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28. Februar 2011

Nachtrag zum Kindle

Eben hatte ich gemeldet, dass sich die Zeichen dafür verdichten, dass es endlich auch in Deutschland einen Kindle-E-Book-Shop geben könnte. Da lassen sich die Amerikaner schon wieder etwas Neues einfallen, das betörend banal klingt und trotzdem einiges an Gewohnheiten aufmischen könnte. Die "Kindle Singles" sind jetzt für Texte im Angebot, die Buchlänge nicht erreichen und doch lang genug für ein Reader-Erlebnis sind: maximal 30.000 Zeichen zu maximal 5 Dollar.

Das könnte nicht nur die von Verlagen so geschmähte Form der Kurzgeschichte oder Erzählung wieder befeuern. Jetzt gibt es endlich auch für Journalisten die Möglichkeit, sich den Aufwand zu finanzieren und mit dem eigengebauten Feature oder der Privatreportage ohne Zwischenschaltung einer Zeitung bei den Leserinnen und Lesern zu landen. Spannend ist das vor allem deshalb, weil in den USA auch Zeitungen, Zeitschriften und ganze Blogs für den Kindle verkauft werden können.

Praktisch bedeutet das z.B.:
Ich biete mein Blog neben der kostenlosen online-Version als Kindle-Version an. Darin sind die aktuellen Beiträge für eine kurze Zeit ebenfalls kostenlos, danach zahlt man einen kleinen Beitrag. Mit den Single-Kindles ließe sich dazu eine "Auskopplung" anbieten, an der man besonders lang oder aufwändig arbeitet, etwa Themenwochen oder Schwerpunkte. Ein Beitrag unter 5 $ tut nicht weh, würde aber dem Autor finanzieren, sich noch intensiver und ausführlicher um ein Thema zu kümmern. So etwas wie die "Frauenwoche für Buchmacherinnen" könnte dann noch größer, noch journalistischer ausgearbeitet werden.

Auskopplungen könnte ich mir auch von Büchern vorstellen, allen voran Sachbüchern. So ließe sich etwa zu meinem Elsass-Buch ein Rezeptheft als Single auskoppeln oder aus dem Nijinsky der noch hochgeheime zweite Teil. Mehrfachverwertung beim Autor in einer Welt, in der man sonst fast nur noch Buy-out-Verträge angeboten bekommt!

Wer mich kennt, der weiß, dass ich sonst ultrakritisch mit Amazon und Geschäftsmeldungen allgemein bin. Aber hier muss ich sagen: Die Amerikaner stoßen jetzt geschickt in genau die Lücken, die unsere traditionellen Verwerter und Vermarkter zu Lasten von Autoren und Journalisten immer schmählicher vernachlässigen. Wenn eine solche Firma das macht, dann heißt dies aber auch, dass bei den Lesern ganz eindeutig ein Bedarf da ist. Herkömmliche Verlage in Europa verschlafen das seit Jahren. Wer bekommt heute schon noch das große Feature von seiner Zeitung ordentlich finanziert? Welche Zeitschrift druckt noch echte Großreportagen? Welcher Verlag nimmt Kurzgeschichten an? Und reden nicht alle von kürzeren Aufmerksamkeitsspannen, während Bücher immer stärker die 500-Seiten-Marke überschreiten sollen?

Natürlich gibt es auch andere Firmen, bei denen man Kurztexte anbieten kann, neu ist das nicht. Neu ist die Vernetzung der unterschiedlichen Formen, die Seriosität bei den Verträgen und die Power im Vertrieb. Denn auch das ergab meine Recherche bei E-Book-Plattformen: Sie sind für Autoren nur dann wirklich hilfreich, wenn sie entsprechende Reichweiten haben und wenn große Kundenströme unkompliziert dort einkaufen können. Und das Angebot von 70% Tantiemen ist schon gar nicht zu verachten. Man rechne das einmal gegen ein Buy-out-Honorar von FAZ & Co. oder gegen die Verlagsangebote bei Anthologien...

Mein Virus hat sich schon fast verflüchtigt. Die Journalistin in mir schreit nämlich nach Platz ;-) Und die Autorin schaut wieder etwas hoffnungsvoller in die Zukunft.

update:
Sehr lesenswerter Artikel von Holger Ehling: "Der Buchhandel hat (fast) schon verloren".
Er beschäftigt sich mit der Frage, ob durch die E-Books in Zukunft die großen Distributoren die Macht der Großverlage und des Buchhandels brechen werden. Es heißt darin:
"Im Ebook-Markt kommt zudem ein strategischer Nachteil der Verlage (und auch des etablierten Zwischenbuchhandels) gegenüber den Plattformern zum Zuge: Ihnen fehlt der Kontakt zum Endkunden."
Das bringt mich auf den Gedanken, dass auch AutorInnen hier Stärke beweisen könnten...

PS: Übrigens schön, wenn man als Bloggerin schneller ist als die Zeitschrift Buchmarkt.

Gejammere

Falls man von mir online nichts Substantielles liest, liegt das daran, dass ich an zwei Fronten gleichzeitig kämpfe: Erstens spinnt mein Computer und ich habe noch nicht ganz herausgefunden, ob demnächst ein Crash zu erwarten ist. Und zweitens kämpfe ich gegen die gesammelte Faschingsvirenfront, die ich mir eingefangen habe. Feines Rezept, um auch die stärkste Frau umzuwerfen: Man begebe sich in ein ausverkauftes, völlig überheiztes Festspielhaus, wo die Klimaanlage alle Körpergerüche, Bakterien und Viren dieser Welt lustig verwirbelt. Komme heim und begleite den an Durchfall leidenden Hund bis morgens um fünf Uhr alle zehn Minuten nach draußen, der Schnelligkeit halber nur spärlich bekleidet...

Immerhin ist der Hund wieder kuriert. Und ich "genieße" das Ganze bei heißem Tee, hochpotenzierter Barbarie-Enten-Leber (lecker Homöopathie), einem guten Buch und nun bei einem Abhärtungs-Hunde-Lauf in der Frühlingssonne.

25. Februar 2011

Das Lied vom Ende

Vielleicht kennen das andere Leser auch: Da hat man ein richtig wunderbares Buch vor sich, einen großen Roman - und dann könnte man für das Ende den Autor oder die Autorin einfach nur schütteln. Weil es irgendwie nicht zum Buch passt, weil da irgendwo ein Bruch ist oder weil es künstlich wirkt. Ich erinnere mich noch verschwommen an "Die Päpstin" von Donna Cross. Ich verstand nie das Schwärmen für dieses Buch - weil es ein so unsäglich unpassendes, nerviges Ende hatte, dass es mir den ganzen Roman verleidete. Schlimm war auch ein Krimi in feiner "Noir"-Manier, schnoddrig, dreckig, bester US-Sumpf - und dann feiert der Detective am Schluss die schnulzigste Hollywood-Hochzeit, die man sich auf einer Kitschpostkarte denken kann.

Nun habe ich "Mrs Medina" ausgelesen. An meiner euphorischen Kritik habe ich nichts zu ändern: Es ist ein wunderbares, tiefes, sensibles, sprachschönes Buch. Aber leider schrammt die Autorin haarscharf am ganz großen Roman vorbei. Indem sie ihrem Buch nicht den Schluss gibt, den es verdient hätte. Ich will natürlich nicht spoilern und zu viel verraten - das Problem liegt schlicht am Happy End. Ich weiß nicht, inwiefern die Autorin von ihrem Verlag dazu gedrängt wurde, eines zu schreiben - in den USA sind Happy Ends leider in vielen Bereichen zwingend. Manche kennen die Geschichte des mitreißenden Films "Brazil" von Terry Gilliam, der in einer Hollywoodversion völlig verhunzt wurde, nur weil man dem Zuschauer die notwendige Tragik angeblich nicht zumuten konnte.

Nicht jeder Autor hat die Kraft oder Macht, wie Gilliam trotzig zusätzlich die eigene Version zu drehen, deren tief tragisches Ende den Film erhob und Filmgeschichte schrieb. Leider muss man das sagen: "Mrs Medina" hätte das Zeug zu wirklich großer Literatur gehabt, wenn die Autorin die Karibikreise der Protagonistin ausgelassen hätte und stattdessen konsequent und hart auf dem bereits angelegten Weg geblieben wäre. Eigentlich hätte das Buch mit einem kleinen Hoffnung machenden Epilog an dieser Stelle enden können. Was mir dabei besonders auffällt: Genau an dieser Stelle geschieht nicht nur ein dramaturgischer, sondern auch ein sprachlicher Bruch. Die anfängliche Tiefe verliert sich in allzu sichtbarem Handwerk. Nun will ich - wie gesagt - keine Romanenden verraten (denn das Buch ist nach wie vor absolut lesenswert und vielleicht fällt auch nur mir dieses Ende auf).

Ich mache mir natürlich unabhängig von einzelnen Büchern Gedanken, wodurch der Effekt entstehen kann, dass ein Ende absolut nicht passen will oder - wie im Fall der "Päpstin" - sogar wie lieblos hingeschlampt wirkt. In allen Fällen kann man die Schwäche nicht den Autoren allein anlasten. Hier müsste ein aufmerksames Lektorat reagieren und mit den Autoren sprechen. Leider sind solche Enden jedoch meist ausgerechnet dem Lektorat gedankt, das entweder ein Happy End vorschreibt oder von Lesern glaubt, sie könnten Realismus nicht ertragen. Was läuft da schief?

Ich nenne das inzwischen "Angst-Enden". Ob Lektorin oder Autorin - hier hat jemand plötzlich Angst vor der eigenen Courage, der eigenen Tiefe. Der Bruch verstärkt sich meist für die Leser dadurch, dass Autoren an solchen Stellen aus ihrer Figur "aussteigen". Um das zu kaschieren, weil ich als Autor genau fühle, wenn ich nicht mehr "drin" bin, muss ich meinen Handwerkskasten zu Rate ziehen. Also verlasse ich den literarischen Strom, beschreibe hier Gegenstände, beschreibe da Menschen, erzeuge alles durch Außensicht - und baue schlimmstenfalls noch Bausteine wie Cliffhanger ein. Sprachlich kommt mir das Gefühl für die Innereien meiner Figuren auch langsam abhanden, es wird hölzern, konventionell, das ein oder andere Klischee schleicht sich ein. Und irgendwann habe ich den "point of no return" erreicht, das Ende ist vermurkst und so wird das aufgedrückte Happy End auch wie aufgedrückt erscheinen. Weil es von vornherein nicht das Ende dieser einen Geschichte hätte sein dürfen.

Nichts gegen Happy Ends. Aber sie müssen entweder gut vorbereitet sein und dürfen nicht wie das Schachtelteufelchen aus der zufällig geöffneten Kiste springen. Oder sie kommen aus konventionellen Gründen, etwa weil man in einem gewissen Genre immer ein Happy End erwarten darf (dann ist das auch dramaturgisch im Bastelkasten).

Ansonsten schlummert in jeder Geschichte ein ihr ureigenes Ende, ein einziges Ende, bei dem alles stimmt und alles stimmig wird. Unbequem können solche Enden sein, sie können von den Leserinnen und Lesern viel abverlangen. Sie können einen erschüttern und einem nicht mehr aus dem Kopf gehen. Wehe jedoch, man begeht als Autor Verrat an solch einem Ende - es wird sich rächen, weil ein Schatten seiner selbst in der Vorstellung der Leser aufblitzt. Weil der Leser voll in die Geschichte eintaucht, aus der ein ängstlicher Autor hochtaucht, ahnt er, welche Chancen der Autor vergibt.

Oft geschehen solche Brüche dann, wenn die Hauptfigur keine einfache ist, wenn sie Tragisches erlebt, vielleicht zu Boden gebracht wurde und vom Autor auf der Gefühlsebene Extreme abverlangt. Es ist wie im Thriller: Ich hetze meinen Helden in bedrohlicher Lebensgefahr immer tiefer in die Katastrophe, tue ihm die schrecklichsten Dinge an, quäle ihn, lasse ihn fast verrecken. Plötzlich saust ein Rettungswagen herbei, die Mafia wird von einem unsichtbaren Spezialkommando niedergemäht und die schöne Notärztin gibt dem mit Müh und Not wiederbelebten Helden noch im Rettungswagen ihr Jawort.

