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26. Januar 2021

In der Waschmaschinentrommel

Habt ihr als Kinder auch fasziniert auf die drehende Waschmaschinentrommel geschaut, als liefe ein Fernsehprogramm? Ich erlebte noch den Weg von der geschlossenen, von oben zu befüllenden Maschine zu einer mit seitlichem Guckfenster. Und fand das aufregend. Da schlenkerte der Arm meines Lieblingspullovers ins Bild, Vaters Hemd drängte sich vor, wusch - flitzte eine einzelne Socke vorbei. Farben mischten sich im Wirbel und wenn ich lange genug hinschaute, fühlte ich mich wie aus der Zeit gefallen. Konnte kaum noch unterscheiden, wer wirklicher war: die Socke, die geheimnisvoll verschwinden würde - oder ich. Ein bißchen so fühle ich mich seit Monaten und Menschen verschwinden zusehends in meinen Träumen. Sie lösen sich einfach auf, verlieren ihre Farben.

 

Zeitgefühl 2020 / 2021

 

Aber davon will ich nicht erzählen: Wir alle müssen unsere festen Bezugspunkte oft erst wieder suchen, sind erschöpft, vielleicht sogar traumatisiert. Die Stärksten, denen all das mit der Pandemie nichts auszumachen scheint, fallen vielleicht erst später um. Augen zu und durch. Wir werden das schaffen. Es kommen bessere Zeiten. Einfach noch eine Weile durchhalten. Nicht nur ich klinge in letzter Zeit erschreckend nach meiner Oma in Notzeiten.


Ich will heute vom Aufbruch erzählen, der auch ein Umbruch ist. Oder ist es nicht eher umgekehrt? Ich will endlich wieder einmal Hallo sagen: Ja, es gibt mich noch. Ich habe keine Ahnung, wo ich die Kraft hernehme, aber ich baue gerade mal wieder alles um. Meine Arbeit vor allem. Die Zeiten ändern sich. Und so wird es auch für euch - sobald das alles steht - neues Programm geben. Denn ich kann nicht noch länger warten, dass beruflich irgendein Wunder geschieht. Bei der Impfrate in Frankreich, die lausigst ist, bin ich froh, wenn ich dieses Jahr überhaupt noch dran komme. Ich habe die Nase voll, zum amtlichen Nichtstun verdammt zu sein, auch wenn ich es für richtig halte und mich gar nicht in die Gefahr von Publikum begeben möchte. Ich stehe in diesem Jahr vor der Entscheidung: Entweder suche ich mir beim Arbeitsamt einen völlig neuen Job oder ich baue den meinen pandemiefreundlich komplett um und verdiene damit meinen Lebenunterhalt.

 

Meine Umbauarbeit läuft mir leider diesbezüglich nicht so schnell von der Hand wie gedacht. Und das wiederum liegt an meinen Kräften, mit denen ich haushalten muss. Ich mache nämlich Telefonbetreuung für einen Menschen in Deutschland, für den durch die Pandemie alle öffentlichen Betreuungsangebote weggefallen sind - und das geht oft an meine Substanz. Denn auch ich bin dabei recht alleingelassen, zuständige Stellen haben entweder geschlossen oder laufen selbst auf dem Zahnfleisch. Dadurch habe ich lernen müssen: In der derzeitigen Situation stampfe ich nicht mal schnell alles aus dem Boden wie vor der Pandemie. Es mag noch ruckeln, aber es kommt!


Das habe ich vor:

Mein Atelier für Papierkunst existiert weiter, kann mich aber durch die Ladenschließungen nicht ernähren. Ich fertige weiter Paper-Art-Schmuck und künftig auch Insektenbilder, aber vorerst nur auf Anfrage. Dafür konzentriere ich mich im Moment ganz auf Art Journals und stelle meine nicht stattfindenen Real-Life-Kurse auf digitale Workshops um.


Mein erster digitaler Workshop ist nämlich schon erfolgreich gelaufen und hat mir so riesig Spaß gemacht, dass ich Blut geleckt habe an diesen Medienformaten. Kürzlich witzelte ich, dass ich mir in den 1990ern mit einem der ersten DTP-Programme und einem Nadeldrucker einen Traum erfüllen konnte: Meine erste eigene "Zeitung", ein Fanzine für Hundefreunde. 2021 gibt es fast keine Grenzen mehr: Hardware ist einigermaßen erschwinglich geworden, ich kann "Radio" machen, "Fernsehen", alles im Homespun. Und genau das mache ich jetzt - um Geld zu verdienen! (Es gab zwar dieses Jobangebot für einen Desinfektionstrupp für Hotels, aber ...).


