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30. August 2013

Bandsalat und Musikklau

50 Jahre Musikkassette ... und ich dachte schon, ich sei alt! Mein Vergnügen mit dieser Erfindung begann nämlich erst 1975 mit dem ersten Kassettenrekorder von "Quelle". Das war ein rechteckiges Teil mit plumpen großen Tasten an der Schmalseite und einem eingebauten grauenhaften Billiglautsprecher. Man öffnete eine Klappe, legte vorsichtig eine Kassette ein, schloss wieder gut und drückte auf Play oder Recording, Vorspulen oder Rückspulen. An der Seite des Tastenfelds stand über einem winzigen durchbrochenen Viereck "Micro".

Sie leiern, eiern und sind unvergesslich, meine ersten Musikkassetten
Legte man die Kassette nicht ordentlich ein, gab es sogenannten Bandsalat, dessen man wieder Herr wurde, indem man das Zeug per Hand wieder einspulte. Schlaumeier haben damals den Trick mit dem eckigen Bleistift erfunden, der genau ins gezahnte Loch passte und die Finger schonte. Bandsalat gab es nämlich oft, vor allem bei den Billigkassetten ("low noise") und nach zigmal Abspielen der Lieblingshits. Bis man sich die teuren Dinger mit "Chromdioxid" vom Taschengeld leisten konnte, verging viel Zeit - die wünschte man sich zu Weihnachten.

Als Musikträger noch echte Schrauben hatten und selbst von Kindern repariert werden konnten, hörten wir so komische Leute wie die Eagles oder die Doobie Brothers, schnulzten mit Barry Manilow und Joe Cocker. Richtig wertvoll war so eine Kassette dann als Tauschobjekt, wenn man Bohemian Rhapsody von Queen ohne Aufquatscher des Radiosprechers erwischt hatte ... und ohne lästige Nebengeräusche durch Mütter mit Staubsaugern, die ungefragt ins Zimmer einfielen, oder Väter, die uns erzählen wollten, dass das, was wir taten, illegal sei.

Wir taten es alle! Noch ohne Überspielkabel, die nur die teureren Geräte hatten. Man stellte den Rekorder möglichst eng ans Radio, drehte das etwas lauter auf und drückte auf "Aufnahme". Währenddessen musste man mucksmäuschenstill sein und möglichst leise atmen. Das Ding nahm alles auf, auch Wellensittich Hansi, der sich über Barry Manilow beschwerte. Erst später, als wir schon die Plattenspieler der Eltern benutzen "durften" - ohne dass die das merkten - begann die Plattenkopiererei. Wer wollte schon immer um Erlaubnis fragen, wenn er Deep Purple donnern wollte! Damals war der Plattenspieler Teil eines sogenannten Musikschranks, ein Trumm von überflüssigem Möbel, mit dem der Mensch der Sechziger bewies: Wir haben es zu etwas gebracht. Der "Schrank" bestand aus zwei riesigen, stoffbespannten Lautsprechern und einem Röhrenradio in der Mitte, links unter einer Klappe war der "Dual-Plattenspieler", rechts unter der gleichen Klappe lagen die Fotoalben der Familie. Die Platten sammelte man unter dem Radio.

Das Aufnahmestudio im Wohnzimmer war noch etwas schwieriger: Die Eltern mussten außer Haus sein und durften nicht vor Ablauf einer Schallplatte hereinplatzen. Plattenkopien waren als Tauschobjekt noch wertvoller als Top-Ten-Mitschnitte! Ja, das war illegal, Abgaben an Verwertungsgesellschaften hat man auch erst irgendwann später erfunden. Aber uns scherte das kein bißchen. Wir sahen nicht ein, dass man Musik, die man doch eh schon gekauft oder mit den Rundfunkgebühren bezahlt hatte, nicht in allen Zimmern und auf allen Geräten hören durfte oder mit den Kumpels tauschen. War unsere Zeit eigentlich damals so sehr anders als die heute?

