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22. Oktober 2013

Sprachmarathon

"Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Du sitzt doch ständig gemütlich am Schreibtisch herum!?" So kann nur Tante Erna meine Arbeit in einem Satz zusammenfassen. Es sieht in der Tat gemütlich aus: Neben dem Schreibtisch liegt die Hundedecke mit einem niedlich gelangweilten Bilbo, zwischen dicken Klopfern von Spezialwörterbüchern (ich bin da noch so eine olle Papierfrau) und dem Mauspad erkaltet ein riesiger Milchkaffee ... und manchmal steht sogar der Teller fürs Sandwich auf dem Wörterbuch, weil ich nicht wirklich zum Essen komme.


 "Speedübersetzung" nennt man das, was ich ab und zu mache, um für den gelangweilten Welpen genug Hundefutter heranschaffen zu können. Ich spiele sozusagen Übersetzungsfeuerwehr. Diesmal habe ich genau sechs Wochen Zeit für eine druckreife Übersetzung ... macht nach Adam Riese bei mir vier Wochen für die Rohübersetzung. Der Rest bleibt fürs Schleifen und als Puffer, falls ich mal krank werden sollte. Für letzteres bleibt eigentlich keine Zeit, denn mein Pensum steht täglich fest. Täglich bedeutet: ohne Wochenende und Feiertage, ich arbeite in diesen sechs Wochen ohne Pausen. Es geht schließlich nicht um irgendeinen Text, sondern um ein ganzes Buch.

Vom sprachlichen Niveau her ist es grundsätzlich nicht zu anspruchsvoll, also zu schaffen. Verfällt meine Autorin mal wieder in Slang, den sie mit superintellektuellen Ausdrücken zu eigenen "lustigen" Metaphern kombiniert, stehen im Rohtext erst einmal rot markierte Platzhalter. Die schaue ich morgens vor der Arbeit oder abends in einer Extraschicht nach. Sehr viel aufwändiger sind ihre spontanen Ausflüge ins Altfranzösische, das ich eigentlich nicht beherrsche ... und all die lateinischen Ausdrücke, die ich öfter nachschlagen muss.

Solches Übersetzen ist Fließbandarbeit. Man hat nicht wie in der Hochliteratur üblich, die Zeit, einen Text sich tagelang setzen zu lassen und mit Formulierungen zu spielen. Ich muss gleich am Anfang erfassen, in welchem Ton das Buch daherkommt, welche Atmosphäre es schaffen will, welche Ausdrucksweise im Deutschen adäquat dafür wäre. Wenn das Buch perfekt wäre, könnte ich "runterübersetzen", aber es ist leider nicht so perfekt. Französische Edelverlage sparen offenbar zunehmend am Lektorat. Die Autorin hat sich selbst öfter kopiert ... manche Texte kommen daher wie in einem Zeitschriftenartikel, manche wirken wie aus Wikipedia geholt, andere sind fast hölzern. Im Deutschen muss ich einen mittleren, durchgängigen Ton finden, der sich "glatt" liest. Und dann sind da Lektoratsfehler: Doppelungen, Ausdrucksschwächen und echte inhaltliche Fehler. Ich bin zum Glück vom Fach und rieche, wenn da etwas nicht stimmt. Eigentlich muss ich jede größere vollmundige Behauptung nachrecherchieren. Zur Übersetzung kommen also Textprüfung und Recherche.

Dann sitze ich mit meinen schlauen und korrekten Erkenntnissen da - aber ich kann nicht einfach einen Originaltext vergewaltigen! Wie korrigiere ich den Inhalt, ohne zu sehr ins Original einzugreifen? Wie formuliere ich ihren Satz ein klein wenig um, ohne dass ich mich zu weit von der Autorin entferne? Man muss da trickreich sein. Eine Aufgabe, die sehr viel Spaß machen kann, weil sie das eigene Sprachvermögen herausfordert. Die aber auch unendlich ermüden kann, weil sie zeitraubend ist und man eben kaum im Fluss übersetzen kann. Einfach die Fehler stehenlassen ... das geht nicht. Leser lasten Fehler ja nie den Autoren, sondern ihren Übersetzern an.

