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31. Oktober 2010

Der feine Unterschied

Meine Serie "Ich bastle ein Buch" kommt in die heiße Phase und allerorten folgen mir durch die Beiträge bereits Menschen, die selbst gern basteln würden oder die mir allerhand abstruse Dienstleistungen anpreisen wollen (letzteres habe ich befürchtet, danke, brauche ich nicht, will ich nicht). Weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie spannend das Mäuschenspielen bei anderen ist, möchte ich an dieser Stelle auch ganz ehrlich einiges klarstellen. Ich halte nämlich überhaupt nichts von diesen Erfolgsstories à la "Tante Erna hat's Büchel gebastelt und isch jetzt Vorstand im G'sangverein gworre". Ich werde auch nicht mit dem ersten Ebook der Welt berühmt, indem ich verschweige, dass da womöglich noch fünf andere Profis dran gebastelt haben, die das viel besser können.

Damit jeder seine eigenen Chancen besser einschätzen kann oder einmal sieht, was auf ihn zukommen könnte, sage ich besser zuerst, was bei mir alles ganz anders ist. Weil man an genau den Stellen nämlich oft investieren muss - und zwar nicht unbedingt finanziell. Vor allem aber lässt sich mein Projekt nicht ohne weiteres auf Belletristik übertragen! (Ganz ehrlich: Belletristik würde ich NIE im PoD-Verfahren anbieten).

Die Voraussetzungen:
  • Es ist nicht mein erstes Buch, das ich schreibe.
  • Ich habe zwar noch keinen richtigen Namen, aber nach zwölf Jahren im etablierten Verlagsgeschäft habe ich ein bißchen einen, von dem ich profitieren kann.
  • Mein Projekt ist kein "Privatspaß-Bastelbuch", sondern war ursprünglich von einem etablierten Verlag in Auftrag gegeben worden.
  • Was meine eigene Backlist betrifft, sind alle Bücher bereits in renommierten Verlagen erschienen. Sie haben also nicht nur einen gewissen "Segen" für die Ungläubigen unter den Thomassen, sondern müssen auch nicht mehr die Auflagen von früher erreichen.
  • Ich "bastle" ein Sachbuch, kann also von vornherein spezielle Zielgruppen und Menschen an bestimmten Orten dafür ansprechen, zumal es um ein Thema geht, bei dem der Sammeleffekt greift und nur wenige aktuelle Publikationen in deutscher Sprache zu haben sind.
  • Ich habe im Brotberuf eine Menge Nützliches gelernt, auch wenn ich es teilweise wieder auffrischen oder aktualisieren muss: Redaktion, professionelle Bildbearbeitung, Layouten, Satz, Arbeit mit Druckereien und alles, was zum Journalismus noch so dazugehört. Das ist Gold wert. Fängt damit an, dass ich mit dem Hersteller Fachchinesisch reden kann und weiß, warum ich was aussuche. Hört damit auf, dass ich mir die Arbeit von externen Profis spare und mich fröhlich selbst ausbeuten kann.
  • Ich mache immer wieder im Brotberuf PR und Pressearbeit für andere, weiß also, wie es geht.
  • Durch meinen Brotberuf habe ich ein Netzwerk von Profis wie z.B. für Grafik oder Satz an der Hand, falls ich doch einen bräuchte. Abgesehen vom Preis hat das den Vorteil, dass ich die Arbeit(sweise) der Leute kenne und einschätzen kann.
Vielleicht klingt das jetzt nach nichts oder nach dümmlicher Angeberei. Aber jeder, der vor so einem Projekt sitzt, sollte bedenken, wie wichtig diese Faktoren sind. Je mehr man außer Haus geben muss, desto unvorhersehbarer in Planung und Handling - und desto teurer kann ein Projekt werden. Je mehr man jedoch an den wichtigen Arbeiten wie Lektorat / Grafik etc. spart, desto schwerer wird es nachher, LeserInnen zu begeistern.
Auch hier bekenne ich offen: Wenn ich das alles nicht könnte, was ich einmal gelernt habe, würde ich dieses Buch nicht machen, sondern mir die Bettdecke über den Kopf ziehen! Und ich freue mich jetzt schon auf mein nächstes Projekt mit einem Verlag, wo ich andere schuften lassen kann ...

Jetzt wird's ernst!

Pünktlich zum alten keltischen Jahreswechsel wechselt auch mein Arbeitszustand. Obwohl ich noch das Übersetzungslektorat einarbeite (aber jetzt nur "nebenberuflich"), beginnt eigentlich mein Sabbatsemester. Das klingt nach Urlaub, ist aber eher das Gegenteil. Es soll nämlich der schönsten, härtesten, befriedigendsten und eigentlichen Arbeit gewidmet werden: der Schriftstellerei. Wobei in meinem Fall noch die Herstellerei dazu kommt, denn ich will diese Zeit außerdem nutzen, noch ausstehende Buchrechte zurückzufordern und meine eigene Backlist wieder verfügbar zu machen. Nicht alle Bücher, aber doch die für mich wichtigsten. (Bevor jemand fragt: "Geheimnis Odilienberg" werde ich nicht mehr auflegen, weil es nach zwölf Jahren und etlichen Ausgrabungen schlicht hoffnungslos veraltet und überholt ist.)

Vorher aber steht das Nijinsky-Projekt an - siehe Nijinsky-Blog.
Und das beginnt mit einer riesigen Checkliste und der gewissenhaften Vorbereitung zweier wichtiger Interviews, wobei ein erstes bereits in der Korrekturphase steckt. Auf der Checkliste stehen dann Dinge wie:
  • Von PaintShop Pro auf Photoshop umlernen
  • diverse Software besorgen
  • Groblayout checken wg. Bildbestellung
  • Fotos auswählen und bestellen
  • Buchtitel! (Finden / Prüfen)
  • Kontakt mit Hersteller: Fragenliste entwerfen
  • Vorüberlegungen zu Format, Bindung, Farben etc.
  • Essay schreiben
  • Gesamttext erfassen / Lektorat / Korrektorat
  • Zielgruppenanalyse
  • Werbestrategie planen / Multiplikatoren listen
  • Pressearbeit vorbereiten
  • Autorenfoto
...war noch was? Irgendwas ist immer noch... Aber zum Glück ist das ja nur die Vorliste aller Listen, die noch kommen werden.

Ach ja, da war noch etwas! Was macht ein gedrucktes Buch eigentlich zum Erlebnis, was macht diesen papierenen Block zwischen zwei Deckeln im Gegensatz zum üblichen Taschenbuch "edel" und schön? Ist es nur die Papiersorte? Was meinen die Leserinnen und Leser?

30. Oktober 2010

Parallelwelten

Genau in dem Moment, in dem heute der Teekessel pfiff, hupte das kanariengelbe Postauto vor der Tür. Ich war noch ganz verschlafen von einem Ausflug gestern ins Möchtegern-Petersburg. Ein gut gelaunter Facteur brachte mir auf die Minute genau den standesgemäßen Frühstückstee (ich als Kaffeetrinkerin!), der mit Schnellpost aus Paris gekommen war:

Tee aus Petersburg via Paris
 Was gibt es Schöneres nach einem getanen Mammutwerk als eine kleine Reise, die ich auch gern zum Auftanken und Umschalten während der Arbeit unternehme. Sind einmal nicht alle Straßen gesperrt, wie in den letzten Monaten üblich, bin ich nämlich in knapp einer dreiviertel Stunde in der Stadt, die Franzosen angeblich als herrlich französisch, Italiener als herrlich italienisch und Russen als herrlich russisch erleben sollen. Man stelle sich Woody Allens "Zelig" einfach als Stadt vor!

Einblick in vergangene Welten
 Vielleicht bin ich deshalb so gern dort - sie ist gemütlich und einfach schön fürs Auge. Sie liegt abwechslungsreich zwischen den sumpfigen Tiefen des Altrheins und den satten grünen Höhen des Schwarzwalds. Sie träumt in der Belle Époque und verschläft die Avantgarde. Sie wirkt selbst unter der Wintersonne wie tief im Süden und fächelt im Sommer Kühle mit ausgedehnten Parks. Und sie zelebriert das Inkognito der anwesenden Berühmtheiten so sehr, dass die Stadt selbst sich jedes Mal verwandelt, verkleidet und nie von dieser Welt zu sein scheint. Welche Welt hätten Sie denn heute gerne?

Das für mich schönste Haus in der Fußgängerzone
Da gäbe es reichlich Grandezza alter Zeiten, als die Berühmtheiten des 19. Jahrhunderts die Stadt zur Sommerresidenz Europas machten. Alles, was Geld oder Adel besaß, zog im Sommer hierher, man strömte herbei von Paris wie Sankt Petersburg, sprach Französisch und Russisch auf den Promenaden. Und natürlich strömten die Künstler jener Zeit mit in die Stadt, um die Sommergäste zu unterhalten, um zu kuren, wenn sie wohlhabender waren, oder um zu schmarotzen, wenn es am nötigen Kleingeld fehlte.

Auch ein berühmtes Dreiergespann pausierte hier von stressiger Probenarbeit, weil man so schön inkognito genießen konnte: Sergej Diaghilew, Vaslav Nijinsky und Igor Strawinsky. Auf einem eilends herbeigeschafften jämmerlichen Flügel soll Strawinsky geklimpert haben, als die drei in ihrem Kurzurlaub ein neues Ballett ausheckten.

Ein anderer Russe hat sich in dieser Stadt romanreif ruiniert - und seine eigenen Erfahrungen mit den Spielbanken seiner Zeit hat er so wunderbar zu Papier gebracht, dass ein unvergessenes Stück Weltliteratur daraus wurde. Auch das ist typisch für die Extreme dieses Mikrokosmos, der kein Mittelmaß kennt: Das Haus, in dem Fjodor Dostojewskij damals wohnte, als er verzweifelt nach Dingen suchte, die sich noch versetzen ließen, ist heute eine Agentur für Luxusimmobilien. Seine Büste zwischen den Balkonen lässt nichts mehr von seiner Armut und Verzweiflung ahnen, Leonid Zypkins großer Roman "Ein Sommer in Baden-Baden" umso mehr.

Dostojewskij-Haus
Neben der hohen Millionärs- und Milliardärsdichte ist der Ruin auch heute nicht weit. Die Stadt selbst hat es nie geschafft, genügend von dem Geld der Reichen festzuhalten - sie kämpft seit Jahren gegen den Bankrott. Ohne arabisches und russisches Geld gäbe es vieles nicht mehr, das Schloss des Markgrafen nicht und auch nicht Europas "größtes Festspielhaus". Nur wer genau hinschaut, sieht die wachsende Armut in den Außenvierteln, den Zustand der Straßen, die mit den hohen Mieten kämpfenden Einzelhändler. Und manchmal reicht der Ausverkauf sogar bis an die weichen Betten der Begüterten heran.

Fadenscheinige Grandezza
 Trotz allem - es ist einfach schön hier. Und wenn man dann auch noch den Abend bei erlesenem Wein und feinen Speisen in einem historischen Gebäude ausklingen lassen kann, macht die Arbeit nachher noch mal so viel Spaß. In einer Dachwohnung ist der jeweilige Stipendiat des bekannten Baldreit-Stipendiums untergebracht und eine Autorin, die es wahrscheinlich nie zu so einem Stipendium bringen wird, verfuttert ihr Honorar lustig darunter.

Hof der Weinstube am Baldreit
Parallelwelten sind nahrhafter als Stipendien. Nicht nur, weil ich von solchen Fahrten immer einen ganzen Sack von Ideen mitbringe - der Roman "Lavendelblues" ist schließlich auch hier entstanden. Nicht nur, weil mich die Herren Gogol, Tolstoj, Turgenjew, und Dostojewskij jedes Mal daran erinnern, noch intensiver an meinem Schreiben zu arbeiten.

Im Moment benutze ich die "pseudorussischen Ausflüge" vor allem dazu, mich wieder in mein Nijinsky-Projekt zu versetzen. Wie immer muss ich meine Themen sinnlich erfahren, muss sie hören, sehen, riechen, schmecken, vielleicht sogar tasten können. Ich muss der Welt meiner Figuren und Themen möglichst nahe kommen, auch wenn dies immer nur bedingt möglich ist. Einen Vorteil hat diese Weltenwandler-Stadt à la Zelig wirklich: Solange es Baden-Baden gibt, kann ich mir exotische Weltreisen sparen, die mit Büchern ohnehin nie zu finanzieren wären. Ich bin mir sicher, ich schaffe es, auch mein nächstes Thema irgendwie hinter diese Fassaden zu quetschen, wie exotisch es auch sein mag...

29. Oktober 2010

Reise nach Russland


Gestern war ich im Vollrausch. Keinem von Alkohol, sondern einem, den man durch Sinnesreisen bekommen kann. Ich war nämlich in "Russland" einkaufen. Zu lange schon schleppte ich mit mir die Adresse herum, die ich bei der Verwandtschaft abgestaubt hatte, um endlich einmal meinen "Heimweh-Hunger" nach guten polnischen Würsten stillen zu können. Der kleine, aber feine russische Supermarkt in Rastatt entpuppte sich als Eldorado für osteuropäische Kulinarik. Mit riesigen Kinderaugen sah ich genau den gleichen Twaróg, den ich auch in Warschau immer gekauft hatte und war glücklich - so viele Rezepte waren gerettet! Nun ist Twaróg eigentlich nichts anderes als Quark, aber eben einer von einer ganz besonderen Konsistenz, die man in Frankreich gar nicht bekommt und in Deutschland mühsam durch Pressen und Abtropfen herstellen müsste. Es gibt aber ein paar göttliche Desserts, die man nur mit Twaróg hinbekommt (etwa die russische Pascha).