24. August 2013

Im Hunde-off

Gestern war es so weit. Adoptionstag von Bilbo Butterblum vom Jenseitswald. Leider war das Wetter unmöglich für ein Auto ohne Klimaanlage, bei weit über 30 Grad ging es übers Land ins Tierheim Saverne, das ich besonders schätze, weil man dort äußerst liebevoll und professionell mit den Tieren umgeht und sich vor allem die zukünftigen Halter sehr genau anschaut.

Kein Mench auf den Straßen unterwegs - die Sonne knallte erbarmungslos vom Himmel herunter.

Die Verweildauer in dieser SPA ist recht kurz, was für die Arbeit dort spricht! Die Freiwilligen dort leisten nämlich eine wunderbare Arbeit und es ist immer wieder erstaunlich, welche Ruhe sie selbst dann bewahren, wenn zu viele komische Menschen auf einmal alle möglichen Extrawünsche äußern oder schnell mal meinen, ihren Hund oder ihre Katze weggeben zu müssen, weil das Tier nicht mehr so welpensüß ist oder mit dem Alter die ersten Tierarztrechnungen zu tragen sind. So viele wollen nur ein perfektes Gegenüber lieben, dabei gibt es hier gerade die Tiere mit Persönlichkeit!

Hut ab auch von den Tierärzten, die auf einen Großteil ihrer Honorare verzichten - ich habe gestern einen erlebt, wie er reihum impfte und dann auch mein Kerlchen noch einmal anschaute und für gesund befand. Ein Mensch, dem man ansah, dass er seinen Beruf liebte.

Bilbo, eine Mischung aus Dackel und Beagle, ist nun nach Schätzung gerade mal drei Monate alt, man weiß nicht viel über ihn. Auch er mit einem gewissen Risiko versehen, er war nämlich nicht einmal geimpft worden von den unverantwortlichen Vorbesitzern! Deshalb gibt's im nächsten Monat gleich die Auffrischung. Und die Kastration Anfang 2013 ... da bete ich noch, dass der eine fehlende Hoden bald auftaucht. Kommt bei manchen Welpen vor, dass einer später an seinen Platz findet. Wenn nicht, muss der Tierarzt leider bei der Kastration suchen, denn ein Hoden, der im Körper steckt, kann sehr leicht Krebs entwickeln.

Bilbo, der mal Valentin hieß, und Ben, Hooky und die namenlose Malteserhündin, nach deren Besitzer noch gesucht wird. Ben und Hooky sind nun auch reserviert.

Es war nicht leicht den Herzensbrecher aus den Armen seiner Betreuerinnen reißen zu müssen, den Meutehund von seinen Kumpels. Die großen Hunde haben es stoisch ertragen, wenn er sie mal wieder als Kopfkissen benutzte. Aber ich habe eine ganz große Freude: Fast alle von seinen Kumpels sind heute als reserviert gemeldet - sie haben also offensichtlich ein neues Zuhause gefunden!

Weil Hund und Menschin heute etwas müde sind, nur kurz: Es ist wunderbar, mit einem Welpen die Welt neu zu entdecken, was gibt es da alles zu staunen und an Winzigkeiten zu entdecken. Und dann heute der erste größere Spaziergang, wo sich der Kleine zwischen meine Beine setzt und mit ganz großen Augen einen Raben im Tiefflug beobachtet. Und schließlich staunend und hingerissen schaut, wie groß die Welt ist ... bis zum nächsten Berghang. So etwas hat er wohl noch nie erlebt!

