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31. Juli 2009

Autoren + Verlage = Deppen

Ich vermelde es kurz und kommentarlos: Google hat endlich die Hosen heruntergelassen und verraten, was hinter dem Projekt Book Search tatsächlich steckt. Kritiker vermuten es ja schon länger. Über die Chuzpe, mit der hier Tatsachen geschaffen werden, kann einem aber die Spucke wegbleiben.
Unbedingt den Artikel "Operation Parasitenverlag" in der FAZ lesen!

Das wird vielleicht die Entscheidung vor dem Stichtag für das Google Book Settlement erleichtern und die Vorsicht bei Verlagsverträgen auf beiden Seiten schärfen.

Update:
Es wird immer besser. Der Engineering Director Dan Clancy erklärt im Interview Google's Vision und gibt offen zu, dass die sich vom noch nicht einmal geregelten Settlement mit Verlagen und Autoren grundsätzlich unterscheide. Das nämlich betreffe doch nur die Vergangenheit und rechtefreie vergriffene Bücher (sieh da, sieh da...). Hier das Interview im Original.

In Clancy's schöner neuer Welt werden digitale Bücher kein Besitz der Leser mehr sein, sondern nur noch in einer "digitalen Wolke" auf Google-Servern existent (damit wären Amazons Probleme beseitigt). Leser wünschten sich diese Wolke! Seine Gottvatergedanken um die Wolke sind besonders lesenswert...

Den stationären Buchhandel sieht er als "wunden Punkt im Bücherökosystem". Überhaupt hält er die Diversivität einer freien Wahl zwischen unterschiedlichen Lese- und Handelsformen für negativ.

Googles Vision lässt sich als Lehre von der Dreifaltigkeit einfach auf einen Nenner bringen:

  • alle Buchhändler schließen sich Gottvater als Überbuchhändler dieser Welt an.
  • alle Verlage verpartnern sich mit Gottvater als Überverlag zum Heil der Lesewelt.
  • alle AutorInnen fallen auf die Knie, singen Halleluja und unterschreiben als Gottvaters Schäfchen den Gottvaterparagraphen in Verlagsverträgen
Und siehe, es kam die Große Wolke über sie und sie erschauerten heftig. Ommmm.

Fällt mir grade ein Plot für einen Science Fiction ein: Scientology organisiert einen Aufstand von Piratenautoren, die in geheimen Aufbereitungslagern Bütten schöpfen und darauf Romane mit ihrem eigenen Blut schreiben. (Plot zu verschenken, ähm, oder was wollte ich damit wohl wirklich sagen...)

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30. Juli 2009

Trend zum Luxusbuch?

Es klingt trotz Krisenmeldungen erfreulich: Die Deutschen setzen wieder hemmungslos auf kleine, besonders exquisite Luxusmarken und geben lustig Geld aus. Im Trendbericht 2009-2010 heißt es, der Kunde habe das breite Einheitsangebot satt und wolle sich wieder vom Außergewöhnlichen begeistern lassen. Trotz Krise werde am liebsten dort gekauft, wo edelste Qualität und feinste Herstellung sich mit mutigen Avantgardeinhalten verbinden.

Die Zukunft liege bei weniger Mainstream und stattdessen limitierten Sondereditionen; der Kunde suche Individuelles, Persönliches. Und man glaubt es kaum: Berühmte Klassiker würden für ein junges Publikum neu interpretiert! Die Häuser der Hersteller besännen sich wieder auf Tradition.

Ach, war das Aufwachen schrecklich, als ich merkte, dass ich einen Trendbericht für die Parfümeriebranche in der Hand hielt. Es wäre so schön gewesen...

weggeklickt

Manchmal scheint morgens die Sonne und der Tag ist trotzdem restlos versaut. Auf der Suche nach Frühstück stellte ich fest: Mein Lieblingsbäcker hatte dicht gemacht, der mit Handarbeit, Tradition und Biomehl. Sein Holzofenbrot hat einfach die Quote nicht rausgehauen, die er gegen die Fertigpizza der Bäckerkette gebraucht hätte. Und als ich zur Erdbeermarmelade greifen wollte, verkündete mir ein Schild am Regal, Sauerkirschgelee sei zum Brummer des Jahres gewählt worden, ich möge doch bitte meinen Geschmack umstellen. Wie lange würde es dauern, mit Hilfe der Verbraucherzentrale Hunderttausende von gefälschten Klicks vom Verband der Sauerkirschzüchter nachweisen zu können? Ich hatte es eilig und griff ins Trendregal auf Augenhöhe: Nutella auf Tilsiter. Ich spülte das Zeug mit Todesverachtung und einem Rest Nischen-Espresso aus der Onlinebörse der Zu-Spät-Gekommenen hinunter. Wer für diesen Gaumenschmaus was für ein Skript gebastelt hatte, wollte ich besser nicht wissen.

Dann rief irgendein Verlag an. Ich sollte doch endlich mal was dafür tun, zugriffiger zu werden. Oder meinte der Mann zugegriffener? Mehr Klicks, mehr Bücher, gute Autorin! Ich hörte mir seine Vorschläge an. Vielleicht könne ich meinen rothaarigen Hamster mit Sascha Lobo verloben? Man könne sogar meine Buchtitel ändern: Statt "Stechapfel und Belladonna" vielleicht "Lobotomie an HappySchnitzel"?

Im Moment sei ich intellektuell attraktiv wie Erdbeermarmelade, eine so miese Quote könne sich nicht mal Ulla Schmidt im Sommerloch leisten. Und ob ich etwas dagegen hätte, dass man meine Erzeugnisse jetzt bei Google-Books mit Google-Trends kreuze und mir die Klickliste stündlich zutwittere. Damit ich schneller informiert sei, wenn man verramsche, wegen der Lagerhalt... pardon der Followerleichen.

Der nächste war mein Banker, also der Mann von der Bank, die noch existiert, weil sie so irre viel Profitklicks gemacht hat. Sie hätten gerade die Beliebtheitsrate für Eingänge auf meinem Konto überprüft, das sehe haarsträubend aus. Zwar sei ich nicht im Minus, aber eine Quote von Zahlungen, die deutlich über der Quote von Einzahlungen liege, müsse genauso geblockt werden wie ein Twitteraccount, bei dem man Zehntausenden hinterher rennt, ohne selbst verfolgt zu werden. Gerade wollte ich ihn damit umgarnen, dass ich einige Live-Auftritte zu erwarten hätte...

Aber dann fiel mir siedend heiß ein, dass die Veranstalter in letzter Minute reihum meine Termine storniert hatten. Einer sagte ab, weil das Zielpublikum sich geändert habe: "Die wollen einen abgehalfterten Kerl, zwischen 20 und 22, mit langjähriger Businesserfahrung, MBA und Lizenz zum Predigen." Der nächste machte es nicht unter einer Twitter-Miss, Miss France oder Fernsehtusse. Es sei denn, Sie bringen Ihren Hamster und ... Danke, hatten wir schon mal! Und dann der: "Sie haben nur 133 Follower und schmeißen ständig welche raus. Wie sollen wir dann einen Saal mit 200 Leuten füllen?"

Der Tag hätte wenigstens sanft zu Ende gehen können. Wenn mich nicht meine Offline-Freundin gerade angerufen hätte, sie könne heute abend nicht mit mir ausgehen. Drei andere hätten sie schon angeklickt.

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28. Juli 2009

Musik und die Pausen

Irgendwer hat mir mal gesagt, es gäbe unter den Schriftstellern Maler, Architekten, Musiker etc.
Ich muss wohl Musikerin sein. Meine Rohtexte, wie ich heute einen in die Tasten gehauen habe, klingen nie richtig. Erst wenn Rhythmus und Melodie genau aufeinander abgestimmt sind, ist das Ding abgabereif. Die Methode, zu dieser Komposition zu kommen, ist einfach: ich singe, pardon lese laut, immer wieder. Wenn es partout hakt, versuche ich auch schon einmal, einen Text zu gehen und zu tanzen. Das aber nur heimlich...

Was dieser eigentlich überflüssige Beitrag soll? Ich will nur um Verständnis betteln, dass dieses Blog bis Mitte August zeitweise unter Verlangsamungen und Rhythmusverschiebungen leiden wird. Sprich, mein Abgabetermin am 15.8. hat mich fest im Griff - bis dahin muss ich noch die zweite Hälfte meines Hörbuchs schreiben. Hoffentlich liest meine Verlegerin nicht mit und fällt nicht in Ohnmacht. Ich WERDE fertig. Meine Leserinnen und Leser hier bitte ich um Geduld!

27. Juli 2009

Euphrodisiakum

Schreiben ist das schönste Euphrodisiakum der Welt! Eigentlich sollte ich in Abgabepanik verfallen, denn bis 15.8. muss mein Hörbuch fertig sein und bisher steht nur die Hälfte - rein an Seiten gezählt. Stattdessen sagt mir mein kleiner Finger, dass sich Dinge im Manuskript runden, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Denn meine größte Angst war, als ich unbeabsichtigt und zufällig ins hundertjährige Jubiläum der Ballets Russes fiel: Da schreiben doch alle anderen auch drüber und so viele, die mehr wissen als ich?

Kapitel 2 (von 4) war die schlimmste Herausforderung. Nur tendenziöses Material vorhanden, in allen Extremen, kaum objektive Aussagen. Daraus musste ich ein Bild herausschälen, das jenseits aller Aufgeregtheiten denkbar gewesen sein könnte. Irgendwie brachte mich mein kleiner Finger fast vom Thema ab, denn der hatte eine Parallele gefunden, die nicht hätte sein dürfen. Nun passiert das öfter, dass sich Künstler einer Zeit gegenseitig befruchten, ohne sich persönlich zu kennen - oder dass an verschiedenen Orten der Erde die gleiche Idee aufkeimt, weil die Zeit einfach reif ist.

Ich habe unwahrscheinlich viel recherchiert, sogar eine Wissenschaftlerin angesprochen auf Originalmaterial. Das ist leider noch nicht erfasst und so wird es noch Jahre dauern, bis man damit arbeiten kann. Da ich mir jedoch keins dieser Bücher leisten kann, an dem man zehn Jahre schreibt, nur um irgendwelche Entdeckermeriten zu kassieren, schraubte ich einen Gang zurück in - nennen wir es mal "begleitende Bilder". Ich habe aber nicht aufgegeben und nebenher weiter recherchiert. Doch die Verbindung zwischen X und Y, die so schön hätte sein können, war nicht zu finden. Dann hatte ich das Kapitel schon abgeschlossen und stieß im Internet auf einen einzigen winzigen Satz über eine unwichtige Nebenfigur, der mich wieder in eben jene Stadt führte.

Die Spur von dort aus warf mich fast um. Meine Theorie war im Prinzip gar nicht so übel gewesen. Ich hatte sie nur falsch herum vermutet. In der umgekehrten Richtung gesucht. Es gab keine beweisbare Verbindung von X zu Y, aber sehr wohl eine belegte, wichtige von Y zu X!
Ich denke, mit dieser kleinen Sensation habe ich das schwierigste und aufwändigste Kapitel schön rund und "anders" bekommen. Selbst wenn in diesem Jahr noch zehn Ballets-Russes-Bücher erscheinen sollten - das wird keiner haben, da bin ich mir sicher!

Jetzt kommt ein schön zu schreibendes Kapitel, in dem es sehr viel um Kunst geht, um Avantgarde. Ein Terrain, auf dem ich mich zu Hause fühle, weil ich jede Menge Altbekannte treffe. Trotzdem saß ich heute erst einmal ein wenig belämmert da, weil ich mir in meinem Plan unerklärlicherweise "Petruschka" von Strawinsky als Musik dazu aufgeschrieben hatte (nach Gefühl: "Klingt, wie sich das Kapitel anfühlt"). Wie bitte sollte ich von diesem bunten, volkstümlichen Ballett den Schlenker zur Avantgarde hinbekommen?