Krakauer? Welche Sorte hätten Sie denn gern? Soll sie fein oder grob sein, dick und rund oder lang und dünn? Darf sie aus Russland stammen, wollen sie eine aus Krakau direkt oder lieber die nach Danziger Rezept? Nicht einmal in Polen habe ich so viele verschiedene Krakauer gesehen, von Würsten ganz zu schweigen. Brot dazu, natürlich frisch - lieber das galizische, das litauische oder russisches Schwarzbrot? Ich habe sie zuhause alle drei probiert und gejuchzt. Das ist genau das Schwarzbrot, das es sonst nirgends gibt: Kein Körnerbrot, aber 80% Roggen, ganz dunkel, ein wenig süß im Geschmack von Malz, ein Hauch Koriander darin. Genau dieses Brot braucht man für den Ansatz von Barszcz oder Zurek, damit kann man Kwass herstellen und die berühmten schlesischen Saucen, in die man auch einen ganz bestimmten Pfefferkuchen gibt.

Den gab es natürlich auch, genauso wie gefühlte zwanzig unterschiedliche Sorten eingelegter Gurken und schlesisches Sauerkraut, das mit geraffelten Karotten zusammen gesäuert wird. Der geräucherte rumänische Käse schmeckt ganz genau so wie die Romben, die die Goralen in der Tatra herstellen - und natürlich gibt es all die Köstlichkeiten aus Preiselbeeren und Vogelbeeren (inklusive Likör) und Krimsekt und Spezialitäten aus Georgien, Asserbeidschan, der Ukraine, Moldawien und wo es sonst noch leckere Sachen gibt. Frische Granatäpfel und Kaki zum Spottpreis, marinierte Pilze und Hunderterlei von diesen feinen Dingen, die der Italiener Antipasti nennt: aus Zucchini, Auberginen, Melonenkürbissen, Tomaten, gemischten Gemüsen und sogar eingelegten Wassermelonen. Mit Knoblauch, mit viel Dill oder affenscharf.

Nie habe ich so viele Bonbons auf einen Haufen gesehen. Mir ist jetzt klar, warum sich die reichen Russen bei den Edelzahnärzten in Baden-Baden die Klinke in die Hand geben und sich am liebsten gleich das ganze Gebiss erneuern lassen. Bei den Haferkeksen mit Kürbiskernen konnte ich allerdings nicht widerstehen. Und all die getrockneten oder eingelegten oder frischen Fische muss ich erst einmal in Ruhe studieren. Zanderkaviar gibt's ebenfalls zum Spottpreis. Und die zwei langen dicken Kerlchen auf Eis hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen: Es waren Störe!

Überhaupt muss ich da drinnen ein wenig studieren, weil außer der polnischen Ware alles mit kyrillischen Buchstaben beschriftet ist. (Ich brauchte zwei Durchgänge, bis ich entdeckte, dass bei den Preisschildern im Regal eine deutsche Übersetzung stand). Da stellte sich wieder dieses Gefühl ein, das ich bei meiner Ankunft in Warschau hatte, wo ich mich fühlte wie ein kleiner Alien, der zunächst nur Dinge kaufen konnte, denen man auf Anhieb ansah, was es war. Zum Glück versteht man durchs Polnische ein paar russische Fresswörter. Und natürlich muss ich immer mutig, weil neugierig, experimentieren, auch wenn mich die sanft aussehenden eingelegten Auberginen erst einmal an die Decke springen lassen, weil das nette rote Zeug darin Chilli ist. Und wie wird Ayran schmecken? Man trinkt es, es hat etwas mit Milch zu tun und kommt aus Asien - probieren!

Abgesehen von den kulinarischen Freuden und der Tatsache, dass ich endlich meine nach osteuropäischer Küche lechzenden französischen Freunde stilecht bekochen kann, ist mir wieder einmal aufgefallen, was der Mensch doch für ein Nasentier ist. Gerüche und Erinnerungen - nichts ist so eng miteinander gekoppelt. Und als ich auf dem Parkplatz aus dem Auto stieg, war es wieder da: Irgendetwas hat nach Warschau gerochen. So wie in Warschau kurz nach meiner Ankunft plötzlich der Duft aus der Küche meiner Oma in der Luft lag. So ein Duft ist flüchtig, weht einem kurz in der Nase, und plötzlich sind eine Menge Bilder und Gefühle da.

In dem Moment verstand ich die fleißigen Auswanderer unserer Familie, die in Ohio oder New York, Kalifornien oder Deutschland zwar Hamburger aßen, aber auch komische, fremdländische Festessen kochten. Man kann Erinnerungen in Worte fassen und zum Geschichtenerzähler werden. Wenn aber Erinnerungen auf die Zunge kommen, braucht es keiner Worte mehr. Wie reich ist ein Land, wenn es all diese vielfältigen Erinnerungen und Genüsse sammelt und pflegt - anstatt sie zu einer langweilig faden "Leitkultur" verkochen zu lassen!

28. Oktober 2010

Schöne Bücher

Gestern habe ich meine Bibliothek durchwühlt - auf der Suche nach besonders schönen Buchformaten und Aufmachungen. Natürlich fallen auch bei mir weite Regalstrecken flach, weil sie mit Taschenbüchern vollgestopft sind. Aber die Ausbeute, die mich für das Nijinsky-Projekt inspirieren sollte, war dann doch erstaunlich. Zwei französische Kunstkataloge, drei Bücher aus dem Verlag, in dem ich selbst erscheine (Parthas, Berlin, die machen einfach wunderschöne Bücher) - und der Rest kam aus dem 19. Jahrhundert. So viel zu mutigen Buchmachern in meiner Bibliothek, die natürlich eine extrem subjektive Auswahl bedeutet, in Verbindung zum jetzigen Briefing sowieso.

Schöne Bücher gibt es natürlich auch in ganz normalen Formaten - und fast immer kommen sie aus den feinen Verlagen, wie ich sie hier im Menu rechts im Blog extra empfehle. Immer wieder schön in der Hand: Schöffling. Grafisch beeindruckend: weissbooks - oder die Bücher von Foer bei Kiepenheuer & Witsch. Erlesen für Sammler: Friedenauer Presse. Ich könnte da jetzt weitermachen und empfehle, sich einfach einmal durch die Verlagswebsites zu wühlen, die ich verlinkt habe - es lohnt sich auch rein äußerlich!

Und wieder habe ich etwas Neues in Sachen Buchherstellung gelernt: Das Format des Buchs hängt auch sehr von der Qualität der Fotos ab. Eine lausige Vorlage vergrößert man besser nicht unendlich - und im Falle von historischen Fotos ist das öfter mal der Fall. Mit dem, was man in der Hand hat, verbinden sich zudem Erwartungen: Sehr große Formate lassen auf Bildbände hoffen. Finden sich dagegen im Handschmeichler ganzseitig Fotos, wird es als besonders schöne Überraschung verbucht. Außerdem kann man sich bei einem nicht allzu dicken Buch wie dem meinen einen besonderen Luxus erlauben: Breitere Ränder, mehr Luft für den Text zum Atmen. Layout, das nicht auf billige "Bleiwüsten" angelegt ist. (Schade, dass das schöne Wort Bleiwüsten so anachronistisch geworden ist).

Noch eine schöne Sache: Heute abend ARTE einschalten!

Und falls sich jemand in meiner Abwesenheit langweilt: Andrea Costantine, Co-Autorin von Lisa Shultz beim Buch "How to Bring Your Book to Life This Year" hat einen interessanten Blogbeitrag geschrieben, wann und warum sich selbstverlegte Bücher lohnen. Punkt 5 hielt ich bisher für ein typisch amerikanisches Phänomen und im deutschen Raum für Zufallstreffer. Aber inzwischen habe ich auch aus großen Agenturen interne Informationen, dass man dort ernsthaft über alternative Wege im Buchgeschäft nachdenkt, weil der herkömmliche Markt zu risikoscheu und entscheidungsunfreudig geworden ist. Ich weiß, das klingt jetzt wie eine Behauptung, die ich nicht belegen kann (darf), aber ich bin Journalistin genug, dann darüber zu schreiben, wenn einige Entwicklungen bei uns weiter gediehen sind und auch für die Öffentlichkeit bestimmt sind.
Ich kann nur so viel sagen: Im Moment brodelt es heftig und in ein paar Jahren werden wir uns wundern, dass wir einmal glaubten, es gäbe nur einen einzigen offiziellen Weg zur Veröffentlichung.

27. Oktober 2010

Danach...

Wie ich dieses Gefühl von eigenen Büchern nach der Abgabe kenne ... Man ist voll aufgedreht, fast überdreht, will mindestens fünfeinhalb Bäume ausreißen, geht meilenweit mit dem Hund marschieren und bekommt dann plötzlich einen riesigen Appetit, Schüttelfrost und das Gefühl, mindestens fünfeinhalb Wälder ausgerissen zu haben. Dann nimmt man einen Hund zur Hand und kuschelt sich an ein Buch, pardon, umgekehrt - und schläft gnadenlos am hellichten Tag ein.

Zur Belohnung habe ich mir dann statt Champagner meinen absoluten Lieblingstee gekauft und beschlossen, den sich nun ankündigenden Indian Summer mit lauen Frühlingstemperaturen in Möchtegern-Petersburg zu verbringen. Mir fiel nämlich ein, dass ich immer noch nicht Dostojewskis Bude fürs Blog fotografiert habe! Außerdem habe ich beschlossen, mir in der russischen Bibliothek ein Buch auszuleihen und das so lange immer wieder von vorn bis hinten zu entziffern, bis ich es lesen kann. Das hat mit dem polnischen Donald Duck doch schließlich auch funktioniert...

Es gibt Neues im Nijinsky-Blog - inzwischen auch hier ganz oben rechts immer tagesaktuell verschaltet, damit ich das nicht immer sagen muss. Man beachte, dass sich dort auch die Links langsam, aber stetig vermehren.

So ... und jetzt: Hund, Buch: Andrej Belyj - Petersburg. Wer glaubt, dass ich mich erst jetzt wieder in "russische" Stimmung fürs Buchprojekt versetze, irrt gewaltig. In dem von mir übersetzten Buch wimmelt es ebenfalls von emigrierten Russen. Gleiche Zeit, gleiche Stadt. Was den einen nervt, nennt der andere Spezialisierung ;-)

26. Oktober 2010

GESCHAFFT!!!

Dass ich das noch erleben darf. Ich bin fertig (im Doppelsinn). Nach einer mehrmonatigen Zwangspause durch zwei Todesfälle habe ich eben den letzten Punkt unter die lektoratsfeine Übersetzung gesetzt - auf Seite 683. Ein Mammutbrocken.

Im Nachhinein muss ich mich bei meiner Verlegerin bedanken, dass sie so viel Vertrauen auf Vorschuss in eine Anfängerin in Sachen Buchübersetzung hatte. Und ich bin im Nachhinein froh, dass ich nicht ahnte, was mit diesem Buch aus dem Verlag Calman-Lévy auf mich zukam, das mir als "Sachbuch in einfacher, klarer Sprache" vorgestellt worden war. Das klang nach Texten, wie ich sie sonst regelmäßig in Kleinformaten übersetze und ich fühlte mich dem absolut gewachsen. Ich bin froh, dass ich auf die Worte meiner Künstlerberatung in Strasbourg keinen Pfifferling gab. Der Beraterin blieb bei Nennung des Titels, den in Frankreich jeder kennt, der Mund weit offen stehen und dann hauchte sie nur: "Sind Sie nicht ein bißchen sehr ambitioniert? Das ist ja verrückt!"

Verrückt war es in der Tat. Eher ein erzählendes Sachbuch, zum Glück aus einem meiner Fachgebiete, so dass die aufwändigen Recherchen dafür leicht fielen. Zum Glück sah ich mir vor dem Vertrag die langen kursiv gedruckten Passagen nicht genauer an! Die entpuppten sich nämlich als ausführliche Zitate aus dreißig Jahren französischer Literatur, Literatur, die zu meinem Leidwesen fast nie ins Deutsche übersetzt worden war.

Also übersetzte ich Teile von Dramen und Poesie, Spielereien mit Worten und Rhythmen und einen sehr eigenwilligen Stil des Autors. Nach Texten von Max Jacob und Guillaume Apollinaire, Tristan Tzara und André Breton, Cocteau und Marinetti gibt es jetzt eigentlich kaum noch etwas, was mir als Übersetzerin Angst machen könnte. Ja, es war wirklich verrückt, solch ein Buch einer Frau anzuvertrauen, die sich einbildete, eigentlich gar nicht richtig Französisch zu können (worüber sich meine französischen Freunde königlich amüsieren).

