Ja, wir schreiben Bretzel im Elsass mit "tz", weil es so herrlich knuspert. Und wenn ihr künftig - auch auf Autokennzeichen - ein Logo seht, das ein A in einer herzförmigen Bretzel zeigt - dann ist das das sogenannte A-Coeur, das A-Herz. Und das steht für ein frisch geschlüpftes Wortungetüm, das wir redefaulen Normalbürger:innen frech als "Elsass", "Alsace" (daher das A) oder CEA abkürzen dürfen.
Seit gestern gibt es nämlich das Elsass auch wieder auf dem politischen, statistischen und geografischen Parkett. Dank einer in Frankreich absolut einmaligen Konstruktion.
Wir schauen zurück
Die beiden Regionen Bas-Rhin und Haut-Rhin bildeten stets das Departement Elsass - und alles schien gut. Denn dieses Departement ist innerhalb der Nation recht eigen: durch seine Kultur und Geschichte, durch die eigene Sprache, aber auch durch eigene Gesetze. So gibt es z.B. Unterschiede im Jagdrecht, bei den Feiertagen u.a. zum übrigen Frankreich. Das ist bei Selbstverwaltung recht günstig, denn wir haben ja kein föderales System wie in Deutschland.
Präsident Hollande führte 2016 die "Superdepartements" ein. Ungeachtet dessen, wie Frankreich historisch gewachsen war, kippte man das Elsass z.B. mit völlig "fernen" Regionen wie Champagne oder Ardennen zusammen. Es gab massive Proteste von Politik und Bürger:innen im Elsass, quer durch alle Parteien. Aber wir gingen auf in dem Konstrukt "Grand Est" ("Großer Osten"). Und verloren die Bezeichnung Elsass in politischen, offiziellen Belangen. Inoffiziell haben wir sie natürlich weiter verwendet. Die Proteste hörten nicht auf und seit 1. Januar 2021 gibt es deshalb die neue Hybridkonstruktion und Lösung des Konflikts: Das Elsass ist nun auch offiziell wieder ein Name ... also eher die Abkürzung eines Namens.
Die neue Bezeichnung
Seit Neujahr sind die Departementsrät:innen von Bas-Rhin und Haut-Rhin vereinigt und die Region heißt la Collectivité européenne d'Alsace (CEA). Was man schlicht im täglichen Gebrauch mit Alsace / Elsass abkürzen kann (oder CEA, wer auf Buchstaben steht).
Und wie sagt man auf Deutsch?
Ganz ehrlich: Ich weiß es noch nicht. Eine collectivité ist eine Gemeinschaft, aber ich habe selbst von amtlicher Seite schon drei unterschiedliche Übersetzungen gefunden. Dem entgeht man elegant, wenn man die französische Originalbezeichnung zitiert. Was ich fand - und da wird sich irgendwas wohl irgendwann einspielen:
- Europäische Gebietskörperschaft Elsass ist der amtsprachliche Fachausdruck, der im Alltag wohl eher zu bretzelförmig verknoteten Zungen führen wird.
- Europäische Gemeinschaft des Elsass ist zwar von der Übersetzung her völlig korrekt, aber im Deutschen doppeldeutig. Denn dann könnten wir ja als Europäische Gemeinschaft der Europäischen Gemeinschaft Konkurrenz machen! Ich bin mir sicher, das Kabarett wird für diese Version dankbar sein.
- Euroregion Elsass - habe ich auch in einem Amtsblatt neben der Bezeichnung Nr. 1 gefunden. Das ist sachlich falsch, weil eine Euroregion als grenzüberschreitende Gegend in der EU definiert ist, also aus Regionen von mindestens zwei Staaten bestehen muss. Mit dem Elsass gibt es mehrere Euroregionen, nicht eine einzige - und es ist eben auch nur ein Teil davon, hier die Liste. Also auch wenn Politiker das so sagen - es bezeichnet nicht die neue Konstruktion.
Mein Tipp:
Im offiziellen Umfeld heißt es Collectivité européenne d'Alsace oder CEA oder Europäische Gebietskörperschaft Elsass. In der Umgangssprache und in Texten, die sprachlich gut klingen sollen, darf man schlicht einfach Alsace / Elsass sagen. Abkürzungen sind nicht sehr freundlich für Grenzgänger:innen, denn dann kloppen wir CEA und EGE durcheinander und wissen nicht mehr, wovon wir wirklich reden. Ach ja, falls uns dann gar kein Wort mehr einfallen will, "Land der Bretzel" bringt einen vielleicht weiter ... ?
Übrigens ist man in Frankreich auch nicht ganz so ausdruckssicher mit dem Wortungetüm, so hat die offizielle Website in der URL nochmal einen ganz anderen Namen ...
Bretzel oder Brezel?
