Welche Art Autor veröffentlicht selbst?
Ob Buch als PoD oder selbstgedrucktes Offsetexemplar, der Ausstieg aus dem herkömmlichen Verlagsgeschäft wird in Frankreich langsam zu einer kleinen kulturellen Bewegung. Dabei fällt mir im Gegensatz zu Deutschland auf, dass man
viel toleranter über den eigenen Tellerrand schaut und das
Schmuddelimage von einst passé ist. Bedenken bestehen eigentlich nur noch in konservativen Medien - und dort auch nur so lange, bis der Erfolg eines Buchs zur Berichterstattung zwingt. Interessant:
Wenn ein "Möchtegern" (s.u.*) selbst Bücher macht, geschieht das meist aus dem Glauben an die eigene Genialität und um endlich von einem Verlag entdeckt zu werden.
Wenn Profis in Frankreich selbst verlegen, entscheiden sie sich bewusst gegen die herkömmliche Verlagswelt oder platzieren Nischenthemen in besserer (eigener) Betreuung, machen sich in Sachen Erfolg jedoch nichts vor.
Immer mehr Menschen schreiben auch in Frankreich, als Hobby, aus Spaß oder sogar Größenwahn - sollen sie, dürfen sie - oft beim gleichen Anbieter wie "echte" Schriftsteller. Man kann außerdem sagen, dass die erste Art Autor Plattformen bevorzugt, die Selbstbastlern die Rundum-Betreuung und manchmal die große Entdeckung versprechen - während professionelle Autoren lieber alles selbst in die Hand nehmen und kontrollieren.
Kein Profi würde sich etwa auf einer Plattform präsentieren, nur weil man dort vollmundig verspricht, man würde von Verlagen entdeckt werden. Auf der anderen Seite erhofft man von den seriösen PoD-Anbietern, dass sie endlich den DKZ-Verlagen Konkurrenz machen.
Ich habe bisher noch kein Forum von in herkömmlichen Verlagen veröffentlichten Autoren gefunden, wo etwa gegen die Hobbyisten oder Selbstverleger hämische Bemerkungen ausgetauscht werden. Eher noch veranstalten die etablierten Autoren für die "Möchtegerns" Seminare, damit diese vielleicht auch einmal zu Autoren werden. Und
die Leser sieben mangelnde Qualität unerbittlich aus. Vielleicht führt auch diese Offenheit dazu, dass immer mehr etablierte Autoren aussteigen.
Die französische Nationalbibliothek verzeichnet
50.000 per PoD oder Selbstverlag veröffentlichte Autoren insgesamt.Viele Autoren sind mit einem
jährlichen Treffen in Trois-Rivières organisiert, sie tauschen sich aus, kritisieren sich gegenseitig und besuchen
Fortbildungen in Sachen Buchherstellung und Schreiben. Dazu gibt es das eigene "
Festival der Schattenliteratur" in Saint-Antoine-de-Tilly. Angesteckt wurde die Szene durch Erfolge in Kanada. Wer möchte nicht den selbstverlegten
Bestseller landen wie
Jean Paré,
David Chilton oder
Greta und Janet Podleski. Die beiden Damen haben von ihrem ersten erfolgreichen Kochbuch immerhin 1,3 Millionen Exemplare verkauft - heute haben sie ein Unternehmen.
Gibt es auch ernst zu nehmende Erfolge in Frankreich?
Ausgehend von den Namen einiger Aussteiger in den Selbstverlegermarkt, die
Le Monde im Aufmacher vom 14.1.11 "
La tentation de l'autoédition" nennt, habe ich selbst auf den Websites der Autoren und auf Fanseiten recherchiert. Die Auflagenzahlen stammen z.T. von den Autoren selbst, z.T. aus
Le Monde. Stellvertretend für viele andere Schriftsteller und Sachbuchautoren seien ein paar Beispiele genannt, die deutlich machen, was ein erfolgreiches Buch braucht.
