Die Lektorin meines ersten Romans "Stechapfel und Belladonna", der unter dem Titel "
Alptraum mit Plüschbär" als E-Book neu erschienen ist, hatte beim Klappentext die helle Freude. Da steht nämlich: "...
packt sie ihr neues Leben an - und kommt dabei nicht nur auf den Hund." Es durfte zweideutig gedacht werden. Und obwohl der Roman, wie alle Romane, erstunken und erlogen ist, habe ich darin meinen Huskies ein Denkmal gesetzt. Als Hundemenschin leistet man sich solche Späßchen und verdient sich Hundefutter damit.
Nun war die Hundemenschin allerdings nach dem Tod des heißgeliebten Rocco einer Dimension des Lebens beraubt und immer weniger zu Späßchen aufgelegt. Menschenmenschen sagen zu diesem Zustand: "Genieß deine Freiheit und Unabhängigkeit!" Endlich schwirrten keine Hundehaare mehr in der Wohnung herum, die dem Besuch in die Kaffeetasse hätten fallen können, im Flur sah man bei Regenwetter keine verräterischen Schlammtappser mehr. Ist das Freiheit? Ist das Unabhängigkeit? Echte Hundemenschen werden in solchen Zuständen immer wunderlicher, auch mal reizbar, fühlen sich nicht komplett. Klar kann man als Zweibeiner durch den Wald laufen! Aber wer bitteschön erzählt einem dann, wo zuletzt ein Reh vorbeigelaufen ist, wann ungefähr und in welcher Größe? Wer findet die leckeren Beeren im Gebüsch zuerst? Wer ahnt den Fuchs, der einem gleich den Schrecken einjagt, weil er so plötzlich aus dem Maisfeld bricht? Wer erzählt von unterirdischen Landkarten, die kein Navi dieser Menschenwelt orten kann? Kann sich ja nicht jede Menschin immer einen Förster mieten! Und mit Verlaub, Försternasen können auch nicht alles erschnüffeln.
Viele Male habe ich es versucht und es hat nicht geklappt. Hat nicht klappen sollen. Gestern habe ich dann meinen Adoptionswunsch im Tierheim verkündet. Es war keine überwältigende Liebe auf den ersten Blick, wir fremdeln beide noch. Aber das ist völlig normal, wenn man sich für ein Wesen entscheidet, das in dieser Form so nie und nimmer auf all den Checklisten im Kopf stand. Entscheiden muss jedoch immer der Hund, ist mein Wahlspruch. Und obwohl ich einige Kandidaten gleichzeitig im wahrsten Sinne des Wortes an der Backe hatte, war die Sache gegessen, als Valentin seine winzige Bärenpfote auf meinen Menschenfuß setzte: "Du bleibst!"
Vom Verstand her spricht vieles dagegen. Nein, nicht die Freunde, die jetzt wieder aufstöhnen oder die sich vielleicht sogar dünn machen werden, weil die nächsten Monate Welpenchaos herrschen wird. Valentin hat keinen "perfekten" Hintergrund. Er ist schätzungsweise zweieinhalb Monate alt, zu jung. Und er ist viel zu jung von der Mutter weggerissen worden. Von jener Herkunft ist nichts bekannt, die Mischung "Beagle / Dackel" nur ein Versuch des Tierheims, sein Aussehen zu beschreiben. Vom Dackel hat er nur die Farbe, seine Beine sind zum Glück nicht verkrümmt. Wo er herkommt ... immer die gleiche Geschichte, für die ich die Exbesitzer am liebsten übers Knie legen würde. Wie dumm, anmaßend und verantwortungslos Menschen doch sein können! Eine junge Mutter hat ihn im Tierheim abgegeben. Hatte den Welpen gleichzeitig mit dem Baby angeschafft, weil das doch so süß ist, wenn Hundi und Baby gleichzeitig und miteinander groß würden. Hat nicht daran gedacht, dass auch Hundebabys Liebe und Pflege und Erziehung brauchen. Und dann wurde ganz schnell mal das Baby weggeworfen, das sich am leichtesten wegwerfen ließ.
Aus welch dunklen Kanälen die Frau den Welpen so viel zu früh bezogen hatte, weiß keiner. Natürlich bibbere ich, dass da nicht üble Erbschäden im Hintergrund lauern oder Ernährungsschäden früh etwas nachhaltig bewirken. Aber das sind die Unsicherheiten des Lebens, das weiß man nie so genau. Im Moment macht das Kerlchen einen quicklebendigen Eindruck und am Freitags geht's zum Tierarzt, impfen, tätowieren, untersuchen. Schwieriger ist das Problem des frühen Mutterentzugs. Das sind enorm wichtige Prägephasen, die wichtig sind für das Sozialleben mit Hund und Mensch, die hier unweigerlich verloren gehen. Und so etwas kann ernste Konsequenzen haben. Ich habe deshalb am meisten gezögert. Aber mit anderen Hunden kann Valentin ganz gut, sogar mit den ganz großen. Er läuft mit denen im Rudel frei herum.