Es ist seltsam. Ich habe es geschafft. Aber ich habe immer noch das eigenartige unerklärliche Gefühl, Französisch sei mir unter all meinen Sprachen die fremdeste. Und vielleicht muss das auch so sein, um diese Sprache gut übertragen zu können - mit einer Distanz, bei der man um jedes einzelne Wort ringt. Immerhin benutze ich Französisch inzwischen im Traum, wenn ich plötzlich für einen dahergelaufenen Russen etwas dolmetschen soll...

683 Seiten.
Fertig.
Pause.
Dann nur noch ratzfatz die sehr wenigen Lektoratskorrekturen einfügen.
Und dann kommt der Russe dran: Nijinsky!

(Ich habe tatsächlich keinen Sekt im Haus).

Beuys, ein Ofen und keine Schuhe

Seit meiner Kindheit habe ich ein lächerliches Problem: Wenn ich mich in innerem Aufruhr, vor allem höchster Freude, befinde, knallen alle Glühbirnen in meinem Umfeld durch. Zum Glück halten mich Energiesparbirnen aus. Aber ich habe auf diese Art auch schon einen Schaltercomputer auf der Bank und eine Kühltruhe im Supermarkt ausgeschaltet - wie peinlich. Ein Mensch von einer großen Computerfirma hat mir einmal erklärt, man nenne das "electric people". Das seien Leute, die zeitweise statische Energie akkumulieren können, anstatt sie ständig abzugeben. Nun denn - seit Energiesparzeiten bleibt es bei mir hell. Doch als ich gestern nach meinem Hühnchen sehen wollte, fiel mir plötzlich die Glasplatte der Ofentür vor die Füße. Und bis das Hühnchen fertig war, merkte ich nicht einmal, dass ich zunehmend fror. Die Elektronik der Heizung unter mir war ausgefallen. Vielleicht alles Zufall, aber die Freude gestern war gigantisch!

Eigentlich war Beuys schuld. Ich plauderte nämlich zufällig mit einem Anwalt für Urheberrecht über den Nachlass des Künstlers und den Streit um die Fotosammlung. Da kam ich plötzlich auf die glorreiche Idee, zu fragen: Sag mal, wie ist das eigentlich mit den Fotos von Nijinsky? Gilt da auch die Regel, dass der Fotograf 70 Jahre tot sein muss? Wer aber hält die Rechte an Abzügen oder überhaupt? Zum Glück habe ich gefragt!

Kurz und knapp gesagt, muss der Fotograf natürlich 70 Jahre tot sein, dann ist alles rechtefrei und nur eine Frage der Beschaffung. Und dann ist es wieder auch nicht so einfach, weil sich die Frist in der Fotografie seit 1900 laufend verändert hat, weil Nijinsky in unterschiedlichen Ländern fotografiert wurde und weil auch die Nationalerbe sich verändert haben (es gibt z.B. Fotos aus dem Besitz des Zarenreichs). Ein Glück, wenn man den Fachmann fragen kann! Ich will hier keine Vorlesung halten - wer mit ähnlichen historischen Themen arbeitet, wird das von Fall zu Fall abklären müssen. Für mich war es jedenfalls Grund für einen Jubelschrei!

Denn jetzt weiß ich genau, mit welchen Fotos ich auf der sicheren Seite bin. Es sind genug und genügend sehr schöne, um das Nijinsky-Buch nun auch zu bebildern. Damit kann ich sogar den Nijinsky aufs Cover bringen, ohne zu verarmen! Ich kann sogar eine ganz besondere Grafikidee verwirklichen, die ich bisher für unbezahlbar hielt. Natürlich bin ich sofort auf die Suche gegangen. Ich weiß wirklich nicht, warum Frauen angeblich so gerne Schuhe kaufen, ich hasse das. Aber ich kann sie verstehen, wenn sie dabei auch nur halbwegs das Jagdfieber und die Freude empfinden, die ich gestern hatte! Unbeschreiblich, dieser Zustand zwischen Entdeckerfreude und purer Jagderotik, wenn ich in der Library of Congress wühle oder in der Nationalbibliothek von Paris. Ich vergesse dann alles um mich herum, sogar eine ausgefallene Heizung bei minus einem Grad Außentemperatur.

Und wie ich mich so vor mich hinfreue, dass ich nun wenigstens die bekannten Bilder ohne große Unkosten ins Buch nehmen kann, stolpere ich doch tatsächlich über etwas, das ich mir gar nicht habe träumen lassen. Wahrscheinlich können nur Irre aus ähnlichen Metiers nachvollziehen, warum man sich über eine solche "Kleinigkeit" so erregen kann. Ich jedenfalls hüpfe innerlich immer noch. Ich habe ein Bild gefunden, das meines Wissens so gut wie bisher unveröffentlicht ist. Mag sein, dass es in irgendeinem schrägen uralten Katalog vielleicht irgendwo auf der Welt auftaucht - in den gängigen Ballets-Russes-Veröffentlichungen ist es jedenfalls nicht zu finden. Es passt auch nicht ins Bild, das man sich so gern von Nijinsky macht. Und genau darum ist es so wertvoll - es zeigt seine andere Seite. Es ist von einem berühmten Menschen. Und es ist rechtefrei. Ich zahle nur für die Digitalisierung drei, vier Euro.

Dass das Buch nun mehr als zwei großformatige Bilder bekommen kann, wirkt sich natürlich auf das Layout und damit die Herstellung aus. Jetzt soll das Buch auch ein außergewöhnlich schönes Format bekommen (Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen sowieso).

Ich zwinge mich jetzt, während des Herunterladens von Fotos (was liebe ich diese Internetverbindungen bis nach Amerika!) meine Übersetzung zu Ende zu bringen. Danach sollte ich mich mal langsam (von PaintShop Pro) in Photoshop einlernen... Das Schlimme ist nämlich: Ich sehe das Buch schon komplett mit Cover vor mir!
Doch vorher wollen noch zwei Interviews mit Fachleuten geführt werden, Texte geschrieben, lektoriert, korrigiert werden...

PS: Eben noch mehr unbekannte Fotos von Nijinsky gefunden!!! Das wird ein Buch...

25. Oktober 2010

Zensur in der Röhre?

Update mit Auflösung

Dank Twitter muss ich heute nicht dumm ins Bett gehen. Und dank @DedalusRoot und @pundp ist das "Zensurrätsel" wohl gelöst. Es handelt sich nicht um ein Glaubensproblem, so dass ich den Glauben an die Vernunft der Menschheit noch nicht verlieren muss.

Dedalus war so nett, mir einen Screenshot zu zeigen und da wird die Sache vom Satzbau her klar, von @pundp kam die Adresse dazu: "Believe" ist ein Distributor für Musik und Indielabels.
Kurzum: Solange sich die GEMA und youtube (und andere Plattformen) noch nicht geeinigt haben, werden in Deutschland solche Videos gesperrt bleiben. Eine Frage der Urheberrechte und Tantiemen.
Hier in Frankreich und in vielen anderen Ländern kann man das Video sehen, weil es dort Verträge zwischen den Verwertungsgesellschaften und youtube gibt. Sprich, jeder Klick generiert für diese Geld, das sie an die Künstler ausschütten.

Absolut dumm ist, dass youtube die Verbraucher nicht aufklärt oder wenigstens einen erhellenden Link zu "Believe" schaltet. Andererseits müssen sie aber auch nicht für die GEMA Werbung machen, solange sich diese querstellt.
Ich bitte zu entschuldigen, wenn die cronenburg-röhre öfter mal klemmt - ich kann leider nicht erkennen, was in Deutschland nicht geht.

Die veraltete Erregung:
Es ist schon hart: Da denke ich, ich führte ein völlig säkulares Blog in einer freien Welt. Aber eben kontaktiert mich ein Freund, das in der Cronenburg-Röhre gezeigte Video würde auf seinem Computer in Deutschland zensiert. Mit dem Hinweis, dies geschehe wegen Inhalten in Sachen "believe", die in seinem Land nicht erlaubt seien.

Grund ist womöglich der herrliche Anfang mit dem Abendmahlbild, wo Jesus plötzlich mit Gabel und Löffel Schlagzeug auf dem Tisch spielt. Völlig harmlos, könnte man meinen. Übrigens wurde das Video gestern in voller Länge auf ARTE ausgestrahlt, dort habe ich es nämlich entdeckt.

Ich weiß, dass es teilweise youtube-Sperrungen in Deutschland gibt, weil sich die GEMA im Gegensatz zu anderen europäischen Verwertungsgesellschaften immer noch nicht einigen mag. Aber dass jetzt auch schon bigott harmlose Anspielungen auf religiöse Gemälde gesperrt würden, wäre mir neu. Hier in Frankreich ist das Video ohne Probleme zu sehen, aber wir sind ein säkularer Staat und unsere Künstlervereinigungen haben einen Vertrag mit youtube. Hat noch jemand ähnliche Probleme wie jener deutsche Freund und muss neugierig ins Bett gehen? Ich hoffe ja nicht, dass mein Blog jetzt auch noch auf schwarze Listen gerät... So päpstlich ist nämlich nicht mal mehr der Vatikan.

Die Leute bei Twitter bestätigen die Zensur Sperrung. Eben kommt von @DedalusRoot der Tipp: Bei vimeo lässt sich das Video auch in Deutschland anschauen: 
http://vimeo.com/9752986
Danke!

Performance

Schriftsteller sind zum Schreiben da und zu sonst nichts. So war das mal in alten Zeiten: Schriftsteller waren keine Schausteller. Vielleicht gefällt mir deshalb der Begriff Autorin besser für mich selbst - da bin ich Urheberin, eine schöpferisch Tätige - nicht unbedingt nur mit Schrift. Vor allem aber bin ich damit nicht im einsamen Kämmerchen eingesperrt. In anderen Ländern, etwa in Frankreich, haben auch die Schriftsteller ein vielseitigeres Selbstbild und das hat Vorteile: Sie verdienen nicht nur mit dem Schreiben Geld, sondern mit der "Gesamtunternehmung" Schriftsteller. Und die schadet auch dem Abverkauf der Bücher nicht gerade...

Kürzlich diskutierte ich mit jemandem über das Konzept von "öffentlichen Büchern", also Büchern, die bereits vor der Veröffentlichung ein Leben mit dem Publikum entwickeln - etwa so, wie ich das hier mit der Rubrik "Ich bastle ein Buch" mache. Da hieß es, es gäbe zwei Typen von Autoren: die Nurschreiber und die Schreibunternehmer, völlig unterschiedliche Persönlichkeiten. Nurschreiber haben es heute im Profigeschäft schon schwer. Ihre Haltung zur Veränderung des eigenen Berufsbildes ist in etwa die, als würde ich als Journalistin dem guten alten Klebesatz im Redaktionskeller hinterherheulen und mich weigern, plötzlich auch Layouter-Aufgaben zu übernehmen, weil das dank Computertechnik eben möglich ist.

Noch gibt es Nischen, sich schreibend zu verstecken, nie an die Öffentlichkeit zu gehen, keine Lesungen zu veranstalten, sich außerhalb der Tastatur abstinent zu zeigen. Aber ein Blumentopf ist damit kaum noch zu gewinnen, wenn man nicht einfach nur als Auftragsschreiber im Marathon malocht. Die Konkurrenz schläft bekanntlich nicht. Und natürlich muss man nicht bei der Buchmesse am Twittagessen vor der Würstchenbude teilnehmen oder sich spontan per Social Media mit Verlagsleuten verabreden. Aber könnte man dort nicht vielleicht doch interessanten Menschen über den Weg laufen? Und was ist, wenn man eines Tages der einzige Autor ist, dessen Gesicht und Stimme keiner kennt?

Wie viel Performance einer braucht und mag, liegt sicher an der Persönlichkeit. Aber es hat noch nie geschadet, darin professionell zu sein und sich fortzubilden. Rabenblut schreibt in ihrem Blog über Lesungen, die nicht zum Gähnen langweilig sind und dem Publikum einen rundum guten Abend schenken. Und sie schreibt davon, dass allein mit dem Instrument Stimme gezaubert werden kann. Lesenswert auch für Lesungsmuffel, denn es stimmt einfach: Ein Gast, der für eine Lesung Geld bezahlt, hat mehr verdient als nuschelnde Typen, die auf ihrem Lesestuhl fast selbst einschlafen. Man mag über Eventkultur denken, was man will: Das Publikum wird anspruchsvoller. Ein Autor muss sich für Auftritte schlicht auch gegen die Konkurrenz durchsetzen, je unbekannter, desto stärker. Und mal ganz ehrlich: Das sehr viel höhere Honorar fürs Event bringt uns doch auch mehr aufs Butterbrot als ein popeliges Mindesthonorar für reines Vorlesen.

Ich kann aus eigener Erfahrung Sprechunterricht sehr empfehlen - übrigens auch für diejenigen, die glauben, es zu können. Es ist ein Unterschied an Kraft und Stimmvolumen, ob ich den Kleinen am Bettrand vorlese oder einen Saal mit sechzig Leuten füllen muss - und das über eine Stunde lang, womöglich unter nervöser Anspannung. Ich hatte großes Glück, dass ich während des Studiums für meinen ursprünglich gedachten Beruf nicht nur Sprechausbildung machen, sondern auch Rhetorikunterricht belegen musste. Bei letzterem wurde das freie Reden geübt, mit harscher Kritik der zuschauenden Kollegen. Heute macht man das mit der Videokamera. Was dabei herauskommt, ist von unschätzbarem Wert, wenn man nicht die geborene Rampensau ist und vor Publikum Rede und Antwort stehen soll oder einen Vortrag zum Sachbuch hält. Ebenfalls nützlich ist übrigens auch Singen - wegen der Atemtechniken.

