol zu verarbeiten. Wer Rosenwasser oder Rosenöle fertig kaufen will, sollte beachten, das hier am fleißigsten mit Chemie gepanscht wird und der Laie das selten erkennt. Echte Produkte in guter Qualität sind echte Investitionen. (In meiner Kulturgeschichte "Das Buch der Rose" finden Sie ein ausführliches Kapitel zur Rosenölherstellung und den Tücken der Aromafälschungen. Dort finden sie auch die Rosensorten, die historisch wie aktuell zur Ölgewinnung genutzt wurden).
Wir ernten also selbst, nie in der Nähe von Straßen und nie von gespritzten Rosen! Wer nicht sicher ist, ob eine Rose gespritzt worden ist: Finger weg, sonst landet der Giftcocktail im Kochtopf (zumal Blumenspritzmittel nicht wie Gemüsespritzmittel für den Verzehr hergestellt werden!)
Geerntet werden die geöffneten Blüten am frühen Morgen, bevor die Prallsonne kommt - in trockenem Zustand. Fürs reine Würzen ernte ich auch noch ältere Blüten, die kurz vor dem Verfärben stehen. Ich streife die Blütenblätter mit der Hand ab - und verschneide die Rose später.
Welche Rosen ernte ich?
Ideal sind, wie gesagt, Damaszener- und Duftrosen. Meine persönlichen Lieblinge sind dabei die Rose de Resht und Tradescant von David Austin (Foto oben, vergrößerbar). Erstere besticht durch unaufdringlichen, harmonischen Damaszenergeschmack, dessen leichtes, angenehmes Bitteraroma dafür sorgt, dass das Blumige nicht zu "kitschig" kommt. Tradescant ist so etwas wie der kräftige Bruder - da schreit jede Note "hier!" und geht auch in einem Curry nicht unter. Sie trocknet vor allem wunderschön schwarzrot. Sehr viel zarter und blumiger ist eine Rose, deren Bedeutung in der französischen Parfumindustrie ich in meinem Buch beschrieben habe - sie gibt also auch ideale Sirupzubereitungen oder Kosmetika ab: Ulrich Brunner (Foto).

Die Blütenblätter werden auf einer luftigen, trockenen Unterlage ausgebreitet und unter ständigem Wenden möglichst schnell angetrocknet. Das macht man zwar normalerweise im Halbschatten, aber in unseren Breiten funktioniert das klimatisch nicht immer ohne Schimmeln und Faulen. Ich lege die Blütenblätter in einer Obstkiste aus und brate sie in praller Sonne auf meinem Auto an, bis sie leicht raschelig werden (Südwände tun's auch). So geht zwar einiges Öl verloren und die Farben verändern sich, aber diese Blütenblätter halten auch für Dekorationen mindestens ein Jahr. Die bewahrt man am besten trocken, bei maximal Zimmertemperatur und ohne Licht auf, also in Papiertüten oder Dosen.
Würzen mit Rosen
Rosensalz
Hiermit können Anfänger nichts falsch machen. Man nehme gutes Meersalz, z.B. Sel de Guérande oder sogar die handgesammelte Fleur de Sel (Salzblüte). Dazu kräftig duftende / schmeckende Rosen wie z.B. Tradescant oder Damaszenerrosen in schöner Farbe. Die rascheltrockenen Blütenblätter werden zerkleinert. Wichtig: Möglichst wenig mechanische Belastung, sonst verliert sich das Rosenöl (z.B. in der Maschine, beim Mörsern). Etwas arbeitsaufwändig aber schonend: Zuerst möglichst kleinschneiden mit Wiegemesser oder in einem breiten Glas mit der Schere. Dann mit den Fingern zerkrümeln. Sofort mit dem Salz in ein gut verschlossenes Glas geben, gut durchmischen und etwa eine Woche ziehen lassen. Menge nach Belieben, es sollte tüchtig viel Rot im Salz sein. Das Salz wird durch das Rosenöl feuchter, wird dann am besten mit den Fingern aufgestreut. Am duftigsten entwickelt es sich, wenn man es erst bei Tisch aufstreut.
Passt zu sanften Pastasaucen, Senfsaucen, weißem Fleisch, Fisch und vielen exotischen Zubereitungen.
Rosenpfeffer
Hierzu mische ich Rosenblüten in etwas groberem Schnitt mit schwarzem und weißem Pfeffer, Koriandersamen und "baies rouges" - diesen roten getrockneten Beeren, von denen ich den deutschen Namen nie weiß (kann mir jemand helfen?). Entweder mörsern und gut verschließen oder alles in eine Pfeffermühle füllen. Dann aber darauf achten, dass diese auch die Rosenblütenteile zerdrückt und nicht verklebt. Verwendung wie oben. Die Rose schmeckt hier kaum vor, sie mildert aber die Pfeffernoten sanft ab.