Keinem Leser kann man es verdenken, wenn er ein solch unglaubhaftes Gesülze an die nächste Wand pfeffert. Das Happy End ist dramaturgisch nicht folgerichtig komponiert und entwickelt sich weder aus der Situation noch aus den Figuren. Der Autor ist aus seinem Helden ausgestiegen und in den Rettungswagen umgestiegen. Es können im wahren Leben noch so viele hübsche und heiratswillige Notärztinnen ihren Dienst versehen - diese Konstruktion wirkt völlig unglaubhaft.

Je komplizierter ein Roman ist, desto weniger fällt dem Autor der Griff in die eigene Trickkiste auf. Bei "Mrs Medina" - so viel kann ich verraten, ohne zu viel preiszugeben - geschieht der Bruch, als die Hauptfigur psychisch und seelisch völlig am Ende ist, leer, passiv, teilnahmslos. Wir erinnern uns: Der Roman beginnt in einer psychiatrischen Klinik. Ein klassischer perfekter Ringschluss, dieser Tiefpunkt am Ende. Er kann jedoch deshalb kein Schluss sein, weil der gesamte Roman mit dieser Figur nicht als Tragödie angelegt ist. Wenn aber eine solche Figur je wieder auf die Beine kommen soll, was auch für die Leserinnen tröstlich wäre, dann muss dieses Erstarken absolut behutsam und vor allem glaubhaft durchgeführt werden. Leider hat der amerikanische Verlag, bei dem das Original erschien, diesen Mut wohl nicht gehabt.

Ich erinnere mich an meinen eigenen Roman "Lavendelblues", bei dem ich eine heftige Diskussion mit der Lektorin hatte. Ohne Sex zwischendurch und ein Happy End am Ende hätte ich in diesem Verlag keine Veröffentlichungschancen gehabt. Für meine Geschichte, wie ich sie im Kopf hatte, bedeutete das jedoch Verrat. Eine Protagonistin in tiefer Existenzangst, die nur noch eines im Sinn hat, nämlich die Rettung aus der Misere, denkt nicht an Männer, allenfalls an Sex für eine Nacht. Und eine derart selbstständige Protagonistin wie die meine löst ihre Probleme garantiert nicht durch Heirat. Weil ich ziemlich stur blieb, einigten wir uns auf eine Minimalversion. Trotzdem kann ich als Autorin ganz genau die Brüche im Roman erkennen. Oft sind es nur Kleinigkeiten, die man ändert. Da wird die Lebensangst ein wenig abgemildert, die Frau ein wenig lustiger als das normal wäre; man schreibt einen Mann herbei, der irgendetwas an sich hat, dass er keine Hauptrolle ergattert ... Und schon schrammt man haarscharf am Klischee vorbei, zeigt die Handwerkskiste. Weil man in dem Moment aus den Untiefen der Figur aussteigen muss.

Für das wahre Ende von manchen Geschichten braucht man (vom Verlag aus) absolute Freiheit und (von sich aus) eine gehörige Portion Mut. Es ist leicht und schön, sich im Innersten einer Figur zu befinden, die Reisen macht, Katastrophen überlebt oder sich verliebt. Aber es verlangt von Autoren unwahrscheinlich viel ab, wenn sie sich in die Abgründe begeben. In die Emotionen von echter Verzweiflung, von Folter, von Depression, von lebenslangen Beschädigungen, vom Umgang mit dem Sterben, mit heftigen Verlusten...

Jeder Autor reagiert hier anders. Die einen überspringen die Essenz. Andere bleiben dem Hörensagen, der Recherche, dem Klischee verhaftet, um nicht loslassen zu müssen. Manche sind vielleicht auch einfach unerfahren im Leben. Andere zerfleischen sich fast selbst dabei. Der Ernstfall im Schreiben wirft uns in die eigenen Abgründe und Schattenseiten. Manchmal reicht es nicht, sie freundlich anzuschauen. Manchmal muss man richtig tief in den eigenen Modder steigen und am Schmerz auch noch kratzen. Deshalb ist wirkliches Schreiben nie freundliche Therapie, sondern ein Annehmen und Aushalten dessen, was der normale Mensch so wohltuend an sich verdrängt.

Aber nur wenn es mir gelingt, mich selbst - mit welcher Technik auch immer - auf den Energielevel und die Umstände einer depressiven Figur einzulassen, kann ich einen glaubhaften Ausweg erfinden. Nur wenn ich um die unlogischen, seltsamen, absolut nicht konformen Leiden eines Trauernden weiß, kann ich seine Trauer versiegen lassen und ihm neuen Lebensmut einflößen. Genau das geht nicht mit einem Fingerschnipp oder einem neuen Kapitel, nicht mit einer schönen Frau, einem schönen Mann.

Manchmal braucht so eine Figur eher eine heilsame weitere Barriere, damit sie wirklich die Wut entwickelt, mit der sie sich selbst aus dem Loch ziehen kann. Der Held im Thriller ist so einer: Alles, was ihm an Schrecklichem widerfährt, dient nur dazu, seine Wut und seinen Überlebenswillen anzustacheln. Es macht aus der kleinbürgerlichen Lusche den Kämpfer für das Gute, aus dem unbedarften Ehemann den eiskalt kalkulierenden Superagenten. Im Action-Roman kann ich mich einigermaßen auf solche dramaturgischen Kniffe verlassen. Aber es gehört zur ganz großen Kunst, in einem actionfreien literarischen Roman den Rettungswagen nicht unbestellt und viel zu früh herbeirasen zu lassen.

24. Februar 2011

Es ist so weit

Die Spekulationen wollten nicht abreißen, ob der Kindle je über den Teich nach Deutschland finden würde - und zwar richtig, mit eigenem, inländischen Shop. Wichtig ist die Beantwortung der Frage aus drei Gründen:
  1. Würde ein ähnlicher Erfolg wie in den USA den deutschen Buchhandel gehörig umwälzen.
  2. Bietet Amazon mit 70% Tantiemen selbstverlegenden Autoren bisher die besten Konditionen. Die Abwicklung über die USA ist jedoch noch steuerrechtlich kompliziert und erreicht nicht genügend Publikum im eigenen Land.
  3. Autoren müssen sich dringend überlegen, ob sie ihre E-Book-Rechte in Verlagsverträgen überhaupt noch abtreten wollen. Kommt der Kindle tatsächlich, müssen Verlage mit den Tantiemen von Amazon konkurrieren und sich etwas einfallen lassen.
Nun ist es offensichtlich so weit. Bereits seit einiger Zeit schreibt Amazon vermehrt Jobs in Sachen Kindle in Deutschland aus, darunter den Posten eines PR-Experten. Gestern vermelden Buchreport und Golem, dass die ersten deutschen Großverlage E-Book-Versionen auf die Kindle-Plattform geladen haben. Noch gibt es auf amazon.de keinen eigenen Kindle-Shop - aber bei den derzeitigen Aktivitäten im Hintergrund wird das wohl nicht lange so bleiben. (Gerüchte der Webgemeinde sprechen von einem Termin um Ostern).

Die genauen Umstände kann man bei Golem.de und im Buchreport nachlesen.
Sollte der Kindle-Shop noch in diesem Jahr kommen, werden sich für Selbstvermarkter ungleich größere Chancen ergeben. Und auch der Passus zum Nebenrecht "E-Book" in Autorenverträgen erhält eine völlig neue Bedeutung.

Sollten die gleichen Features wie in den USA kommen, so werde ich z.B. dieses Blog künftig parallel als Kindleversion anbieten. Auch meine beiden Romane "Stechapfel und Belladonna" und "Lavendelblues" sollen als E-Book-Version wieder auf den Markt kommen - allerdings in unterschiedlichen Dateiformaten.

23. Februar 2011

Deutsch als Fremdsprache

Wenn man im Ausland lebt wie ich, bekommt man zwar Deutsch zu hören, aber nicht immer ist es Hochsprache. Und selten tauchen darin Modewörter und Neuschöpfungen auf. Als die "Faxweiche" erfunden wurde, während ich in Polen lebte, brauchte ich Wochen, um herauszufinden, ob es sich um ein Marshmallow für Büroangestellte oder ein neues Sammelteil von Märklin handelte.

Heute wunderte ich mich bei Twitter laut, was denn ein "Wärmepilz" sei.
Ich verbeuge mich vor Dedalus Root, der es geschafft hat, sich durch zwei Tweets zur schönsten Erklärung hinreißen zu lassen, die sich ein Zwerchfell wünschen kann! Wer sich amüsieren will, dringend lesen:
Hirngespinste: Fungus Motiunculus
Ich könnte mir glatt ein Geschenkbuch vorstellen, das so ein paar wichtige neudeutsche Wörter untersucht...

Eine Figur wird geboren

"Wie jedes Jahr vor dieser Szene entging sie dem Sog schräg gegenüber im Schlafzimmer, griff nach der dreikantigen Flasche, die sie im Kleiderschrank versteckt hatte. Der blauviolette Inhalt sah aus wie Medizin. Sie drehte mit aller Kraft, bis mit einem Knacken der Verschluss frei war, goss ein Cocktailglas halb voll mit Veilchenlikör und gönnte sich eine kleine Sünde, die so verrückt war wie dieser Film, wie die Tatsache, dass sie dieses Ritual schon im sechsten Jahr vollzog. So verrückt wie ihr Gefühl, im Leben zu schwimmen, ohne die Bahnen zu kennen. Ein kleiner Spritzer Sahne aus der mitgebrachten Dose, eine unschuldige Schauminsel im düsteren Meer.

Sie stieß die Zunge hinein, um sich zu verankern, um den Sog nicht mehr zu spüren, der Jahr um Jahr an ihr zerrte, stieß hindurch in das brennende Meer, bis der aufdringlich blumenscharfe Geschmack sie mahnte: Odile Redon, du schwelgst in den Freuden alter Jungfern! Kein normaler Mensch trank heute mehr puren Veilchenlikör, so wie niemand mehr Spitzentaschentücher mit Monogrammen bestickte. [...]

Sie nahm noch einen großen Schluck, der die Kehle hinuntersengte, goss nach, trank in einem Zug aus, weil der blumige Geschmack langsam an Raumbedufter erinnerte. Und weil die Zimmerdecke so schneller einem Sternenhimmel ähnelte. Die Möbel waberten, gaben ihr ein beruhigendes Gefühl, die Welt weichzeichnen zu können. John Lennon würde drüben noch eine Weile brauchen, bis er im Badewannenabfluss verschwand. Sie konnte die Stelle an den Rhythmen des Bildflackerns erkennen. Glas splitterte irgendwo. In diesem Film knackte, trommelte und sang es ständig, anarchisch wie er war, blödsinnig [...]

Der Lärm brandete wieder auf. Odile stellte Glas und Flasche ab und schlich ins dunkle Wohnzimmer zum Fenster. Sie hatte sich nicht verhört. Vorsichtig nahm sie die Gardine zurück und schaute durch den Spalt hinaus auf das, was zwei Stockwerke unter ihr brodelte. Mob. Der Abgrund in der Nebenstraße leuchtete schön wie die Sonne und schien schrecklich wie ein Blick in die Hölle. Sie hatten ein Auto vor dem leeren Nachbargrundstück in Brand gesetzt. Das Blau, das hinter ihr in unterschiedlichen Rhythmen an der Wand flackerte, kam von Gendarmerie und Feuerwehr. Immerhin kamen sie inzwischen rechtzeitig. Unwillkürlich dachte Odile an Bradbury’s „Fahrenheit 451“ und fragte sich, wann der Mob auch in die Häuser eindringen würde, ihr das Liebste nehmen: die gerahmten Erinnerungen an der Wand und die tausend Rückzugswelten in ihrer Bibliothek. Sie brandschatzten, johlten jetzt also nicht mehr nur in der Pariser Gegend. Wüteten jetzt auch bei ihr in der Provinz. Als sei die Zeit zerbrochen und die Wirklichkeit einem Science Fiction gewichen."
Petra van Cronenburg: Entwurf
 
Odilon Redon: Das Auge

Eine schlaflose Nacht, als sei Vollmond. Herumwälzen wie zwischen Welten. Und dann war sie plötzlich wieder da, klar und lebendig wie vor fünf Jahren schon einmal. Odile Redon mit ihrem Veilchenlikörtick. Sie hatte eine Menge zu erzählen, die Nacht verflog. Sie ging auch beim Frühstück nicht. Es war ihr egal, dass ich mir den Hals verspannt hatte beim unruhigen Liegen. Jetzt tappt sie unruhig mit dem Fuß neben mir und meint, sie wolle uns begleiten, mich und den Hund, beim Mittagslauf. Es brennt, sagt sie. Und ich müsse mich endlich von Vaslav Nijinsky lösen. Ob ich nicht bemerkt hätte, dass der Text nur noch aufs Setzen warte.