Es wird multimedial. Und ich splitte die Sprachen.


Im Moment erarbeite ich ein Konzept für alles. Als roter Faden dient das Thema "Transition" zu den Themen Natur, Kunst und Zukunft. Dazu gehört auch das Thema Heilung: andere, neue Perspektiven einnehmen, Veränderungen voller Hoffnung anstoßen, Narrative hinterfragen, die uns in Düsternis und damit Tatenlosigkeit aus Resignation treiben. Das spielt eine Rolle, ob wir gemeinsam an Art Journals arbeiten oder ob ich im Wald stehe und die Faszination von Pilzmyzel zeige. Nur kann ich es nicht mehr leisten, mit dieser Arbeit kein Geld zu verdienen. Sie ist nämlich intensiver als sie oft wirkt.


Ich habe mich für eine Art "Clubsystem" entschieden. Es wird weiter Inhalte kostenlos und öffentlich geben. Ich mache auch meine Mini-Schnupperkurse für Art Journals von 40 Minuten kostenlos. Weil ich nur zu gut weiß, dass nicht jeder derzeit Geld übrig hat. Und weil ich strikte Paywalls selbst nicht mag.

Kein Mensch wundert sich, wenn richtige Workshops eine Gebühr kosten - das tun sie ja auch im echten Leben vor Ort (wo sie übrigens ungleich weniger Arbeit machen). Aber viele Leute wundern sich, wenn Texte und sogenannter "Content" Geld kosten. Warum eigentlich? Sie müssen ebenso die Miete reinschaffen. Und darum wird es ein System für Abonnenten geben, die Zugriff auf Inhalte und Aktionen haben werden, die nicht öffentlich sind. Ich muss von meiner Arbeit leben können - so einfach ist das. Es wird sich auch für meine Abonnent:innen lohnen!


Die Sache mit der Sprache habe ich gestern erst wirklich entschieden. Allzu lange zweifelte ich herum. Wer mir bei Twitter folgt, weiß, dass ich dort dreisprachig auftrete (und ich spreche im Alltag fast nie Deutsch). Und ich habe meine Idee über Monate hinweg analysiert:

Was ich vorhabe, läuft nicht wirklich auf Deutsch. Das liegt am Umfeld, aber auch an kulturellen Eigenheiten, denen ich inzwischen entwachsen bin. Auf Deutsch hätte ich den Vorteil, unter wenigen etwas zu aufzubauen, das es so noch nicht wirklich gibt. Das habe ich in meinem Leben zu oft gemacht, um zu sehen, wie es Energien verschleißen kann. Englisch ist leider nur eine Zweitsprache und ich wäre eine kleine Nummer unter ganz vielen bereits etablierten Könner:innen. Was auch nicht einfach ist. Aber ich traue es mir zu, ich habe schon in dieser Sprache als Journalistin gearbeitet. Bin lernfähig. Mein Hauptprojekt wird in englischer Sprache laufen.


Englisch bringt mir schlicht Vorteile: Es gibt Medien, bei denen ich extern auch mal etwas veröffentlichen könnte. Die Tradition für mein Projekt ist da, die Akzeptanz, es entspricht meiner Denke. Es gibt zig spannende Think Tanks dazu. Und vor allem: All die spannenden Leute, die ich am liebsten dazu interviewen würde, sprechen Englisch. Und ich sehe die Blogzahlen - hier im Blog sinken sie drastisch, wenn ich beispielsweise Nature Writing mache. In meinem englischsprachigen Blog, das mit wenigen Beiträgen dahindümpelt, stiegen sie sprunghaft und überholten die hier!

Last but not least: Ein Fachartikel von mir hat gerade in einem Newsletter einer französischen Institution die Runde um den Globus gemacht - und er war leider auf Deutsch geschrieben. Es wäre der Knaller gewesen, hätte ich ihn auf Englisch verfasst. Er ist Teil meiner Zukunftspläne für nach der Pandemie - also auch da, die Sprache. Ich bin mir bewusst, dass ich damit einige von euch nicht mehr erreichen werde und das ist schade, auch wenn es Google Translate und Deepl gibt. Aber es betrifft nur mein Großprojekt - ich bin ja weiter auf Deutsch ansprechbar. Auch meine digitalen Workshops laufen auf Deutsch.