Aus dem Elfenbeinturm zum breiten Publikum
Vier gestandene Wirtschaftswissenschaftler haben ein Buch geschrieben, das sie ursprünglich nur unter ihresgleichen als
Fachbeitrag kursieren lassen wollten. Zum Glück hat sie jemand zum Selbstverlegen überredet. "
Le manifeste d'economistes atterés" erschien im November 2010 bei LLL (
Liens qui libèrent) und wurde seither 50.000 mal verkauft. Anfangs konnten die Spezialisten nicht glauben, dass sich eine
derart breite Öffentlichkeit für ihre Thesen interessiert. Mit einem
selbstgebastelten Blog bei Blogger.com gaben sie zunächst ihren Lesern die Gelegenheit zur Diskussion. Inzwischen haben sie eine
professionelle Website und finden sich auf öffentlichen Konferenzen, bei Vorträgen und in den Medien.
Vorhandene Distribution und Namen genutzt
Jacques Bertin ist ein bekannter Sänger und Komponist, der bereits
mehrere Bücher in normalen Verlagen in Frankreich und Quebec (darunter Albin Michel) veröffentlicht hat und 2010 mit dem
Prix Paul Verlaine ausgezeichnet wurde. Um Beachtung und Auftritte in den Medien muss er sich keine Sorgen machen. Weil er nach seinen Konzerten und im Direktvertrieb die eigenen CDs verkauft, kam er auf die Idee,
für seinen ersten Roman aus dem Verlagsgeschäft auszusteigen, um freier schreiben zu können.
Une affaire sensationelle ließ er in einer Kleinauflage von 500 Exemplaren bei einer regionalen Druckerei herstellen.
Er vertreibt das Buch ausschließlich selbst und per Internet. Le Monde hat das Buch groß besprochen, nennt zwei schnell verkaufte 500er Auflagen und eine dritte, fast ausverkaufte - hält sich jedoch über deren Höhe bedeckt. Bertin selbst schreibt den Absatz der Bücher seinen treuen Fans zu.
Eile und Risikobereitschaft geboten
Rund 11.000 Exemplare sind laut
Le Monde bisher von dem Buch "
Mediator 150 mg" der Lungenfachärztin
Irène Frachon verkauft worden, das im Juni 2010 erschien. Weil es um das wegen zahlreicher Todesfälle in die Schlagzeilen geratene Medikament gleichen Namens ging, ein
hochaktuelles und brisantes Thema in Frankreich,
sollte es schnell gehen.
Etablierte Verlage zögerten zu lange. Irène Frachon entschied sich deshalb fürs Selbstpublizieren bei
Editions Dialogues. Die Firma selbst ist ein französisches Phänomen: Gegründet vom Brester Buchhändler Charles Kermarec, werden hier
Bücher aus Papier und in verschiedenen E-Formaten gleichermaßen angeboten. Wer ein Papierbuch kauft, bekommt die E-Datei kostenlos dazu.
Nach dem Erfolg kam zunächst das
richterliche Aus für den Verkauf (
zensiertes Exemplar + Hintergründe), erst kürzlich hat die Autorin vor Gericht gewonnen. Demnächst soll das Buch wieder erhältlich sein.
Der Buchhändler-Hersteller, der seine Autorin massiv unterstützt hat, bewies nicht nur mehr Flexibilität, sondern vor allem mehr Mut als die etablierten Verlage.
Provokation und Fandom
Einer der neuesten Aussteiger aus der Verlagsszene ist ebenfalls
alles andere als ein Unbekannter.
Marc-Edourd Nabe alias Alain Zannini, nach eigenen Angaben griechisch-türkisch-italienisch-korsischer Abstammung, gilt in Frankreich als
Enfant Terrible und hochbegabter Anarcho-Literat. Berühmt wurde er durch eine brutale Ohrfeige, die er sich 1985 in einer Sendung von Bernard Pivot einfing.
Political Correctness ist für ihn ein Fremdwort, mal gilt er als Antisemit und Rechtsradikaler, mal als extremer Linker und Pro-Islamist. Veröffentlicht hat er
28 Bücher in Verlagen, nach denen sich jeder Literat die Finger leckt: Gallimard, Denoel, Éditions du Rocher.
Zweifel am Verlagssystem kamen ihm zum ersten Mal beim Verkauf der Éditions du Rocher, als er ausstehende Tantiemen und seine Rechte vom neuen Eigner herausklagen musste. Der Autor hat einen
extremen Ausstiegsweg gewählt: Er
verkauft seine selbstverlegten Bücher und die selbst wieder aufgelegten alten Titel
ausschließlich über seine eigene Website und ausgesuchte Buchhandlungen. Eine von zwei Dutzend Fans betriebene
Fansite sorgt für Werbung.