Ich bin noch nicht bereit. Nijinsky steckt mir so tief in den Poren, dass er mich ein Leben lang begleiten wird, fast zu nah bin ich ihm gekommen. Vor Odiles Nähe hatte ich immer schon ein wenig Angst. Nicht, weil sie heimlich Waffenzeitschriften liest und kleingeblümte Kleider trägt. Aber sie ist eine von den Aufrechten, die sogar in einer Schublade noch stehen und sich nicht umwerfen lassen. Sie hat damals etwas von mir gewollt, das ich ihr nicht geben konnte. Und jetzt sagt sie einfach nur: Es brennt.

22. Februar 2011

Aufgeräumt

Madame schuftet heute auf dem virtuellen Speicher: Aufräumen ist angesagt. Nach einem kleinen Frühjahrsputz ist hoffentlich das virtuelle Aushängeschild wieder auf dem neuesten Stand. Außerdem habe ich entdeckt, dass mein neuestes Rennomierprojekt bald zu haben ist. Irgendwie kann ich immer noch nicht ganz glauben, dass ich das war, die das geschafft hat...

Zwiespältiger waren meine Gefühle beim Aktualisieren sämtlicher Veröffentlichungen und der Projekte in Planung. Auf der einen Seite empfinde ich eine seltsame Mischung aus Scham, Panik und Verzweiflung darüber, dass es nur die Engländer, Litauer und Italiener schaffen, noch Bücher von mir zu verkaufen. Abgesehen von ein paar Elsass-Hörbüchern, deren Verlag schon keine Website mehr hat, bin ich in Deutschland derzeit unsichtbar, nicht mehr existent, weg vom Fenster. Ein Nichts. Bitter lachend könnte ich mich jetzt Möchtegernautorin nennen.

Auf der anderen Seite erfüllt mich die Liste mit Staunen und Stolz. Was für einen weiten Weg habe ich zurückgelegt! Wie hart und vielseitig habe ich gearbeitet, welche Verlage habe ich begeistern können! Wie verrückt die Produktionen teilweise verliefen...

Ich erinnere mich noch, wie ich in der Endphase meines Erstlings von Polen nach Frankreich umziehen musste und sämtliche Daten im Handgepäck nicht aus den Augen ließ, weil ich dem Umzugsgut nicht ganz traute, ob es auch alles heil ankommen würde. Wie sich beim zweiten Buch gleich zwei Verlage um mich rissen und ich mich schweren Herzens für ein Angebot entscheiden musste. Nicht ahnend, dass bald beide Verlage untergehen würden. Ich fühle noch die Aufregung, als mir die BBC mailte und um meine Telefonnummer bat - was muss ich gestammelt haben! Ich bin schier gestorben vor Aufregung, als ich den Regisseur und Kameramann am Flughafen Entzheim abholte und nach Straßburg chauffierte. Im letzten Augenblick hatten uns alle interessanten Institutionen die Drehgenehmigung für ein Live-Interview verweigert und auch das Museum für moderne Kunst ließ sich von der BBC nicht beeindrucken. Nie werde ich vergessen, wie die Chefin des Museumsrestaurants uns kurzerhand zu sich bat und wir von dort - ohne ihr Wissen - frech durch eine Hintertür in einen Gang mit prächtiger Aussicht schlichen. Und ich sah aus, wie man aussieht, wenn man gerade eine private Katastrophe hinter sich hat...

Auf falsche Ratgeber und Markt-Trend-Schwätzer bin ich in all den Jahren gefallen, auf jede Menge harte - wertvolle wie demontierende - Kritiker und auf wenige Menschen, die meine Stärken herauskitzelten und mich motivierten. Manche halfen mir, die zu werden, die ich jetzt bin. Furchtbar naiv war ich, viel zu beeinflussbar und unsicher, aber auch ehrgeizig und nicht unterzukriegen. Bis die Routine kam, der Hornhautmantel und dann die Erkenntnis, dass nur ich selbst wissen kann, wohin es mit mir gehen soll. Nach all den Jahren ist die Liebe zu Büchern und bestimmten Themen gewachsen - und ein eiserner, unerschütterlicher Wille dazu. Ich muss ja schreiben. Ich könnte sonst genauso gut das Atmen einstellen.

Drei Verlagsverkäufe, zwei Verlagspleiten, eine Fusion und zwei radikale Programmumgestaltungen habe ich überlebt. Jetzt bin ich selbst ein leeres Blatt, meine Bücher gibt es im Handel derzeit nur noch antiquarisch. Ich könnte heulen.
Stattdessen schlage ich einen neuen Band meines Lebens auf. Darin werde ich die alten Fehler nicht mehr machen, sondern neue. Vor allem aber bin ich jetzt endlich reif dazu, nur noch die Bücher zu schreiben, die mir selbst wirklich ganz und gar am Herzen liegen und in der Feder brennen. So eine plötzlich zum Nichts gewordene Schriftstellerin kann es sich leisten, rücksichtslos neu anzufangen. Mit Partnern, die zu mir passen und mit Büchern, in denen ich meine Stärken austoben kann.

Der Melancholie zuliebe werden ein paar der "alten Schinken" 2011 neu aufgelegt. Das wären als erstes natürlich mein Elsassbuch, dem sollen dann meine beiden Romane folgen. Und dann wird es Zeit, endlich wieder ein gutes neues Buch zu schreiben. Mein Nijinsky-Projekt weist mir den Weg...

Buchpreisbindung

Die Buchpreisbindung, die nicht nur in Deutschland, sondern auch vielen anderen Ländern Europas gesetzlich vorgeschrieben ist, wird zunehmend ein Thema für Laien im Verlagsgeschäft. Denn sie muss auch von PoD-Autoren und Selbstverlegern eingehalten werden. Eine Grauzone entsteht dort, wo deutsche Autoren selbst einfach in den USA verlegen. Einige europäische Länder wie z.B. Frankreich verhandeln derzeit über Gegenmaßnahmen in solchen Fällen.

Was von Laien gern verwechselt wird: Das Buchpreisbindungsgesetz schreibt nicht vor, dass alle Ausgaben eines Buchs den gleichen Preis haben müssen. Es schreibt vor, dass eine bestimmte Ausgabe (HC oder TB oder E-Book etc.) von allen Anbietern zum gleichen Preis angeboten werden muss.

In die Diskussion geraten ist die Buchpreisbindung wieder durch die oft als viel zu hoch empfundenen E-Book-Preise, die der Branchenriese Amazon mit einer Barriere nach oben (9,99$) brechen will. Das würde bedeuten, dass ein E-Book, das anderswo für z.B. 20 E angeboten wird, bei Amazon nur den Gegenwert von maximal 9,99 E kosten dürfte.

Gegner der bisherigen üblichen Preiskalkulation führen an, dass sich überteuerte E-Books nicht durchsetzen würden und der europäische Markt gegenüber dem US-Markt verlieren könnte. Befürworter geben kritisch zu bedenken, welche Folgen es hat, wenn Händler wie Amazon künftig Verlagen und dem Rest des Buchhandels die Preispolitik diktierten und die Preise anderer Händler unterliefen.

Was aber besagt das Buchpreisbindungsgesetz? Hier ein paar Links zur Information:

Frauen ohne Ellenbogen?

Die Frauenquote ist in aller Munde, im Buchreport spricht die Campus-Verlagsleiterin Annette C. Anton über die Verhältnisse in der Buchbranche und warum sie eine Quote nicht für hilfreich erachtet. Unter dem Titel "Frauen konkurrieren nicht gern" sagt sie:
"Beim kleinsten Versagen wird man sagen: Ist ja doch bloß ’ne Quotentussi."

Dazu gibt Buchreport noch einmal die Infos über die Erhebungen der BücherFrauen vom letzten Jahr und den Check, den das Magazin bei den größten Verlagen und Buchhandlungen machte. Demnach waren 2010 bei den Top-Buchhandlungen nur 19% Frauen in der Leitung, bei den 100 größten Verlagen sind es immerhin 29%. 14% beträgt der Frauenanteil auf höchsten Führungsebenen in Verlagen.

Übrigens habe ich meinen Beitritt bei den BücherFrauen nicht bereut - ich habe selten so spannende, intelligente, vielseitige und netzwerkende Frauen auf einem Haufen erlebt. Ich frage mich immer öfter, warum ich sie nicht früher kennengelernt habe ;-)

21. Februar 2011

Wechselbäder

Wer Wechselbäder der Extreme liebt, sollte Bücher schreiben und Bücher machen. Achterbahn ist nichts gegen die Freuden dieser Arbeit. Vor ein paar Tagen war ich stimmungsmäßig noch ganz unten im Keller und glaubte mal wieder an gar nichts mehr. Schuld waren gar nicht mal die wunderbaren, meist wildfremden  Bedenkenträger, die mir einbläuen wollten: Du hast nicht die richtige Software, du kannst als Laie gar keine Schrifttypen unterschieden, du weißt nicht, was passt, du wirst Anfängerfehler machen, das wird nicht perfekt werden etc. pp.

Für solche Leute habe ich inzwischen die berühmte französische Geste, bei der man in der linken Faust den Mittelfinger vorstreckt, Unterarm nach oben. Dann haut man mit der flachen rechten Hand auf den linken Bizeps, so dass die Faust mit dem unflätigen Mittelfinger vor dem Auge des Bedenkenträgers hochschnellt.
Natürlich werde ich Fehler machen - und daraus lernen. Natürlich habe ich nicht die diamantene Software - aber ich kann aus der pappigen das Extrem herausholen. Und wenn ich immer nur warten würde, bis alles perfekt ist, wäre ich heute noch im Mutterbauch. Wer wagt, gewinnt. Wer scheitert, hat es wenigstens versucht.

Nein, Schuld an der schlechten Laune war natürlich mein eigenes "Produkt". Das zickte und zwackte und nichts, aber auch gar nichts mehr stimmte. Als es mir dann auch noch die pdfs zerschoss, war ich verzweifelt. Zum Glück gibt es in solchen Momenten Menschen mit kühlem Kopf, die man um Rat fragen kann. Die eine Software bis in ihre Gedärme hinein kennen und auch noch die letzten Tricks hineinpfriemeln können. Also konnte ich schallend lachen. Ich kleiner dummer Anfänger-Dumbo hatte einfach nur mal wieder nicht daran gedacht, dass Software blöde ist und zwei Softwares hintereinander geschaltet doppelt so blöde.

Nun existiert das Nijinsky-Manuskript endlich wieder in ungeschreddertem Zustand. Und siehe da, wie durch Zaubertrick funktioniert sogar mein Wunschformat mit meiner Wunschtypografie. Die ich frech und vorwitzig ungelernt und fehlerbereit in drei Tagen hin und her getestet habe, bis mir auch mit der Lupe die Augen übergingen (wer hat eigentlich mein Typografielineal gefressen?). Außerdem freue ich mich schon auf die nächste Verlagslektorin im Sachbuchverlag, die mir die übelste Arbeit abnimmt. Im Moment muss ich die ekligen Angelegenheiten selbst regeln: Die Bibliografie gefühlte hundert Mal abgleichen, das Impressum zig mal korrigieren und mindestens zehntausend Mal die Endnoten mit den Textverweisen überprüfen. Nicht, dass ich das als Autorin sonst nicht auch machen müsste. Aber diesmal arbeite ich ohne Netz und doppelten Boden. Sprich: Wenn's nicht stimmt, kann ich die Verantwortung nicht auf andere abwälzen.

Seit gestern ist jedoch endlich ein Punkt erreicht, wo ich mir mein Buch zum ersten Mal dreidimensional und als Gesamttext vorstellen kann - einschließlich der Bebilderung.
Manche Herausforderungen finde ich richtig spannend: Wie schaffe ich es z.B., dass alle Kapitelanfänge auf eine rechte Seite kommen? Und welche Fotos sind nicht nur anhand bezahlbarer Rechte, sondern auch anhand ihrer Auflösung und Qualität nutzbar?