Ich schaue meine Notizen zur Materialsammlung an, die aus jener halb unbewussten, wilden Sammelphase stammt. Sehe einen Pfeil und "rech", mein persönliches Zeichen dafür, dass ich das noch eruieren muss. Schlage im Internet nach, falle bald um, weil ich bei youtube sofort das Original von 1924 sehen kann (Teil 1 / Teil 2)

Wie ich jetzt weiter vorgehe? Ich höre mir immer wieder Petruschka an. Schaue mir das Video an. Dann trinke ich einen Espresso - und ich weiß jetzt schon, es wird mir die ganz besondere Verbindung und Linie einfallen, die ich für mein Material brauche. Auch wenn Léger wahrscheinlich in meinem Buch nicht vorkommen wird und seinen Film lange nach Nijinskys Wegtauchen gedreht hat. Aber auf diese Weise finde ich meinen eigenen Einstieg und kann endlich vorwärtsschreiben.

26. Juli 2009

Der Butter und das IT-Girl

Den letzten und seit langem einzigen Duden habe ich mir mit der Rechtschreibreform gekauft (und lehne gewisse antietymologische und dämliche Schreibweisen immer noch ab). Seltsam für Spracharbeiter, wird mancher denken, aber es gibt ein schlagendes Argument: Alles, was man als Spracharbeiter nicht endlich sowieso gelernt hat, machen einem die unterschiedlichen Rechtschreibkonzepte der Verleger zunichte. Jeder hat da so sein eigenes Briefing, wie er es mit der Reform hält - da nutzt dann auch der Duden nichts.

Trotzdem schau ich gern in die neuen Ausgaben. Für mich als Emigrantin ist die Neuaufnahme von Wörtern immer wieder ein Quell der Heiterkeit. Deutsch ist immer noch meine Mutter- und Arbeitssprache, die Neuentwicklungen bekomme ich aber im Ausland nicht immer mit. Selbst Deutsch sprechende Elsässer benutzen eine etwas antiquierte und vor allem gebrochene Sprache. Bliebe das Fernsehen, ebenfalls eine Kunstsprache - und Live-Geschwätz in Talkshows mag ich mir nicht antun.

Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich in Polen lebte und Sorgen hatte, im Ernstfall ein funktionierendes Telefon zu finden, unseres soff mit jedem Regenschauer auf Wochen ab. Konnte ich dann endlich mit Freunden in Deutschland reden, hatten die es ständig ganz wichtig von einer "Faxweiche". Ich wollte nicht zugeben, dass ich out war. Eine Faxweiche musste etwas sanft Kuscheliges sein. Vielleicht hatte man in meiner Abwesenheit ein Verfahren entwickelt, das Faxpapier weicher durchlaufen zu lassen? Und warum redet heute keiner mehr von Faxweichen?

Einen ähnlich schnellen Tod sage ich dem Wort "Kreditklemme" voraus, das eigentlich in einen Duden der Unwörter gehörte und nicht noch in der Hochsprache zementiert. Das "It-Girl" hielt ich natürlich für eine Powerfrau, die in jungen Jahren den raketenhaften Aufstieg in der Männerbranche IT schafft. Die "Blogsphäre" schreibt der Duden falsch, weil alle Blogosphäre sagen. Und was bitte ist "Schlüsselkraft"? Ein Begriff aus der Automontage? Ein neues Werkzeug für Diebe?

Immerhin, ich weiß endlich wieder, dass ich DIE Email sagen darf, wie ich das seit jeher gegen alle Widerstände tue. Trotzdem habe ich absolut Mitleid mit den Österreichern, die sich nach einer Gleichstellung im Duden sehnen. Denn auch wir Badner verwenden andere Artikel als der Rest der Welt. Akkusativ ist gleich Nominativ und DIE Butter ist eindeutig männlich. Korrekt heißt das dann: "Gib mir mal DER Butter!" Aber die beim Duden können ja nicht alles wissen.

Und genau deshalb kaufe ich mir den Duden ja so selten. Ich bin Spracharbeiterin, ich darf Sprache verarbeiten, bearbeiten, verhackstücken und bei Bedarf auch mal buttern, ich darf Wörter verti..., pardon artikulieren, darf veraltete Wörter genüsslich zelebrieren (Genüssling) und neue Wörter erfinden, die sich auch der ehemorgigste Sprachwissenschuft auf dem hinterletzten Zwergplaneten nicht zu erschäumen wagt!

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In Reih und Glied

Thomas Böhm von der Deutschen Welle macht sich vergnüglich Gedanken, wie er seine Bibliothek ordnen soll. Punkt Sieben wäre mein Vorschlag für Buchhändler, um die Genre-Schubladen endlich etwas aufzubrechen. Die hat Böhm übrigens vergessen: Ordnen nach Genre und Untergenre und Unteruntergenre: Vampirromane, ökologische Vampirromane mit Blutrecycling, ökologische Vampirromane, die auch am Tag spielen...

Bei Punkt Zwei fühlte ich mich ertappt. Irgendwie versuche ich, in meiner Bibliothek große Themen zwecks leichterem Finden durchzuhalten: Garten, Klassiker, Reisebücher etc. Aber genau in Augenhöhe gibt es seltsam bunte Regale, innere Aufschrift: "Die absoluten Knaller, die ich noch mindestens dreimal lesen möchte." Am Boden, hinter den Vasen, sind verschämt verdächtig gut erhaltene Taschenbücher versteckt. Marke: "Angebliche Bestseller und Fehlkäufe, die alle anderen gut finden, nur ich nicht." Damit die Vasen Platz haben, werden diese Bücher in regelmäßigen Abständen an alle anderen gespendet.

Und wie räumen Sie / wie räumst du deine Bücher auf? Was darf aufs Örtchen, was wird besonders ausgestellt?

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25. Juli 2009

Nischenchancen

Noch nie von dem Verlag gehört

In meinem kritischen Twitter-Selbstversuch bin ich auf ein interessantes Phänomen gestoßen: Es twittern dort ja auch schon Verlage, was einem praktische Einblicke ins Programm gibt - ideal für Emigranten wie mich. Und natürlich interessieren mich genau die Verlage nicht, die mir in Kettenbuchhandlungen mit riesigen Stapeln sowieso entgegen springen und mittlerweile so aggressiv und laut werben, dass die Stimmen der kleineren untergehen.

Jetzt stoße ich dort auf einen Verlag, von dem ich noch nie in meinem Leben gehört habe. Mit richtig feinen, interessanten, liebevoll gemachten Büchern. Warum sind die bisher an mir vorbeigegangen? Warum habe ich sie nie wahrgenommen? Ganz einfach- Bücher, die man nirgends sieht, kauft man allenfalls auf persönliche, ziemlich eindringliche Empfehlung. Oder weil man bei einer Recherche darauf stößt, das Thema dringend braucht. Und genau diese Wahrnehmung ist in ihrer Breite in Deutschland inzwischen extrem gestört.

Die großen Buchhandelsketten listen Bücher kleinerer Verlage nicht. Wer keinen Vertriebsverbund mit einem "Großen" eingehen kann, bleibt draußen. Es ist, als hätte es diese Bücher, diesen Verlag nie gegeben. Und die engagierten, eigentümergeführten Buchhandlungen sind in manchen Städten und Regionen fast schon Luxus. Ihre persönlichen Empfehlungen sind Gold wert, aber auch sie müssen in einer Überfülle von Angeboten nach Perlen fischen.

Perlentauchen anno dazumal

Bleibt - als Verteiler Nr. 1 im literarischen Bereich - das Feuilleton. Als ich Mitte der Achtziger im Feuilleton zu arbeiten begann, waren die Redakteure einer jeden Zeitung stolz darauf, unentdeckte Perlen, herausragende "andere" Bücher und Nischenverlage zu entdecken. Das, was ohnehin in den Buchhandlungen lag, schoben wir gern in andere Ressorts ab, wo es ohnehin besser passte. Kochbücher in die Kochecke, Historische Romane zum passenden Artikel über die Zeit im Sonntagsmagazin, Liebesromane auf die Seite für die Frau. Wir beim Feuilleton begriffen uns als Trüffelschweine, die Preziosen fanden, wo andere nur nackte Erde vermuteten. Es gab sogar einen Wettstreit mit der Konkurrenz: Welche Nische würde man vor ihnen ausfindig machen?

Und dann kamen das journalistische Glattbügeln, der Blick auf Profit und Quote. Heute besprechen alle Feuilletons so ziemlich die gleiche Soße und jeder, wirklich jeder will dabei gewesen sein, wenn ein Bestseller - nein, nicht entdeckt - bejubelt wird, den die Werbeabteilungen der Verlage ins Haus puschen. Kleine Zeitungen schauen, was die großen besprechen und die wollen sich gegenseitig nicht nachstehen. Dann arbeitet man sich langsam an den üblichen Verdächtigen nach unten. Für das Besondere, Andere, Neue bleibt selten noch Zeit.

Der Lärm der Masse

Ich erinnere an den Littell-Effekt, der so viele wunderbare Neuerscheinungen schlicht aus den Zeitungen drängte. Denn als Littell abgefeiert war, galten die guten anderen Bücher bereits als zu alt, um sie zu besprechen. Der Feuilletonist von heute - Ausnahmen gibt es zum Glück immer noch reichlich - schmückt sich mit Namen und Erfolgen anderer. Risiko ist von der Chefetage aus nicht mehr gefragt. Nicht auszudenken, wenn man einen Flop empfehlen würde, während die Konkurrenz den Roman des Jahres ins Blatt hebt!

Also sind Independent Verlage und Nischenprodukte auch in unseren herkömmlichen Informationsmedien weitgehend unsichtbar geworden (über lustvolle Büchersendungen im Fernsehen breite ich jetzt mal den Mantel des Schweigens). Kurzum: Bücher, die man nicht anfassen kann, nicht ansehen kann, über die man nichts lesen kann, kauft man nur im Ausnahmefall. Schade, sie hätten anderes verdient. Vielfalt würde uns vielleicht auch den Überdruss nehmen, wenn wir allüberall nur immer von den gleichen Titeln hören?

Das Internet, speziell mit seiner Ausformung der Social Media, ist nun aber ein ideales Medium für die Nische, für das Besondere geworden. Die Nutzung kostet nicht viel Geld verglichen mit herkömmlichen Werbemitteln. Gut gemachte Nutzung kostet aber doch wieder Geld, weil wo-manpower und Technik, aber durch den Gedanken des Teilens und die ohnehin grassierende Selbstausbeutung von Webaktiven lässt sich manches auffangen. Dadurch bleibt das Internet in diesem Bereich aber auch frei von den Interessen Dritter, wie etwa Anzeigenkunden. Es ist außerdem ein experimenteller Raum, ein schnellebiger und damit kreativer dazu.

Lautstärkeregler

Die größte Chance aber liegt darin, dass sich im Internet alle Beteiligten auf gleicher Ebene vernetzen können. Unter Umgehung all derer, die sich weigern, ihren Blick auf bestimmte Programme zu werfen. Verlage und AutorInnen treffen LeserInnen direkt (nicht umsonst investieren dann auch die ganz Großen fleißig in Communities), aber auch unabhängige BuchhändlerInnen. Handel trifft Verbraucher trifft Erzeuger trifft Schöpfer.

Internet hat gegenüber den herkömmlichen Medien noch einen Vorteil. Was der Buchhandelskette der höchste Stapel, ist dem Feuilleton der Bestseller im Aufmacher. Gewichtungen sind eindeutig von Sowieso-Schon-Groß bis zum dazwischengequetschten Vierzeiler für den Kleinsten. Und wie wir beim Massenverkauf von Billigtiteln mit immer den gleichen Blurbs und Werbeversprechen konfrontiert werden, schaltet sich auch das Feuilleton gleich: So viele Rezensionen sind keine, so viele Redakteure drucken den Verlagswerbetext wortwörtlich oder leicht verändert ab. Die Generation Praktikum, die ohnehin kaum Zeit und Geld bekommt, kann mehr meist gar nicht mehr leisten. Die Leser hungern derweil nach Vielfalt und Rückgrat, Relevanz und Risikobereitschaft auch bei den Rezensionen - und wandern ins Internet ab.

Wer je an einem Forum teilgenommen hat, weiß, dass sich virtuell Lautstärken verschieben können. Ein zutiefst schüchterner, ruhiger Mensch kann im Internet äußerst kommunikativ und interessant erscheinen. Typen, die einfach nur immer wieder ihre gleiche Werbeleier absondern, klickt man weg, schaltet man stumm. Wenn jemand etwas zu sagen hat, liest man hin - vor allem aber kann man nach Gleichgesinnten suchen, nach den eigenen Interessensgebieten. Würde man jedem nur einen einzigen Satz zuteilen, klänge der Verlagsgigant genauso laut oder leise wie der Einmannbetrieb. Hier liegt die Chance für die Nische.