Fressen, Spielen und Schmusen machen müde.
Ganz schön fix ist er, hoppelt schon munter davon. Und am liebsten gleich in die Arme der Nachbarskinder, deren Herzen er jetzt schon erobert hat. Toughe Jungs vergessen plötzlich ihre Ninjaschwerter und kommen zum Streicheln heraus - und der kleinste ist überglücklich, der liebt nämlich, was er "chien saucisse" nennt, Hunde, die wie eine Wurst aussähen. Jeder Dackel von Welt wird darüber natürlich indigniert die Nase rümpfen. Der Jagdinstinkt von Beagle und Dackel kommt auch zum Vorschein. Das Quietscheschwein wird übel vernachlässigt, wenn es irgendwo ein Mausloch zu ergraben gilt oder sich eine Hühnerfeder in den Garten verirrt hat.
Print sollte nicht untergehen. Auf E-Zeitungen kann man nicht pinkeln.
Ein wunderbarer Schnappschuss fehlt mir leider: Wie Bilbo heute die Zeitung aufgeschlagen hat und den Regionalteil durch die Gegend trug. Ich kam etwas zu spät. So gehört sich das für einen Autorinnenhund. Eigentlich war die Zeitung ja zum Pipimachen gedacht, aber das hat er brav draußen erledigt. Ich wage es kaum zu glauben, dass das so bleibt. Allerdings habe ich auch auf Wolfsschlaf umgeschaltet. Mitternacht, halb vier Uhr morgens, sieben Uhr ... hochspringen, mit dem Hund raus. Und nachschlafen, wenn der Hund schläft.
 

14. August 2013

Auf den Hund gekommen

Die Lektorin meines ersten Romans "Stechapfel und Belladonna", der unter dem Titel "Alptraum mit Plüschbär" als E-Book neu erschienen ist, hatte beim Klappentext die helle Freude. Da steht nämlich: "... packt sie ihr neues Leben an - und kommt dabei nicht nur auf den Hund." Es durfte zweideutig gedacht werden. Und obwohl der Roman, wie alle Romane, erstunken und erlogen ist, habe ich darin meinen Huskies ein Denkmal gesetzt. Als Hundemenschin leistet man sich solche Späßchen und verdient sich Hundefutter damit.

Nun war die Hundemenschin allerdings nach dem Tod des heißgeliebten Rocco einer Dimension des Lebens beraubt und immer weniger zu Späßchen aufgelegt. Menschenmenschen sagen zu diesem Zustand: "Genieß deine Freiheit und Unabhängigkeit!" Endlich schwirrten keine Hundehaare mehr in der Wohnung herum, die dem Besuch in die Kaffeetasse hätten fallen können, im Flur sah man bei Regenwetter keine verräterischen Schlammtappser mehr. Ist das Freiheit? Ist das Unabhängigkeit? Echte Hundemenschen werden in solchen Zuständen immer wunderlicher, auch mal reizbar, fühlen sich nicht komplett. Klar kann man als Zweibeiner durch den Wald laufen! Aber wer bitteschön erzählt einem dann, wo zuletzt ein Reh vorbeigelaufen ist, wann ungefähr und in welcher Größe? Wer findet die leckeren Beeren im Gebüsch zuerst? Wer ahnt den Fuchs, der einem gleich den Schrecken einjagt, weil er so plötzlich aus dem Maisfeld bricht? Wer erzählt von unterirdischen Landkarten, die kein Navi dieser Menschenwelt orten kann? Kann sich ja nicht jede Menschin immer einen Förster mieten! Und mit Verlaub, Försternasen können auch nicht alles erschnüffeln.

Viele Male habe ich es versucht und es hat nicht geklappt. Hat nicht klappen sollen. Gestern habe ich dann meinen Adoptionswunsch im Tierheim verkündet. Es war keine überwältigende Liebe auf den ersten Blick, wir fremdeln beide noch. Aber das ist völlig normal, wenn man sich für ein Wesen entscheidet, das in dieser Form so nie und nimmer auf all den Checklisten im Kopf stand. Entscheiden muss jedoch immer der Hund, ist mein Wahlspruch. Und obwohl ich einige Kandidaten gleichzeitig im wahrsten Sinne des Wortes an der Backe hatte, war die Sache gegessen, als Valentin seine winzige Bärenpfote auf meinen Menschenfuß setzte: "Du bleibst!"