Solche Kurse sind gar nicht zwingend teuer. Für manche Studiengänge werden sie an den Universitäten kostenlos angeboten. Man muss sie auch nicht beim großen Star frei buchen, sondern kann sich einen jungen Schauspieler suchen - viele geben nebenbei solche Kurse, um das eigene magere Gehalt aufzubessern. Inzwischen findet man auch an immer mehr Theatern Kurse für Laien zu erstaunlich niedrigen Preisen. Auch das will ich nicht missen - die Kurse am Stadttheater von Baden-Baden, durch die ich ein völlig neues Körperbewusstsein bekam und inzwischen weiß, wie sehr die Stimme Körper ist - und letztlich auch der Ausdruck. Ich fange mein Publikum nicht mit einem gedrechselten Satz ein. Ich muss mein Publikum schon damit einfangen, wie ich auf die Bühne laufe. Das muss keine Show sein, aber ich übertrage meine Gefühle, die ich für meinen Körper und meine Stimme habe, auf die Zuschauer. Und wenn ich mich schlecht fühle oder unsicher bin - warum sollen die mich dann lieben?

Performance in diesen "herkömmlichen" Bereichen hat Vorteile: Man kann sich mit Events das Schreiben etwas querfinanzieren, man bekommt als Profi mehr Engagements als ein Nuschler (falls man keinen Promifaktor hat), der Bekanntheitsgrad wächst und damit der Abverkauf der Bücher. Und manchmal ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten. Mir passiert, als ich dank der Theaterkurse todesmutig ein freies Bühnenprogramm schrieb und spielte - plötzlich wollten alle das Buch zum Stück kaufen, das es gar nicht gab... So entstand die Idee, eines Tages das Buch zum Abend zu schreiben. Dabei sollte man jedoch authentisch bleiben und klein anfangen, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten. Manchmal reicht schon ein ungewöhnlicher Ort, etwa die Lesung bei Floristen mit dem Mord im Blumenladen - oder das Servieren einer Leckerei, die im Buch vorkommt. Dazu Deko, Ambiente - warum nicht ein Buch auch sinnlich erfahrbar machen?

Ganz neu ist eine Art von Performance, an die Leute mit saftigen Garantiehonoraren natürlich nicht denken müssen. Noch ist sie erst im Entstehen, noch können sich manche Kollegen gar nicht vorstellen, wie das funktionieren soll. Es geht darum, es sich leisten zu können, auch die Bücher völlig unabhängig schreiben zu können, die vielleicht nicht im Mainstream mitschwimmen. Vor allem Musiker in den USA machen es vor, dass Kunst direkt finanzierbar sein kann. Crowdfunding ist das Stichwort - wir hatten es kürzlich im Blog von Systemen wie flattr oder kachingle.

Nun gibt es nach dem Vorbild des amerikanischen Netzwerks kickstarter auch einen deutschen Versuch in der Betaphase: startnext. Hir geht es nicht um ein reines Spendensytem wie bei anderen Plattformen, denn die Künstler müssen ihren Sponsoren auch etwas bieten fürs Geld. Tino Kreßner, einer der beiden Gründer der Plattform, erzählt bei carta.info mehr über das Konzept, Künstlern zur Vorfinanzierung von Projekten zu verhelfen. Schaut man sich bei startnext den ersten Buchautor an, so lässt sich erahnen, welche Möglichkeiten in Zukunft bei Büchern auszutesten sind. Auch wenn das alles noch im Experimentierstadium ist - den Mutigen gehört die Welt! Und für die Nörgler, die lieber im einsamen Schreibkämmerchen am Bleistift kauen, ist Buch & Performance ohnehin nicht geschaffen.

24. Oktober 2010

Dicker Hund

Bis aus einer Rohübersetzung ein druckfertiges Manuskript geworden ist, braucht es mehrere Arbeitsdurchgänge mit höchst kritischem Blick. Jeder Übersetzer arbeitet da anders. Viele lesen z.B. zuerst das Buch ganz durch - ich mache das nicht, weil ich mich mit meinem fotografischen Gedächtnis sonst bei der Arbeit nachher tödlich langweilen würde. Ich würde es aber wahrscheinlich machen, wenn der Ton des Autors oder seine sprachlichen Eigenarten schwerer zu treffen wären.

Dafür lese ich einzelne Kapitel mit dem Bleistift voraus, wodurch die Notizen im Buch (meist Vokabeln oder wichtige Wendungen) und der Text im Kopf eine erste Textidee ergeben. Daraus entsteht in einem ersten geschriebenen Durchgang die Rohübersetzung (Version 1). Die gebe ich keinem in die Hand. Gelbscheckig ist sie an den Stellen, wo ich genau nachrecherchieren muss. Wendungen, bei denen ich nicht mit ein wenig Nachdenken eine adäquate Übersetzung finde, enthalten mehrere Vorschläge, ebenfalls markiert.

Manchmal muss ich recherchieren, bevor ich überhaupt übersetzen kann - etwa wenn der Autor ein Bild beschreibt oder eine historische Person. Dann heißt es, dieses Bild zu suchen und genau zu betrachten, weil viele Ausdrücke im Französischen mehrdeutig sind. Und außerdem gibt es Kommentare an mich selbst - etwa, wenn der Originalautor und dessen Lektor Fehler übersehen haben und ich irgendwie damit umgehen muss. Eine Landesspezialität: die Franzosen scheinen es mit dem Lektorat nicht immer allzu genau zu nehmen. Und weil man eine Weile braucht, bis man den richtigen Ton und die richtige Sprache findet, ist so eine Rohübersetzung natürlich anfangs sehr gelb und wird dann langsam besser.

Die Rohübersetzung zur Lektoratsfassung (Version 2) zu überarbeiten, also abgabereif, ist für mich ein einziger Durchgang, obwohl sich dahinter mehrere Arbeitsschritte verbergen können. Feinrecherchen, Wortjonglierereien, das Suchen nach Problemlösungen bei notwendigen Korrekturen am Originaltext - das alles sind nur kleine Schritte. Denn jetzt kommt es darauf an, ein schriftstellerisch annehmbares Deutsch zu schreiben, Reihenfolgen zu ordnen, die eigenen Fehler zu korrigieren. Lexika, Onlinerecherche und das eigene Sprachgefühl werden im fliegenden Wechsel genutzt. Wenn ich diese Lektoratsfassung abgebe, sollte sie möglichst fast druckreif sein.

Anschließend lektoriert das die Lektorin und schickt mir - wie bei einem Buch, das ich selbst schreibe - ihre Korrekturen und Anmerkungen (Version 3) zurück. Das ist in meinem Fall erfreulich wenig, aber es will eingearbeitet werden und hier und da gibt es auch Diskussionsstoff. Version 4 ist dann die Fassung, die in den Satz geht, bevor die Fahnen auch noch einmal korrigiert werden müssen.

Im Moment arbeiten die Lektorin und ich hintereinander her. Ich schicke ihr die frisch erarbeiteten Portionen von Version 2 und bekomme Version 3 zurück. Ist Version 2 abgeschlossen, fertige ich Version 4.

Abgesehen davon, dass das wirklich kein Spaziergang ist, wie ich zuerst naiv vermutete, muss man sich bei der Plackerei auch ganz gehörig konzentrieren. Manche eigenen Fehler lesen sich nämlich nur allzu schön! Einen dicken Hund, den ich heute aufgespießt habe, möchte ich unbedingt zur allgemeinen Belustigung teilen. Ich übersetzte:

"Das Resultat war ein ziemlich bizarres Verhalten, das seine Familie jedoch erst an dem Tag beunruhigte, als er sich auf öffentlicher Straße wenig anständige Extremitäten erlaubte..."

Tja. Welche Extremitäten er da wohl unanständig gezeigt hat? Ich sah das förmlich vor mir!

Aber wir wissen ja aus der Schule: Fremde Vokabeln können manchmal mehrere Bedeutungen haben. Und so heißt "extrémités" auch mal "Gewalttätigkeiten" und der Satz korrekt:

"Das Resultat war ein ziemlich bizarres Verhalten, das seine Familie jedoch erst an dem Tag beunruhigte, als er sich auf offener Straße wenig anständige Gewalttätigkeiten erlaubte..."

Monsieur Aragon möge mir posthum verzeihen...
Und ich mach mal weiter auf Seite 627 - denn ein Ende von Version 2 ist in Sicht!

PS: Möge dieser Beitrag auch eine kleine Illustration dafür sein, warum man für richtig gute Bücher schlicht professionelle Fachleute braucht. Selbst bei all diesen Mühen und Korrekturen werden sich immer noch genügend Fehler einschleichen. Aber wie sähe so ein Buch aus, wenn man nur an einem Arbeitsgang sparen würde!

PPS klebe ich hier an für alle, die mit der französischen Sprache arbeiten. Da habe ich gerade das absolute Paradies entdeckt, dank CNRS: Das Centre National de Ressources Textuelles et Lexicales. Ich sitze mit leuchtenden Augen davor, das ist wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag an einem Tag für Sprachverrückte! Dass die auch noch ein eigenes Firefox-addon entwickelt haben ...

23. Oktober 2010

Lesebefehl!

Selten geworden sind die Momente, in denen ich beim Lesen eines Zeitungsartikels den Atem anhalte und dem Kollegen spontan stehenden Applaus spenden will.
Malte Weldings "Nerv mich doch!" in der Berliner Zeitung ist solch ein Glanzstück des Journalismus.

Was er über Multikulti, den Drang zur Ruhe und das Grundgesetz schreibt, muss man einfach gelesen haben.
Danke an den "schreibtäter" für den Lesetipp!

stillekompatibel

Im Moment tanzt der Bär. Während ich mit der Übersetzungsdrechselei in den letzten Zügen liege (bevor ich dann noch die Lektoratsvorschläge einarbeiten muss), rasen die üblichen vorwinterlichen Termine auf mich zu (in den Vogesen erledigt man manches besser vor dem Schnee). Als wäre das nicht genug, quengelt mein uralter Erstberuf. Das Blog artet in journalistische Arbeit aus (wenn ich nur nicht immer so neugierig wäre). Und für den Nijinsky wollen ebenfalls Recherchen vorbereitet und halbwegs intelligent in die Wege geleitet werden. Denn der wird ja nun noch dicker, noch besser. Zwischendurch bekoche ich Gäste, spiele Putzfrau beim längst fälligen Osterputz und Animateurin beim Hund.

Auf diese Art bleibt einem noch viel zu viel Freizeit, denn bei der kalten Witterung fällt das Rasenmähen weg. Ich bilde mich fort, was derzeit an neuen technischen und inhaltlichen Änderungen in der Branche kommt. Im Moment kann es einem den Atem nehmen. Ideen, die ich noch vor ein paar Monaten für Utopien hielt, werden plötzlich von irgendwelchen Leuten umgesetzt. Dinge, die neu schienen, gehen schon wieder unter, weil sie alle machen - und anderswo findet man unter den fröhlich sprießenden Pilzen plötzlich auch Giftpilze. Ein Dschungel, den man irgendwann nicht mehr durchschauen würde, wenn man jetzt nicht dranbleibt. So wie die Freundin, die sich zeitlebens weigerte, ein Fax zu benutzen und jetzt ohne Internet ihre Fahrkarten online kaufen will. Eigentlich sollte ich mich endlich auch technisch mit der Buchherstellung befassen, um betreffende Gespräche führen zu können. Und war da nicht noch die ideale Community, oder war es eher die andere?

Halt. Stopp.

Stille.

Die Kunst des Schriftstellers ist es, Menschen völlig aus ihrem Leben zu reißen. Aus einem immer schnelleren Leben. Wir manipulieren die Hirne. Wir verlangsamen unsere Leser. Wir zwingen ihnen unseren Rhythmus auf: den Atem einer Geschichte. Ob im Sachbuch oder im Roman - bei uns schweigen die Menschen, verlieren den Blick für die Welt um sie herum. Sie schauen und hören in andere Welten hinein. Stille Welten, in deren Rhythmus sie zu atmen beginnen.

Habe ich als Autor wirklich die Pflicht, in Dauergeschnacke, Wortbeblubber und Tweetdrescherei Communities zu bespaßen? Muss ich überall und immer ansprechbar sein, sprechen, Rede und Antwort stehen?
Sicher: Die Zeiten, in denen Autoren im stillen Kämmerlein blieben, sind vorbei. Wer sich völlig verweigert, muss schon berühmt oder irre wahnwitzig gut sein, um mit Öffentlichkeitsabstinenz noch berühmter zu werden. Wir sind öffentliche Personen und nicht immer bringt einen die Öffentlichkeit um. Die Menschen da draußen kaufen ja schließlich unsere Bücher.

Aber...
Da muss auch Stille sein. Innere Ruhe.