Lustvolles Eckenstehen

Wer mein Blog länger kennt, wird fragen, warum sich meine Gedanken ständig um die gleiche Sache drehen. Ganz einfach - auf der einen Seite ist das eine Art Lebensthema. Ich schreibe seit einigen Jahren selbst Bücher, die manche als "Nischenprodukte" belächeln und sehe aus eigener Anschauung, welche Chancen darin stecken und welche Irrtümer über Märkte selbst bei KollegInnen grassieren. Mein Elsassbuch, das ich zunächst für eine nette regionale Angelegenheit hielt, hat alle Erwartungen, auch die in einem Publikumsverlag möglichen, überholt. Es gab zwar sogar Rezensionen im Feuilleton, aber bekannt gemacht hat es sich auf Leserebene und durch unkonventionelle Kanäle.

Und als Journalistin habe ich mir den einstigen Faible für das Besondere, für die Blüten jenseits des Wegesrands bewahrt. Meine Entdeckerfreude und Lust, was Bücher betrifft, ist ungebrochen. Nun habe ich weder Kapital noch Leute, um eine Nischenplattform hochzuziehen. Aber auch das ist Internet: Man kann winzig beginnen, wie mit diesem Blog. Und so bringt mich Twitter auf Ideen, die noch dunkel und lose im Hinterkopf schwirren und auf Vernetzung setzen. Ich würde gern etwas für die "Nische" tun, so wie früher - sehr persönlich, sehr subjektiv, aber mit Leidenschaft.

Pläne

Wenn mein Hörbuch produziert sein wird (jetzt ist Stress pur angesagt), wenn ich im Herbst mit meinem "Brotjob" für Europa beginnen werde (Thema kulturelle Förderung von Nischenregionen) und ruhig an meinem Roman schreiben kann, will ich hier ein paar Aktionen und neue Schwerpunkte austesten. Auf der Suche nach guten, qualitativ hochwertigen Büchern, die man sonst zuwenig sieht. Vielleicht finden sich ja Vernetzungen mit Mitstreitern...

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22. Juli 2009

Abschied von einer Gewohnheit

Ich oute mich: Früher habe ich Plots akribisch in mehreren Farben auf Millimeterpapier und Tapetenrollen entworfen. Letztere haben für eine Übersicht über die ellenlange Merowingergeschichte in meinem ersten Buch herhalten müssen. Und selbst beim "Lavendelblues" nahm ich noch alles vom Hausplan bis zu den Figuren an die Leine. Zugegeben, für ein Sachbuch zumindest kann Struktur doch recht hilfreich sein.

Seit meinem Rosenbuch spätestens lerne ich um: Bild geht vor Struktur. Es ist überraschend, wie viel man schlau daherreden kann, ohne dass sich das Gegenüber auch nur irgendetwas vorstellen kann. Und wenn das dann endlich klappt, bleibt das Gegenüber doch kühl und unbeteiligt - einfach weil der Logik Bilder fehlen. Wir sind Bildermenschen, auch bei Texten. Das Denken beginnt mit dem Bild - siehe Bilderbuch. Beim erzählenden Sachbuch spielt die innere Kamera eine sehr große Rolle.

Bei einem Hörbuch wird diese Diskrepanz noch leichter erfahrbar. Entsteht beim Hören sofort ein Bild im Kopf? Dann bin ich drin und kann folgen. Oder rauschen nur Wörterklänge an mir vorbei? Ich merke den Unterschied bei Lesungen von Sachbüchern. Vor Publikum, nur zum Hören, ist nicht jeder Text in meinem Rosenbuch lesbar. Man müsste darüber eher einen Vortrag halten oder Geschichten dazu erzählen. Die Passagen, die ich gern vorlese, haben alle eines gemeinsam: Sie schaffen innere Bilder.

Ich darf gar nicht erzählen, wie ich mein Hörbuch, das eigentlich ein erzählendes Sachbuch ist, konzipiere. Diesmal passt die Planung nämlich auf eine Briefmarke: Vier Kapitel mit vier Themen, die wiederum an vier Ballettmusiken hängen. Das war's. Alles andere in der Autorin Kopf ist schönstes Chaos, ein unübersehbares Konglomerat aus Mammutrecherchen in Büchern, Ausstellungskatalogen, Zeitungsarchiven, Filmdokumentationen.

In der ersten Phase schaufle ich Recherchematerial in mich herein wie ein Scheunendrescher, möglichst viel, möglichst schnell und möglichst ohne nachzudenken. Diese Fast-Food-Phase der Hirnüberflutung und Sinnesüberreizung dient einem hinterhältigen Zweck: Ohne ordnende Zensoren im Kopf und allgegenwärtige Logik oder Analyse bilden sich Muster und verknüpft sich scheinbar nicht Zusammengehöriges. Erst dann darf das Wachbewusstsein ran und sorgt fürs "Feintuning" und die Tiefenrecherche. Und dann schreibt die Autorin brav und ordentlich auf, was sie pro Kapitel plant.

Die Zeiten sind jetzt auch vorbei. Immerhin habe ich noch nicht den Löffel, aber doch den Griffel abgegeben. Irgendwas schreibt mich. Oder zumindest fühlt sich der Text, der mir herausfließt, nicht wie der meine an. Jeden Abend das gleiche Staunen: War das wirklich ich? Dabei war dieses Kapitel ein besonders gut geplantes. Weil ich Wahnsinnige ein Stück aus der Literatur mit einem Ballett mit Nijinskys Liebesleben mit der Beziehung zwischen Eros und Kunst ... die Leser ahnen es bereits: Das riecht nach hyperintellektueller Verschachtelung und aufreibender Hirnebenengymnastik. Kann also in linear erfahrbarem Hören nicht gut gehen.

Meine Verlegerin hörte sich das nur einmal an und sagte sofort: Da kommt kein Bild. Ähm, was, ich hatte doch so kunstvoll gehäkelt und solche schlauen Parallelen gezogen ... Aber sie hatte genau den Fehler gefunden. Also saß ich da mit dem Kapitelanfang, der nicht funktionierte und meiner Meinung nach gegen das bildreiche erste Kapitel sogar jäh abstürzte. Ich dachte mir fast einen Knoten ins Hirn, um das Problem zu lösen!

Dann überlegte ich, langsam den Analyse-Heini in mir herunterdimmend ... Wie war ich eigentlich auf all diesen Schlauschwätz gekommen? Was stand da am Anfang? Was war der Auslöser gewesen? Tja. Ein Bild, was sonst. Ein Gemälde sogar, das mich an ein Bild in einem Film erinnerte, der ein Bild aus einem Buch ... und dann war da ein Bild, das ich nicht wiederfinden konnte, ich war mir aber so sicher, es in meinem Material aufgehoben zu haben. Es war ein Bild von Nijinsky, das ich geträumt hatte.

Wer jetzt wissen will, wie ich so etwas hinkriege, den muss ich enttäuschen. Ich bin kein Hirnforscher und schon gar kein Plotratgeber. Ich habe dann einfach nur einen Tag frei gemacht. Bin in Baden-Baden beim billigen Modetand über ein Armband gestolpert, das Nijinsky nie im Leben, aber in meinem Traum im Ballett Scheherazade trug. Der Musik zu eben diesem Kapitel! Plötzlich hagelten die Bilder nur so auf mich ein. Ich fügte hier etwas hinzu und dort, trennte Kapitelgewebe auf, flocht Perlen ein und wunderte mich, wie genau man sich doch an wörtliche Zitate aus der Fast-Food-Phase erinnern kann und im Halbschlaf die richtige Seite im richtigen Buch dazu findet.

An solchen Tagen schreibe ich mich wohl in eine Art Furor - ich bin dann weg von dieser Welt und brauche einen Espresso lang, um wieder aufzutauchen. Starre auf meinen Text, liebe ihn, und denke, diese neuen Verknüpfungen und Subtexte und Bilder hätte ich vorsätzlich, analysierend, planend nie schaffen können. Diese Phase nenne ich jetzt Gourmetparadies-Phase. Es ist wie dieses Gefühl, wenn in einem Menu einfach alles stimmt, die Bedienung aufmerksam und freundlich ist und ein göttlicher Wein dazu auf dem Tisch steht - ein glückvoller Schwebezustand.

In dieser Phase mischen sich die Bücher auch in meine Träume. Heute Nacht wollte mich jemand ertränken, ich kam unter Wasser nicht los und sprühte mir aus einer Fensterputzmittelflasche "flüssigen" Sauerstoff in den Mund. Mein Hund weckte mich im letzten Moment und ich war noch lange danach völlig fertig. Da war dieses bedrängende Gefühl von völligem Stillstand, von Nichtbewegung, von einem Nichts, das entweder Ertrinken oder Auftauchen brachte. Was soll das, ich muss arbeiten, dachte ich. Weg mit dem blöden Traumsinnieren.

Ich schaltete meinen Laptop ein, klickte mich weiter im Text und blieb an einem Wort hängen: Stillstand. Und plötzlich wusste ich, warum ich mir da nachts mit Fensterputzsauerstoff die Tomaten von den Augen gerieben hatte. Ein Angelpunkt in Nijinskys Leben, Arbeiten und seinen Choreografien: Die Entwicklung aus dem Stillstand heraus. Nichthandlung als Ansatz im Theater. Der Drehpunkt für den Fortlauf des Kapitels.

Was lerne ich daraus? Ich plane nicht mehr. Ich folge den Bildern. Wenn ich künftig nicht mehr weiter weiß, schalte ich mein Hirn ab, flaniere durch Baden-Baden und schreibe Bücher mittels Armbändern, komischen Träumen und Fensterputzmittel.

Irgendwann muss ich dann meine Wohnung entrümpeln. Seit meinem Rosenbuch häufen sich erschreckend Gegenstände aller Art, die mit Rosen in Zusammenhang stehen. Jetzt kommen ein Scheherazade-Armband, ein Coupon Ballets-Russes-Samt, Ausstellungskataloge, Balletbilder, Ballets-Russes-Kerzenständer, Ballets-Russes-Feste und wer weiß was noch alles hinzu. Zum Glück hängen die bildenden Künstler, die ich erwähnen werde, schon seit Jahren an meinen Wänden.
Ich fürchte mich vor meinem nächsten Buch.

21. Juli 2009

Staunen über die Welt

Als Kinder lachten wir über einen alten Mann, der ständig laut mit sich selbst und allen möglichen Gegenständen redete. Die Erwachsenen klärten uns auf: "Da lacht man nicht. Der Mann ist einsam. Vereinsamte Menschen reden mit sich selbst."
Einige Jahrzehnte später muss man lange suchen, bis man stille Menschen findet, die schweigen können. Sie reden alle laut vor sich hin, telefonieren ihre Intimitäten in die Öffentlichkeit, tippen manisch sms, twittern und kippen auch noch die letzten Innereien auf den Marktplatz dieser Welt ... Heute lacht man über die Stillen, die nicht "dabei" sind.

Als neugieriger Mensch aus kommunikativer Branche muss ich natürlich alles ausprobieren. Die ersten Berufs- oder gar Frauennetzwerke habe ich erfolgreich überlebt, Foren selbst geführt oder meine Mitgliedschaft darin glücklich beendet, Facebook habe ich kürzlich abgeschlachtet. Der Selbstversuch am lebendigen Leib mit Twitter läuft noch. Hier ein kleiner subjektiver frecher Zwischenbericht ganz persönlicher Erfahrungen:

Twitter als Ticker

Weil immer mehr Menschen Twitter als PR-Instrument benutzen, kann man den Dienst wie einen Ticker nutzen. Ein Radiosender verrät, was gerade im Radio läuft, ohne dass ich es noch anschalten muss. Von meiner bis dato Lieblingszeitung erfahre ich, in welcher Fülle platte, überflüssige Meldungen dort hereinrauschen - Schutt, der bisher an der gemächlichen Leserin vorbei ging. Boulevard ist überhaupt "in". Ein Verlag, den ich bisher für anspruchsvoll und literarisch hielt, hält mir mit Penetranz Meldungen über Sex und Liebe unter die langsam allergisch werdende Nase. Sekündlich konnte man verletzte Iraner zählen, Michael Jackson Fans noch viel schneller. Und irgendein Fressdienst, den ich des Genusses wegen abonniert hatte, bringt Expertenantworten über "Eisentnahme mit Löffel".