Valentin (Foto: SPA Saverne mit vielen weiteren wundervollen Tieren!)
Vom Verstand her spricht vieles dagegen. Nein, nicht die Freunde, die jetzt wieder aufstöhnen oder die sich vielleicht sogar dünn machen werden, weil die nächsten Monate Welpenchaos herrschen wird. Valentin hat keinen "perfekten" Hintergrund. Er ist schätzungsweise zweieinhalb Monate alt, zu jung. Und er ist viel zu jung von der Mutter weggerissen worden. Von jener Herkunft ist nichts bekannt, die Mischung "Beagle / Dackel" nur ein Versuch des Tierheims, sein Aussehen zu beschreiben. Vom Dackel hat er nur die Farbe, seine Beine sind zum Glück nicht verkrümmt. Wo er herkommt ... immer die gleiche Geschichte, für die ich die Exbesitzer am liebsten übers Knie legen würde. Wie dumm, anmaßend und verantwortungslos Menschen doch sein können! Eine junge Mutter hat ihn im Tierheim abgegeben. Hatte den Welpen gleichzeitig mit dem Baby angeschafft, weil das doch so süß ist, wenn Hundi und Baby gleichzeitig und miteinander groß würden. Hat nicht daran gedacht, dass auch Hundebabys Liebe und Pflege und Erziehung brauchen. Und dann wurde ganz schnell mal das Baby weggeworfen, das sich am leichtesten wegwerfen ließ.

Aus welch dunklen Kanälen die Frau den Welpen so viel zu früh bezogen hatte, weiß keiner. Natürlich bibbere ich, dass da nicht üble Erbschäden im Hintergrund lauern oder Ernährungsschäden früh etwas nachhaltig bewirken. Aber das sind die Unsicherheiten des Lebens, das weiß man nie so genau. Im Moment macht das Kerlchen einen quicklebendigen Eindruck und am Freitags geht's zum Tierarzt, impfen, tätowieren, untersuchen. Schwieriger ist das Problem des frühen Mutterentzugs. Das sind enorm wichtige Prägephasen, die wichtig sind für das Sozialleben mit Hund und Mensch, die hier unweigerlich verloren gehen. Und so etwas kann ernste Konsequenzen haben. Ich habe deshalb am meisten gezögert. Aber mit anderen Hunden kann Valentin ganz gut, sogar mit den ganz großen. Er läuft mit denen im Rudel frei herum. Ben, ein Herz von einem jungen, aber viel größeren Hund, hat den kleinen Valentin fast adoptiert, da herrscht Welpenbonus, wenn ihm der Winzling in die Ohren kniept oder auf der Liegestatt auf den Hals klettert.

Aber Valentin fehlt die zurechtweisende Mutter. Er nimmt sich schon mal zu viel heraus und zeigt sich zuweilen recht dominant. Die anderen Hunde sind so stoisch, dass ihn keiner in die Schranken weist. In dieser Hinsicht werde ich dann herhalten müssen und wie in Huskywelpenzeiten auch mal ins Öhrchen beißen müssen ... damit das mit der Dominanz bei großen Hunden nicht irgendwann ins Auge geht.

Im Moment ist der Stress ausgebrochen. Ich lasse den Kleinen noch etwa anderthalb Wochen im Tierheim. Einerseits ist er dort liebevoll aufgehoben und kann sich an den Hundekumpels noch abarbeiten. Was er von denen lernt, kann ich ihm als Menschin nicht bieten. Andererseits muss ich noch jede Menge Termine wahrnehmen, die in den nächsten zwei Monaten nicht so einfach unterzubringen sind. Wegfahren, Friseur, Hundefutter-Halsband-Kauzeug-Einkauf, Vorräte bunkern, Austellung anschauen ... und die Wohnung muss welpensicher sein. Da liegt doch das ein oder andere zu tief, das man nicht zwischen einem Milchgebiss sehen möchte.

