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31. Mai 2017

Der wunderbare Onlinehandel

Ich habe die Geschichte schon mehrfach erzählt: Als Firma muss ich selbst Produkte einkaufen, regelmäßig, in größeren Mengen. Und eigentlich wollte ich den stationären Einzelhandel "fördern", wenn schon Nachhaltigkeit, dann richtig. Wie und warum ich von jenem zum Onlinehandel getrieben wurde, erzähle ich hier - und den Dialog mit einer besonders unwilligen Verkäuferin als Dramolett liest man hier. Die Geschichte geht aber noch weiter, mit einem Kundenservice, wie ich ihn seltenst erlebt habe!

Nichts braucht man öfter als Leim, wenn man mit Papier arbeitet. Damit kann man Abenteuer erleben!
Mein Grossist, bei dem ich inzwischen fast alles bestelle, sitzt in Südwestfrankreich. Das hat den Vorteil, dass ein Paket in nur 24 bis 48 Stunden in meinem Briefkasten liegt. Treu geworden bin ich, weil eben dieser Grossist ein sehr schwer zu findendes Produkt in sein Sortiment aufnahm, dass ich bisher über Amazon in den USA bestellen musste. Fette acht Wochen wartete ich damals auf die Lieferung, weil das Päckchen in New York am Flughafen festhing. Ob ich auch kleinere Mengen kaufen würde, die könne man leichter noch an andere verkaufen, fragte mich der französische Grossist. Aber klar doch! Seit einem Jahr kaufe ich also die kleineren Mengen öfter - und staune nicht schlecht: Er hat inzwischen auch die Großpackung.

Gestern kam der übliche Newsletter, in dem es hieß, GeschäftskundInnen dürften auch gerne Produkte vorschlagen, die nicht im Sortiment zu haben seien. Es ist nicht einfach, dort ein Produkt nicht zu finden ... Aber da ist dieser ganz spezielle Kleber, den ich seit meiner Jugend liebe. Der einfach perfekt ist, wunderbare Eigenschaften hat und besonders umweltfreundlich ist er auch noch. Den kann man aber nicht einfach so in Läden kaufen - die Produktionsfirma hat feste Vertragspartner. Und wie im anderen Fall: Sie sitzt in den USA. Leider ist es inzwischen nicht sehr lustig, derart international Chemikalien zu ordern (viele Firmen verweigern sogar den Export) - da bliebe wieder nur Amazon übrig und das Warten. Ein Grund, warum ich viele andere Kleber durchgetestet hatte und einen französischen Ersatz benutze.

Da frag ich doch mal frech, dachte ich. Heute morgen eine Mail an meinen Grossisten geschickt, ob sie nicht zufällig diesen speziellen Kleber verkaufen würden. Eine Stunde später Antwort vom Kundenservice, sie gäben die Anfrage an den Einkauf weiter. Drei Stunden später die Antwort vom Einkauf: Ja, sie nehmen den Kleber gern ins Sortiment. Ich müsse mich nur leider etwa zwei Monate gedulden, bis die erste Ladung zu haben sei, der Vertriebler für Frankreich sei gerade ausverkauft. Das ist die Zeit, die so ein Paket aus den USA braucht, die warte ich gern. Ich bekomme eine Mail, wenn's da ist.
Und so bekomme ich auch dieses schräge Produkt in Zukunft innerhalb von 24 Stunden frei Haus.

Das nenne ich Kundenservice! Wenn ich dagegen an den stationären Einzelhandel denke, der mir nicht mal den französischen Kleber verkaufen wollte, obwohl der Laden mit der Marke auf der Website Werbung machte! Die waren schlicht zu bequem, das Zeug zu bestellen ...
Die Schmuckproduktion mit Qualität und vor allem umweltfreundlichen Lacken und Leimen ist garantiert und ich freue mich heute wie Bolle.

Mehr über meinen Papierschmuck gibt's hier!

20. Mai 2017

Alles fühlt - wir auch?

Gestern erschien in meiner Timeline bei Facebook ein Spruch:
We have to create.
It is the only thing
louder than destruction.
Wir müssen erschaffen - es ist das Einzige, was lauter ist als Zerstörung. Die Worte kamen genau zum richtigen Zeitpunkt, denn die vergangene Woche bei FB war so eklig, disgusting, dégoûtant, dass mir die Wörter nicht mehr ausreichen für meinen Überdruss. Das jedenfalls will ich nicht mehr! Und ich habe da eine Idee ... aber der Reihe nach!