Im Laufe dieser intensiven Arbeit kommt man den Autoren und ihren Texten unwahrscheinlich nah, wahrscheinlich näher als jeder Lektor. An der Art, wie jemand seine Sprache benutzt, kann ich Dinge herauslesen, die mit dem Buch nicht einmal etwas zu tun haben. Manchmal weiß ich, zu welcher gesellschaftlichen Klasse ein Autor gern gehören würde, aber auch, wo seine schriftstellerischen Grenzen liegen. Ich kann sehen, woran er scheitert oder welche persönlichen Komplexe er im Text abarbeitet. Manchmal sehe ich einen Autor vor mir im Bistro und kann hören, worüber er sich auskotzt bei seinen Freunden ... weil er das in seiner Sprache auch im Buch heraushören lässt. Oder ich erkenne Vorlieben, die den meinen diametral entgegenstehen. Sprache verrät so viel über Menschen.

Das ist aber auch das Schwierigste: Ich muss einerseits hochsensibel auf Ausdruck und Autorenstimme achten - andererseits darf ich nicht emotional werden. Ich muss objektiv bleiben, weder meine persönliche Stimmung noch mein Urteil haben in einer Übersetzung etwas zu suchen! Trotzdem - ich kann das natürlich nicht durchweg ... Manchmal kommt ein Punkt, an dem mir ein Autor einfach wirklich auf den Wecker fällt. Wo ich ihn am liebsten schütteln würde. Ich bin schließlich auch nur eine Leserin! Jeder hat hier wohl eigene Techniken, damit umzugehen. Ich schimpfe im Geiste tüchtig mit meinen Autoren: "Hättest du vor diesem Kapitelende nicht mal schlafen können? Musste das so viel schwächer als der Anfang hingehudelt werden?" - "Hat dieser absolut degoutante Seitenhieb auf die Frauen jetzt wirklich sein müssen? Ist doch gar nicht relevant für die Handlung, die Figuren, den Text! Woran hast du dich da wieder abarbeiten müssen?" - "Madame, das Stückchen haben Sie jetzt aber aus dem Internet abgeschrieben. Hatten Sie wirklich keine eigenen Worte dafür? Aber keine Angst, ich verrate Sie nicht. Wir Übersetzer sind ja diskret." - "Oha, du hast die gleiche schlimme Angewohnheit wie ich! Wenn ich mich vor einer Wahrheit drücke, landen auch immer mehr Füllwörter in den Sätzen!"

Nach solchen Tiraden geht es mir wieder besser. Wenn ich mir solchermaßen Luft gemacht habe, kann ich auch einen schwachen Text mit der Wertschätzung behandeln, die jedem Text zusteht: Ich übersetze ihn, als sei er für den nächsten Buchpreis vorgeschlagen. Und ein ganz kleines bißchen erröte ich auch innerlich: Was wohl die Übersetzerinnen über mich geschimpft haben, die meine Bücher ins Spanische, Italienische und Litauische übersetzt haben? Ich kann sie im Geiste fast hören ... ahne, an welchen Stellen sie womöglich einen Extrakaffee brauchten oder das Buch gern an die nächste Wand geschleudert hätten. Ich lerne unwahrscheinlich viel für meine Arbeit als Autorin, bekomme einen neuen Blick für das Funktionieren von Texten, für Sprachnuancen kleinster Art. Eine faszinierende Arbeit ... aber die Uhr tickt!

Das macht sich auch körperlich bemerkbar. An guten Tagen versuche ich, das doppelte Pensum zu schaffen, um mir einen freien Tag herausschaufeln zu können. Das jetzige Buch ist reich an unterschiedlichen Schriftfonts, manche so fein und klein, dass ich eigentlich mit einer Lupe lesen müsste. Wenn ich Feierabend mache, tränen mir die Augen und manchmal ist alles unscharf. Ich kann abends selbst keine Bücher mehr lesen, welch eine Ödnis! Ich will auch nicht über die Muskeln jammrn, die schmerzen können, weil ein großformatiges Buch neben der Tastatur nebst dem Geblättere in Nachschlagewerken nicht unbedingt immer ergonomisch ist. Zu jeder Speedübersetzung sollte es Massagegutscheine geben. Schlimmer jedoch ist dieser andere Muskel, die graue Schwabbelmasse im Kopf, die den Eindruck macht, als turne sie wirklich. Da ist plötzlich ein ungeheurer Hunger auf Proteine und Schokolade. Und nach drei Stunden intensiver Arbeit ist erst mal Schluss. Nichts geht mehr. Ruft mich jemand in dieser Zeit an, lalle ich in hilflosem Europlais herum, finde die Wörter in der eigenen Muttersprache nicht mehr oder kann nicht einmal mehr sagen, in welcher Sprache der Anruf getätigt wurde. Letztens schrie ich eine Frau von einem Callcenter einfach an, sie solle gefälligst logisch stringent auf meine Frage antworten, ihr Geeiere könne man ja nicht mal übersetzen ...

