Heute kann man sie wieder überall hören, die Stimmen, die Halloween als amerikanische Mode beklagen. Sicher kommt das Konsumgedöns, das darum gemacht wird, in seiner ganzen Plastikschönheit aus den USA, doch Halloween ist ein ureuropäischer alter Brauch, weitaus älter als die Vereinigten Staaten. Ursprünglich wurde Halloween (engl.) oder Samhain (gälisch) in allen ehemals keltischen Landstrichen Europas begangen und hielt sich am längsten in Irland. Erst von dort brachten irische Emigranten den Brauch in ihre neue Heimat über dem großen Teich.
Überreste der Urtradition kann man noch hier und da in Frankreich finden. Ganz tief in der Provence haben manche Familien noch ihre "poupées", archaisch anmutende Holzfiguren, die ihre Ahnen und verstorbenen Familienangehörigen darstellen. Am 31. Oktober werden sie feierlich ausgepackt, man legt ein extra Gedeck für sie auf und feiert mit den Verstorbenen ein großes Gelage. Dabei geht es durchaus fröhlich zu, denn die "aus der Anderswelt" essen und trinken mit. Man erzählt sich von gemeinsamen Erlebnissen mit ihnen und lässt alte Zeiten wieder lebendig werden. Die Mahlzeit für die Toten stellt man dann für die Geister in der Nacht nach draußen - die herbstliche Tierwelt freut sich.
Übrigens hat auch das Essen an diesem Abend symbolische Bedeutung. Es ist eine Suppe (meist aus Lamm oder Hammel gekocht), in der drei Zutaten nicht fehlen dürfen: Esskastanien für das Nährende im Diesseits wie im Jenseits, Reis aus der Camargue für das scheinbar tote Korn, das im Frühjahr wieder erwachen wird, und Grünzeug für die Hoffnung auf einen Neuanfang nach der dunklen Zeit.
Im Elsass feiern die Kinder heuer auch Halloween à l'Americaine - sie kennen es nicht anders. Denn die Urgroßelterngeneration hat alles dafür getan, den ursprünglich elsässischen Brauch abzuschaffen. Von dem erzähle ich in meinem Buch "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt", das wie der alte Bauernkalender mit Halloween anfängt. Eine kleine Leseprobe daraus (Copyright, alle Rechte vorbehalten beim Hanser Verlag):
"...Doch was wäre das frostige Halloween ohne die orange leuchtenden Grimassen auf Eingangstreppen und Gartenpfosten! Zum alten keltischen Neujahr mummeln sich die Knospen des nächsten Frühlings winterfest ein. Neubeginn und Geburt bereiten sich nach altem Glauben in der Nacht vor, mit dem Sterben.
Noch vor sechzig Jahren haben die Kinder im Elsass Futterrüben ausgeschnitzt. Mit den beleuchteten Fratzen auf Stecken zogen sie durch die Dörfer, setzten den Alten und Kranken die Geistermasken als Schutz und Geleit in eine andere Welt ins Fenster. Weil er "brutal" erschien und die Kirche etwas gegen Geisterglauben hatte, wurde der elsässische Brauch abgeschafft. Über Amerika findet die europäische Tradition seit ein paar Jahren zurück. Es gab sie nicht nur in Irland, sondern in jedem ehemals keltischen Landstrich. Die elsässischen Großeltern derer, die heute den "amerikanischen Firlefanz" bekämpfen, haben als Kinder noch am Tag nach der Ahnennacht Couplets für die Toten an den Türen aufgesagt. Der spielerische Umgang mit dem Vergehen als Chance zum Neuanfang ist nicht tot zu bekommen."
Lesetipp:
Petra van Cronenburg: Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt. Geschenkbuch im farbigen Schuber mit einer sehr persönlichen Reise durch Land, Geschichte und Kultur - mit eigenen, einfach nachzukochenden Rezepten, die so nicht im Fremdenführer stehen. (z.B. Wildschwein in Hagebuttensauce, Chaud-froid von roten Früchten an Lebkucheneis, Nussewasser uvm., aber auch Standards wie Baeckeoffe und Choucroute - wie ich selbst sie koche)
Als Buch erschienen bei sanssouci im Hanser Verlag (ISBN 3-7254-1329-0) - als Hörbuch erschienen bei Gugis Hörbücher (ISBN & EAN: 978-3-939461-26-5)
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31. Oktober 2008
Ein Fall zum Gähnen
Gestern abend hatte ich etwas im Ofen, das wider Erwarten länger dauerte. Also dachte ich, ich könne ja die Zeit nutzen und mal schauen, wie das so ist mit dem ZDF, mit Kulturauftrag und niveauvoller Unterhaltung. Mir wurde ein Krimi im Vorabendprogramm versprochen, Krimis liebe ich, "Unser Mann im Süden" hieß er, Fritze Wepper spielte eine Hauptrolle, nein, nicht als Kommissar. Überhaupt war nichts, wie es schien.
Weil ich zuerst nach meinem Kartoffelkuchen schauen musste, verpasste ich, um welche Insel und welchen Mann es ging. Ansichten wie aus dem Reiseprospekt (mir fehlten die Werbeeinspielungen zur Hotelanlage) und typisches Inselgeschrammel von Musik, also das, was sich Tante Erna als "Compilation" zum Urlaubsandenken bei Lidl oder Aldi mitnimmt, hätten auf Mallorca wie Gran Canaria (Treffer!) gepasst, mit Akkordeon hätte man die Konserve sogar an die friesischen Inseln anpassen können.
Ich achte immer auf Musik und Nebensächlichkeiten, wenn ich vergeblich einen guten Plot suche. Denn auch der kam wie aus der Konserve, "unser Mann im Süden" könnte morgen ein freundlicher Tierarzt sein und übermorgen der Landarzt in der Finca. Der Krimi ein Familienfilm oder einer von denen, wie sich Programmmacher einen Frauenfilm vorstellen.
Da war also ein Ehepaar Hammerstein, er Konsul und folglich was Besseres. Drei Blondinen gab es insgesamt (vielleicht habe ich mich auch verzählt), eine gebleichter als die andere, aber irgendwie alle gleich. Eine davon riss den armen braven Hammerstein in duhuhunkle Welten, weil sie von irgendeinem Schattenwesen bedroht wurde und vor allem, weil sie Sexualtherapeutin war. Sie war das auf eine Art, wie Tante Erna das schmutzige Wort hinter vorgehaltener Hand bei der Kehrwoche benutzen würde. Und genau so verlief der Rest der ach so durchschaubar verwickelten lauwarmen Geschichte: Irgendwelche Blondinen klagten sich ihr Herzeleid, irgendein Mann verliebte sich unglücklich in die verheiratetere der Blondinen, und die wiederum war eifersüchtig auf die Frau mit dem ibah-Beruf, weil sie glaubte, ihr Gatterich, der auch nicht mehr so doll schien, habe das ibah noch nötig.
Weil aber Fritz Wepper mit der vor sich hergetragenen Gutmenschlichkeit für Erotik ungefähr so geschaffen scheint wie Cheetah oder Flipper, ertrank der sogenannte Krimi in dem, was brave Deutsche auf heißen Inseln sonst noch suchen. Da wurden jede Menge Weingläser vor prächtiger Kulisse geschwenkt (Genuss), Interieurs gezeigt (Komfort) und zum Inselschrammeln (Luschdigsein) qualvoll bemühte Dialoge mit Anzüglichkeiten übers Inselrammeln montiert. Gewürzt mit ein wenig familiärem Machogehabe, ach so schröhöcklich peinigender Eifersucht und dem Traum vom männlichen Märchenprinzen. Muss ich noch sagen, dass die eifersüchtige Ehefrau tüchtig umworben wurde?
Nicht einmal Tante Erna hätte den abgegriffenen Untertitel "Die Leidenschaft, die Leiden schafft" gebraucht, um zu merken, dass sich hier Pappfiguren auf einer Klischeeinsel in Klischeeszenen bewegen. Man hätte die Handlung wirklich leicht auf eine Landarztserie umschreiben können und wurde den Verdacht nicht los, dass genau dies umgekehrt geschehen war.
Wie immer bei schwachen Plots gab's dann zum Schluss noch eine Steigerung, die einen regelrecht anbrüllte: Guck, ich bin die Steigerung vor der Lösung, die Schreibratgeber genau in dieser Minute empfehlen! Hatte zuvor noch die Erwähnung des Wortes "Sexualtherapeutin" für eine Möchtegernerotik gesorgt, wie man sie nicht einmal hinter der Eichenschrankwand mit eingeschnitztem Wildschwein verstecken müsste, so ging Hammerstein (nomen est omen) da noch einmal aufs Ganze. Will sagen, er fiel plump auf die gefesselte Pfuiwortfrau und machte beim Befreien Geräusche, die nicht nötig gewesen wären. Als die arme naive Ehefrau sich dabei das Falsche dachte, wünschte man ihm von Herzen, er hätte wirklich einen hochgebracht.
Aber stattdessen, auch typisch für so ein Drehbuch, kam das Böse wie deus ex machina zutage, natürlich war es die Frau in nächster Nähe, welch ein Zufall. Ich glaube, die war auch blond gefärbt. Deshalb weiß ich auch gar nicht mehr genau, welche es war, aber das spielte sowieso keine Rolle. Die Liebe war stärker, der Verliebte entsagte wie ein Kavalier mit Bedauern beim Abflug, und Hammerstein wusste wieder, was er an seiner Wein saufenden Gattin hatte. Sex zur Kinderstunde nein, Alkohol ja.
Auch die größte Überdosis Viagra hätte diesem muffigen Altherren"krimi" mit Inselplätschern nicht aufhelfen können - die Sendung hatte aber genau die richtige Länge, um meinen Kartoffelkuchen aufgehen zu lassen. Das war Fernsehen für Kaffeefahrten-Bucher, die ihre Heizdecke billiger haben wollen. Selbst Tante Erna hätte umgeschaltet, die ist nämlich nicht so unbedarft. Liebes ZDF, schick doch bitte das nächste Mal unseren Freund Charlie auf die Insel und lass den Rosenheim-Cops im Luxushotel das Bier klauen. Dann bleiben wir wenigstens wach für den Film bei ARTE (Paul Newman in: Die Katze auf dem heißen Blechdach - auch so kann Unterhaltung aussehen).
Weil ich zuerst nach meinem Kartoffelkuchen schauen musste, verpasste ich, um welche Insel und welchen Mann es ging. Ansichten wie aus dem Reiseprospekt (mir fehlten die Werbeeinspielungen zur Hotelanlage) und typisches Inselgeschrammel von Musik, also das, was sich Tante Erna als "Compilation" zum Urlaubsandenken bei Lidl oder Aldi mitnimmt, hätten auf Mallorca wie Gran Canaria (Treffer!) gepasst, mit Akkordeon hätte man die Konserve sogar an die friesischen Inseln anpassen können.
Ich achte immer auf Musik und Nebensächlichkeiten, wenn ich vergeblich einen guten Plot suche. Denn auch der kam wie aus der Konserve, "unser Mann im Süden" könnte morgen ein freundlicher Tierarzt sein und übermorgen der Landarzt in der Finca. Der Krimi ein Familienfilm oder einer von denen, wie sich Programmmacher einen Frauenfilm vorstellen.
Da war also ein Ehepaar Hammerstein, er Konsul und folglich was Besseres. Drei Blondinen gab es insgesamt (vielleicht habe ich mich auch verzählt), eine gebleichter als die andere, aber irgendwie alle gleich. Eine davon riss den armen braven Hammerstein in duhuhunkle Welten, weil sie von irgendeinem Schattenwesen bedroht wurde und vor allem, weil sie Sexualtherapeutin war. Sie war das auf eine Art, wie Tante Erna das schmutzige Wort hinter vorgehaltener Hand bei der Kehrwoche benutzen würde. Und genau so verlief der Rest der ach so durchschaubar verwickelten lauwarmen Geschichte: Irgendwelche Blondinen klagten sich ihr Herzeleid, irgendein Mann verliebte sich unglücklich in die verheiratetere der Blondinen, und die wiederum war eifersüchtig auf die Frau mit dem ibah-Beruf, weil sie glaubte, ihr Gatterich, der auch nicht mehr so doll schien, habe das ibah noch nötig.
Weil aber Fritz Wepper mit der vor sich hergetragenen Gutmenschlichkeit für Erotik ungefähr so geschaffen scheint wie Cheetah oder Flipper, ertrank der sogenannte Krimi in dem, was brave Deutsche auf heißen Inseln sonst noch suchen. Da wurden jede Menge Weingläser vor prächtiger Kulisse geschwenkt (Genuss), Interieurs gezeigt (Komfort) und zum Inselschrammeln (Luschdigsein) qualvoll bemühte Dialoge mit Anzüglichkeiten übers Inselrammeln montiert. Gewürzt mit ein wenig familiärem Machogehabe, ach so schröhöcklich peinigender Eifersucht und dem Traum vom männlichen Märchenprinzen. Muss ich noch sagen, dass die eifersüchtige Ehefrau tüchtig umworben wurde?
Nicht einmal Tante Erna hätte den abgegriffenen Untertitel "Die Leidenschaft, die Leiden schafft" gebraucht, um zu merken, dass sich hier Pappfiguren auf einer Klischeeinsel in Klischeeszenen bewegen. Man hätte die Handlung wirklich leicht auf eine Landarztserie umschreiben können und wurde den Verdacht nicht los, dass genau dies umgekehrt geschehen war.
Wie immer bei schwachen Plots gab's dann zum Schluss noch eine Steigerung, die einen regelrecht anbrüllte: Guck, ich bin die Steigerung vor der Lösung, die Schreibratgeber genau in dieser Minute empfehlen! Hatte zuvor noch die Erwähnung des Wortes "Sexualtherapeutin" für eine Möchtegernerotik gesorgt, wie man sie nicht einmal hinter der Eichenschrankwand mit eingeschnitztem Wildschwein verstecken müsste, so ging Hammerstein (nomen est omen) da noch einmal aufs Ganze. Will sagen, er fiel plump auf die gefesselte Pfuiwortfrau und machte beim Befreien Geräusche, die nicht nötig gewesen wären. Als die arme naive Ehefrau sich dabei das Falsche dachte, wünschte man ihm von Herzen, er hätte wirklich einen hochgebracht.
Aber stattdessen, auch typisch für so ein Drehbuch, kam das Böse wie deus ex machina zutage, natürlich war es die Frau in nächster Nähe, welch ein Zufall. Ich glaube, die war auch blond gefärbt. Deshalb weiß ich auch gar nicht mehr genau, welche es war, aber das spielte sowieso keine Rolle. Die Liebe war stärker, der Verliebte entsagte wie ein Kavalier mit Bedauern beim Abflug, und Hammerstein wusste wieder, was er an seiner Wein saufenden Gattin hatte. Sex zur Kinderstunde nein, Alkohol ja.
Auch die größte Überdosis Viagra hätte diesem muffigen Altherren"krimi" mit Inselplätschern nicht aufhelfen können - die Sendung hatte aber genau die richtige Länge, um meinen Kartoffelkuchen aufgehen zu lassen. Das war Fernsehen für Kaffeefahrten-Bucher, die ihre Heizdecke billiger haben wollen. Selbst Tante Erna hätte umgeschaltet, die ist nämlich nicht so unbedarft. Liebes ZDF, schick doch bitte das nächste Mal unseren Freund Charlie auf die Insel und lass den Rosenheim-Cops im Luxushotel das Bier klauen. Dann bleiben wir wenigstens wach für den Film bei ARTE (Paul Newman in: Die Katze auf dem heißen Blechdach - auch so kann Unterhaltung aussehen).
30. Oktober 2008
Jetzt erst recht?
Man sagt, ein Schriftsteller müsse zäh sein, Geduld und Durchhaltevermögen mitbringen. Wie unendlich zäh er sein muss, sagt man ihm nicht. Wer würde auch freiwillig einen Beruf auf sich nehmen, für den man schon verrückt sein muss, weil "Durchhaltevermögen" nicht mehr das richtige Wort ist für Selbstaufgabe.
Das Klischee vom armen Poeten feiert fröhlich Urständ, auf moderne Weise. Die Energiepreise haben die Honorare sprunghaft überholt, das Leben wird nicht leichter. Aber man kann es bewältigen, wenn man regelmäßig seine Verträge abschließt, die einen wieder bis zum nächsten Vertrag ernähren müssen. Manchmal dauert das Verhandeln, da muss man durchhalten und weiterschreiben, als wenn nichts wäre. Als ich in dem Geschäft anfing, gab es aber auch Wartegrenzen. Ein Projekt, das nach einem Jahr nicht verkauft war, hatte man getrost vergessen können, die Zugriffszeiten der Verlage bei Gefallen verschlangen nur ein paar Monatsmieten.
Was ich derzeit in Kollegenkreisen erlebe, ist nicht mehr schön. Und es häuft sich so, dass es ein Trend zu werden scheint. Dieses magische eine Jahr scheint bei vielen Verlagen neuerdings eher zur Norm zu werden. Selbst Kollegen, die sich schon einen Namen gemacht haben, warten. Und warten. Und warten. Erst der Vorbuchmessestress und das große Nichts. Die Buchmesse abwarten. Dann der Nachbuchmessestress, wir können noch nichts sagen. Es gibt überhaupt kaum noch Absagen - das erlebe auch ich. Verlage schweigen einfach und vergessen. Immer mehr Kollegen erzählen mir von fadenscheinigen Ausreden, die im Grunde nichts besagen außer einem: Ach, irgendwie sind wir uns nicht sicher, aber wir sind uns auch nicht sicher, warum. Entscheidungsunfähigkeit? Risikoangst? Die falschen Unternehmensberater?
Zwei Kollegen im Bekanntenkreis stehen vor dem endgültigen Aus. Sie haben schon einiges veröffentlicht, sind professionell und gut, haben ihr Publikum. Wollen diesen Beruf. Lieben diesen Beruf. Aber ein paar Monate zu langes Warten haben die Finanzen aufgefressen, die Kreativität zermürbt. Der eine sieht das Verlagssystem in einer bürokratischen Sackgasse und mag sich nicht mehr damit herumärgern, baut wieder seinen Brotjob auf. Der andere überbrückt als Altenpfleger und sagt, vielleicht bleibe er lieber ganz in diesem Beruf, da sehe er direkt, dass seine Arbeit noch gefragt und zu etwas nütze sei. Zwei Autoren weniger, aber es gibt ja genug. Keiner wird ihnen nachweinen und auch das ist bitter. Ähnlich habe ich das während der Medienkrise erlebt, da wurden viele Kollegen Weinhändler und ich Buchautorin.
Eines meiner Projekte lässt mich ebenfalls den galoppierenden Wahnsinn erleben. Bereits vor Jahren hatte ich den Riecher, das würde einmal ein ganz großes Thema werden. Dann ist es ein Thema geworden. Aus etwa acht Jahren Fachrecherche ist ein lesenswertes Exposé entstanden und in die Welt hinausgezogen. Als Journalistin hatte ich einmal einen Artikel darüber verkauft: Einfach in einer fremden Redaktion angerufen: Wow, irre, gekauft. Das Verlagsgeschäft läuft langsamer. Fachliche Kritik kam noch keine. Niemand bemängelt irgendwelche Qualitätsprobleme oder sagt mir, dass ich nicht schreiben könnte. Aber man müsse da noch überlegen und dort, und mal abwarten und überhaupt. Auch das ist üblich: Erst wenn der erste zugreift, zeigen die anderen Interesse. Poker.
Die Autorin macht derweil unentgeltlich Marketingarbeit für das Projekt. Schreibt Papiere über internationale Verflechtungen, sammelt Medienstimmen, baut Statistiken, bastelt Werbetexte. Vielleicht hilft das. Und sie wartet. Und wartet. Ist das Thema nun ein Thema oder nicht? Eigentlich hätte das Buch längst geschrieben sein können, aber aufwändige Sachbücher schreiben sich nicht ohne Honorar zum Überleben. Da hört sie, dass derzeit einige andere Verlage an dem heißen Thema dran sind: Zeitungsverlage. Und das Fernsehen. International. Die Schriftstellerin aber wartet und wartet. Und da fällt ihr ein, dass sie im Hauptberuf eigentlich Journalistin ist. Worauf wartet sie eigentlich noch?
Ich habe gelernt, dass es in kreativen Berufen eine Schmerzgrenze geben muss. Wo Durchhaltevermögen und Geduld das kreative Selbst auffressen. Als Autor muss man schöpfen können, zielgerichtet arbeiten. Man lebt von der Wertschätzung der eigenen Arbeit, lebt davon, eben nicht nur ein Shampoo gegen fettiges Haar abzufüllen und unters Volk zu werfen. Man kann sich eine Weile erfolgreich selbst vormachen, die eigenen Ideen würden irgendeinen Sinn in die Welt bringen, irgendwen interessieren. Aber wenn es kein Feedback dazu gibt, bleibt die Kunst Illusion. Kunst braucht Publikum. Was aber tun, wenn man zwischen den Seilen hängt?
Mein persönliches Rezept: Sich unabhängiger machen. Sich aus dem Gefühl des Ausgeliefertseins an andere befreien. Denn das lähmt irgendwann. Freiräume des Schöpfens schaffen. Darauf achten, dass man sich selbst nicht verliert. Was will ICH - nicht: Was erwarten die anderen von mir?
Ich habe in diesem Jahr zum ersten Mal mein Heizöl nicht mit Büchern verdient. Und war gelinde schockiert, um wie viel schneller man selbst mit Dumpinglöhnen in einem "bürgerlichen" Job Geld verdienen kann. Ich bin dabei, mir Freiräume zu schaffen, die nicht weniger Risiko bedeuten und nicht weniger Zähigkeit und Engagement verlangen. Aber hier "mache" ich, warte nicht Monate, bin nicht ausgeliefert. Ich bin ebenfalls ein profitorientiertes Unternehmen, denn der Kühlschrank will gefüllt werden. Aber ich leiste mir echten Unternehmergeist.
So haben mir meine Lesungen die Idee zum Auftrittsprojekt "Sinnesreisen" beschert. Warum immer erst schreiben, drucken, lesen? Warum nicht gleich auftreten - andere machen das doch auch? Und dann habe ich andere "Macher" getroffen. Wir hecken etwas ganz Neues aus. Wir sind bereit zu Risiko, Experiment, Qualität. Weil wir wissen, die Menschen warten darauf. Wir überspringen sogar das "Medium" Buch... Vielleicht fallen wir alle auf die Nase. Aber dann wissen wir wenigstens wofür. Wir haben gewagt.
Heute lache ich wieder über zaudernde Verlage. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, heißt es doch?
Ich denke, wir Autoren müssen uns wie nie zuvor klarmachen, was wir wert sind, was wir schaffen können. Denn man sagt und zeigt es uns immer weniger. Schlimmer als negative Kritik ist keine Kritik. Aber Schreiben ist so viel mehr als Buchtext-Tippen. Schöpfen kann über das Herkömmliche, Gewohnte weit hinausgehen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, die ihr in diesen Tagen ans Aufgeben denkt: Könnt ihr auf lange Sicht wirklich ohne eure Kreativität leben? IHR seid die Schöpfer. Ohne euch keine Bücher, Filme, Artikel, multimediale Inhalte! Befreit euch vom Ausgeliefertsein. Schafft - im doppelten Wortsinn. Vielleicht kann der Altenpfleger sich in Zukunft etwas leisten, was der Schriftsteller mit Hausautorenvertrag nicht mehr kann: Ein wirklich kreatives Herzensprojekt in aller Ruhe reifen lassen und ausarbeiten?
Und an die, die aus allen guten Gründen dieser Welt warten lassen: Vergesst nicht, das M mit dem Ihr zu tun habt, steht nicht für Material, sondern für Mensch.
Zu langes Warten bringt einen auf verzweifelte Ideen. Und manchmal auch auf völlig verrückte. Dann wird Warten zur Chance.
Das Klischee vom armen Poeten feiert fröhlich Urständ, auf moderne Weise. Die Energiepreise haben die Honorare sprunghaft überholt, das Leben wird nicht leichter. Aber man kann es bewältigen, wenn man regelmäßig seine Verträge abschließt, die einen wieder bis zum nächsten Vertrag ernähren müssen. Manchmal dauert das Verhandeln, da muss man durchhalten und weiterschreiben, als wenn nichts wäre. Als ich in dem Geschäft anfing, gab es aber auch Wartegrenzen. Ein Projekt, das nach einem Jahr nicht verkauft war, hatte man getrost vergessen können, die Zugriffszeiten der Verlage bei Gefallen verschlangen nur ein paar Monatsmieten.