Es gibt zwei Möglichkeiten, mit Twitter als Ticker umzugehen. Entweder man ist Laie. Dann kann einem das Folgen von mindestens 50 solcher Infomaschinen ein Gefühl von Omnipotenz geben. Irre, wie viel Bildung da zu einem Auge reinrauscht und zum anderen wieder hinaus - und nebenbei stemmt man noch eine kleine Revolution in irgendeiner fernen Bananendiktatur mittels RT (=Zitat durch copy&paste), weil die Leute das dort allein ja nicht stemmen können, wenn man ihnen die Handys wegnimmt.

Oder man ist tickerabgebrühter Journalist wie ich. Dann lässt man gar nicht erst alles an das Auge heran, sondern entscheidet nach den ersten Wörtern: Müll. Und macht sich so seine Gedanken um den Hype und das Dahinter. Ich habe schon lange nicht mehr so selten Fernsehen geschaut, meine Edelzeitung so oft angekelt weggelegt und vom Bestellen eines Verlagskatalogs abgesehen. Twitter ist wie Perlentaucher mit umgekehrten Vorzeichen: Ich erfahre quer durch Medien und Infotainment, was ich alles nicht lesen muss. Dank Twitter entnehme ich Eis jetzt mit der Zunge, treibe mich ohne Internetanschluss bei Winzern herum und frage mich, warum die Uiguren für virtuelle Revoluzzer weniger sexy sind als die Iraner.

Schräge Vögel bei Twitter

Der einsame Mann aus meiner Kindheit wäre der perfekte Twitterer gewesen. Zugegeben, es ist nicht einfach, Relevantes in 140 Zeichen zu produzieren und Dialoge zu halten, wenn währenddessen hunderte von Tweets (Beiträgen) hereinrauschen und man die von nichtverfolgten Drittrednern nicht lesen kann. Lesen kann man aber sowieso nicht alles wegen der Menge (und will man es denn?). Also verabredet man sich per Mail. Oder bleibt an der Oberfläche. Selbstdarsteller haben Konjunktur. Manche machen sich sogar darüber lustig, dass sie Antworten auf ihr Gesülze bekommen.

Der einsame Mann aus meiner Kindheit hat laut mit seinem Kuchen gesprochen. Heute macht man ein Kuchenaccount auf und twittert mit Schwarzwälder und Frankfurter Kranz. Der eine stakst wie der Storch angewidert durch den Salat, die diebische Elster will einem Erleuchtung und Geschäfte fast für umme aufhängen, der Kiebitz von der Konkurrenz gibt sich kommunikativ und späht doch nur aus. Irgendwo tschilpt ein niedlicher Spatz vornehmlich Männer an und eine Drossel spottet über alles und jeden. Früher hätte ich mich noch gewundert, wenn im Vogelkonzert ein Schwein pfeift - im Zwitscherdienst gibt es auch das.

Mein Tipp: Ideal für Rollenspiele mit sich selbst. Einfach mehrere Accounts eröffnen mit gegensätzlichen Persönlichkeiten und sich dann selbst folgen und miteinander reden. Gibt es allerdings auch schon, kürzlich hat sich ein PR-Mensch bei Twitter öffentlich mehrfach selbst begrüßt - in all seinen fragmentarischen, von Auftraggebern generierten Persönlichkeiten.

Twitter: Der Teich des Narziss

Ich gestehe: auch ich rede nur noch von mir. Was soll man auch tun, wenn man keinen kennt, keiner antwortet und manche Leute sogar richtig erschrecken, falls man ihnen Feedback gibt? Das ist wie früher in der Kneipe. Man geht rein, ist falsch angezogen, sagt trotzdem fröhlich Hallo - und alles dreht sich entsetzt um. Twitter dagegen ist auch für Schüchterne geeignet: Man sieht das Umdrehen der anderen nicht mehr. Und sagt das Hallo lieber in den Spiegel. Twitterer spiegeln sich in all den anderen Spiegeln: Wer ist die Schönste im Land, wer hat die meisten Verfolger, wer ist am witzigsten, wer hat die dräuendste Untergangsmiene, wer ist Trend? Im sogenannten Social Web wird endlich der Autist, der Narziss, ja sogar der Soziopath zum anerkannten Grundstein einer beziehungslosen Oberflächengesellschaft - das ist doch mal wirklich social, oder?

Als ich meiner internetlosen Freundin kürzlich erklärte, was ich mir täglich bei Twitter reinziehe, schaute sie mich entsetzt an und fragte: "Würdest du dich in einer Kneipe mit solchen Leuten an einen Tisch setzen?" - Und ich musste gestehen: "Solche Leute beobachte ich im realen Leben intensiv. Die brauche ich - wie soll man sonst Romane schreiben können, wenn man nicht skurrilsten Anschauungsunterricht bekommt?" Meinte sie: "Du schreibst aber doch gar keine skurrilen Romane über Verrückte?"

Tja. Auch das ist Twitter. Mit der Zeit überschätzt man sich selbst. Bekommt ein völlig falsches Selbstbild und glaubt, in 140 Zeichen eine persönliche Revolution anzetteln zu können, für die Psychiater 140 Sitzungen bräuchten.

Warum ich immer noch dabei bin? Ich will den Untergang eines Diktators und meiner Edelzeitung in Echtzeit miterleben. Ich kann endlich überflüssige, hirnverstopfende Gedanken umweltfreundlich recyclen. Ich spende ja auch Entrümpeltes und irgendwer freut sich darüber. Ich treffe Leute, die heimlich denken wie ich.

Und wenn ein bekannter Philosoph sich öffentlich die dritte Zigarre ins Gesicht pflanzt, wenn sich der vermeintliche Spambeitrag als Gefasel eines weltberühmten Schriftstellers unter Decknamen entpuppt, wenn Verlagsleute unter eben solchen Pseudonymen Dinge sagen, für die sie sich live schämen würden, wenn sich der berühmte fesche Frauenversteher X als angejahrter, stinklangweiliger Macho erweist - dann, ja dann lerne ich etwas aus meiner Kindheit wieder: Das Staunen über die Welt.

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Geld liegt auf der Straße

Zwei Artikel zum Thema, wie leicht mit Texten Geld zu verdienen ist:

Im Deutschlandfunk wurde endlich einmal im Streit um Burdas Forderungen das Thema "Autor" angesprochen, um das sich alle sonst drücken:
"Sie werden von Medienunternehmen durch die sogenannten Buy-Out-Vertäge zunehmend um ihre Urheberrechte gebracht. Diese Knebelverträge beinhalten Klauseln, die es erlauben, eingekaufte Texte beliebig oft selbst zu benutzen und weiterzuverkaufen."
"Schäbige Inszenierung" ist unbedingt hör/lesenswert.

Und in den USA hat mal wieder ein Gigant entdeckt, wie leicht Geld mit den Erzeugnissen anderer zu machen ist - nämlich mit fremden Texten. Barnes & Nobles hat sich nicht nur den e-book-Krieg mit Amazon auf die Fahne geschrieben, sondern will nun auch den Google-Pool von dessen ach so freien Büchern herausbringen, um Knete zu machen. Der Artikel im Wall Street Journal zeigt, dass wir gar nicht genug auf unsere Texte aufpassen können - denn entgegen aller Beteuerungen hat Google ja auch Bücher im Sortiment, die nicht frei sind. Tja, liebe Autoren, haltet euch ran, wenn ihr ein verramschtes Buch selbst neu auflegen wollt, andere könnten schneller sein ...
Über den Umgang von Google mit vergriffenen Büchern ein interessanter Artikel in der NZZ.

20. Juli 2009

Fahrenheit 451 bei Amazon

Hand aufs Herz: Wessen Bibliothek enthält nicht die ein oder andere kriminell erworbene Beigabe? Wenn jetzt allein nur die Menschen erröten, die seit Jahren "vergessen", mir ausgeliehene Bücher zurückzugeben, wäre das wenig. Bedenken wir aber, dass in Bibliotheken geklaut wird und Verlage auf der Buchmesse den zufünftigen Erfolg von Neuerscheinungen auch schon einmal an der Diebstahlsquote festmachen. Wer Bücher im Antiquariat kauft, könnte Hehlerware im Regal haben: Selbst aus Verlagen wird gestohlen - von Päckchen- bis Palettengröße. Und manche Journalisten vertickern frech Freiexemplare für Rezensionen, obwohl das eigentlich nicht erlaubt ist.

Ist man nicht selbst der Dieb, kann man schlecht abschätzen, wer in der Kette vorher kriminell gewesen ist und wer den Hehler macht. Wir können uns sicher sein: Einmal gekaufte, also bezahlte Bücher bleiben in unserer Bibliothek. Wir können damit machen, was wir wollen. Wir können sie lesen, mit Eselsohren traktieren, hineinschreiben oder Marmelade auf die Seiten schmieren. Papierbücher verrotten so schnell nicht, sie lassen sich sogar über Generationen vererben oder kurzfristig spenden, verschenken und ausleihen. Bücher wandern als Bettlektüre in unsere intimsten Bereiche, manchmal sind sie unsere besten Freunde.

Und jetzt stelle man sich diesen Krimi vor: Man liegt hingegossen in Adams oder Evas Kostüm mit Buch auf der Matratze, plötzlich sprengt jemand die Schlafzimmertür auf, ein vollkommen maskierter Kerl springt herein, reißt einem das Buch aus der Hand und verschwindet durchs Fenster! Hat das Überfallopfer seinen ersten Schrecken verdaut, bemerkt es, dass sich dieser Kerl dauerhaft in der Wohnung eingenistet hat und von der Speisekammer aus unser Leseverhalten, unseren Bücherbesitz und wer weiß was noch alles akribisch überwacht. Der Saugrüssel mit den Augen von Big Brother reicht bis ins Schlafzimmer - so schnell kann ein Leser gar nicht schauen, wie der Bücher konfisziert!

Zukunftsmusik? Science Fiction? Nein. Verbraucher ahnen ja gar nicht, wie nackt sie sich mit Datenvernetzungen ausliefern. Big Brother Amazon hat zugeschlagen, mit uneingeschränktem Zugriff und Dauerverbindung via Kindle. Amazon scheut sich nicht, davon je nach Gusto E-Books zu löschen, ob in der Bibliothek, im Schlafzimmer oder auf dem heiligen Leseörtchen - Amazon ist überall.

Dass der allmächtige maskierte Kerl ausgerechnet bei George Orwell und "1984" zuschlug, geht über Realsatire leider weit hinaus. Mich erinnert die Brutalaktion an einen anderen Zukunftsroman, der damit also auch Gegenwart geworden ist: an Ray Bradburys legendären Roman "Fahrenheit 451". Bradbury hat in seinem Roman noch Feuer für die Bücherverbrennung gebraucht - Amazon macht das mit ein paar Klicks. Schöne neue Welt.

Was lobe ich mir jetzt wieder meinen Leib- und Magenbuchhändler! Da möchte ich doch den bekannten Spruch von Thea Dorn variieren: Nehmen Sie ein Papierbuch mit ins Bett. Papier löscht sich nicht.

Lesetipp: Spiegel-Artikel über die Gefahren bei online verbundenen Geräten: Spionagesoftware wurde längst getestet.

Update: Amazon entschuldigt sich bei Kunden
Die SZ über die weiteren Gefahren der Online-Vernabelung von Büchern

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19. Juli 2009

Quantitäten

Es gab einmal eine Zeit, da bekam ich von einem Agenten das dämliche Gerücht kolportiert, Journalisten könnten keine Romane schreiben, weil sie viel zu kurz angebunden seien. In der Tat hatte ich damals die magische 35-Zeilen-Grenze für Kurzkritiken verinnerlicht und durfte bei Aufmachern 150 Zeilen nicht überschreiten. Ein Buch von 150 Seiten erschien mir dagegen schon wie ein Zeppelin auf einer Luftballon-Party. Aber warum sollte ich eigentlich nicht mehr schaffen, wo ich doch tagtäglich Massen von Kurztexten für Zeitungen absonderte?