Das weiß ich aus Übung - die ersten Monate werden hart. Wolfsschlaf von einigen Stunden, unterbrochen von explosionsartigem Aufstehen und nach Draußen rasen, zwischendurch Pfützchen wischen. Stubenrein muss das Hundebaby werden und gleichzeitig fleißig lernen. Es will bespielt werden und herumjagen, die Nachbarskinder kennenlernen, den Nachbarshund. Und hoffentlich zwischendurch friedlich schnarchen oder selbst spielen, denn der Beruf macht ja keine Pause. Und dann warten später andere Freuden: Der Zahnwechsel mit all seinen Wehwehchen, das Rüpelalter, die erste Operation, denn der Hund muss kastriert werden, wenn er groß genug ist.

Und obwohl es Menschen gibt, die sich auch in meinem Beisein nun voll an die Stirn tippen: Ich laufe nur noch debil grinsend durch die Gegend und fühle mich so richtig wohl und frei und endlich wieder angeschlossen an die mehrdmensionale Welt.

Ich war gestern fast zwei Stunden im Tierheim unter den freilaufenden Hunden und habe natürlich nicht nur Valentin beobachtet, sondern auch all die geknuddelt, denen so sehr Liebe und menschliche Zuwendung fehlte. Am liebsten hätte ich sie alle mitgenommen, die schmusige Retrieverhündin Angie, den lustigen, fast mütterlichen Ben, die kleine ruhige Beaglemischung Hooky, den etwas älteren Herrn Bambou - oder Shivas, der sich so rührend um die völlig verängstigte Hündin ohne Namen kümmerte, die als Findelhund gerade abgeliefert worden war. Ich habe erlebt, mit wie viel Liebe und Engagement die Freiwilligen im Tierheim Arbeit und Zeit investieren. Die völlig desorientierte und zitternde Findelhündin bekam erst mal einen Platz auf dem Schoß der Leiterin ... und dort wurde sie gehalten und geschützt, bis sie es wagte, den ersten sich vorsichtig nähernden Hund zu beschnüffeln.

Es ist ein Urgefühl, so unter Hunden. Wenn ich keinen gefunden hätte und das Tierheim nicht doch etwas weit entfernt wäre, würde ich dort ebenfalls arbeiten wollen. Es fehlt immer an Leuten, die Hunde ausführen oder einfach mal nur beim Zwingerputzen helfen. Und es fehlt wohl an Männern, Männer sehe ich in dieser Welt selten, dafür jede Menge junger Mädchen. Wenn man nur eine Stunde in so einem wild zusammengewürfelten Rudel sitzt, unter Hunden, die Schlimmes hinter sich haben, dann lernt man eine Menge über Menschen, das einen zum Misanthropen machen könnte - wenn es nicht auch die anderen Menschen gäbe. Man lernt aber auch eine Menge über Hunde. Wie sie auf unserem Planeten eine völlig eigene Zivilisation bilden könnten. Die organisieren sich, bilden soziale Bande, teilen miteinander und zanken auch mal, geben sich gegenseitig Zärtlichkeiten, balgen herum ... das hat etwas von Internatsleben. Nur eines unterscheidet sie vom Menschen: Sie sind nie per se grausam, würden nie ohne Zerbrechen ihrer Psyche die sozialen Bande verletzen. In einer Stunde unter Hunden lernt man mehr als mancher, der sich seine große Freiheit bewahrt hat, auf Reisen.

8. August 2013

Geheimnisse ausgeplaudert

Sandra Matteotti von "Denkzeiten" hat ein Interview mit mir gemacht. Und sie hat so sympathisch und geschickt gefragt, dass ich fast zu viel aus der Westentasche plaudere. Etwa, dass meine ersten Schreibversuche in Verdacht gerieten, eine Krankheit zu sein. Ich erzähle außerdem, wie man als Gesamtchaotikerin arbeitet, auf welche berühmten Kollegen ich neidisch bin und was Koffer für mich bedeuten.
Natürlich geht es auch um ernsthafte Themen wie Self Publishing versus Verlage und meine ganz persönlichen Tipps für den Nachwuchs.