Was ich derzeit in Kollegenkreisen erlebe, ist nicht mehr schön. Und es häuft sich so, dass es ein Trend zu werden scheint. Dieses magische eine Jahr scheint bei vielen Verlagen neuerdings eher zur Norm zu werden. Selbst Kollegen, die sich schon einen Namen gemacht haben, warten. Und warten. Und warten. Erst der Vorbuchmessestress und das große Nichts. Die Buchmesse abwarten. Dann der Nachbuchmessestress, wir können noch nichts sagen. Es gibt überhaupt kaum noch Absagen - das erlebe auch ich. Verlage schweigen einfach und vergessen. Immer mehr Kollegen erzählen mir von fadenscheinigen Ausreden, die im Grunde nichts besagen außer einem: Ach, irgendwie sind wir uns nicht sicher, aber wir sind uns auch nicht sicher, warum. Entscheidungsunfähigkeit? Risikoangst? Die falschen Unternehmensberater?
Zwei Kollegen im Bekanntenkreis stehen vor dem endgültigen Aus. Sie haben schon einiges veröffentlicht, sind professionell und gut, haben ihr Publikum. Wollen diesen Beruf. Lieben diesen Beruf. Aber ein paar Monate zu langes Warten haben die Finanzen aufgefressen, die Kreativität zermürbt. Der eine sieht das Verlagssystem in einer bürokratischen Sackgasse und mag sich nicht mehr damit herumärgern, baut wieder seinen Brotjob auf. Der andere überbrückt als Altenpfleger und sagt, vielleicht bleibe er lieber ganz in diesem Beruf, da sehe er direkt, dass seine Arbeit noch gefragt und zu etwas nütze sei. Zwei Autoren weniger, aber es gibt ja genug. Keiner wird ihnen nachweinen und auch das ist bitter. Ähnlich habe ich das während der Medienkrise erlebt, da wurden viele Kollegen Weinhändler und ich Buchautorin.
Eines meiner Projekte lässt mich ebenfalls den galoppierenden Wahnsinn erleben. Bereits vor Jahren hatte ich den Riecher, das würde einmal ein ganz großes Thema werden. Dann ist es ein Thema geworden. Aus etwa acht Jahren Fachrecherche ist ein lesenswertes Exposé entstanden und in die Welt hinausgezogen. Als Journalistin hatte ich einmal einen Artikel darüber verkauft: Einfach in einer fremden Redaktion angerufen: Wow, irre, gekauft. Das Verlagsgeschäft läuft langsamer. Fachliche Kritik kam noch keine. Niemand bemängelt irgendwelche Qualitätsprobleme oder sagt mir, dass ich nicht schreiben könnte. Aber man müsse da noch überlegen und dort, und mal abwarten und überhaupt. Auch das ist üblich: Erst wenn der erste zugreift, zeigen die anderen Interesse. Poker.
Die Autorin macht derweil unentgeltlich Marketingarbeit für das Projekt. Schreibt Papiere über internationale Verflechtungen, sammelt Medienstimmen, baut Statistiken, bastelt Werbetexte. Vielleicht hilft das. Und sie wartet. Und wartet. Ist das Thema nun ein Thema oder nicht? Eigentlich hätte das Buch längst geschrieben sein können, aber aufwändige Sachbücher schreiben sich nicht ohne Honorar zum Überleben. Da hört sie, dass derzeit einige andere Verlage an dem heißen Thema dran sind: Zeitungsverlage. Und das Fernsehen. International. Die Schriftstellerin aber wartet und wartet. Und da fällt ihr ein, dass sie im Hauptberuf eigentlich Journalistin ist. Worauf wartet sie eigentlich noch?
Ich habe gelernt, dass es in kreativen Berufen eine Schmerzgrenze geben muss. Wo Durchhaltevermögen und Geduld das kreative Selbst auffressen. Als Autor muss man schöpfen können, zielgerichtet arbeiten. Man lebt von der Wertschätzung der eigenen Arbeit, lebt davon, eben nicht nur ein Shampoo gegen fettiges Haar abzufüllen und unters Volk zu werfen. Man kann sich eine Weile erfolgreich selbst vormachen, die eigenen Ideen würden irgendeinen Sinn in die Welt bringen, irgendwen interessieren. Aber wenn es kein Feedback dazu gibt, bleibt die Kunst Illusion. Kunst braucht Publikum. Was aber tun, wenn man zwischen den Seilen hängt?
Mein persönliches Rezept: Sich unabhängiger machen. Sich aus dem Gefühl des Ausgeliefertseins an andere befreien. Denn das lähmt irgendwann. Freiräume des Schöpfens schaffen. Darauf achten, dass man sich selbst nicht verliert. Was will ICH - nicht: Was erwarten die anderen von mir?
Ich habe in diesem Jahr zum ersten Mal mein Heizöl nicht mit Büchern verdient. Und war gelinde schockiert, um wie viel schneller man selbst mit Dumpinglöhnen in einem "bürgerlichen" Job Geld verdienen kann. Ich bin dabei, mir Freiräume zu schaffen, die nicht weniger Risiko bedeuten und nicht weniger Zähigkeit und Engagement verlangen. Aber hier "mache" ich, warte nicht Monate, bin nicht ausgeliefert. Ich bin ebenfalls ein profitorientiertes Unternehmen, denn der Kühlschrank will gefüllt werden. Aber ich leiste mir echten Unternehmergeist.
So haben mir meine Lesungen die Idee zum Auftrittsprojekt "Sinnesreisen" beschert. Warum immer erst schreiben, drucken, lesen? Warum nicht gleich auftreten - andere machen das doch auch? Und dann habe ich andere "Macher" getroffen. Wir hecken etwas ganz Neues aus. Wir sind bereit zu Risiko, Experiment, Qualität. Weil wir wissen, die Menschen warten darauf. Wir überspringen sogar das "Medium" Buch... Vielleicht fallen wir alle auf die Nase. Aber dann wissen wir wenigstens wofür. Wir haben gewagt.
Heute lache ich wieder über zaudernde Verlage. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, heißt es doch?
Ich denke, wir Autoren müssen uns wie nie zuvor klarmachen, was wir wert sind, was wir schaffen können. Denn man sagt und zeigt es uns immer weniger. Schlimmer als negative Kritik ist keine Kritik. Aber Schreiben ist so viel mehr als Buchtext-Tippen. Schöpfen kann über das Herkömmliche, Gewohnte weit hinausgehen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, die ihr in diesen Tagen ans Aufgeben denkt: Könnt ihr auf lange Sicht wirklich ohne eure Kreativität leben? IHR seid die Schöpfer. Ohne euch keine Bücher, Filme, Artikel, multimediale Inhalte! Befreit euch vom Ausgeliefertsein. Schafft - im doppelten Wortsinn. Vielleicht kann der Altenpfleger sich in Zukunft etwas leisten, was der Schriftsteller mit Hausautorenvertrag nicht mehr kann: Ein wirklich kreatives Herzensprojekt in aller Ruhe reifen lassen und ausarbeiten?
Und an die, die aus allen guten Gründen dieser Welt warten lassen: Vergesst nicht, das M mit dem Ihr zu tun habt, steht nicht für Material, sondern für Mensch.
Zu langes Warten bringt einen auf verzweifelte Ideen. Und manchmal auch auf völlig verrückte. Dann wird Warten zur Chance.
29. Oktober 2008
Der ganz normale Wahnsinn
Je nachdem, welches Thema am meisten bedient wird, rutscht bei mir eine Rubrik im Verzeichnis nach oben. Da diese Kolumne vornehmlich mit dem Schreiben, der Buchbranche und meiner Arbeit (Schreiben, was sonst) zu tun hat, mache ich mir langsam Sorgen, dass das ehemalige Schlusslicht "Der ganz normale Wahnsinn" auf Platz neun gerutscht ist.
Oder wie sagte ein bekannter Insider vor einiger Zeit: "Ich weiß nicht, was die inzwischen in der Branche rauchen, aber es ist auf alle Fälle das Falsche..."
Oder wie sagte ein bekannter Insider vor einiger Zeit: "Ich weiß nicht, was die inzwischen in der Branche rauchen, aber es ist auf alle Fälle das Falsche..."
Ich bin dann mal bunt
Laut der Zeitschrift "Die Bunte" sind als Nachfolger von Elke Heidenreich auch Hape Kerkeling und Harald Schmidt im Gespräch.
Na, da empfehle ich doch gleich noch Jürgen von der Lippe fürs Triumvirat. Halt, stopp, der macht ja schon in Literatur.
Gute Nacht, Deutschland!
Na, da empfehle ich doch gleich noch Jürgen von der Lippe fürs Triumvirat. Halt, stopp, der macht ja schon in Literatur.
Gute Nacht, Deutschland!
28. Oktober 2008
Die gallischen Weiber
Irgendein berühmter Römer hat einmal die Frauen der Gallier als furchterregend beschrieben, rothaarig, wehrhaft, die Hände in die Hüften gestemmt, würden sie es wagen, jeden männlichen Krieger aus Rom in die Flucht zu schlagen. Oh ja! Wenn mir heute noch ein einziger Römer unterkommt, packe ich ihn am Schlaffittchen, wirbele ihn über meinem Kopf herum und trinke noch eine Portion Zaubertrank extra.
Eigentlich wollte ich heute arbeiten. So weit das in einer kalten Bude möglich ist, in der man auf den Heizungsmonteur wartet. Plötzlich fahren vor meinem Arbeitszimmer Riesenmaschinen auf - und ehe ich mich versehe, hocken zwei Männlein bei mir auf dem Dach. Natürlich will ich wissen, wer ungefragt auf diese Weise Einlass bei mir begehrt. Latschen doch die beiden Männlein aus ihrem Aufzug und trampeln auf die Ziegel.
Freundliche Anfrage beim Vorarbeiter, er möge seine Leute bitte zurückpfeifen, auf dem Dach trampelt keiner herum, das hat nämlich der Dachdecker verboten. Nur mit Hebekran oder Dachleiter. "Leiter hammwer nich"... und ein halbherziges "Du, Dingens, die Frau will nicht, dass du auf ihrem Dach herumläufst." (Tonfall: Guck mal die dumme Tussi da unten an). Dingens grinst sich eins, der Vorarbeiter grinst, Machos unter sich. "Warum hört der nicht auf Sie?", will ich wissen. Dummes Männergrinsen. "Vielleicht wiederholen Sie's noch mal?", schlage ich freundlich vor. "Sie sehen doch, der macht es nicht", befindet der Vorarbeiter und schweigt.
Also gebe ich das gallische Weib und schreie gen Himmel: "Sie nehmen jetzt sofort Ihre Füße vom Dach usw.usf." Langsam verschwindet das Grinsen oben und als ich freundlich anfrage, an welche Firma ich die Rechnung für gebrochene Ziegel schicken darf, geht's auf einmal. Plötzlich besinnen sich alle Mannen, dass sie ja mit Hebekran gekommen sind. Damit die aber nicht vergessen, was sie zu tun haben, darf ich die ganze Zeit aufpassen. Denn schon will der nächste einfach mal durch den Garten marschieren.
Das gallische Weib lässt einen Brüller, der alle herumfahren lässt: "Attention le chien!" Ich frag sie, ob sie lebensmüde sind, bei einem Wachhund einfach in fremde Gärten zu tappen, ohne zu fragen. Irre, wie schnell ein Mann rennen kann! Dass der Hund gemütlich in der Wohnung auf seinem Knochen kaute, braucht ja niemand zu wissen.
Nachmittags der gleiche Zinnober. Nur schau ich zufällig von oben auf das Auto der freundlichen Überfallfirma (Kabelfernsehen, nicht für mich, für andere...). Und falle bald um: Aufs Dach geschnallt liegen da drei Dachleitern! Die Dinger, die ich gefordert hatte, die jeder ordentliche Dachwerker benutzt. Die sie angeblich nicht hatten. Elsässische Handwerker (und alle Nationen, die für sie arbeiten) halten Frauen grundsätzlich erst mal für doof...
Das gallische Weib kann sich ein Witzlein nicht verkneifen. Als sich die Mannen von dannen machen wollen, lächle ich den Vorarbeiter mit meinem schmierigsten Grinsen an und sage: "Übrigens, ich glaube, auf Ihrem Autodach müssten Sie mal wieder Staub wischen. Man findet ja die Leitern kaum..." Unbeschreiblich, wie langsam ihm der Kinnladen nach unten fiel, ich habe nicht mal zuschlagen müssen.
Dafür hatte ich aber immerhin während der Schreibverhinderung das Vergnügen, mit einem Menschen aus der gleichen Straße über sämtliche verrückten Frauen zu tratschen, die seit Anfang des Jahrhunderts vor mir da gewohnt haben. Keine von denen war normal, meinte der. Und ich hab gekichert. Und 1945 sei dann diese amerikanische Granate in mein Wohnzimmer gefallen, ob ich davon noch nichts gehört hätte, mitten in meinem Wohnzimmer sei die gelandet.
Das nennt man dann die Gnade der späten Geburt.
Und inzwischen war auch der freundliche Heizungsmonteur da und hat mir gezeigt, gegen welches Teil ich treten muss, wenn der Brenner wieder ausfällt. "Spare se sich des Geld", riet er. Und so tausche ich das Teilchen erst aus, wenn es ganz den Geist aufgibt. Ein gallisches Weib weiß, wie man eine Heizung tritt.
Zum ersten Mal in diesem Herbst sitze ich im lauer werdenden Arbeitszimmer. Gallisches Weib im Wärmeparadies! Es fallen keine Granaten vom Himmel und alles ist ganz normal wie immer hier auf dem Land.
Eigentlich wollte ich heute arbeiten. So weit das in einer kalten Bude möglich ist, in der man auf den Heizungsmonteur wartet. Plötzlich fahren vor meinem Arbeitszimmer Riesenmaschinen auf - und ehe ich mich versehe, hocken zwei Männlein bei mir auf dem Dach. Natürlich will ich wissen, wer ungefragt auf diese Weise Einlass bei mir begehrt. Latschen doch die beiden Männlein aus ihrem Aufzug und trampeln auf die Ziegel.
Freundliche Anfrage beim Vorarbeiter, er möge seine Leute bitte zurückpfeifen, auf dem Dach trampelt keiner herum, das hat nämlich der Dachdecker verboten. Nur mit Hebekran oder Dachleiter. "Leiter hammwer nich"... und ein halbherziges "Du, Dingens, die Frau will nicht, dass du auf ihrem Dach herumläufst." (Tonfall: Guck mal die dumme Tussi da unten an). Dingens grinst sich eins, der Vorarbeiter grinst, Machos unter sich. "Warum hört der nicht auf Sie?", will ich wissen. Dummes Männergrinsen. "Vielleicht wiederholen Sie's noch mal?", schlage ich freundlich vor. "Sie sehen doch, der macht es nicht", befindet der Vorarbeiter und schweigt.
Also gebe ich das gallische Weib und schreie gen Himmel: "Sie nehmen jetzt sofort Ihre Füße vom Dach usw.usf." Langsam verschwindet das Grinsen oben und als ich freundlich anfrage, an welche Firma ich die Rechnung für gebrochene Ziegel schicken darf, geht's auf einmal. Plötzlich besinnen sich alle Mannen, dass sie ja mit Hebekran gekommen sind. Damit die aber nicht vergessen, was sie zu tun haben, darf ich die ganze Zeit aufpassen. Denn schon will der nächste einfach mal durch den Garten marschieren.
Das gallische Weib lässt einen Brüller, der alle herumfahren lässt: "Attention le chien!" Ich frag sie, ob sie lebensmüde sind, bei einem Wachhund einfach in fremde Gärten zu tappen, ohne zu fragen. Irre, wie schnell ein Mann rennen kann! Dass der Hund gemütlich in der Wohnung auf seinem Knochen kaute, braucht ja niemand zu wissen.
Nachmittags der gleiche Zinnober. Nur schau ich zufällig von oben auf das Auto der freundlichen Überfallfirma (Kabelfernsehen, nicht für mich, für andere...). Und falle bald um: Aufs Dach geschnallt liegen da drei Dachleitern! Die Dinger, die ich gefordert hatte, die jeder ordentliche Dachwerker benutzt. Die sie angeblich nicht hatten. Elsässische Handwerker (und alle Nationen, die für sie arbeiten) halten Frauen grundsätzlich erst mal für doof...
Das gallische Weib kann sich ein Witzlein nicht verkneifen. Als sich die Mannen von dannen machen wollen, lächle ich den Vorarbeiter mit meinem schmierigsten Grinsen an und sage: "Übrigens, ich glaube, auf Ihrem Autodach müssten Sie mal wieder Staub wischen. Man findet ja die Leitern kaum..." Unbeschreiblich, wie langsam ihm der Kinnladen nach unten fiel, ich habe nicht mal zuschlagen müssen.
Dafür hatte ich aber immerhin während der Schreibverhinderung das Vergnügen, mit einem Menschen aus der gleichen Straße über sämtliche verrückten Frauen zu tratschen, die seit Anfang des Jahrhunderts vor mir da gewohnt haben. Keine von denen war normal, meinte der. Und ich hab gekichert. Und 1945 sei dann diese amerikanische Granate in mein Wohnzimmer gefallen, ob ich davon noch nichts gehört hätte, mitten in meinem Wohnzimmer sei die gelandet.
Das nennt man dann die Gnade der späten Geburt.
Und inzwischen war auch der freundliche Heizungsmonteur da und hat mir gezeigt, gegen welches Teil ich treten muss, wenn der Brenner wieder ausfällt. "Spare se sich des Geld", riet er. Und so tausche ich das Teilchen erst aus, wenn es ganz den Geist aufgibt. Ein gallisches Weib weiß, wie man eine Heizung tritt.
Zum ersten Mal in diesem Herbst sitze ich im lauer werdenden Arbeitszimmer. Gallisches Weib im Wärmeparadies! Es fallen keine Granaten vom Himmel und alles ist ganz normal wie immer hier auf dem Land.
27. Oktober 2008
Hörbuch-Tipp: Pleva liest Torrance
Moderne Kunst kann verdammt viel Spaß machen. Vor allem, wenn man sie so grenzenlos naiv und unvoreingenommen wie die Rezensentin auspackt.
Das Hörbuch aus dem Verlag "der Diwan" heißt schlicht: Jörg Pleva liest: Jack Torrance. Was du heute kannst besorgen... Herausgegeben wurde es von M+M, was für unbedarfte Leser und Hörer wie ein Bonbon klingt und tatsächlich eins ist.
Das "Werk" kommt daher, als hätte es neue Medien nie gegeben: Leicht angegrautes Umschlagpapier auf Leinendruck, die Schreibmaschine hat sichtlich ihre Macken, DIN-A-5-Format und Buchdicke. Da hat mal jemand eine witzige Verpackung gewählt, dachte ich, ein Hörbuch verkleidet als echtes Buch, warum nicht? Aber dann befreie ich tatsächlich ein echtes Buch aus dem Zellophan, 96 Seiten stark und mit allem Drum und Dran, was gut gedruckte Bücher auf gutem Papier so brauchen, einschließlich der doch kryptischen Widmung von Torrance: "All work and no play makes Jack a dull boy." Da Jack Torrance's Buch auf Deutsch erschienen ist, muss es eine besondere Bewandtnis damit haben, dass man diesen Satz nicht übersetzte.
Als ich den Text aufschlage, bin ich verwirrt. Als ich weiter blättere, steigt meine Verwirrung. Ich nehme den Verlagstext zu Hilfe: "Torrance gilt als Meister der Repetition: immer wieder setzt er mit den gleichen Worten an, verweigert sich quasi konsequent jedem Versuch, über die einmal getroffene Feststellung hinauszugehen."
So kann man sich täuschen. Meine erste Assoziation waren diese edel ledergebundenen Bücher in aristokratischen englischen Bibliotheken, in denen der Hausherr seinen Flachmann versteckt. Nur dass Jack Torrance dafür einige hundert Seiten mehr hätte schreiben müssen. Ich wurde neugierig. Wer war dieser Mann, der schreibt, als könne man Schnaps in seinen Zeilen verschwinden lassen?
Die Künstlergruppe M+M (Marc Weis und Martin De Mattia), die das Projekt "Was du heute kannst besorgen" als Performance zum letzten Mal 2008 auf der "Art Cologne" präsentiert haben, verrät, sie seien den Manuskripten des Schriftstellers, der unter mysteriösen Umständen zu Tode kam, in der römischen Villa Massimo auf die Spur gekommen. Meine Neugier war geweckt, zumal mir der Autorenname irgendwie bekannt vorkam. Und ein Jörg Pleva mit seiner wunderbar markanten Stimme spricht ja sicher nicht jeden...
Also habe ich brav Rezensenten-Hausaufgaben gemacht und den mysteriösen Jack Torrance gegoogelt. Es gab erstaunlich wenig über sein Werk zu finden, offensichtlich waren die Manuskripte wirklich lange verschollen gewesen. Aber auf amerikanischen Servern fand ich dann doch einiges über sein viel zu kurzes Leben, das im Winter 1979 in einem Hotel in den Rocky Mountains tragisch endete. Meine Assoziation zum Flachmannversteck war gar nicht so schräg - einigen Websites zufolge muss der Mann vor allem gegen Ende seiner Schriftstellerei dem Alkohol verfallen gewesen sein.
Und da endlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Jörg Pleva war Stimme für Jack Nicholson. Jörg Plewa ist von Stanley Kubrick persönlich als deutsche Stimme ausgesucht worden. Jack Torrance ist der Protagonist in Shining - dem Film nach dem Roman von Stephen King! Jack Torrance ist der verrückte Hausmeister im legendären Overlook-Hotel! Und jetzt blättern sich nicht nur Seiten hin, sondern Seins-Ebenen: Die deutsche Synchronstimme eines amerikanischen Schauspielers liest ein fiktives Buch einer Filmfigur, die aus einem Roman kommt. Ich, ehemals Leser von Stephen Kings Roman, dann Zuschauer von Stanley Kubricks "Shining", höre ein fiktives Hörbuch, das ich auch gedruckt lesen kann und das doch nie existierte. Existiert es jetzt? Existiere ich noch? Wer bildet sich hier wen ein?
Ich höre zu und habe zuerst den Verdacht, Jörg Pleva lese als Endlosschleife, so exakt wiederholt er sich selbst. Zuerst wirkt das Hörbuch wie ein Subliminal, das das eigene schlechte Gewissen ankratzt. Das ideale Geschenk für Zauderer und Berufverschieber, für Leute, die ihre Steuererklärung hassen oder ungern Zimmer aufräumen. Aber dann steigt die Aufmerksamkeit und ich höre genau hin, so genau wie noch nie. Ich will den Sprecher bei irgendetwas ertappen, wobei, weiß ich selbst nicht.
Unmerklich verschieben sich Betonungen. Wörter verändern ihr Gewicht, blähen sich auf oder werden dünn, unveränderte Sätze sagen Unterschiedliches. Nuancen, die ich am geschriebenen Text nicht ausmachen kann - Sprache muss Ton werden, erst die Schwingung macht Bedeutung. Und irgendwann wird das Wort reine Schwingung, Rhythmus, Klang. Verschwunden die Bedeutung. Angestrengt höre ich einen deutschen Satz und verstehe nichts mehr, lausche nur noch.
Jeder kennt das Kinderspiel, das im Philosophieunterricht so gern benutzt wird: Man sagt das Wort "Tisch" und stellt sich einen Tisch vor. Und dann sagt man es immer wieder, immer anders betont und gesprochen, und doch immer das gleiche Wort. Irgendwann nimmt man die Bedeutung nicht mehr wahr. Das Wort hat sich entleert. Eine Technik, die auch Schriftsteller zum Üben benutzen können, um einen scharfen Blick für die eigenen Metaphern zu bekommen. Für den Bedeutungsgehalt an Text. Wieder ein Klischee zum 1001. Mal wiederholt? Jack Torrance lehrt Schriftsteller Aufmerksamkeit. Der Ton macht die Musik.
Vielleicht aber ist das Wort irgendwann überflüssig? Vielleicht klingt irgendwann jeder Text hohl? Was produziert Inhalte und Bedeutungen? Und brauchen wir wirklich so viel davon in der Literatur?
Die Assoziationen bei diesem über 40 Minuten dauernden Hörbuch sind vielfältig und überraschend, wenn man an dieses Kunstprojekt wirklich unvorbelastet und spielerisch herangeht. Offen wie ein Kind, bereit für die Verrücktheit einer fiktiven Figur, die sich mit diesem Buch in unsere Realität hineinschreibt. Hier spricht nicht einfach nur der Text - dieses Hörbuch entlarvt uns selbst, zeichnet ein absurdes Bild moralischer Vorschriften und guter Vorsätze - die nur in einem enden können, wenn man sie zu oft bemüht: im Wahnsinn.
Insofern nicht nur Sylvestergeschenk, Kunstgeschenk, Bügelhilfe und Assoziationsspaß, sondern natürlich das absolute Must für alle Fans von Stephen King. Man kann damit aber auch überstudierte säuerliche Tanten erschrecken, Feuilletonisten frech hinterfragen oder in Schickimicki-Kreisen mit dem verrücktesten Gastgeschenk des Abends punkten. Und wen so viel moderne Kunst zunächst sprachlos macht, der hat damit jede Menge neuen Gesprächsstoff gefunden.