Oft peitsche ich mich dann nach einem erfrischenden Hundelauf trotzdem weiter, über die Zielmarke. Bei fünf Stunden Arbeit ist dann alles aus. Danach will ich nicht mehr sprechen, nicht mehr zuhören, einfach nur sprachlos irgendwohin starren, nie wieder ein Buch in die Hand nehmen. Ich bin dann Gemüse, auch körperlich völlig fertig, als hätte ich mit allen Muskeln geschuftet. Das sind die Tage, wo ich mich freue, wenn sogar der Hund verschläft ... aber es hilft nichts: Das Tagespensum wartet. Es wartet auch jetzt.

Eine herausfordernde, wunderschöne und lehrreiche Arbeit. Weh tut sie erst dann, wenn da draußen manche Leser nicht zu schätzen wissen, wie viele Menschen oft an einem guten Buch arbeiten, für das so viele am liebsten gar kein Geld mehr bezahlen würden. Von Tante Erna ganz zu schweigen. Wenn ich der erzähle, dass ich eigentlich täglich nur drei bis vier Stunden lang hochkonzentriert arbeiten kann, hält sie mich wahrscheinlich für das faulste Ei im Hühnerstall.

8. Oktober 2013

Das Glück liegt in einer Pfütze

Kurz vor dem Anpfiff zur Buchmesse hört und liest man nur noch eins: "Profit"! Klar, Büchermachen ist ein Geschäft, Bücher unterscheiden sich als Ware nicht sonderlich von Shampoo mit Eierlikörgeschmack oder Lasagne mit Gammelfleischeinlage. Was mir dabei auffällt: Vielen Beteiligten am großen Profitkarussell kommt der Spaß abhanden. Wenn Autoren miteinander diskutieren, fällt immer häufiger das Wort "Ranking" aber nie das Wort "Beglückung"! Wo bleibt da noch das kleine Glück, für das Bücher früher so gerühmt wurden? Ich weiß seit gestern wieder einmal: Das Glück liegt in einer Pfütze. Einfach den Computer ausschalten, Gummistiefel anziehen und raus ins verregnete Land, das seit gestern wieder verhaltenen Altweibersommer spielt.


Mein Hund Bilbo ist absolut wasserscheu. Bei Regen verdrückt er lieber seine Bedürfnisse. Er taucht zwar lustig mit der Nase nach Blättern im Wassernapf .. aber sich die Pfoten feucht machen? Nada! Als ich ihn dann zum ersten Mal nach Schütteregen mit einem Handtuch trockenrubbeln wollte, flippte er voll aus. Panik, Übersprungshandlungen. Das und anderes körperliches Verhalten in "nassen" Situationen zeigte mir: Der Welpe war in frühem Alter von den Vorbesitzern ganz offensichtlich bestraft worden, wenn er nasse oder schmutzige Pfoten hatte! So zeigte mir sein Verhalten auch, dass er dann nicht mehr zu seinen Menschen ins Haus hatte dürfen. Körper vergessen nichts, Körper erzählen ...

Die Sache mit der Handtuchpanik haben wir dann recht einfach beheben können. Ich habe mich einfach neben das nasse Kerlchen gesetzt und mich selbst abgetrocknet. Später ihn an einem Ende des Handtuchs herumkauen und spielen lassen. Irgendwann sind wir gemeinsam unters Handtuch geschlüpft. Dann habe ich mal mich abgetrocknet, mal ihn berührt. Inzwischen findet er das Handtuch lustig - und es kommt ja nur zum Einsatz, wenn er völlig durchgeweicht sein sollte. Mit dem Erwachsenenpelz, der sich langsam bildet, wird das kaum mehr ein Problem sein.