Ich habe jetzt einen riesigen Wust an technischer Arbeit vor mir (und Spaß dran):
  • Website entsprechend umgestalten.
  • Die Technik fürs Abosystem aufsetzen, einrichten mit Texten, Video, Bildern.
  • Fehlende Hardware für ein professionelleres Studio aussuchen, das einrichten, damit üben, lernen. Ich will podcastfähig werden und noch besser im Live-Video.
  • Das Konzept erstellen und eine PR-Strategie.
  • Texte, Videos im Voraus skripten, einen Redaktionsplan erstellen.
  • Workshops vorbereiten und halten.

 

Wenn es soweit ist, werde ich es natürlich auf allen Kanälen laut herausposaunen. Dieses Blog wird nicht untergehen, es kann aber sein, dass es aus technischen Gründen auf meine Wordpress-Seite umziehen wird. Vieles ist für mich im Moment Learning by Doing. Bis dahin - vergesst mich nicht, ich komme wieder. Und dann wirklich multimedial!

Meine Workshops 2021 (ist im Werden, im Februar geht's richtig los mit einem mehrwöchigen Kurs).

Du willst den Neustart nicht versäumen? Dann abonniere meinen Newsletter hier - er kommt auch wirklich nur, wenn es Neues gibt, also nicht zu oft.

2. Januar 2021

Bretzelregion Elsass - die neue CEA

Ja, wir schreiben Bretzel im Elsass mit "tz", weil es so herrlich knuspert. Und wenn ihr künftig - auch auf Autokennzeichen - ein Logo seht, das ein A in einer herzförmigen Bretzel zeigt - dann ist das das sogenannte A-Coeur, das A-Herz. Und das steht für ein frisch geschlüpftes Wortungetüm, das wir redefaulen Normalbürger:innen frech als "Elsass", "Alsace" (daher das A) oder CEA abkürzen dürfen.


Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt - ist mein zeitloses Buch über Land und Kultur mit typischen Kochrezepten. Die Prunkausgabe im Schuber und die physische CD des Hörbuchs gibt es nicht mehr (die gesamte Buchreihe wurde eingestellt), aber natürlich ist das E-Book zu haben, der Hörbuch-Download und vllt. noch das TB von Suhrkamp.



Seit gestern gibt es nämlich das Elsass auch wieder auf dem politischen, statistischen und geografischen Parkett. Dank einer in Frankreich absolut einmaligen Konstruktion.


Wir schauen zurück 

Die beiden Regionen Bas-Rhin und Haut-Rhin bildeten stets das Departement Elsass - und alles schien gut. Denn dieses Departement ist innerhalb der Nation recht eigen: durch seine Kultur und Geschichte, durch die eigene Sprache, aber auch durch eigene Gesetze. So gibt es z.B. Unterschiede im Jagdrecht, bei den Feiertagen u.a. zum übrigen Frankreich. Das ist bei Selbstverwaltung recht günstig, denn wir haben ja kein föderales System wie in Deutschland.


Präsident Hollande führte 2016 die "Superdepartements" ein. Ungeachtet dessen, wie Frankreich historisch gewachsen war, kippte man das Elsass z.B. mit völlig "fernen" Regionen wie Champagne oder Ardennen zusammen. Es gab massive Proteste von Politik und Bürger:innen im Elsass, quer durch alle Parteien. Aber wir gingen auf in dem Konstrukt "Grand Est" ("Großer Osten"). Und verloren die Bezeichnung Elsass in politischen, offiziellen Belangen. Inoffiziell haben wir sie natürlich weiter verwendet. Die Proteste hörten nicht auf und seit 1. Januar 2021 gibt es deshalb die neue Hybridkonstruktion und Lösung des Konflikts: Das Elsass ist nun auch offiziell wieder ein Name ... also eher die Abkürzung eines Namens.


Die neue Bezeichnung

Seit Neujahr sind die Departementsrät:innen von Bas-Rhin und Haut-Rhin vereinigt und die Region heißt la Collectivité européenne d'Alsace (CEA). Was man schlicht im täglichen Gebrauch mit Alsace / Elsass abkürzen kann (oder CEA, wer auf Buchstaben steht).