Das ist auch so ein Schmankerl: Im restlichen Frankreich ist "le bretzel" männlich. Weil im Elsässischen aber "die Bretzel" weiblich ist, wird dort auch öfter "la bretzel" gesagt. Mit dem Segen des Larousse, der das mit der Ableitung aus dem Deutschen erklärt: Ihr wisst schon, von dieser Brezel ohne "t". Wenn sich im Elsass schon das Geschlecht eines Gebäcks unterscheidet, musste eben diese Alternative zum Grand Est her.
Was ändert sich auf französischer Seite?
- Das Departement Grand Est, die Verwaltungseinheiten und Präfekturen bleiben bestehen wie gehabt.
- Die CEA erbt einfach die Aufgaben der Verwaltungsräte von Bas-Rhin und Haut-Rhin - und wird durch deren Vereinigung auch effektiver und mächtiger.
- Die CEA darf jetzt grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Gesundheitsbelange direkt organisieren.
- Sie ist frei in Sachen Zweisprachigkeit (Französisch-Elsässisch) und darf Deutsch zusätzlich zu den nationalen Lehrplänen als Unterrichtssprache aufnehmen.
- Ihr obliegt direkt die Verwaltung aller Straßen und Radwege, auch in Sachen Maut und in grenzüberschreitenden Fragen.
- Das A-Coeur-Logo (Bretzel als Herz / A) wird offiziell Teil des Nummernschilds, die Ziffern 67 und 68 bleiben bestehen.
- Sämtliche Belange des Tourismus und Kulturerbes unterliegen jetzt direkt der CEA.
Insgesamt bedeutet das ein eigenes Gesamtbudget für die Region und mehr Effektivität für eigene Belange auch in der Wirtschaft und Entwicklung durch die Zusammenlegung von Ober- und Unterelsass, eine gestärkte Zweisprachigkeit und mehr Bürgernähe. Nach außen wird das Elsass ein verlässlicherer Verhandlungspartner, wenn es nicht mehr alles über den Grand Est oder gar Paris absegnen lassen muss. Die können jetzt spezifisch elsässische Belange, die der CEA unterliegen, nicht mehr einfach ausbremsen. Und das hat vor allem im binationalen Austausch positive Folgen.
Was ändert sich für die deutschen / schweizerischen Partner?
- Sie haben einen Verhandlungspartner direkt in der Nachbarschaft.
- Die elsässischen Projekte im deutsch-französischen Vertrag von Aachen haben jetzt Priorität. Das bedeutet im Klartext, dass z.B. der Abbau von Fessenheim direkt vom Elsass organisiert wird. Es betrifft genauso Pläne für neue grenzüberschreitende Eisenbahnverbindungen, wo jetzt die beteiligten Regionen direkt miteinander Verträge schließen können.
- Gerade im wirtschaftlich wichtigen Bereich von Kulturerbe, Kultur und Tourismus kann jetzt grenzüberschreitend direkter und effektiver zusammengearbeitet werden, ohne dass Direktiven aus Regionen Frankreichs kommen, welche die regionalen Verhältnisse im gemeinsamen Raum gar nicht kennen.
Wie funktioniert das jetzt zeitlich?
Im Moment führen die Rät:innen des Bas- und Haut-Rhin im Amt gemeinsam die Geschäfte. Frédéric Bierry (LR) ist heute um 10 Uhr mit 75 von 79 Stimmen als einziger Kandidat zum Präsidenten gewählt worden. Die haben tatsächlich heute schon gearbeitet, hier im Video, wo man auch das neue Logo sieht.
Im März werden die Conseillers d'Alsace, die Elsässischen Rät:innen zum ersten Mal neu gewählt. Das wird ein Kandidat:innenpaar (Mann + Frau) für jeden der 40 Cantons / Kantone sein. Insgesamt also 80 Rät:innen, davon 46 aus dem Bas-Rhin und 34 aus dem Haut-Rhin.
Nach den Departementswahlen Frankreichs im Juni wird man über einen gemeinsamen Versammlungssitz entscheiden - der Arbeitssitz der Leute verändert sich dabei nicht.
Warum feiern die Leute jetzt nicht wie blöd? Die Sache kommt nicht überraschend. Nach den massiven Protesten und Petitionen hatte Premierminister Edouard Philippe schon 2018 die Bildung der CEA angekündigt.
Achtung, ich flüstere das den Kolleg:innen ins Ohr: Dieser Text unterliegt natürlich dem Urheberrecht. Wenn ihr ihn als geistigen Steinbruch benutzt oder ihn verwendet wollt, seid so integer, mir via Paypal ein Honorar zu bezahlen. In der beruflich brutalen Lage durch die Pandemie sollte diese Integrität nicht auf der Strecke bleiben. Ich freue mich auch über einen Hinweis / Beleg, wo ihr das verwendet habt!
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