Jack Torrance, M+M (Hrsg.): Was Du heute kannst besorgen – Das HörbuchBuch
Der Diwan im HörHaus Verlagsverbund
Buch mit 1 CD, ca. 40 min, gelesen von Jörg Pleva
ISBN & EAN: 978-3-941009-05-9
EUR 24,00 (D) / EUR 24,70 (A) / CHF 45,50 (CH)
Das Hörbuch aus dem Verlag "der Diwan" heißt schlicht: Jörg Pleva liest: Jack Torrance. Was du heute kannst besorgen... Herausgegeben wurde es von M+M, was für unbedarfte Leser und Hörer wie ein Bonbon klingt und tatsächlich eins ist.
Das "Werk" kommt daher, als hätte es neue Medien nie gegeben: Leicht angegrautes Umschlagpapier auf Leinendruck, die Schreibmaschine hat sichtlich ihre Macken, DIN-A-5-Format und Buchdicke. Da hat mal jemand eine witzige Verpackung gewählt, dachte ich, ein Hörbuch verkleidet als echtes Buch, warum nicht? Aber dann befreie ich tatsächlich ein echtes Buch aus dem Zellophan, 96 Seiten stark und mit allem Drum und Dran, was gut gedruckte Bücher auf gutem Papier so brauchen, einschließlich der doch kryptischen Widmung von Torrance: "All work and no play makes Jack a dull boy." Da Jack Torrance's Buch auf Deutsch erschienen ist, muss es eine besondere Bewandtnis damit haben, dass man diesen Satz nicht übersetzte.
Als ich den Text aufschlage, bin ich verwirrt. Als ich weiter blättere, steigt meine Verwirrung. Ich nehme den Verlagstext zu Hilfe: "Torrance gilt als Meister der Repetition: immer wieder setzt er mit den gleichen Worten an, verweigert sich quasi konsequent jedem Versuch, über die einmal getroffene Feststellung hinauszugehen."
So kann man sich täuschen. Meine erste Assoziation waren diese edel ledergebundenen Bücher in aristokratischen englischen Bibliotheken, in denen der Hausherr seinen Flachmann versteckt. Nur dass Jack Torrance dafür einige hundert Seiten mehr hätte schreiben müssen. Ich wurde neugierig. Wer war dieser Mann, der schreibt, als könne man Schnaps in seinen Zeilen verschwinden lassen?
Die Künstlergruppe M+M (Marc Weis und Martin De Mattia), die das Projekt "Was du heute kannst besorgen" als Performance zum letzten Mal 2008 auf der "Art Cologne" präsentiert haben, verrät, sie seien den Manuskripten des Schriftstellers, der unter mysteriösen Umständen zu Tode kam, in der römischen Villa Massimo auf die Spur gekommen. Meine Neugier war geweckt, zumal mir der Autorenname irgendwie bekannt vorkam. Und ein Jörg Pleva mit seiner wunderbar markanten Stimme spricht ja sicher nicht jeden...
Also habe ich brav Rezensenten-Hausaufgaben gemacht und den mysteriösen Jack Torrance gegoogelt. Es gab erstaunlich wenig über sein Werk zu finden, offensichtlich waren die Manuskripte wirklich lange verschollen gewesen. Aber auf amerikanischen Servern fand ich dann doch einiges über sein viel zu kurzes Leben, das im Winter 1979 in einem Hotel in den Rocky Mountains tragisch endete. Meine Assoziation zum Flachmannversteck war gar nicht so schräg - einigen Websites zufolge muss der Mann vor allem gegen Ende seiner Schriftstellerei dem Alkohol verfallen gewesen sein.
Und da endlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Jörg Pleva war Stimme für Jack Nicholson. Jörg Plewa ist von Stanley Kubrick persönlich als deutsche Stimme ausgesucht worden. Jack Torrance ist der Protagonist in Shining - dem Film nach dem Roman von Stephen King! Jack Torrance ist der verrückte Hausmeister im legendären Overlook-Hotel! Und jetzt blättern sich nicht nur Seiten hin, sondern Seins-Ebenen: Die deutsche Synchronstimme eines amerikanischen Schauspielers liest ein fiktives Buch einer Filmfigur, die aus einem Roman kommt. Ich, ehemals Leser von Stephen Kings Roman, dann Zuschauer von Stanley Kubricks "Shining", höre ein fiktives Hörbuch, das ich auch gedruckt lesen kann und das doch nie existierte. Existiert es jetzt? Existiere ich noch? Wer bildet sich hier wen ein?
Ich höre zu und habe zuerst den Verdacht, Jörg Pleva lese als Endlosschleife, so exakt wiederholt er sich selbst. Zuerst wirkt das Hörbuch wie ein Subliminal, das das eigene schlechte Gewissen ankratzt. Das ideale Geschenk für Zauderer und Berufverschieber, für Leute, die ihre Steuererklärung hassen oder ungern Zimmer aufräumen. Aber dann steigt die Aufmerksamkeit und ich höre genau hin, so genau wie noch nie. Ich will den Sprecher bei irgendetwas ertappen, wobei, weiß ich selbst nicht.
Unmerklich verschieben sich Betonungen. Wörter verändern ihr Gewicht, blähen sich auf oder werden dünn, unveränderte Sätze sagen Unterschiedliches. Nuancen, die ich am geschriebenen Text nicht ausmachen kann - Sprache muss Ton werden, erst die Schwingung macht Bedeutung. Und irgendwann wird das Wort reine Schwingung, Rhythmus, Klang. Verschwunden die Bedeutung. Angestrengt höre ich einen deutschen Satz und verstehe nichts mehr, lausche nur noch.
Jeder kennt das Kinderspiel, das im Philosophieunterricht so gern benutzt wird: Man sagt das Wort "Tisch" und stellt sich einen Tisch vor. Und dann sagt man es immer wieder, immer anders betont und gesprochen, und doch immer das gleiche Wort. Irgendwann nimmt man die Bedeutung nicht mehr wahr. Das Wort hat sich entleert. Eine Technik, die auch Schriftsteller zum Üben benutzen können, um einen scharfen Blick für die eigenen Metaphern zu bekommen. Für den Bedeutungsgehalt an Text. Wieder ein Klischee zum 1001. Mal wiederholt? Jack Torrance lehrt Schriftsteller Aufmerksamkeit. Der Ton macht die Musik.
Vielleicht aber ist das Wort irgendwann überflüssig? Vielleicht klingt irgendwann jeder Text hohl? Was produziert Inhalte und Bedeutungen? Und brauchen wir wirklich so viel davon in der Literatur?
Die Assoziationen bei diesem über 40 Minuten dauernden Hörbuch sind vielfältig und überraschend, wenn man an dieses Kunstprojekt wirklich unvorbelastet und spielerisch herangeht. Offen wie ein Kind, bereit für die Verrücktheit einer fiktiven Figur, die sich mit diesem Buch in unsere Realität hineinschreibt. Hier spricht nicht einfach nur der Text - dieses Hörbuch entlarvt uns selbst, zeichnet ein absurdes Bild moralischer Vorschriften und guter Vorsätze - die nur in einem enden können, wenn man sie zu oft bemüht: im Wahnsinn.
Insofern nicht nur Sylvestergeschenk, Kunstgeschenk, Bügelhilfe und Assoziationsspaß, sondern natürlich das absolute Must für alle Fans von Stephen King. Man kann damit aber auch überstudierte säuerliche Tanten erschrecken, Feuilletonisten frech hinterfragen oder in Schickimicki-Kreisen mit dem verrücktesten Gastgeschenk des Abends punkten. Und wen so viel moderne Kunst zunächst sprachlos macht, der hat damit jede Menge neuen Gesprächsstoff gefunden.
Jack Torrance, M+M (Hrsg.): Was Du heute kannst besorgen – Das HörbuchBuch
Der Diwan im HörHaus Verlagsverbund
Buch mit 1 CD, ca. 40 min, gelesen von Jörg Pleva
ISBN & EAN: 978-3-941009-05-9
EUR 24,00 (D) / EUR 24,70 (A) / CHF 45,50 (CH)
Der S-Punkt
Charles Lewinsky hat mich gerade zum Lachen gebracht. In einem Gespräch mit der SZ erklärt er, wie und warum sich die Dramaturgie von Fernsehfilmen verändert hat. Schuld daran sei der Shitpoint. Der rücke durch die Erfindung der Fernbedienung deutlich nach vorne.
"Lewinsky: Das ist der Punkt, an dem der Zuschauer sagt: "Scheiße; mir gefällt's nicht, ich schalte um." Als man noch aufstehen musste, um zum Fernseher zu gehen, lag der Shitpoint später als jetzt, da man nur die Fernbedienung drücken muss: Also musste der Höhepunkt, oder was immer Zuschauer bindet, früher kommen."
Seine Theorie erklärt mir plötzlich ein Phänomen, dem ich seit einigen Jahren in gewissen Taschenbüchern begegne und das Lektoren für gewisse Verlage sogar einfordern:
"Lewinsky: Das ist der Punkt, an dem der Zuschauer sagt: "Scheiße; mir gefällt's nicht, ich schalte um." Als man noch aufstehen musste, um zum Fernseher zu gehen, lag der Shitpoint später als jetzt, da man nur die Fernbedienung drücken muss: Also musste der Höhepunkt, oder was immer Zuschauer bindet, früher kommen."
Seine Theorie erklärt mir plötzlich ein Phänomen, dem ich seit einigen Jahren in gewissen Taschenbüchern begegne und das Lektoren für gewisse Verlage sogar einfordern:
- In unseren Krimis gibt's auf der ersten Seite eine Leiche oder Gewalt.
- Wir hätten gern Sex auf S. 1, S. 30. S. 60 uswusf.
- Knall auf S.1 die starke Frau rein, Großaufnahme.
- Keine Landschaftsbeschreibungen, Kooooonflikt auf S. 1!
25. Oktober 2008
Eine ganz normale Lesung
Ich bin überhaupt kein abergläubischer Mensch, im Gegenteil. Ich würde ohne mit der Wimper zu zucken 13 Leute zum Essen einladen, unter einer Leiter durchlaufen oder eine schwarze Katze von rechts erschrecken. Nur was Verträge und Auftritte betrifft, da bin ich komisch. Über Projekte rede ich nur, wenn beide Unterschriften geleistet sind. Perfekte Generalproben machen mich verrückt - vor einem Auftritt muss etwas schieflaufen, damit er gut läuft. Seit gestern überdenke ich dieses abergläubische Konzept gründlich. Da hatte ich nämlich eine Lesung.
Am Abend zuvor gönne ich mir und meiner Stimme gern Ruhe. Also habe ich meinen Hund nachts etwas früher rausgelassen. Weil er schwarz ist und die Nacht dunkel, geht er an der Flexileine in den Garten. Das sind diese dünnen Dinger, die sich bis auf 12 Meter ausziehen. Diesmal war die Nacht besonders dunkel und ich sah nicht, dass Nachbars dumme Katze unterm Busch hockte. Dumm deshalb, weil das Viech nicht kapieren will, was ein Katzenhasserhund ist. Es ging alles ganz schnell.
Rocco sprintet ins Nichts, ich betätige den Leinenstopper, werde von der Wucht auf der Treppe um mich selbst herumgerissen - und habe die Hundeleine um den Hals! Drei Möglichkeiten: Ich bleibe standhaft und lasse mich erwürgen. Ich reiße das Ding vom Hals, halte fest und stürze die Steintreppe hinunter. Oder ich lasse los. Einen schwarzen Hund in schwarzer Nacht vor Nachbars Katze. Blitzschnell habe ich Variante drei gewählt. Ein riesiger alter Rosenbusch war so nett, für mich die wegschnalzende Leine zu halten. Und Rocco bekam ich dann am Schwanz. Vor dem Spiegel sah ich richtig auftrittsfein aus: Blutunterlaufene Strieme quer über den Hals, nicht zu reden von der Muskelzerrung im Oberarm. Ach, das würde ich schon wegschlafen...
Am nächsten Morgen hatte ich nicht nur das Würgemal, sondern zwei blutunterlaufene, dicke fette Glubschaugen. Augentropfen: Kein Effekt. Ich konnte doch nicht als Monster auftreten! Also schnell in die Apotheke fahren. Nur dachte ich, wegen meiner Stimme und überhaupt: Ich könnte doch eigentlich so langsam mal heizen. Ich zögere das neuerdings so weit hinaus wie nur möglich, kann mir ja nur noch die Hälfte Öl fürs gleiche Geld kaufen. Aber heiser lesen bringt's auch nicht so. Also runter in den Keller, nur mal den Hebel umlegen.
Tacketacketacke sagte die Wasserpumpe und der Kessel sagte nichts. Auch mehrere Wiederbelebungsversuche fruchteten nichts, die Heizanlage bliebt tot. Na gut, ein einziges Zimmer ist elektrisch gewärmt, jetzt aber nichts wie zur Apotheke, ich muss ja bald auftreten! Immerhin, die neuen Tropfen sorgten für ein Abschwellen der roten Krümelmonsterglubscher, es war nur eine Allergie. Jetzt aber fertigmachen! Auf der Toilette die nächste Überraschung. Die Wasserpumpe meiner Heizung hatte ja fleißig gearbeitet. Nur das alte Ventil am Heizkörper... Kaum der Rede wert, so was wischt man weg mit Links - das Ding war dabei, auszulaufen.
Irgendwann hatte ich es ohne weitere Havarien geschafft, fertig geschminkt, geschniegelt und gebügelt in den Auftrittsklamotten dazustehen. Jetzt schnell noch mal den Hund rauslassen und dann nichts wie weg, die Zeit drängt. Gebrüll vom Hund draußen, fürchterliches Rumoren. Und ich hatte wieder keine Zeit zum Nachdenken. Befand mich zwischen Hund und einem fetten Kaninchen von einem anderen Nachbarn. Warum muss ich immer Tiere retten wollen? Das blöde Kaninchen biss mich in den Finger und hoppelte weg. Das Blut tropfte nur so, meine Hose hatte Hundespuren und mit meinen frisch geputzten Schuhen stand ich mitten in einem düftelnden Haufen.
Was soll ich sagen... Eigentlich hätte ich mir von irgendeinem Arzt eine Tetanusspritze verpassen lassen sollen. Stattdessen habe ich die Schuhe gewechselt, die Hosen ausgeklopft und bin erst mal nach Gaggenau gedüst. Ich hab mich bei der Arbeit noch nie so ruhig und sicher gefühlt wie diesmal!
An dieser Stelle ein dickes Dankeschön an mein Publikum und die fleißigen Helfer von der Stadtbibliothek: Sie waren alle ganz fantastisch! Ich entschuldige mich noch einmal, dass die Buchhandlung viel zu wenig Bücher geliefert hatte. An dieser Stelle möchte ich erinnern, dass ich mit der Buchhandlung Strass in Baden-Baden einen Signierservice vereinbart habe. Wenn Sie dort Ihre Bücher rechtzeitig bestellen, bekommen Sie sie von mir persönlich signiert. Infos und Adresse hier.
(Jetzt schläft mein Hund übrigens tief und fest.)
Am Abend zuvor gönne ich mir und meiner Stimme gern Ruhe. Also habe ich meinen Hund nachts etwas früher rausgelassen. Weil er schwarz ist und die Nacht dunkel, geht er an der Flexileine in den Garten. Das sind diese dünnen Dinger, die sich bis auf 12 Meter ausziehen. Diesmal war die Nacht besonders dunkel und ich sah nicht, dass Nachbars dumme Katze unterm Busch hockte. Dumm deshalb, weil das Viech nicht kapieren will, was ein Katzenhasserhund ist. Es ging alles ganz schnell.
Rocco sprintet ins Nichts, ich betätige den Leinenstopper, werde von der Wucht auf der Treppe um mich selbst herumgerissen - und habe die Hundeleine um den Hals! Drei Möglichkeiten: Ich bleibe standhaft und lasse mich erwürgen. Ich reiße das Ding vom Hals, halte fest und stürze die Steintreppe hinunter. Oder ich lasse los. Einen schwarzen Hund in schwarzer Nacht vor Nachbars Katze. Blitzschnell habe ich Variante drei gewählt. Ein riesiger alter Rosenbusch war so nett, für mich die wegschnalzende Leine zu halten. Und Rocco bekam ich dann am Schwanz. Vor dem Spiegel sah ich richtig auftrittsfein aus: Blutunterlaufene Strieme quer über den Hals, nicht zu reden von der Muskelzerrung im Oberarm. Ach, das würde ich schon wegschlafen...
Am nächsten Morgen hatte ich nicht nur das Würgemal, sondern zwei blutunterlaufene, dicke fette Glubschaugen. Augentropfen: Kein Effekt. Ich konnte doch nicht als Monster auftreten! Also schnell in die Apotheke fahren. Nur dachte ich, wegen meiner Stimme und überhaupt: Ich könnte doch eigentlich so langsam mal heizen. Ich zögere das neuerdings so weit hinaus wie nur möglich, kann mir ja nur noch die Hälfte Öl fürs gleiche Geld kaufen. Aber heiser lesen bringt's auch nicht so. Also runter in den Keller, nur mal den Hebel umlegen.
Tacketacketacke sagte die Wasserpumpe und der Kessel sagte nichts. Auch mehrere Wiederbelebungsversuche fruchteten nichts, die Heizanlage bliebt tot. Na gut, ein einziges Zimmer ist elektrisch gewärmt, jetzt aber nichts wie zur Apotheke, ich muss ja bald auftreten! Immerhin, die neuen Tropfen sorgten für ein Abschwellen der roten Krümelmonsterglubscher, es war nur eine Allergie. Jetzt aber fertigmachen! Auf der Toilette die nächste Überraschung. Die Wasserpumpe meiner Heizung hatte ja fleißig gearbeitet. Nur das alte Ventil am Heizkörper... Kaum der Rede wert, so was wischt man weg mit Links - das Ding war dabei, auszulaufen.
Irgendwann hatte ich es ohne weitere Havarien geschafft, fertig geschminkt, geschniegelt und gebügelt in den Auftrittsklamotten dazustehen. Jetzt schnell noch mal den Hund rauslassen und dann nichts wie weg, die Zeit drängt. Gebrüll vom Hund draußen, fürchterliches Rumoren. Und ich hatte wieder keine Zeit zum Nachdenken. Befand mich zwischen Hund und einem fetten Kaninchen von einem anderen Nachbarn. Warum muss ich immer Tiere retten wollen? Das blöde Kaninchen biss mich in den Finger und hoppelte weg. Das Blut tropfte nur so, meine Hose hatte Hundespuren und mit meinen frisch geputzten Schuhen stand ich mitten in einem düftelnden Haufen.
Was soll ich sagen... Eigentlich hätte ich mir von irgendeinem Arzt eine Tetanusspritze verpassen lassen sollen. Stattdessen habe ich die Schuhe gewechselt, die Hosen ausgeklopft und bin erst mal nach Gaggenau gedüst. Ich hab mich bei der Arbeit noch nie so ruhig und sicher gefühlt wie diesmal!
An dieser Stelle ein dickes Dankeschön an mein Publikum und die fleißigen Helfer von der Stadtbibliothek: Sie waren alle ganz fantastisch! Ich entschuldige mich noch einmal, dass die Buchhandlung viel zu wenig Bücher geliefert hatte. An dieser Stelle möchte ich erinnern, dass ich mit der Buchhandlung Strass in Baden-Baden einen Signierservice vereinbart habe. Wenn Sie dort Ihre Bücher rechtzeitig bestellen, bekommen Sie sie von mir persönlich signiert. Infos und Adresse hier.
(Jetzt schläft mein Hund übrigens tief und fest.)
23. Oktober 2008
Offener Brief an das ZDF
Den offenen Brief der Verleger an das ZDF, die Elke Heidenreich zurückfordern und den kulturellen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens einfordern, kann man hier nachlesen.
Heidenreich, ZDF: Mit den Dritten beißt man besser!
Thema: Quote machen, aber richtig!
Eben habe ich einen niedlichen kleinen Marketing-Quoten-Blurb-Medieninteresse-Bericht abgegeben. (Ja, ich mache sowas auch beruflich: Warum es sich ausgerechnet jetzt lohnt, für die Zielgruppe der Gynäkologen einen Krimi über den Erdbeerbonbonmord zu schreiben). Dann habe ich mir zum Abschalten die eigenen Quoten angeschaut und mit Entsetzen festgestellt, dass die Wörter Heidenreich, Gottschalk, Reich-Ranicki, Fernsehpreis, ZDF und Atze Schröder meiner Kolumne ungeahnte Leserscharen beschert haben, für die ich als Buchautorin weitaus schwerer schuften müsste. Aber das haben mir ja auch schon all meine Verlage prophezeit: "Die Heidenreich muss nur ihr Buch in die Kamera halten - und schon haben Sie es geschafft!" Und jetzt mache ich Quote mit ihrem Abgang. Pervers irgendwie. Verrückte Welt.
Zur geistigen Erbauung habe ich mich dann noch ein wenig in den Abgesängen umgeschaut. Aber holla! Schöne neue Medienwelt. Wenn man auch fürs Zweite erst mal keine Lesebrille mehr braucht, die Dritten dieser Welt zeigen uns mal so richtig, was nach Atze als zukünftigem Tagesschausprecher und Gottschalk mit der neuen Leseshow "Deutschland sucht den Schriftstellerstar" medial drohen könnte.
Fangen wir mal seriös an. In der SZ dient sich Reich-Ranicki plötzlich als Fernsehberater an und will den Nachfolger bestimmen. Das Handelsblatt zeigt uns, wie der Hase laufen wird, wenn Marketing und Management in Kunst und Kultur das Sagen noch mehr übernehmen: Da zeigt man als geduldiger Chef die Zähne, hat Probleme mit bestens verdrahteten Mitarbeitern und nennt fristlose Kündigungen "entsprechende Briefe", in denen man einen Verzicht nahelegt. In Handelsblatt-Sprache wägt ein Chef "viele" der 3000 Mitarbeiter mit "manchen" Buchmessebesuchern ab. Und übrigens, Literatur, die muss der Roger Willemsen machen. Wer sonst. Der ist auch gar nicht auf sein Ego bedacht.
Es kommt noch schlimmer. PolkaRobot bietet Elke Heidenreich einen Internetjob an. Das ist nett. Wenn ich mir meine Quote anschaue, gar nicht so blöd, Literatur ins Internet zu verlegen. Oder sagt man "im Internet"? Springen wir mal zu MRR ins Fernsehen, nein, zur Telekom. Die hinken ihrer Zeit hinterher (vielleicht telefoniert der zuständige Redakteur zu lange mit der Werbeabteilung?). Dafür geben sie sich brutal volksnah (Bildstrecke: Die Quotenkönige / Die wahren Quotenstars) und brutalst innovativ: bieten mir in einer Anzeige "Heidenreich-Gebrauchtmaschinen für die Süßwarenindustrie" zum Schnäppchenpreis! Was bitte will die Telekom uns damit sagen?
Weiter in die Bloggosphäre: Ein Herr Schack will uns befehlen, den Spiegel dazu zu lesen und mag auch Alice Schwarzer nicht. Das Literaturcafé findet, der Buchhandel habe eine Werbefachkraft verloren. Aus den Reihen gut ausbalancierter Coachs verlautet, dass Frau Heidenreich doch ihre Balance verloren hat und ganz schlimm destruktive Kommunikation mit ganz schlimm viel Aggressivität betreibt und wir "kulturbeseelten Menschen" von diesem Negativbeispiel nur lernen können. Dr. Buchstäblich-Seltsam stellt genau zur richtigen Zeit fest, dass auch der Buchstabe "i" (wie in "HeIdenreIch") wundersam aus der Sprache gelöscht wird. Alles nur Zufall?
Medien-gerecht bringt mich auf die verwegene Idee eines Büchertalks mit Fernsehköchen (die schreiben doch auch alle) . Zentrale der Macht findet, Homer Simpson würde Lisa nie vor die Tür setzen. Das Web-Diarium kann auf Häppchenliteratur verzichten, schaut aber interessiert den Implosionen der Kulturwelt zu. Zuckerbrot weiß humorig, das war alles wenigstens für einen Kalauer gut. Ein älterer Beitrag von intelligentesleben deckt eine Verschwörung auf: Im Mai hat das ZDF selbst eine Kritik von Elke Heidenreich am ZDF veröffentlicht, aber nicht hingelesen.
Tja, und während ich in den Nachrufen stochere, haben bereits die größten belletristischen Verlage einen offenen Brief ans ZDF geschrieben und fordern Elke Heidenreich zurück!
Selten war Fernsehen so spannend, so aufregend, so pervers, so verrückt!
Und ich hab mich jetzt erfreulich von meinen "Klienten" aus dem Literaturbetrieb abreagiert, denen ich seit Monaten begreiflich zu machen versuche, dass ein Thema, das in aller Munde ist wie "Klimawandel", tatsächlich ein Thema ist. Quote, Quote allüberall. Vielleicht geh ich zum Fernsehen?