 

Und wie sagt man auf Deutsch?

Ganz ehrlich: Ich weiß es noch nicht. Eine collectivité ist eine Gemeinschaft, aber ich habe selbst von amtlicher Seite schon drei unterschiedliche Übersetzungen gefunden. Dem entgeht man elegant, wenn man die französische Originalbezeichnung zitiert. Was ich fand - und da wird sich irgendwas wohl irgendwann einspielen:

  1. Europäische Gebietskörperschaft Elsass ist der amtsprachliche Fachausdruck, der im Alltag wohl eher zu bretzelförmig verknoteten Zungen führen wird.
  2. Europäische Gemeinschaft des Elsass ist zwar von der Übersetzung her völlig korrekt, aber im Deutschen doppeldeutig. Denn dann könnten wir ja als Europäische Gemeinschaft der Europäischen Gemeinschaft Konkurrenz machen! Ich bin mir sicher, das Kabarett wird für diese Version dankbar sein.
  3. Euroregion Elsass - habe ich auch in einem Amtsblatt neben der Bezeichnung Nr. 1 gefunden. Das ist sachlich falsch, weil eine Euroregion als grenzüberschreitende Gegend in der EU definiert ist, also aus Regionen von mindestens zwei Staaten bestehen muss. Mit dem Elsass gibt es mehrere Euroregionen, nicht eine einzige - und es ist eben auch nur ein Teil davon, hier die Liste. Also auch wenn Politiker das so sagen - es bezeichnet nicht die neue Konstruktion.

Mein Tipp:

Im offiziellen Umfeld heißt es Collectivité européenne d'Alsace oder CEA oder Europäische Gebietskörperschaft Elsass. In der Umgangssprache und in Texten, die sprachlich gut klingen sollen, darf man schlicht einfach Alsace / Elsass sagen. Abkürzungen sind nicht sehr freundlich für Grenzgänger:innen, denn dann kloppen wir CEA und EGE durcheinander und wissen nicht mehr, wovon wir wirklich reden. Ach ja, falls uns dann gar kein Wort mehr einfallen will, "Land der Bretzel" bringt einen vielleicht weiter ... ?

Übrigens ist man in Frankreich auch nicht ganz so ausdruckssicher mit dem Wortungetüm, so hat die offizielle Website in der URL nochmal einen ganz anderen Namen ...


Bretzel oder Brezel?

Das ist auch so ein Schmankerl: Im restlichen Frankreich ist "le bretzel" männlich. Weil im Elsässischen aber "die Bretzel" weiblich ist, wird dort auch öfter "la bretzel" gesagt. Mit dem Segen des Larousse, der das mit der Ableitung aus dem Deutschen erklärt: Ihr wisst schon, von dieser Brezel ohne "t". Wenn sich im Elsass schon das Geschlecht eines Gebäcks unterscheidet, musste eben diese Alternative zum Grand Est her.

 

Was ändert sich auf französischer Seite?

  1. Das Departement Grand Est, die Verwaltungseinheiten und Präfekturen bleiben bestehen wie gehabt.
  2. Die CEA erbt einfach die Aufgaben der Verwaltungsräte von Bas-Rhin und Haut-Rhin - und wird durch deren Vereinigung auch effektiver und mächtiger.
  3. Die CEA darf jetzt grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Gesundheitsbelange direkt organisieren.
  4. Sie ist frei in Sachen Zweisprachigkeit (Französisch-Elsässisch) und darf Deutsch zusätzlich zu den nationalen Lehrplänen als Unterrichtssprache aufnehmen.
  5. Ihr obliegt direkt die Verwaltung aller Straßen und Radwege, auch in Sachen Maut und in grenzüberschreitenden Fragen. 
  6. Das A-Coeur-Logo (Bretzel als Herz / A) wird offiziell Teil des Nummernschilds, die Ziffern 67 und 68 bleiben bestehen.
  7. Sämtliche Belange des Tourismus und Kulturerbes unterliegen jetzt direkt der CEA.