Offensichtlich lohnt sich dieser Weg für ihn, sein neuester 700-Seiten-Wälzer "
L'Homme qui arreta d'écrire" (Der Mann, der aufhörte zu schreiben) erschien im Januar 2010 und wurde innerhalb von drei Monaten 3000 mal verkauft. Von der neuen Auflage sind weitere 3000 Stück weg, an denen er im Gegensatz zu früher laut eigenen Angaben 70% (von 28 E) verdient.
Absolut einzigartig im Selbstverlegermarkt ist die Tatsache, dass Nabe es mit dem Roman
auf die Finalistenliste des berühmten Prix Renaudot geschafft hat. Bis sich eine Jury eines renommierten Literaturpreises tatsächlich für ein selbstverlegtes Buch entscheidet, dürfte jedoch noch einige Zeit vergehen.
Kult ist webaffin
Und dann gibt es die
Themen, die für das Web und Social Media als Werbekanäle wie geschaffen sind:
Bücher, die das Zeug haben, Kult zu werden. Etablierte Medien dürfen sie zuerst übersehen, die Fans sorgen schon mit
Mundpropaganda für schnelle Verbreitung. So geschehen mit dem nur 100 Seiten starken provokativen
Pamphlet eines fiktiven Auslandskorrespondenten, der über Frankreich berichtet: "
La Crise au Sarkozistan" (Vorwort Daniel Schneidermann, Hrsg.
arretsurimages.net). Es erschien bei der Selbstverleger-Plattform
Le Publieur und ist einschließlich der Karrikaturen
absolut professionell gemacht.
Das Buch ist Kult geworden. Die gute alte Form des politischen Pamphlets trifft derzeit die Stimmung der Bürger. Seit seinem Erscheinen vor knapp drei Monaten wurden 22.000 Exemplare verkauft. Der Erfolg ist so groß, dass Le Publier inzwischen auch Buchhandlungen beliefert.
Warum sich etablierte Verlage zunehmend solche Erfolge und Autoren entgehen lassen und lieber auf Glattgebürstetes vertrauen, mag ein Rätsel ihrer Controller bleiben.
Die hier genannten, durchweg professionellen Autoren haben sich bewusst fürs Selbstverlegen entschieden, obwohl ihnen die Verlagswelt offen stand. Um die Vielfalt der Literatur und den Mut von Literaten muss man zumindest in Frankreich nicht mehr besorgt sein - die großen Wagnisse, das freie Wort, sie kommen zunehmend von ganz unten - von den Schriftstellern selbst. Und genau diese Schriftsteller sorgen dafür, dass das Veröffentlichen außerhalb von Verlagen heutzutage weder dem eigenen Image schadet noch der Geldbörse und dem Verkauf.
Die genannten Beispiele sollten jedoch auch klarmachen,
worauf es beim Selbstverlegen ganz besonders ankommt: auf absolute Qualität, Professionalität und den Aufbau oder das geschickte Nutzen von Netzwerken. Die Autoren sind Macher,
Entrepreneurs im besten Wortsinn, alles andere als Stubenhocker oder Selbstbemitleider. Und sie verstehen vor allem ihr Handwerk. Jedes der genannten Bücher hätte einen herkömmlichen Verlag finden können. Jedes der genannten Bücher hat sich nur deshalb so gut verkauft, weil der Inhalt und die Aufmachung hielten, was versprochen wurde.
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*Anm.: Mit "Möchtegern" bezeichne ich der Einfachheit halber sogenannte Autoren, die bar jeder Kenntnis von Rechtschreibung und Grammatik oder eines tieferen Sprachgefühls glauben, ein Text, den man zwischen Pappdeckel quetscht, sei automatisch ein Buch.
Zum Nachlesen Teil 1:
Die große Versuchung