Ich lebe dort, wo andere Menschen Urlaub machen: im Naturpark Nordvogesen, der zusammen mit dem Pfälzer Wald ein grenzüberschreitendes Biosphärenschutzgebiet zwischen Frankreich und Deutschland bildet. Diese Natur und meine Grenzgängereien erden mich, geben mir Kraft, inspirieren mich. Davon will ich erzählen ...


Generation Schreckschraube

An der miesen Woche bin ich natürlich selbst schuld. Ich hatte es mir nicht verkneifen können, bei Aussagen der (angeblichen) Aluhutfraktion Fakten zurechtzurücken - und das auch noch in den Kommentarspalten öffentlicher Medien. Wer sich dahin begibt, kommt darin um, sage ich mir selbst so gern. Die Reaktionen waren abzusehen: Social Bots, die sich im Namen irgendeiner sondererleuchteten Politik gemeinsam auf einen stürzen. Schreckschrauben, die sich regelrecht anzecken, um einen vor den anderen mit Dreck zu bewerfen und zu einer Wunschfigur umzubauen, an der sie sich abarbeiten können. Und die Unbelehrbaren, denen man offenbar in die Parade, pardon, Propaganda gefahren ist. Es wurde genügend über diese Sorte Mensch geschrieben und geforscht, das will ich meinen LeserInnen hier ersparen. In Mailinglistenzeiten nannte man es noch niedlich Gruppendynamik und sperrte Trolle gnadenlos aus, ächtete ihr Verhalten. Social Media von heute haben leider Kommunikationsstrukturen, die solche Leute züchten und mit heißer Luft aufblasen.

Kurzum: Ich mag mir das nicht mehr geben. Aber auch nicht mehr in eben diese strukturellen Fallen tappen. Und ich habe mit Erschrecken festgestellt:
  1. Was wir als "Aluhutfraktion" vor wenigen Jahren belacht haben, weil angeblich ungebildet, hat inzwischen auch Intelligente und Intellektuelle erfasst. Keiner ist vor Propaganda und Fakenews gefeit.
  2. Argumente, Aufklärung, Sachlichkeit: Wird in diesen Strukturen nicht nur nicht mehr verstanden. Es kommt nicht mehr an. Es prallt ab.
Zum Glück habe ich gestern zu eben diesem Thema ein hochspannendes Radiogespräch mit Brooke Gladstone gehört. Die Journalistin und Medienanalystin hat das in wenigen Wochen vergriffene Buch geschrieben "The Trouble With Reality. A Rumination on Moral Panic in Our Times." In meinem Kopf fing es an zu ticken. Darum auch das pinkfarbene Schild bei Facebook mit dem Wort "Cut", wie bei der Filmklappe: Schnitt!

Geist

Ich glaube, ich habe meinen eigenen Weg des Sich-Entziehens (ohne das Aufhören) gefunden. Ich halte den anderen Weg nach wie vor für unverzichtbar, den so viele wackere und fleißige JournalistInnen endlich wieder ganz bewusst gehen: Faktencheck, Aufklärung, Widerlegen und Argumentieren, Hintergründe aufzeigen, Verstand verbreiten, etwas für die Bildung tun. Es ist der Weg des Geistes, der so wichtig ist wie schon lange nicht mehr. Auch wenn er viele gar nicht mehr erreicht, weil unsere gesamte Kommunikationskultur im Netz zunehmend nur noch auf eins ausgerichtet ist: Emotionen und die viel zu schnelle Überhitzung derselben (er bewahrt aber ebenso viele, wenn nicht mehr, vor dem Komplettabsturz in perfide Fakewelten). Aber für diese Arbeit braucht es ausreichend Geld und große Strukturen. In der heutigen Zeit sogar globale Verbundstrukturen, etwa bei der Recherche. Das ist mir auch wieder klar geworden, als ich mit dem Thema "Europa" kürzlich hier baden ging. Ich bin zu klein dazu.