Insgesamt bedeutet das ein eigenes Gesamtbudget für die Region und mehr Effektivität für eigene Belange auch in der Wirtschaft und Entwicklung durch die Zusammenlegung von Ober- und Unterelsass, eine gestärkte Zweisprachigkeit und mehr Bürgernähe. Nach außen wird das Elsass ein verlässlicherer Verhandlungspartner, wenn es nicht mehr alles über den Grand Est oder gar Paris absegnen lassen muss. Die können jetzt spezifisch elsässische Belange, die der CEA unterliegen, nicht mehr einfach ausbremsen. Und das hat vor allem im binationalen Austausch positive Folgen.


Was ändert sich für die deutschen / schweizerischen Partner?

  1. Sie haben einen Verhandlungspartner direkt in der Nachbarschaft.
  2. Die elsässischen Projekte im deutsch-französischen Vertrag von Aachen haben jetzt Priorität. Das bedeutet im Klartext, dass z.B. der Abbau von Fessenheim direkt vom Elsass organisiert wird. Es betrifft genauso Pläne für neue grenzüberschreitende Eisenbahnverbindungen, wo jetzt die beteiligten Regionen direkt miteinander Verträge schließen können.
  3. Gerade im wirtschaftlich wichtigen Bereich von Kulturerbe, Kultur und Tourismus kann jetzt grenzüberschreitend direkter und effektiver zusammengearbeitet werden, ohne dass Direktiven aus Regionen Frankreichs kommen, welche die regionalen Verhältnisse im gemeinsamen Raum gar nicht kennen.


Wie funktioniert das jetzt zeitlich?

Im Moment führen die Rät:innen des Bas- und Haut-Rhin im Amt gemeinsam die Geschäfte. Frédéric Bierry (LR) ist heute um 10 Uhr mit 75 von 79 Stimmen als einziger Kandidat zum Präsidenten gewählt worden. Die haben tatsächlich heute schon gearbeitet, hier im Video, wo man auch das neue Logo sieht.

Im März werden die Conseillers d'Alsace, die Elsässischen Rät:innen zum ersten Mal neu gewählt. Das wird ein Kandidat:innenpaar (Mann + Frau) für jeden der 40 Cantons / Kantone sein. Insgesamt also 80 Rät:innen, davon 46 aus dem Bas-Rhin und 34 aus dem Haut-Rhin.

Nach den Departementswahlen Frankreichs im Juni wird man über einen gemeinsamen Versammlungssitz entscheiden - der Arbeitssitz der Leute verändert sich dabei nicht.

Warum feiern die Leute jetzt nicht wie blöd? Die Sache kommt nicht überraschend. Nach den massiven Protesten und Petitionen hatte Premierminister Edouard Philippe schon 2018 die Bildung der CEA angekündigt.

Achtung, ich flüstere das den Kolleg:innen ins Ohr: Dieser Text unterliegt natürlich dem Urheberrecht. Wenn ihr ihn als geistigen Steinbruch benutzt oder ihn verwendet wollt, seid so integer, mir via Paypal ein Honorar zu bezahlen. In der beruflich brutalen Lage durch die Pandemie sollte diese Integrität nicht auf der Strecke bleiben. Ich freue mich auch über einen Hinweis / Beleg, wo ihr das verwendet habt!

1. Januar 2021

Ein Jahr der Heilung

Die gestrige Nacht fühlte sich gespenstisch an in unserem Dorf. Irgendwo weit weg am Berghang, Richtung Stadt, böllerte irgendwer. Unverbesserlich. Ansonsten: Stille, absolute tiefe Stille, denn es gab ja auch nicht mehr den Verkehr auf den Straßen, wo man sich bisher gute Aussichtspunkte suchte, um das Feuerwerk zu betrachten. Selbst bei den Nachbarn, die sonst wahre Freudenfeuer abzünseln, herrschte Totenstille. Die Ausgangssperre ab 20 Uhr verhinderte ein weiteres Ritual: mit den Sektgläsern nach draußen gehen und auf der Straße mit ihnen und allen möglichen weiter weg wohnenden Leuten anstoßen, sich Gutes wünschen ... Ich habe meine Nachbarn seit vor Weihnachten nicht mehr gesehen. Das Schmuddelwetter hält uns drinnen.

 

Wie wird die Zukunft? Die Karten können viel reden. Ob wir lieber kleine oder große Brötchen backen, haben wir selbst in der Hand.