Eben habe ich einen niedlichen kleinen Marketing-Quoten-Blurb-Medieninteresse-Bericht abgegeben. (Ja, ich mache sowas auch beruflich: Warum es sich ausgerechnet jetzt lohnt, für die Zielgruppe der Gynäkologen einen Krimi über den Erdbeerbonbonmord zu schreiben). Dann habe ich mir zum Abschalten die eigenen Quoten angeschaut und mit Entsetzen festgestellt, dass die Wörter Heidenreich, Gottschalk, Reich-Ranicki, Fernsehpreis, ZDF und Atze Schröder meiner Kolumne ungeahnte Leserscharen beschert haben, für die ich als Buchautorin weitaus schwerer schuften müsste. Aber das haben mir ja auch schon all meine Verlage prophezeit: "Die Heidenreich muss nur ihr Buch in die Kamera halten - und schon haben Sie es geschafft!" Und jetzt mache ich Quote mit ihrem Abgang. Pervers irgendwie. Verrückte Welt.
Zur geistigen Erbauung habe ich mich dann noch ein wenig in den Abgesängen umgeschaut. Aber holla! Schöne neue Medienwelt. Wenn man auch fürs Zweite erst mal keine Lesebrille mehr braucht, die Dritten dieser Welt zeigen uns mal so richtig, was nach Atze als zukünftigem Tagesschausprecher und Gottschalk mit der neuen Leseshow "Deutschland sucht den Schriftstellerstar" medial drohen könnte.
Fangen wir mal seriös an. In der SZ dient sich Reich-Ranicki plötzlich als Fernsehberater an und will den Nachfolger bestimmen. Das Handelsblatt zeigt uns, wie der Hase laufen wird, wenn Marketing und Management in Kunst und Kultur das Sagen noch mehr übernehmen: Da zeigt man als geduldiger Chef die Zähne, hat Probleme mit bestens verdrahteten Mitarbeitern und nennt fristlose Kündigungen "entsprechende Briefe", in denen man einen Verzicht nahelegt. In Handelsblatt-Sprache wägt ein Chef "viele" der 3000 Mitarbeiter mit "manchen" Buchmessebesuchern ab. Und übrigens, Literatur, die muss der Roger Willemsen machen. Wer sonst. Der ist auch gar nicht auf sein Ego bedacht.
Es kommt noch schlimmer. PolkaRobot bietet Elke Heidenreich einen Internetjob an. Das ist nett. Wenn ich mir meine Quote anschaue, gar nicht so blöd, Literatur ins Internet zu verlegen. Oder sagt man "im Internet"? Springen wir mal zu MRR ins Fernsehen, nein, zur Telekom. Die hinken ihrer Zeit hinterher (vielleicht telefoniert der zuständige Redakteur zu lange mit der Werbeabteilung?). Dafür geben sie sich brutal volksnah (Bildstrecke: Die Quotenkönige / Die wahren Quotenstars) und brutalst innovativ: bieten mir in einer Anzeige "Heidenreich-Gebrauchtmaschinen für die Süßwarenindustrie" zum Schnäppchenpreis! Was bitte will die Telekom uns damit sagen?
Weiter in die Bloggosphäre: Ein Herr Schack will uns befehlen, den Spiegel dazu zu lesen und mag auch Alice Schwarzer nicht. Das Literaturcafé findet, der Buchhandel habe eine Werbefachkraft verloren. Aus den Reihen gut ausbalancierter Coachs verlautet, dass Frau Heidenreich doch ihre Balance verloren hat und ganz schlimm destruktive Kommunikation mit ganz schlimm viel Aggressivität betreibt und wir "kulturbeseelten Menschen" von diesem Negativbeispiel nur lernen können. Dr. Buchstäblich-Seltsam stellt genau zur richtigen Zeit fest, dass auch der Buchstabe "i" (wie in "HeIdenreIch") wundersam aus der Sprache gelöscht wird. Alles nur Zufall?
Medien-gerecht bringt mich auf die verwegene Idee eines Büchertalks mit Fernsehköchen (die schreiben doch auch alle) . Zentrale der Macht findet, Homer Simpson würde Lisa nie vor die Tür setzen. Das Web-Diarium kann auf Häppchenliteratur verzichten, schaut aber interessiert den Implosionen der Kulturwelt zu. Zuckerbrot weiß humorig, das war alles wenigstens für einen Kalauer gut. Ein älterer Beitrag von intelligentesleben deckt eine Verschwörung auf: Im Mai hat das ZDF selbst eine Kritik von Elke Heidenreich am ZDF veröffentlicht, aber nicht hingelesen.
Tja, und während ich in den Nachrufen stochere, haben bereits die größten belletristischen Verlage einen offenen Brief ans ZDF geschrieben und fordern Elke Heidenreich zurück!
Selten war Fernsehen so spannend, so aufregend, so pervers, so verrückt!
Und ich hab mich jetzt erfreulich von meinen "Klienten" aus dem Literaturbetrieb abreagiert, denen ich seit Monaten begreiflich zu machen versuche, dass ein Thema, das in aller Munde ist wie "Klimawandel", tatsächlich ein Thema ist. Quote, Quote allüberall. Vielleicht geh ich zum Fernsehen?
Heidenreich ist gegangen worden
Vor einiger Zeit fragte mich eine wohlmeinende Autorenkollegin: "Warum bist du eigentlich nicht nett? In einem Autorenblog gibt man sich nett für seine Leserinnen, erzählt schöne Geschichten ums Buch und ums Schreiben. Und man zeigt keine Schwächen und so, wegen der PR und so."
Zunächst war ich baff. "Feuilles et ton", von dem das eingedeutschte "Feuilleton" stammt, ist im Französischen mehrdeutig. Da schwirren Blätter herum, die verkleinert werden, zum "Heftchen". Schreibt man es aber auseinander, dann hat das Herumwerfen mit Blättern einen gewissen Ton. Und weil das hier kein netter Autorenblog sein will, sondern eine Kolumne einer Journalistin, darf es im Ton schärfer, frecher, subjektiver, persönlicher sein - natürlich im Rahmen. Journalistische Formen wie Satire, Glosse und auch mal das gute alte Pamphlet haben leider seit dem Terrorregime Frankreichs um Siehzehnhunderttobak rasant an Verbreitung eingebüßt. Und selbst Kommentare kommen weichgespült daher, weil man es sich mit niemandem verscherzen will.
"Hast du nicht Angst, dass da mal ein Verlag mitliest und deshalb dein Manuskript nicht kauft?", fragte die wohlmeinende Kollegin. Auf die Idee bin ich ehrlich gesagt noch nicht gekommen. Hier lesen öfter Verlage rein, Feuilletonisten auch - und ich scheue mich nicht, potentiellen Arbeitgebern die URL zu geben. Sollte ich vielleicht doch netter werden?
Ich meine, ich weiß ja, was passiert, wenn man nicht nett ist, zumal als Frau. Ein Jahr vor dem Abitur bin ich fast von der Schule geflogen und hatte den ersten Rechtsanwalt meines Lebens am Hals. Der Grund: Ich hatte in der Schülerzeitung eine Satire über meinen Lateinlehrer geschrieben und nicht bedacht, dass der sich gerade zu irgendwelchen politischen Wahlen hatte aufstellen lassen. Ich bekam eine Vorladung zum Direktor, die Androhung des Schulausschlusses, ein Angebot des Konkurrenzgymnasiums, mich mit Freude aufzunehmen und viele Einladungen zum Kaffee bei feixenden Lehrerinnen und Lehrern. Man einigte sich gütlich und der Lateinlehrer verlor die Wahl.
Später hatte ich mal einen Chef, der fest daran glaubte, Journalistinnen seien nur gut dazu, in der Waagerechten über seinen Schreibtisch zu rutschen. Als ich dem Unternehmen aus einem anderen Grund den Rücken kehrte, schrieb ich ihm zum Abschied eine Satire und schenkte allen netten braven Kollegen, die immer ihren Mund gehalten hatten, riesige Heftpflaster. Oweia, ging da ein kleines Männchen in die Luft! Und ich vermarktete fortan mein loses Maul und wurde Kritikerin.
Ich kann nur warnen: Sowas tut man nicht. Aus mir wäre längst etwas geworden, wenn ich nicht ständig so vorlaut wäre, sagten meine Eltern früher. Sei doch mal ein bißchen nett, beiß dir halt auch mal auf die Zunge, man wird nur was im Leben, wenn man auch mal sein Maul halten kann.
Ob meine Eltern recht hatten?
Eine, die zu viel gesagt hat, hat es jetzt erwischt: Elke Heidenreich ist unerwartet schnell vom ZDF gekündigt worden. In einer Weise, die Arbeitgeber sonst nur anwenden, wenn man in der Firma goldene Löffel geklaut hat: Sie darf die bereits abgemachten beiden Sendungen in diesem Jahr nicht mehr produzieren.
Aber unsere Daily Soap bekommen wir auch noch dazu. Jetzt sagt nämlich plötzlich auch noch der Marcel, den die Elke eigentlich in Schutz nehmen wollte, dass die Elke nicht nett war. Er sagt das übrigens gar nicht nett, sondern richtig böse (Wortlaut in obigem Artikel). Und das ZDF ist nicht nett und nette Zeitungen nehmen plötzlich Sätze in den Mund, die gar nicht nett sind, sondern die Scheisse in der Überschrift nur variieren. Oh ist das alles nett und niedlich! Ein richtig netter kleiner ZDF-Kindergarten. Haut euch, Kinners, haut druff...
Liebe wohlmeinende Kollegin: Du siehst, mein Frechsein in dieser Kolumne hat Programm. Nur wer nicht nett ist, wird heutzutage was... Und wer weiß, in unserer netten Casting-Gesellschaft, vielleicht entdeckt mich ja mal einer, hehehe...
Zunächst war ich baff. "Feuilles et ton", von dem das eingedeutschte "Feuilleton" stammt, ist im Französischen mehrdeutig. Da schwirren Blätter herum, die verkleinert werden, zum "Heftchen". Schreibt man es aber auseinander, dann hat das Herumwerfen mit Blättern einen gewissen Ton. Und weil das hier kein netter Autorenblog sein will, sondern eine Kolumne einer Journalistin, darf es im Ton schärfer, frecher, subjektiver, persönlicher sein - natürlich im Rahmen. Journalistische Formen wie Satire, Glosse und auch mal das gute alte Pamphlet haben leider seit dem Terrorregime Frankreichs um Siehzehnhunderttobak rasant an Verbreitung eingebüßt. Und selbst Kommentare kommen weichgespült daher, weil man es sich mit niemandem verscherzen will.
"Hast du nicht Angst, dass da mal ein Verlag mitliest und deshalb dein Manuskript nicht kauft?", fragte die wohlmeinende Kollegin. Auf die Idee bin ich ehrlich gesagt noch nicht gekommen. Hier lesen öfter Verlage rein, Feuilletonisten auch - und ich scheue mich nicht, potentiellen Arbeitgebern die URL zu geben. Sollte ich vielleicht doch netter werden?
Ich meine, ich weiß ja, was passiert, wenn man nicht nett ist, zumal als Frau. Ein Jahr vor dem Abitur bin ich fast von der Schule geflogen und hatte den ersten Rechtsanwalt meines Lebens am Hals. Der Grund: Ich hatte in der Schülerzeitung eine Satire über meinen Lateinlehrer geschrieben und nicht bedacht, dass der sich gerade zu irgendwelchen politischen Wahlen hatte aufstellen lassen. Ich bekam eine Vorladung zum Direktor, die Androhung des Schulausschlusses, ein Angebot des Konkurrenzgymnasiums, mich mit Freude aufzunehmen und viele Einladungen zum Kaffee bei feixenden Lehrerinnen und Lehrern. Man einigte sich gütlich und der Lateinlehrer verlor die Wahl.
Später hatte ich mal einen Chef, der fest daran glaubte, Journalistinnen seien nur gut dazu, in der Waagerechten über seinen Schreibtisch zu rutschen. Als ich dem Unternehmen aus einem anderen Grund den Rücken kehrte, schrieb ich ihm zum Abschied eine Satire und schenkte allen netten braven Kollegen, die immer ihren Mund gehalten hatten, riesige Heftpflaster. Oweia, ging da ein kleines Männchen in die Luft! Und ich vermarktete fortan mein loses Maul und wurde Kritikerin.
Ich kann nur warnen: Sowas tut man nicht. Aus mir wäre längst etwas geworden, wenn ich nicht ständig so vorlaut wäre, sagten meine Eltern früher. Sei doch mal ein bißchen nett, beiß dir halt auch mal auf die Zunge, man wird nur was im Leben, wenn man auch mal sein Maul halten kann.
Ob meine Eltern recht hatten?
Eine, die zu viel gesagt hat, hat es jetzt erwischt: Elke Heidenreich ist unerwartet schnell vom ZDF gekündigt worden. In einer Weise, die Arbeitgeber sonst nur anwenden, wenn man in der Firma goldene Löffel geklaut hat: Sie darf die bereits abgemachten beiden Sendungen in diesem Jahr nicht mehr produzieren.
Aber unsere Daily Soap bekommen wir auch noch dazu. Jetzt sagt nämlich plötzlich auch noch der Marcel, den die Elke eigentlich in Schutz nehmen wollte, dass die Elke nicht nett war. Er sagt das übrigens gar nicht nett, sondern richtig böse (Wortlaut in obigem Artikel). Und das ZDF ist nicht nett und nette Zeitungen nehmen plötzlich Sätze in den Mund, die gar nicht nett sind, sondern die Scheisse in der Überschrift nur variieren. Oh ist das alles nett und niedlich! Ein richtig netter kleiner ZDF-Kindergarten. Haut euch, Kinners, haut druff...
Liebe wohlmeinende Kollegin: Du siehst, mein Frechsein in dieser Kolumne hat Programm. Nur wer nicht nett ist, wird heutzutage was... Und wer weiß, in unserer netten Casting-Gesellschaft, vielleicht entdeckt mich ja mal einer, hehehe...
Gegenkultur
"Glanz & Elend" ist eine Literaturzeitschrift im Internet, in der ich gern nach Perlen suche, die ich bei den Rezensionen der "üblichen Verdächtigen" schon lang nicht mehr finde.
Herbert Debes schreibt in seinem Artikel "Das Lied vom Ende singen die Anderen" über die Chancen einer Gegenkultur, über professionell gemachte Alternativen zum Feuilleton und etablierten Literaturbetrieb. Ich kann nur heftig nicken, wenn er über solche alternativen Medien schreibt: "Es gibt sie, weil ihre Macher wollen, daß es sie gibt. Sie sind unberechenbar, weil sie sich nicht rechnen müssen. Wenn Sie wachsen, werden sie organisch größer."
Eigentlich hat er Recht. Warum nicht einfach klein anfangen. Einfach machen?
Schon hat mich das angesteckt. Ich möchte künftig in unregelmäßiger Reihenfolge Bücher vorstellen, die keiner mehr empfiehlt. Weil sie alt sind, weil sie Klassiker sind, weil man sie aufgrund der neuen Trends gern vergisst, weil man als Kritiker damit keinen Ruhm einheimsen kann. Denn auch diese Bücher haben das Wiederentdecken verdient und wenn sie schon verramscht sind, stehen sie zumindest noch in Bibliotheken oder Antiquariaten herum.
Demnächst in diesen Hallen also...
Herbert Debes schreibt in seinem Artikel "Das Lied vom Ende singen die Anderen" über die Chancen einer Gegenkultur, über professionell gemachte Alternativen zum Feuilleton und etablierten Literaturbetrieb. Ich kann nur heftig nicken, wenn er über solche alternativen Medien schreibt: "Es gibt sie, weil ihre Macher wollen, daß es sie gibt. Sie sind unberechenbar, weil sie sich nicht rechnen müssen. Wenn Sie wachsen, werden sie organisch größer."
Eigentlich hat er Recht. Warum nicht einfach klein anfangen. Einfach machen?
Schon hat mich das angesteckt. Ich möchte künftig in unregelmäßiger Reihenfolge Bücher vorstellen, die keiner mehr empfiehlt. Weil sie alt sind, weil sie Klassiker sind, weil man sie aufgrund der neuen Trends gern vergisst, weil man als Kritiker damit keinen Ruhm einheimsen kann. Denn auch diese Bücher haben das Wiederentdecken verdient und wenn sie schon verramscht sind, stehen sie zumindest noch in Bibliotheken oder Antiquariaten herum.
Demnächst in diesen Hallen also...
22. Oktober 2008
Seismographen
Ein alter Branchenspruch heißt: "Du musst mit dem richtigen Manuskript zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, dann wird es ein Buch" - abgesehen natürlich von all den beeinflussbaren Größen wie Qualität, Professionalität etc. Das klingt nach Glücksspiel, ist es auch. Trotzdem kann man durchaus trainieren, ein Gespür für Themen zu bekommen, Themen, die mehr Menschen interessieren könnten als Tante Erna und den Nachbarn.
Journalisten erlernen das Themengespür recht einfach durch tägliches Üben, dem Vorgaben zunächst ein Gerüst geben. Tagesaktualitäten müssen "abgefeiert" werden, das ist Routine. Aber mit dem, was früher aus dem Ticker kam und heute aus der Mailbox, verfeinert sich ein Gespür dafür, was in einer Redaktion anfällt. Man lernt auszuwählen, schafft Kriterien. Etwa die Nähe zum Leser, den Tote in Castrop-Rauxel eher interessieren als auf Feuerland. Oder Bedeutung - der Flugzeugabsturz mit 300 Toten auf Feuerland interessiert mehr als Oma Heinrich, die in Castrop-Rauxel einfach tot im Gemüsebeet umfiel.
Wenn man die Kriterien für Lesernähe oder Aufmerksamkeit erst einmal verinnerlicht hat, ist es leichter, eigene neue Themen zu suchen, die jenseits der Tagesaktualität spannend sind. Haben wir je eine Reportage über die Selbsthilfegruppe für Krebs in der Stadt gemacht? Wie viele Einwohner werden krebskrank sein, wie viele Familien, Bekannte und Freunde mögen mitbetroffen sein? Oder ist eher der Typ, der diese neuartige Wurst aus gentechnisch verändertem Wirsing gezüchtet hat, der große Knüller? Übung macht den Meister, Leser geben Feedback, wie daneben man lag - und dann braucht es noch ein Talent, das man "Nase" nennt. "Der hat den richtigen Riecher".
Buchautoren geht es so ähnlich, sie haben zum Schnuppern nur mehr Zeit und müssen nicht so viele Themen heraushauen. Vor allem Sachbuchautoren müssen sich auf der Höhe der Zeit bewegen, müssen eine Nase dafür entwickeln, was zur Fertigstellung des sehr langsamen Produkts Buch die Menschen umtreiben könnte - und was länger interessiert als ein halbes Jahr. Zeitungen sind geduldig, am nächsten Tag wickelt man seinen Müll in den gestern noch hochaktuellen Artikel. Bücher sollten länger leben...
Wie mache ich das mit der Nase? Eigentlich so ähnlich wie als Journalistin, jedenfalls beim Sachbuch. Ich gehe neugierig durchs Leben und bin wie ein Schwamm, sauge auf. Ich lese Zeitungen quer, informiere mich, was in meinen Themenbereichen läuft, schaue auf Neuheiten. Ich höre zu. Höre zu, was Menschen umtreibt oder angeblich umtreibt, will wissen, wovor sie am meisten Angst haben und was sie träumen. Ich bin neugierig auf Visionen und Schreckgespenster, Auseinandersetzungen, künstlich hochgejubelte Themen und vergessene, übersehene Themen. Ich frage mich selbst: Was davon interessiert mich, was ödet mich an? Ich bewerte: Welchem Thema gebe ich eine Zukunft, welchen Skandal halte ich für überflüssig? Ich lerne, schaue, höre, denke nach, diskutiere...
Und dann passiert es irgendwann. Etwas springt mich an. Eine kleine Idee, vielleicht schon ein Thema, meist aber nur eine bohrende Frage. Ich wälze sie im Kopf. Etwas fasziniert mich. Dieser Prozess funktioniert absolut egozentrisch, noch denke ich im Traum nicht an Publikum oder Leser. Ich spiele mit dem neuen Gedanken sorglos herum und warte darauf, ob das passiert, was immer bei mir passieren muss, damit ein Buch entsteht: Die Idee muss mich "beißen", wie man im Französischen sagt. Wenn sie es schafft, nicht zu platzen, sondern mich fest in ihren Fängen zu halten, während ich mich natürlich heftig wehre, dann hat die Idee eine Überlebenschance.
Erst wenn ich entschieden habe: Das begeistert mich, fasziniert mich, da möchte ich dran bleiben, Energie investieren - erst dann überprüfe ich meine Idee an der Umwelt. Bringt mir ja nichts, selbstherrlich in eine Idee verliebt zu sein, die außer mich keinen interessiert. Ich teste sie aus: Ach, hast du schon gehört, dass... Kann ich mein Gegenüber innerhalb von einer Minute fesseln? Kann ich so davon erzählen, dass der mehr hören will?
Liegt die Idee in der Luft? Ist es ein Thema, das in zwei Jahren noch interessiert? Ist der Trend schon totgenudelt? Habe ich etwas wirklich Neues zu bieten? Wie unterscheide ich meine von bereits vorhandenen ähnlichen Ideen? Jetzt kommt die "Nase" zum Einsatz. Wenn schon zwei Jahre über Polkappenschmelze öffentlich diskutiert wird, hat es keinen Sinn, ein Buch darüber zu schreiben, dass die Pole abschmelzen. Ich muss da schon neue Aspekte bieten. Und stünde eine schnelle Rettung vor der Tür, könnte ich das Thema getrost ganz vergessen - bis mein Buch gedruckt ist, wären die Pole wieder gefroren. Könnte die Schmelze jedoch noch bedrohlichere Ausmaße annehmen, die uns alle spürbar treffen werden, dann ist das ein Longsellerthema. Nur sollte ich in die Zukunft denken, vorausschauen, antizipieren, extrapolieren...
Man ist im Idealfall so eine Art Seismograph dafür, was die Menschen umtreiben könnte. Und man darf durchaus neue Interessen und Betroffenheiten einfordern, darf den Menschen die faszinierende Welt neuer Ideen zeigen. Oder alte Themen von völlig neuen Blickwinkeln betrachten.
Aber dann kommt das große Problem der Erdbebenforschung auf die Autoren zu. Themen wollen verkauft werden. Diejenigen, die kaufen, sollten ebenfalls Seismographen sein und eine Nase haben. Das sind dann Zeitungsredakteure, Fernsehmacher, Lektoren (die für die Verleger einkaufen). Aber woran haben die ihre Nase ausgebildet? Wie nah sind sie noch am Publikum dran? Bekommen sie den Riechkurs bereits von einer Unternehmensberatung oder verschnupft sie das unternehmenseigene Controlling?
Meine ganz persönliche Erfahrung: Es ist gar nicht so schwer, seine eigene Nase auszubilden, wenn man halbwegs talentiert und offen ist. Aber es wird immer schwerer, anderen Menschen einen Geruch zu vermitteln - der kollektive Schnupfen geht um. Wer jahrelang mit Vanilleduft Geld verdient hat, sieht im Geruch einer frischen Möhre nur Risiko. Und plötzlich sind wieder die Medien näher am Puls der Zeit, die derzeit in der Qualitätsdebatte stehen. Fernsehnasen riechen manchmal schneller als Verlagsnasen, woher der Themenwind weht... Ob daher die große Angst vor neuen Medien in der Verlagslandschaft rührt? Bücher würden zu einem "schnelleren" Medium werden. Das Schnüffeln würde wieder wichtiger. Welcher Verlag leistet sich neugierige Schnüffler?
Im Journalismus ist die eierlegende Wollmilchsau längst geboren. Ein Journalist sollte nicht nur schreiben können, sondern auch mit dem Fotoapparat umgehen, am besten zusätzlich Video und neue Techniken beherrschen. Sachbuchautoren tun gut daran, sich ähnlich vielfältig auszubilden, nach multimedialem Texten zu schielen. Schließlich wäre es doch schade, wenn so ein guter Riecher über tropfende Nasen stolpert? Denn schon jetzt nutzt das Publikum Sachthemen über Kreuz (schönes Fachwort: Crossmedia): Das lebendig erzählte Sachbuch, die aufwendige Doku auf DVD, der tagesaktuelle Bericht, das alles ergänzt sich.
Journalisten erlernen das Themengespür recht einfach durch tägliches Üben, dem Vorgaben zunächst ein Gerüst geben. Tagesaktualitäten müssen "abgefeiert" werden, das ist Routine. Aber mit dem, was früher aus dem Ticker kam und heute aus der Mailbox, verfeinert sich ein Gespür dafür, was in einer Redaktion anfällt. Man lernt auszuwählen, schafft Kriterien. Etwa die Nähe zum Leser, den Tote in Castrop-Rauxel eher interessieren als auf Feuerland. Oder Bedeutung - der Flugzeugabsturz mit 300 Toten auf Feuerland interessiert mehr als Oma Heinrich, die in Castrop-Rauxel einfach tot im Gemüsebeet umfiel.
