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17. Februar 2020

Mein erster Ein-Frau-Flashmob

Ich habe immer noch keine Ahnung, ob man als Einzelperson überhaupt einen Flashmob abhalten kann. Ich habe es einfach getan: Einen Flashmob aus der Blechschachtel! Die Kekse hatten scheußlich geschmeckt, aber ich brauchte unbedingt diese feine rechteckige Blechdose für meinen Krimskrams.

Mit dieser Schachtel könnte ich mich auf einer einsamen Insel ziemlich lange beschäftigen. Wahrscheinlich würde sie sich ständig neu füllen. Allein schon mit Hölzchen ... und Dingelchen ... und Sächelzeugs!

Mit der Dose habe ich mich dann in die Cafeteria des Maison Rurale gesetzt und einfach losgeschafft. An einem Art Journal - ein fertiges zum Anschauen hatte ich ja bereits, das verführerisch auf dem Tisch darauf wartete, dass Menschen es anfassten.
Art Journal kann man irgendwie nicht exakt übersetzen. Es ist in dieser Form nicht wirklich ein Tagebuch, eher ein Notizbuch, bei dem die "Notizen" bildlich gestaltet werden, unbewusst, inspirationsgelenkt. Anders als die erfolgreichen Youtuberinnen der Szene propagiere ich dabei nicht teure Spezialprodukte, sondern sage: Ihr könnt das mit billigsten Zutaten, mit Zeug, das man sonst wegwirft, mit Fundstücken, alten Zeitschriften. Und ihr müsst nichts Spezielles können außer kleben: Jeder Mensch ist von Natur aus kreativ, manche haben es nur vergessen ...

Und genauso habe ich noch kein deftiges Fachwort für das Stöckchen, das mir in den Sinn kam, als ich nach einer Bindemethode für AnfängerInnen suchte. Einfach nur ein Ringbuch schien mir nicht stabil genug. Und so nenne ich es frech das Rückgrat unseres Büchleins.

Ein solches Art Journal werden die TeilnehmerInnen meiner Workshops fertigen: Völlig individuell, nur das Thema "Schmetterlinge" ist vorgegeben - und die Form in Ringbindung an einem "Rückgrat", das wir aus Fundholz basteln.

Was soll ich sagen: Ich kam kaum zum Arbeiten! Aber ich habe binnen weniger Stunden derart viel von anderen Menschen gelernt und werde deshalb öfter mal live arbeiten.

Zuerst einmal die Überraschung, etwas berühren zu dürfen! Nun ist das Museum im Kulturerbezentrum natürlich ein Ort, wo einem das Berühren untersagt ist - trotzdem haben Menschen auch eine verinnerlichte Scheu, Kunst anzufassen. Das nächste Mal werde ich ein Schildchen aufstellen: "Bitte berühren!". Denn die leuchtenden Augen, wenn sie es dann taten, waren unbezahlbar. Ich muss nur noch die Hälfte erklären, der Gegenstand spricht für sich. Im Internet und auf Fotos kann man auch nicht annähernd zeigen, was so ein Art Journal ausmacht, man muss es be-greifen dürfen. Und so lernte ich einiges über den Sinn: "Das erzählt ja Geschichten über die Finger!", sagte jemand begeistert.

Art Journals können etwas, was gedruckte Bücher kaum noch haben, was aber in der Buchbranche künstlich hochgeredet wird: die Haptik! Ganz ehrlich: Stets das gleiche Billigstpapier von Taschenbüchern erfüllt einen beim Fühlen ungefähr so, als würde man mit einem ausgewrungenen Wischlappen schmusen. Im Art Journal habe ich dagegen Texturen und Strukturen von Stoffen und Fäden, Papier und Hölzchen, sogar Flechten auf Hölzchen, Baumbast, Pflanzensamen. Ich fühle, ob ein Papier aufgenäht wurde oder mit Leim getränkt - ein und dasselbe Papier lebt. Es darf sogar zerknittert werden, zu heiß gewaschen, ja sogar rosten! Und vielleicht erfüllen diese Art Journals eine Sehnsucht unseres Zeitalters der Virtualität: Wir tragen etwas Stoffliches zum Begreifen mit uns herum, geben unserem Tastsinn und uns eine Art Verankerung, in welche Kunst und Kultur, aber auch Natur gemeinsam hineinfinden.