 

 

Ich bin ein Mensch, der wegen der Tiere das Geböllere eigentlich nicht abkann, aber dann doch gern wie ein kleines Kind angesichts der bunten Farben Ah und Oh ruft. Die Pro-und-Contra-Diskussionen in Social Media, die sich allzu schnell erschöpfen in einem Dualismus von Selbstgerechtigkeit versus unreifem Trotz, führen nicht weiter. Und sie erinnern manchmal fast rührend daran, wie ungern viele akzeptieren, dass Menschen an sich fehlbar, fehlerhaft und unvollkommen sind. Auch wenn manche sich gern in der Illusion wiegen, es sei irgendwann die totale Sicherheit, das totale Wohlverhalten zu erreichen, das totale Miteinander: "Total" bedeutet eben Totalitarismus, Faschismus - der von allen Seiten kommen kann.


2021 - in meinen Augen wird es jetzt Zeit, auch die eigenen Narrative kritisch zu analysieren und zu ändern. Wir leben in einer Umbruchzeit, in der wir uns fragen dürfen, wie wir positiv und konstruktiv mit all dem "Gemenschele" umgehen wollen. Mit der Tatsache, dass wir eben keine Göttinnen und Götter sind, sondern einfach nur Säugetiere mit ein paar faszinierenden Eigenschaften und dem freien Willen auch zum Bösen. Mit Sozialverhalten, das manchmal vorbildhaft ist und manchmal vollends nicht einmal an das eines Steins heranreicht .... und jeder Menge Farbtöne und Facetten dazwischen. Eben weil wir so unterschiedlich sind und nicht totalitär genormt, können wir voneinander lernen, uns gegenseitig inspirieren und das ein oder andere nachjustieren. Wenn das viele machen, machen es viele nach.


Gestern in der stillen Nacht merkte ich, was fehlte. Dieser Silvester sollte sich ja nicht anfühlen wie eine stille Weihnacht. Ich hatte das Bedürfnis, dieses grausame Jahr massiv in den Hintern zu treten, es im Reißwolf zu schreddern. Nie hatte ich solche Lust, es mit Feuergewalt und einem großen Knall symbolisch weg ins All zu schießen. Vernunft allein nährt nicht unsere Seele. Auch Säugetiere pflegen Rituale.


Umbruchszeit: Wir können neue Rituale finden. Uralte wieder ausgraben. Oder ganz persönliche pflegen: den Übergang ins neue Jahr kann man auch einfach verschlafen! Früher hier auf dem Land haben sie die bösen Geister ausgetrieben, mit viel Lärm und Feuerkraft. Es gab laute Rätschen, die man in der Hand drehte, die Bauern knallten mit Peitschen auf der Straße. Man rasselte die Geister weg. Und dann wurden Haus und Hof und Ställe fein ausgeräuchert, mit Kräuterbündeln, die man zur Erntezeit getrocknet hatte. Feuerwerk dagen ist in unseren Breiten ein recht neuzeitlicher Brauch.


Ich frage mich was wäre, wenn wir unsere so bunte Vielfältigkeit einfach akzeptierten, mitsamt unseren Schwächen, unserem Hang zur Nichtperfektion. Wir hätten jede Menge Energie übrig! Wer sich nicht ständig selbst kasteit mit dem Streben nach irgendeinem neuen Trend von Perfektion, von positivistisch hohlem "alles wird gut", der wird auch nicht so schnell enttäuscht, wenn das Bestreben nach Veränderung mal in die Hose geht. Einfach weitermachen - es noch einmal anders versuchen.


2020 hat uns gezeigt, wozu die Menschheit wirklich fähig ist: Sie hat sich in einer faszinierenden Weise global vernetzt, um in einem Affenzahn und irrsinnigen Anstrengungen gegen einen Virus zu kämpfen, der übler unter uns haust, als wir das anfangs glauben mochten. Denn er verursacht auch Nebenwirkungen für unsere Leben, wenn wir ihn nicht bekommen. - Natürlich gab es auch immer wieder die Unvernünftigen, die Unsozialen, die Egoisten, die Nationalisten, die Fundamentalisten - aber sind sie wirklich die laute Mehrheit, als die sie sich gern gebärden? Studien sprechen eine andere Sprache.