Emotion

Überhitzung der Emotionen. Wer kennt das nicht: das zunehmende Gefühl, sich nach dem Online-Quatschen desinfizieren zu müssen. Social Media sind toll und haben ihre guten Seiten. Aber sie ziehen einen immer öfter runter, machen einen regelrecht krank. In der letzten Woche kochte es sich dann bei einigen so auf, dass ich spontan daran denken musste: Das ist, als würden sich diese Leute absichtlich schneiden. Als könnten die sich nicht mehr fühlen. Noch eins drauf, noch hitziger, bitte nur noch Extrememotionen! Damit man überhaupt noch etwas fühlt. Auf die anderen treten, nachtreten und nochmal draufspringen! Damit man sich endlich wieder als ein Selbst wahrnimmt, endlich wieder jemand ist. Und wehe, es lässt sich das Gegenüber mal nicht manipulieren. Unsere Gesellschaft ... schneidet sich ...?

Cut.

Diesmal ein ganz anderer Schnitt. Emotionen kann ich auch. Ich habe so viele wundervolle Aufträge in meinem Leben bekommen, weil meine Spezialität die ist, sehr komplexe oder wissenschaftliche Zusammenhänge so zu erzählen, dass man plötzlich wieder etwas mit den Sinnen wahrnimmt. Und nach der Wahrnehmung das Fühlen. Ich habe meine sachlichsten Texte unter großen Emotionen geschrieben: Ich selbst brannte für mein Thema und ich war voller Leidenschaft dabei. Eines der großen Geheimnisse beim Schreiben: Diese Leidenschaft sorgt irgendwie dafür, dass ein Text berührt. Wer berührt wird, fühlt. Da draußen ist nicht nur das Unvermögen zu fühlen. Da ist auch ein riesiger Hunger nach konstruktiven Gefühlen - nämlich denen, die für ein Überleben, für Entwicklung, für Hoffnung so wichtig sind. Reicht es aus, die mit Katzenbildchen oder dümmlichen Sinnsprüchen zu bedienen?

Ich weiß nicht, ob es mir je gelingen wird - der Sog bei FB ist übel groß. Aber ich versuche jetzt eine Gegenstrategie. Lebendiges Erzählen, ruhig auch emotionales Erzählen, kann etwas, was der kühle Sachtext im Wissenschaftssprech nicht (will und nicht) kann - neugierig machen. Mit kindlicher Neugier fängt alles an: das Erkunden, das Spielen, das Fragen statt Antworten, eine Bewegung vorwärts statt rückwärts, den anderen so sein lassen, sich umschauen, über den Horizont gehen wollen, die eigenen Begrenzungen vergessen. Neugier ist der wichtige Schritt vor dem Lernen wie der Kunst, vor dem Kreativwerden wie dem Sich-Öffnen. Die Evolution der Menschheit kam nur so weit, weil der Mensch ein neugieriges Tier ist. Und das ist es, was all den "besorgten Bürgern", Hassern und Neidern, Fundamentalisten aller Denkrichtungen und Extremisten der Lebensverachtung zu eigen ist: Sie haben verdammt viel Angst, aber keine Neugier mehr! Angst und Neugier vertragen sich nämlich nicht.

Das neue Fühlen

Im Hinterkopf hatte ich auch das wunderbare literarische Sachbuch von Andreas Weber: "Alles fühlt" (pdf mit Leseprobe). Es hat mich ebenso beeindruckt wie die Texte über "Das geheime Leben der Bäume" von Peter Wohlleben. Von Andreas Weber stammt auch das "Enlivenment Manifesto" für das Anthropozän. Und das sehr lesenswerte Essay "Enlivenment: Towards a Fundamental Shift in the Concepts of Nature, Culture, and Politics", das von der Heinrich Böll Stiftung veröffentlicht wurde und frei zugänglich bei Shareable zu lesen ist.

Es gibt schon die ersten Verächter, die bemängeln, dass es in der Wissenschaft plötzlich um Gefühle gehe. Nicht allein in der alten Art und Weise, weil man sie aufschlüsseln und erforschen möchte. Plötzlich werden Begriffe, die einst nur dem Menschen vorbehalten waren, auf die übrige belebte Welt angewandt. Jetzt lässt es sich aber auch wissenschaftlich sichtbar und nachprüfbar machen, wenn etwa Pilze über ihr "Myzel-Internet" Bäume "anfunken" und die wiederum weitergeben, was ihnen bei der Ernährung fehlt, damit der Pilz das für ein leckeres Gegengeschenk heranbuckelt. Eine Geschichte von vielen, die man mit wachen Sinnen im Wald regelrecht mit Händen be-greifen kann.