Wenn man die Kriterien für Lesernähe oder Aufmerksamkeit erst einmal verinnerlicht hat, ist es leichter, eigene neue Themen zu suchen, die jenseits der Tagesaktualität spannend sind. Haben wir je eine Reportage über die Selbsthilfegruppe für Krebs in der Stadt gemacht? Wie viele Einwohner werden krebskrank sein, wie viele Familien, Bekannte und Freunde mögen mitbetroffen sein? Oder ist eher der Typ, der diese neuartige Wurst aus gentechnisch verändertem Wirsing gezüchtet hat, der große Knüller? Übung macht den Meister, Leser geben Feedback, wie daneben man lag - und dann braucht es noch ein Talent, das man "Nase" nennt. "Der hat den richtigen Riecher".
Buchautoren geht es so ähnlich, sie haben zum Schnuppern nur mehr Zeit und müssen nicht so viele Themen heraushauen. Vor allem Sachbuchautoren müssen sich auf der Höhe der Zeit bewegen, müssen eine Nase dafür entwickeln, was zur Fertigstellung des sehr langsamen Produkts Buch die Menschen umtreiben könnte - und was länger interessiert als ein halbes Jahr. Zeitungen sind geduldig, am nächsten Tag wickelt man seinen Müll in den gestern noch hochaktuellen Artikel. Bücher sollten länger leben...
Wie mache ich das mit der Nase? Eigentlich so ähnlich wie als Journalistin, jedenfalls beim Sachbuch. Ich gehe neugierig durchs Leben und bin wie ein Schwamm, sauge auf. Ich lese Zeitungen quer, informiere mich, was in meinen Themenbereichen läuft, schaue auf Neuheiten. Ich höre zu. Höre zu, was Menschen umtreibt oder angeblich umtreibt, will wissen, wovor sie am meisten Angst haben und was sie träumen. Ich bin neugierig auf Visionen und Schreckgespenster, Auseinandersetzungen, künstlich hochgejubelte Themen und vergessene, übersehene Themen. Ich frage mich selbst: Was davon interessiert mich, was ödet mich an? Ich bewerte: Welchem Thema gebe ich eine Zukunft, welchen Skandal halte ich für überflüssig? Ich lerne, schaue, höre, denke nach, diskutiere...
Und dann passiert es irgendwann. Etwas springt mich an. Eine kleine Idee, vielleicht schon ein Thema, meist aber nur eine bohrende Frage. Ich wälze sie im Kopf. Etwas fasziniert mich. Dieser Prozess funktioniert absolut egozentrisch, noch denke ich im Traum nicht an Publikum oder Leser. Ich spiele mit dem neuen Gedanken sorglos herum und warte darauf, ob das passiert, was immer bei mir passieren muss, damit ein Buch entsteht: Die Idee muss mich "beißen", wie man im Französischen sagt. Wenn sie es schafft, nicht zu platzen, sondern mich fest in ihren Fängen zu halten, während ich mich natürlich heftig wehre, dann hat die Idee eine Überlebenschance.
Erst wenn ich entschieden habe: Das begeistert mich, fasziniert mich, da möchte ich dran bleiben, Energie investieren - erst dann überprüfe ich meine Idee an der Umwelt. Bringt mir ja nichts, selbstherrlich in eine Idee verliebt zu sein, die außer mich keinen interessiert. Ich teste sie aus: Ach, hast du schon gehört, dass... Kann ich mein Gegenüber innerhalb von einer Minute fesseln? Kann ich so davon erzählen, dass der mehr hören will?
Liegt die Idee in der Luft? Ist es ein Thema, das in zwei Jahren noch interessiert? Ist der Trend schon totgenudelt? Habe ich etwas wirklich Neues zu bieten? Wie unterscheide ich meine von bereits vorhandenen ähnlichen Ideen? Jetzt kommt die "Nase" zum Einsatz. Wenn schon zwei Jahre über Polkappenschmelze öffentlich diskutiert wird, hat es keinen Sinn, ein Buch darüber zu schreiben, dass die Pole abschmelzen. Ich muss da schon neue Aspekte bieten. Und stünde eine schnelle Rettung vor der Tür, könnte ich das Thema getrost ganz vergessen - bis mein Buch gedruckt ist, wären die Pole wieder gefroren. Könnte die Schmelze jedoch noch bedrohlichere Ausmaße annehmen, die uns alle spürbar treffen werden, dann ist das ein Longsellerthema. Nur sollte ich in die Zukunft denken, vorausschauen, antizipieren, extrapolieren...
Man ist im Idealfall so eine Art Seismograph dafür, was die Menschen umtreiben könnte. Und man darf durchaus neue Interessen und Betroffenheiten einfordern, darf den Menschen die faszinierende Welt neuer Ideen zeigen. Oder alte Themen von völlig neuen Blickwinkeln betrachten.
Aber dann kommt das große Problem der Erdbebenforschung auf die Autoren zu. Themen wollen verkauft werden. Diejenigen, die kaufen, sollten ebenfalls Seismographen sein und eine Nase haben. Das sind dann Zeitungsredakteure, Fernsehmacher, Lektoren (die für die Verleger einkaufen). Aber woran haben die ihre Nase ausgebildet? Wie nah sind sie noch am Publikum dran? Bekommen sie den Riechkurs bereits von einer Unternehmensberatung oder verschnupft sie das unternehmenseigene Controlling?
Meine ganz persönliche Erfahrung: Es ist gar nicht so schwer, seine eigene Nase auszubilden, wenn man halbwegs talentiert und offen ist. Aber es wird immer schwerer, anderen Menschen einen Geruch zu vermitteln - der kollektive Schnupfen geht um. Wer jahrelang mit Vanilleduft Geld verdient hat, sieht im Geruch einer frischen Möhre nur Risiko. Und plötzlich sind wieder die Medien näher am Puls der Zeit, die derzeit in der Qualitätsdebatte stehen. Fernsehnasen riechen manchmal schneller als Verlagsnasen, woher der Themenwind weht... Ob daher die große Angst vor neuen Medien in der Verlagslandschaft rührt? Bücher würden zu einem "schnelleren" Medium werden. Das Schnüffeln würde wieder wichtiger. Welcher Verlag leistet sich neugierige Schnüffler?
Im Journalismus ist die eierlegende Wollmilchsau längst geboren. Ein Journalist sollte nicht nur schreiben können, sondern auch mit dem Fotoapparat umgehen, am besten zusätzlich Video und neue Techniken beherrschen. Sachbuchautoren tun gut daran, sich ähnlich vielfältig auszubilden, nach multimedialem Texten zu schielen. Schließlich wäre es doch schade, wenn so ein guter Riecher über tropfende Nasen stolpert? Denn schon jetzt nutzt das Publikum Sachthemen über Kreuz (schönes Fachwort: Crossmedia): Das lebendig erzählte Sachbuch, die aufwendige Doku auf DVD, der tagesaktuelle Bericht, das alles ergänzt sich.
Gegen Einschüchterung
Der Verband deutscher Schriftsteller und der Bundesverband junger Autoren haben eine Unterschriftenaktion mit dem Titel "Für die Kultur des Wortes - gegen Einschüchterung" gestartet. Worum es geht und wie man sich beteiligen kann, findet sich hier.
Informationen über seriöse und nicht seriöse Verlagspraktiken gibt das Aktionsbündnis für faire Verlage, Fairlag. Jeder, der eine erste Veröffentlichung erwägt, sollte sich zuerst genau informieren.
Weil es nicht nur Laien, sondern sogar Journalisten und Rezensenten immer noch nicht geläufig ist, was ein seriöser Verlag tut und was er nicht nicht tun darf, möchte ich aus dem etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache von Kluge zitieren: "Verleger" kommt vom spätmittelhochdeutschen "Geld auslegen, etwas auf seine Rechnung nehmen" - der Verlag hat also "Kosten, Aufwand".
Daran hat sich bis heute nichts geändert: Seriöse Verlage "legen vor". Das heißt, sie finanzieren nicht nur die Herstellung und den Vertrieb von Büchern, sie bezahlen ihre Autoren auch dafür. Autoren, die für Verlage arbeiten, beteiligen sich weder an Druckkosten noch sonstigen Kosten, weder in Form von Geld noch Sachleistungen oder Tauschgeschäften. Augen auf beim Vertragsabschluss!
Informationen über seriöse und nicht seriöse Verlagspraktiken gibt das Aktionsbündnis für faire Verlage, Fairlag. Jeder, der eine erste Veröffentlichung erwägt, sollte sich zuerst genau informieren.
Weil es nicht nur Laien, sondern sogar Journalisten und Rezensenten immer noch nicht geläufig ist, was ein seriöser Verlag tut und was er nicht nicht tun darf, möchte ich aus dem etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache von Kluge zitieren: "Verleger" kommt vom spätmittelhochdeutschen "Geld auslegen, etwas auf seine Rechnung nehmen" - der Verlag hat also "Kosten, Aufwand".
Daran hat sich bis heute nichts geändert: Seriöse Verlage "legen vor". Das heißt, sie finanzieren nicht nur die Herstellung und den Vertrieb von Büchern, sie bezahlen ihre Autoren auch dafür. Autoren, die für Verlage arbeiten, beteiligen sich weder an Druckkosten noch sonstigen Kosten, weder in Form von Geld noch Sachleistungen oder Tauschgeschäften. Augen auf beim Vertragsabschluss!
21. Oktober 2008
Verschlimmbessert?
Eben meldet der Merkur, bei Reich-Ranickis Werbung für die Telekom habe es sich um ein Missverständnis gehandelt. Er wird zitiert: "Ich habe gar nicht gewusst, um was es geht, die haben es ein bisschen undeutlich gesagt." Außerdem will Marcel Reich-Ranicki plötzlich nicht mehr das Fernsehen an sich kritisiert haben, sondern nur die Galaveranstaltung zum Fernsehpreis.
Als Journalistin bin ich vorsichtig, wenn ich etwas in der Zeitung lese. Ich weiß, wie schnell falsch zitiert und geschummelt wird. Ich weiß aber auch, dass man einen Pressesprecher nicht zitieren kann, wenn er etwas nicht gesagt hat. Und der hat das Honorar bestätigt. Honorar fließt für Werbung nur, wenn es einen Werbevertrag gibt - und sei er mündlich abgesprochen. Hand aufs Herz: Wer würde einen Vertrag mit einem nuschelnden Partner machen? Wir werden doch im Fernsehen immer davor gewarnt, uns nicht auf windige, am Telefon aufgeschwatzte Verträge einzulassen? Da fragt man doch nach? MRR hat nicht das erste Mal für die Telekom geworben - er musste doch wissen, worauf er sich einlässt?
Und wir dummen Kulturschaffenden hatten uns eingebildet, endlich werde einmal das Fernsehen kritisiert. Ätschebätsch, reingefallen. War nur ein schlechter Abend.
Wozu haben wir dann die Sendung mit Gottschalk gebraucht? Warum ist Elke Heidenreich beigesprungen und hat sich so weit aus dem Fenster gelehnt? Was haben wir eigentlich beklatscht? War das auch alles nur ein Missverständnis?
O - si tacuisses...
Heute bin ich wirklich vollkommen fassungslos. Ich BEGREIFE es nicht.
Als Journalistin bin ich vorsichtig, wenn ich etwas in der Zeitung lese. Ich weiß, wie schnell falsch zitiert und geschummelt wird. Ich weiß aber auch, dass man einen Pressesprecher nicht zitieren kann, wenn er etwas nicht gesagt hat. Und der hat das Honorar bestätigt. Honorar fließt für Werbung nur, wenn es einen Werbevertrag gibt - und sei er mündlich abgesprochen. Hand aufs Herz: Wer würde einen Vertrag mit einem nuschelnden Partner machen? Wir werden doch im Fernsehen immer davor gewarnt, uns nicht auf windige, am Telefon aufgeschwatzte Verträge einzulassen? Da fragt man doch nach? MRR hat nicht das erste Mal für die Telekom geworben - er musste doch wissen, worauf er sich einlässt?
Und wir dummen Kulturschaffenden hatten uns eingebildet, endlich werde einmal das Fernsehen kritisiert. Ätschebätsch, reingefallen. War nur ein schlechter Abend.
Wozu haben wir dann die Sendung mit Gottschalk gebraucht? Warum ist Elke Heidenreich beigesprungen und hat sich so weit aus dem Fenster gelehnt? Was haben wir eigentlich beklatscht? War das auch alles nur ein Missverständnis?
O - si tacuisses...
Heute bin ich wirklich vollkommen fassungslos. Ich BEGREIFE es nicht.
Pfui!
Eben hat es einen lauten Schlag gegeben. Ein Mensch, von dem ich sehr viel halte, ist von seinem Sockel gestürzt. Als ich es im Zwischenlebenblog entdeckte, wollte ich es zunächst nicht glauben, aber die Sache ist durch den Pressesprecher von T-Home offensichtlich bestätigt: Der für absolute Integrität einstehende Marcel Reich-Ranicki hat sich als Werbefritzchen verkauft. Mit seiner Preisrede, weil die so schön Quote brachte und nun auch noch Werbegeld. Ausgerechnet an die Telekom, die ständig in Skandale um Datenklau verwickelt ist.
Dass das Konterfei einer öffentlichen Person ungefragt verwendet wird, dagegen kann diese manchmal erst hinterher klagen. Dass aber einer, der die einmalige Chance hatte, in Deutschland eine Kulturdiskussion anzufachen, der für integer und intelligent gehalten wurde - nun diese einmalige Chance ausgerechnet an die Werbewirtschaft verkauft, vorsätzlich, das ist unfassbar! Dass er es auch noch gezielt zu einem Zeitpunkt macht, zu dem die Quote und das öffentliche Aufsehen den Werbeeffekt (und sicher das Honorar) erhöhen, das schlägt dem Fass den Boden aus.
Marcel Reich-Ranicki guckt also jetzt lieber Fernsehen bei der Telekom und wird uns wahrscheinlich demnächst das Telefonbuch besprechen. Und vielleicht etabliert er ja mit dem Branchenbuch ein neues Genre an Literatur.
Nichts gegen Werbung. Wie integer die ist, beweisen die Macher ja in solchen Aktionen offen. Aber als öffentliche Werbefigur sollte man noch so viel Mumm in den Knochen haben, dass man sich überlegt, für wen man sich hergibt, womit man sich hergibt und wann. Der Literatur und Kultur hat er damit maßlos geschadet, zwar waren seine Aussagen richtig und wichtig - aber wer wird bei ihm jetzt noch am Hörer hängen nach dieser Aktion? Diese dumme, kopflose Kampagne wird alles übertönen, was wichtig gewesen wäre. Und wieder einmal triumphiert die Werbewirtschaft über die Kultur. Aber das hatten wir ja schon irgendwo...
Wer in diesem Land ist eigentlich NICHT käuflich?
Dass das Konterfei einer öffentlichen Person ungefragt verwendet wird, dagegen kann diese manchmal erst hinterher klagen. Dass aber einer, der die einmalige Chance hatte, in Deutschland eine Kulturdiskussion anzufachen, der für integer und intelligent gehalten wurde - nun diese einmalige Chance ausgerechnet an die Werbewirtschaft verkauft, vorsätzlich, das ist unfassbar! Dass er es auch noch gezielt zu einem Zeitpunkt macht, zu dem die Quote und das öffentliche Aufsehen den Werbeeffekt (und sicher das Honorar) erhöhen, das schlägt dem Fass den Boden aus.
Marcel Reich-Ranicki guckt also jetzt lieber Fernsehen bei der Telekom und wird uns wahrscheinlich demnächst das Telefonbuch besprechen. Und vielleicht etabliert er ja mit dem Branchenbuch ein neues Genre an Literatur.
Nichts gegen Werbung. Wie integer die ist, beweisen die Macher ja in solchen Aktionen offen. Aber als öffentliche Werbefigur sollte man noch so viel Mumm in den Knochen haben, dass man sich überlegt, für wen man sich hergibt, womit man sich hergibt und wann. Der Literatur und Kultur hat er damit maßlos geschadet, zwar waren seine Aussagen richtig und wichtig - aber wer wird bei ihm jetzt noch am Hörer hängen nach dieser Aktion? Diese dumme, kopflose Kampagne wird alles übertönen, was wichtig gewesen wäre. Und wieder einmal triumphiert die Werbewirtschaft über die Kultur. Aber das hatten wir ja schon irgendwo...
Wer in diesem Land ist eigentlich NICHT käuflich?
20. Oktober 2008
Drah di net um...
...Verblödung geht dumm um!
Tja, nun hat uns auch die ARD gezeigt, wie man im Fernsehen mit Kultur umgeht: Sie hat Anselm Kiefer bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels einfach den Saft abgedreht.
Der HR verspricht das komplette Video (?), die komplette Rede zum Nachlesen finde ich auch nach zehnminütiger Recherche nirgends.
Lichtblick im Fernsehsumpf: Die streitbare Elke Heidenreich gestern in der FAZ.
Liebe Fernsehmacher!
Es reicht langsam mit den kulturlosen Peinlichkeiten. Ich habe auch noch etwas anderes zu tun als mich über euch aufzuregen. Ich lese heute abend ein gutes Buch.
Und morgen gründe ich den Club der hemmungslosen elitären Hirnanwender.
Tja, nun hat uns auch die ARD gezeigt, wie man im Fernsehen mit Kultur umgeht: Sie hat Anselm Kiefer bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels einfach den Saft abgedreht.
Der HR verspricht das komplette Video (?), die komplette Rede zum Nachlesen finde ich auch nach zehnminütiger Recherche nirgends.
Lichtblick im Fernsehsumpf: Die streitbare Elke Heidenreich gestern in der FAZ.
Liebe Fernsehmacher!
Es reicht langsam mit den kulturlosen Peinlichkeiten. Ich habe auch noch etwas anderes zu tun als mich über euch aufzuregen. Ich lese heute abend ein gutes Buch.
Und morgen gründe ich den Club der hemmungslosen elitären Hirnanwender.
Tod aller Kritiker?
Ich habe eben im Perlentaucher zwei hochinteressante Essays zum Thema Literaturkritik gefunden. Felix Philipp Ingold macht sich in seinem Essay Gedanken, ob es zwischen Buchwerbung und Literaturkritik überhaupt noch Grenzen gibt, warum Schopenhauers zynische Anmerkungen zum Literaturbetrieb so modern sind, und was daraus wird, wenn das pralle Leben aus Büchern durch den Magen gehen soll... Seine Einteilung der unterschiedlichen Spezies von Kritikern und besonders beliebten Worthülsen liest sich ähnlich wie Schopenhauer: Das Lachen bleibt einem im Halse stecken, weil das Lachhafte erschreckend wirklich geworden ist.
Beatrix Langner antwortet ihm heute und sucht vergeblich den Unterschied zwischen Meinung und Urteil in der Literaturkritik. Ihre Hauptkritik an der Kritik ist der denunziatorische Grundton gegenüber Autoren und Büchern. Der Anstand, sich vor der Würde eines Originalwerks zu verbeugen, sei vielen Feuilletonisten heute fremd, bedauert sie.
Beatrix Langner antwortet ihm heute und sucht vergeblich den Unterschied zwischen Meinung und Urteil in der Literaturkritik. Ihre Hauptkritik an der Kritik ist der denunziatorische Grundton gegenüber Autoren und Büchern. Der Anstand, sich vor der Würde eines Originalwerks zu verbeugen, sei vielen Feuilletonisten heute fremd, bedauert sie.
Die Kunst des Downgrading
Wer sich die Buchmesse genau anschaut, wird vielleicht wie ich überrascht feststellen: Es gibt so viele Verlage mit wundervollen Büchern, von denen ich noch nie gehört habe, die aber offensichtlich ihre Bücher auch verkaufen. Das wirkt auf Autoren umso erstaunlicher, weil vor allem nichtliterarische Kreise ihr Heil im riesigen Publikumsverlag sehen (Die Literatur ist ein anders funktionierender Markt).
Je größer das Unternehmen, desto mehr Auflage und Ruhm erhofft sich so ein Autor. Und deshalb bewerben sich blutige Anfänger selbstbewusst zuerst einmal bei Random House. Ich gestehe, ich habe diesen Blödsinn auch gemacht, als der Laden noch Bertelsmann hieß, und bin heute froh über die nette Absage. Irgendwann war dann auch ich bei einem großen Publikumverlag gelandet, man dient sich hoch... Aber ist es immer das Beste?
Mit meiner heutigen Erfahrung möchte ich sagen: Man erreicht die erträumten Riesenauflagen nicht, weil ein Verlag riesig ist, im Gegenteil. Man erreicht Verkäufe, wenn man im Buchhandel oder auf anderen Verkaufsschienen präsent ist. Man erreicht LeserInnen durch Öffentlichkeit, Werbung und Medienecho - aber auch nur dann, wenn das Marketing auf die Zielgruppe wirken kann. Schon hier gibt es graduelle Unterschiede: Ein sogenannter Spitzentitel wird eine völlig eigene Werbung bekommen, während der normale Titel allenfalls als Dreizeiler in einer Massenaussendung erscheint, vom Vertreter vielleicht in 30 Sekunden abgenudelt wird. Es gibt also solche und solche...
Und es ist ein offenes Geheimnis, dass inzwischen auch in Publikumsverlagen noch nicht etablierte Autoren für eigene Werbung sorgen müssen, weil sie vielleicht besser Zugang zu ihrem Publikum haben. Wohl dem, der sich mit PR auskennt und Pressekontakte hat.
Nein, ein Buch wird nicht automatisch ein Erfolg, nur weil der Verlag berühmt ist. Die Menschen da draußen kaufen Titel, Geschichten. Und wenn sie einen Autor lieben, ist es ihnen egal, ob der heute für Verlag X oder morgen für Verlag Z schreibt. Die wenigsten Verlage erkennt man sowieso am Cover, von Diogenes mal abgesehen.
Welcher Verlag ist aber denn nun der passende? Darauf gibt es eine einfache Antwort: Ein Verlag, in dem mein Buch nicht untergeht, sondern auffällt. Ein Verlag, dessen Stammkundschaft weitgehend identisch ist mit meinem Zielpublikum. Ein Verlag, der sich professionell und aktiv für mein Buch engagiert, der es bewirbt und für Öffentlichkeit sorgt - nicht einfach Papier auf den Markt wirft, nach dem Motto "friss oder stirb". Mit der Größe hat das also alles nichts zu tun.
Viele Autoren betreiben deshalb das, was bei Software bereits trendy ist: Downgrading. Da hat man dieses aufgeblasene riesige Betriebssystem, das einem nur noch Scherereien macht - also gibt's statt upgrade ein downgrade - back to the roots, als einem das Ding noch wirklich etwas brachte. Und siehe da - es schadet nicht!
Eine ähnliche Entscheidung hatte ich bei "Das Buch der Rose" zu treffen. Es gibt jedes Jahr Hunderte von Rosenbüchern. In einem großen Publikumsverlag wäre es eine Nummer unter vielen gewesen. Und wenn es einer kaufen wollte, kam immer wieder die gleiche Anfrage: Könnten Sie das leicht und locker für Massenpublikum schreiben? Lassen Sie doch die netten Anekdoten drin, aber das Wissenschaftliche, das mit der Literatur und Kunst... ach, ein paar nette Zitate und Bilder reichen doch. War das aber dann noch mein Buch? Und wie sollte es sich dann von all den niedlichen Rosenbüchern mit Bildchen und Zitaten und Gedichten unterscheiden?
Der "Downgrade" (nur an Unternehmensgröße) bescherte mir einen Verlag, der vollkommen von meiner Idee überzeugt war und daran glaubte, dass man Publikum auch Kunst, Wissenschaft und Literatur vorsetzen kann. Der obendrein einen Namen in eben dieser Kunstszene hat. Dem Buch und mir hat das nur gut getan. Es erschien, wie es geplant war.
Anderes Beispiel: Eine Kollegin von mir hat ein wunderbares Geschenkbuch geschrieben. Pech ist nur, dass sie partout in einen großen Publikumsverlag wollte. Der hat ein lieblos aufgemachtes Taschenbuch daraus gemacht und das ohne jede Werbung einfach so auf den Markt geworfen. Die Frau ist unglücklich, ihre Verkaufszahlen dümpeln dahin. Nach vier Monaten war das Buch fast vergessen - es erscheinen ja so viele Taschenbücher. Schade drum! Mir geht es wie vielen LeserInnen: Ich würde das Buch liebend gern verschenken. Aber der Einband ist so billig und hässlich gemacht, dass ich dann doch zur Schachtel Pralinen greife. Was hätte aus diesem Buch werden können, wenn Sie sich einen auf Geschenkbücher spezialisierten Verlag gesucht hätte! Die waren ihr zu klein. Aber gibt's da nicht diesen Mönch, der im Geschenkbuchverlag zum meistverkauften Autor mutierte?