Es erinnert mich an einen Katastrophenfilm. Plötzlich greifen Killertomaten oder Rieseninsekten an, ganze Länder sind bedroht. Nur gemeinsam kann die Menschheit überleben. In jedem dieser Filme gibt es der Spannung wegen die Antihelden. Wir alle kennen diese Typen: Es sind diejenigen, die Rettungsaktionen zerschießen, die egomanisch andere Leben aufs Spiel setzen, andere im wahrsten Sinn des Wortes verrecken lassen und dabei womöglich lachend zuschauen. Menschen haben alle Seiten in sich und darum haben sie eine Wahl. Und deshalb gibt es im Film dann die wahren Heldinnen und Helden. Sie riskieren selbst ihr eigenes Leben, um andere zu retten. Sie haben die zündende Idee, wie man miteinander Lösungen findet und mutig Ungewöhnliches ausprobiert. Keiner würde heute mehr wie in den 1950ern mit dem Militär gegen die Killertomaten losgehen. Daraus haben wir gelernt, der kalte Krieg ist vorbei. Heute kämpfen wir subtiler, in Krankenhäusern und in Laboren.


Es gibt unter Autor:innen den Spruch, wenn man ein noch so fantastisches Szenario erfindet und beschreibt, im Film oder Buch, könne es Wirklichkeit werden. Natürlich ähnelt die Wirklichkeit weniger einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Wenn Science Fiction irgendwann Alltag wird, dann lediglich deshalb, weil sich Fantasie an der Realität entzündet und manche Leute einfach extrapolieren können. Viele Schauergeschichten, Horrorfilme und Dystopien erfüllen sich jedoch nie: Weil Menschen lernfähig sind, zu verhindern wissen, Fakten analysieren können. Und dazu brauchen sie Freiraum im Kopf. Einen Freiraum, in dem es ruhig und friedlich ist und wo Hoffnung keimt.


Ich bekam heute auf Twitter einen mit, der sehr typisch ist für die selbstgerechte Sorte der missionarischen Eiferer. Ich kann die nicht ab, muss ich zugeben. Der nölte also schon am ersten Tag des Jahres los, alles sei schlecht, zig Katastrophen dräuten über uns, die Menschheit sei schlecht und das Ende nah. So einen möchte ich immer fragen, warum er sich den Weg bis dahin eigentlich überhaupt noch antut. Voyeurismus? Feigheit? Tanz auf dem Vulkan? Ich weiß es nicht, wie ein Leben sich anfühlt, wenn man alles Sch... findet, einschließlich der eigenen Spezies.


Diese hat eine Menge Evolution hinter sich und ist noch lange nicht am Ende ihrer Entwicklung angelangt. Wir sind genausowenig "fertige" Geschöpfe wie Meeresschnecken oder Störche, Käfer oder Elefanten. Da geht noch was.


Der klitzekleine Teil, den wir selbst in der Hand haben, ist machbar. Das haben wir 2020 gesehen. Wir können, wenn wir wollen. Manchmal muss uns vielleicht auch nur jemand erst mal in den Hintern treten, damit wir ihn hochbekommen. Wenn wir einigermaßen den Kopf frei haben von Virusbedrohung - und auch währenddessen schon, können wir all die anderen drängenden Probleme angehen, die wir auf der Erde verursachen. Darin ist unsere Spezies leider Weltmeister. Aber wir kennen die Probleme inzwischen.


Und jetzt kommen wieder die Dauernörgler, denen das alles nicht schnell genug geht. Die den Perfektionismus suchen, den großen Riesenknall an Silvester, mit dem eine Epoche stirbt und eine andere kommt. Dieser Superböller ist eine Illusion. Selbst die großen Revolutionen haben lange gebraucht, sind zwischendurch ins andere Extrem gekippt, bis die Menschen sich wieder berappelt hatten, neu nachdachten, anders handelten. Es gibt den Superböller nicht und es gab in diesem Jahreswechsel plötzlich kein gemeinsames Ritual mehr.


Früher, als sie rätschten und rasselten und räucherten, hatte das Ritual einen Aspekt, der uns heute fehlt: Es ging ums Wahrnehmen dessen, was im vergangenen Jahr krank machte, auslaugte, Existenzen zerstörte, was erschöpfte - und die Heilung danach. Wir haben heute das magische Denken abgelegt, dass ein paar brennende Kräuter die Kuh gesund halten könnten oder Glück ins Haus brächten. Aber Menschen sind lernfähig, können neue, an ihre Zeiten angepasste Handlungsweisen finden.


