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23. März 2020

Tag 7 - Confinement Jour 7

Triggerwarnung: Dieser Beitrag kann starke Spuren von Ironie enthalten!
Gott durfte am siebten Tag ruhen, ich muss heute hart arbeiten, weil ich am sechsten Tag ruhte. Wir zählen die Tage des Confinement, was aus dem Lateinischen kommt: cum = mit und finis = Grenze. Man kann das so oder so sehen: Man steckt fest in einer Begrenzung von allen Seiten - darum wäre z.B. ein Confinement im Knast die Isolierhaft. Oder man ist Optimist und findet: Der Zustand ist begrenzt, er wird wieder aufhören. Das Confinement total bedeutet auf Deutsch schlicht Ausgangssperre. Aber auch wenn es sich in manchen Familien so anfühlen mag, bedeutet dies noch lange nicht Knast!

Im Moment sind die meisten Spaziergänge etwas kleinteilig. Gestern habe ich mich durch Moosurwald bis zu einem erstaunlich riesigen Berg gekämpft, der knubbelig rund in der Sonne wärmte. Es war recht einsam unterwegs: Ein paar freundliche Ameisen grüßten kurz und eilten weiter, eine winzige Spinne glotzte mich neugierig an.


Lebenswichtige Erledigungen sind erlaubt, allerdings braucht's für jede einzelne einen einzelnen Passierschein, den man auch handschriftlich abeschreiben darf, schließlich haben die wenigsten Druckerpatronen gehamstert. Dazu zählt (noch) Einkaufen in den wenigen offenen Läden (Lebensmittel, Apotheken), der Gang zur Arbeit in unabdingbaren Berufen und mit Extrabescheinigung des Arbeitgebers, aber auch Einzelsport oder das Ausführen von Kindern und Hunden an der Leine. Letzteres soll in der Nähe der eigenen Wohnung stattfinden und "kurz" sein. Auf französisch lässigere Art habe ich Bilbos Passierschein mit einem Datum ab X und dem Zusatz "täglich" versehen, denn auch meine Druckertinte ist knapp. Wobei Monsieur meint, bei Schweinswetter seine Möglichkeiten gar nicht ausnutzen zu wollen.

Apropos Schweinswetter ... der Gang ins Büro war heute extrem beschwerlich. In kleineren Behältern war bei minus ein Grad draußen das Wasser gefroren, der sehr stürmische Wind pfeift eisig ins Gebein. Auf dem Weg zum Tor musste ich mich hart gegen den Sturm stemmen. Vor dem Tor hielt ich kurz an, um mir ein Bild von der Verkehrslage zu machen - wie immer ein fürchterlicher Stau ... an Luft. Weil es auf der Straße gut aussah, entschied ich mich für einen Abstecher in die nächste Kaffeebar. Im La Cuisine erwartete mich mein Kumpel Bilbo, im Radio spielten sie die Supremes mit  "Stop, in the name of love" und meinten kichernd, damit sei bestimmt der neue Sicherheitsabstand gemeint. Ich stürzte den Espresso hinunter und wiederholte den Gang von der Haustür zum Tor und wieder zurück, um endlich ins Homeoffice zu kommen.

Dort erwartete mich eine grummelnde Chefin. Ich sei zu spät. Wahrscheinlich hatte sie aber nur schlechte Laune, weil sie ebenfalls durchgefroren war. Der Inspirational Manager nahm Platz an der Heizung. Von seinem Kopf, der auf einem Kissen auf der Heizung liegt, dringt Stöhnen und seufzendes Schnarchen zu mir. Er will mir damit sagen, dass der Passierschein für heute nicht nötig sei, Schweinswetter eben. Er will mir damit sagen, dass es gesünder sei, gemeinsam an der Heizung zu kuscheln, zwischendurch Leckerli abzuwerfen (in seine Richtung). Es würde vollkommen ausreichen, draußen kurz Fangeles miteinander zu spielen. Ich nutze die gewonnene Zeit für die langen Telefonate mit Teilen der Familie, die ich auf unbestimmte Zeit nicht mehr besuchen und sehen kann. Was das mit mir macht, verdränge ich.

Dann fällt mir auf, wie schlau es doch ist, erst am siebten Tag zu ruhen und sich die Schöpfung nur rückblickend zu betrachten. Nicht auszudenken, wenn es im Schöpfungsbericht geheißen hätte: Und er hielt am dritten Tag inne und sah, dass es zwar kein Tohuwabohu mehr war, aber immer noch ein Gewusel und Chaos! Wir haben uns damals im Theologiestudium den Kopf darüber zerbrochen, wie jemand Allgegenwärtiges sich so einschrumpfen kann, dass da eine neue Welt entsteht. Dabei ist die Lösung so simpel: Man muss einfach nur zuhause bleiben! Eines Tages steht man auf, dreht den Nachrichtensender an und erfährt, dass sich da draußen ein neues Gewusel vermehrt und nichts mehr ist wie zuvor geplant. Das wuselt von ganz alleine.