Für einen Ebook-Reader ist ein Akku selbstverständlich. Wer denkt daran, dass auch Autoren ihre Akkus aufladen müssen? Akkus, die viel sensibler und anfälliger sind als jede technische Neuentwicklung?
Wenn wir selbst die Stille nicht in uns tragen, diese Verlangsamung, dann schreiben wir nur noch Bücher im Gleichklang mit dem Lärm da draußen. Dann entstehen Bücher, die hektisch atmen wie die Dahineilenden in einer Fußgängerzone, alle gleich. Solche Bücher unterscheiden sich kaum mehr von Communitygeschwätz und Endlostwittern. Wie sollen sie noch diese Kraft der Manipulation entwickeln, mit der wir die Leser aus ihrem Alltag herausreißen?

Ausatmen.
Tief ausatmen.
Alles wegatmen, bis die Brust leer scheint.
Und dann ganz langsam und sanft und tief die frische Luft einatmen.
Jede Geschichte hat ihren eigenen Atem.

22. Oktober 2010

Katzen-Content mit Sahne

Irgendwie schlägt das Wetter aufs Hirn und der vor Kälte dick aufgeplusterte Spatz im Feuerdorn vor dem Fenster verstärkt die Arbeitslust auch nicht gerade. Und nachdem nun 562 Seiten Übersetzung lektoratsfein gebürstet sind, darf ich mich auch einmal ablenken. Bei russischem Tee der Marke "Anastasia" und Katzen-Content.

Südliche Sonne, Süße und Endorphine für alle - ich teile meine gestern heiß begehrte Variante von Tiramisu zum Nachmachen und Genießen:

Zutaten (4 Pers.):
Ein Becher Mascarpone
etwas weniger Sahnequark (das feste deutsche Zeug müsste man mit Sahne verlängern)
Mandarinen in Sirup, gut abgetropft (ich nehme sie aus der Dose, Enthäuten und Kochen ist mir zu mühselig)
zwei Tassen doppelt konzentrierter Espresso
ein Gläschen Amer-Likör "Sommer" (eine elsässische Spezialität aus Schalen von Orangen und Mandarinen mit Enzian, als Ersatz geht Cointreau, ein Bitterorangenlikör wäre noch besser)
Löffelbiskuits (wenn möglich, nicht der Fabrikdreck, sondern die großen weichen mit vielen Eiern)
etwas Kakaopulver
eine Form mit Rand (kein Metall)

Und so wird's gemacht:
Mascarpone gut mit Sahnequark verquirlen. Die Masse sollte nicht zu pappig sein, aber auch nicht vom Löffel laufen, sondern einigermaßen "bissfest" sein und sich verstreichen lassen. Mit wenig Sirup von den Mandarinen kann man sie glätten und abschmecken - das spart jeglichen Zucker im Rezept.
In der Form Löffelbiscuits dicht aneinanderlegen und gut mit der Hälfte des Espressos und Likörs tränken. Darauf eine Schicht Mascarponemasse verstreichen. Auf dieser Mandarinenscheiben verteilen und wieder eine Schicht Löffelbiskuits auflegen. Diese wieder fein tränken. Nun die Löffelbiskuits nochmals mit Mandarinen belegen. Es folgt eine letzte Schicht Mascarponemasse, die man mit Löffelmuster verziert.
Der Tiramisu muss im Kühlschrank mindestens acht Stunden ziehen, besser noch einen ganzen Tag. Wer nicht genügend Zeit zum Ziehenlassen hat, muss mehr Flüssigkeit verwenden. Kurz vor dem Servieren stäubt man Kakaopulver auf. Weil's farblich so schön passte, habe ich die Köstlichkeit noch mit einer frischen Ringelblumenblüte dekoriert.
Eine Variante für Leute, die es nicht so unendlich süß mögen - deshalb kommt Bitterorange zu den Mandarinen besonders gut. Ich muss wahrscheinlich nicht erwähnen, dass Tiramisu ideal ist, wenn man viele Gäste hat. Dann die Menge nicht zu knapp berechnen - zumal Tiramisu am Tag darauf noch besser schmeckt.

In diesem Sinne: Ein schönes Wochenende!

20. Oktober 2010

Autorenhonorierung

Passend zu meinem Beitrag über die armen Contentsäue gibt's im Buchreport-Blog einen Beitrag, in dem sich Leander Wattig Gedanken zu Autorenhonorierungen macht. Seine Idee: Zusätzlich zu Tantiemen könnten sich Autoren über freiwillige Spenden von LeserInnen finanzieren und es könnten mehr Bücher über Abstimmungsplattformen produziert werden.
Ich habe in einem Kommentar dort das System hinterfragt.

Praller Bücherwinter

Mein für den Herbst geplantes Sabbatsemester zieht sich wohl doch in den Winter hinein, aber das Licht am Ende des Tunnels ist absehbar: Bald alles aufgearbeitet, vorläufiger Auftragsstop von meiner Seite, Freizeit. Hemmungslose Freizeit.

Natürlich werde ich nicht am Pool liegen, sondern das Nijinsky-Projekt fertig schreiben und produzieren. Und weil man im Winter gern bastelt und weil ich sowieso mein ganzes Leben lang schon handgefertigte Notizbücher bastle, werde ich die "Freizeit" für noch mehr Bücher nutzen. Diesmal richtige, nicht nur Notizbücher. Meine eigenen Artikel haben mir riesige Lust gemacht, mich selbst bei den neuen Techniken umzusehen, zu lernen und einen Schlachtplan zu entwerfen.

Kurzum: Ich werde die Zeit nutzen, mich einmal um meine eigene Backlist zu kümmern. Wiederbelebung einiger Bücher. Und die schöne neue Freiheit kann ich auch für bisher Ungeahntes nutzen - etwa um eine alte Auftragsarbeit zu verändern. Das gibt es manchmal, dass man etwas für andere schreibt und selbst nicht ganz zufrieden ist. Aber es wurde fürs Programm bestellt und passte womöglich dazu. Jetzt kann ich selbstherrlich all das aus dem Buch werfen, was mir selbst nicht so passt - und mehr von dem bringen, was das Publikum gut fand. Aus alt mach neu. Mit der spannenden Frage: Welche der beiden Fassungen werden die Leute mehr mögen?

Was mich außerdem fasziniert: Die Bandbreite zwischen edlem Papierbuch und elektronischen Formen. Natürlich wird dazu auch die Website völlig überarbeitet werden müssen. Eins weiß ich jetzt schon: Mein Feierabend wird während des Sabbatsemesters nicht länger sein als sonst. Aber es wird ganz bestimmt der schönste Bücherwinter. Und wer weiß, auf welche Ideen mich das fürs nächste Jahr noch bringen wird...

Fußnote: Isse eklich!

Ab und zu bekomme ich zu meinen Beiträgen im Blog Zuschriften per Mail. Meist sind es Kollegen oder Freunde, die länger zum Thema quatschen wollen. Manchmal bekomme ich Insiderinformationen im Verborgenen und ab und zu klatscht sogar jemand, der öffentlich nicht klatschen darf. Und dann gibt es auch die Besorgten. Die Wohlmeinenden. Die Entsetzten. Da war sogar einmal jemand, der mich auf den "rechten Pfad" zurückführen wollte.

Die Wohlmeinenden überwiegen in der letzten Gruppe. Wie kannst du nur! Hast du nicht Angst? Übertreibst du nicht? Möchtest du nicht mal was Schönes, Nettes, Liebes... Oder: Kann man dir gegen deine Depression irgendwie helfen, es kann doch nicht alles so schwarz sein? Warum musste immer so eklich sein, kannse nich mal was Schönes, Liebes, Nettes... Iss doch alles nich so schlimm...

Drum möchte ich aus aktuellem Anlass einmal öffentlich bemerken: Wennse wieder eklich is, isse meist breit am Grinsen. Wennse arg eklich is, isse am Wühlen inne Textformensack, lustvoll.
Zugegeben: Ich greif mir immer meine Lieblingsformen. Als da wären Ironie, ab und zu mal Glosse und öfter gern Polemik. Ich habe in der Schule wahrscheinlich zu heiß und zu oft in Börne gebadet. Ich bekam im Volontariat einmal eine Einladung zu einer Talksendung, weil ich messerscharf und bitterböse im Feuilleton einen Moderator analysiert hatte. Der ging danach zum Friseur und ich nicht zum Talk. Solche Traditionen verlieren sich nicht.

Ich blogge nicht als Literatin, sondern als Journalistin. Und darum darf ich mein Maul auch dann weit aufreißen, wenn andere nur heimlich unter der Bettdecke klatschen. Ich tu's für euch. Und wenn dann mal was schwärzer als schwarz ist, ist es allenfalls mein Humor, seltenst die Stimmung. Ihr müsst mir nicht helfen, auch nicht wohlmeinend. So einer wie mir ist nicht zu helfen: Einmal ironisch, immer ironisch.

19. Oktober 2010

Die armen Contentsäue

Zugegeben, die Schlagzeile ist reißerisch, unjournalistisch und blöd. Aber sie reicht noch lange nicht an das heran, was mir wirklich im Kopf herumschwirrt, wenn ich höre, dass jemand meine Arbeit als Produktion von "Content" bezeichnet. Ich kenne das Wort nämlich aus dem "Brotberuf" und da bedeutet es für mich, frech gesagt, dass man Füllstoff produziert, um Werbebotschaften angenehmer zu verkaufen (Geld vom Werbekunden) und Produkte "wertiger" aussehen zu lassen (Geld vom Verbraucher). Sprich, Content sieht oberflächlich aus wie Text und Fotos, also Inhalt. Nur wird er im Gegensatz zu wirklichen Inhalten am laufenden Meter produziert, möglichst schnell, möglichst billig.

Wirtschaftlich gesehen ist das schlau, weil man mit Produkten, die "Content" haben, richtig gut Geld verdienen kann, oft mehrfach. Und es verdienen all diejenigen fleißig daran, die das Produkt in die Welt setzen, umsetzen und damit handeln. Die eigentlichen "Contentlieferanten" sind meist arme Freiberuflersäue, die man sich mit Niedrighonoraren gleich im Schweinekoben hält. Denn wenn die eine arme Sau nicht mehr funktionieren will, beißt sie die Nachbarsau weg; hungrig müssen sie einfach nur sein, knapp gehalten und hungrig. Auf diese Weise ist ständig für ausreichend Fleisch, pardon "Content" gesorgt.

Die hehren Buchautoren und Schriftsteller werden sich jetzt die Hände reiben und sich womöglich freuen: Zum Glück bin ich nicht so eine arme Sau! Unsereins schöpft und schafft, echte Inhalte, womöglich Literatur. Und eigentlich haben sie sogar sozialpolitisch recht, denn z.B. in Frankreich, dem Kulturland (und sicher auch anderswo) wird bei der Sozialversicherung ein riesiger Unterschied gemacht zwischen Autoren, die wirkliche Inhalte schöpfen - und eben diesen Contenttypen.
Träumt weiter, liebe Besserschreiber!

Wer aufwachen möchte, dem empfehle ich, sich einmal den Spezialsprech aus der Buchbranche auf der Zunge zergehen zu lassen. Da geht es um "Strategien" an der "Front" (der vordersten natürlich); um "Ebook-Kuchen", die wer immer sich teilen kann, um "Player" und "Kannibalismus" und vollsaftige Sprüche wie "Content is king". In diesem Fall stammen die Worte vom Droemer-Chef Hans Peter Übleis im Buchreport - aber er ist da nur typisch für einen Marketingsprech, der überall kursiert. Kurzum: Man kann natürlich auch mit den armen Contents... pardon Autoren, in der Buchbranche Geld machen, in Zukunft immer mehr. Um was für Märkte es da geht, können sich Laien vielleicht ein wenig vorstellen, wenn sie lesen, dass jetzt zwei internationale Handelsketten um den Reader-Markt kämpfen: Thalia und Fnac.

Während wir in good old Europe noch mühsam im Schweinestall misten und den möglichen Untergang herkömmlicher Bauern beklagen, sind die Amerikaner bereits wacher und weiter. Sehr viel technikaffiner, natürlich auch mit unbegrenzteren Möglichkeiten, denken dort die Autoren nicht nur politisch über ihre künftige Rolle nach, sondern auch wirtschaftlich. Es gäbe ja Alternativen zum Billigschnitzel, es gäbe auch den Direktverkauf vom Hof und vielleicht sogar die Bildung ländlicher Kooperativen. Die arme Contentsau wird aus dem Stall getrieben und darf sich unters Volk mischen. Jedem sein Schwein, direkt gefüttert.

J.A. Konraths Beispiel, das in der Huffington Post vorgestellt wird, ist nur eines von vielen derzeit. Der Autor ist bereits ein alter Hase in Sachen Ebook und als etablierter Schriftsteller längst erfolgreich im Geschäft. Ebenfalls keine Newbies sind seine Autorenfreunde, die nun so eine Art Schreib-Kooperative gegründet haben. Ihre Idee: Für Ebooks braucht man theoretisch keinen Verlag, weil die Technik kinderleicht für jeden machbar ist und in den USA auch bestens zu vertreiben (das funktioniert hier noch nicht so ganz mit dem Vertrieb). Trotzdem braucht man einen Verlag, weil eine Menge Leistungen ums Buch schlicht professionell gemacht sein müssen: Korrektorat, Lektorat, Grafik etc. - ich habe mehrfach hier darüber berichtet.