Ich gebe zu: Ich selbst hätte nie die Ahnung, für meine Projekte das wirklich passende Umfeld auszusuchen. Dazu brauche ich einen Profi, der sich auskennt - meinen Agenten. Und wenn ich dann mal wählen kann, lasse ich mich beraten. Nicht danach, wer den berühmtesten Namen hat. Sondern nach der Frage: Wer engagiert sich am meisten für mich und mein Buch? Zu wem passe ich am besten?
Je größer das Unternehmen, desto mehr Auflage und Ruhm erhofft sich so ein Autor. Und deshalb bewerben sich blutige Anfänger selbstbewusst zuerst einmal bei Random House. Ich gestehe, ich habe diesen Blödsinn auch gemacht, als der Laden noch Bertelsmann hieß, und bin heute froh über die nette Absage. Irgendwann war dann auch ich bei einem großen Publikumverlag gelandet, man dient sich hoch... Aber ist es immer das Beste?
Mit meiner heutigen Erfahrung möchte ich sagen: Man erreicht die erträumten Riesenauflagen nicht, weil ein Verlag riesig ist, im Gegenteil. Man erreicht Verkäufe, wenn man im Buchhandel oder auf anderen Verkaufsschienen präsent ist. Man erreicht LeserInnen durch Öffentlichkeit, Werbung und Medienecho - aber auch nur dann, wenn das Marketing auf die Zielgruppe wirken kann. Schon hier gibt es graduelle Unterschiede: Ein sogenannter Spitzentitel wird eine völlig eigene Werbung bekommen, während der normale Titel allenfalls als Dreizeiler in einer Massenaussendung erscheint, vom Vertreter vielleicht in 30 Sekunden abgenudelt wird. Es gibt also solche und solche...
Und es ist ein offenes Geheimnis, dass inzwischen auch in Publikumsverlagen noch nicht etablierte Autoren für eigene Werbung sorgen müssen, weil sie vielleicht besser Zugang zu ihrem Publikum haben. Wohl dem, der sich mit PR auskennt und Pressekontakte hat.
Nein, ein Buch wird nicht automatisch ein Erfolg, nur weil der Verlag berühmt ist. Die Menschen da draußen kaufen Titel, Geschichten. Und wenn sie einen Autor lieben, ist es ihnen egal, ob der heute für Verlag X oder morgen für Verlag Z schreibt. Die wenigsten Verlage erkennt man sowieso am Cover, von Diogenes mal abgesehen.
Welcher Verlag ist aber denn nun der passende? Darauf gibt es eine einfache Antwort: Ein Verlag, in dem mein Buch nicht untergeht, sondern auffällt. Ein Verlag, dessen Stammkundschaft weitgehend identisch ist mit meinem Zielpublikum. Ein Verlag, der sich professionell und aktiv für mein Buch engagiert, der es bewirbt und für Öffentlichkeit sorgt - nicht einfach Papier auf den Markt wirft, nach dem Motto "friss oder stirb". Mit der Größe hat das also alles nichts zu tun.
Viele Autoren betreiben deshalb das, was bei Software bereits trendy ist: Downgrading. Da hat man dieses aufgeblasene riesige Betriebssystem, das einem nur noch Scherereien macht - also gibt's statt upgrade ein downgrade - back to the roots, als einem das Ding noch wirklich etwas brachte. Und siehe da - es schadet nicht!
Eine ähnliche Entscheidung hatte ich bei "Das Buch der Rose" zu treffen. Es gibt jedes Jahr Hunderte von Rosenbüchern. In einem großen Publikumsverlag wäre es eine Nummer unter vielen gewesen. Und wenn es einer kaufen wollte, kam immer wieder die gleiche Anfrage: Könnten Sie das leicht und locker für Massenpublikum schreiben? Lassen Sie doch die netten Anekdoten drin, aber das Wissenschaftliche, das mit der Literatur und Kunst... ach, ein paar nette Zitate und Bilder reichen doch. War das aber dann noch mein Buch? Und wie sollte es sich dann von all den niedlichen Rosenbüchern mit Bildchen und Zitaten und Gedichten unterscheiden?
Der "Downgrade" (nur an Unternehmensgröße) bescherte mir einen Verlag, der vollkommen von meiner Idee überzeugt war und daran glaubte, dass man Publikum auch Kunst, Wissenschaft und Literatur vorsetzen kann. Der obendrein einen Namen in eben dieser Kunstszene hat. Dem Buch und mir hat das nur gut getan. Es erschien, wie es geplant war.
Anderes Beispiel: Eine Kollegin von mir hat ein wunderbares Geschenkbuch geschrieben. Pech ist nur, dass sie partout in einen großen Publikumsverlag wollte. Der hat ein lieblos aufgemachtes Taschenbuch daraus gemacht und das ohne jede Werbung einfach so auf den Markt geworfen. Die Frau ist unglücklich, ihre Verkaufszahlen dümpeln dahin. Nach vier Monaten war das Buch fast vergessen - es erscheinen ja so viele Taschenbücher. Schade drum! Mir geht es wie vielen LeserInnen: Ich würde das Buch liebend gern verschenken. Aber der Einband ist so billig und hässlich gemacht, dass ich dann doch zur Schachtel Pralinen greife. Was hätte aus diesem Buch werden können, wenn Sie sich einen auf Geschenkbücher spezialisierten Verlag gesucht hätte! Die waren ihr zu klein. Aber gibt's da nicht diesen Mönch, der im Geschenkbuchverlag zum meistverkauften Autor mutierte?
Ich gebe zu: Ich selbst hätte nie die Ahnung, für meine Projekte das wirklich passende Umfeld auszusuchen. Dazu brauche ich einen Profi, der sich auskennt - meinen Agenten. Und wenn ich dann mal wählen kann, lasse ich mich beraten. Nicht danach, wer den berühmtesten Namen hat. Sondern nach der Frage: Wer engagiert sich am meisten für mich und mein Buch? Zu wem passe ich am besten?
Wenn Kritiker lieben
Die Journalistin Carolin Emcke schreibt in ihrem Blog "Was ich nicht verstanden habe" über die Scham und Schamlosigkeit des Fernsehens und seiner Kritiker. Absolut lesenswert!
Ihre kluge Untersuchung zeigt: "Nur wer an die Möglichkeiten des Fernsehens glaubt, kann kritisieren, dass es unter seinen Möglichkeiten bleibt." Menschen wie Marcel Reich-Ranicki und Elke Heidenreich übten deshalb so harsche Kritik, weil sie ihre Arbeit leidenschaftlich machten, nicht gegen, sondern für ein Medium.
Nebenbei: Carolin Emcke hat außerdem ein sehr lesenswertes Buch geschrieben mit dem Titel "Von den Kriegen". Sie selbst war jahrelang in verschiedenen Kriegs- und Krisengebieten der Welt als Redakteurin unterwegs. In diesem Buch schreibt sie in Briefen an Freunde darüber, wie Krieg und andere Greuel Berichterstatter und Zeugen verändern. Ihr neuestes Buch "Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF" ist in diesem Jahr erschienen.
Ihre kluge Untersuchung zeigt: "Nur wer an die Möglichkeiten des Fernsehens glaubt, kann kritisieren, dass es unter seinen Möglichkeiten bleibt." Menschen wie Marcel Reich-Ranicki und Elke Heidenreich übten deshalb so harsche Kritik, weil sie ihre Arbeit leidenschaftlich machten, nicht gegen, sondern für ein Medium.
Nebenbei: Carolin Emcke hat außerdem ein sehr lesenswertes Buch geschrieben mit dem Titel "Von den Kriegen". Sie selbst war jahrelang in verschiedenen Kriegs- und Krisengebieten der Welt als Redakteurin unterwegs. In diesem Buch schreibt sie in Briefen an Freunde darüber, wie Krieg und andere Greuel Berichterstatter und Zeugen verändern. Ihr neuestes Buch "Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF" ist in diesem Jahr erschienen.
19. Oktober 2008
Aus gegebenem Anlass
... möchte ich herzlich zu meiner letzten Lesung vor der Winterpause in diesem Jahr einladen!
Ich werde zum Auftaktstag der Aktion "Deutschland liest" auftreten am
Freitag, den 24. Oktober 2008, 20 Uhr
in der Bibliothek Gaggenau, Haus am Markt (dort auch ab sofort Reservierung möglich unter stadtbibliothek at gaggenau Punkt de)
Lesen und erzählen möchte ich aus meinem literarischen Reisebuch "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" (als Geschenkbuch im farbigen Schuber erschienen bei sanssouci im Hanser Verlag - und als Hörbuch in Geschenkaufmachung bei Gugis Hörbücher).
Der rührige Bibliothekar, Herr Freist, hat sich außerdem für diese elsässische Sinnesreise zwei Bonbons für Zunge und Ohr ausgedacht: Es wird etwas Elsässisches zum Schmecken geben. Und persönlich anwesend ist Christina Walz, die Verlegerin meines Hörbuchs. So frisch nach der Frankfurter Buchmesse kann sie sicher auch etwas über neue Perlen aus ihrem literarischen Hörbuchprogramm "Der Diwan" verraten.
So liest also bei "Deutschland liest" auch Frankreich über das Grenzgebiet - und ich denke, ich werde allerhand aktuelle Anekdoten zum Thema "Grenzgängerei und Genuss" beizusteuern haben. Beim Signieren besteht sicher Möglichkeit zu einem persönlichen Gespräch. Ich freue mich auf Sie!
Ich werde zum Auftaktstag der Aktion "Deutschland liest" auftreten am
Freitag, den 24. Oktober 2008, 20 Uhr
in der Bibliothek Gaggenau, Haus am Markt (dort auch ab sofort Reservierung möglich unter stadtbibliothek at gaggenau Punkt de)
Lesen und erzählen möchte ich aus meinem literarischen Reisebuch "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" (als Geschenkbuch im farbigen Schuber erschienen bei sanssouci im Hanser Verlag - und als Hörbuch in Geschenkaufmachung bei Gugis Hörbücher).
Der rührige Bibliothekar, Herr Freist, hat sich außerdem für diese elsässische Sinnesreise zwei Bonbons für Zunge und Ohr ausgedacht: Es wird etwas Elsässisches zum Schmecken geben. Und persönlich anwesend ist Christina Walz, die Verlegerin meines Hörbuchs. So frisch nach der Frankfurter Buchmesse kann sie sicher auch etwas über neue Perlen aus ihrem literarischen Hörbuchprogramm "Der Diwan" verraten.
So liest also bei "Deutschland liest" auch Frankreich über das Grenzgebiet - und ich denke, ich werde allerhand aktuelle Anekdoten zum Thema "Grenzgängerei und Genuss" beizusteuern haben. Beim Signieren besteht sicher Möglichkeit zu einem persönlichen Gespräch. Ich freue mich auf Sie!
18. Oktober 2008
Elefantentreffen
Inzwischen werden alle wichtigen und weniger wichtigen Blätter über das Elefantentreffen zwischen Marcel Reich-Ranicki und Thomas Gottschalk berichtet haben und Kritik in alle Richtungen gibt es sicher auch reichlich. Deshalb war ich lieber zur Runderneuerung in Rastatt beim Friseur. Mittelgroße badische Stadt, zwei nicht üppig große Buchhandlungen, eine davon Kette: die üblichen verdächtigen Bücher. Und beim Friseur vermutet man ja eher Vogue und Schöner Wohnen, brigitte und Frisurenhefte.
Ich war wirklich überrascht. MRR war Tagesgespräch im Friseursalon. Raumfüllend, gruppenübergreifend. Da saß und arbeitete nun also dieser Durchschnitt von Bevölkerung, für den Thomas Gottschalk Fernsehen macht, für den Reich-Ranicki gern mehr Anspruchsvolles hätte - und für den unsereins wahrscheinlich Bücher schreibt. Die Meinung war einhellig. Ob die Anwesenden nun MRR mochten oder nicht: Endlich hat mal jemand laut die Wahrheit gesagt. Die anderen duckmäusern ja immer. Stimmt doch. Recht hat er. Klasse. Aber ob sich was ändern wird?
Und der Gottschalk, wenn der gedurft hätte, hätte er wahrscheinlich noch mehr ausgepackt mit seinen Quotenzwängen und den tiefen Ausschnitten nebendran, die er braucht, damit ihm jemand zuhört. Der würde vielleicht auch lieber noch was anderes machen, wenn er es sich leisten könnte. - Lautes Gelächter - Ja, mit Niveau verliert man ja sofort den Job, hahaha, da muss man erst Rentner werden, dass man den Mund aufmacht.
Volkes Stimme wurde aber noch besser. Als das schundige Fernsehen, das erst ab Mitternacht "G'scheites" bringe, durchgehechelt war, kam die Buchmesse dran. Bücher. Ist doch wie im Fernsehen, die halten uns doch sogar als Leser für zu doof! Früher hat man noch Bücher weggefressen wie nichts, heute muss man sich bei manchem Schund schon nach drei Seiten zwingen. Zwei Friseusen äußerten ihren Unmut, dass Frauen für besonders bekloppt gehalten würden. Glauben die eigentlich wirklich, wir sind so strunzdumm, dass wir dauernd diese Powerweib-findet-Märchenprinz-Stories wollen mit rosa Happy End? Wir sind doch auch im echten Leben nicht so doof mit den Männern, warum sollen wir so was lesen?
Hört, Hört... das war also der ganz normale Bevölkerungsdurchschnitt und in etwa so gestreut wie angeblich Buchkundschaft: 98% Frauen. Ein vollkommen schweigender männlicher Kunde (Männer lesen nicht?), der in sich hinein kicherte und sich sichtlich nicht zu Widerworten traute. Und der einzige Coiffeur applaudierte dem MRR auch. Nirgends, wirklich nirgends ein Wörtlein, wie man es unter Autoren im Internet immer findet, wenn verteidigt wird, dass Menschen den 1001sten Abklatsch eines Seichtromans wollen. (Vielleicht bin ich auch nur beim falschen Friseur?)
Was soll ich sagen? Bei all diesen Verzweiflungsrufen nach mehr Intelligenz und Niveau in Fernsehen und Buch bekam die Autorin auch noch eine Kopf- und eine Handmassage. Jetzt bin ich nicht nur runderneuert, sondern bereit zu neuen Untaten. Liebe bewundernswerte Leserinnen und Leser - ich werde mich ganz besonders für euch anstrengen, wenn ich ab Mo. wieder in die Tasten haue! Und eure Wünsche in der Verleger Ohr!!!
Ich war wirklich überrascht. MRR war Tagesgespräch im Friseursalon. Raumfüllend, gruppenübergreifend. Da saß und arbeitete nun also dieser Durchschnitt von Bevölkerung, für den Thomas Gottschalk Fernsehen macht, für den Reich-Ranicki gern mehr Anspruchsvolles hätte - und für den unsereins wahrscheinlich Bücher schreibt. Die Meinung war einhellig. Ob die Anwesenden nun MRR mochten oder nicht: Endlich hat mal jemand laut die Wahrheit gesagt. Die anderen duckmäusern ja immer. Stimmt doch. Recht hat er. Klasse. Aber ob sich was ändern wird?
Und der Gottschalk, wenn der gedurft hätte, hätte er wahrscheinlich noch mehr ausgepackt mit seinen Quotenzwängen und den tiefen Ausschnitten nebendran, die er braucht, damit ihm jemand zuhört. Der würde vielleicht auch lieber noch was anderes machen, wenn er es sich leisten könnte. - Lautes Gelächter - Ja, mit Niveau verliert man ja sofort den Job, hahaha, da muss man erst Rentner werden, dass man den Mund aufmacht.
Volkes Stimme wurde aber noch besser. Als das schundige Fernsehen, das erst ab Mitternacht "G'scheites" bringe, durchgehechelt war, kam die Buchmesse dran. Bücher. Ist doch wie im Fernsehen, die halten uns doch sogar als Leser für zu doof! Früher hat man noch Bücher weggefressen wie nichts, heute muss man sich bei manchem Schund schon nach drei Seiten zwingen. Zwei Friseusen äußerten ihren Unmut, dass Frauen für besonders bekloppt gehalten würden. Glauben die eigentlich wirklich, wir sind so strunzdumm, dass wir dauernd diese Powerweib-findet-Märchenprinz-Stories wollen mit rosa Happy End? Wir sind doch auch im echten Leben nicht so doof mit den Männern, warum sollen wir so was lesen?
Hört, Hört... das war also der ganz normale Bevölkerungsdurchschnitt und in etwa so gestreut wie angeblich Buchkundschaft: 98% Frauen. Ein vollkommen schweigender männlicher Kunde (Männer lesen nicht?), der in sich hinein kicherte und sich sichtlich nicht zu Widerworten traute. Und der einzige Coiffeur applaudierte dem MRR auch. Nirgends, wirklich nirgends ein Wörtlein, wie man es unter Autoren im Internet immer findet, wenn verteidigt wird, dass Menschen den 1001sten Abklatsch eines Seichtromans wollen. (Vielleicht bin ich auch nur beim falschen Friseur?)
Was soll ich sagen? Bei all diesen Verzweiflungsrufen nach mehr Intelligenz und Niveau in Fernsehen und Buch bekam die Autorin auch noch eine Kopf- und eine Handmassage. Jetzt bin ich nicht nur runderneuert, sondern bereit zu neuen Untaten. Liebe bewundernswerte Leserinnen und Leser - ich werde mich ganz besonders für euch anstrengen, wenn ich ab Mo. wieder in die Tasten haue! Und eure Wünsche in der Verleger Ohr!!!
17. Oktober 2008
Die dumme Frage: Sodann oder sonicht?
Wann pfeift endlich jemand diese himmelschreiende Oberpeinlichkeit von Peter Sodann vom Platz?
Im benachbarten Ausland lacht man sich bröselig über die deutsche Realsatire um das Bundespräsidentenamt. Viele Ausländer fassen es nicht, dass die Deutschen so viel Humor haben - und das auch noch vor laufender Kamera!
Und in Frankreich laufen die ersten Wetten, wann Peter Sodann mit Carla Bruni das erste Kinderliedchen für Europa (Pitti Platschs Schlafpantoffel-Song?) im Duett hauchen wird - als Show produziert von Kumpel Berlusconi, die Kaczynski-Brüder im Background-Chor. Damit hätten wir eine neue mitteleuropäische Achse des Blöden. Wir würden dann alle ganz laut pfeifen und die ganzen Präsidenten auf Nimmerwiedersehen auf Kreuzfahrt schicken.
Halt, stopp, jetzt ist mir doch tatsächlich die Satire verrutscht... Auf Schickimicki-Kreuzfahrt gehen die ja alle längst! Sogar die linke Socke. Stand in der Zeitung. Der macht seine Wahlkampfvorbereitungen auf einer Kreuzfahrt mit Blüm nebst Gattinnen. Ob der deshalb als Bundespräsident den Ackermann hops gehen lassen will? Kreuzfahrten sind teuer...
Im benachbarten Ausland lacht man sich bröselig über die deutsche Realsatire um das Bundespräsidentenamt. Viele Ausländer fassen es nicht, dass die Deutschen so viel Humor haben - und das auch noch vor laufender Kamera!
Und in Frankreich laufen die ersten Wetten, wann Peter Sodann mit Carla Bruni das erste Kinderliedchen für Europa (Pitti Platschs Schlafpantoffel-Song?) im Duett hauchen wird - als Show produziert von Kumpel Berlusconi, die Kaczynski-Brüder im Background-Chor. Damit hätten wir eine neue mitteleuropäische Achse des Blöden. Wir würden dann alle ganz laut pfeifen und die ganzen Präsidenten auf Nimmerwiedersehen auf Kreuzfahrt schicken.
Halt, stopp, jetzt ist mir doch tatsächlich die Satire verrutscht... Auf Schickimicki-Kreuzfahrt gehen die ja alle längst! Sogar die linke Socke. Stand in der Zeitung. Der macht seine Wahlkampfvorbereitungen auf einer Kreuzfahrt mit Blüm nebst Gattinnen. Ob der deshalb als Bundespräsident den Ackermann hops gehen lassen will? Kreuzfahrten sind teuer...
Verengte Sicht
In diesem Jahr läuft sich mein Agent auf der Buchmesse ohne mich die Füße platt. Ich selbst habe es vorgezogen, einen üblen Infekt im Bett auszukurieren und mich höllisch zu langweilen, weil der Kopf zu dumpf brummt für Buchtexte (daher meine aufdringliche Klappe hier). Aber wozu haben wir allerlei neue Medien, dachte ich, wird die Buchmesse eben virtuell erlebt. Ich kann mich wahrscheinlich vor Informationen nicht retten?
Gar nicht so einfach, wenn man im medialen Grenzgebiet ohne Satellitenschüssel (Müllverweigerung) lebt, d.h. die Digitalsignale von Frankreich gelangen nicht so ganz ins Elsass, weil das Elsass für die Pariser nicht richtig Frankreich ist. Dafür powert Baden-Baden bis auf den Vogesenkamm, was den lustigen Effekt hat, dass ich ARTE nur in deutscher Version empfangen kann, obwohl ich bei ARTE France ums Eck wohne. Für die Buchmesse dürfte das aber kein Problem sein, dachte ich.
Und dann fiel mir auf, wie recht MRR doch hat. ARD, ZDF: Fehlanzeige. Immerhin kommt der Deutsche Buchpreis in den Nachrichten vor und ein bißchen türkisches Handgeschüttel und Politikergrinsen (ist die Buchmesse ein Politikergipfel?). Ansonsten scheint die weltweit größte Buchmesse noch nicht genug zu sein, dass auch Literatur mal im Fernsehen stattfindet. (Halt, heute abend ist der große Tag im ZDF und ich fürchte Übles). Also weiterzappen... vor allem in die üblichen verdächtigen Kulturnachrichten...
Der Tellkamp ist ein netter Kerl. Aber an seinem Barrett aus der Zebraarmee habe ich mich jetzt wirklich sattgesehen. Wie oft hat er in der Filmkonserve auf sein stattliches Elternhaus zeigen dürfen! Wie viele Sender haben diese Konserve gekauft? Was hat sich eigentlich Kehlmann vorher über den Medienrummel aufgeregt? Da wird einmal draufgehalten, dann klonen sich die Beiträge doch von selbst - für den Zuschauer bis zum Erbrechen! Fehlanzeige... von der Buchmesse erfuhr ich wieder nicht viel. Aber der Deutsche Buchpreis hat wirklich eine immense Werbewirkung: Solch lange Werbespots zur besten Sendezeit außerhalb der Werbeblöcke würde nicht einmal ein Konzern für sein neues Shampoo investieren. So ist das, wenn man eine Konserve zu oft abnudelt, verkommt sie zum Spot.
Ah, dann endlich bei den üblichen Verdächtigen: 3sat brachte ein Special, in dem Scobel und Heidenreich so schnell die wirklich allerbesten Top-Superbücher der gesamten Buchmesse in die Kamera werfen mussten, dass man kaum mitschreiben konnte. Leider blieb mir schleierhaft, warum die nun so allerbest waren und wie man zur Auswahl gekommen war. Ich bin aber auch zu neugierig.
Ein wichtiger Mensch aus der Branche, dessen Namen auch zu kurz eingeblendet wurde, sagte sehr Erhellendes und Wichtiges zum Thema "Sind Bücher wirklich teuer?" Gefallen hat mir vor allem seine Aussage, dass man Bücher nicht als Massenware vermarkten kann, das würde sich auf Dauer auch geschäftlich rächen. Schließlich noch ein Flash auf elektronische Lesegeräte, mit süffisantem Lächeln und wenig Informationen - vor allem keinen, die nicht vom Hersteller stammten. Na, und zu intellektuell nachtschlafender Zeit (kommt daher das Vorurteil wir würden tagsüber nichts arbeiten?) "besprach" Denis Scheck nach gewohnter Manier, aber etwas atemlos, ein paar Bücher auf HR. Dass er dann Bushido in den Busch kloppte, riss irgendwie keine müde Maus mehr hoch. Man hatte den Eindruck, zur Buchmesse wurde Gefälligkeitsfernsehen produziert: Nur keinem auf die Zehen treten, bei dem man was riskieren könnte.
Voller Fernsehabend - und was weiß ich jetzt Wichtiges über die Buchmesse, die Veränderungen in der Branche, die heißen Diskussionen, neue Trends, Entwicklungen, die Autoren und Verlage betreffen? Genauso viel, wie wenn ich den oberpeinlichen Möchtegern-Bundespräsidenten im Tatort angeschaut hätte... (Und warum bringt man statt Buchmesse dessen Blödsinn mit der Kinderhymne in Kulturnachrichten? Seit wann ist galoppierender Wahnsinn einer Partei, die einen Schauspieler sich aufspielen lässt, Kunst und Kultur?) Das Fernsehen hat's wirklich nicht mit Büchern. Oder mir fehlen im Ausland doch noch die richtigen Sender?
