Da wachst du morgens völlig gerädert auf und hast diesen
verführerischen Gedanken: Es war alles nur ein schlechter Traum. Einfach
noch einmal die Augen schließen, aufmachen - und die Welt ist wieder
die alte. Beim Kaffeemachen der Griff zum Radio, plötzlich wird der
schlechte Traum von einem weiteren Alptraum überlagert.
Unbestätigten Quellen zufolge eine Geiselnahme durch die Täter.
Spezialeinheiten auf Menschenjagd gegen schwerstbewaffnete,
offensichtlich militärisch ausgebildete Täter. Dein Radio ist dabei.
Mittendrin. Jounalisten fahren nicht mehr an den Tatort, sie rufen an.
So viele Handys. So viele Betroffene. Und während sich dein Magen
zusammenkrampft, denkst du nur: Irre, wie gut geschult Laien heutzutage
ins Telefon reden können. Als seien es Reporter. Interviews. France Info
seit der Tat auf Dauerschleife - andere Nachrichten finden nicht mehr
statt.
Die coole Schullehrerin, der du schon gar nicht mehr
zuhören kannst, wie sie ihre Kinder in Sicherheit bringen will. Der PDG
einer Firma nebenan oder sogar DER Firma im absolut unaufgeregten
Konferenzton, er erzählt von Bewegungen der Sicherheitskräfte und
Helikopter, zählt durch, zählt bedrohte Leben durch und schwankt kein
bißchen, es ist einer, der immer Bescheid weiß. Wie lange er sich wohl
noch so im Griff hat?
Alle haben sie heute offenbar ihr Handy gut
aufgeladen, immerhin noch nichts bei youtube, denkst du und vergisst
deinen Kaffee. Menschenjagd. Die Journalistin umkreist die Täter,
hangelt sich von Handy zu Handy näher heran. Da ist ein Arbeiter, dessen
Stimme pure Angst ist. Ein Querschläger könnte ihn treffen, hat er
womöglich vor dem Anruf noch gedacht. Er gibt sich tapfer, das Radio
ruft ihn immerhin an, beim Radio muss man antworten und dann bricht ihm
doch die Stimme langsam weg. Immerhin feinfühlig entlässt ihn die
Reporterin, brechende Stimmen machen sich nur in kleinen Prisen gut, der
Emotionen wegen. Zu viele dürfen es nicht werden, dann heißt es wieder
die "aufdringlichen Medien".
Was darf man berichten, wo zwingt
die Informationspflicht, wie mache ich meinen Job gut und was tue ich da
eigentlich? Schon wieder etwas passiert, eine Bewegung, dranbleiben,
jetzt nur nicht weich werden, an die Schicksale und die Folgen kannst du
nach Feierabend denken, wenn du dir den großen Whisky einschenkst.
Dranbleiben, wegdrücken, bleib cool, denn du musst auch deine
Interviewpartner beruhigen und cool halten. Du bist Psychiater und
manchmal ein bißchen freundlicher Folterknecht, denn die Menschen da
draußen wollen Informationen. Sie schimpfen vielleicht auf dich, auf
deine Arbeit, deine Hartnäckigkeit, aber in Wirklichkeit können sie
nicht genug kriegen und hätten am liebsten noch die Liveschaltung zu den
mutmaßlichen Geiseln. Voyeure, Ecouteure, nichts ist ihnen genug und
alles zu viel. Vielleicht wachst du morgen auf und alles war nur ein
schlechter Traum und du hast wenigstens gute Arbeit geleistet.
Ich bewundere alle, die diese Arbeit derzeit machen müssen und dabei so sachlich und seriös bleiben.
Es kann sein, dass ich lose unzusammenhängende Texte hier einstelle - sie beschäftigen sich mit dem schrecklichen Attentat in Paris. Schreiben ist mein Verarbeiten ...
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