Später fand ich heraus, dass an jenem Gerücht ein Körnlein Wahrheit klebte. Mein erstes Sachbuch-Opus kürzte ich von fast 700 Seiten auf unter 200 herunter - und siehe, es ward gedruckt. Fortan sparte ich mir die Arbeit und fand Romane mit 250 Seiten angenehm dick. Komm auf den Punkt, sei klar und logisch, biete Relevanz und Stringenz ... so laberte mein Alter Ego, die Sachbuchautorin, mir ins Gewissen.

Und dann beging ich den Fehler meines Lebens. Ich begab mich unter Kolleginnen und Kollegen ins Internet. Die jubelten sich in feinem Halbjahresrhythmus zu, dass sie wieder ein 500-Seiten-Werk auf die Menschheit losgelassen hatten und sammelten Veröffentlichungen wie unsereins Recherchematerial. Ich begann, mich zu vergleichen. Ein Abgrund tat sich auf. So würde aus mir nie etwas werden. Bei einem gefühlten Exemplar von Buch alle zwei Jahre - oder so ähnlich - war mein Untergang bereits besiegelt. Würde die Wahrscheinlichkeit eines Durchbruchs tatsächlich an der statistischen Häufigkeit von Marktüberschwemmungen hängen, könnte das Horoskop in Erfüllung gehen, dass eine Bekannte mir partout erstellen wollte: "Wird uralt, erlebt aber erst extrem spät den Durchbruch."

Wenn ausnahmsweise ich eine Neuerscheinung bejubelte, bekam ich mitfühlende Postings und Mails: "Du weißt ja, Donna Tartt hat viel länger gebraucht." - "Gut, für die Unterhaltungsbranche müsstest du noch ein wenig trainieren, aber du schreibst ja eh Nische." - "Ich tät doch öfter Bücher raushauen, sonst vergessen sie deinen Namen!" - "Echte Fans werden dich hassen, wenn du immer so kurze Bücher schreibst!"

Irgendetwas war da aus dem Gleichgewicht geraten. Hätte ich meinen Leserinnen und Lesern wirklich mehr als 220 Seiten Kulturgeschichte, Kunst und Literatur in "Das Buch der Rose" um die Augen beuteln sollen? Und das, wo andere den Rechercheaufwand von wenigen Monaten in zehn Jahren Studium absolvieren? Ich tat das einzig richtige: Ich machte mich dünn. Und wechselte die Fronten.

In einem Paralleluniversum des Internet fand ich Menschen wie Donna Tartt. Sie grübelten seit ihrer Jugend an heftigen Lebensthemen, gingen Jahre schwanger mit einem Projekt und verbrauchten drei bis vier Stipendien, um dann für eine einzige Veröffentlichung geschätzte 40 Seiten pro Jahr zu Papier zu bringen. Literatur nannte man diese Art des Produzierens - und sie erschien mir wie der verrückte Spagat zwischen der Kürze eines Journalisten und der Entschleunigung eben jenes Zeppelins. Vielleicht sollte ich auf all die bunten Luftballons verzichten?

Pech gehabt. In nicht allzu langer Zeit steht bei mir das nächste halbe Jahrhundert an. Und dazu ausgerechnet dieses vermaledeite Horoskop, das mir nie verriet, ob der Durchbruch schon mit 60 kommt oder erst mit 95. Stipendiengeber wissen, warum sie Jugendliche bevorzugen. Zwar steigt die Lebenserwartung heutzutage erheblich, aber bei Donna Tartts Tempo hätte ich nur noch etwa 5 Bücher bis zu meinem Hundertsten vor mir. Vorausgesetzt, mich verschonen Demenz, Arthritis und Buchstabenallergie.

Ach, es ist alles so nichtig. Neuerdings schaffe ich es, auf 140-Twitterzeichen Inhalte zu produzieren. Wenn mir jetzt eine Kollegin sagt, sie müsse zu ihren 500 Seiten noch 300 bis Monatsende schaffen, habe ich dafür nur noch ein belustigtes Lächeln übrig. 300 Seiten in einem Monat, was ist das schon! Ich habe Ende nächsten Monats Abgabetermin und darf höchstens, wirklich allerhöchstens 88 Seiten schaffen! Und stöhne derzeit bei Seite 33, als hätte ich einen Mammutmarathon hinter mir. Achtzig Seiten für ein ganzes Leben, eine Epoche, ein Gesamtkunstwerk, für Tanz und bildende Kunst und Literatur und zwei Kulturen und zig Länder. Das muss man erst mal schaffen, so wenig zu schaffen.

Ein Leichtgewicht wird es außerdem werden. Vom Gewicht eines Luftballons. Nicht mehr als drei CDs. Ich habe schon lange nicht mehr so viel gekürzt und eingedampft. Und denke bei jedem Kapitel: Um Himmels Willen, so viel Gelaber, wer soll das aushalten?"
Neuerdings mache ich mir Mut: Wenn wir einen extrem langsam sprechenden Schauspieler fänden, wäre ich fast schon fertig...

Anmerkung: Donna Tartt hat an ihrem ersten Bestseller angeblich mehr als zehn Jahre geschrieben. Unsereins muss mit 100 Jahren Ballets Russes mithalten.

18. Juli 2009

Gänsehaut von hässlichen Büchern

Lesestoff fürs Wochenende in Sachen kleine und feine Verlage, der auch viel darüber sagt, wie das gedruckte Buch seinen Platz in Zukunft behaupten wird.

Da wäre einmal die Umfrage in "Die Welt" bei fünf Independent-Verlegern über das Arbeiten in der Krise und die Bedingungen für kleine und mittlere Verlage. Nicht nur lesenswert wegen der unterschiedlichen Aspekte, sondern auch aufschlussreich, was Bücher aus Papier und Nischenware denn so wichtig macht. Zu Wort kommen kookbooks, Liebeskind, Berenberg, Urs Engeler und Weissbooks (Denen man wenigstens einen Link hätte spendieren können, wenn schon kein Honorar trotz reinem Fremd-Content floss, wie dem Artikel zu entnehmen ist).

"...Hässliche Bücher ärgern mich wahnsinnig. Da kriege ich Gänsehaut", sagt im Tagesspiegel Katharina Wagenbach-Wolff , die Gründerin der Friedenauer Presse, die außerdem mit Klaus Wagenbach den gleichnamigen Verlag aufgebaut hat. Ein Portrait zu ihrem Achtzigsten erzählt nicht nur von einer besonderen Verlegerin, sondern auch vom Mut, gegen den Mainstream ganz besondere Perlen zu entdecken.

Bleibt zu wünschen, dass die engagierten Verlegerpersönlichkeiten nicht aussterben und Independent-Verlage endlich mehr Präsenz in Buchhandel und Besprechungen erreichten!

Mein Tipp: Wer Independent und Literaturverlage unterstützen will, findet deren Bücher bei Tubuk und natürlich im gut sortierten Buchhandel, der noch nicht von Ketten geschluckt wurde.

PS: Und als Journalistin wünsche ich mir von "Die Welt", dass sie endlich aufhört, das Online-Feuilleton mit Werbung für Pseudoverlage vollzukleistern. Geld stinkt zwar bekanntlich nicht, aber das macht langsam die redaktionellen Inhalte unglaubhaft und ist - nachdem selbst unbedarfte Laien in der Hinsicht aufwachen - einfach nur noch ärgerlich.

17. Juli 2009

Sommerdemenz

Immer häufiger begegnet man Unverstand auch in Edelblättern der Printmedien - ein notwendiges Übel, wenn man auf ausreichendes und gut ausgebildetes Personal keinen Wert mehr legt.
Wenn sich aber jetzt Die Welt zum Anwalt - ja von wem eigentlich - macht und laut über ein Leistungsschutzrecht für Buchverlage nachdenkt, dann fragt man sich doch, ob statt Sommerloch die galoppierende Demenz ausgebrochen ist.

Was da in fein abgefragten O-Tönen zitiert wird, bringt jeden Profi aus der Branche zum Lachen. Vor allem der letzte Satz eines Urheberrechtlers namens Thomas Hoeren ist der Knaller des Tages: "Wenn im Gegenzug festgeklopft würde, dass die übertragenen Rechte nach fünf bis zehn Jahren an die Autoren zurückfallen, wäre das auch für die Autoren eine echte Verbesserung".

Lieber Thomas Hoeren, liebe WELT-Redaktion: Bitte zuerst in der Branche recherchieren, dann behaupten. Eure Ideen wären für uns Autoren nämlich ein Rückfall in frühere Jahrhunderte. Der Autor von heutzutage überlegt sich vor einem Vertrag tunlichst, welche Nutzungsrechte er abgibt und welche nicht und wie und warum und für wie lang. Das unterscheidet das Buchautoren-Buchverlags-Verhältnis von Knebel- und Buyout-Verträgen der Presse für Zeitungsjournalisten!

Vor allem aber legt sich im Zeitalter der schnelldrehenden Ware keiner mehr langfristig fest. Der Urheberrechtler sollte eigentlich wissen, dass es längst vertragliche Regelungen gibt, bei denen Nutzungsrechte z.B. bei Verramschung oder Auslaufen extrem schnell wieder an den Autor fallen. Dass man Nutzungsrechte, wenn sie nicht genutzt werden, sogar während der Vertragslaufzeit zurückziehen kann usw. usf. Nutzungsrechteübertragung auf Lebenszeit oder länger als zehn Jahre - das gibt es allenfalls noch bei unwissenden Neueinsteigern ohne Agent.

Schlage einen Artikel Teil 2 vor: Wie wir mit Leistungsschutzrecht die Verleger zwingen, ein Buch - koste es, was es wolle - lebendig 5-10 Jahre am Markt zu halten.
Teil 3: Warum so viele total-buy-ausgebeutete Journalisten lieber für Buchverlage arbeiten.

Tja, es ist Sommer, es ist heiß und in manchen Köpfen regnet es.

Aktualisierung: Apropos Buy-out bei Journalisten - zumindest die Fotografen haben jetzt einen kleinen Sieg errungen. Eine einstweilige Verfügung gegen den Heinrich Bauer-Verlag erwirkt einen Stopp der rechtswidrigen Buy-out Verträge mit Fotografen. Vielleicht stellen sich auch die Printjournalisten und deren Vereinigungen endlich auf die Hinterfüße? Mehr zum Sieg von Freelens hier.
Welche üblen Auswüchse Buyout außerdem haben kann, zeigt der Missbrauch von Elke Heidenreich durch einen Drittanbieter via FAZ.

Vor dem Leistungsschutzrecht sollten wir vielleicht AutorInnen endlich unter Naturschutz stellen? Vielleicht als bedrohte Vögel des Jahres?

16. Juli 2009

Schwein gehabt...

Controle technique (franz. TÜV) heute ... mein Auto ist gleich vom Garagisten einbehalten worden, keinen Meter mehr würden sie mich fahren lassen ohne Reparatur. Lebensgefährlich, meine Lenkung könne jederzeit aussetzen.

Wenn ich an die vorgestrige Horrorfahrt von Baden-Baden ins Elsass durch das Unwetter denke, wird mir nachträglich schlecht. Darauf brauche ich erst einmal einen Lauf mit meinem Hund. Und dann genehmige ich mir ein Glas Sekt darauf, dass ich meine Lesung überlebt habe.
Oder soll mir das alles nur helfen, die Rechnung freudiger zu schlucken?

Das komische Geräusch, das mich dagegen dermaßen beunruhigt hat, dass ich den Termin früher nahm als vorgesehen, hat sich als Lappalie entpuppt, die noch nicht zu machen ist. Bauchgefühl - auch bei Autos nicht übel...

roccultur 06

roccultur: Beißfester als Popkultur, authentisch wie Rocco, unser französischer Korrespondent von der berüchtigten Beauceron-Berger-Belgique-Connection.
Sonderausgabe

Endlich. Endlich wird unsere Kulturleistung von den Menschen ausreichend gewürdigt: Hunde helfen Kindern beim Lesen!

Dass wir jedoch Kinder beim Lesenlernen nur deshalb ermuntern, weil wir bei Fehlern nicht lachen und weil wir so herrlich gemütlich herumdösen können, ist stark untertrieben. Denn der Hund, der sein Lachen an der richtigen Stelle zu platzieren weiß (etwa, wenn sich Erwachsene doof anstellen), ist weit intelligenter, als man ihm das gemeinhin zutraut. Ich zitiere dazu im Originalton meine Menschin: "Mein Hund lehrt sogar Erwachsene das Schreiben. Wenn der Textfluss nicht stimmt, wacht er beim Zuhören abrupt aus dem Dämmerschlaf auf. An der Haltung seiner Ohren kann ich ablesen, ob es sich um einen gravierenden Fehler handelt."