Wenn ich mir solche Geschichten ausdenke, die ich im Kopf übrigens grundsätzlich als Comic gezeichnet sehe, dann scheine ich an einer Art Ausgangssperren-Hirnerweichung zu leiden. "Corona" war heute zum ersten Mal in einen Traum gewandert. Ein Schokoladenzwerg mit Namen Corona (!) verlangte von mir einen "Schein", mit dem ich beweisen sollte, dass ich amtlich autorisiert sei, zu träumen! Ich bekam eine leichte Panik wie in diesen Träumen, in denen man das Abitur machen muss und durchfällt. Ich suchte in den Hosentaschen. Was würde passieren, wenn ich den Schein nicht fände? Schokoknast bei Kakao und Schokolebkuchen? Die Panik wuchs. Was, wenn der Kerl mich aus meinem Traum schmiss und da draußen nicht rechtzeitig eine Wirklichkeit aufgefaltet würde? Zum Glück weckte mich der Hund in seine Wirklichkeit, die das in diesem Moment Wichtigste der Welt beinhaltete: Pipi machen. Wir werden in diesen Zeiten zurückgeworfen auf die duftenden Essenzen des Daseins!

Ich trage übrigens gerade eine Mütze. Den Bad Hair Day nehme ich nur als Ausrede, außer der Postlerin wird mich heute wohl niemand Fremdes sehen. Mein alter Computer hat auch keine Webcam. Mir ist eingefallen, dass irgendein berühmter Schriftsteller zum Schreiben stets einen Hut getragen haben soll, als Ritual, um Beginn und Ende des Arbeitens zu markieren. Mir fällt das schöne Wort "behütet" ein. Ich will mich behütet fühlen, ist es das? Oder fehlt mir diese Mütze voll Schlaf, die mir der Schokozwerg geklaut hat? Ich denke nicht weiter nach, es fühlt sich kuschlig warm an an einem solchen Tag.

Plötzlich haut ein neuer Zweitjob rein, der eigentlich kein Job ist. Den so viele in diesen Tagen leisten, ohne je darauf vorbereitet worden zu sein: Familienangehörige, Freunde, Bekannte am Telefon beruhigen, ein wenig Kraft spenden, während man sich selbst jämmerlich fühlt. Tragik an allen Ecken und Enden. So viele Betreuungsstrukturen brechen gerade weg, Orte, an die vor allem die Zerbrechlichen gehen konnten, feste Strukturen, die Verlässlichkeit boten. Mein Vorschlag, während der Schließung der Eisdielen einfach ins La Cuisine zu gehen, kommt an. Ich suche nach einem besonders einfachen Eisrezept für die Vorratsküche - das will ich beim nächsten Mal weitergeben. Ich telefoniere mir derzeit oft fast das Ohr ab. So viele Menschen sind eben nicht per Messenger oder Social Media unterwegs, die menschliche Nähe brauchen.

Meine innere Chefin schimpft. Ich soll endlich an die Arbeit. Diese Disziplin gibt Halt, weil ich seit drei Tagen jegliches Gefühl für Wochentage verloren habe. Und so ein kleines inneres Teufelchen sagt, man könne ja durchaus vormittags herumfaulenzen und stattdessen in den schlaflosen Nächten arbeiten. Zum Glück habe ich den Inspirational Manager. Der wiegt bedächtig den Kopf, als wolle er sagen: Das mit der Schlaflosigkeit denkst du nur. Du hast geschlafen. Denk an den Schokozwerg!

Bevor ich an den denke, arbeite ich lieber ... g'habt's euch wohl, bleibt gesund und bis bald im La Cuisine!

2 Kommentare:

  1. Ein Schokoladenzwerg? Dass die Bedrohung aus der Ecke kommen könnte, hätte ich gar nicht gedacht ... Aber man lernt nie aus! Weiter gute Gesundheit und wackeres Durchhalten für dich und Bilbo.

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  2. Ich kann mir das nur so erklären, dass ich Schoko-Weihnachtsmänner eklig finde. *kicher*
    Ich wünsch dir auch alles Gute! Heute werde ich mich in die Schweinskälte wagen und mal wieder mit Bilbo und seinem Passierschein laufen. Der ist z. Zt. traurig, weil ihm all die Dorfkumpels fehlen.

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