Da geschehen dann manchmal noch Zeichen und Wunder. Ich recherchiere seit zwei Jahren Fotos in Sachen Nijinsky - immer wieder, weltweit. Und wie ich gestern noch einmal ganz genau suche, ob bestimmte Fotografen schon seit 70 Jahren tot sind, falle ich zufällig über ein Foto von Nijinsky, das ich noch nie zuvor gesehen habe. Es zeigt ihn sehr als Menschen, mit seinen Gefühlen. Es ist fast ein Blick hinter die stets inszenierte Kulisse. Es ist rechtefrei - und es ist meines Wissens noch in keinem mir erreichbaren Buch oder Katalog veröffentlicht worden. Ich muss jetzt nur noch schauen, ob die Qualität dem Layout und Druck standhalten wird. Und ich werde den Atem anhalten, wenn ich ein zweites so besonderes Foto online in New York einkaufen werde - und ich werde vor Freude hüpfen, sobald es auf meinen Computer übertragen sein wird.

Das sind dann die absoluten Highlights bei einer solchen Arbeit. Es wird zwar nachher einfach nur ein Foto sein, uralt außerdem - aber zumindest mich hat es in Champagnerlaune gebracht. Genauso habe ich gestern über mein Inhaltsverzeichnis gejubelt. Seit etwa einem halben Jahr schlage ich mich mit dem Problem herum, wie man scheinbar divergierende Buchteile inhaltlich zu einem harmonischen Ganzen fügt. Die Lösung lag die ganze Zeit vor meinen Augen - ich habe sie mir jetzt von Nijinsky flüstern lassen. Manche Eingebungen brauchen eben etwas länger.

Natürlich ist noch lange nichts perfekt. Und so vieles kann noch schief gehen. Es kann schließlich sogar noch der Blitz in die Druckmaschine schlagen. Es könnte, es könnte, es könnte. Natürlich werde ich erst dann ruhig schlafen, wenn ich das erste fertige Exemplar unfallfrei in Händen halte. Aber mir würde es im Traum nicht einfallen, zu verzagen, nur weil der Mensch so viele Möglichkeiten zum Fehlermachen hat! Schließlich würde es dieses Buch gar nicht geben, wenn nicht schon so viel damit schiefgelaufen wäre.

wie Sauerbier!

Es ist schon ein Phänomen, wie heutzutage die Fähigkeit von Leserinnen und Lesern abnimmt, zwischen der Sache in einem Text und der Autorin zu differenzieren. Zugegeben, was ich hier im Blog betreibe, ist oft "personal journalism" - ich benutze also irgendetwas in meinem persönlichen Umfeld oder meiner Erfahrung, um auf ein Thema zu kommen und Recherchen anzustellen. Trotzdem und gerade deshalb kann ich über Dinge und Meinungen berichten, die nicht mein eigenes Weltbild widerspiegeln.

Jedenfalls beobachte ich beim letzten Schwerpunktthema eine seltsame Verschiebung. Man glaubt, nur weil ich eine Woche lang an einem Thema arbeite, sei das mein Mittelpunkt. Noch nie zuvor habe ich im Hintergrund per Mail so viele Anfragen und Angebote bekommen. Von Menschen, die es vielleicht nett und ernst und seriös meinen, und von noch viel mehr Menschen, die mich einfach instrumentalisieren wollen, die mir wie Sauerbier und manchmal fast aggressiv ihre Dienstleistungen oder Produkte andrehen wollen. Aus der Tatsache, dass ich mich journalistisch mit einem Thema beschäftige, folgern sie irgendwelche persönlichen Bedürfnisse. Und am schlimmsten sind diejenigen, die einen Bericht über ihre Firma gleich angehängt bekommen wollen. Ich weiß natürlich: Das ist das Los einer jeden Redaktion, die eine gewisse Öffentlichkeit geschafft hat. Selbst die unlauteren Angebote, mich dafür zu bezahlen, dass ich "unauffällig" irgendwelche Links in Artikeln verstecke, sind ab einer bestimmten Blog-Reichweite gang und gäbe.

Drum möchte ich das noch einmal ausdrücklich feststellen:
Ich bin nicht bestechlich.
Ich habe noch die gute alte Ethik journalistischer Unabhängigkeit im Bauch.
Umso mehr, als ich hier weder einer Redaktionsleitung weisungsgebunden bin noch Rücksicht auf irgendwelche millionenschweren Anzeigenkunden nehmen muss.

Wenn man mir sagt: Schreib doch mal über meine Plattform, meine Firmenidee, mein Produkt - könnte das sogar für den Bettelnden ins Auge gehen. Ich würde dann nämlich akribisch recherchieren und mir eine eigene Meinung bilden. Wenn ich nicht über etwas schreibe, ist das manchmal sehr viel gnädiger ... Falls ich Firmennamen wie die französischen Plattformen nenne, dann lediglich als erläuternde Beispiele, weil ich sie in dem Moment als passend zu einem Statement recherchiert habe. Nicht, weil ich sie empfehlen will. (Etwas anderes ist es, wenn ich später meine eigenen Hersteller nennen werde, so wie ich auch meine Verlage nenne).

Auffallend ist jedenfalls, dass ich heftig umworben werde. Nur aufgrund der Tatsache, dass ich ein Buch selbst herausgebe und über diesen Markt, mit dem ich mich zwangsweise beschäftige, auch schreibe. Als ich mein letztes Buch in einem Verlag herausbrachte, hat das kein Schwein gekümmert. Und wenn ich wieder ein Buch in einem Verlag veröffentliche, kümmert das wieder kein Schwein. Jetzt aber bin ich begehrt.

Eine ganze Kiste von Grafikern habe ich schon. Die wenigen, die wirklich einfach nur hilfsbereit oder seriös sind, lassen sich leicht erkennen - das sind meist die, mit denen ich schon länger persönlich kommuniziere. Der Rest wittert ein Geschäft oder braucht dringend einen Auftrag. Typografen, Buchhersteller, Veröffentlichungsplattformen, Veröffentlichungs-Communities - sie rennen mir hinterher und schmalzen mir eins von der Pionierin, die sie unterstützen wollen; vom Freigeist, für den sie etwas tun möchten. Manche versuchen es sogar auf die miese Tour, indem sie mich vollschwallen, was alles ohne ihre professionelle Hilfe schiefgehen kann und was ich unmöglich beherrschen kann. Und natürlich steht hinter aller "Hilfsbereitschaft" immer nur das eine: Geld. Oder man will sich schlicht meinen Namen zunutze machen. Für wie blöd halten die mich eigentlich?

Deshalb will ich eindrücklich alle Autorinnen und Autoren warnen, denen es ähnlich geht. Fallt nicht auf dieses Salbadern herein! All die Versprechungen vom Entdeckt-Werden, vom wirklichen Profi-Produkt, von gemindertem Risiko etc.pp. bedeutet nur eins: Eure kreative Leistung entwickelt sich zu einem riesigen Markt, bei dem immer mehr absahnen wollen. Dazu, dass ihr beim Selbstverlag keine Garantiesummen als Vorschuss von einem Verlag erwarten könnt, wollen nun auch noch andere Verwerter kräftig verdienen. Es entsteht eine Grauzone.

Ich habe nichts gegen ordentliche Bezahlung ordentlicher Leistung. Wenn ich eine Lektorin beauftrage, eine Grafikerin oder eine Druckerei, kann ich zwar Preise vergleichen und handeln, aber ich muss die Leute bezahlen. Wenn eine Plattform einen Text einstellt und vertreibt, verdient sie natürlich einen Anteil - aber auch hier sollte ich dringend vergleichen.

Ich habe kürzlich eine Grobrecherche in Sachen E-Book-Plattformen gemacht. Und mich dagegen entschieden, einen Artikel darüber zu schreiben, weil ich mir keinen Anwalt leisten kann. Was da z.T. an Autorenverträgen angeboten wird, ist manchmal schlicht unlauter und oft nicht einmal auf dem Stand der gängigen Normverträge, die niemand unterschreiten sollte. Was an Vorabkasse für Dateierfassung oder Einstellen verlangt wird, nahm mir in ein paar wenigen Fällen schlicht den Atem. Und auch bei den Tantiemen schwanken die Angebote so höllisch, dass man dreimal vergleichen sollte, bevor man sich bindet.

Trau schau wem!

Und was die eigene Sache betrifft: Als Autorin finde ich echte seriöse Verlage nach wie vor nicht nur sinnvoll, sondern auch unverzichtbar und wertvoll. Ich schaue nur genauer hin, welcher mir zusagt.
Wenn ich jetzt verstärkt in Sachen Eigenbau recherchiere und das auch austeste, dann hat das mit meinem ganz anderen Brotberuf zu tun, wo es um Projekte geht, die schon immer außerhalb des Buchmarkts liefen. Ich kann aber jetzt schon versichern, dass daran nur absolut professionelle Partner mitwirken werden, die persönlich und offline verfügbar sind, zweisprachig, teamfähig und mit gewissen Qualifikationen.
Verschont mich also bitte in Zukunft mit Schleichwerbungen und unlauteren Werbungen aller Art im Mailfach. Ich bin nicht käuflich, ich bin kritisch. Und ich glaube, meine Leserinnen und Leser sind das auch.

Weil es so schön passt, möchte ich noch vor einer ganz besonderen ehrenwerten Gesellschaft warnen: Infos und zahlreiche Tipps gegen die Herren und Damen gibt es beim Aktionsbündnis für faire Verlage.

20. Februar 2011

Tod auf dem Klo

Da ist er wieder: euer Leszek mit der sonntäglichen Konkurrenz zum Tatort, mit Blutrunst aus Magenweiler! Höchste Bedankung an den ziemlich berühmten Menschen vom Tatort, der hier heimlich mitliest und sagte: "Kerle, das ist stream of consciousness literature!" Was es alles gibt beim Fernsehen...

Madame Buchfieber war letztes Wochenende verschnupft, weil ich nicht antanzte, aber ich bitte um Bedenken, dass Magenweiler eine Kleinstadt ist und nicht jeden freien Tag jemand eine unnatürliche Versterbung erleidet. Ach, ich soll bittesehr vernünftigeres Deutsch schreiben, ich, Leszek Chrząszczyk, ohne -heit und -keit und -ung! Sagt sie in der gleichen Atmung: "Schreib'sch heit net? Bring'sch keit Krimi? Mann, Jung!" Eine Nacht in der Rechtsmedizin ist süßer.

Jetzt hatten wir aber wieder einen Tatort, dass das CSI nur so lacht. Die Hauptunterüberwasweißich-Kommissarin hat nicht gelacht, aber die heißt auch wirklich und im echten Leben Frau Lachnich und ist das starke Weib, das durch jede Geschichte rennen muss bis zum Erbrechen von einem Häppi End. Jetzt ist sie gerannt und ich kann endlich von dem Toten erzählen, der kaum zu fotografieren war, weil der Raum so eng war und weil die Dingens-Kommissarin gleich danebengekotzt hat. Sowas sieht man schließlich nicht alle Tage! Riechen schon gar nicht! Und wer muss die Proben sammeln? Klar doch, der arme Praktikant aus Polen, bekannt für seine Gutmütigkeit auch in schlimmsten Lebenslagen.

Müsste ich jetzt für einen deutschen Verlag schreiben, würde ich nicht einfach sagen: "Das Opfer saß auf dem Klo". Ich müsste viele Verschmierungen anbringen, absolut brutale Scheiße! Und darüber müsste ich das Blut von mindestens fünf Kamelen mit Islamismushintergrund leeren, lang und breit über die Knebelung und womöglich Folterung des Opfers reden und wie ihm einstiger Kindesmissbrauch ins Gesicht geschrieben steht. Stellt euch diese Drecksauerei vor, alles pfatscht, quietscht, mieft, schreit, kotzt, stinkt, wabbelt und der scheiß Rechtsmediziner kommt schon wieder im Smoking, weil man ihn direkt aus dem Festspielhaus gezerrt hat!

Ich bin ja nur der Praktikant, aber ein intelligenter - und deshalb zeige ich auf ein im Geschmier vertrunkenes Viereck, dunkel, vor dem Rot vielleicht Schwarz (ich notiere sofort: macht sich gut für ein Cover mit weißen Fließen!). Und wie der Scheff das mit seinen kondomierten Fingern langsam herauszieht, hat das Ding auch noch Goldschnitt und Bibeldünndruckpapier. Ein Gesangbuch. Spur eins. Kommen dann im Lauf des Abends, wo ich schon von den Dämpfen in diesem winzigen Raum betäubt bin, weitere Spuren dazu: Eine Strangulierung durch die breite russische Kette goldener Mafia (Verdacht: Nachbar Oleg mit dem Speditionsunternehmen, was angeblich Seife fährt), eine dreizehnmalige rituelle Erstechung mit Lippenstiftbotschaft auf der rasierten Brust (Verdacht: die Geliebte der Ehefrau), eine Waschung mit Weihwasser im Haar (Verdacht: der Mann mit dem Gesangbuch) und Spuren von Gift, an dem offensichtlich auch die Katze verreckt ist (Verdacht: radikale Hundeschützer).