Meine Menschin hat ziemlich lang gebraucht, um auf meine literarischen Fähigkeiten zu kommen. Das erste Mal schöpfte sie Verdacht, als ich mir heimlich still und leise einen Pilcherfilm reinzog. Dann ertappte sie mich einmal dabei, wie ich mich einer Lektorin, die Panik vor Hunden hatte, sanft auf die Füße legte. Die Frau schwärmt heute noch von mir *pfiffel*...

Drum, liebe Menschen, unterschätzt uns Hunde nicht!

Schwarzmalerei mit Blitz

Ei, die Nachrichten aus Kunst und Kultur dräuen wieder krisenschwarz am Himmel. Da wäre einmal aktuell das Spar-Festival der ARD zu nennen, das zur verflachenden Gleichschaltung im wahrsten Sinn des Wortes führt, und vor allem die am Ende der Nahrungskette (wen sonst) trifft: freie Autoren und Regisseure. Man spricht gar von einer Bedrohung der Formen Hörspiel und Feature.

Auch bei den Büchern wird gespart, in großen Verlagen dreht sich lustig das Personalkarussell. Ein Kettenkarussel scheint es zu sein, dessen beschleunigter Drehmoment die wegschleudern wird, die sich nicht festhalten können. Es soll auch schon vermehrt Autoren geben, die beim Bäumchen-Wechsel-Dich plötzlich Lektoren aus dem vorletzten Verlag bei der Konkurrenz wiedertreffen oder ein einziges Buch von mehr als einer Lektorin bearbeitet bekommen.

Und dann wären da noch diejenigen, die zuerst versuchten, den eigentümergeführten Buchhandel kaputt zu machen und nun selbst entlassen, als sei das ein lustiges Sommerspiel: Hugendubel und Weltbild schieben zwar alles auf Amazon und einen "Strukturwandel", bauen aber erst mal brutal Personal ab. Weniger Personal, das in manchen Läden ohnehin eher die Qualifikation von Fischverkäufern hatte - dafür noch mehr Konzentration auf Gängiges. Wieder trifft es die Mehrheit der Autoren, die nicht den massenkompatiblen Stapeltitel schaffen oder schaffen wollen. Auch hier wird fleißig gleichgeschaltet.

Dunkle Wolken am Horizont. Krise. Zeit für eine gepflegte Autorendepression.

Nein, halt! Es ist an der Zeit, dass der Blitz endlich ins System fährt. Jeder, der noch nicht gleichgestrickt schreibt und zum austauschbaren Versatzstückautor geworden ist, sollte einen Regentanz aufführen, damit das reinigende Gewitter schnell und heftig kommt. Solange es die anderen noch gibt, die mit Mühe gegen dieses Massengeschäft durchgehalten haben. Die engagierten kleineren und mittleren Verlage mit Grips und Kreativität, echte Bücher- und Autorenmacher. Die Autoren mit Anspruch und Individualität. Die kleinen und größeren unabhängigen Buchhandlungen mit Fachpersonal und der Chuzpe zur Auswahl. Die Leserinnen und Leser mit Hirn und Herz für gute Bücher. Bei all denen liegt die Zukunft.

Gewiss trifft es in Umbruchphasen viele Betroffene hart. Es sind Phasen, die völliges Umdenken erfordern. Aber was da derzeit verröchelt, sind nicht Kunst und Kultur als zivilisatorische Kräfte, das ist ein künstlich aufgeblasenes Branchensystem, von Unternehmensberatern in den Hype geredet, bei dem das Buch zur austauschbaren Massenware wie Zahnpasta verkam. Immer schneller, dicker, seichter für Quote und Profit - da wurde doch nur nachgeahmt, was das Fernsehen mit der Einführung der Privatsender vorgemacht hatte.

Und wie ist das mit dem Fernsehen heute? Genau. Die Zuschauer bleiben weg. Sie tummeln sich zunehmend in den Medien, in denen sie ernst genommen werden, in denen sie ihre Ansprüche stillen können. Internet statt Fernsehen. Aber statt dazu zu lernen, halten die Intendanten ihr Publikum für noch blöder als vorher. Ein Teufelskreis.

Inzwischen glaube sogar ich an einen Clash of Culture. Der Massenmarkt wird sich krisengesundschrumpfen auf Kosten von Qualität und Mensch. Warum eigentlich nicht endlich ehrlich sein und die Strategie auf die Spitze treiben? Wie Buchhändlerin XY über Verlag NN sagte: "Die finanzieren sich aus drei Bestsellern im Programm, alles andere ist Füllware, um Größe vorzutäuschen, das sind Beta-Autoren, deren baldige Verramschung schon bei Erscheinen eingerechnet ist. Friss oder stirb, wenn das Buch zufällig einer entdeckt, ist gut, wenn nicht, auch nicht schade drum."

Warum nicht ehrlich zu den drei Bestsellern stehen und auf die Beta-Autoren verzichten? Hart wäre das nur kurzfristig. Langfristig würde die aber endlich keiner mehr an der Nase herumführen, sie würden nicht umsonst auf Karriere hoffen oder ihr Leben nach dem fest eingeplanten, aber verheimlichten Untergang einrichten. Vielleicht würden sie sogar aufwachen und endlich für die richtigen Verlage schreiben - für die, denen Bücher und Autoren noch am Herzen liegen?

Ich denke, wir brauchen dringend Verdummung, wir brauchen noch mehr Massen von Seichtem, noch billigere Programme in allen Medien! In einem Land, das sich zunehmend genussdrogenfeindlich geriert und am liebsten auch noch gutes Essen abschaffen würde, brauchen Menschen Dröhnung - auch das ist ein Teil des zivilisatorischen Prozesses. Deshalb ist es endlich an der Zeit, klare Linien zu ziehen. Ich will meine Dealer gleich und deutlich erkennen können! Spart zusammen, was das Zeug hält! Schiebt alles auf Amazon, auf Google oder die Krise. (Nur nie auf McKinsey.) Verflacht eure Programme, stellt am besten nur noch Ein-Euro-Jobber aus der Autoindustrie ein, die wissen, wie man Ware stapelt, entstapelt und durch die Endkontrolle bringt. Nur steht bitte endlich dazu!

Ich schlage ein Schnellbefriedigungs-Gütesiegel vor: Safer books. Damit wir künftig solche Programme, Verlage und Buchketten noch deutlicher erkennen. Ich schlage Fusionen vor, feindliche Übernahmen, fröhliches Schlachten. Was, unmenschlich soll das sein? Verrückt geworden soll ich sein?

Nein. Ich bin einfach für klare Verhältnisse. Weil dann all die anderen Qualitätskräfte in Kunst und Kultur sich vielleicht wieder Gehör verschaffen können. Und weil wir Kulturschaffenden diejenigen, die unser Publikum für grenzdebil halten, beim heutigen Stand der Technik bald nicht mehr brauchen werden. Publikum wandert dorthin ab, wo es ernst genommen wird, das lehrt das Fernsehen, das massiv gegen das Internet verliert.

Gewiss, ab und zu eine kleine Dröhnung ist fein. Viele werden abhängig werden - das gehört dazu. Aber der Rest der Welt wird hungriger und hungriger - nach Qualität. Vielleicht sogar nach Schönheit. Nach Inhalten. Nach Relevanz.

Die Zeichen stehen nicht schlecht für eine Qualitätsoffensive. Wenn es gelingt, diese direkt auf die Straße zu tragen, nämlich zu den Kundinnen und Kunden - dann könnte man doch fast eine kleine Revolution ... ?

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15. Juli 2009

Leserosen



Müde, glücklich, beflügelt und mit schwabbeligem Kreislauf heute. Obwohl die Lesung gestern nicht im schönen Rosenpark stattfinden konnte, war das Literaturmuseum voll und das Publikum fantastisch. Ich war nicht wenig überrascht und erfreut, sogar Gäste aus Frankreich begrüßen zu können! Nicht zu reden von all den "fleißigen Helferlein", die diese konzertierte Aktion zwischen Stadtbibliothek, Bibliotheksgesellschaft, Gartenamt und Clara Schumann Musikschule in Baden-Baden ermöglichten. Plus meinem Buchhändler, der nach einem langen Arbeitstag den Büchertisch selbst betreute.

Solche Veranstaltungen sind für Schreibjunkies wie die dringend ersehnte Spritze fürs Durchhalten. Das Schreiben gegen die Wand hat wieder einmal ein Ende, man sieht und spricht die Menschen, die Bücher lesen; hört, worauf sie Wert legen, was sie anspricht, was sie vielleicht vermissen. Natürlich kann man nicht auf jeden Wunsch beim Schreiben eingehen, aber mich persönlich beflügelt es immer wieder zu sehen, dass Leserinnen und Leser auch nicht halb so dumm sind, wie das manche Verlage und Medien gern hätten. Für anspruchsvolle Menschen schreiben zu dürfen, macht gleich noch mal so viel Spaß.

In einer traumhaften Weinstube in den Gassen, die im Eröffnungskapitel meines angedachten neuen Romans vorkommen, flogen meine Gedanken dann mit Nijinsky herum, ich erfuhr von der russischen Bibliothek in der Stadt, in der es sogar DVDs gibt. Ob ich damit meine Sprachreste auffrischen kann?

Als ich auf dem Rückweg bei einem In-Lokal an James Bond's E-Modell vorbei lief, musste ich unwillkürlich kichern. Von diesen Autos werden ganz bestimmt nicht viele verkauft und mit einem Volkswagen Käfer oder Opel Kadett hat man sicher den größeren Reibach machen können. Aber dieses Auto ist immer noch eine Schönheit und kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, dafür eine Abwrackprämie zu kassieren. Ist es mit dem Buchmarkt und der Buchverramschung nicht ähnlich? Ich staune immer wieder, wie beliebt mein Elsassbuch auch nach fünf Jahren noch ist. Es gibt Verlage, in denen würden Bücher nicht einmal halb so alt.

Trocken blieb es, aber auf höchst unsicherem Niveau. Und dann, fünf Minuten vor Aufbruch der Wolkenbruch. Ich habe noch nie so lange für die Fahrt gebraucht, das war Blindflug ohne Autopilot, auf Straßen, die plötzlich Kanäle aufnahmen oder Schlamm aus den Feldern. Jemand sagte, wenn wir das Risiko mit dem Park eingegangen wären, wäre das Unwetter sofort gekommen. Trotzdem durfte ich ein Stückchen Gönneranlage mit nach Hause nehmen. Vom einzigen Menschen, der dort Blumen pflücken darf, dem Gartenamtschef. Das Bukett war ausgesucht für meinen ersten Teil, wo es um die Mythologie der weißen und roten Rosen ging.

Schwierig, nach so einem schönen Abend in lästigen Alltagskram wie dringende Einkäufe und TÜV finden zu müssen. Aber danach gibt's ein "Retreat": nur noch Nijinsky.

13. Juli 2009

Morgen in Baden-Baden

Wer morgen als Auswärtiger zu meinem Auftritt in Baden-Baden fährt, sollte in zwei Fällen mehr Fahrtzeit einplanen:
  • Beim Parken in Baden-Badens Innenstadt. Im Kongresshaus findet bis 19 Uhr die Ausbildungsmesse statt. Freie Parkhausplätze sind jedoch bei der Einfahrt in die Stadt ausgeschildert.
  • Beim Überqueren der deutsch-französischen Grenze, die bis 2012 eine einzige Zumutung sein kann. Wegen des Nationalfeiertags in Frankreich werden aber wenigstens die LKWs ausbleiben. Mehr zu den Baustellen hier.
Aktualisierung: Lesung wegen Wetters nicht in der Gönneranlage, sondern im "Gartenhaus" (Otto Flake Villa) genaue Lage siehe Link Auftritt.

Ballets Russes: Rätsel Folge 5

Diesmal gibt's im Rätsel um Nijinsky und die Ballets Russes keine Geschichte, sondern etwas Mathematik. Dafür haben wir dann mit dieser Folge aber auch gleich drei fehlende Buchstaben auf einmal!