Rosensirup
Der sollte, falls gekauft, wirklich rein sein - und das bekommt man im Supermarkt nicht! Den ultimativen naturreinen Rosensirup fand ich in den Neunzigern in Polen. Damals gab es an der Grenze bis nach Deutschland hinein immense Rosenfelder aus Wildrosen, die traditionell verarbeitet wurden. Vor allem Kinder mischten sich damit ihre Limonade, dem Sirup wurden auch heilende bis aphrodisiakische Wirkungen nachgesagt (über die tatsächliche Wirkung von Rosen mehr in "Das Buch der Rose"). Ich fürchte nur, diese Felder könnten inzwischen der europäischen Normierung zum Opfer gefallen sein.
Bereiten Sie einmal einen Kir Royal (Kir Rosal?) mit Rosensirup zu - verwenden Sie aber unbedingt einen Sekt mit unaufdringlichem Eigenaroma (ideal: die billigen Vin Mousseux in Frankreich) und dosieren Sie den Sirup extrem sparsam! Rosensirup macht sich natürlich auch gut in allen möglichen Desserts und zu Eis. Mein Favorit: Vanilleeis, ein winziger Schuss Rosensirup, Sekt und mit dem Rührstab pürieren - noch eine Eiskugel hinein, fertig.
Saucen mit Rosen
Selbst Kochen kann man damit - immer dann, wenn ein Gericht eine gewisse Süße und Blumigkeit verträgt. Der Sirup lässt sich am leichtesten in Saucen verarbeiten, man kann aber stattdessen auch reichlich Rosenblüten aufstreuen. Nicht zu lange mitkochen, aber lang genug, dass die Blüten ihr Aroma abgeben!
Ideal also für indische und chinesische Rezepte, vor allem blumige, duftende Currys. Sie finden außerdem jede Menge arabische und indische Rezepte, die traditionell mit Rosengrundstoffen zubereitet werden. Aber auch das heimische Schwein oder die Hühnerbrust gewinnen mit einer solchen Sauce überraschend neue Seiten. Rosensirup mag ich am liebsten in Kombination mit Sahne, Senf oder grünem Pfeffer. Persönlich ziehe ich allerdings das zuckerlose Würzen mit den Blütenblättern vor und habe außerdem eine Wildsauce aus Hagebuttenmarmelade im Repertoire (abgedruckt in: "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt.")
Man muss mit Rosen erst ein wenig experimentieren, weil hier die Geschmäcker wirklich sehr unterschiedlich sind - und auch jede Rose anders kommt. Vielleicht riechen Sie demnächst nicht nur an ihren Rosen, sondern knabbern neugierig an ihren Blüten? Übrigens: Schön verpackt haben Sie mit diesen Rosenzubereitungen ideale Geschenke.
Auf alle Fälle: Guten Appetit!
Sie können mich übrigens demnächst live erleben - bei einer Lesung aus meiner Kulturgeschichte der Rose, einer Reise von 5000 Jahren durch Kunst und Literatur - am 14. Juli in der traumhaften Gönneranlage in Baden-Baden. In diesem Jugendstil-Rosengarten bleibt anschließend sicher Zeit für ein persönliches Gespräch unter "Rosomanen" - ich freue mich auf Sie!
Weitere Infos:
- Petra van Cronenburg: Das Buch der Rose
- Lesung mit Petra van Cronenburg in Baden-Baden
- Rezept für Rosensirup / Version 2 / Version 3
- Ein Rosendrink aus dem Jahr 1912
- Luxusküche mit Rosensalz
- Jede Menge Rezepte mit Rosen
- Rosen-Standard-Rezepte
16. Juni 2009
Ballets Russes: Rätsel Folge 4
Die heutige Rätselfolge zu den Ballets Russes führt uns zunächst ins Elsass (am Ende - hier alle Fragen auf einen Blick - sind mit dem richtigen Lösungswort fünf Ausgaben des Hörbuchs "Ich will eine Liebesschlange. Eine Annäherung an Vaslav Nijinsky" zu gewinnen).
Wir fahren in Gedanken südlich von Strasbourg zur Hochkönigsburg. Touristen werden das Gemäuer besser kennen als ich, das einst im Ruf stand, zu Disney-Kitsch-Größe tot restauriert worden zu sein - und von dem man heute weiß, dass der Architekt öfter in Originalpläne geschaut hat als vermutet. Man hat die Restauratoren nämlich nicht geliebt. Kaiser Wilhelm II. hatte sie geschickt, als das Elsass wieder einmal von den Deutschen besetzt war.
Was aber hat das mit den Ballets Russes zu tun?