Aber so war es nicht. So ist es nie. Wir sind schließlich beim CSI und nicht beim Club für Befriedigung von Leseraufgeilung. So viel Blutsuppigkeit wie in Lektorenphantasie können wir gar nicht entwickeln. Unser Mann wäre gleich aus dem ersten Kapitel gestrichen worden: zu normal, zu unspektakulär, einfach nicht tot genug! Unser Mann saß einfach auf seinem Klo und war tot, nur einfach tot.

Das Maul stand ihm offen, er war an den Spülkasten hintenüber gekippt. Auf dem picobello geputzten Boden (außer der Kotze von der Lachnich) lag kein Gesangbuch, sondern ein Lucky-Luke-Heft. Der Stoß Comics daneben auf der Heizung - welche die Bemüffelung um Vielfachigkeit anfachte - ließ schließen, dass das Opfer ein typischer Kloleser war. In dem Moment muss natürlich wieder die Lachnich durchs Bild stöckeln, bordeauxrote Highheels an blutfreiem Tatort und wieder hat sie nicht die Überzieher genommen! Das gibt zuerst eins vom Scheff und dann lacht sie immer noch nicht und sagt: "Aus der Ehefrau ist nichts herauszubekommen."

Das hysterische Weib draußen im Wohnzimmer ist also die Frau vom Opfer. Drei starke Rettungskerls vom Sanitäterdienst halten sie an allen Extremitäten fest und einer drückt ihr sein Ding rein, also das mit der Nadel, zur Beruhigung. Die zuckt und krampft und kreischt nämlich, als gäbe es kein Vorgestern. Und ständig brüllt sie: "Ich hab dem Kerl immer wieder gesagt, er soll sich gefälligst hinsetzen! Immer nur im Stehen! Immer daneben! Jetzt hat er sein Fett, ich hab's ihm immer gesagt, wenn er sich nicht bald hinsetzt!!!"

"Blöde Kuh", sagt der Scheff, "der sitzt doch sowas von..."
Ich bin zwar nur der Praktikant, aber in dem Moment habe ich einen bösen Verdacht. Ich sag dem Scheff, der soll endlich den Smoking dazu bringen, die Leiche vom Klo zu heben. Aber der Smoking klammert sich nur die Nase mit Zeigefinger und Daumen, pfeift das Adagio von Mahler und weist seine Kerle an. Einer von denen braucht nachher vom Rettungsdiener auch so ein Sanitätsding.

Ich hab's geahnt. Nein. Ich hab's gewusst. Mit Sicherlichkeit. Also in Versicherung. Der Fall war klar. Das war so ein Klo, wie es die Franzosen mögen, wo Wasser drinsteht. Kein Bidet, sondern so ein Tiefwasserklo. Also so ein Becken, wo alles ins Wasser gleitet, ich weiß nicht, wie man das nennt. Und da gleitet doch tatsächlich ein völlig verdatterter Fisch drin herum! Jetzt war endlich das CSI mal richtig gefordert. Aber wie mein Scheff mit seinen kondomierten Fingern da reinfassen will, lass ich einen Schrei und hindere ihn im letzten Moment.
"Sie wollen den Fisch nicht wirklich grinsen sehen!", brüll ich.
"Wieso grinsen?"
"Weil er so niedliche Zähne hat, Scheff! Verhaften Sie die Lachnich und holen Sie ihn fest! Äh, holen Sie die Lachnich. Das ist unser Mörder. Die soll den Fisch festnehmen."

Der Mörder kam nicht weit. Ein Spezialeinsatzkommando aus der Tropenabteilung unseres örtlichen Zoos fing ihn mit dem Kescher ein und tötete ihn geschickt mit einem Sanitäterspezialeinsatzding. In unserem Labor kamen wir dem Kerlchen auf die Spur. Spuren eines wasserunlöslichen, schnellst wirkenden tödlichen Kakteengifts auf den Reißerchen! Und die Reißspuren an der Leiche, die uns der Smoking übermittelte, identisch mit meinen üblen Vermutungen! Jetzt mussten wir nur noch den Kaktus finden. Bei der Dickblattgewächssammlung der Hausfrau keine Schwierigkeit.

Gut, das war jetzt alles nicht so spektakulär wie in Serienmörderblutsoßebüchern. Und irgendwie war's sogar nachher ganz lustig. Die Mädels auf dem Kommissariat erzählen sich nämlich, dass die Lachnich sich neuerdings nicht mehr hinsetzt.

Lösung des Falls, Verhaftung, Feierabendlichkeit und Gleichberechtigung - was will man mehr? Und das alles dank Schlauigkeit vom Praktikant.
Leszek Chrząszczyk aus Brojenie, wo noch echte Bisons echtes Wodkagras grasen und hinter jeder Pfütze Langweilichkeit wohnt.

19. Februar 2011

Teil 2: Die Aussteiger

Welche Art Autor veröffentlicht selbst?

Ob Buch als PoD oder selbstgedrucktes Offsetexemplar, der Ausstieg aus dem herkömmlichen Verlagsgeschäft wird in Frankreich langsam zu einer kleinen kulturellen Bewegung. Dabei fällt mir im Gegensatz zu Deutschland auf, dass man viel toleranter über den eigenen Tellerrand schaut und das Schmuddelimage von einst passé ist. Bedenken bestehen eigentlich nur noch in konservativen Medien - und dort auch nur so lange, bis der Erfolg eines Buchs zur Berichterstattung zwingt. Interessant: Wenn ein "Möchtegern" (s.u.*) selbst Bücher macht, geschieht das meist aus dem Glauben an die eigene Genialität und um endlich von einem Verlag entdeckt zu werden. Wenn Profis in Frankreich selbst verlegen, entscheiden sie sich bewusst gegen die herkömmliche Verlagswelt oder platzieren Nischenthemen in besserer (eigener) Betreuung, machen sich in Sachen Erfolg jedoch nichts vor.

Immer mehr Menschen schreiben auch in Frankreich, als Hobby, aus Spaß oder sogar Größenwahn - sollen sie, dürfen sie - oft beim gleichen Anbieter wie "echte" Schriftsteller. Man kann außerdem sagen, dass die erste Art Autor Plattformen bevorzugt, die Selbstbastlern die Rundum-Betreuung und manchmal die große Entdeckung versprechen - während professionelle Autoren lieber alles selbst in die Hand nehmen und kontrollieren. Kein Profi würde sich etwa auf einer Plattform präsentieren, nur weil man dort vollmundig verspricht, man würde von Verlagen entdeckt werden. Auf der anderen Seite erhofft man von den seriösen PoD-Anbietern, dass sie endlich den DKZ-Verlagen Konkurrenz machen.

Ich habe bisher noch kein Forum von in herkömmlichen Verlagen veröffentlichten Autoren gefunden, wo etwa gegen die Hobbyisten oder Selbstverleger hämische Bemerkungen ausgetauscht werden. Eher noch veranstalten die etablierten Autoren für die "Möchtegerns" Seminare, damit diese vielleicht auch einmal zu Autoren werden. Und die Leser sieben mangelnde Qualität unerbittlich aus. Vielleicht führt auch diese Offenheit dazu, dass immer mehr etablierte Autoren aussteigen.

Die französische Nationalbibliothek verzeichnet 50.000 per PoD oder Selbstverlag veröffentlichte Autoren insgesamt.Viele Autoren sind mit einem jährlichen Treffen in Trois-Rivières organisiert, sie tauschen sich aus, kritisieren sich gegenseitig und besuchen Fortbildungen in Sachen Buchherstellung und Schreiben. Dazu gibt es das eigene "Festival der Schattenliteratur" in Saint-Antoine-de-Tilly. Angesteckt wurde die Szene durch Erfolge in Kanada. Wer möchte nicht den selbstverlegten Bestseller landen wie Jean Paré, David Chilton oder Greta und Janet Podleski. Die beiden Damen haben von ihrem ersten erfolgreichen Kochbuch immerhin 1,3 Millionen Exemplare verkauft - heute haben sie ein Unternehmen.

Gibt es auch ernst zu nehmende Erfolge in Frankreich?

Ausgehend von den Namen einiger Aussteiger in den Selbstverlegermarkt, die Le Monde im Aufmacher vom 14.1.11 "La tentation de l'autoédition" nennt, habe ich selbst auf den Websites der Autoren und auf Fanseiten recherchiert. Die Auflagenzahlen stammen z.T. von den Autoren selbst, z.T. aus Le Monde. Stellvertretend für viele andere Schriftsteller und Sachbuchautoren seien ein paar Beispiele genannt, die deutlich machen, was ein erfolgreiches Buch braucht.

Aus dem Elfenbeinturm zum breiten Publikum

Vier gestandene Wirtschaftswissenschaftler haben ein Buch geschrieben, das sie ursprünglich nur unter ihresgleichen als Fachbeitrag kursieren lassen wollten. Zum Glück hat sie jemand zum Selbstverlegen überredet. "Le manifeste d'economistes atterés" erschien im November 2010 bei LLL (Liens qui libèrent) und wurde seither 50.000 mal verkauft. Anfangs konnten die Spezialisten nicht glauben, dass sich eine derart breite Öffentlichkeit für ihre Thesen interessiert. Mit einem selbstgebastelten Blog bei Blogger.com gaben sie zunächst ihren Lesern die Gelegenheit zur Diskussion. Inzwischen haben sie eine professionelle Website und finden sich auf öffentlichen Konferenzen, bei Vorträgen und in den Medien.

Vorhandene Distribution und Namen genutzt

Jacques Bertin ist ein bekannter Sänger und Komponist, der bereits mehrere Bücher in normalen Verlagen in Frankreich und Quebec (darunter Albin Michel) veröffentlicht hat und 2010 mit dem Prix Paul Verlaine ausgezeichnet wurde. Um Beachtung und Auftritte in den Medien muss er sich keine Sorgen machen. Weil er nach seinen Konzerten und im Direktvertrieb die eigenen CDs verkauft, kam er auf die Idee, für seinen ersten Roman aus dem Verlagsgeschäft auszusteigen, um freier schreiben zu können.
Une affaire sensationelle ließ er in einer Kleinauflage von 500 Exemplaren bei einer regionalen Druckerei herstellen. Er vertreibt das Buch ausschließlich selbst und per Internet. Le Monde hat das Buch groß besprochen, nennt zwei schnell verkaufte 500er Auflagen und eine dritte, fast ausverkaufte - hält sich jedoch über deren Höhe bedeckt. Bertin selbst schreibt den Absatz der Bücher seinen treuen Fans zu.

Eile und Risikobereitschaft geboten

Rund 11.000 Exemplare sind laut Le Monde bisher von dem Buch "Mediator 150 mg" der Lungenfachärztin Irène Frachon verkauft worden, das im Juni 2010 erschien. Weil es um das wegen zahlreicher Todesfälle in die Schlagzeilen geratene Medikament gleichen Namens ging, ein hochaktuelles und brisantes Thema in Frankreich, sollte es schnell gehen. Etablierte Verlage zögerten zu lange. Irène Frachon entschied sich deshalb fürs Selbstpublizieren bei Editions Dialogues. Die Firma selbst ist ein französisches Phänomen: Gegründet vom Brester Buchhändler Charles Kermarec, werden hier Bücher aus Papier und in verschiedenen E-Formaten gleichermaßen angeboten. Wer ein Papierbuch kauft, bekommt die E-Datei kostenlos dazu.
Nach dem Erfolg kam zunächst das richterliche Aus für den Verkauf (zensiertes Exemplar + Hintergründe), erst kürzlich hat die Autorin vor Gericht gewonnen. Demnächst soll das Buch wieder erhältlich sein. Der Buchhändler-Hersteller, der seine Autorin massiv unterstützt hat, bewies nicht nur mehr Flexibilität, sondern vor allem mehr Mut als die etablierten Verlage.

Provokation und Fandom

Einer der neuesten Aussteiger aus der Verlagsszene ist ebenfalls alles andere als ein Unbekannter. Marc-Edourd Nabe alias Alain Zannini, nach eigenen Angaben griechisch-türkisch-italienisch-korsischer Abstammung, gilt in Frankreich als Enfant Terrible und hochbegabter Anarcho-Literat. Berühmt wurde er durch eine brutale Ohrfeige, die er sich 1985 in einer Sendung von Bernard Pivot einfing. Political Correctness ist für ihn ein Fremdwort, mal gilt er als Antisemit und Rechtsradikaler, mal als extremer Linker und Pro-Islamist. Veröffentlicht hat er 28 Bücher in Verlagen, nach denen sich jeder Literat die Finger leckt: Gallimard, Denoel, Éditions du Rocher.