Eine Frage fand ich dann ganz besonders schwierig: "Einige Ihrer Bücher behandeln die leidvollen Seiten des Lebens, Einsamkeit, Sehnsucht. Ist Leid und Düsterheit einfacher zu beschreiben als Glück oder fühlen Sie sich der Seite näher? Ist das Leben generell eher düster als hell?"
An dieser Stelle war ich erst einmal platt. Ich, die Daueroptimistin, das Stehauffrauchen. Ein Lehrstück über den Unterschied zwischen Fremdwahrnehmung und Eigenwahrnehmung! Und natürlich wird es auch in Zukunft von mir keine rosaroten Happy-End-Dauergrinsbücher geben!
Hier entlang: "Petra van Cronenburg - Nachgefragt!"

1. August 2013

Autorendarsteller: die Ent-Täuschung

Autoren werden in der heutigen Zeit vermehrt zu Autorendarstellern - wie verändert das die Kunst, die Beteiligten? Das ist der Tenor eines Artikels in der NZZ, über den sich weiteres Nachdenken lohnt. Zweiter Teil einer Miniserie:

Was, wenn die Autoren als Darsteller zur Ent-Täuschung werden?

Das junge Genie
Gestern habe ich mit halbem Auge eine Dokumentation auf ARTE über junge Schriftsteller in New York angesehen, weil darin Jonathan Safran Foer vorkam, dessen Romane ich bei Erscheinen einfach gigantisch fand. Was habe ich sie in den letzten Jahren empfohlen, wie viel Magisches darin gefunden ... und dann auch noch die grafische Gestaltung, diese Einheit von Text und Bild in seinem 9/11-Roman - ganz groß!

Dann sehe ich ein Jüngelchen. Der Film war schon ein paar Jahre alt, aber diese magisch-genialen Romane hat ein Jüngelchen geschrieben, dem man nicht einmal zutrauen würde, eine Schulklasse durch ein Museum zu führen. Das ist per se nichts Schlimmes. Kafka habe er in Prag gelesen, das sei der Anfang gewesen. Auch gut, Inspirationsquellen sind immer gut. Nö, er habe eigentlich früher gar nie geschrieben, das habe ihn nicht interessiert. Nur mal diesen Creative Writing Kurs mitgemacht. Und dann der Kafka. Aha. Ein Zufallsgenius also, auch das macht mir die Bücher noch nicht abspenstig.

Und dann spricht er über die Gestaltung des 9/11-Romans, als sei das Jüngelchen etwas hohl. Nein, Menschen habe er da nicht abbilden wollen, es hätte ja jemand seinen Onkel erkennen und sich beschweren können? Hä? Keine Pietät, keine künstlerischen Skrupel oder philosophischen Gedanken, nur die Angst vor Beschwerden? Hat der Interviewer etwas vergessen? Aber da kommt sonst nichts. Nur, dass er Ästhetik mag, dass er Bilder mag, dass er das deshalb gemacht hat, damit's ästhetisch ist. Rummmmmmmmsss.

Damit hat es Jonathan Safran Foer geschafft, dass ich bereue, ihn gesehen zu haben. Er hat mir all die Magie beim Anschauen des Buchs zunichte gemacht. Dieses Buchs, von dem ich glaubte, dass da ganz tiefe Dinge, ungeheure Emotionen, wahrhaftig Unaussprechliches dahintersteckten in jener Wahl der Bilder und der Zwiesprache zum Text. Dass er ausgerechnet diese Vögel abbildete und nicht fallende Menschen ... was habe ich da alles hinter diesem Symbol gesehen! Offensichtlich habe ich all das in jenen Roman hineingelesen und das ist auch absolut normal und legitim. Aber ich mag Autoren nicht, die mir in meiner Lesart herumfuhrwerken, mir vorschreiben oder vorerzählen, was sie sich dabei gedacht haben. Sollen sie doch denken, was sie wollen, ich will das nicht wissen. Ich will es vor allem dann nicht wissen, wenn sie mir erzählen, sie hätten all das genialisch Anmutende nur geschaffen, weil sie mal einen Creative Writing Kurs belegt haben, Kafka in Prag gelesen haben und Bilder einfach so schön fänden. Und eben nicht vom Neffen irgend eines zu Tode gestürzten Onkels Beschwerden bekommen wollten.
Vielleicht tue ich ihm Unrecht, denn ich bin während der Sendung immer wieder eingenickt. Aber er hat mir etwas kaputtgemacht.