Überrascht war ich wiederum, wie viele Menschen plötzlich gestanden, auch alles Mögliche zu sammeln. Dass das im Bekanntenkreis nicht jeder verstehen könne, sie aber dies und das in Marmeladengläser oder Schuhkartons horteten. Wie wir so miteinander erzählten, erinnerte mich das sehr an die Schatzkisten der Kindheit. Die Erinnerung daran begleitet uns ein Leben lang. Wer das Glück hat, noch die Original-Schatzkiste von damals zu besitzen, dem erzählen die Gegenstände darin viele Geschichten. Wenn wir klein sind, bauen wir ein Stück unserer Identität in diese Schachteln und verwurzeln uns darin. Wir können Orte wechseln - solange wir unsere Schatzkiste haben, fühlen wir uns nicht entfremdet? Und plötzlich ein Workshop, wo man sammeln darf und soll? Wo es sogar ein Materialbündelchen mit Überraschungen gibt? Wir hatten plözlich alle Kinderaugen.

Und ich genoss es besonders, als sich eine der Sammlerinnen als Kollegin entpuppte, als Textilkünstlerin, die wie ich Fadenreste aufhebt. Allerdings hat sie so viele mehr als ich, dass sie sie in Gläsern nach Grundfarben ordnen kann. Wir hätten uns stundenlang über Upcycling unterhalten können!

Und das ist der andere Aspekt, den ich viel zu klein eingeschätzt hatte: Der Hunger nach Upcycling, nach einem Nachdenken über unser Verhalten Müll gegenüber. Nach Ideen zum Basteln, aber eben auch zum Müllvermeiden. Einige der älteren Generation meinten, sie würden beobachten, wie erfindungsreich Kinder dabei seien, wieviel sie wissen. Und sie, die Älteren, kämen einfach nicht auf diesen Inspirationsreichtum. Es ging ums Freiwerden von Vorschriften, das wilde Herumspinnen, zu dem ich nur den kleinen Anfangsschubs geben werde. Denn auch das können Menschen von selbst, wenn sie es zulassen. Und warum hat eigentlich noch niemand einen Kurs erdacht, bei dem Kinder die Lehrenden sind?!

Schmetterlinge, Artensterben ... würde das in diesem Zusammenhang funktionieren? Möglichst beiläufig sagte ich, dass alle Schmetterlinge im zweiten Art Journal (Foto unten) einmal im Elsass heimisch waren und heute dort ausgestorben sind. Sofort machten die Seiten die Runde, Erinnerungen wurden wach, wann man einen Falter das letzte Mal gesehen hatte. Sehr traurig schaute eine Frau den Apollofalter an und sagte: "Stimmt, jetzt, wo ich das Bild sehe, merke ich erst wieder, dass er fehlt. Jetzt erinnere ich mich wieder, wie lange ich schon keinen mehr gesehen habe!" Es reicht eben nicht, Artensterben zu benennen. Wir müssen die verschwundenen Arten im kollektiven Gedächtnis halten, wir müssen ihre Geschichten erzählen! Sonst bemerken wir den Schwund nicht mehr, würden sie ein zweites Mal aussterben lassen - wir gewöhnen uns allzu leicht und schnell an eine sich leerende Natur. Vor allem müssen die Älteren den Jüngeren von dieser Vielfalt erzählen, sie spürbar machen.

Spürbar wurde dann auch, warum Workshops einen geschützten Rahmen brauchen und man viele Dinge eben nicht per Internet besprechen kann. Die Assoziationskette zwischen Schmetterlingen und Frauen wirkte spontan und tief. Eine Frau spürte eine Verwandschaft, wie sie sagte, weil der Umgang mit der Natur so viel gemeinsam habe mit dem, wie mit Frauen umgegangen würde. Art Journals gehen einem auch an die Seele. Sie werden nicht umsonst in der Kunsttherapie benutzt. Es wird meine schwierigste Aufgabe sein, diesen geschützten Raum zu schaffen, in dem alle sich achten.

Frauen und Schmetterlinge - ich war erstaunt, wie stark die Assoziation bei Betrachterinnen wirkte.


Meine Ideen des Teilens und Tauschens sind insofern wahrscheinlich passend. Ich bin nicht der Typ der Dozentin, die schulmäßig nacharbeiten lässt. Ich will die Teilnehmerinnen ermächtigen, im Sinne von Empowerment. Kollaborative Kunst funktioniert, wenn die Leiterin dezent bleibt und herauskitzelt, dass andere ihre Stärken und Begabungen zeigen. Wenn irgendwann alle mutig genug sind, das auch miteinander auszutauschen. Hier bin ich am neugierigsten: Was werden sie basteln?

Ich war gestern so richtig in meinem Element. Geschichten erzählen, Geschichten anhören, Geschichten miteinander austauschen. Mit Krimskrams, Abfällen und Dingsbumszeugs. Am Mittwoch mache ich die Termine fest.