Nun sagen sich Konrath und seine Mitautoren: Ein richtig guter, erfahrener Autor kann auch lektorieren, nur eben nicht sich selbst. Da hat er recht, wenn man bedenkt, wie viele Autoren auch hierzulande nebenbei mit Lektorat Geld verdienen. Konrath macht das im Tausch: Lektorierst du mich, lektorier ich dich. Professionelles Endergebnis bei null Kosten, Autoren haben ja bekanntlich nicht so viel Geld. Dafür investiert die Gruppe dort in Fachleute, wo es eminent wichtig ist: Covergrafik und Buchformatierung. Die Rechnung, wie sie trotz des Investments zu höheren Tantiemen als im Verlag kommen, ist umso erstaunlicher, als die Gruppe ihr Ebook zum Spottpreis von 2.99$ anbieten will. Denn sie meint, die Herstellung eines Ebooks koste in der Tat weniger als die von Papierbüchern - und diese Ersparnis solle man an den Kunden weitergeben.

Auch der Zeitfaktor spielte für die "Schreib-Kooperative" eine große Rolle. Was macht man mit einem Buch, dessen Manuskript erst im September fertiggestellt ist, das aber bereits an Halloween erscheinen soll? Kein Problem für flexible Menschen ohne trägen Apparat hinter sich, kein Problem bei Ebook-Technik. Und keinerlei Probleme mit Verramschung - das Buch wird weltweit und immer erhältlich sein. Wer sich für diesen Weg interessiert, der findet im Artikel außerdem Tipps zum Marketing solcher Bücher.

Irgendwie erinnert mich das alles an die Musikbranche. Der "Ebook-Kuchen" ist serviert und alle möglichen Leute wollen eine Menge Geld damit verdienen. Wer aber Autoren und Schriftsteller zu "Contentlieferanten" degradiert, muss sich nicht wundern, wenn die Indie-Szene wächst. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir die gleichen Möglichkeiten wie in den USA haben. Und - das zeigt der Konkurrenzkampf zwischen der deutschen Thalia und der französischen Fnac: Auch für uns Autoren werden sich künftig die internationalen Märkte überschneiden. Vorbei die Zeiten, als Bücher nur im eigenen Land zu lesen waren.

18. Oktober 2010

Streik mit Mozart

Inzwischen weiß es wohl auch jeder im Ausland: In Frankreich wird tüchtig gestreikt. Und zwar nicht etwa, wie das verkürzt gern dargestellt wird, weil wir zu faul wären, bis 62 zu arbeiten, sondern weil der ganze kleingedruckte Rattenschwanz der Rentenreform für unsägliche Ungerechtigkeiten sorgt. Für Menschen, die körperlich hart arbeiten gegenüber Menschen mit Bürojobs, vor allem aber für Frauen gegenüber Männern. Kommt die Reform, wird es mehrere soziale Klassen von Rentnern geben und einen Anstieg der Altersarmut.

In dieser Woche soll sich der Streik verschärfen. Was ich immer wieder in solchen Zeiten bewundere, ist die spontane Solidarität unter den Menschen. Schon als das ungerechte Gesetz für die Einstellung Jugendlicher bereits beschlossene Sache war, gingen solidarisch alle Altersgruppen mit der Jugend und für die Jugend auf die Straße - auch diesmal spielen Alter und Beruf keine Rolle. Ich bewundere auch den Willen zur Basisdemokratie in einem Land mit einem sehr mächtigen Präsidentenamt - die französische Revolution hat eben Tradition. Man wählt, aber man lässt sich nicht alles von oben diktieren. Und auch diesmal halten die Menschen zusammen, wer nicht mitstreikt oder demonstriert, hat zumindest Verständnis und jammert nicht herum.

Und da stellt sich ein Gefühl ein, das ich aus Deutschland überhaupt nicht kenne. Man könnte es fast als eine Art Freude am Ausnahmezustand beschreiben, als die Fähigkeit, sich mit neuen Umständen zu arrangieren und zu improvisieren. Zeiten, in denen man kein öffentliches Verkehrsmittel erwischt oder in einer LKW-Blockade steckt, werden andersweitig genutzt, denn schließlich kommen ja alle irgendwie überall zu spät. Dass die Müllmänner nicht arbeiten, merkt man vielleicht daran, dass man frühmorgens nicht durch Gerumpel geweckt wird, also bleibt die Tonne einfach stehen, bis es soweit ist. Man schaltet das Radio ein, Nachrichten gibt es immerhin noch, wenn auch kein vollständiges Programm mehr. Da wird Strawinsky angekündigt. Und dann läuft nach der Streikdurchsage Mozart aus der Konserve - Streik eben, aber richtige Musik muss trotzdem sein.

Die Menschen rücken zusammen, reden wieder mehr miteinander und diskutieren. Vielleicht herrscht Verdrossenheit gewissen Politikern gegenüber, aber politikverdrossen sind die Menschen ganz und gar nicht. Man ruft sich gegenseitig an, wie es ergangen ist, was noch kommt - und tauscht Adressen und Ideen aus. Denn das Benzin wird knapp, der Streik der Raffinerien ist bis morgen früh um sechs auf alle Fälle festgelegt, vielleicht wird verlängert, keiner weiß das so genau. Manche Tankstellen haben kein Benzin mehr, manche haben welches, werden aber von Streikenden blockiert. Die Leute haben Verständnis. Grenzgänger bringen Benzin aus Deutschland mit und wenn es an anderen Dingen fehlen sollte, wird auch das irgendwie organisiert.

Und auch bei mir wird es so ein Festchen mit Freunden geben, mit heißen Diskussionen und messerscharfer Satire und Wein und gutem Essen und Wärme. Denn irgendwie habe ich es geahnt: Ich habe im letzten Moment noch Heizöl bekommen. Wenn es einem gut geht, muss man teilen, wenn man etwas hat, muss man feiern. Denn wer weiß, wie viele von uns im Alter hungern und frieren werden.

Ärger in eigener Sache

Es gibt einige, die bedauern, dass so viele meiner Bücher nicht mehr zu haben seien. Aber während es mit Büchern, die mir selbst am Herzen liegen (Elsass), mit rechten Dingen zugeht und nur etwas Zeit braucht, sie wieder zugänglich zu machen, hat mich eine andere Sache kalt von hinten erwischt. (Das Elsass-Hörbuch ist noch zu haben!)

Der frühere Lübbe-Verlag mit dem Imprint BLT, bei dem meine Romane erschienen, und dem Imprint Ehrenwirt, für das ich Auftragsbücher schrieb, hat sich vor einiger Zeit vollkommen umstrukturiert und nennt sich seither Bastei-Lübbe. Was die wenigsten LeserInnen wissen: Auch bei rein internen Umstrukturierungen können ganze Programme oder Bücher auf der Strecke bleiben. Das ist dann in etwa wie bei Fusionen oder Verkäufen von Verlagen auch: Die neuen Entscheider wollen nicht alle Bücher der alten Ära mitnehmen. Bei der üblichen Halbwertszeit in Publikumsverlagen erwischt das ein Taschenbuch natürlich noch schneller als ein Hardcover bei Verlagen mit starker Backlist.

Meine Bücher hat es fast alle erwischt (die anderer Autoren natürlich auch), sie passen ganz offensichtlich nicht mehr ins neue Konzept und sind wohl auch schon viel zu alt. Da ich außerdem schon länger nicht mehr für den Verlag arbeite, dürfte die Entscheidung leicht gefallen sein. Einerseits freue ich mich, dass sie über Jahre gelaufen sind - das ist ganz und gar nicht selbstverständlich für Taschenbücher einer unbekannten Autorin, die einfach so "auf den Markt gekippt" werden. Andererseits bin ich verärgert, dass ich von der Aktion durch meine Leser und Zufall erfahren musste, als sie längst gelaufen war. Ich bekam weder die vorgeschriebene Mitteilung noch die Gelegenheit, Restexemplare für mich zu kaufen. So viel zur Autorenpflege.

Was bedeutet das jetzt? Zum Glück liegen mir diese Bücher nicht ganz so am Herzen, aus Selbstschutz, denn es wird wieder unnötige Zeit ins Land gehen, bis die betreffenden Briefe geschrieben sind und die Rechte endlich wieder an mich zurückfallen. So lange kann ich über mein geistiges Eigentum leider nicht verfügen. Die Bücher sind also erst einmal "tot". Erst danach kann ich konkret darüber nachdenken, welches ich der Nachwelt erhalten wollte und in welcher Form.

Es klingt vielleicht bitter, aber so langsam macht mir dieses System keinen Spaß mehr. Wenn ich heutzutage bereits bei der Unterschrift unter einen endlich ergatterten Vertrag darum beten muss, dass der betreffende Verlag noch möglichst lange in seiner Form überleben wird, dann wird das immer mehr zu einem Risikospiel, das mit Inhalten und Können absolut nichts mehr zu tun hat. Ein Spiel, das es in anderen Ländern übrigens nicht gibt, weil dort Autoren ihre Rechte behalten können.

Inzwischen sind von mir neun Bücher erschienen, mit Lizenzen vierzehn. Davon ist nur ein einziges Buch auf normalem Wege vom Markt verschwunden, weil eine Reihe nicht mehr weitergeführt wird. Ein Buch hat einen Verlagsverkauf überlebt und ist vom neuen Eigner in die Backlist übernommen worden. Fünf Bücher jedoch verschwanden vom Markt nur deshalb, weil die betreffenden Verlage entweder fusionierten oder verkauft oder umstrukturiert wurden. Fünf von neun Büchern wurden nicht Opfer ihrer Inhalte, sondern Opfer rein firmentechnischer Entscheidungen. Davon hält übrigens mein erstes, ursprünglich sehr erfolgreiches Buch einen traurigen Rekord: Ich bekam meine Rechte nach fast zehn Jahren (!) und einem elenden Schriftverkehr endlich vom dritten (!) Verlagskäufer zurück.

Ich bin kein Einzelfall und ich habe enormes Glück. Viele Kolleginnen und Kollegen mussten sich mit Insolvenzverwaltern um Honorare streiten oder mit Anwälten mühsam recherchieren, auf wen denn nun ihre Rechte übergegangen waren. Manche hat das sehr zermürbt. Mir ist das zum Glück immer erst passiert, wenn ein Buch schon eine Weile am Markt war. Wenn ich aber die Rechnung aufmache, wie lange ich dafür hart gearbeitet habe - und welchen Preis man für das Schreiben persönlich zahlt, dann habe ich das Gefühl, dass irgendetwas im Getriebe knirscht. Es macht mich traurig. Und immer vorsichtiger.

Über eines bin ich jedoch froh: Dieser Zustand von "toten" Büchern war einmal. Dank neuer Techniken kann ich mein hoffentlich bald anbrechendes "Sabbatsemester" nicht nur für den Nijinsky verwenden, sondern mir außerdem einen Plan für eine ganz persönliche Backlist erstellen (natürlich müssen erst die Rechte an mich zurückgegeben sein). Welche Bücher will ich wieder ins Leben bringen und in welcher Form? Was könnte die LeserInnen noch interessieren von diesen "alten Schinken"? Oder sollte man ältere Bücher wirklich radikal sterben lassen? Es ist schön, dass es diese Möglichkeit der Entscheidung inzwischen gibt. Aber es ist ein sehr seltsames Gefühl, dass ich damit eigentlich längst selbst zum Verlag mutiert bin.
Die nächste Unterschrift unter einen Vertrag, die in Sicht sein könnte, wird mir jedenfalls nicht mehr leicht und freudig von der Hand gehen.

Immerhin hat das Ganze auch einen Aspekt zum Lachen: Ausgerechnet meine beiden Zitatesammlungen, die ich unter dem Pseudonym Viola Beer sozusagen beim Frühstück zusammengekleistert habe, laufen immer noch. Aber die Zitate sind ja auch nicht von mir...

16. Oktober 2010

The silliest Writer's Manual

Ich will endlich auch mal. Ich will endlich auch mal bekannt werden mit diesen überschlauen, heiß begehrten und gefeierten "Writer's Manuals", die in sieben, zehn oder elfeinhalb Punkten die Kunst des Berufes so auf den Punkt bringen, dass sich Grammatikunterricht und Persönlichkeit erübrigen. In den USA wird solch Schlauschwätz haufenweise in Zeitungen abgedruckt, in Social Media abgedrückt - und macht seine Autoren schnell berühmt, wenn sie es schon nicht mit einem eigenen Buch schaffen.

Der Vorteil dieser Ratgeberlisten: Man hat nicht viel Arbeit damit, aber eine verdammt gute Grundlage, verdammt teure Seminare und verdammt idiotische Ebooks an eine gierige Fangemeinde zu vertickern, die man mit ein wenig Geschick leicht zur religiösen Bewegung ausbauen kann. Und was so ein echter Guru ist, der verkauft dann auch seine eigenen, verdammt ungefragten Bücher wie Gott sein Manna. Ich will also auch mal.

