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18. Dezember 2020

Kann bei Nebel passieren

Im Winter mit dem Auto über die Bergstraßen hier zu kurbeln, ist zwar durch die Klimaerwärmung leichter geworden, aber trotzdem nicht ohne. Vor allem, wenn man ein Auto mit Mucken fährt, was in den Vogesen häufig vorkommt. Und so sind mir einzelne, scheinbar völlig nebensächliche Fahrten ins Gedächtnis eingebrannt. Diese typischen Ereignisse, von denen man gern am offenen Kamin bei einem Glas heißen Punschs erzählt, mit der Eröffnung: "Weißt du noch, damals?"

 



Da war diese Fahrt in den Hochvogesen mit "Madame", die in schwindelerregenden Höhen auf Waldarbeiter-Zufahrts"straßen" wie eine Berserkerin preschte. Als damals noch Kind der Rheinebene starb ich tausend Tode, weil auf diesen Straßen genau ein einzelnes Auto Platz hatte und derjenige, der abwärts fuhr, rechtzeitig eine Ausweichbucht ansteuern musste. Madame kümmerte es nicht, ob sie sich aufwärts oder abwärts bewegte, sie hatte es verdammt eilig, denn sie brachte den Holzfällern das Mittagessen. Was die Fahrt unvergesslich machte: Sie hatte keinen Führerschein. Hatte nie einen besessen. "Aber irgendwer, der nüchtern ist, muss doch den Männern ihren warmen Eintopf bringen!", pflegte sie zu sagen.


Da waren Arbeitsfahrten für ein berufliches Projekt, als unser Team seinerzeit den Rundwanderweg zwischen dem elsässischen Wingen und dem pfälzischen Nothweiler konzipierte und installierte, der heute ein Premiumwanderweg ist. Ausgerechnet in dem Jahr fiel natürlich der Schnee früh. Ich ließ mich meist mitnehmen von Ortskundigen, denn es ging quer durch den Bergwald. Erlebte, dass bei Baumfällarbeiten, wenn man über verbotene Waldwege vom Pass aus fuhr (wir durften das wie die Waldarbeiter mit Genehmigung), keine Warnschilder mehr dastehen wie an Straßeneinmündungen. Die riesigen Bäume fallen einfach. Ich bewunderte das intuitive Wissen meiner Chauffeusen und Chauffeure, wann und wo sie - wie von der Tarantel gestochen - auf die Bremse traten und warteten. "Das hört man doch, wenn der Baum schreit! Wenn du erst bremst, wenn er ächzt, ist es zu spät." Schnee und Glatteis an starken Steigungen sind dagegen ein Kinderspiel.


Gestern hatte ich eine abendliche Fahrt, die Alltag hätte sein können, eine Nebensächlichkeit und Routine. Ich fuhr selbst, in ein Dorf mit einer unscheinbaren Höhe von 500 m, auf einer Straße, die ich früher auswendig kannte von vielen Hundeausflügen in den Naturpark. Diesmal war alles ganz anders: Nach zwei richtig echten Lockdowns (die sich nicht nur so nennen) eine "lebensnotwendige" Fahrt mit dem üblichen Brimborium vorneweg: Statt Proviant für einen Ausflug Masken und Desinfektionsmittel und einen Passierschein zur Vorsicht. Ich wusste nicht, wie lange der Termin dauern würde und käme womöglich in die nächtliche Ausgangssperre ab 20 Uhr hinein. In Frankreich werden Verstöße gegen die Coronabestimmungen wirklich kontrolliert und auch saftiger als in Deutschland bestraft.


Ich kannte den Weg, aber ich sah ihn nicht wie gewohnt. Ständig beschlug die Scheibe von innen. War sie gewischt, sah ich nicht mehr: Im Wald waberte der Nebel. Dauerzustand im Moment hier - er lichtet sich selten, und weil es wärmer geworden ist, wölkt er sich abends dichter zusammen. Also fuhr ich extrem langsam, auf Schatten und womöglich leuchtende Tieraugen achtend. Im Nebel verschiebt sich die Wahrnehmung, die Welt scheint sich seltsam zu dehnen. Eine Kehre der Bergstraße kommt eher als erwartet, eine andere braucht viel zu lange, um aufzutauchen. Auch Zeit dehnt sich oder wird zusammengeknautscht. In der Dunkelheit sowieso. Hundertfach, womöglich tausendfach erlebt!


Aber diesmal hatte ich andere Gedanken im Kopf, die ich nur 2020 haben kann und an die ich mich womöglich darum Jahre später am Kaminfeuer erinnern könnte. Ich hatte dieses Gefühl von Maskensicht, das mich dann im Dorf real befiel, weil ich die Maske schon draußen aufsetzte: Meine Brille beschlug völlig. Ich muss das niemandem erklären. Es hilft auch nichts, mir zu sagen, dass sie eigentlich wegen des Temperaturunterschieds beschlug, denn auf dem Hügel herrschte Frost.


Es ist dieses Gefühl aus einer realen Erfahrung heraus, ständig in einen Nebel zu tappen; Angst zu haben, die Kehrtwendungen nicht rechtzeitig mitzubekommen. Scheinbare Gefahren lauern im Dunkel, die wir tagsüber wahrscheinlich als niedlich ansehen würden. Wege, Lebenswege landen scheinbar im Nichts, wo man früher klar sah, in welche Richtung es weiterging, wo das Ziel lag. Und irgendwie nutzte auch der Führerschein nicht viel, wenn doch die verdammte Türdichtung zu viel Feuchtigkeit hereinließ. Selbst das Dorf verwandelt sich in Dunkelheit und Nebel und obendrein beschlagener Brille. Zweimal bin ich im Kreis gefahren. Einmal in die falsche Richtung gelaufen. Menschenleere, wo man früher nach dem Weg hätte fragen können. Was wie eine erleuchtete Bäckerei wirkte, entpuppte sich als Ausstellungsraum der Feuerwehr. Hetzende Wägen von Handwerkern, die vor der Ausgangssperre zu Hause sein wollen. Maskennebel. Aerosole. Wie Dunst deckt das Denken an die Pandemie alles zu.


Und dann muss ich laut lachen. Weil ich an superdichten Wasserdampf denken muss. Superdichter Wasserdampf hilft nämlich immer - vor allem gegen die Unholde des Winters, gegen Schneemänner und aufdringliche Eis-Gouvernanten. (Dr.-Who-Fans werden wissen, wovon ich rede: Video). Ich lachte noch, während ich mit Maske und beschlagener Brille etwas unsicher eine steile alte Steintreppe nach oben stieg, die vom echten Nachtnebel umwabert wurde. Mein Ziel: eine alte Holztür. Die Pandemie hatte ich fast vergessen, wenigstens für eine kleine Weile, denn ich stieg durch superdichten Wasserdampf zu einer Holztür nach oben.

 

Muss ich noch sagen, dass es innen größer war als außen? Ich schwöre! Allerdings fehlte ein gewisses Geräusch und auch die Einrichtung sah eher konventionell aus, als der Doktor öffnete ... also der Landarzt ...

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