Das alte Ekel
Ähnlich ging mir das aber auch schon mit Toten: Etwa mit Lew Tolstoi, dessen Texte ich alle verschlungen und geliebt habe. Doch seit ich weiß, wie scheinheilig und rüde der zum Schluss doch recht bigotte Missionar mit seiner Frau umging, kann ich die Texte nicht mehr unbelastet lesen. Ich habe es sogar einmal abgelehnt, einen Text für ein Event zu Tolstoi zu schreiben, weil ich mich mit dem Privatmann absolut nicht beschäftigen wollte. Den mag ich nämlich nicht - die Bücher schon. Angerichtet haben das mehrere Filmdokumentationen.

Nun ist allerdings nichts dagegen zu sagen, dass sich die Forschung auch mit den Biografien von Schriftstellern auseinandersetzt. Zwischen dem Aufdecken von Tolstois Privatleben und Foers launigem TV-Auftritt liegen selbstverständlich Welten. Vielleicht klingt Foer viele Jahrzehnte später in der Forschung viel passender zur Wirkung seiner Bücher?

Nie zu spät ist es fürs Überdenken der eigenen öffentlichen Auftritte: Wo entmystifiziere ich etwas zu stark? Wo nehme ich einem Buch all seine Magie?

Die transparente Tussi
Mir ist das einmal passiert, als ich - so schön modern heute - eine Romanfigur bloggen ließ. Ich hielt das für einen zeitgemäßen Ansatz, ihr kreativ eine Persönlichkeit zu verpassen und durch ihre Gedanken bestimmte Fragen und Probleme des Plots anzudenken. Denn der Roman war noch gar nicht geschrieben. Die Leser fanden das lustig und lasen fleißig mit. Ob sie genauso fleißig noch das Buch gelesen hätten, wenn es erschienen wäre? Wäre das nachher nicht stinklangweilig geworden?

Mein Problem war allerdings ein ganz anderes: Nach kurzer Blogepoche hatte ich meine Hauptfigur so tot geschrieben, dass ich den ganzen Roman begraben konnte. Was war geschehen? In dem Moment, in dem ich diese Figur einer Öffentlichkeit aussetzte, verlor sie für mich jenen Nimbus, der zum schöpferischen Umgang unabdingbar ist. Da wurde zu viel sichtbar, wo sie doch zu jenem fragilen Zeitpunkt unbedingt Intimität gebraucht hätte. Ich fühlte mich regelrecht schlecht: Ich hatte meine Romanfigur missbraucht. Sie rächte sich und verschwand.

Und umgekehrt? Es gibt ja inzwischen bloggende Romanfiguren von fertigen Büchern, Romanfiguren twittern und haben Profile bei Facebook. Und jedes Mal passiert mir das gleiche: Das ist eine Zeitlang lustig, bietet einen schrägen Zugang. Manchmal gibt's schönes Zusatzmaterial. Aber die Freude hält nur kurz an. Denn hier wird meine Fantasie zerstört. Ich muss mich mit Fotos anfreunden, die der Figur in meinem Kopf so gar nicht ähneln. Wunderbare Plätze sehen plötzlich alltagslangweilig aus. Manches wird so entmystifiziert, dass ich danach das Buch schon verschenkt habe ... es ist, als niste sich ein schlechter Film im Kopf ein, der die wunderbar bunte und reiche Fantasiewelt zunichte macht. Vielleicht bin ich ja eigen, aber Figurenstriptease gibt es zumindest bei mir nie mehr.

Teil 1: Schreiben - eine darstellende Kunst?