So passierte das also, dass Impulse aus allen möglichen Richtungen über viele Wochen einen Hirnbrei anrührten, den mir wohl die letzte Woche bei FB nur noch aufkochen musste. Mal sehen, ob ich die Kurve bekommen werde!

Tagesaktuelle Politik und Aufreger gibt's möglichst nur noch bei Twitter. Ich werde natürlich kein unpolitischer Mensch werden, aber mein Storytelling bei FB möglichst komplett verändern.

Überschrift für mich selbst: Neugier & Leidenschaft.

Anstatt trocken und sachlich über Europa zu dozieren, werde ich hoffentlich öfter mit meinem Fotoapparat unterwegs sein und Geschichten erzählen - schließlich lebe ich dort, wo andere Urlaub machen. Und bevor ich mich wieder mit männlichen wie weiblichen Schreckschrauben herumschlage, die ihre Weltsicht aus der Verblödungsmaschinerie rückwärtsgewandter und extremistischer Politik beziehen, möchte ich lieber von denjenigen erzählen, denen ich in der Mittagspause begegne und die meine Arbeit im Atelier Tetebrec so prägen: Pflanzen und Tieren, die spannender sind, als wir uns das vorstellen können.

Um sich selbst fühlen zu können hinter all den Angstfassaden der Onlinewelt, braucht der Mensch nämlich auch einen gewissen Stand, eine Verankerung. Nicht im nationalistischen Blut-und-Boden-Schlamm, sondern in der Erde, die uns alle trägt - wenn wir sie nicht zerstören. Wenn ich mit Menschen im oder über den Wald rede, stelle ich jedoch häufig fest: Die meisten spüren auch die Erde nicht mehr wirklich. Haben keine Emotionen mehr für die Natur, manchmal sogar nur noch die Abwehr der Entfremdung übrig. Meine Akkus für mehr Fotos stecken im Ladegerät - und fremde Fotos zum Anschauen und Schwelgen für alle sammle ich in meinen Alben bei Pinterest.

Und Bücher?

Jetzt aber husche ich ins Atelier, denn da liegt ein brandneues Projekt auf dem Tisch. Es ist nämlich gestern noch ein Knoten aufgegangen. Ich habe ja selbst mein Bücherschreiben nicht mehr spüren können - und das kommt auf eine sehr seltsame Art zurück! Das nächste Buch von mir wird sich dem 99-Cent-Verramschemarkt vollkommen entziehen, denn es wird ein absolutes Unikat. Handgefertigt.

Ich arbeite derzeit rückwärts: Zuerst entsteht die Form, wird ein Künstlerbuch geschaffen, von Hand. Während ich die äußere Form bastle, entsteht ein Text im Kopf, der teilweise als Ausdruck im "Buch" landen wird, teilweise von Hand geschrieben. Ich klebe, pinsle, male, notiere, reiße ab und baue auf, schwelge in Farben und Strukturen, unterschiedlichen Papieren. Manche Leute wollen Haptik? Aber dann richtig! Manche wollen digitale Texte? Aber dann ganz anders: dieses Künstlerbuch wird seine Geschichten mit Online-Stoff vernetzen. Fragt mich nicht, was es wird - das weiß ich selbst noch nicht. Ich weiß nur: Jetzt, wo der Knopf aufgegangen ist, wird da etwas werden ...

Und falls ich mal wieder massiv in alte Muster zurückfallen sollte: mich einfach virtuell am Ärmel ziehen!

Für unbewusste Handgriffe beim Knopföffnen danke ich zwei inspirierenden Mutmacherinnen, deren Arbeit ich dick empfehlen möchte: Sylvia Richard-Färber mit ihrer Musik und ihrem Leben als Gesamtkunstwerk - und der Aktionsmalerin Etelka Kovacs-Koller mit ihren lebenssprühenden Bildern. Und was wäre mein Lesestoff ohne Patrick Breitenbach von ZDFdigital, der so viele spannende Links hat und mich mit dem Soziopod im Atelier zum Nachdenken bringt. Stöbern in den Links lohnt sich!