Sehr beglückt bin ich über einen Umweg nach Hause. Zuerst holte ich mir im Museumsshop Nachschub an Lindenblütenhonig. Dann sammelte ich nebenan bei der Kirche Äste, die der Sturm von den uralten Linden geweht hatte (und ich muss noch einmal mit dem Auto hin für mehr). Rückgrate für unsere Büchlein, vielleicht ein wenig auch für uns, wenn wir mit Perlchen und Seidenbändern Wünsche drumherum weben? Diese Äste kommen von hoch oben aus den Baumkronen. Von manchen sprang sofort die Rinde ab, manchmal zerfielen sie wie in weiße Finger und ich dachte an eine schöne Fee namens Tilia, die Weißfingrige. Die Art Journals verorten sich - verbinden sich mit einer Baumart. Sie erinnern aber auch an die uralten Schönheiten, die Dorflinden aus einer anderen Zeit, die so viel erzählen könnten, so viel gesehen haben. Auch die Schmetterlinge, die wir nicht mehr sehen.

9. Februar 2020

Wenn ich mal wüte!

Kürzlich bin ich in Social Media so richtig ausgerastet. Wer mich kennt, weiß, das geht in zivilisiertem Benimm und Sachlichkeit ab, aber doch deftig klar. Es traf dann eine oder einen von vielen, denn es war nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Andere hätte es ebenso treffen müssen.

Die ersten Schichten der Collagen sind geklebt ... nun wird darauf gestickt. Frauenfiguren aus Zeitschriften und Schmetterlinge, die in unserer Region ausgestorben sind.


Das Ganze hat mit einem Thema zu tun, um das ich derzeit kreise, das ich umkreise, weil ich es zwar instinktiv spüre, aber nicht so richtig festklopfen kann. Und vielleicht ist die Sache mit dem Festklopfen auch längst nicht mehr zeitgemäß, denn alles fließt. Ich spüre, wir stehen vor einem Umbruch sondergleichen, erleben gerade eine stürmische Disruption auf vielen Ebenen, die einmal in dem enden wird, was wir an sciencefictionartigen Vorstellungen von Zukunft haben mögen und doch meist nie ahnen. Dagegen ist das Gesäusel vom aufkommenden Wassermannzeitalter, das ums Jahr 2000 kurzzeitig das Omm-Singen ersetzt hatte, ein lächerlicher Sturm im Wasserglas.

Vor rund 20 Jahren haben wir bereits gefühlt, das uns etwas Grundlegendes fehlte, mit dem wir uns im Kosmos verorten könnten - und viele haben sich in freier Spiritualität ausprobiert. Bis der Kapitalismus wieder zuschlug und daraus sein Esoteriksüppchen mit Duftkerzchen und Kreistänzen auf Goa bescherte. Manche haben ihren Weg gefunden, viel Vergessenes und Verschüttetes wurde ausgegraben und bildete den Kompost für ein neues Selbstbewusstsein von Frauen. Und über jede Menge dieser Vorstellungen lachen wir heute kräftig - in der Jugend ist man eben wild und macht alles mal mit. Das muss so sein. Aber wir hätten es bemerken müssen, als der Y2K, der Millenium-Bug ausblieb und die Welt mal wieder nicht unterging. Auch das Wassermannzeitalter blieb aus. Der Mensch irrt, solange er lebt. Es kommt immer ganz anders.

Die Zeiten werden eigentlich jetzt erst richtig wild - übrigens genau deshalb sind sie durchaus inspirierend. Es bricht so vieles um, es liegt so vieles im Ungewissen. Nur eins haben wir womöglich immer noch nicht gepackt: Diese "Rückbindung" ans Sein, an die Welt, die Natur und noch größere Zusammenhänge. Diese Rückbindung, die uns im übertragenen Sinn Boden unter den Füßen verschafft, Vertrauen gibt, während alles quirlt und lebt und sich bewegt. Wir rennen herum wie aufgescheuchte Schafe ...

In Umbruchszeiten ist es normal, dass alles mögliche erprobt wird, dass sich Strömungen im Denken und Handeln vervielfältigen - und auf der konservativen Seite auch elend verengen. Man sehnt sich ja nach der vermeintlichen Sicherheit, verbrämt die Vergangenheit, vor allem, wenn Macht und Privilegien schwinden. Das war leider schon immer so: Früher haben noch die Götter selbst gegeneinander gekämpft, später Priester neuer Kulte alte Tempel zerschlagen oder auch umgekehrt. Homo sapiens hat nie das Fliegen erlernt.