Zweifel am Verlagssystem kamen ihm zum ersten Mal beim Verkauf der Éditions du Rocher, als er ausstehende Tantiemen und seine Rechte vom neuen Eigner herausklagen musste. Der Autor hat einen extremen Ausstiegsweg gewählt: Er verkauft seine selbstverlegten Bücher und die selbst wieder aufgelegten alten Titel ausschließlich über seine eigene Website und ausgesuchte Buchhandlungen. Eine von zwei Dutzend Fans betriebene Fansite sorgt für Werbung.

Offensichtlich lohnt sich dieser Weg für ihn, sein neuester 700-Seiten-Wälzer "L'Homme qui arreta d'écrire" (Der Mann, der aufhörte zu schreiben) erschien im Januar 2010 und wurde innerhalb von drei Monaten 3000 mal verkauft. Von der neuen Auflage sind weitere 3000 Stück weg, an denen er im Gegensatz zu früher laut eigenen Angaben 70% (von 28 E) verdient.

Absolut einzigartig im Selbstverlegermarkt ist die Tatsache, dass Nabe es mit dem Roman auf die Finalistenliste des berühmten Prix Renaudot geschafft hat. Bis sich eine Jury eines renommierten Literaturpreises tatsächlich für ein selbstverlegtes Buch entscheidet, dürfte jedoch noch einige Zeit vergehen.

Kult ist webaffin

Und dann gibt es die Themen, die für das Web und Social Media als Werbekanäle wie geschaffen sind: Bücher, die das Zeug haben, Kult zu werden. Etablierte Medien dürfen sie zuerst übersehen, die Fans sorgen schon mit Mundpropaganda für schnelle Verbreitung. So geschehen mit dem nur 100 Seiten starken provokativen Pamphlet eines fiktiven Auslandskorrespondenten, der über Frankreich berichtet: "La Crise au Sarkozistan" (Vorwort Daniel Schneidermann, Hrsg. arretsurimages.net). Es erschien bei der Selbstverleger-Plattform Le Publieur und ist einschließlich der Karrikaturen absolut professionell gemacht.

Das Buch ist Kult geworden. Die gute alte Form des politischen Pamphlets trifft derzeit die Stimmung der Bürger. Seit seinem Erscheinen vor knapp drei Monaten wurden 22.000 Exemplare verkauft. Der Erfolg ist so groß, dass Le Publier inzwischen auch Buchhandlungen beliefert.

Warum sich etablierte Verlage zunehmend solche Erfolge und Autoren entgehen lassen und lieber auf Glattgebürstetes vertrauen, mag ein Rätsel ihrer Controller bleiben. Die hier genannten, durchweg professionellen Autoren haben sich bewusst fürs Selbstverlegen entschieden, obwohl ihnen die Verlagswelt offen stand. Um die Vielfalt der Literatur und den Mut von Literaten muss man zumindest in Frankreich nicht mehr besorgt sein - die großen Wagnisse, das freie Wort, sie kommen zunehmend von ganz unten - von den Schriftstellern selbst. Und genau diese Schriftsteller sorgen dafür, dass das Veröffentlichen außerhalb von Verlagen heutzutage weder dem eigenen Image schadet noch der Geldbörse und dem Verkauf.

Die genannten Beispiele sollten jedoch auch klarmachen, worauf es beim Selbstverlegen ganz besonders ankommt: auf absolute Qualität, Professionalität und den Aufbau oder das geschickte Nutzen von Netzwerken. Die Autoren sind Macher, Entrepreneurs im besten Wortsinn, alles andere als Stubenhocker oder Selbstbemitleider. Und sie verstehen vor allem ihr Handwerk. Jedes der genannten Bücher hätte einen herkömmlichen Verlag finden können. Jedes der genannten Bücher hat sich nur deshalb so gut verkauft, weil der Inhalt und die Aufmachung hielten, was versprochen wurde.

Recherche und Arbeit sind euch ein Dankeschön wert? Mit dem Spendenbutton gelangt ihr auf die Plattform Paypal (s. Datenschutzerklärung). Man braucht kein eigenes Paypal-Konto dafür und kann auch nur 2 E für einen Kaffee anweisen (nach oben offen).




*Anm.: Mit "Möchtegern" bezeichne ich der Einfachheit halber sogenannte Autoren, die bar jeder Kenntnis von Rechtschreibung und Grammatik oder eines tieferen Sprachgefühls glauben, ein Text, den man zwischen Pappdeckel quetscht, sei automatisch ein Buch.

Zum Nachlesen Teil 1: Die große Versuchung

18. Februar 2011

Die große Versuchung

Dank einer französischen Freundin bin ich gerade mit Material über die Umtriebe französischer Autoren versorgt worden und habe noch ein wenig selbst recherchiert. Das Bild, das sich im groben Überblick über die französische Buchbranche aus Autorensicht abzeichnet, überrascht mich nicht wirklich - schlechtere Bedingungen für Kreative scheinen sich wie ein Virus global zu verbreiten. Auf der anderen Seite finde ich es derart erfrischend, dass man sich doch einiges abschauen könnte und bemerkt: Bessere Bedingungen finden sich vielleicht in einem sehr jungen und neuen Markt. Vorab sei angemerkt: Der französische Buchmarkt ist auf den ersten Blick sehr viel kleiner als der deutschsprachige. Franzosen steht allerdings durch Quebec mit etwas Glück und Beziehungen der kanadische Markt offen.

Verlage in Frankreich

Das Veröffentlichen in Frankreich läuft ein klein wenig anders als in Deutschland. Da sind zum einen die seriösen, offiziellen Verlage, die es auch in die Medien und vor allem ins Fernsehen schaffen. Die Bücher sind allgegenwärtig, es gibt sogar echte Werbespots und jede Menge Schriftsteller in Talksendungen von Rang. Aber genau wie überall übertönen die Bestseller, die Preisgekrönten mit der roten Banderole und die kontroversen, provokativen Sachbuchthemen den Rest der Literatur. Bücher sind allgegenwärtig, jeder Supermarkt - selbst im Dorf - hat sein Bücherregal. In den Hypermarchés gibt es ganze Abteilungen in der Qualität kleiner Buchhandlungen. Doch verkauft wird, was Quote verspricht. Dafür liegt der unabhängige Buchhandel fast am Boden (wird jetzt vom Staat gefördert), reine "Medienhandlungen" gibt es fast nur noch in großen Städten - allen voran die FNAC, bei der man auch online eher einkauft als beim amerikanischen Riesen. Berührungsängste kennt der Franzose nicht. In der FNAC kauft man Bücher, Comics, Musik, Filme, aber auch Kamera- und Computerzubehör. Außerdem ist sie der bekannteste Distributor für Eintrittskarten vom regionalen Musikfestival bis zum Theater und stellt Kunst aus.

Daneben gibt es einen sehr großen "grauen" Markt. Die doch begrenzten Verlage, die meist in Paris sitzen, nehmen nämlich lange nicht alles. Für kleinere Themen, Nische und Regionales gibt es eine unübersichtliche Zahl semiprofessioneller bis professioneller Kleinverlage in der Provinz. Oft muss der Autor Sponsoren herbeischaffen. Die Annonce einer Bank oder einer Hotelkette ist nichts Außergewöhnliches in solchen Büchern, die zusätzlich über das Netz der Sponsoren vertrieben werden und durchaus zum regionalen Bestseller werden können. Für die Leser ist es nämlich egal, wo das Buch erscheint. Leider sind die Grenzen in diesem Bereich fließend und Druckkostenzuschussverlage blühen anscheinend gewaltiger als im Nachbarland Deutschland. Wie dort sind die Zuschussverlage nicht zimperlich und überziehen Kritiker mit Klagen. Im Internet findet man immer wieder Hilferufe verzweifelter Betroffener - einer soll nun fast eine halbe Million Euro für einen kritischen Beitrag zahlen.

Bedingungen für Schriftsteller

In Frankreich gibt es fast keine Literaturagenturen. Bücher verkauft man fast ausschließlich über den persönlichen Kontakt. Ich habe mir sagen lassen, dass es offensichtlich auch Garantiesummen als Vorschuss nur bei den ganz Großen gibt. Bücher, für die bei uns ein Vorschuss üblich wäre, werden in Frankreich nur mit Tantiemen abgegolten. Es soll Autoren geben, die sich selbst hier auf niedrigste Abschlüsse einlassen, um wenigstens den Vertrag zu bekommen. Dafür sind Schriftsteller in Frankreich oft professionalisierter: Das Geld muss anderswo hereinkommen. Die Teilnahme an Vorträgen und Lesungen, Schreibunterricht, Kurse für Schulen oder Führungen sind selbstverständlicher - abgesehen vom Brotberuf.

Seit ein paar Jahren zeichnet sich eine Entwicklung ab, die auch im deutschsprachigen Raum um sich greift: Immer mehr bereits veröffentlichte (!) Autoren scheitern mit neuen Projekten. Verlage sagen alles ab, was irgendwie nach unternehmerischem oder künstlerischem Risiko riechen könnte oder keinen Spitzentitel verspricht. Wer einen Namen hat, kann sich mehr Freiheit leisten. Bücher in seriösen Verlagen werden neuerdings zunehmend komplett in Auftrag gegeben oder nach Briefing von Auftragsautoren geschrieben - in der Belletristik wie im Sachbuch. Immer öfter reden Verlage schon beim Entstehungsprozess der Bücher mit. Newcomer ohne Veröffentlichung haben es so schwer wie nie zuvor.

Selbstverleger

Und genau deshalb haben viele französische Schriftsteller langsam die Nase voll: von den Verlagen, die immer mehr Auftragsware produzieren, und vom Buchhandel, der immer krassere Rabatte fordert. "L'autoédition", das Selbstverlegen, boomt - und zwar nicht etwa nur bei Hobbyschreiberlingen, sondern bei ganz ernsthaften Profis. Eine erste Recherche bei Google lässt einen eher auf ziemlich chaotische, fröhlich blinkernde Websites fallen, bevor man die eigentlichen Plattformen findet. Die großen Anbieter sprechen sich jedoch herum, darunter sind etwa jepensepublier, publie.net für E-Books, LALimprimermonlivre, Le Publieur, Amazon und neuerdings die deutschen Unternehmen Xinxii und BoD u.v.a.. Vor allem die letzten drei Unternehmen sind interessant für eine Öffnung des Marktes ins Ausland. Im Gegensatz zu Deutschland sind PoD-Verfahren bei Autoren noch nicht ganz so beliebt / bekannt, was sich aber rasant ändert. Bei einigen Plattformen sind die Preise horrend, was daran liegt, dass man dort nur Vollbetreuungspakete bekommen kann statt des in Deutschland bekannten Baukastensystems, wie es z.B. BoD anbietet.

Meist wählen die französischen Autoren noch das Offsetverfahren für "richtige" Bücher. Das bedeutet, ich kann jede Druckerei in meiner Nähe fragen, muss aber eine gewisse Anzahl von Exemplaren vorfinanzieren. Unter 400 Exemplaren lohnt sich Offset nicht. Ein großes wirtschaftliches Risiko, wenn man nicht viel hat. Mir scheint es auch noch nicht ganz durchdacht zu sein, denn ein Schriftsteller, der in Frankreich Selbstverleger wird und auch noch selbst Bücher verkauft, muss sich fiskalisch wie sozialversicherungstechnisch darauf einstellen, dass er Unternehmer und im letzten Fall auch Händler wird. Trotzdem scheint sich dieser Aufwand zu lohnen. Besonders das spanische Barcelona mit seinen preiswerten Druckereien ist bei französischen Selbstverlegern beliebt.

Der große Ausstieg

Die Welle, aus dem Verlagsgeschäft auszusteigen, wird inzwischen von den Medien ernst genommen und beobachtet. Le Monde titelte am 14.1. in einem großen Aufmacher "Die Versuchung des Selbstverlegens" (Artikel nicht online). Noch hat man mit dem selbstverlegten Buch keine Chance, in den großen Zeitungen besprochen zu werden, wenn auch der Makel des "Möchtegerns" durch die vielen Profiautoren längst weggewischt ist - anders als in Deutschland. Aber die betreffenden Autoren verkaufen ohnehin eher durch eigene Netzwerke, offline wie online. Kommt ein ganz neuer Aspekt hinzu: Französische Autoren sind sehr viel politischer im Ausstieg. Viele betrachten das Selbstverlegen nicht als rettenden Strohhalm, sondern als ausdrücklichen Protest gegen ein System, das freie und anspruchsvolle oder gar riskante Literatur zunehmend verhindert. Und sie protestieren gegen ein System, in dem der Handel einen Löwenanteil verdient und alle Macht der Distribution hält, während der Autor mit einem Hungerlohnanteil für seine kreative Leistung abgespeist wird.