Eine sehr ausführliche Burgbesichtigung habe ich in Gymnasiumszeiten erlebt. Unser Deutsch- und Geschichtslehrer, ein Franzose aus Hugenottenfamilie, bürstete dort wie üblich mit uns die offizielle Geschichte quer. Ich erinnere mich noch heute, wie er in einem Raum, dessen Lampe ein überdimensionales Urmel zierte, von Kaiser Wilhelms "geheimen Herrenabenden" erzählte. Ich weiß bis heute nicht, was daran war, aber wir gruselten und amüsierten uns gleichzeitig, zu erfahren, dass jene Abende meist in der folterkammerähnlichen Waffenkammer begonnen hätten und darin gipfelten, dass Wilhelm in eben jenem Urmelraum Ballettschrittchen zum Besten gegeben habe. Unserem Lehrer zufolge sogar im Tutu (da hatte er aber wahrscheinlich zwei verwechselt...).
Jetzt, bei der Recherche zum Leben Vaslav Nijinskys, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Kaiser Wilhelm II. hat die Trümmer der Hochkönigsburg zwischen 1901 und 1908 für Repräsentations- und Prunkzwecke restaurieren und ausbauen lassen. 1909, vor genau hundert Jahren, entstanden die Ballets Russes. 1910 traten die Ballets Russes zum ersten Mal im Ausland auf, u.a. im Mai in Berlin im Theater des Westens (wohin sie 1912 zurückkehrten) - mit Erfolg. Wenn ich jetzt nur noch die Stelle wiederfinden würde, in der es heißt, Kaiser Wilhelm habe in Berlin wiederum ein paar ballettartige Schritte imitiert und seine hohen Beamten zum Ballettbesuch verdonnert ... Aber man muss ja nicht alles auswendig wissen, bevor das Buch geschrieben ist. Immerhin, falls er unter diesem Urmel wirklich so getan hat, als könne er tanzen, dann hat er eindeutig die Ballets Russes nachgeahmt!
Kurzum - heute suchen wir den Titel eines deutschen Politikers, der sich Sergej Diaghilews Ballets Russes angeschaut hat und sich für zierliche Schrittchen nicht zu schade war. Und ganz leicht diesmal: Wir brauchen von diesem Titel den ersten Buchstaben.
Hier gibt's Infos, was es mit dem Rätseln auf sich hat.
Wir fahren in Gedanken südlich von Strasbourg zur Hochkönigsburg. Touristen werden das Gemäuer besser kennen als ich, das einst im Ruf stand, zu Disney-Kitsch-Größe tot restauriert worden zu sein - und von dem man heute weiß, dass der Architekt öfter in Originalpläne geschaut hat als vermutet. Man hat die Restauratoren nämlich nicht geliebt. Kaiser Wilhelm II. hatte sie geschickt, als das Elsass wieder einmal von den Deutschen besetzt war.
Was aber hat das mit den Ballets Russes zu tun?
Eine sehr ausführliche Burgbesichtigung habe ich in Gymnasiumszeiten erlebt. Unser Deutsch- und Geschichtslehrer, ein Franzose aus Hugenottenfamilie, bürstete dort wie üblich mit uns die offizielle Geschichte quer. Ich erinnere mich noch heute, wie er in einem Raum, dessen Lampe ein überdimensionales Urmel zierte, von Kaiser Wilhelms "geheimen Herrenabenden" erzählte. Ich weiß bis heute nicht, was daran war, aber wir gruselten und amüsierten uns gleichzeitig, zu erfahren, dass jene Abende meist in der folterkammerähnlichen Waffenkammer begonnen hätten und darin gipfelten, dass Wilhelm in eben jenem Urmelraum Ballettschrittchen zum Besten gegeben habe. Unserem Lehrer zufolge sogar im Tutu (da hatte er aber wahrscheinlich zwei verwechselt...).
Jetzt, bei der Recherche zum Leben Vaslav Nijinskys, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Kaiser Wilhelm II. hat die Trümmer der Hochkönigsburg zwischen 1901 und 1908 für Repräsentations- und Prunkzwecke restaurieren und ausbauen lassen. 1909, vor genau hundert Jahren, entstanden die Ballets Russes. 1910 traten die Ballets Russes zum ersten Mal im Ausland auf, u.a. im Mai in Berlin im Theater des Westens (wohin sie 1912 zurückkehrten) - mit Erfolg. Wenn ich jetzt nur noch die Stelle wiederfinden würde, in der es heißt, Kaiser Wilhelm habe in Berlin wiederum ein paar ballettartige Schritte imitiert und seine hohen Beamten zum Ballettbesuch verdonnert ... Aber man muss ja nicht alles auswendig wissen, bevor das Buch geschrieben ist. Immerhin, falls er unter diesem Urmel wirklich so getan hat, als könne er tanzen, dann hat er eindeutig die Ballets Russes nachgeahmt!
Kurzum - heute suchen wir den Titel eines deutschen Politikers, der sich Sergej Diaghilews Ballets Russes angeschaut hat und sich für zierliche Schrittchen nicht zu schade war. Und ganz leicht diesmal: Wir brauchen von diesem Titel den ersten Buchstaben.
Hier gibt's Infos, was es mit dem Rätseln auf sich hat.