Ich persönlich bin gern misstrauisch, wenn die Gruppenbindung zu stark wird, wenn die Meinungen und Debatten Manifesten weichen. Und ich kann Missionarseifer kein bißchen ab, weil Missionieren immer mit Macht zu tun hat.

Und so ist es passiert. Ein öffentliches Account irgendeiner englischsprachigen NGO, die in Sachen Klimaaktion unterwegs ist (kein FFF) und dem ich aus Interesse folgte. Wer genau da twittert, weiß man nie, aber es kam zweimal hintereinander: "In der Arktis ist es so warm wie nie zuvor und die Medien schweigen! Die Medien verschweigen uns das!"

Zu dem Zeitpunkt war die dpa-Meldung gerade vielleicht zwei Stunden alt, es war spätabends - und das dauert eben. Trotzdem hatte ich bereits mindestens zwei Artikel darüber im Stream, gerade hatte auch die Washington Post groß damit aufgemacht. Als Journalistin schäumte ich innerlich. DIE ach so bösen Medien?

Ich versuchte es mit Aufklärung: Links zu den Artikeln, zur News-Seite auf Google, wo inzwischen auch schon Käsblätter nachzogen. Aber ich erntete nur Greinen: Aber nee, in Europa gäb's gar nix, die Europäer verschweigen das in den Medien! - Hätte ja sein können, das mein Gegenüber in Indien oder Kentucky sitzt, also gab ich zu bedenken, dass man dann z.B. auf Deutsch oder Französisch etc. googeln müsse, weil unsere Medien eben nicht englisch ... inzwischen brachte es die Tagesschau. - Aber DIE Medien, die beachten einfach den Klimawandel nicht!

Da riss mir der Geduldsfaden. Ich donnerte dem Mädel oder Jungen (ich vermutete Unerfahrenheit) Links rein von Presseschauen bis zur Umweltredaktion des Guardian u. a. und verlangte jetzt harsch, man solle diese verdammten Lügen über die Medien einstellen, es sei schlicht unwahr. Ab da hatte ich dann Spaß am Fight, ich gebe es zu. Denn wenn ich etwas nicht abkann: Wenn offizielle Accounts von Organisationen es derart an Professionalität mangeln lassen. Ich mache es kurz: Zum Schluss entschuldigte man sich auf der anderen Seite, man habe mich nicht verletzen wollen (typisch, nur nicht den Irrtum zugeben, da sind es dann Befindlichkeiten der anderen). Und bedankte sich für die Links (endlich wurden sie bemerkt).

Warum mich das so auf die Palme brachte? Weil hier eine Gruppe, die eigentlich die gleichen Ziele hat wie ich, ein Narrativ übernommen hat, das von Rechtsaußen stammt und Teil der faschistischen Strategie ist, seriöse Medien zu diskreditieren. Wir kennen das von Trump & Co. Darum sehe ich rot, wenn jemand sagt: "DIE Medien ...". DIE Medien gibt es eben nicht. Es liegt ein riesiger Unterschied zwischen BILD und New York Times, zwischen dem örtlichen Käsblatt und der ZEIT, zwischen einer launigen Radiosendung und einer investigativen TV-Reportage. Wenn wir nicht mehr differenzieren, werden wir missionarisch, engstirnig.

Ich hatte dieser Person noch geschrieben, dass sie in diesem Ton nie JournalistInnen für die Sache gewinnen würde. Wenn sie nicht lerne, dass die eigentlich ihre Verbündeten sein können, wenn sie statt dessen die wohlfeile Medienschelte hoch und runtersinge, könne sie den Laden gleich zumachen.

Als ich mich dann fröhlich abgearbeitet und das Account entfolgt hatte (Nervenhygiene), ging mir auf, warum ich diesmal kämpfte: weil da etwas zu entgleisen droht, was eigentlich wichtig für uns ist. Und in der Art, wie es entgleist, bringt es ausgerechnet die Klimawandelleugner zum Frohlocken. Da muss man sich, wenn man öffentliche Kommunikation macht, einfach professionell in der Hand haben.

Mir fiel aber auf, das geht noch viel tiefer. Ich merkte das an der Art, wie meine Argumente gar nicht durchdrangen. Diese Selbstrechtfertigungen und dann wie die Gebetsmühle: Aber das Klima! Die Welt geht unter und wir müssen jetzt das da und das da und du machst nicht genug!

Kann ich bei 17jährigen vollkommen akzeptieren - in der Jugend darf und soll man feurig sein und auch feste in Fettnäpfchen tappen. Das braucht die Welt genauso wie das Nachdenken. Aber eben nicht bei solchen Leuten, die was verkaufen wollen, für eine Organisation stehen. Ich machte mir den Spaß zu fragen, ob mein Gegenüber mich denn überhaupt sehe, wahrnähme - schließlich stehe ich sichtbar für ähnliche Ideen. Und da kam Schweigen.