12. Mai 2017

Reines Weiß ist Einbildung

Eben gab es bei Facebook wieder einmal eine dieser unseligen Haptik-Diskussionen innerhalb der Buchbranche. Sie ist in etwa so sinnführend wie der pseudoreligiöse Krieg zwischen Apple- und Microsoftjüngern. Und überrascht mich von einem anderen Aspekt her: Viele, die bei Büchern auf "volle Haptik" setzen, merken gar nicht, wie lausig Print oft produziert wird - oder wie Qualität wirklich aussehen könnte. Zugegeben, ich beschäftige mich auch erst so intensiv damit, seit ich das Papier von Büchern für die Schmuckverarbeitung erst einmal "aufbrechen" muss. Inzwischen sortiere ich Verlage nicht mehr nach ihren Inhalten, sondern nach den chemischen Eigenschaften ihrer Printbücher!

Aus meinem Musterheft fürs Atelier Tetebrec: Papierproben aus Büchern von 1900 bis 2002
Ich hatte im vergangenen Jahr eine Kundin, die ein Collier in Maßanfertigung bestellte. Weiß sollte es sein, mit weißen Perlen. In der Beratung gab ich zu bedenken, dass Buchseiten nie rein weiß seien. Weiß mit Blaustich, das Laien als wirkliches Weiß empfinden, wird fast nur noch für Foto- und Kunstdruck verwendet. Und diese Papiere eignen sich nicht für die Schmuckherstellung: zu viel Sonderlackierungen oder Harze. Das herkömmliche Belletristikpapier dagegen hat meist einen Gelbstich, denn das ist augenfreundlicher in den Kontrasten zur Schrift. Darum kann ich dazu auch nicht automatisch reinweiße Perlchen kombinieren. Zwei unpassende Weißtöne nebeneinander - das beißt sich ganz hässlich!

In meinem Musterbuch sammle ich alle möglichen Papierproben, Papiergarne, Farbproben. Die sogenannten Haptiker hätten ihre Freude daran! Denn tatsächlich schaue ich mir die Proben nicht nur an, sondern muss auch herumfühlen, streicheln, knicken, um je nach Projekt genau die passende Papierstärke und -oberfläche zu finden.

Gerade Buchpapiere erzählen viel von der Geschichte des Buchdrucks. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind sie viel zu säurehaltig und reagieren oft unvorhersehbar. Meine Lieblingspapiere stammen vom Ende des 19. / Anfang des 20. Jhdts - sie lassen sich wunderbar verarbeiten, nehmen alle Flüssigkeiten in idealer Weise auf und sind fein genug, um sich nicht aufzuwerfen oder harte, unschöne Kanten zu bilden. Papiere aus sogenannten Premiumtaschenbüchern sind das genaue Gegenteil: hässlich, plump. Dieses "aufgepumpte" Papier verwandelt sich in nassem Zustand allzu schnell in hässlich verfärbten Matsch. Für extreme Klunker, die man dann sogar mit der Maschine schleifen muss, ist es gerade noch geeignet.

Buchpapier aus der Wegwerfkiste erzählt mir noch eine andere Geschichte: All die vielgelobte Haptik wird immer seltener für eine mögliche "Ewigkeit" hergestellt. Gerade Taschenbücher kommen mit einem eingebauten Verfallsdatum auf die Welt, das immer kürzer zu werden scheint. Nicht nur, dass sich die Leime zersetzen oder brechen - das Papier selbst vergilbt in einer Schnelligkeit, die früher undenkbar war, zersetzt sich auch, wird brüchig.

So kommt es, dass ein Taschenbuch von Rowohlt aus der Mitte der 1990er etwa genauso vergilbt ist wie ein Larousse von 1923. Taschenbücher von Heyne sehen schon nach zehn Jahren richtig alt aus und entwickeln diese für alte Bücher typischen Randverfärbungen. Und ein erst fünf Jahre altes Suhrkamp-Taschenbuch kommt daher wie ein Larousse aus den 1970ern.

Bis so ein Buchpapier zur gegen Feuchtigkeit versiegelten Perle geworden ist, dunkelt es noch einmal einen Ton nach. Wenn jemand dazu "weiße" Perlchen wünscht, muss ich genauestens wählen: aus Rocailles in Porzellanweiß oder Elfenbeinfarben, in Perlmuttfarben mit Apricot-Stich oder dem Weiß gelblicher Zähne. Und wie es mein Musterbuch zeigt: Papier, das in unseren Augen einigermaßen "rein weiß" wirkt, habe ich bisher nur in Frankreich gefunden (li. oben im Bild, ein Larousse-Wörterbuch von 1992).