Also greif ich zur Lieblingslektüre der Emigranten und sonstig Aushäusigen: dem Perlentaucher. Meine Nabelschnur zum kulturellen Geschehen in Deutschland. Aber seit da gewisse Zeitungen nicht mehr so fleißig verlinkt werden, lese ich auch die nicht mehr. Ich kann sie nicht mal schnell hier am Kiosk kaufen. Und sie online selbst zu durchsuchen, ob es sich lohnt, während ich jedes Mal darauf warten muss, bis die augenfeindliche Schwabbel- und Schwirrwerbung geladen hat - dafür ist mir meine Zeit zu kostbar. Online Zeitung lesen - das muss schnell gehen.
Ich lese also weniger Feuilletons. Aber das ist auch gar nicht so schlimm, weil viele sowieso das Gleiche titeln oder gemeinsam nur die Pressekonferenzen besuchen, bei denen es die besten Snacks gibt. Irgendwie steht überall das Gleiche drin. Oder sie schweigen gemeinsam (Der Aufbau-Verlag hat einen neuen Eigner und alle blöken die Pressemitteilung nach. Früher hätte man nachrecherchiert...) Da darf man sich dann den Journalisten mit dem erfrischendsten, persönlichsten oder kritischsten Blick aussuchen.
Aber immerhin - ich komme an Hintergrundinformationen. Ich lese Blödsinn (Buchsterben, der Großteil der Ware ist jetzt schon elektronisch: Kunststück, ihr Mathematikakrobaten, wenn so viele Hörbuch-CDs herumliegen!), ich kann mal schmunzeln (Sven Regeners Buchmesse-Blog beim Spiegel - und der Mann weiß im Gegensatz zu anderen Zeitungen auch, dass man einen Blog öfter bedient als die Print-Morgenausgabe), ich lese, was ich sowieso schon wusste, oder entdecke tatsächlich neue Bücher.
Kurzum: Ich werde es wie jedes Jahr machen. Hinterher die wirklich Buchschaffenden fragen. Meinen Agenten fragen, wie er die mediengemachten Hypes beurteilt. Die Informationen an der Wirklichkeit messen. Mich mit KollegInnen austauschen. Jedenfalls verwünsche ich meinen Infekt und wünschte mir, ich wäre dabei. Das ist dann immer eine ganz andere Buchmesse. Promis und Möchtegernschreiber-Sternchen aus Politik- und Showbiz gehen einem dort nämlich am Rücken vorbei. Zu ausländischen Staatsgästen wird man gar nicht erst vorgelassen. Aufs blaue Sofa kommt man als unbekannter Noname-Autor sowieso nie.
Und so bleibt Zeit für die ganz eigene Energie, die so viele Bücher an einem Ort atmen. Buchmesse: das ist auch eine Riesenbibliothek zum Schwelgen. Und es ist vor allem ein Zusammentreffen von Buchschaffenden an den Fachtagen, das einen den Kopf wieder zurechtrückt, einem die Wirklichkeit zeigt. Buchmesse törnt an, powert auf. Wir Spinner im Alltag müssen uns dort keine dummen Sprüche anhören wie "was machst du eigentlich den ganzen Tag, du schreibst doch nur?" Wir sind nicht mehr allein. Wir sind verdammt viele. Und wir werden gebraucht.
Gar nicht so einfach, wenn man im medialen Grenzgebiet ohne Satellitenschüssel (Müllverweigerung) lebt, d.h. die Digitalsignale von Frankreich gelangen nicht so ganz ins Elsass, weil das Elsass für die Pariser nicht richtig Frankreich ist. Dafür powert Baden-Baden bis auf den Vogesenkamm, was den lustigen Effekt hat, dass ich ARTE nur in deutscher Version empfangen kann, obwohl ich bei ARTE France ums Eck wohne. Für die Buchmesse dürfte das aber kein Problem sein, dachte ich.
Und dann fiel mir auf, wie recht MRR doch hat. ARD, ZDF: Fehlanzeige. Immerhin kommt der Deutsche Buchpreis in den Nachrichten vor und ein bißchen türkisches Handgeschüttel und Politikergrinsen (ist die Buchmesse ein Politikergipfel?). Ansonsten scheint die weltweit größte Buchmesse noch nicht genug zu sein, dass auch Literatur mal im Fernsehen stattfindet. (Halt, heute abend ist der große Tag im ZDF und ich fürchte Übles). Also weiterzappen... vor allem in die üblichen verdächtigen Kulturnachrichten...
Der Tellkamp ist ein netter Kerl. Aber an seinem Barrett aus der Zebraarmee habe ich mich jetzt wirklich sattgesehen. Wie oft hat er in der Filmkonserve auf sein stattliches Elternhaus zeigen dürfen! Wie viele Sender haben diese Konserve gekauft? Was hat sich eigentlich Kehlmann vorher über den Medienrummel aufgeregt? Da wird einmal draufgehalten, dann klonen sich die Beiträge doch von selbst - für den Zuschauer bis zum Erbrechen! Fehlanzeige... von der Buchmesse erfuhr ich wieder nicht viel. Aber der Deutsche Buchpreis hat wirklich eine immense Werbewirkung: Solch lange Werbespots zur besten Sendezeit außerhalb der Werbeblöcke würde nicht einmal ein Konzern für sein neues Shampoo investieren. So ist das, wenn man eine Konserve zu oft abnudelt, verkommt sie zum Spot.
Ah, dann endlich bei den üblichen Verdächtigen: 3sat brachte ein Special, in dem Scobel und Heidenreich so schnell die wirklich allerbesten Top-Superbücher der gesamten Buchmesse in die Kamera werfen mussten, dass man kaum mitschreiben konnte. Leider blieb mir schleierhaft, warum die nun so allerbest waren und wie man zur Auswahl gekommen war. Ich bin aber auch zu neugierig.
Ein wichtiger Mensch aus der Branche, dessen Namen auch zu kurz eingeblendet wurde, sagte sehr Erhellendes und Wichtiges zum Thema "Sind Bücher wirklich teuer?" Gefallen hat mir vor allem seine Aussage, dass man Bücher nicht als Massenware vermarkten kann, das würde sich auf Dauer auch geschäftlich rächen. Schließlich noch ein Flash auf elektronische Lesegeräte, mit süffisantem Lächeln und wenig Informationen - vor allem keinen, die nicht vom Hersteller stammten. Na, und zu intellektuell nachtschlafender Zeit (kommt daher das Vorurteil wir würden tagsüber nichts arbeiten?) "besprach" Denis Scheck nach gewohnter Manier, aber etwas atemlos, ein paar Bücher auf HR. Dass er dann Bushido in den Busch kloppte, riss irgendwie keine müde Maus mehr hoch. Man hatte den Eindruck, zur Buchmesse wurde Gefälligkeitsfernsehen produziert: Nur keinem auf die Zehen treten, bei dem man was riskieren könnte.
Voller Fernsehabend - und was weiß ich jetzt Wichtiges über die Buchmesse, die Veränderungen in der Branche, die heißen Diskussionen, neue Trends, Entwicklungen, die Autoren und Verlage betreffen? Genauso viel, wie wenn ich den oberpeinlichen Möchtegern-Bundespräsidenten im Tatort angeschaut hätte... (Und warum bringt man statt Buchmesse dessen Blödsinn mit der Kinderhymne in Kulturnachrichten? Seit wann ist galoppierender Wahnsinn einer Partei, die einen Schauspieler sich aufspielen lässt, Kunst und Kultur?) Das Fernsehen hat's wirklich nicht mit Büchern. Oder mir fehlen im Ausland doch noch die richtigen Sender?
Also greif ich zur Lieblingslektüre der Emigranten und sonstig Aushäusigen: dem Perlentaucher. Meine Nabelschnur zum kulturellen Geschehen in Deutschland. Aber seit da gewisse Zeitungen nicht mehr so fleißig verlinkt werden, lese ich auch die nicht mehr. Ich kann sie nicht mal schnell hier am Kiosk kaufen. Und sie online selbst zu durchsuchen, ob es sich lohnt, während ich jedes Mal darauf warten muss, bis die augenfeindliche Schwabbel- und Schwirrwerbung geladen hat - dafür ist mir meine Zeit zu kostbar. Online Zeitung lesen - das muss schnell gehen.
Ich lese also weniger Feuilletons. Aber das ist auch gar nicht so schlimm, weil viele sowieso das Gleiche titeln oder gemeinsam nur die Pressekonferenzen besuchen, bei denen es die besten Snacks gibt. Irgendwie steht überall das Gleiche drin. Oder sie schweigen gemeinsam (Der Aufbau-Verlag hat einen neuen Eigner und alle blöken die Pressemitteilung nach. Früher hätte man nachrecherchiert...) Da darf man sich dann den Journalisten mit dem erfrischendsten, persönlichsten oder kritischsten Blick aussuchen.
Aber immerhin - ich komme an Hintergrundinformationen. Ich lese Blödsinn (Buchsterben, der Großteil der Ware ist jetzt schon elektronisch: Kunststück, ihr Mathematikakrobaten, wenn so viele Hörbuch-CDs herumliegen!), ich kann mal schmunzeln (Sven Regeners Buchmesse-Blog beim Spiegel - und der Mann weiß im Gegensatz zu anderen Zeitungen auch, dass man einen Blog öfter bedient als die Print-Morgenausgabe), ich lese, was ich sowieso schon wusste, oder entdecke tatsächlich neue Bücher.
Kurzum: Ich werde es wie jedes Jahr machen. Hinterher die wirklich Buchschaffenden fragen. Meinen Agenten fragen, wie er die mediengemachten Hypes beurteilt. Die Informationen an der Wirklichkeit messen. Mich mit KollegInnen austauschen. Jedenfalls verwünsche ich meinen Infekt und wünschte mir, ich wäre dabei. Das ist dann immer eine ganz andere Buchmesse. Promis und Möchtegernschreiber-Sternchen aus Politik- und Showbiz gehen einem dort nämlich am Rücken vorbei. Zu ausländischen Staatsgästen wird man gar nicht erst vorgelassen. Aufs blaue Sofa kommt man als unbekannter Noname-Autor sowieso nie.
Und so bleibt Zeit für die ganz eigene Energie, die so viele Bücher an einem Ort atmen. Buchmesse: das ist auch eine Riesenbibliothek zum Schwelgen. Und es ist vor allem ein Zusammentreffen von Buchschaffenden an den Fachtagen, das einen den Kopf wieder zurechtrückt, einem die Wirklichkeit zeigt. Buchmesse törnt an, powert auf. Wir Spinner im Alltag müssen uns dort keine dummen Sprüche anhören wie "was machst du eigentlich den ganzen Tag, du schreibst doch nur?" Wir sind nicht mehr allein. Wir sind verdammt viele. Und wir werden gebraucht.
16. Oktober 2008
Die dumme Frage
Was machen wir mit unseren e-books, wenn uns der Saft abgedreht wird?
Ich sehe Leser vor mir, die ihre Bücher an den Hometrainer anschließen, um lesen zu können...
Ich sehe Leser vor mir, die ihre Bücher an den Hometrainer anschließen, um lesen zu können...
Schwache Bücher
Amerikanische Wissenschaftler, die verdammt nah am Silicon Valley in Sachen geriatrischer Psychiatrie forschen, behaupten jetzt, Suchmaschinensuchen trainiere das Gedächtnis im Alter besser als ein Buch.
Erster Fehler bei der sensationellen Nachricht: Man gab den Probanden nur "einen buchähnlich formatierten Text auf dem Bildschirm" zu lesen. Dem Probanden fehlte also nicht nur das sinnliche Erleben Buch mit den dazu gehörenden motorischen Leistungen beim Leser - wir wissen auch nicht, welch Schlunz in diesem Textlein stand.
Die Begründung, warum unser aller allmächtiger Gugl nun gesünder sei als Literatur:
Die Suchmaschinenleser hätten auch Hirnareale fürs Abwägen und Entscheiden benutzt, hätten Neues gelernt. Zudem hätte das Hirn nicht unter einem Gewöhnungseffekt gelitten, sondern sei durch immer wieder überraschend Neues stimuliert geblieben. Der Leser wurde gefordert, statt unterfordert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Buchmacherinnen und Buchmacher!
Wollt ihr nach der Einführung des Kindl gleich durch Gugl ersetzt werden, weil Gugl viel gesünder ist? Noch ist es Zeit zur Umkehr!
Schafft endlich wieder Literatur, die Leser fordert. Die mit jedem Band überraschend Neues bringt, alte Gewohnheitspfade verlässt. Schafft Literatur, die Leser überrascht, sie abwägen und nachdenken lässt. Die ihnen nicht alles vorkaut, sondern Platz für eigene Entscheidungen lässt. Bringt Bildung und Recherche in eure Bücher, damit der Leser dazulernt.
Damit Bücher endlich wieder besser werden als eine Suchmaschinenseite.
Erster Fehler bei der sensationellen Nachricht: Man gab den Probanden nur "einen buchähnlich formatierten Text auf dem Bildschirm" zu lesen. Dem Probanden fehlte also nicht nur das sinnliche Erleben Buch mit den dazu gehörenden motorischen Leistungen beim Leser - wir wissen auch nicht, welch Schlunz in diesem Textlein stand.
Die Begründung, warum unser aller allmächtiger Gugl nun gesünder sei als Literatur:
Die Suchmaschinenleser hätten auch Hirnareale fürs Abwägen und Entscheiden benutzt, hätten Neues gelernt. Zudem hätte das Hirn nicht unter einem Gewöhnungseffekt gelitten, sondern sei durch immer wieder überraschend Neues stimuliert geblieben. Der Leser wurde gefordert, statt unterfordert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Buchmacherinnen und Buchmacher!
Wollt ihr nach der Einführung des Kindl gleich durch Gugl ersetzt werden, weil Gugl viel gesünder ist? Noch ist es Zeit zur Umkehr!
Schafft endlich wieder Literatur, die Leser fordert. Die mit jedem Band überraschend Neues bringt, alte Gewohnheitspfade verlässt. Schafft Literatur, die Leser überrascht, sie abwägen und nachdenken lässt. Die ihnen nicht alles vorkaut, sondern Platz für eigene Entscheidungen lässt. Bringt Bildung und Recherche in eure Bücher, damit der Leser dazulernt.
Damit Bücher endlich wieder besser werden als eine Suchmaschinenseite.
Es gibt noch Geld auf Hawaii
Aus gut unterrichteten geheimen Kreisen kam mir die Nachricht zu, große Publikumsverlage suchten heuer auf der Buchmesse nach möglichst preiswerten deutschen Autoren, die "nette" Reihen zu niedlichen Vorschüssen installierten (Über Geld spricht man nicht in Deutschland, aber die Honorare der KollegInnen liegen noch weit unter dem, was ich als absolute beginner bekam.)
Nicht geheim ist der Preis, den Heyne Eoin Colfer zahlt, dafür dass er Band sechs der berühmten Reihe "Per Anhalter durch die Galaxis" schreibt. Der Nachfolger des 2001 verstorbenen Douglas Adams freut sich laut FAZ-Buchmessezeitung (pdf) nach einer Auktion über eine halbe Million Euro.
Nicht geheim ist der Preis, den Heyne Eoin Colfer zahlt, dafür dass er Band sechs der berühmten Reihe "Per Anhalter durch die Galaxis" schreibt. Der Nachfolger des 2001 verstorbenen Douglas Adams freut sich laut FAZ-Buchmessezeitung (pdf) nach einer Auktion über eine halbe Million Euro.
15. Oktober 2008
Literatur : Fernsehen
Drehbuchautor Markus Stromiedel (Tatort, Stubbe etc.) erzählt in der FAZ, dass das Fernsehen Autoren bestenfalls wie Nummern behandelt, während Verlage sie offen wertschätzten.
Zuerst war ich erleichtert, für die richtige Branche zu schreiben, die er da derart über den grünen Klee lobt, dass jetzt wohl Massen von Drehbuchautoren denken, sie könnten mal schnell auf Buchautor umschwenken (nebenbei: beides ein völlig anderes Schreiben, das jeweils erlernt werden will). Bücher statt Fernsehen - und das Niveau ist gerettet?
Mir wurde sein Artikel dann allerdings zur Realsatire. Er mag mit seinem Bucherstling ja Glück gehabt haben, zumal man Menschen vom Fernsehen, Menschen mit Namen, in der Buchbranche gern mal hofiert. Aber was er da übers böse Fernsehen schreibt - nun, das erleben die Kollegen und Kolleginnen Buchschreiber längst genauso! Ich wünsche ihm, dass das Erwachen nicht allzu hart ausfällt...
"Der Regisseur begrüßte mich knapp und sagte dann – sinngemäß – mit Blick auf das Drehbuch, er hätte noch nie zuvor einen solchen Mist gelesen."
Ich kann zu jedem meiner veröffentlichten (!) Bücher Absagen von Konkurrenzverlagen herauskramen, die ähnlich unhöflich und inhaltlich relevant abgefasst sind. Das gehört leider zum Geschäft. Dafür beißen sich dann manche LektorInnen wohin, wenn sie einen Eco oder eine Rowling abgelehnt haben.
"Bizarr auch der 11. September 2001, als die Welt geschockt vor dem Fernseher saß und erlebte, wie in New York die Twin Towers einstürzten, während ich [...]ein Drehbuch umzuschreiben, ganz dringend und ganz wichtig."
Ich habe ganz dringend und wichtig mein Satirebuch schreiben müssen, während mein Hund starb. So what? The Show must go on...
"Nicht das Unerwartete wird gesucht, sondern das Vertraute, das Gewohnte, zwar in stets neuem Gewand, im Kern aber gleich."
Kann man auch über die Buchbranche sagen. Seit Dan Brown wird die Welt mit Mystery-Schund überschüttet, seit Harry Potter dürfen Autoren plötzlich Fantasy schreiben und wenn eine Päpstin Furore macht, kauft man am besten noch Kardinälinnen und Töchter und Nichten und Neffinnen der Päpstin dazu.
"„Frauenaffin“ ist ein Wort, das jeder für das deutsche Fernsehen Schreibende kennen muss..."
Jeder Buchschreibende ebenfalls. Selbst wenn die ach so starke, trotzdem Märchenprinzen suchende Frau gar nicht vorkommt, schreiben wir sie ins Exposé, um überhaupt noch verkaufen zu können. Ein ganzes Genre verschleißt seine Titel, indem dringend ein "-in" vorkommen muss. Und ganz besonders schlimm trifft es AutorINNEN.
Frauenaffines Bonbon aus der Mottenkiste: Mein Rosenbuch sagte ein männlicher Lektor ab. Mit der Begründung, ich würde doch recht männlich und anspruchsvoll denken, er hätte sich das anmutiger und leichter gewünscht. Nun, das Rosenbuch fand dann doch seinen Verlag, der auf Qualität statt auf Geschlechtsvorurteile schaute. Und wird von Frauen wie Männern gekauft, die sich nicht für dumm verkaufen lassen.
"Entspricht der Pitch, also der Storyentwurf, nicht den Vorstellungen des Auftraggebers, werden andere gesucht, die die Erwartungen erfüllen müssen."
Manuskripte, die dem nicht entsprechen, werden erst gar nicht eingekauft.
Ich könnte jetzt ewig so weiter machen, ich möchte aber nur noch meine Lieblingsstellen aus diesem Artikel zitieren, wo Stromiedel schöne Märchen vom Verlagswesen erzählt:
"Deshalb pflegen die Verlage ihre Autoren..."
"Anders der Lektor eines Buchverlages [...]: Er versteht sich als Begleiter des Autors bei der Suche nach der Geschichte, er steht ihm fördernd zur Seite."
Während er also die Buchbranche mit knallblauen Augen sieht, so bin ich mit ihm in doch zwei Punkten einig: Die Branche lebt von der Kraft der AutorInnen, so dass diese entsprechende Wertschätzung verdienen. Und es mangelt sowohl beim Fernsehen wie im Buchgeschäft an Möglichkeiten, dass sich mutige und innovative AutorInnen mit ebensolchen Produzenten leichter finden und vernetzen können. Ja, dieses Geschäft ist ungeheuer schwer und verlangt eine Disziplin und ein Durchhaltevermögen fast bis zur Selbstaufgabe. Ich kenne allerdings kein Medium, keine Kunst auf dieser Welt, wo das einfach wäre.
AutorInnen, die nicht für die Massenproduktion arbeiten, müssen in einem gewissen Sinn komplett verrückt sein: Sie müssen an Projekte glauben, für die sie ringsum zunächst alle auslachen. Sie müssen Durststrecken aushalten und damit leben, dass der Durchbruch nicht im Affenzahn kommt. Sie müssen manchmal bis aufs Blut schuften, bis sie auf jemanden treffen, der sie ernst nimmt. Aber mal ehrlich: Wir, die wir uns das alles ständig antun - wollten wir wirklich einen anderen Job?
PS: Kann sein, dass ich nach der Buchmesse anders rede. Dort schwirrt nämlich ein Projekt von mir herum, dass so anti-frauenaffin ist, wie ich kein anmutiges Hirnlein habe... Mal sehen... Gerade als Frau glaube ich fest daran, dass Frauen nicht so dumm sind, wie es manche Verleger und Fernsehmacher gern hätten.
Hier gibt es den ganzen Artikel.
Zuerst war ich erleichtert, für die richtige Branche zu schreiben, die er da derart über den grünen Klee lobt, dass jetzt wohl Massen von Drehbuchautoren denken, sie könnten mal schnell auf Buchautor umschwenken (nebenbei: beides ein völlig anderes Schreiben, das jeweils erlernt werden will). Bücher statt Fernsehen - und das Niveau ist gerettet?
Mir wurde sein Artikel dann allerdings zur Realsatire. Er mag mit seinem Bucherstling ja Glück gehabt haben, zumal man Menschen vom Fernsehen, Menschen mit Namen, in der Buchbranche gern mal hofiert. Aber was er da übers böse Fernsehen schreibt - nun, das erleben die Kollegen und Kolleginnen Buchschreiber längst genauso! Ich wünsche ihm, dass das Erwachen nicht allzu hart ausfällt...
"Der Regisseur begrüßte mich knapp und sagte dann – sinngemäß – mit Blick auf das Drehbuch, er hätte noch nie zuvor einen solchen Mist gelesen."
Ich kann zu jedem meiner veröffentlichten (!) Bücher Absagen von Konkurrenzverlagen herauskramen, die ähnlich unhöflich und inhaltlich relevant abgefasst sind. Das gehört leider zum Geschäft. Dafür beißen sich dann manche LektorInnen wohin, wenn sie einen Eco oder eine Rowling abgelehnt haben.
"Bizarr auch der 11. September 2001, als die Welt geschockt vor dem Fernseher saß und erlebte, wie in New York die Twin Towers einstürzten, während ich [...]ein Drehbuch umzuschreiben, ganz dringend und ganz wichtig."
Ich habe ganz dringend und wichtig mein Satirebuch schreiben müssen, während mein Hund starb. So what? The Show must go on...
"Nicht das Unerwartete wird gesucht, sondern das Vertraute, das Gewohnte, zwar in stets neuem Gewand, im Kern aber gleich."
Kann man auch über die Buchbranche sagen. Seit Dan Brown wird die Welt mit Mystery-Schund überschüttet, seit Harry Potter dürfen Autoren plötzlich Fantasy schreiben und wenn eine Päpstin Furore macht, kauft man am besten noch Kardinälinnen und Töchter und Nichten und Neffinnen der Päpstin dazu.
"„Frauenaffin“ ist ein Wort, das jeder für das deutsche Fernsehen Schreibende kennen muss..."
Jeder Buchschreibende ebenfalls. Selbst wenn die ach so starke, trotzdem Märchenprinzen suchende Frau gar nicht vorkommt, schreiben wir sie ins Exposé, um überhaupt noch verkaufen zu können. Ein ganzes Genre verschleißt seine Titel, indem dringend ein "-in" vorkommen muss. Und ganz besonders schlimm trifft es AutorINNEN.
Frauenaffines Bonbon aus der Mottenkiste: Mein Rosenbuch sagte ein männlicher Lektor ab. Mit der Begründung, ich würde doch recht männlich und anspruchsvoll denken, er hätte sich das anmutiger und leichter gewünscht. Nun, das Rosenbuch fand dann doch seinen Verlag, der auf Qualität statt auf Geschlechtsvorurteile schaute. Und wird von Frauen wie Männern gekauft, die sich nicht für dumm verkaufen lassen.
"Entspricht der Pitch, also der Storyentwurf, nicht den Vorstellungen des Auftraggebers, werden andere gesucht, die die Erwartungen erfüllen müssen."
Manuskripte, die dem nicht entsprechen, werden erst gar nicht eingekauft.
Ich könnte jetzt ewig so weiter machen, ich möchte aber nur noch meine Lieblingsstellen aus diesem Artikel zitieren, wo Stromiedel schöne Märchen vom Verlagswesen erzählt:
"Deshalb pflegen die Verlage ihre Autoren..."