Hier liegen Gefahren in Umbruchzeiten: Vor lauter gutem Ereifern und wildem Herumrasen verrennen wir uns womöglich ganz schnell?

Wir sehen den Klimawandel inzwischen täglich, die Medien versorgen uns mit Bildern und Texten. In Social Media können wir live Naturkatastrophen mit anschauen, während ich das hier schreibe, sehe ich unter dem entsprechenden Hashtag live, wo genau der angesagte schlimme Sturm auftrifft. Und irgendwann kommt der Overflow und ich sehe nichts mehr und kann auch nichts mehr fassen, weil es zuviel ist. Oder weil es mich abzustumpfen droht. Wir können Aktivismus ganz gut, sind sehr kreativ und auch reaktiv, wenn es darum geht, auf die Straße zu gehen, zu demonstrieren. Aber können wir noch etwas an uns heranlassen? Es gibt den m. M. n. dämlichen Ausdruck "sich anfassen lassen". In diesem Fall passt er eigentlich ganz gut, weil damit mehr gemeint ist, als "sich berühren lassen". Eine Berührung ist im nächsten Moment schon vorbei. Wenn ich von einer Sache angefasst bin, lässt sie mich so schnell nicht mehr los.

Und da bin ich bei dem Thema, das mir derzeit sehr am Herzen liegt und das ich ständig umkreise: Wir haben bereits jetzt unwahrscheinlich viel Trauerarbeit zu leisten. Wir müssen uns dringend um unsere eigene Psychohygiene kümmern und lernen, wieder empathisch (!) miteinander umzugehen. Die reine Datensammelei und die Argumentationen aus der Wissenschaft allein werden es ebenso wenig richten können wie Technologiehörigkeit, bei der wir vor lauter Schwärmerei die Ethik vergessen. Wenn wir unsere Zukunft und die des Planeten wuppen wollen, brauchen wir mehr als nur unser Hirn - wir müssen "menschlich" werden, mitmenschlich sogar. Und das nicht nur mit anderen Menschen.

Gleichzeitig begegneten mir dann zwei Dinge, die so eine Art Aha-Erlebnis waren und über die ich ein andermal laut nachdenken werde.

Da ist zum einen das, was man auf dem Bild oben sieht. Für meinen Workshop fertige ich noch ein zweites Beispielbuch. Spontan war mir beim Thema "Collage lernen" danach, die Papierabbildungen der bei uns in der Region ausgestorbenen Schmetterlinge mit Frauendarstellungen aus Zeitschriften zu kombinieren. Ich dachte, das sei eine "nette Bastelei". Aber die Wirkung kam wie ein Tiefschlag: Ich bin ja selbst eine Frau. Das macht etwas mit mir. Etwas sehr Kraftvolles und auch Positives. Darüber werde ich berichten, wenn ich es für mich selbst einordnen kann. Da verschieben sich Perspektiven. Ich habe das Gefühl: Kunst kann so ein Weg sein.

Das andere war ein Podcast, der in mir besonders nachklang - ich habe ihn unten verlinkt. Es geht um das besondere Erlebnis, wenn einem ein Tier sehr tief in die Augen blickt, wenn man das Gefühl bekommt, es nimmt einen wahr. Was das mit einem macht. Die Geschichten sind intensiv, vor allem von der Frau, die fast vom Krokodil gefressen wurde. Meine, die mich nie mehr loslässt und mich bis heute prägt, war die zufällige Begegnung mit einem Wolf in einem polnischen Nationalpark. Er war recht weit weg, aber plötzlich blieb er stehen, drehte sich nach mir um und schaute mich ganz ruhig und intensiv an.

Vielleicht bin ich auch deshalb so hin und weg von den Büchern von Elli H. Radinger, die als Wolfsforscherin noch ganz andere Begegnungen hatte. Sie kann sie so gut beschreiben, dass man dieses Besondere fühlen kann, das sich da zwischen Tier und Mensch abspielt und den Menschen verändern kann. Ich habe dieses Erlebnis auf Twitter Gavin van Horn erzählt, der mir dann zu seinem Treffen mit Kent Weber den Text gab ... unten im zuletzt verlinkten Artikel: The Disrupted Eye. Auch da steckt einiges drin, was uns durch künftige stürmische Zeiten führen könnte.