Aber Farbe ist nicht alles! Wie gesagt, so ein Papier reagiert, fühlt sich dabei fast an wie ein lebendiges Wesen - es reagiert auf Leim, auf Lack, auf Farben, auf Vergoldungen oder Metallpulver, Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Dafür muss ich ein Gespür entwickeln. Ich kann es oft nur intuitiv sagen: Neben sehr alten Papieren arbeite ich am liebsten mit älteren Heyne-Taschenbüchern für sehr feine Perlen und mit Büchern von btb für massive Schmuckstücke, die sich vergolden lassen.

Und manchmal fluche ich schon, wenn ich etwas zusammenleime. Weil es stinkt wie die Pest, weil es sich absolut eklig anfühlt. Ab in den Mülleimer! Denn dann weiß ich: Hoppla, mal wieder billigst in China produziert. Da nimmt man es nicht so streng mit der Chemie im Papier oder der Druckerschwärze. Ein Grund übrigens, warum ich nicht wie so viele mit kostenlosen Anzeigenblättchen und Prospekten arbeite - sie sind meist voller Gift, vor allem bei den Farben. Meist können das Laien schon beim Aufblättern riechen. Ich will, dass meine KundInnen nur das Beste tragen. Für meinen Schmuck habe ich mir selbst hohe Standards gesetzt. Ich habe aber auch keine Lust, mich selbst zu vergiften, weil ich ständig im Hautkontakt mit den Materialien bin.

Mit der Haptik ist das so eine Sache. Im Atelier Tetebrec veredle ich auch Papierfetzen, die in Buchform einfach nur lausig daherkommen. Es ist tatsächlich so: Mancher E-Reader hat eine bessere Haptik als manches zu billig gemachte Taschenbuch. Aber darum geht es eben gar nicht. Vielleicht begreifen die hehren Entweder-Oder-Streiter in der Buchbranche irgendwann, dass beides eine Berechtigung hat, dass man aber dann auch beides qualitativ gut herstellen muss. Ich selbst bin froh, dass ich mich aus dieser Diskussion ausgeklinkt habe, denn meine Papierperlen dürfen die gesamte Skala von Sinneseindrücken wiederspiegeln. Sie leuchten in Aquarellfarben oder haben vergoldete Kanten, sie kommen im einfachen Understatement pur daher oder umschmeicheln farbigen Karton. Buchpapier trifft auf Papiergarn. Und Papierperlen wählen sich ihre "Partner" je nach Anlass: von der unbehandelten Holzperle zum holzfreien Papier bis hin zu wertvollen Swarovski-Kristallen zu historischem Papier, von handgeschnitzten Knochenperlen über Glaskunst aus Tschechien, Venedig oder Japan bis hin zu Süßwasserperlen - alles ist möglich, denn ich lege mir keine Denkgrenzen auf.

Zwei Shops habe ich:

Deutschsprachig bei Dawanda
Englischsprachig bei Etsy (auf Englisch stellen, alles andere sind Maschinenübersetzungen)
Meine Website

Der Shop bei Etsy muss noch tüchtig aufgefüllt werden, dafür erfährt man dort ein wenig über mein Atelier. Maßanfertigungen gibt es direkt bei mir.

3. Mai 2017

Können Hunde Wetter riechen?

Bei unserer täglichen Wanderung heute hatte Bilbo plötzlich keine Lust mehr zu laufen. Er setzte sich gemütlich auf einen Ausguck und hielt die Nase in den Wind. Schnuppern ist für einen Hund ja völlig normal. Aber hier war etwas im Gange, dass ich in all meiner Zeit mit Hunden so intensiv noch nicht beobachtet hatte. Der Ort war perfekt gewählt von ihm: Wir saßen auf der Höhe, schräg hinter uns die Berghänge der Vogesen, schräg vor uns der Schwarzwald. Nicht nur ein Blick über zwei Länder hinweg, sondern auch auf Wetterfronten, die sich schnell von zwei Seiten näherten. Und da passierte es ...