Mein Führer ins Himmelreich erfolgreichen Schreibens, spiritual, healing, transformative, fun, delightful and full of everything and more

1. Putze öfter mal unter deinem Bett. Deine innere Stimme ist nicht dieser Typ im Hinterkopf, der dir dreimal täglich sagt, Spione aus CIA-Verlagen verfolgten dich. Es ist auch nicht dieser knubbeldicke kleine Lektor vor deinem dritten Auge, der nach jedem Essen "Zielgruppe!" brüllt. Deine innere Stimme ist dieses kleine, unterernährte, traurig anzusehende, vor Angst zitternde Ungeheuerchen namens Alp, dass sich zwischen Wollmäusen, Staub und abgeschnittenen Fingernägeln in der Dunkelheit unter deinem Bett versteckt.

2. Frag Tante Erna. Bevor du diese grandiose, weltbeste und nie zuvor dagewesene Idee in Schrift umsetzen und als Geißel auf die Menschheit loslassen willst, frag Tante Erna, was sie davon hält. Lobt sie dich, lass die Finger davon. Menschen mit besonders vielen lobenden Verwandten und Freunden kommen nie bei echten Verlagen unter. Bietet sie dir daraufhin ihr eigenes Tagebuch an, mach vielleicht lieber einen Kochkurs. Sollte sie dich jedoch umgehend enterben, könnte aus der Idee etwas werden.

3. Denk an die magische Drei. Sage und schreibe nie: "Wollte mit fünf Jahren immer schon Schriftsteller werden." Die unmöglichsten Typen, die gescheitertsten Schreiberlinge hatten mit fünf Jahren nichts Besseres zu tun und deshalb lernen deutsche Kinder auch ab sechs Jahren das Buchstabieren. Geh weiter zurück. Was wolltest du mit drei Jahren werden? Früh übt sich, wer ein Meister werden will! Du erinnerst dich nicht? Dann ergreife lieber einen der Berufe, die gescheiterte Schreiberlinge im Alltag ausüben.

4. Kaufe rote Gummibärchen. Du hast Angst vor dem weißen Blatt? Du fürchtest dich vor deinem eigenen Mut? Du zauderst vor dem bösen bösen Publikum, das dich gleich fressen will? Dann beiß ihm den Kopf ab - dem roten Gummibärchen. Von den berühmtesten Schriftstellern können wir lernen, dass Drogenkonsum zwar die Jahre bis zur Rente verkürzt, aber doch ganz hippe Bücher fördert. Ertränke deine gelben Gummibärchen in Wodka; lass die blauen kiffen, bis sie umfallen; füttere die grünen mit Tonnen von Schokolade. Aber beiß, verdammt noch mal, nur den roten den Kopf ab.

4 1/2. Schummelst du? Spiel eine Runde Mensch-ärgere-dich-nicht mit Freunden. Wenn du schummelst, brüllst und vor Freude oder Häme hemmungslos kreischst, hast du Potential, im Handumdrehen fiese Charaktere zu kreieren.

5. Blogge: It's showtime! Schreiben ist Psychoarbeit. Schreiben verlangt die Konfrontation mit den eigenen Schatten. Damit du das eines Tages fiktiv an Figuren im Buch beherrschst, blogge vorher so viel wie möglich über deine peinlichsten Seelenzustände. Erzähle potentiellen Lesern, woher deine Depressionen kommen und warum du als Kind mit dem Klammersack gepudert wurdest. Kotz dich in deinem Blog aus, wenn es dir nicht gut geht, wenn die Welt schlecht ist oder wenn du wieder eine deiner Marotten hast. Merke: Jeder deiner Blogleser wird dadurch sofort verstehen, warum dein Herzensprojekt nie zum Buch werden wird.

6. Belohne dich selbst. Du hast es geschafft, eine leere Seite Papier auszuhalten? Einen Tag lang? Sogar zwei oder drei? So viel Durchhaltekraft hat eine Belohnung verdient. Nimm die leeren Seiten und drucke darauf Passagen aus deinen Lieblingsbüchern aus. So einfach ist das, Seiten zu füllen! Du kannst es also auch künftig anderen überlassen.

7. Bastle eine Wachspuppe. Schau dir zuvor den Kerl genau an: den inneren Zensor. Das ist der wilde Typ, der dir Steine in den Weg legt, der dir sagt, du müsstest vor dem Schreiben erst deine Fingernägel schneiden, den Hund und den Mann füttern, die Lektorin befriedigen, die Zielgruppen einladen, den Duden studieren und Exposés schreiben. Forme den inneren Zensor in Wachs. Erfülle Schritt 1. Stecke die unterm Bett gefundenen Fingernägel in die Wachspuppe. Verbrenne sie unter Zuhilfenahme deines Manuskripts. In der Regel müsste sich danach wenigstens deine Wohnung freier fühlen.

8. Prüfe die Protagonistin. Ist deine fiktive Hauptfigur auch wirklich eine starke Frau? Prüfe dein Manuskript daraufhin inständig. Solltest du weder eine Hauptfigur noch ein starkes Weib noch Fiktion finden, schreibst du aller Wahrscheinlichkeit nach ein Sachbuch. Bleib stark.

9. Keine Plagiate! Wenn dir absolut nichts einfallen will, schreib nicht das Telefonbuch ab. Das haben schon andere vor dir versucht. Aus der letzten Telefonbuchsammlung wurde eine Anthologie namens Bibel. Du willst nicht wirklich deinen Protagonisten bis ins siebte Glied mit dem Antichristen in Konflikte stürzen. Nimm wenigstens das Telefonbuch von München, da hast du gleich ein paar sakrische Verlagsnamen drin.

10. Kannst du dir sparen! Ehrlich. Wenn du nicht mindestens eins meiner verdammt teuren Seminare belegt  oder mindestens eins meiner verdammt idiotischen Schreibratgeber-Ebooks gekauft hast, wird aus dir nie ein ordentliches Schreibersektenmitglied. Mach es wie Tante Erna. Schreib Tagebuch und nerve Verlage damit. Sollen sich andere mit dir herumärgern.

13 3/4. Finde keinen Verlag und werde trotzdem berühmt. Denn auch ich habe mit diesem essentiellen, überragenden, supereffektiven, zielguppengerichteten, trendigen Schreibratgeber eines starken Weibs als Hauptautorin keinen Verlag gefunden. Trotzdem möchte ich wetten, dass mindestens drei verdammt beeinflussbare Typen dieses Machwerk zur Vergrößerung meiner Berühmtheit weiterempfehlen werden.

11. Do it!

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Empfehlungen

Ich mache es faul und kurz heute - drei Empfehlungen gibt es:

Ein Interview des Goethe-Instituts mit dem Georg-Büchner-Preisträger Reinhard Jirgl, der sich hochinteressante Gedanken um Sprache und Schreiben macht. Freunde von Schreibratgebern und geglätteten Büchern wird er ebenso aufmischen wie Lektorate, die nach Zielgruppen schreien, wenn er sagt:
"Ansonsten finde ich das Gerede vom „Publikum“ überhaupt bedenklich. Das Publikum oder die Zielgruppe ist ein Vermassungsbegriff aus der Werbung, der mich an die Terminologie von Diktaturen erinnert."

Ein Interview der Frankfurter Rundschau mit dem Feuilletonisten und Schriftsteller Fritz J. Raddatz, in dem er eindrucksvoll zeigt, warum das Feuilleton heute nicht mehr richtig funktioniert:
"Man rast hinter einem Pseudoereignis wie Fräulein Hegemann her, die so viel Aufmerksamkeit ganz sicherlich nicht wert ist, und vergisst dabei einen so wichtigen Autor wie Kurt Drawert. ... Es fehlt die Ruhe, ja die Beschaulichkeit, die man braucht, um über Kunst nachzudenken und zu schreiben."
Und zum Glück hat er einige kluge Ideen, wie man aus dem Zwang aussteigen kann, sich zur Verwertungsmaschine machen zu lassen - nicht nur für Feuilletonisten geeignet.

Ein Filmtipp von mir im Nijinsky-Blog - über Jugendliche, Multikulti und ein Projekt über die Liebe.

14. Oktober 2010

Freu mich wie Bolle

Das war vielleicht ein Morgen! Wie die ganzen letzten Tage schien früh eine herrliche Oktobersonne durch den Nebel, den die Wiesen ausdampften. Und irgendeine weise Voraussicht hatte mich ein Elektroöfchen im eisigen Nordbüro einschalten lassen, nach ganzen zwei Grad Nachttemperatur. Dort saß ich dann bei dampfend heißem russischen Samowartee, öffnete meine Mailbox und freute mich ... wie eine Schneekönigin, sollte ich angesichts der Temperaturen wohl eher sagen.

Mein wahnwitziges Konzept für den Nijinsky geht auf. Als klar war, dass ich bei den Inhalten keinerlei Rücksichten mehr nehmen musste, wurde ja ein Konzept geboren, das ein bißchen etwas von den "Extras" auf einer DVD hat und das Buch absolut einzigartig machen wird, selbst wenn dreißig Bücher zum Thema gleichzeitig erscheinen sollten. Und weil ich allein nicht einzigartig genug bin für so ein großes Thema, brauchte es natürlich Verbündete. Die habe ich nun. Schöner sogar als in meinen ursprünglichen Plänen.

Auch wenn das vielleicht eingebildet klingt: Ich bin in diesem Moment richtig stolz auf mich und strahle. Denn ich muss zugeben, die Idee, die bei einem Essen mit russischen Musikern und amerikanischen Musikmäzenen in meinem Hinterkopf Platz verlangte, kam mir selbst zunächst viel zu verwegen und undurchführbar vor. Hätte ich mich anschließend mit so einer Idee noch frisch bewerben müssen, wäre sie unter Garantie ganz schnell während dieses Vorgangs von Dritten abgemurkst worden. Stattdessen gab ich ihr die Chance, mich selbst zu überrumpeln.

Wirklich, das war so. Meine Idee war mir immer einen Schritt voraus, flüsterte mir Dinge ein und ließ mich wie in Trance zu Telefonhörern greifen. Und wenn dann etwas nicht klappte wie geplant, überschlug sie sich und gab mir noch viel bessere Alternativen ein. Mutig preschte die Idee nach vorn - Widerstand war zwecklos. Und so ist das wohl, wenn man eine Vision hat und einfach macht - macht, ohne zu fragen, ob man das Richtige tut, ob sich etwas verkauft oder nicht und wie und wenn .... und ohne all diese Aber zu rezitieren, mit denen man sich bekanntlich selbst am besten im Weg steht. Machen und begeistern. Und es funktioniert.

Schlimmer noch: Meine Idee verändert mich. Ich möchte noch mehr solche Bücher machen. Weil sie dem eine ideale Form geben, was mir einmal für eine Zukunft vorschwebte, als ich mich mit dem Rosenbuch in neue Gefilde begab. Und was vor ein paar Jahren noch wie Zukunftsmusik klang, ist nun machbar. Zeit, Umstände, neue Techniken und Formen - auf einmal scheint alles zusammen zu stimmen.

Meine Leserinnen und Leser müssen sich dagegen leider in Geduld üben. Das Geheimnis wird erst kurz vor Erscheinen gelüftet werden. Und hier im Blog werden in der nächsten Woche die substantielleren Beiträge leider etwas abnehmen. Ich stecke wider Erwarten immer noch im Übersetzungslektorat (eine Mammutarbeit) und möchte mich daneben in die Arbeit am Nijinsky-Projekt einstimmen. Denn der bereits stehende Text ist jetzt nur noch ein Teil des Buchs. Ich habe noch nie derart ungeduldig die Produktion eines Buchs erwartet...

12. Oktober 2010

Lebenslänglich lernen

Eben hatten wir es im Blog noch von Meisterklassen und ein Leser hat mir den Link zu einer kleinen Videoperle geschickt: Lotte Lehmann zeigt in ihrer Meisterklasse 1961, wie man den Monolog der Marschallin im Rosenkavalier auch ganz ohne Stimme geben kann - sie ist zu dem Zeitpunkt 73 Jahre alt:



Leo Slezak schrieb über sie:
„Sie besaß das Geheimnis, das einzige Geheimnis, das wir haben: Herz. Ein Ton, der aus dem Herzen kommt, geht dem Hörer zu Herzen, vielleicht weiß er nicht einmal, was eigentlich ihm solche Freude bereitet, was ihn so zufrieden und glücklich macht.“
Ich denke, das ist eines der Geheimnisse von Kunst überhaupt - und durchaus auf das Schreiben anwendbar.

Fast lächerlich nehmen sich dagegen all die Schreibratgeber und Medienbeiträge aus, die angehenden Autoren so etwas wie eine Bestsellerformel aufschwatzen wollen und allerlei Checklisten verkaufen, womit man denn nun den großen Erfolg erreichen könne. Das SZ Magazin schlägt nun in die gleiche Kerbe, dreht aber den Spieß um: Während die großtönenden Ratgebertypen ja in den seltensten Fällen außer ihrem Ratgeber tatsächlich einen Bestseller geschafft haben, geschweige denn einen erfolgreichen Roman, befragt die Zeitung lieber gleich erfolgreiche Autoren.