Leseempfehlungen:
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8. Februar 2020

Faszinierende Entdeckungen

Dafür liebe ich Twitter: Inzwischen folge ich genügend interessanten Accounts, um nicht nur Katastrophen mitzubekommen, sondern auch die faszinierenden Seiten dieser Welt. Heute gibt es dazu so viele (englischsprachige) Nachrichten, dass ich sie mit euch teilen möchte.



Kunst - Habt ihr gewusst, dass van Gogh ein Faible für Lila hatte? Pigmente altern und was wir von Kunstwerken heute sehen, sind zum Teil ziemlich zersetzte Farben. Wissenschaftlich kann man das untersuchen und rekonstruieren - und plötzlich wird van Goghs berühmtes Blau im Ursprung ein Violett! Artikel lesen / NYT.

Medizin -  Wunderwelt Mikrobiom - wir bestehen aus einem Kosmos anderer Wesen: "It’s only in the past 15 years that we’ve come to understand the incredible diversity of the microbiome. It’s almost like a rainforest inside our bodies. There are 100 times more bacterial genes than human genes." Artikel lesen / Forbes.

Biologie - Wenn wir Schmetterlingsflügel am Boden liegend finden, glauben wir kaum an Leben. Eine neue Untersuchung hat herausgefunden, was für biologische Wunderwerke sie sind: Sie verfügen über ein eigenes Herz und Sensoren für Belastungen und Wärme. Vor allem die Duftschuppen mancher Arten werden dadurch besonders mit Blut versorgt: So locken die Männchen mit Pheromonen Weibchen an. Artikel lesen / Nature.

Biologie - Dass Cephalopoden (Kopffüßer), zu denen Kalmare und Tintenfische gehören, schlauer sind als gedacht, wurde schon mehrfach berichtet. Ihr Verhalten lässt durchaus in Frage stellen, ob unser Verständnis von Intelligenz die Realität abbildet. Wissenschaftler haben jetzt erstmals einen Kraken im MRT untersucht und sind verblüfft: An Komplexität ist ein Krakenhirn mit dem eines Hundes vergleichbar! Artikel lesen / Inverse.

Archäologie - Man gehe in eine alte Kathedrale, deren ärmlich schlechten Restaurierungen von vor 150 Jahren abgetragen werden müssen, und entdecke Bienennester. Und nicht nur das: Komplett mumifizierte Wildbienen der Spezies Eufriesea surinamensis, samt Puppen und Pollen, die als Larvennahrung dienten. Die Wildbiene gibt es in der Region nicht mehr. Ihre Nester aus Wachs und Harz unter Blattgold haben wie eine Zeitkapsel Wissen konserviert: Deren Inhalt erzählt eine Menge über die Natur vor 150 Jahren. Nun werden die Pollen analysiert. Artikel lesen / Smithsonian.

7. Februar 2020

Sie flattern nicht mehr

Wir lesen fast täglich vom Arten- und Insektensterben. Alles eine recht theoretische Größe, die ich für meinen Workshop irgendwie "spielerisch" begreifbar machen will, zumal wir uns ja meist nicht einmal die Zeit fürs Begreifen, geschweige denn fürs Trauern geben! Ich will das Thema be-greifbar machen im Wortsinn, mit Händen und von da direkt ins Hirn. Also habe ich recherchiert, welche Schmetterlinge es in unserer Region, also im Elsass, so gibt. Und stelle das hier ohne viel Kommentar einfach rein. Man kann das mit der eigenen Gegend machen, es ergibt ein völlig anderes Gefühl für die Lage als jeder noch so gute Artikel. Die Teilnehmerinnen werden diese Schmetterlinge zum Ausschneiden bekommen, ihren Konturen mit der Schere folgen, sie berühren, darüber streicheln, bevor sie überhaupt erfahren, was sie da in Händen halten: Verlorenes.

Die im Elsass ausgestorbenen Schmetterlingsarten (Foto durch Klicken vergrößerbar)

Bei einer Studie von Odonat Alsace wurden die 146 Arten von regional vorkommenden Schmetterlingen untersucht - davon stehen jetzt insgesamt 48 Arten auf der Roten Liste, sind also höchst gefährdet. Das sind 32,9% der Schmetterlingsarten. Legt man zugrunde, dass beim Erfassen der Studie von 146 Arten nur 132 als "anwesend" gezählt werden konnten, sind das sogar 36,4% auf der Roten Liste. Eine Zahl, die in den wenigen letzten Jahren rasant stieg und bedrohliche Ausmaße annimmt. Die Gründe sind komplex, aber Verlust von Lebensräumen und Futterpflanzen spielt die größte Rolle, also auch die Landwirtschaft.