"Anders der Lektor eines Buchverlages [...]: Er versteht sich als Begleiter des Autors bei der Suche nach der Geschichte, er steht ihm fördernd zur Seite."
Während er also die Buchbranche mit knallblauen Augen sieht, so bin ich mit ihm in doch zwei Punkten einig: Die Branche lebt von der Kraft der AutorInnen, so dass diese entsprechende Wertschätzung verdienen. Und es mangelt sowohl beim Fernsehen wie im Buchgeschäft an Möglichkeiten, dass sich mutige und innovative AutorInnen mit ebensolchen Produzenten leichter finden und vernetzen können. Ja, dieses Geschäft ist ungeheuer schwer und verlangt eine Disziplin und ein Durchhaltevermögen fast bis zur Selbstaufgabe. Ich kenne allerdings kein Medium, keine Kunst auf dieser Welt, wo das einfach wäre.
AutorInnen, die nicht für die Massenproduktion arbeiten, müssen in einem gewissen Sinn komplett verrückt sein: Sie müssen an Projekte glauben, für die sie ringsum zunächst alle auslachen. Sie müssen Durststrecken aushalten und damit leben, dass der Durchbruch nicht im Affenzahn kommt. Sie müssen manchmal bis aufs Blut schuften, bis sie auf jemanden treffen, der sie ernst nimmt. Aber mal ehrlich: Wir, die wir uns das alles ständig antun - wollten wir wirklich einen anderen Job?
PS: Kann sein, dass ich nach der Buchmesse anders rede. Dort schwirrt nämlich ein Projekt von mir herum, dass so anti-frauenaffin ist, wie ich kein anmutiges Hirnlein habe... Mal sehen... Gerade als Frau glaube ich fest daran, dass Frauen nicht so dumm sind, wie es manche Verleger und Fernsehmacher gern hätten.
Hier gibt es den ganzen Artikel.
14. Oktober 2008
Durchhaltesprüche
Seit EU und Bundesregierung dabei sind, gigantische Weihnachtspakete zu schnüren (ich kann diese Metapher nicht mehr hören!), suchen auffallend viele Menschen aus dem Intranet deutscher Firmen in meinem Blog nach "Durchhaltesprüchen".
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen bei der Presse, doch einmal zu untersuchen, warum sich die Spezies des gemeinen deutschen Managers oder Bankers so plötzlich und nachhaltig der Lebenshilfe zuwendet, obwohl Steuerzahlers Carepaket ja nun wirklich mehr enthält als nur Hersheys Schokoladensirup.
Den Betroffenen kann ich mit meinem Alter Ego helfen: Unter dem Pseudonym Viola Beer sind zwei Zitatesammlungen bei Ehrenwirth erschienen. Ich überlege ernsthaft, eine Sammlung von Durchhaltesprüchen für Manager und eine für Banker herauszugeben, wegen der gebotenen Eile vielleicht in elektronischer Form? Material hätte ich bereits:
"Es würde mir nicht im Traum einfallen, einem Club beizutreten, der bereit wäre, jemanden wie mich als Mitglied aufzunehmen."
(Groucho Marx)
"Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück."
(Gottfried Benn)
"Wenn Sie einen Schweizer Bankier aus dem Fenster springen sehen, springen Sie hinterher. Es gibt bestimmt etwas zu verdienen."
(Voltaire)
Und falls Sie wissen wollen, woher die Pakete schnürende Frau Merkel die nicht minder niedliche Metapher vom Schirm hat, den sie spannen will: Sie hat Voltaire gelesen. Schweizer Bankiers springen immer mit Schirm.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen bei der Presse, doch einmal zu untersuchen, warum sich die Spezies des gemeinen deutschen Managers oder Bankers so plötzlich und nachhaltig der Lebenshilfe zuwendet, obwohl Steuerzahlers Carepaket ja nun wirklich mehr enthält als nur Hersheys Schokoladensirup.
Den Betroffenen kann ich mit meinem Alter Ego helfen: Unter dem Pseudonym Viola Beer sind zwei Zitatesammlungen bei Ehrenwirth erschienen. Ich überlege ernsthaft, eine Sammlung von Durchhaltesprüchen für Manager und eine für Banker herauszugeben, wegen der gebotenen Eile vielleicht in elektronischer Form? Material hätte ich bereits:
"Es würde mir nicht im Traum einfallen, einem Club beizutreten, der bereit wäre, jemanden wie mich als Mitglied aufzunehmen."
(Groucho Marx)
"Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück."
(Gottfried Benn)
"Wenn Sie einen Schweizer Bankier aus dem Fenster springen sehen, springen Sie hinterher. Es gibt bestimmt etwas zu verdienen."
(Voltaire)
Und falls Sie wissen wollen, woher die Pakete schnürende Frau Merkel die nicht minder niedliche Metapher vom Schirm hat, den sie spannen will: Sie hat Voltaire gelesen. Schweizer Bankiers springen immer mit Schirm.
Wie grottig war's denn nun? (Ranicki II.)
Inzwischen ist es öffentlich, dass die Verleihung des Fernsehpreises noch grottiger war als das Geköchel, das der Fernsehzuschauer zu ertragen hatte. "Zusammenschnitt" darf man in diesem Fall nicht sagen, denn es wurde kräftig unter den Teppich gekehrt und geschönt - ja sogar mit Bild und Ton betrogen. Die Macher waren sich offensichtlich einig, dass ihre Fernsehzuschauer die volle Realität dieser Show nicht ertragen hätten.
Sogar Gottschalk soll später laut SZ gesagt haben: „Wenn er eine halbe Stunde lang eine wild gewordene Horde Teenager sieht, Atze Schröder in einer weißen Paradeuniform, Richterin Salesch und zwei Köche mit idiotischen Texten erleben muss, ist es für ihn in der Tat konsequent zu entscheiden: Ich habe hier nichts verloren.“
Wie das allerdings damit zusammen geht, dass er während der Sendung extra noch einmal gegen Marcel Reich-Ranicki trat, indem er plötzlich völlig zusammenhanglos Walsers "Tod eines Kritikers" lobte, mag nur er wissen. (Und zu gern hätte man die wahren Szenen vorher und nachher noch gesehen).
Im DWDL kann man nämlich nachlesen, was bei der TV-Fassung zensiert wurde, was sogar den Sendern zu grottig war und wie Gottschalk sich für eine Peinlichkeit (Dummheit?) nachträglich neu synchronisieren durfte. Man stelle sich das vor: Ein Moderator spricht im Fernsehen einen Satz und keiner merkt, dass er in Wirklichkeit etwas ganz anderes gesagt hat! Er darf sich einfach nachträglich "genehm sprechen"...
Die Ethikgrenzen eines verantwortlichen Journalismus gelten für Shows nicht. ZDF, RTL und wie sie alle heißen, haben an diesem Abend der Selbstbeweihräucherung aus uralten politischen Propagandamethoden ein neues Sendeformat geschaffen: Die Reality-Fiction-Show mit Live-Touch. Fernsehen at it's best!
Sogar Gottschalk soll später laut SZ gesagt haben: „Wenn er eine halbe Stunde lang eine wild gewordene Horde Teenager sieht, Atze Schröder in einer weißen Paradeuniform, Richterin Salesch und zwei Köche mit idiotischen Texten erleben muss, ist es für ihn in der Tat konsequent zu entscheiden: Ich habe hier nichts verloren.“
Wie das allerdings damit zusammen geht, dass er während der Sendung extra noch einmal gegen Marcel Reich-Ranicki trat, indem er plötzlich völlig zusammenhanglos Walsers "Tod eines Kritikers" lobte, mag nur er wissen. (Und zu gern hätte man die wahren Szenen vorher und nachher noch gesehen).
Im DWDL kann man nämlich nachlesen, was bei der TV-Fassung zensiert wurde, was sogar den Sendern zu grottig war und wie Gottschalk sich für eine Peinlichkeit (Dummheit?) nachträglich neu synchronisieren durfte. Man stelle sich das vor: Ein Moderator spricht im Fernsehen einen Satz und keiner merkt, dass er in Wirklichkeit etwas ganz anderes gesagt hat! Er darf sich einfach nachträglich "genehm sprechen"...
Die Ethikgrenzen eines verantwortlichen Journalismus gelten für Shows nicht. ZDF, RTL und wie sie alle heißen, haben an diesem Abend der Selbstbeweihräucherung aus uralten politischen Propagandamethoden ein neues Sendeformat geschaffen: Die Reality-Fiction-Show mit Live-Touch. Fernsehen at it's best!
13. Oktober 2008
Die wahren Zahlen
Irgendwer staunte mich einmal bei einer Lesung an und meinte, mit so vielen Büchern könne ich mir doch jetzt sicher die Villa mit Swimmingpool an der Cote d'Azur kaufen. Als ich vorrechnete, wie viele Taschenbücher ein Autor für so eine Villa verkaufen müsste, da kam die Antwort: "Ja, aber die Rowling hat das doch auch geschafft!"
Weil die Medien am liebsten über Riesenauflagen berichten, denkt jeder, Riesenauflagen seien normal. Und weil auch Kollegen verschämt ihre Verkaufszahlen verschweigen - SchriftstellerInnen sind nämlich manchmal ein neidisches oder schadenfreudiges Volk - denken auch AutorInnen, sie schrieben am Abgrund, wenn die Zahlen so glorreich nicht sind. Kommen die Verlage dazu, die ab und zu durch zur Schau gestellten Unmut das nächste Buch billiger erhandeln wollen. (Ich kenne jemanden, dem bei 50.000 Abverkäufen gesagt wurde, er müsse sich gefälligst mehr anstrengen, um weiterschreiben zu dürfen). Na, und dann die Vorabverkaufszahlen in den Buchhandelsprospekten, die einen unter Psychodruck setzen, auch wenn die Branche intern zugibt, kräftig zu schönen.
Normal ist das, was man nicht hört. Was auch KollegInnen nicht zuzugeben wagen. Erst wenn man sie persönlich gut kennt und verspricht, die Daten absolut zu anonymisieren, erfährt man, dass einer der ganz großen Publikumsverlage eigentlich nur mit den Rennern Geld macht und das andere "halt so mitzieht". Ein Kollege, der dort lausige 1500 Unterhaltungsromane abverkauft hatte, erfuhr nach ausführlichen Recherchen in sogenannten informierten Kreisen, dass die meisten Romane in jenem Programm die 1000er-Marke nicht einmal erreichten. Aber die beiden Bestsellerautoren, die rissen alles raus. Er ging in einen mittelgroßen Verlag, bekam ein Hardcover und übertraf sich selbst.
Ein Kollege im Publikumsverlag schaffte es mit einem Taschenbuch auf fette 250 Exemplare und fragte sich nachher zu Recht, warum er nicht zu BoD gegangen war. Völlig perplex nahm er seinen zweiten Vertrag entgegen - offensichtlich war er noch nicht schlecht genug. Der zweite Roman dümpelte leicht besser und der Kollege wechselte den Verlag. Plötzlich ging der dritte Roman richtig ab. Nicht, dass er besser oder anders gewesen wäre - er wurde einfach nur beworben.
Gestern hörte ich dann im Fernsehen (in den Sendern, die MRR guckt) seit langem einmal eine offizielle offene Zahl, die solche Auflagen bestätigt. Es ging um den angesehen Kunstverlag Schirmer Mosel und sein Beuys-Projekt.
Der Verleger erzählte, dass solch ein berühmter Name und solch ein Buch natürlich eine Sicherheit seien. So etwas verkaufe sich schon einmal an alle Bibliotheken, internationale eingeschlossen. Es sei ein Buch, das andere, die weniger gut liefen, trage. Und dann nannte er Zahlen. 2000 verkaufte Exemplare seien in diesem Bereich äußerst zufriedenstellend.
Für Laien zum Nachrechnen: Nehmen Sie an, dass ein ordentliches Durchschnittshonorar (brutto, davon gehen Steuern, Abgaben, Rente etc. ab) bei ca. 4% vom Nettoverkaufspreis beim Taschenbuch liegt und ca. 8% beim Hardcover. Dann können Sie sich ausrechnen, wie lange es regnen muss, bis ein ganz normaler Autor einen Swimmingpool füllen kann.
Weil die Medien am liebsten über Riesenauflagen berichten, denkt jeder, Riesenauflagen seien normal. Und weil auch Kollegen verschämt ihre Verkaufszahlen verschweigen - SchriftstellerInnen sind nämlich manchmal ein neidisches oder schadenfreudiges Volk - denken auch AutorInnen, sie schrieben am Abgrund, wenn die Zahlen so glorreich nicht sind. Kommen die Verlage dazu, die ab und zu durch zur Schau gestellten Unmut das nächste Buch billiger erhandeln wollen. (Ich kenne jemanden, dem bei 50.000 Abverkäufen gesagt wurde, er müsse sich gefälligst mehr anstrengen, um weiterschreiben zu dürfen). Na, und dann die Vorabverkaufszahlen in den Buchhandelsprospekten, die einen unter Psychodruck setzen, auch wenn die Branche intern zugibt, kräftig zu schönen.
Normal ist das, was man nicht hört. Was auch KollegInnen nicht zuzugeben wagen. Erst wenn man sie persönlich gut kennt und verspricht, die Daten absolut zu anonymisieren, erfährt man, dass einer der ganz großen Publikumsverlage eigentlich nur mit den Rennern Geld macht und das andere "halt so mitzieht". Ein Kollege, der dort lausige 1500 Unterhaltungsromane abverkauft hatte, erfuhr nach ausführlichen Recherchen in sogenannten informierten Kreisen, dass die meisten Romane in jenem Programm die 1000er-Marke nicht einmal erreichten. Aber die beiden Bestsellerautoren, die rissen alles raus. Er ging in einen mittelgroßen Verlag, bekam ein Hardcover und übertraf sich selbst.
Ein Kollege im Publikumsverlag schaffte es mit einem Taschenbuch auf fette 250 Exemplare und fragte sich nachher zu Recht, warum er nicht zu BoD gegangen war. Völlig perplex nahm er seinen zweiten Vertrag entgegen - offensichtlich war er noch nicht schlecht genug. Der zweite Roman dümpelte leicht besser und der Kollege wechselte den Verlag. Plötzlich ging der dritte Roman richtig ab. Nicht, dass er besser oder anders gewesen wäre - er wurde einfach nur beworben.
Gestern hörte ich dann im Fernsehen (in den Sendern, die MRR guckt) seit langem einmal eine offizielle offene Zahl, die solche Auflagen bestätigt. Es ging um den angesehen Kunstverlag Schirmer Mosel und sein Beuys-Projekt.
Der Verleger erzählte, dass solch ein berühmter Name und solch ein Buch natürlich eine Sicherheit seien. So etwas verkaufe sich schon einmal an alle Bibliotheken, internationale eingeschlossen. Es sei ein Buch, das andere, die weniger gut liefen, trage. Und dann nannte er Zahlen. 2000 verkaufte Exemplare seien in diesem Bereich äußerst zufriedenstellend.
Für Laien zum Nachrechnen: Nehmen Sie an, dass ein ordentliches Durchschnittshonorar (brutto, davon gehen Steuern, Abgaben, Rente etc. ab) bei ca. 4% vom Nettoverkaufspreis beim Taschenbuch liegt und ca. 8% beim Hardcover. Dann können Sie sich ausrechnen, wie lange es regnen muss, bis ein ganz normaler Autor einen Swimmingpool füllen kann.
Stehender Applaus!
Bravo, Marcel Reich-Ranicki! Bravo und danke!
Endlich hat jemand laut ausgesprochen, was so viele nur heimlich unter der Bettdecke zu denken wagen. Ein Mensch mit eigener Meinung und dem, was den meisten Medienleuten fehlt: Rückgrat.
Ich habe gestern ganz zufällig vor der betreffenden Passage in den Zusammenschnitt zur Verleihung des deutschen Fernsehpreises geschaltet und wusste erst einmal nicht, um was es geht. Nicht nur, weil solche Sachen an Emigranten oft vorbei gehen - ich meide grundsätzlich Shows aller Nationalitäten. In Shows zeigt der Mensch, zu welch evolutionären Rückschritten er fähig ist. Sie wollen wissen, wie the day after im Ernstfall verlaufen würde: Schauen Sie sich eine Show an.
Da war der übliche deutsche Hollywood-Möchtegern-Glamour zu sehen, der immer ein wenig billig und prollig wirkt. Und irgendein angeblich hochberühmter Comedian, den ich zum ersten Mal in meinem Leben sah, zog irgendetwas ab, das mir selbst die Socken zum Einschlafen brachte. Über Sprache wollen wir gar nicht erst reden. Solche Witzlein haben wir in der neunten Klasse zum Besten gegeben. Dazwischen gab's allerlei fettiges Schminkegrinsen aus frisch gelifteten Gesichtern und die Herren schauten, wie Herren bei solchen Anlässen in Deutschland eben so schauen: wichtig, etwas bräsig, und volle Pulle aufmerksam. Es könnte einen ja selbst erwischen.
Zuerst hielt ich das Ganze für eine Casting Show mit Vorher-Nachher-Effekt. Mir fiel die Menge der unvorteilhaft gekleideten Damen auf. Ich bin ja auch nicht gerade die Dürrste, aber meine Damen, Glimmer und Glanz tragen auf! Und mitteleuropäische Sauerkrautstampfer kommen weder in hochhackigen Pumps noch unterm Ballonrock, auch wenn Kürbiszeit ist. Warum ich darauf achtete? Nun, ein Programm, das es wert gewesen wäre, darauf zu achten, fand nicht statt. Zum Glück habe ich dann doch nicht gleich weggzappt. Ich fiel nämlich aus allen Wolken: Was will der große MRR in dieser Show? Führen sie den jetzt zwischen Deppert und Dappert vor, um das Niveau zu retten?
Er sprach mir aus dem Herzen. Er hat ja so recht. Wenn man bedenkt, wie Sender sich durch GEZ-Gelder vom Publikum finanzieren lassen, um im Programm einen Debilitätsfaktor zu installieren, der sämtliche Verblödungsdrogen, staatliche Propaganda und Schlaftabletten für Millionen überflüssig macht, fragt man sich schon... Deutschland schreit nach rauchfreien Räumen, weil Passivrauchen schädlich sei. Wer geht gegen ansteckende Verdummung und Schund auf die Straße?
Und nun hat es endlich einer ausgesprochen, laut ausgesprochen. Ja, Literatur spielt eine erschreckend geringe Rolle im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Deutschland hat es mit Kultur sowieso nicht mehr. Die einzige Buchverkaufsshow, die das ZDF hat, muss Bücher im Minutentakt abnudeln, hastig werden sie in die Kamera gehoben: Lesen! Die restlichen Sendungen, die noch etwas zu geben haben, landen auf Sendeplätzen gegen Mitternacht, weil Otto Normalverbraucher dann endlich garantiert nicht mehr hinschaut. Drehbuchautoren, die mehr als einen Handlungsstrang anbieten, werden inzwischen abgelehnt: "Unser Publikum ist zu blöd, die kapieren das nicht."
Schade, dass das Fernsehen Marcel Reich-Ranicki dazu nutzen wird, wieder Quote zu machen. Denn leider werden auch die Kritiker inzwischen instrumentalisiert.
Und schade, eins hat Marcel Reich-Ranicki nicht angesprochen: Quote, Profit ... die regieren mittlerweile auch die Literaturwelt. Literaten werden inzwischen wie Stars herumgereicht, den Deutschen Buchpreis gibt's nur für medienfreundliche Menschen. Es spielt längst keine Rolle mehr, ob ein Buch wirklich gut ist oder schlecht, Hauptsache Frau Heidenreich hält es in die Kamera, Hauptsache, die Medien stürzen sich darauf. Wer keine Presse und keine Medien für sein Buch gewinnt, wird nichts oder allenfalls durch Zufall. Autoren suchen heute ihre Verlage aufgrund der Pressekontakte aus, halten sich einen Hoffotografen wie andere Leute einen Anlageberater, und sammeln manisch hochnotgeile Blurbs, damit überhaupt noch jemand ihr Buch aufschlägt. Intelligenz und Sprachgewalt verziehen sich in Spartensender ... pardon, Nischenverlage. Ist unsere Branche wirklich besser als das Fernsehen?
Endlich hat jemand laut ausgesprochen, was so viele nur heimlich unter der Bettdecke zu denken wagen. Ein Mensch mit eigener Meinung und dem, was den meisten Medienleuten fehlt: Rückgrat.
Ich habe gestern ganz zufällig vor der betreffenden Passage in den Zusammenschnitt zur Verleihung des deutschen Fernsehpreises geschaltet und wusste erst einmal nicht, um was es geht. Nicht nur, weil solche Sachen an Emigranten oft vorbei gehen - ich meide grundsätzlich Shows aller Nationalitäten. In Shows zeigt der Mensch, zu welch evolutionären Rückschritten er fähig ist. Sie wollen wissen, wie the day after im Ernstfall verlaufen würde: Schauen Sie sich eine Show an.
Da war der übliche deutsche Hollywood-Möchtegern-Glamour zu sehen, der immer ein wenig billig und prollig wirkt. Und irgendein angeblich hochberühmter Comedian, den ich zum ersten Mal in meinem Leben sah, zog irgendetwas ab, das mir selbst die Socken zum Einschlafen brachte. Über Sprache wollen wir gar nicht erst reden. Solche Witzlein haben wir in der neunten Klasse zum Besten gegeben. Dazwischen gab's allerlei fettiges Schminkegrinsen aus frisch gelifteten Gesichtern und die Herren schauten, wie Herren bei solchen Anlässen in Deutschland eben so schauen: wichtig, etwas bräsig, und volle Pulle aufmerksam. Es könnte einen ja selbst erwischen.
Zuerst hielt ich das Ganze für eine Casting Show mit Vorher-Nachher-Effekt. Mir fiel die Menge der unvorteilhaft gekleideten Damen auf. Ich bin ja auch nicht gerade die Dürrste, aber meine Damen, Glimmer und Glanz tragen auf! Und mitteleuropäische Sauerkrautstampfer kommen weder in hochhackigen Pumps noch unterm Ballonrock, auch wenn Kürbiszeit ist. Warum ich darauf achtete? Nun, ein Programm, das es wert gewesen wäre, darauf zu achten, fand nicht statt. Zum Glück habe ich dann doch nicht gleich weggzappt. Ich fiel nämlich aus allen Wolken: Was will der große MRR in dieser Show? Führen sie den jetzt zwischen Deppert und Dappert vor, um das Niveau zu retten?
Er sprach mir aus dem Herzen. Er hat ja so recht. Wenn man bedenkt, wie Sender sich durch GEZ-Gelder vom Publikum finanzieren lassen, um im Programm einen Debilitätsfaktor zu installieren, der sämtliche Verblödungsdrogen, staatliche Propaganda und Schlaftabletten für Millionen überflüssig macht, fragt man sich schon... Deutschland schreit nach rauchfreien Räumen, weil Passivrauchen schädlich sei. Wer geht gegen ansteckende Verdummung und Schund auf die Straße?
Und nun hat es endlich einer ausgesprochen, laut ausgesprochen. Ja, Literatur spielt eine erschreckend geringe Rolle im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Deutschland hat es mit Kultur sowieso nicht mehr. Die einzige Buchverkaufsshow, die das ZDF hat, muss Bücher im Minutentakt abnudeln, hastig werden sie in die Kamera gehoben: Lesen! Die restlichen Sendungen, die noch etwas zu geben haben, landen auf Sendeplätzen gegen Mitternacht, weil Otto Normalverbraucher dann endlich garantiert nicht mehr hinschaut. Drehbuchautoren, die mehr als einen Handlungsstrang anbieten, werden inzwischen abgelehnt: "Unser Publikum ist zu blöd, die kapieren das nicht."
Schade, dass das Fernsehen Marcel Reich-Ranicki dazu nutzen wird, wieder Quote zu machen. Denn leider werden auch die Kritiker inzwischen instrumentalisiert.
Und schade, eins hat Marcel Reich-Ranicki nicht angesprochen: Quote, Profit ... die regieren mittlerweile auch die Literaturwelt. Literaten werden inzwischen wie Stars herumgereicht, den Deutschen Buchpreis gibt's nur für medienfreundliche Menschen. Es spielt längst keine Rolle mehr, ob ein Buch wirklich gut ist oder schlecht, Hauptsache Frau Heidenreich hält es in die Kamera, Hauptsache, die Medien stürzen sich darauf. Wer keine Presse und keine Medien für sein Buch gewinnt, wird nichts oder allenfalls durch Zufall. Autoren suchen heute ihre Verlage aufgrund der Pressekontakte aus, halten sich einen Hoffotografen wie andere Leute einen Anlageberater, und sammeln manisch hochnotgeile Blurbs, damit überhaupt noch jemand ihr Buch aufschlägt. Intelligenz und Sprachgewalt verziehen sich in Spartensender ... pardon, Nischenverlage. Ist unsere Branche wirklich besser als das Fernsehen?