In einem der letzten Blogbeiträge (Kommentare inklusive!) taucht der Name der Krankheit auf, mit der Nijinsky 1919 diagnostiziert wurde - vom damaligen Wissensstand her verständlich, vom heutigen her wahrscheinlich nicht zutreffend. Der Name dieser Störung liefert gleich drei Lösungsbuchstaben:
  • Der siebte Buchstabe der Krankheit ist der sechste Buchstabe des Lösungsworts.
  • Der zehnte Buchstabe der Krankheit ist der siebte Buchstabe des Lösungsworts.
  • Der dreizehnte Buchstabe der Krankheit ist der neunte Buchstabe des Lösungsworts.
Schon gemerkt? Wir haben den ein oder anderen Buchstaben übersprungen - die kommen später dran. Ich möchte ja, dass die fünf Ausgaben des Hörbuchs "Ich will eine Liebesschlange. Eine Annäherung an Vaslav Nijinsky", das etwa Ende September bei Der Diwan erscheinen wird, nicht von Maschinen und Gewinnspiel-Bots, sondern von echten Liebhabern aus Fleisch und Blut gewonnen wird.

Eine Zusammenfassung über das Rätselspiel an sich und eine Übersicht aller Fragen finden sich hier. Ich bitte um Verständnis, wenn ich die Fragen von Teil 5 erst nach meinem Auftritt einsetze.

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12. Juli 2009

Jackson, Nijinsky und das Büro

Zwei Tage vor meiner Lesung befinde ich mich im üblichen Vorauftrittsloch. Dauerregen lässt mich ums Open-Air bangen, dazu kommen die üblichen Ängste von Verkehrskatastrophen (nur ein winziger Grenzübergang offen) und eingebildeten Lampenfieberkrankheiten, die sich sachte ankündigen und am Dienstag zuschlagen werden. Sie sind wie alte Kumpel, man weiß genau, wann sie klingeln werden. Freunde, die mich ablenken könnten, sind dagegen alle irgendwie verreist, also werde ich zur Betäubung arbeiten.

Ein wenig Atem- und Lesetraining, denn ausgerechnet jetzt spinnt der Kehlkopf und kratzt. Primelwurzeln, Königskerzenblüten, offene Zischlaute halten. Und dann einfach mit Nijinsky in seine Bühnenwelt abtauchen. Hat da jemand Bühne gesagt? Wie soll das ablenken? Hilft alles nichts, der Abgabetermin schreit bereits vernehmlich. Kürzlich hat mir eine gesagt, warum das mit dem Nijinsky ganz sicher so sei wie mit dem Michael Jackson. Da könne einer irre viel und irre gut, aber leben könne er nicht. Und dann schaue man dessen Leben an, diese durchgeknallten Höhen und Tiefen und Extreme und sei froh, dass man kein Künstler ist. Dass man nur ein kleines, unscheinbares Leben voller grauer Alltage habe.

Leute wie Nijinsky und Michael Jackson, meinte sie, machten einem das fade Leben erträglicher. Und manchmal sogar das schlechte Gewissen, das bohre, warum man damals nicht ausgebrochen sei, warum man damals nicht gewagt habe. Und dann erzählt die Frau, die im Büro tagaus tagein Rechnungen abhakt, wie sie einmal Designerin habe werden wollen, aber das sei nicht vernünftig genug gewesen. Und sehen Sie, sagt sie, der Jackson und der Nijinsky, die sind beide durchgeknallt und es gibt doch so viele Künstler, die verrückt sind, die leben ja schon anders und ich, ich bin in meinem Büro und noch normal. Also war das gut so damals mit der Ausbildung.

Sie sind doch auch noch normal geblieben, findet sie, arbeiten jeden Tag und dann haben Sie mal einen Auftritt und stellen sich hin und lesen vor, ohne Spinnereien, ohne Lampenfieber, geht doch! Sie gehen einfach da raus und machen das und können das, so wie ich meine Rechnungen schreibe, ja zum Teufel noch mal, man kann doch auch Künstler sein und normal bleiben, auch wenn wir lieber die Geschichten von den anderen lesen, den spinnerten. Wie ich ihr bedeute, dass ich da nicht einfach "rausgehe", sondern zumindest einen Moment die Augen schließe und zehn Mal sehr tief atme und manchmal einen Tag vorher krank bin, da meint sie, naja, ein bißchen Koketterie müsse wohl sein in meinem Beruf, ich träte doch auch ohne Angst in ihr Büro und sage einfach Guten Tag und rede und so ein Publikum, das könne doch nicht anders sein als ein Büroplausch.

Passen Sie bloß auf, dass es Ihnen nicht wie dem Nijinsky geht, zu viel Kunst ist ungesund, das sehe man immer wieder; wenn einer schon anfange, anders zu leben als die anderen oder komische Sachen denke.

Und dann komme ich heim, schalte den Fernseher ein, um abzuschalten, und werde aufgeklärt, dass es jetzt Antidepressiva gebe, die man gegen Lampenfieber und alltägliche Stimmungsschwankungen verschreibe. Auf einmal sehne ich mich regelrecht nach etwas mehr Lampenfieber, denn Lampenfieber ist gesund. Es hält einen aufmerksam und wach, gibt einem die Gabe, sich nachher selbst zu beobachten und zu analysieren, während man agiert. Ich denke, nur mit diesem zusätzlichen Adrenalinstoß ist es möglich, extrem aufmerksam, ohne nachzulassen, sein Bestes zu geben. Ich frage mich, was passieren würde, wenn man kleine, Lampenfieber auslösende Pillen in Bürokaffees mischen würde.

14.07.2009 Lesung "Das Buch der Rose" in Baden-Baden

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11. Juli 2009

Vorleser im Exposéformat

Normalerweise schläft ein hart arbeitender Schriftsteller zur späten Vorleserstunde das erste Mal vor dem Fernseher ein. Diesmal schlummerte ich bereits selig bei irgendeinem Krimi davor (es kommen ja immer Krimis) und wurde dann rüde geweckt. Etwas im Rhythmus der austauschbaren ZDF-Klangteppiche hatte sich merklich verändert, Stimmen erhoben sich. Blinzelnd erkannte ich einen dunklen Mann und eine helle Frau, die sogar meinen Hund geweckt hatten. Aha, Krimi-Doublenight, wahrscheinlich irgendein Killer in Manhattan, aber warum sitzen die so gemütlich und fein gestylt?

Plötzlich war ich hellwach und erkannt Ijoma Mangold und Amelie Fried in der Sendung, wegen der ich extra vor dem Fernseher sitzen geblieben war, um sie auch ja nicht zu verpassen: "Die Vorleser". Obwohl mir zu so später Stunde meine Bettlektüre oder ein Glas Wein mit Freunden näher liegen als Kultursendungen. Die beiden "stritten" also über ein Buch und das blieb mir deshalb als einziges merkfähig im Kopf: Joey Goebel, Heartland. Warum aber soll ich einen Roman kaufen, den einer mag und einer nicht mag? Geschmacksurteile kann ich wohlfeil bis zum Erbrechen bei Amazon haben. Die beeindrucken mich auch dort nicht.

Immerhin, Mangold hat ab und zu noch seinen Geschmack begründet, aber selbst dazu war die Zeit zu knapp. Dabei schafft genau das die Bindung zum Zuschauer. Erst wenn ich weiß, warum einer etwas nicht mag oder lobt, erst wenn ich erkennen kann, ob mein eigener Geschmack dem seinen entspricht oder nicht, kann ich über einen Buchkauf entscheiden. Ansonsten brauche ich andere Auslöser: Ernsthafte Literaturkritik, Faszinierendes über Autoren oder Packendes an Inhalten.

Das ist überhaupt das Grundproblem der Sendung, das war es schon bei Elke Heidenreich: Wie die Säue durchs Schlachthaus werden die Bücher durch eine viel zu kurze halbe Stunde getrieben. Hauptsache viel Schnitzel auf dem Teller. Die Moderatoren reden sich atemlos. Diesmal hatte ich den Eindruck, jemand habe die Sendungsteile mit der Stoppuhr genau abgezählt und zeigte den Moderatoren schon im Voraus die rote Karte für Sekundenverschwendung.

Dafür können die Moderatoren nichts, das ist der Fehler des ZDF. Dort sollte man konsequenter mit der Form umgehen, die man zur Verfügung stellt. Ich schlage in Zukunft für viel Buch in wenig Zeit eine Videoclipsendung vor, dann könnte man den Profit steigern: Buchtrailer à 30 Sekunden, macht nach Adam Riese 60 abgefeierte Bücher. Sprich, man könnte die Zeit für Literatur auf eine Viertelstunde herunterkürzen. Andere Möglichkeit: Beschränkung bei den Titeln und mehr Tiefe ... Traum: Mehr Sendezeit.

Ich wollte natürlich nicht zu kritisch sein. Erste Sendung - das Lampenfieber kann ich mitfühlen. Eine verschlafene Kritikerin vor der Mattscheibe taugt auch nicht. Aber plötzlich musste ich lachen. Schallend lachen. "Die Vorleser" bewirkten bei mir einen seltsamen Effekt, dem Tante Erna nicht erliegt, weil sie zum Glück branchenfern ist. Die wird vielleicht wirklich auf die besprochenen Bücher achten und hat mit dem Einspieler über Walter Sittler so richtig was fürs Herz bekommen (nur nicht die passenden Bücher dazu). Ich jedoch sah vor meinem geistigen Auge eine auf Effektivität gebürstete Programmkonferenz, die sich anhörte wie Lektoren, die schlecht geschriebene Exposés ihrer Autoren kritisieren.

Das war wie ein Lehrfilm über Regieanweisungen in Sachen Buch-PR im Kettenhandel: "Lesernutzen, streicht den Lesernutzen heraus!" - "Wir brauchen mehr Identifikationspunkte! 90% aller Leser sind Frauen!" - "Ihr wart jetzt zwei Minuten einig, ein wenig mehr Konfliiiikt bitte! Sachte, nicht zuviel, sonst verschrecken wir Tante Erna!" - "Denken Sie an die breite Masse, wir machen keine Bücher / Sendungen für ein Nischenpublikum!" - "Leeeeesernutzen! Sagen Sie was über Emotionen! Fangen Sie die Frauen ein, die Frauen!"

Ich muss wohl deliriert haben. Für mich wirkte die Sendung einfach nur clean und so perfekt abgespult, dass sie den Charme eines Autoren-Exposés entwickelte. Das ist auch noch kein packendes Manuskript, sondern nur ein Verkaufsinstrument dafür, dass Lektoren das Manuskript überhaupt erst anfassen wollen. Auf die allzu angeordnet wirkenden Pseudo-Emotiönchen hätte ich verzichten können. Wie bitte soll ein Moderator aber in 30 Minuten echte Emotionen entwickeln und wechseln können, wenn er kein gelernter Schauspieler ist? Ach, Marcel, der konnte das noch. Sich in Rage reden, fetzen, schwärmen... (der hatte aber auch mehr Sendezeit pro Buch).

Schließlich bekam ich sogar Mitleid: Drei Bücher in drei Minuten, das klang wie Speeddating im Großverlag, wie das Termine-Abrasseln auf der Buchmesse. Die wahren Gespräche würden woanders laufen. Schade, gegen Dennis Schecks Schnellverrisse am Abfallband (ARD) blieb das blasses Abziehbild. Kein Mut zur Meinung. Klappentextartiges. Schecks Minutenverrisse kann man immerhin genüsslich wie Wein schlürfen, die gibt man sich auch als Schriftsteller wie der Masochist vom Dienst - weil mit Sprachwitz und Verve etwas schnell auf den Punkt gebracht wird. Es soll Kollegen geben, die lesen sie sogar noch einmal auf der Webseite nach und tauschen Links.

Schade um die Sendung. Hochachtung für Ijoma Mangold und Amelie Fried, die mit den verschrobenen Vorstellungen des ZDF und einem hirnrissigen Zeitkonzept zurechtkommen müssen - und gegen diese Widrigkeiten tapfer wie Don Quichote den Kampf aufgenommen haben. Sie werden sich in den folgenden Sendungen sicher routiniert einspielen. Weniger Hetze, mehr Raum für echten Inhalt, für Authentizität, wäre ihnen und dem Publikum zu wünschen. Und ich wage kaum zu wünschen: Mehr Leidenschaft. Bücherliebhaber sind keine Fische.