Es zeichnet sich eine neue kulturelle Bewegung ab, die ihre Meinung in Blogs, via Social Media und in Online-Communities kundtut. Taucht man dort ein, wird man ein wenig an die Zeiten der französischen Revolution erinnert, wo Pamphlete und politische Schriften versteckt mit der Handpresse gedruckt und heimlich verkauft wurden. Diese Schriftsteller wollen nicht einfach nur schreiben und ihre Bücher verkaufen, sie wollen etwas verändern. Sie wollen eine Welt zurück, in der auch diejenigen etwas zu sagen haben, die nicht kompatibel mit Massenware, Trends oder Literaturpreis-Gewohnheiten sind. Genau dieses Engagement bringt spannende Alternativen hervor. Autoren-Kooperativen und Kollektive werden gegründet.

Autorenkollektive

Eine der erfolgreichen Autorenvereinigungen ist Krakoen, sehr stark aufgestellt im Krimi "Noir". Die Kooperative arbeitet absolut professionell, ist auf sämtlichen Salons du Livre vertreten und hat inzwischen neben ihrem Verkauf von der Website aus auch einen Vertrieb gewinnen können: Calibre, ein Vertriebsdienst speziell für Kleinverleger. Leserinnen und Leser können von der Vereinigung Krimis abseits des Mainstreams erwarten.

Das Prinzip der französischen Autoren-Kooperativen ist so einfach wie betörend: Autoren auf einem gewissen Niveau (keine "Möchtegerns") und mit gemeinsamen Interessen schließen sich zusammen. Gemeinsam planen sie ein eigenes "Verlagsprogramm" und bezahlen Leistungen von außen wie Grafiker oder Druckerei. Deren Preise werden durch den regelmäßigen Gruppeneinkauf günstiger. Alle anderen Leistungen, welche die Autoren selbst beherrschen, etwa Lektorat oder Korrektorat, werden untereinander im Tausch erbracht. Auch auf Buchmessen und in der Werbung engagiert man sich füreinander, was die Herstellungskosten noch einmal senkt und den Werbeeffekt vervielfacht.

Im Gegensatz zum Einzelautor können die Autoren einer solchen Vereinigung mit einem eigenen Label auf sich aufmerksam machen und bekommen absolut professionell gestaltete Bücher mit Wiedererkennungswert nach außen. Als Gruppe, die wie ein Verlag agiert, steigen ihre Chancen in Sachen Wahrnehmung von außen. Nicht zu verachten ist der gegenseitige Austausch unter Kollegen. In einer Kooperative ist jeder einzelne Autor Verleger und behält sämtliche Rechte an seinem Werk. Und was die Einnahmen betrifft: Hier verdient keine Plattform, kein Mittler, kein Hersteller (abgesehen von der Druckerei natürlich) - sondern allein die Kooperative. Die fördert außerdem den unabhängigen Buchhandel, indem sie die Partner, die ihre Bücher direkt abnehmen, bewirbt. Meiner Meinung nach ein Konzept, das unbedingt Schule machen sollte.

Recherche und Arbeit sind euch etwas wert? Mit dem Spendenbutton gelangt ihr auf die Plattform Paypal (s. Datenschutzerklärung). Man braucht kein eigenes Paypal-Konto dafür und kann auch nur 2 E für einen Kaffee anweisen (nach oben offen).



Teil II: Die Aussteiger - Milchmädchenrechnung oder neuer Markt?

17. Februar 2011

Schwarze Kunst

Habe ich schon erzählt, dass ich Schriften-Fetischistin bin? Ich lasse mir gut ausgesuchte Schriften auf der Zunge zergehen wie feinste Pralinen. Auf der anderen Seite empfinde ich fast körperliche Abscheu vor dem Schriftenmischmasch, den manche Leute auf eine einzige Bildschirmseite klatschen.

Und immer dankbar bin ich Verlegern, die im Impressum aufführen, welche Schrift sie benutzt haben - so oft fällt mir eine wunderbare ins Auge - und das ist leider nicht geschult genug, sie immer zu erkennen. Nun also sucht das Nijinsky-Projekt seine Schrift - und die hat nicht einfach nur auszusehen!

Buchschriften müssen zum Lesen einladen und den Weg von der Texterfassung durchs Auge bis zum Verstehen durchs Hirn möglichst erleichtern. Sobald sich eine Schrift durch ihr Design aufdrängt, ist dieser Prozess unterbrochen. Gut lesbar ist, was wir nicht mehr bewusst wahrnehmen. Außerdem gibt es ein paar Regeln für Lesbarkeit, die man z.B. im Fließtext durch Serifenschriften erhöht. Serifen sind diese kleinen Schwänzchen an den Enden eines "s" oder "h". Für Titel und Überschriften kann man dagegen eine serifenlose Schrift kombinieren - das wirkt klarer und ist durch die Größe gut lesbar (Ansicht typischer Buchschriften).

Auch wenn die Schrift nachher nicht vordergründig wahrgenommen werden soll, hat sie doch auch eine psychologische Wirkung. Es kann sich durchaus anbieten, für einen Bildband über Autos eine Schrift zu wählen, die sämtliche Autohersteller in ihrer Werbung benutzen. Auf der anderen Seite wirkt eine Type, die man nur in medizinischer Fachliteratur sieht, nicht unbedingt erwärmend im Vampirroman. Dann gibt es Schriften, die schlicht totgenudelt wurden. Erinnert sich noch jemand an "Comic Sans"? Heute ist es der schlimmste Lapsus, diese Schrift für Geschäftspapiere oder Broschüren zu verwenden. Es ist deshalb nicht übel, sich bei der Herstellung mit der Geschichte einer Schrift zu beschäftigen, wie etwa hier für die ITC Souvenir. Danach kann man die unterschiedlichen Schriftschnitte auf sich wirken lassen.

Wie man unschwer sieht, ist diese Schrift käuflich zu erwerben. Warum soll ich eine Schrift kaufen, wenn das Web voll ist von kostenlosen Downloads und Schriften-CD-ROMs so gut wie nichts kosten? Das ist ganz einfach: Auch Designer haben Urheberrechte. Nichts gegen die kostenlosen legalen Versionen und Billigschriften - für die eigene Website, die Hochzeitszeitung oder Weihnachtsgrüße reicht das völlig aus. Aber ein Buch ist eine kommerzielle Ware - darum müssen auch die Rechte für kommerzielle Benutzung gegebenenfalls erworben werden. Manche Schriften sind auch hierbei frei, manche kosten eben Geld. Viel wichtiger noch ist die Textprüfung: Ist die Billigschrift oder der "free font" denn wirklich komplett?

Wer meint, von der Bezahlschrift dennoch eine kostenfreie Version oder eine billigere zu besitzen, der sollte schleunigst einen Test mit einem sogenannten Typoblindtext machen: Hier den Blindtextgenerator auf Typoblindtext einstellen. Den Text in Word kopieren und daran die Schriften testen. Die Überraschung wird groß sein: Bei vielen Schriften fehlen nämlich Zeichen oder sind einzelne Zeichen deformiert - das ist unbrauchbar für die Buchherstellung. Die zweite Überraschung folgt bei der Umwandlung des Textes in ein pdf. Jetzt werden bei billigen Kopien und Varianten Schwächen sichtbar: vom unscharfen Schriftbild bis hin zu Deformationen in kleinen Buchstabenteilen. Manches erkennt nur ein geschultes Auge, aber wenn etwas nicht stimmt, bekommt auch der Laie beim Lesen Unbehagen. Wir achten selten darauf, wo und wie der Strich im Q angesetzt ist - im Gesamtbild verändert das einen Text spürbar.

Die Wahl der Schrift wirkt sich außerdem erheblich auf die Länge des Buchs aus, kann also die Herstellungskosten beeinflussen. Bei hundert Seiten Text kann der Wechsel zwischen zwei Schrifttypen durchaus 30 Seiten Unterschied ausmachen - bei gleichem Seitenlayout. Schriften laufen unterschiedlich breit.

Als Laie behilft man sich im Ernstfall mit den gängsten Schriften für Bücher und Magazine und achtet darauf, dass serifenlose und Serifenschriften sich bei einer Kombination wirklich gut vertragen. Je weniger man da experimentiert, desto mehr wird es der Leser danken. Vor allem Belletristik sollte leicht und schnell lesbar sein - beim Sachbuch über Kunst kann man dagegen schon mehr wagen.

Und natürlich kann man sich von einer Schrift betören lassen. Im Web gibt es genügend typografische Tipps und Seiten, auf denen man diese Schriften auf sich wirken lassen kann. Wie bei einem guten Parfum kauft man besser nicht spontan, sondern macht erst einmal einen Spaziergang. Und prüft danach unvermittelt, ob der erste Eindruck immer noch wahrnehmbar ist. Eine dieser Schriften, mit denen ich derzeit herumlaufe, ist die Palatino. Nicht, weil sie unbedingt zu den Parfums zählt, die mir zuerst ins Auge springen. Aber sie ist sehr gut lesbar, hält auch schlechtem Druck noch stand und läuft so aus, dass ich auf eine vernünftige Seitenzahl komme. Sie ist klassisch und unauffällig. Auffälliger wäre ein anderer Liebling, weil er der Zeit Nijinskys so nah ist: Souvenir. Sie ist eher gewagt. Aber sie fällt wahrscheinlich einfach deshalb durch, weil sie viel zu eng läuft und das Buch extrem verkürzen würde. Weiterer Nachteil: Sie wurde in den Endsechzigern so extrem oft verwendet, dass sie psychologisch eher mit dieser Zeit verknüpft werden könnte als mit der Zeit der Avantgarde.

Und dann habe ich mich in eine Schrift verliebt. Für diese Schrift bin ich vom E-Book abgefallen. Virginia Woolf's epochales Essay "A Room of One's Own" (das Must für Schriftstellerinnen!) besitze ich seit langem als pdf-Book. Ich muss zu meiner Schande gestehen: Ich habe es trotz der Verfügbarkeit auf meinem Computer immer nur in Ausschnitten angelesen (was mir mit vielen E-Books passiert). Jetzt habe ich das gleiche Buch in der Reihe "Great Ideas" von Penguin Books entdeckt und muss sagen: Great Books!

Es sind kleine, schmale, wohltuend minimalistisch in Büttenimitation gekleidete Taschenbücher. Woolfs Buch hat ein eischalenweißes Cover, einen hellweinroten Rücken und Schrift in Schwarz und Rot. Und diese Schrift ist ein Hochgenuss! Es handelt sich durchweg um die Dante von Monotype. Wer die Schriftgeschichte nachliest und das Buch in Händen hält, erkennt sofort, dass hier Typografieliebhaber am Werk waren. Dante wurde ursprünglich entwickelt, um die Schrift ins Papier zu bringen. Penguin Books druckt sie nicht einfach aufs Cover, sondern prägt sie leicht ein: Diese Schrift kann man fühlen und man wird sofort an den guten alten Bleisatz erinnert, die Schwarze Kunst. Obwohl die Dante beim Kerning, der Unterschneidung, große Schwächen zeigt und im Blocksatz ab und zu wie gezogen wirkt, legt man diesen Text so schnell nicht aus der Hand! Obendrein hat man das Gefühl, Virginia Woolf hätte dieses Buch selbst verlegt... Auch billige Bücher können gut gestaltet sein!

15. Februar 2011

Vulkan, hoch erhitzt

Falls sich jemand wundert, was ich treibe: Ich rege mich auf. Ich rege mich so sehr auf, dass ich ernsthaft überlege, ob man vom Emigrieren emigrieren kann (bloß... wohin?). Ich bin derart vor dem Explodieren, dass ich plötzlich auch den aggressivsten Jakobiner verstehen kann.
Frankreich ist eigentlich ein der Kunst und Kultur gegenüber freundliches Land, das mit diesen zivilisatorischen Errungenschaften auch kräftig im Ausland wirbt. Seit jedoch in Paris ... , werden Künstler zunehmend zu Deppen der Nation. Und so habe ich seit etwa zwei Jahren immer wieder massive Probleme mit Behörden, die einfach nicht kapieren wollen, dass "artistes-auteurs" ein Doppelstatut haben: Fiskalisch sind Schriftsteller selbstständig, vor der Sozialgesetzgebung jedoch Lohnempfänger wie Angestellte.