Ben, ein Herz von einem jungen, aber viel größeren Hund, hat den kleinen Valentin fast adoptiert, da herrscht Welpenbonus, wenn ihm der Winzling in die Ohren kniept oder auf der Liegestatt auf den Hals klettert.
Aber Valentin fehlt die zurechtweisende Mutter. Er nimmt sich schon mal zu viel heraus und zeigt sich zuweilen recht dominant. Die anderen Hunde sind so stoisch, dass ihn keiner in die Schranken weist. In dieser Hinsicht werde ich dann herhalten müssen und wie in Huskywelpenzeiten auch mal ins Öhrchen beißen müssen ... damit das mit der Dominanz bei großen Hunden nicht irgendwann ins Auge geht.
Im Moment ist der Stress ausgebrochen. Ich lasse den Kleinen noch etwa anderthalb Wochen im Tierheim. Einerseits ist er dort liebevoll aufgehoben und kann sich an den Hundekumpels noch abarbeiten. Was er von denen lernt, kann ich ihm als Menschin nicht bieten. Andererseits muss ich noch jede Menge Termine wahrnehmen, die in den nächsten zwei Monaten nicht so einfach unterzubringen sind. Wegfahren, Friseur, Hundefutter-Halsband-Kauzeug-Einkauf, Vorräte bunkern, Austellung anschauen ... und die Wohnung muss welpensicher sein. Da liegt doch das ein oder andere zu tief, das man nicht zwischen einem Milchgebiss sehen möchte.
Das weiß ich aus Übung - die ersten Monate werden hart. Wolfsschlaf von einigen Stunden, unterbrochen von explosionsartigem Aufstehen und nach Draußen rasen, zwischendurch Pfützchen wischen. Stubenrein muss das Hundebaby werden und gleichzeitig fleißig lernen. Es will bespielt werden und herumjagen, die Nachbarskinder kennenlernen, den Nachbarshund. Und hoffentlich zwischendurch friedlich schnarchen oder selbst spielen, denn der Beruf macht ja keine Pause. Und dann warten später andere Freuden: Der Zahnwechsel mit all seinen Wehwehchen, das Rüpelalter, die erste Operation, denn der Hund muss kastriert werden, wenn er groß genug ist.
Und obwohl es Menschen gibt, die sich auch in meinem Beisein nun voll an die Stirn tippen: Ich laufe nur noch debil grinsend durch die Gegend und fühle mich so richtig wohl und frei und endlich wieder angeschlossen an die mehrdmensionale Welt.
Ich war gestern fast zwei Stunden im Tierheim unter den freilaufenden Hunden und habe natürlich nicht nur Valentin beobachtet, sondern auch all die geknuddelt, denen so sehr Liebe und menschliche Zuwendung fehlte. Am liebsten hätte ich sie alle mitgenommen, die schmusige Retrieverhündin Angie, den lustigen, fast mütterlichen Ben, die kleine ruhige Beaglemischung Hooky, den etwas älteren Herrn Bambou - oder Shivas, der sich so rührend um die völlig verängstigte Hündin ohne Namen kümmerte, die als Findelhund gerade abgeliefert worden war. Ich habe erlebt, mit wie viel Liebe und Engagement die Freiwilligen im Tierheim Arbeit und Zeit investieren. Die völlig desorientierte und zitternde Findelhündin bekam erst mal einen Platz auf dem Schoß der Leiterin ... und dort wurde sie gehalten und geschützt, bis sie es wagte, den ersten sich vorsichtig nähernden Hund zu beschnüffeln.
Es ist ein Urgefühl, so unter Hunden. Wenn ich keinen gefunden hätte und das Tierheim nicht doch etwas weit entfernt wäre, würde ich dort ebenfalls arbeiten wollen. Es fehlt immer an Leuten, die Hunde ausführen oder einfach mal nur beim Zwingerputzen helfen. Und es fehlt wohl an Männern, Männer sehe ich in dieser Welt selten, dafür jede Menge junger Mädchen. Wenn man nur eine Stunde in so einem wild zusammengewürfelten Rudel sitzt, unter Hunden, die Schlimmes hinter sich haben, dann lernt man eine Menge über Menschen, das einen zum Misanthropen machen könnte - wenn es nicht auch die anderen Menschen gäbe. Man lernt aber auch eine Menge über Hunde. Wie sie auf unserem Planeten eine völlig eigene Zivilisation bilden könnten. Die organisieren sich, bilden soziale Bande, teilen miteinander und zanken auch mal, geben sich gegenseitig Zärtlichkeiten, balgen herum ... das hat etwas von Internatsleben. Nur eines unterscheidet sie vom Menschen: Sie sind nie per se grausam, würden nie ohne Zerbrechen ihrer Psyche die sozialen Bande verletzen. In einer Stunde unter Hunden lernt man mehr als mancher, der sich seine große Freiheit bewahrt hat, auf Reisen.