Und siehe da, die Ratschläge der großen Kolleginnen und Kollegen sind so ganz anders! Natürlich ist da viel Unsinn dabei; etwa, dass man abends Schokolade für den Bestseller bräuchte oder dass beim Überarbeiten des Buchs Blut fließen müsse. Aber der Rest der Ratschläge von Leuten wie Margaret Atwood, Jonathan Franzen oder Joyce Carol Oates zeigt doch, wie einfach es im Grunde ist, ein richtig gutes Buch zu schreiben, wenn man denn...

Mein Favorit ist Margaret Atwood. Besser noch als ihr titelgebendes "Zur Not schreiben Sie auf den eigenen Arm" finde ich die herrlichen Ratschläge zum richtigen Verwenden von Stiften. Überhaupt scheinen mir die englischsprachigen Autoren in dem Beitrag sehr viel humorvoller als ihre deutschen Kollegen - und mit diesem berühmten Lachen über sich selbst - ans Werk zu gehen. Vielleicht liegt auch darin ein Geheimnis für gute Bücher: Sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, locker zu bleiben. Und womöglich zu leben, was Jonathan Franzen sagt: "Man muss erst lieben, bevor man unnachgiebig sein kann."

Eben erhalte ich per Twitter (aufmerksame Mitleser!) den Hinweis, dass die SZ einige der Beiträge ohne Quellenangabe beim Guardian geholt hat, der die Serie schon im Februar brachte. Das wurde dann mit den deutschen Autoren aufgehübscht. Selbst wenn man Fremdartikel einkaufen sollte, sollte eine Quellenangabe nicht fehlen: Qualitätsjournalismus 2.0...

Immer wieder dazulernen kann man auch als Leser. Etwa, wie man schöne Bücherperlen im Dschungel der Neuerscheinungen aufspüren kann, den ja selbst Insider kaum noch durchdringen. Matthias Brömmelhaus zeigt in seinem Blogbeitrag "Das Lob der Unabhängigen", wie so ein Weg aussehen mag. Und passend zu seinem Ratschlag, sich öfter einmal die Websites der Independents anzuschauen, verweise ich auf meine eigene Blogliste "Feine Verlage entdecken" (rechts im Menu), die immer mal wieder Zuwachs bekommt.

11. Oktober 2010

Bücher wie Badesalz

Eigentlich ist es längst ein alter Hut, weil in der Branche bekannt: Der Erfolg von Büchern wie Autoren wird zunehmend vom Geld bestimmt und die Marktkonzentration macht es Finanzschwächeren immer schwerer. Trotzdem ist der FAZ-Artikel "Das Thalia-Prinzip: Ködern und kassieren" lesenswert. Und vielleicht zeigt er den Leserinnen und Lesern, das sie mit ihrem Einkaufsverhalten nicht nur beim Salami-Discounter über das Wohl und Wehe derer entscheiden, die die Ware herstellen.

Weil ich zufällig für mein nächstes Buch auch bei Douglas herumgeschnüffelt, pardon, recherchiert habe (die Ballets Russes kann man nämlich heute noch riechen), ist mir ein richtig schöner Coup eingefallen, falls ich frecher wäre. Ich könnte nämlich gewisse edle Parfumfirmen fragen, ob sie mir nicht einen Regalplatz für mein Buch sponsern würden. Ich würde es gern neben Shalimar legen. ... Ach, ich bin im falschen Laden???

10. Oktober 2010

Lesen mit einem Promi

Noch eine Anekdote aus meiner Übersetzungsarbeit, die zeigt, wie markttüchtig die Leutchen früher waren...
Preisfrage: Wie kommt man als Unbekannter zu einer Lesung mit einem Promi?

Das geht so:
Der aufstrebende junge Literat 00 geht zur Buchhändlerin seines Vertrauens und flüstert ihr zu, der berühmte Literat XY wolle unbedingt die Gedichte von 00 bei einer Lesung hören - und nichts eigne sich besser für ein solches Event mit dem Giganten als ihre wunderbare Buchhandlung.
Weil besagte Buchhändlerin sehr aktiv in Sachen Lesungen ist, wird sie zustimmen, zumal XY ihre Buchhandlung beehren wird. Verlockend.

Jetzt geht 00 ganz frech zu XY. Und steckt dem das große Geheimnis, die absolute Überraschung. Die Buchhändlerin, die auch ihm ein Begriff sein dürfte, habe doch tatsächlich den Wunsch geäußert, sie beide gemeinsam bei einer Lesung hören zu können. Ihn als den großen Meister - und 00, das kleine Lichtlein, das in seinem Beisein zum ersten Mal ein Gedicht vorlesen dürfte.
Von so viel Bauchpinselei ist XY betört und sagt zu.

Die Protagonisten des realen Schauspiels:
Adrienne Monnier, Buchhändlerin in Paris
Jean Cocteau als Monsieur 00
André Gide als großer Meister.

Zur Nachahmung ... empfohlen???

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Alles nur Casting?

Es soll schon vorgekommen sein, dass ein junger Mensch auf die Frage, was er mal werden wolle, herausplatzte: "Ganz schnell reich und berühmt mit ganz wenig Arbeit." Und das ist sicher ein effektiver Weg in die Frustration oder die Mafiakarriere. Dumm, dass nicht jedes Mädchen als Paris Hilton geboren wird - Fußball ist fürs Berühmtwerden vielleicht nicht so der große Bringer, solange Frauenfußball nicht ebenso gefeiert wird wie Männerfußball. Und nicht jeder Junge lechzt danach, ausgerechnet in die Politik zu gehen und Skandale zu fabrizieren. Also bleibt neben der Mafia nur noch der Beruf des Stars. Und Stars, das lernen wir in glitterbunten Castingshows, sind so ähnlich wie Barbie und Ken: Man kann sie überall kaufen.

Gewiss, auch früher wollten junge Leute als Tänzer, Maler, Sänger, Schriftsteller, Schauspieler oder Musiker berühmt werden. Aber im Unterschied zu der Quälerei in alten Zeiten wünscht man sich das heute am liebsten im Wochenendseminar inklusive Rundumerleuchtung, ohne viel Schmerzen, Leiden und vor allem - ohne langes Warten. Ohne Geduld und Hartnäckigkeit. Ohne Disziplin und Maloche. Das sind aber gar nicht die Kids, denen die Realität in dieser Hinsicht verlorengeht - es sind die Erwachsenen, die ihnen vormachen, große Künstler würden genial geboren und müssten nur noch entdeckt und gehypt werden.

Ähnlich reißerisch - das Publikum schreit ja danach - war die dreiteilige Miniserie "Meisterklasse. Die Opernprofis von morgen" auf 3sat angekündigt worden, die gestern abend anlief. Ihr Anspruch: Die raue Wirklichkeit zu zeigen, die harte Auswahl und Arbeit der jungen Sänger, die uns die Castingwelt wohlweislich verschweigt. Olivia Hagemann begleitete dafür sieben junge Opernsänger aus ebenso vielen Nationen, die eine große Hürde bereits geschafft haben: Sie sind in die Meisterklasse von Laurent Pillot im Opernstudio der Bayrischen Staatsoper ausgewählt worden. Jeder von ihnen weiß, dass sich hier ihre Wege trennen könnten: vom völligen Scheitern bis zum Einstieg in eine Solistenkarriere ist alles möglich. Sie alle sind mit Mitte Zwanzig schon weit auf ihrem Weg gegangen, aber jetzt lasten auf ihnen der Druck der erlesenen Talentschmiede und die Realität der Bühnenauftritte mit den wirklich Großen.

Für Laien und Kunstinteressierte, vor allem junge Leute, ist die Dokumentation reich an Einblicken. Denn wer weiß schon, dass ein Sänger nicht einfach dasteht und singt, sondern auch Schauspieltechniken, Körpertechniken und vor allem Sprachen lernen muss? Wer macht sich im normalen Leben schon Gedanken darum, wie das ist, wenn man wild zusammengewürfelt aus allen Ecken und Enden der Welt, auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen, auf der Bühne Höchstleistungen vollbringen soll? Wie das ist, wenn man auch das Privatleben miteinander teilt, weil man aus dem Leben der "Normalen" herausfällt und weil Familie und Freunde weit weg sind? Was ist das eigentlich, "Künstler" zu sein, warum ist man da "anders", was ist "anders" - und was wird von einem verlangt? Was sind das für Menschen, die sagen, sie könnten nicht anders, sie müssten einfach singen, müssten einfach für die Bühne leben? Und warum wird in der Meisterklasse nicht einfach nur Handwerk und Können entwickelt, sondern vor allem die Persönlichkeit - mit allen Härten, die das mit sich bringt?

Nicht nur für Opernfreunde ist die Serie empfehlenswert. Das Handwerk mag von Kunst zu Kunst völlig unterschiedlich sein, die Entwicklung von Künstlern jedoch ist universell. Es gibt eine Menge auf andere Künste übertragbare Mechanismen, vor allem, was die Ausbildung einer "Künstlerpersönlichkeit" betrifft. Genau deshalb beschäftige ich mich ausgiebig und gern mit solchen Seitenblicken. Denn wir Schriftsteller kranken wohl als eine der wenigen Sparten daran, dass es weder eine fundierte Ausbildung gibt, noch das obligate Üben und Trainieren von Kindesbeinen an. Was ich persönlich aber am meisten vermisse: Wir haben keine Meisterklassen. Als glaubte man, in unserem Beruf, der noch nicht einmal als einer anerkannt ist, falle man fertig vom Himmel und habe mit der Veröffentlichung die höchste Weihe erhalten. Als müsse man sich nach ein paar Büchern nicht mehr entwickeln. Die wenigsten, heute oft viel zu jungen und unerfahrenen Lektoren sind noch befähigt, einen Schriftsteller als Künstlerpersönlichkeit zu entwickeln. Im Tagesgeschäft ist das gar nicht mehr vorgesehen.

Ich spicke vor allem deshalb gierig von solchen Einblicken Wissen ab, weil ich am eigenen Leib erfahren habe, dass das Fehlen jeglicher Förderung (und Forderung), diese totale Freiheit, auch zu einer Menge Lebenszeitvergeudung führen kann. Natürlich lernt man am Leben, am eigenen Scheitern, an den Umständen, an genauer Beobachtung, durch Üben. Aber in dieser vermeintlichen Freiheit bleibt allzu oft die Entwicklung dessen auf der Strecke, was man "Künstlerpersönlichkeit" nennt. Meiner Meinung nach sagen uns zu früh zu viele Menschen, was sie erwarten, wie "man" etwas angeblich zu machen hat, wie "man" Erfolg haben könnte. Und so hilfreich Autorenforen in Fachfragen sein können - sie verschieben diese Einflussnahme auf einen noch gefährlicheren frühen Zeitpunkt, nämlich zu den blutigen Anfängern hin. Diese - für unsere Castinggesellschaft verständlich - suchen noch stärker als früher nach Patentrezepten und Handwerksformeln, nach Binsenweisheiten und Kollegentrost. Und sie vergessen dabei, dass sich Persönlichkeit vor dem Buch entwickeln muss - in einer sehr eigenen Weise.

Ich hätte gern in meinem Leben einen Maitre Pillot gehabt, der aus mir die Stärken herausgekitzelt hätte, der mich unerbittlich hinterfragt hätte und zu Höchstleistungen getrieben. Zum Glück sind mir immer wieder, oft nur punktuell, Menschen begegnet, die Ähnliches geleistet haben. Aber bis ich den süßen Sirenengesängen von Auflageversprechungen und Genremoden, von Handwerkskästen und Hammeltrieb widerstehen lernte, habe ich doch ziemlich viele Jahre verloren. So schön der technisch erleichterte Austausch unter Kollegen ist - im Ernstfall nützt es einem Lyriker nichts, wenn der Regiokrimi-Autor Ratschläge gibt. Im Ernstfall nützt es einer Autorin von Liebesromanen mit Mystery-Touch herzlich wenig, wenn die politische Literatin sich ihrer annähme. Man muss manchmal lange suchen, bis man Kollegen gefunden hat, die ähnlich arbeiten wie man selbst. Aber dazu muss man zuerst einmal sich selbst gefunden haben.

Ich wünsche mir Meisterklassen auch für Schriftsteller. Ein paar gute, punktuelle Ansätze gibt es ja bereits. Aber solange man glaubt, es könne doch sowieso jeder schreiben, weil man das in der Schule lerne; solange man glaubt, ernsthafte professionelle Schriftstellerei sei kein "richtiger" Beruf - solange wird sich nicht viel ändern. Es reicht eben nicht, ein paar Wochenendseminare bei etablierten Schriftstellern zu buchen und dabei auf Erleuchtung zu hoffen.

Gucktipp:
"Meisterklasse. Die Opernprofis von morgen" auf 3sat.
Fortsetzung am nächsten Samstag um 21:15 Uhr und am Samstag darauf um 21:40 Uhr
Lesetipp:
Das meiner Meinung nach beste Buch für Menschen, die sich mit dem Finden der eigenen Künstlerpersönlichkeit auseinandersetzen wollen und die über die Gratwanderung zwischen Kunst und Kommerz nachdenken - auch unabhängig von Musik:
Joe Jackson: Ein Mittel gegen die Schwerkraft, Satzwerk Verlag

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