Es wird auch nach der Impfung kein bequemes "Zurück zu Normal" geben. Was ist schon normal? Das Auftreten der Pandemie ist ein globales wie persönliches Trauma. Wir können nicht so tun, als habe es nichts mit uns angestellt. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, es hat uns beeinflusst, wenn nicht sogar verändert.


Was wir können und dringend brauchen, ob wir krank sind oder nicht, ist Heilung. 2021 könnte das Jahr sein, in dem wir uns von unserem Empfinden erzählen und feststellen, wie wenig allein wir damit sind. Wir könnten dafür geschützte und wertschätzende Räume finden. So viele wundern sich, wie erschöpft und müde sie sind, wie ausgelaugt. "Aber mir geht's doch beruflich gut, aber ich war ja nicht krank, aber ich lebe doch recht gut!", höre ich oft. Wir müssen uns zugeben, dass der Stress, das Zurückfahren sozialen Miteinanders, das Fehlen der lebensnährenden Kunst und Kultur, die Berührungslosigkeit, die Unsicherheiten etwas mit uns machen. Wir müssen da durch. Aber in diesem Jahr haben wir den Abstand, sogar die Gewöhnung, nach neuen Wegen zu suchen! Noch sind Knuddelparties mit Wildfremden einfach nicht drin. Aber unsere Fantasie könnte uns zeigen, wie wir trotzdem menschliche Nähe spürbar machen und ein Miteinander so aufbauen, dass es erlebbar wird.


Im Radio bedankte sich heute ein Hörer für die virtuelle Silvesterparty. Er lebe einsam und allein, habe immer an Silvester die Einsamkeit noch lastender gespürt. Aber diesmal, inmitten von wildfremden und nur digital vorhandenen Menschen zum ersten Mal seit langem ein Miteinander gespürt. Er sei nicht mehr einsam gewesen.


Wieviele Jahre haben wir verpennt, wie einsam viele Menschen sind! Wie schwer es für viele ist, auch an normalen Tagen unter Menschen zu gehen, Kontakte zu knüpfen. Und plötzlich entwickeln Menschen angesichts von Lockdowns Software, mit der wir unsere Wohnzimmer und Küchen öffnen und Lächeln sehen und Mimik. Plötzlich hocken Leute rund um den Globus selbst im Schlafanzug herum, um sich gegenseitig mit Ideen anzustecken und dann voll im realen Leben zu handeln. Viele werden sich nach der Pandemie wohl sogar im realen Leben besuchen. Hätte das 2019 jemand gedacht? Wir hätten die Technik gehabt, warum haben wir sie so spät zum Guten genutzt? - Dabei ist es nie zu spät.


Und darum wünsch ich all meinen Leserinnen und Lesern ein hoffnungsvolles neues Jahr. 

Auch im Wissen um die Probleme, die Katastrophen: Wir haben 2020 viel über uns selbst lernen können. Ich wünsche natürlich Gesundheit, aber noch vielmehr Mut! Den Mut, zuzugeben, dass man extrem erschöpft ist. Dass man den Mut vielleicht fast verloren hat. Den Mut, Wünsche für eine bessere Zukunft zu formulieren. Und ich wünsche uns allen Fantasie, uns auszudenken, wie wir gern weiterleben möchten - und zwar so, dass wir die Mitgeschöpfe und die Natur erhalten - und unsere Verschmutzungen, unser ökologisches Fehlverhalten, den Klimawandel endlich in den Griff bekommen. Riesige Anstrengungen. 2020 hat gezeigt: Wir können das. Wir müssen es nur wollen. Wir müssen uns aber auch heilen, um in diesem Netz des Lebens ein förderndes und bewahrendes Teilchen zu werden, kein Störfaktor.


Wir werden 2021 nicht alles auf einmal schaffen und einfach so in eine neue Epoche purzeln. Aber wir können uns Etappen vornehmen, während wir das Ganze im Blick behalten. Und zwischendurch immer wieder auf unsere Energien achten. Ich wünsche uns allen, dass Engagement wieder Spaß macht und Kraft gibt. Und vor allem wünsche ich uns, dass wir mal richtig ausschlafen können, abschalten, auftanken!