Inzwischen habe ich Kartons voller Briefwechsel mit Dumpfbirnen, die nicht kapieren wollen, dass die derzeitige Regierung Schriftsteller und Autoren auf allen nur erdenklichen Formularen schlichtweg vergessen hat. (Wer des Französischen mächtig ist, findet hier einen besonders schönen Auswuchs, der seit zwei Jahren noch nicht bereinigt ist). Wir sind also überall gezwungen, nur eine Seite unseres Doppelstatuts anzukreuzen - was zur Folge hat, dass man uns regelmäßig der Falschaussage verdächtigt, Sanktionen androht, uns die falsche Seite zuerkennt, uns die wichtige Seite aberkennt, uns eine Flut von Rechtfertigungspapieren abverlangt ... bis hin zu Vertragskopien und Bankauszügen. An die Folgen für die Rente will ich gar nicht denken. Den Gang vor einen Vermittlungsausschuss habe ich auch schon erlebt. Hat man dann endlich einen von diesen immer unwilliger und debiler werdenden Sachbearbeitern mit einer Paragraphennotiz aus dem - eigenen - Amt überzeugt, kommt vier Wochen später der nächste unwissende und unwillige Sachbearbeiter und alles beginnt von vorn. Als ob es in Frankreich überhaupt keine Autoren gäbe, wo man sich das mal abschauen könnte...

Mir mal wieder passiert. Natürlich wieder im Drohbrief-Jargon. Ich solle nachweisen, dass ich am gleichen Tag Autor wie Lohnempfänger wurde und welche Firma mich eingestellt habe, sonst aber! Seit vier Stunden recherchiere ich im Web nach einer leicht verständlichen Deppenversion von "Ich bin Autor, die Regierung hat mich vergessen, ich bin selbstständig UND Lohnempfänger. Ich will brav und ordentlich meinen Pflichten nachkommen, aber ich bin verdammt noch mal Künstler."

Inzwischen sehne ich mich fast wieder nach der Künstlersozialkasse und schweinisch hohen Krankenkassenbeiträgen. Ich will hier raus! Ich möchte all dieses unnütze Papier und diese Formularbelästigungen irgendeinem Verantwortlichen irgendwohin stopfen. Und dann Lohn verlangen für die unzähligen Stunden, in denen ich unentgeltlich nur für irgendwelche Behörden arbeite.

Eigentlich wollte ich heute mit dem Hersteller des Nijinsky-Buchs wichtige Fragen klären. Stattdessen habe ich endlich die passende Kopie, die ich dem vierseitigen Riesenformular beilegen kann, das ich ausfüllen muss, weil man meiner Ausfüllung desselben nicht glaubt, das vom gleichen Amt vor zwei Monaten angenommen wurde. Vive la France.

PS: Nett, unter "das könnte Sie auch noch interessieren" empfiehlt man mir "Reise nach Russland". Tja, dort wäre ich den ganzen Ärger wenigstens mit etwas Schmiergeld los...

14. Februar 2011

Mein heimliches Leben

Ich muss mal in den Eigenwerbungsmodus umschalten: Die Mädchenmannschaft hat ein Interview mit mir veröffentlicht: "Vom Literaturkreis für Frauen zum Blog über die Buchbranche". Für alle, die wissen wollen, was die Frau hinter den Kulissen sonst noch im Leben treibt.
Bei der Gelegenheit will ich gleich mal die "Mädchenmannschaft" empfehlen, ein Blog, das wohl verdient bereits für den Grimme-Online-Award und den Alternativen Medienpreis nominiert war. An anderen Tagen in meiner Blogroll zu finden. Die Mädchenmannschaft gibt's außerdem bei Facebook, Twitter und in der Zeitung "Der Freitag".

Und weil es so schön passt, möchte ich die Artikel der "Frauenwoche für Buchmacherinnen" noch einmal hochholen und verraten, dass dies nicht die letzte Frauenwoche und nicht das letzte Schwerpunktthema in Sachen Gender gewesen sein wird. Zum Nachlesen:
Wer die Woche im Januar mitverfolgt hatte, wird wissen, dass ich inzwischen auch bei den Bücherfrauen bin und schon von daher immer wieder mit neuen Inspirationen fürs Blog versorgt werde.

Tellerwäschergeschichten

Die wichtige Warnung zuerst: Trotz der Tellerwäschergeschichten aus den USA sollte man mit beiden Beinen locker auf der Erde stehen. Ich muss dabei immer an die Auswanderergeschichten aus der eigenen Familie denken. Die Daheimgebliebenen verklärten Großtante und Großonkel: sind mit nichts angekommen und "berühmte Gastronomen" geworden. Letztes Jahr fielen mir die Fotos von der Würstchenbude in den frühen 1950ern in die Hände. Hot Dogs und Ice Cream. Aber immerhin, aus der Bude haben sie sich zu Pächtern des Flughafenrestaurants einer Metropole hochgearbeitet.

Ich hätte aber auch eine deutsche Version zu bieten. An Nele Neuhaus kommt nun auch die FAZ nicht mehr vorbei. Richtig, das ist die Krimi-Erfolgsautorin mit dem Bestseller "Schneewittchen muss sterben". Ihre Taunus-Krimis brachte sie zunächst nicht an einen Verlag und blieb zum Glück stur. Sie erschienen als PoD-Version bei Monsenstein & Vannerdat, wo übrigens auch das Nijinsky-Projekt landen wird (nicht aus Erfolgsträumen, sondern wegen der Technik). Nach dem PoD kam absatzbedingt der Offsetdruck in Eigenregie - inzwischen hat sie von den vier Taunuskrimis 660.000 Stück verkauft. Die FAZ bringt die Erfolgsgeschichte und erzählt, wie Nele Neuhaus von Ullstein entdeckt wurde. Bei der Autorin, die einst Fleisch packte, ist es wie mit den Hot Dogs meiner Verwandten: Zur Begabung kamen eiserne Beharrlichkeit, ein starker Wille und vor allem harte Maloche in Sachen Vertrieb und Werbung hinzu. Von nichts kommt nichts - auch wenn die Karriere-Märchen im Nachhinein so klingen mögen.

Karriere machen kann man auch - oder trotzdem, wenn man sich mit Verlagen anlegt. Dreißig Jahre haben die Verursacher eines Buchmesse-Skandals geschwiegen, jetzt haben sie sich geoutet. Die Frankfurter Rundschau erzählt die einst heiße Geschichte um die angebliche Zusammenarbeit zwischen Suhrkamp und Aldi mit vollen Namen - äußerst vergnüglich zu lesen. Der Broschürentext, der einst Verleger Unseld auf die Palme brachte, klingt immer noch passend. Etwa zum hochphilosophischen Billigbuch "Temperaturen. Studien zur Physiognomik der Feinbackkunst":
Im Feinbackwerk verdampft der Tauschwert zum Ornament dessen, worüber er zu herrschen sich einst anheischig gemacht hatte. Wer der Patisserie sich nicht stellt, weil er dem zerrütteten Begriff des Niveaus sich beugt, verfehlt das an der Kunst Wesentliche: ihre Verfallsgeschichte.“ 
2000 Broschüren brachten die Satiriker unters Buchmessenvolk, heute schreibt der eine Bücher und arbeitet fürs Fernsehen - der andere ist Herausgeber der Welt-Gruppe im Axel Springer Verlag.

Noch schöner finde ich aber Karrieren, die wieder aufflammen. Vor vielen Jahren, als es noch kein Web 2.0 gab, betrieb ich eine kleine private Mailingliste mit Autorinnen und Autoren. Einer von uns, der 1949 in die USA ausgewanderte Peter J. Kraus, warf mich mit seinem Erstling "Geier" schier um. Der Roman erschien bei Knaur und wurde für den Glauser-Preis in der Sparte Debut nominiert. Der Krimi war nicht nur rasant, im schönsten Sinne schrill-skurril und herrlich nah am Krimi Noir - er bot endlich etwas anderes als das Übliche. Das war dann leider auch das Problem im deutschen Buchmarkt - ein Amerikaner, der deutsch schreibt, ein Krimi ohne Schubladen, ein Erstling, der als Taschenbuch einfach auf den Markt gekippt wird, und eine Agentur, die nicht funktionierte. Umso mehr freue ich mich, durch mein Gästebuch zu erfahren, dass Peter J. Kraus wieder da ist. Im Conte Verlag mit "Joint Adventure". Auf den Krimi bin ich gespannt und dem Autor wünsche ich viel Erfolg und weitere Bücher!

Wer jetzt noch die maßgeschneiderte Karrieremöglichkeit in der Buchbranche für sich selbst sucht, dem sei die Plattform "Buchbranchen-Jobbörse" empfohlen. Tellerwäscherkarrieren für SchriftstellerInnen sind nicht dabei, aber der ein oder andere Verlagsvertrag der anderen Art.

Und immer hübsch aufpassen beim Karrieremachen. Nicht, dass man eines Tages so im Hamsterrad der Erwartungen hängt, dass man die Notbremse gegen das Erfolgsleben ziehen muss!

12. Februar 2011

If nobody knows you

Stell dir vor, kein Schwein kennt dich. Du schreibst. Du schreibst eine ganze Menge, aber vom Schreiben von Verlagsbewerbungen hast du die Nase voll. Du schreibst, was alle Teenies zur Zeit lesen: Bücher über Vampire. Früher hättest du deine Romane an Fanzines geschickt. Heute machst du ein E-Book daraus. Und auf einmal hast du einen Job, von dem du leben kannst. Kein Schwein kennt dich, aber fast eine halbe Million Leser kennt deine Bücher.

Aufwachen!!! War nur ein schöner Traum aus dem Land, wo Tellerwäscher Präsidenten werden können. Oder waren es Schauspieler? Egal. USA Today hat sich die stillen, versteckten und heimlichen Stars der amerikanischen E-Book-Szene angeschaut und herausgefunden, dass bei den Riesen Amazon und Barnes & Nobles erstaunliche Umsätze mit Selfmade-E-Books generiert werden. Das Beispiel von Amanda Hocking kann einem jenseits des großen Teichs schon den Atem nehmen: Die junge Frau schreibt im Genre-Trend der Vampirromane, bastelt ihre E-Books selbst und bietet sie zu Tiefstpreisen bei beiden Online-Händlern an. Ich habe das spaßhalber mal nachgerechnet. Legt man ihrer Auflage den tiefsten Preis (99 Cents) mit der niedrigsten Beteiligung (30%) zugrunde, kommt sie mit ihrem Bestseller auf 48.708 $ im Jahr und mit allen Titeln auf 133.650$. Aber sie verkauft ja nicht alle Bücher so billig und verdient an den Kindle-Ausgaben 70%.

USA Today nennt noch ein paar Kindle-Erfolge und eine interessante Entwicklung. Amazon steigt zunehmend ins Verlegergeschäft ein, das ist bekannt. Mit dem Programm AmazonCrossing übernimmt man aber auch noch herkömmliche Lizenzgeschäfte. Man muss sich das so vorstellen: Der US-Händler verwurstet sämtliche Nutzerdaten, die auf seiner Seite so gespeichert werden, um Bücher zu finden, die besonderes Aufsehen erregen. Dann wird die Lizenz gekauft, das Buch übersetzt und exklusiv über die eigenen Kanäle vermarktet. Der deutsche Journalist Oliver Pötsch hat es mit einem historischen Roman geschafft, der bei Ullstein erschien. 100.000 Kindle-E-Books hat er im englischsprachigen Raum verkauft.

Nun sollte man als deutschsprachiger Autor nicht in den Goldrausch verfallen. AutorenkollegInnen, die jetzt schon innovativ via Kindle E-Books anbieten, sprechen von zarten Centeinnahmen (wir schreiben eben noch in der falschen Sprache). Weder diese Art von Buchkultur noch der Reader haben es bisher nach Europa geschafft. Aber wenn der Kindle nach Deutschland kommt (man munkelt von einem Termin um Ostern, aber noch ist es nur Munkeln) und endlich auch amazon.de E-Books anbietet, dürfte einiges im alten System ins Rutschen kommen. Im Moment ändert sich nicht nur die Welt für AutorInnen rasant, auch Verlage, Lizenzabteilungen und Buchhandel stehen vor großen Herausforderungern.