Auch in den Gärten gibt es Probleme: Hübsche Blühkräuter für den fertigen Imago, der oft nur kurz lebt, helfen einer Art kein bißchen, wenn nicht die Raupen ihre spezifischen Fresspflanzen und Überwinterungs- oder Verpuppungsmöglichkeiten finden. Dazu gehören unaufgeräumte Plätze ebenso wie z.B. Brennnesseln, eine der beliebtesten Fresspflanzen überhaupt, von der sich folgende Raupen ernähren: Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs, C-Falter, Distelfalter, Admiral und Nesselzünsler. Andere Schmetterlinge gehen in der Thujaeinöde zugrunde, denn sie brauchen heimische Gehölze und Bäume. Von Bäumen wie Pappeln, Birken, Eichen und Salweiden leben im Idealfall jeweils rund 100 Arten von Raupen! Von Weißdorn können 65 Arten Raupen fressen, von Haselbüschen immerhin 44 Arten, Schlehe, Brombeere oder Himbeere beherbergen je 54 Arten. Ohne Raupennahrung bei den Eiablageplätzen keine Schmetterlinge, die später Nektar aus Blüten trinken!

Greifbar schlimm wird es bei den Arten, die mit "RE" markiert sind, das bedeutet: ausgestorben. Das sind Schmetterlinge, die seit Hunderten von Jahren im Elsass lebten und die jetzt nicht mehr sind. 14 Arten sind ausgestorben. Manche Namen kennen wir vielleicht gar nicht mehr, manche Falter sind uns aus unserer Kindheit vertraut.

Ich liste sie in folgender Reihenfolge: Familie, Spezies (Name des ersten Beschreibenden mit Datum), französischer Name, deutscher Name.

Zygaenidae, Aglaope infausta (Linnaeus, 1767) Aglaopé des haies - Trauerwidderchen,

Zygaenidae, Jordanita subsolana (Staudinger, 1862) Procris des Cistes - Dickfühler-Grünwidderchen,

Hesperiidae, Pyrgus cirsii (Rambur, [1839]) Hespérie des Cirses - Spätsommer-Würfel-Dickkopffalter,

Hesperiidae, Pyrgus serratulae (Rambur, [1839]) Hespérie de l'Alchémille - Schwarzbrauner Würfel-Dickkopffalter,

Papilionidae, Parnassius apollo (Linnaeus, 1758) Apollon - Apollofalter,

Pieridae, Colias palaeno (Linnaeus, 1761) Solitare - Hochmoorgelbling / Zitronengelber Heufalter,

Lycaenidae, Scolitantides orion (Pallas, 1771) Azuré des Orpins - Fetthennen-Bläuling,

Nymphalidae, Arethusana arethusa ([Denis & Schiffermüller], 1775) Mercure - Rotbindiger Samtfalter,

Nymphalidae, Chazara briseis (Linnaeus, 1764) Hermite - Berghexe,

Nymphalidae, Coenonympha hero (Linnaeus, 1761) Mélibée - Wald-Wiesenvögelchen,

Nymphalidae, Coenonympha tullia (Müller, 1764) Fadet des tourbières - Großes Wiesenvögelchen,

Nymphalidae, Euphydryas maturna (Linnaeus, 1758) Damier du Frêne – Maivogel / Eschen-Scheckenfalter,

Nymphalidae, Hipparchia alcyone ([Denis / Schiffermüller], 1775) Petit Sylvandre - Kleiner Waldportier,

Nymphalidae, Melitaea phoebe (Denis / Schiffermüller, 1775) Mélitée des Centaurées - Flockenblumen-Scheckenfalter.

3. Februar 2020

Amtsserver des Grauens

Manche meiner Twitterstories sind zu schade, als dass sie bei Twitter verlorengehen sollten, die gibt es dann als Dramolett auch hier. Ich schwöre, ich habe das ganz genau so erlebt. Naja ... in Wirklichkeit hat der Amtsserver sich wahrscheinlich schon vorher kaputt gelacht und ganz sicher steht er im Haus, das Verrückte macht!

Analoger Amtsserver


Amtsserver des Grauens: Wir haben kurz vor knapp dein Passwort ungültig gemacht, weil es zu alt war. Gib ein NEUES ein!

Tippt.

Reingefallen, das Passwort ist ungültig! 2. Versuch!

Tippt nochmal.

Ätschebätsch falsch! Nach dem 5. Versuch wird dein Konto komplett gesperrt und
ist NIE mehr zugänglich für dich.

Panik. Gibt Anleitung bei Deepl ein, vllt. habe ich was falsch verstanden? Deepl: Du hast recht, das steht da so. Löscht Cookies, Cash, refresh.