Aber das arme Kerlchen scheute so schrecklich vor Pfützen in Wald und Wiesen, soff nicht mal bei Durst daraus. Einmal, da muss er völlig ausgedörrt gewesen sein, leckte er ängstlich nur den feuchten Schlammrand. Gestern nun überall Pfützen, meterlang ... und herrlichster Sonnenschein: Ich wollte raus!

Es war verrückt. Ich bin selbst in die Riesenpfütze gestiegen, habe Bilbo ermuntert, zu mir zu kommen. Den zerriss es fast. Er wäre ja zu gern zu mir gekommen, aber er zitterte vor Angst am Pfützenrand!
Das ging dann eine Weile ganz ruhig zu ... die Alphawölfin stand bis zu den Knöcheln im Wasser, streichelte das Kleinchen und machte lustige Spritzespiele mit dem Finger, später mit der ganzen Menschenpfote. Lies ein Blatt vorbeisegeln. Bilbo war gebannt, schaute fasziniert zu, wagte sich mit der Nase rein, um das Blatt zu schnappen. Großes Lob.

Und die Möchtegernwölfin spielte weiter, wurde ausgelassener, tappte nach den Hundepfötchen und nach dem Wasser und für die erste nasse Pfotenspitze gab's wieder Freudenjubel und Einladungen, doch mit in den Schmodder zu kommen. Und dann ist es passiert: In dem kleinen Kerlchen kämpften die Neugier und die Lust gegen die Angst. Er soff ein bißchen. Menschin schimpfte nicht? Er tappste mit dem Pfötchen ins Wasser. Huch, die Menschin freute sich lauthals? Plötzlich war Bilbo hinter mir in der Pfütze, freudig erstaunt, überrascht, kurz wieder erschrocken vor dem eigenen Mut ... aber die Menschin lobte und freute sich ... also hinter ihr her. Und noch einmal die Pfütze entlang in die andere Richtung. Streicheln statt Strafe. Knuddeln und Wasserhüpfen.


Und dann ist es passiert: Ein Welpe ist vor Glück explodiert! Selten habe ich so etwas gesehen. Bilbo raste wie ein verrückter im Kreis, durchs Wasser, sprang und hüpfte wie ein Ball in alle Richtungen und war endlich bis zum Bauch voller Schmodder. Und die Menschin hüpfte vor Freude mit und war genauso glücklich und die beiden verknäulten sich im Spiel und dann war die Menschin endlich auch bis zum Bauch voll mit Schmodder. Ich habe schon lange nicht mehr ein so glückliches Wesen erlebt, das seine Freude derart spontan und offen heraustanzt. Und das steckt verdammt gut an!

Auf dem Heimweg habe ich mich dann gefragt, wann ich eigentlich das letzte Mal unter Zweibeinern spontan einen Indianertanz getanzt habe und meine Freude über etwas herausgelassen. Warum macht man das so selten? Wer bestraft uns denn dafür?

4. Oktober 2013

Die Buchmesse als Ausrede

Ja, ich lebe noch. Nein, ich gebe mein Blog nicht auf. Aber ich habe "mal eben schnell" eine Firma gegründet und das braucht nun doch mehr Offline-Arbeit. Natürlich ist die Geschwindigkeit maßlos übertrieben, auch wenn der Anmeldeprozess selbst nur sechs Tage dauerte. Voraus gingen Monate von Überlegungen, ob ich nun einen Verlag gründen müsse, um meine Texte selbst unters Volk zu bringen, wie ich all meine so unterschiedlichen Fähigkeiten praktischer sammeln könnte. Herausgekommen ist "Tetebrec - Atelier für Erzählkunst und Kommunikation" - was das genau bedeutet, wird eine noch zu erstellende Website erhellen.
Daneben bin ich vollauf mit einer Buchübersetzung beschäftigt, für die ich richtig ranklotzen muss, um den Termin zu schaffen. Und weil jetzt die Buchmesse kommt, wo sowieso alle Buchschaffenden überbeschäftigt sind - so wie ich auch, nehme ich das Event doch gleich mal zum Anlass zu sagen: Ich bin im Moment rar, aber ich bin nicht weg. Es kommt alles wieder und vieles neu!