Vielleicht jedoch haben die Vorstellungen des Senders Tante Erna nach später Krimistunde wirklich angesprochen und all die anderen, die krank, einsam oder bettlägerig die Nacht auf Samstag daheim verbringen. Ich bin ganz offensichtlich nicht das Zielpublikum, aber ich beziehe meine Lektüretipps auch schon lange nicht mehr aus der Glotze.

PS: Manche Kritiken lesen sich vergnüglicher, als es die Sendung war, z.B. in "Der Westen". Deren Hinweis zum Schluss konsequent zu Ende gedacht: Was wäre, wenn Amelie Fried mit Markus Lanz beim Kochen über Bücher sprechen würde? Dann könnten vielleicht Ijoma Mangold und Thea Dorn ...?

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10. Juli 2009

Kunst-PR für Anfänger

Wenn mir einer letztes Jahr gesagt hätte, dass ich wieder in die PR einsteigen würde und das ausgerechnet im Bereich Kunst und Kultur, hätte ich denjenigen für verrückt gehalten. Bitte nicht noch einen Job, bei dem man sich den Wolf arbeitet und sich jederzeit den Herzinfarkt holen kann, mit Kunden, die kein Geld haben, ihre "Ware" lieber im Hinterkämmerlein verstecken und die PR-Fuzzis mit der Schrotflinte vom Hof verjagen. Nun, zum Glück sieht die Wirklichkeit besser aus und der Herzinfarkt wird vielleicht dadurch verhindert, dass Engagement für ein Produkt namens Kunst und Kultur, das man selbst als sinnvoll erachtet, motiviert. Und man arbeitet eher für die, die mit KünstlerInnen arbeiten. In die Abgründe sieht man trotzdem.

Die Webseite will nicht funktionieren

Da war ein Gespräch über ein paar Bildende KünstlerInnen, die sich nun völlig von der Eigenwerbung im Internet abwenden wollten. Seltsam, fand ich, wo doch international die Selbstdarstellung zunimmt und immer professioneller wird. Die Probleme kann man auf andere Künste übertragen:
  • Die KünstlerInnen hatten - meist handmade - Webseiten ins Netz gestellt. Nach einem Jahr kein Erfolg. Keiner fragte Bilder an oder kaufte. Manche bloggten vor sich hin und keiner las mit.
  • Viele beklagten, es schauten sich nur KollegInnen die Webseiten an, kein Publikum.
  • Einige fanden, das Web schade ihnen, weil sie beklaut würden. Statt Bilder zu kaufen, würden die Kunden diese herunterladen und auf Leinwand ausdrucken.
  • Fast alle glaubten, durchs Internet nicht "entdeckt" werden zu können, z.B. für Ausstellungen, von Galeristen, Veranstaltern.
Wer ist schuld am Misserfolg?

Klingt alles eindrücklich und glaubhaft - nur ist ausgerechnet das Internet nicht schuld daran! Internet ist ein Kommunikationsmedium, in diesem Sinn natürlich auch ein möglicher PR-Kanal. Dadurch, dass so vieles kostenlos erscheint und intuitiv machbar, verführt es. Man glaubt, es genüge, schnell "mal was zu schreiben und zu zeigen". Aber wie andere Medien gehorcht auch das Internet eigenen Gesetzen, will seine spezielle Kommunikationweise erlernt werden (und zwar ständig, weil sich alle halbe Jahre etwas ändert). Dazu braucht man nicht sofort Fachleute, Fachwissen ist nämlich auch abrufbar - aber man muss sich darauf einlassen - und sich gegebenenfalls helfen lassen. Oder man gibt diese Arbeit an Profis ab.

Lösungsmöglichkeiten

Die oben genannten Probleme lassen sich einfach analysieren:

1. Bei Milliarden von Webseiten genügt es nicht, einfach eine dazu zu stellen und zu hoffen, dass sie entdeckt, womöglich gut platziert wird. Dafür muss man aktiv etwas tun. Als Laie sollte man beachten:
  • Webseiten aller Art werden nicht nur von Menschen gelesen, sondern auch von Robots. Diese reagieren auf den Quelltext und sorgen für die richtige Platzierung. "Suchmaschinenoptimierung" nennt man die Kunst, das richtig zu programmieren.
  • Texten für Webseiten will gelernt sein - denn aus dem gleichen Grund zieht man mit den Worten, die man benutzt, entweder das falsche oder das richtige Publikum an.
  • Ich muss eine einprägsame, auf mich oder meine Kunst bezogene Domain-URL im Internet und offline verbreiten (ohne aufdringlich Werbung zu spammen!). Das fängt bei der Signatur (unbedingt klickbar) in Mails und Foren (falls erlaubt) an und hört auf der Visitenkarte, auf Briefpapier, in Mappen und anderen Vorlagen auf.
2. Bevor ich im Internet aktiv werde, muss ich mir Gedanken machen, wen genau ich erreichen möchte. Schon vor der Konzeption einer Webseite muss ich entscheiden: Will ich Kunden ansprechen? Will ich KollegInnen kennenlernen? Brauche ich eine seriöse Visitenkarte für Veranstalter, Galeristen, Verlage und die Presse?
  • Man kann nicht alle im Mischmasch beglücken. Es empfiehlt sich eine klare Zielgruppenanalyse verbunden mit Überlegungen, wo im Netz die betreffenden Menschen "abzuholen" sind.
  • Will man unterschiedliche Bereiche abdecken, empfiehlt sich die Trennung auf der Webseite. Der Teil, der zur Bewerbung oder als Aushängeschild dient, muss sachlicher und mit anderen Inhalten daherkommen als eine Seite für Fans, die sich eher für den "human touch" interessieren. Wer mit Öffentlichkeit arbeitet, braucht einen einfach zugänglichen Pressebereich (spätestens hier erkennt jeder, warum meine eigene Webseite stümperhaft ist und dringend überarbeitet werden muss). Trotzdem müssen alle Bereiche miteinander eine Einheit bilden: Ich sollte beim "Schwätzen" im Internet nicht peinlich werden oder Dinge sagen, die morgen nicht in der Zeitung stehen dürften. Denn im Ernstfall lesen unterschiedliche Interessensgruppen alles.
  • Ich muss meine Zielgruppen ansprechen und "abholen". Da gibt es hauptsächlich zwei Methoden. Methode 1: über den Inhalt. Spreche ich über Probleme beim Pinselauswaschen, erreiche ich eher Kolleginnen, die auch Pinsel auswaschen müssen. Rede ich darüber, dass ich gern esse, ziehe ich vielleicht Gourmets als Kunden an, dann darf ich aber keine genussfeindlichen Bilder malen. Meine Inhalte sollten zu meinem Zielpublikum passen. Methode 2: Vernetzung / Social Media: Mache ich mich in einem Malerforum bekannt, werde ich keine Kunden finden, sondern KollegInnen anziehen. Suche ich gezielt Galeristen, sollte ich mich dort vernetzen, wo sich Galeristen tummeln, muss sie ansprechen. Fazit: Ich selbst muss aktiv werden, um Publikum zu finden.
  • Offene Werbung ist verpönt. Das Internet ist zwar ein ideales Werbeinstrument, es ist aber nicht dazu da, einfach Werbemüll abzuladen. Netzwerke und Social Web basieren auf der Vorgabe: Geben und Nehmen. Die menschliche, soziale Beziehung steht - wie im echten Leben - an erster Stelle. Wer als Mensch etwas zu geben hat, wird auch dann ernst genommen werden, wenn er von seiner Kunst, seiner "Ware" erzählt. Eigentlich sollte das gerade KünstlerInnen entgegen kommen, die sehr viel mehr zu bieten haben, als nur platte Verkäufer zu sein.
3. Die Sache mit dem Klau ist ein ernsthaftes Problem - und vor allem Texter erleben hier im Moment heiße Diskussionen, die an einen "clash of cultures" erinnern. Gehen wir einmal eiskalt davon aus, dass dieser Klau im Web nicht zu verhindern ist, so gibt es doch Sicherungsmethoden. Ich muss deshalb das Web nicht meiden.
  • Ich stelle wirklich zu schützende Inhalte nicht pur und abgreifbar ins Web (hochauflösende, reproduzierbare Bilder, Originalmanuskripte etc.). Solches schlau in eine Webseite zu montieren, gehört zu den Anfangsgründen des Webdesigns.
  • Ich überlege selbstkritisch: Wenn meine Kunst derart leicht zu kopieren ist, was macht dann überhaupt ihre Einzigartigkeit aus? Wie kann ich Internet-Diebe zu Kunden machen (oder spreche ich einfach nur die falschen Leute an)? Warum stehlen Leute meine Kunst? Natürlich müssen Urheberrechte gewahrt bleiben! (Und Rechtsbrüche sind kein Kavaliersdelikt, nur weil viele sie begehen). Aber wenn ich schon um Klau weiß, könnte mir das Vermarktungsideen liefern! Drucken tatsächlich viele Menschen meine Bilder aus, um sie als "Leinwandfälschungen" an die Wand zu hängen? Dann gefallen ihnen diese Bilder eindeutig! Vielleicht können sie sich die aber nicht leisten. Warum nicht preiswerter handsignierte Drucke selbst anbieten? Solche Kunden könnten die Kunstsammler von morgen werden. Und immer wieder die Frage: Was bringt Menschen dazu, das Original besitzen zu wollen statt des Internetausdrucks?
  • Verschenken sollte man lenken, nie mit der Gießkanne praktizieren. Das Internet lebt natürlich auch von Tausch und Austausch. Ich werde immer irgendwelche Inhalte haben, deren Verbleib ich nicht nachspionieren kann. Ich kann aber ein gewisses Kontingent auch gezielt dort verschenken, wo es Werbung für mich bedeutet oder Kunden bindet. Ich kann als Fotograf meine Bilder schützen und trotzdem eine winzige Kollektion so in Umlauf bringen, dass Menschen mich entdecken und mehr kaufen (!) wollen. Ich könnte mit der Abbildung eines Gemäldes Aktionen starten. Ich kann mit Texten, die ich nicht für Bücher brauche, Menschen neugierig auf meine Bücher machen. Warum Verschenken nicht an Aktionen koppeln, bei denen ich mit den Beschenkten in Austausch trete?
4. Die Sache mit den Onlineshops. Eine Wissenschaft für sich. Die meisten Shops scheitern an folgenden Voraussetzungen: Vertrauen (Zahl- und Liefersysteme), einfaches Navigieren, genaue Warenbeschreibungen mit Bildern, Barrierefreiheit, intuitives einfachstes Handling. Hier sollte man nicht am Profi sparen und sich vorher umschauen, welche Beispiele gut funktionieren.

5. Die Sache mit dem Interesse. Ich stelle etwas ins Internet und verlange damit vom Publikum, dass es mir seine rare Zeit und Interesse schenkt. Dafür muss ich etwas bieten. Aufmerksamkeitsspannen im Internet sind noch geringer als beim Fernsehen. Sieht man die ewig gleichen Inhalte, dasselbe langweilige Geschwätz wie nebenan, klickt man schnell weiter. Bei allem, was ich schreibe und zeige, muss ich mir Gedanken um Relevanz machen. Und wie erziele ich Aufmerksamkeit? Noch wichtiger: Mit welchen Inhalten kann ich sie halten?

Soweit die ersten Schritte in Internet-PR für Laien / KünstlerInnen.
Zugegeben, dank des Mediums Blog oft stark vereinfacht und verkürzt dargestellt (richtig lehren kann man das eher in Workshops oder Seminaren und am besten am lebenden Beispiel).

Vielleicht aber wird damit deutlich, dass Internet - für den Beruf genutzt - kein einfaches Spielzeug ist. Es lohnt sich durchaus, das Medium verstehen zu lernen und sich vorher Gedanken zu machen, was man eigentlich erreichen will.
Ein Vorteil des Internets ist aber auch: man kann darin viele der hier angesprochenen Themen vertiefen.
Viel Wissenswertes in Sachen Kunstmarketing und vor allem Social Web für Kunst und Kultur findet man z.B. bei kulturmanagement.
Außerdem empfehle ich die Serie "Web 2.0 im Kulturbereich - Basiswissen" der stArt Conference. Beide sind außerdem im Social Web zu finden und bieten weiterführende Links zum Thema.


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