Dein Passwort ist ab sofort ungültig. Logge dich jetzt mit dem ungültigen Passwort ein.

Tippt.

Ätschebätsch, erst jetzt kannst du dein neues Passwort eingeben.

Tippt.

Passwort bestätigen.

Tippt.

Hört im Hintergrund einen Amtsserver mit röhrendem Gelächter. - Bits wispern: Die haben wir aber schön auf die Palme gebracht, es funktioniert immer wieder!

Klickediklick. Endlich im Account.

Achtung, dein Passwort wird nach Verfallsdatum ungültig. Wann genau das sein wird, sagen wir nur pi mal Daumen.

Deklariert Zeug. Wischt sich Schweiß von der Stirn. Loggt aus. Schaut panisch nach dem Verfallsdatum der Eier im Kühlschrank.

2. Februar 2020

Die neue Saison beginnt

Gestern verbrachte ich einen fantastischen Abend beim ehrenamtlichen "Arbeitseinsatz", denn unser Kulturerbezentrum Maison Rurale de l’Outre-Forêt hat nach der Winterpause ab sofort wieder geöffnet und startet gleich mit einer feinen Ausstellung von Roland Perret durch. Der Künstler ist ein unwahrscheinliches Multitalent.

Symbolbild. Ich habe gestern gearbeitet, äh, gegessen, nicht fotografiert.


Ich war zum Servieren bei der Vernissage eingeteilt gewesen, aber das Ganze hat sich dann zum Buffet verwandelt, so dass wir HelferInnen schlicht hauptsächlich damit zu tun hatten, beim Essen und Trinken mithelfen zu müssen. Die Leckereien waren von Ehrenamtlichen selbstgemacht, also habe ich mir gleich das Rezept für einen göttlich leckeren Kugelhopf abgestaubt. Bis wir dann, als fast alle Gäste gegangen waren, eine im Kühlschrank vergessene Platte entdeckt haben, kleine Häppchen mit Butter und Schnittlauch. Nicht mit irgendwelcher Butter, sondern der, die im Maison Rurale mit den Schülergruppen selbst geschlagen wird. Ein Traum und ein himmelweiter Unterschied selbst zur besten gekauften Butter. Ich muss wohl kaum erwähnen, dass die Platte sehr schnell leer war.

Und dann steht auf meiner Einkaufsliste fürs nächste Mal im Museumsladen eine Köstlichkeit für die Nase - eine Kollegin hat mich nämlich schnuppern lassen. Rosa Duftkerzchen in Miniaturschraubgläschen, die so intensiv nach echten Rosen duften, dass man sie gar nicht anzünden muss. Meine Kollegin macht das recht kurz und lässt dann nachwirken. Ich bin in Sachen Düften extrem wählerisch, weil ich Chemie sofort rieche - und in meinem "Das Buch der Rose" habe ich ja erzählt, wie selten Rosenduft tatsächlich aus Rosen hergestellt wird. Diese Kleinigkeiten sind natürlich hergestellt.

Sie kommen aus der kleinen Manufaktur La Cigogne in Betschdorf - im Museumsladen gibt es natürlich regionale Produkte. Auch ein Plätzchen, das ich bei schönerem Wetter mal erkunden möchte. Seit ich mein Elsassbuch geschrieben habe, hat sich so vieles getan und verändert! So viele Geschichten ... apropos Geschichten: Ich werde künftig ganz offiziell vom Maison Rurale erzählen - auch ehrenamtlich - und euch dann auch ein wenig hinter die Kulissen schauen lassen - mit eigenem "Hashtag" unter #MaisonRurale.

Ich mache es kurz - mir haben die Gespräche gut getan und das hört man immer wieder von Leuten, die neu sind oder zum ersten Mal da: Sie freuen sich, wie einfach und unkompliziert man miteinander ins Gespräch kommt und welch weltoffene und interessante Menschen man bei den Veranstaltungen trifft. Sprache ist meist kein Problem - das geht dreisprachig.

Und dieses Feeling habe ich dringend gebraucht, das Feedback auch, denn ich war allein im stillen Atelier etwas mit meinem Workshop festgefahren gewesen. Dann tut es einfach gut, mit Erfahrenen abzusprechen, wie lang man für was eigentlich veranschlagen muss und welcher Tag am besten liefe. Auch inhaltlich freue ich mich schon richtig auf neugierige Menschen, die hoffentlich entdecken, wie kreativ sie sind, ohne dass sie das vielleicht von sich wussten. Das als kleine Zwischenmeldung von mir, bevor ich endlich mal wieder den Kopf frei habe zum "richtigen" Bloggen.