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20. Mai 2021

Das kann dann mal weg!

Die "Internetoma" hat heute etwas völlig Neues ausprobiert, technologisch aufgeschlossen und schlicht zu faul und pandemieeklig, um sich in eine ultralange Reihe an der Kasse anzustellen. In einem Hypermarché, der geschätzt so groß ist wie unser Dorf, waren nämlich nur zwei Kassen besetzt. Also probierte ich die "menschenlose" Kasse.

 

Passend zu einem Wunschprojekt der Zukunft habe ich mir eine Arbeitstasche geleistet: Wann findet man schon mal Monsieur Linné und Vintage-Schmetterlinge!


Die war nur für maximal 15 Artikel erlaubt. Aber ich bekam eh, bevor die Zahl erreicht war, den Fluchtreflex eines Wildtiers. Ich fange mal von vorn an zu erzählen ...


So viele schwärmen herum: Musste unbedingt mal hin, riiiiiiiiiesengroß jetzt, Waaaaaahnsinn. Ich hasse riesengroße Hypermarchés, aber ab und zu sind sie praktisch, wenn man kunterbunt Zeug braucht vom Druckerpapier bis zum Akku. Ich hätte gerne Rollschuhe gehabt oder einen Roller: um die Wege dort zu bewältigen. Der Eingang mit Vorhalle eine Kathedrale des Konsums. Verloren stand in der Mitte ein dreirädriges Lastenauto als Deko da. "Bitte nicht berühren" hatte man daran aufgehängt, weil dieses verlorene echte ! Auto den Eindruck eines einsamen Spielzeugs machte, das man dringend streicheln müsse, bis es auch mal groß würde. Ein schöner Anhaltspunkt für den immensen Naturverbrauch, die der "Laden" gekostet hat. Mit überbreiten geräumigen Parkplätzen und zweispurig befahrbar, dafür ohne jedes Grün. Bäume: null. Die überbreiten Gänge, in denen man nun pandemiemäßig übergroßen Abstand halten kann, droschen auf mich ein. Wenn Leere knallt.


Leere knallt, wenn sie konterkariert wird durch einfach nur noch irrsinnige Überfülle. Brauche ich wirklich vier Meter unterschiedliche Shampoos, deren Aufdrucke sich mittlerweile lesen wie Zen-Kräutertees? In denen aber annähernd die gleiche Brühe drin ist! Und was mache ich mit dieser Fülle, wenn ich ewig lange herumsuche nach meiner Sorte - und genau die gibt es nicht? Als der Hypermarché noch ein Supermarché war, bekam ich sie. Gewusst wo, hingegriffen, weiter.


Ich streifte durch ellenlange Keksalleen, bis sich meine Zunge klebrig anfühlte, rannte durch Putzmittel- und Weinstraßen. Welcher Mensch kann ernsthaft 30 oder 40 unterschiedliche Schinkenverpackungen vergleichen? Und welcher Misanthrop hat eigentlich dieses Warensystem geschaffen, bei dem winzige, lichtverblendete Displays anthrazitfarbene Zahlen auf Gallendunkelumbra als Preis zeigen? Ich wusste schnell, warum auf jedem Einkaufswagengriff ein Lageplan integriert war. Berge musste ich nicht steigen, aber die Wanderung von Milch zu Brot war heftig.


Je tiefer ich in den adrett sauberen Konsumtempel vordrang, desto mehr fiel mir die Wahnwitz auf. Einerseits war die Ware nicht besser geworden. Das eher mediokre Angebot dieser Kette hatte sich lediglich stark verteuert. Dann setzte der Fluchtreflex ein. Und ich muss vorher sagen: Ich bin keine Vegetarierin. Ich lebe weitgehend vegetarisch, mag aber auch selten und dann ausgesucht, ein Fleisch aus der Region. In diesem Laden jedoch wurde mir übel: Gefühlt Kilometer toter Tierteile, plastikverpackt, portioniert, zerhackt, nach Tieren getrennt. Die Lammstraße und die Hühnerstraße, irgendwo allein das Schwein und die Avenue der Rinder. Dahinter eine Wurstautobahn und eine Aufschnittallee. Spätestens hier wurde mir dann so übel, dass ich rausmusste. In so einer irrsinnigen Konsumkathedrale wird nämlich plötzlich das industrielle Töten spürbar. Diese Massen. Diese Mühe, zu verbergen, dass die netten Portionsstückchen mal vier Beine hatten und ein Fell. Und das schmeckt ja nicht mal mehr, wenn es so industriell aufgezogen wird.


Um ein Gegengewicht zu schaffen: Ersatz-Burger und Ersatzfleisch hatten sie natürlich auch über mehrere Meter. Da kam mir das Würgen durch die Lektüre des Kleingedruckten. Methoden wie bei der Hundefutterherstellung und Chemie satt. Blöde, dass ich in all dem Zinnober keine puren, stinknormalen Kichererbsen fand, mit denen man viel leckerer Burger machen kann.


Ich wolllte mir dann wegen der Pandemie diese Kasse ohne Kassiererin geben. Nicht übel, um einmal schätzen zu lernen, was die Frauen und Männer an den Kassen den ganzen Tag leisten! Bis man den Code gefunden hat, rübergezogen ... Das "schlaue" System "sieht" alles: Ob man die gescannte Ware brav in der dafür vorgesehenen Bucht ablegt oder zu lange in der Hand hält. Aber es ist alles andere als schlau. Wir haben alle eine Kassierin gebraucht, die Fehler berichtigte und dem Trottelsystem den Befehl gab, weiterzumachen, wenn es streikte. Sie bekam von allen Seiten Komplimente für ihre Arbeit. Keine Frage: Diese Kassen sind praktisch, wenn man nur drei Sachen gekauft hat und nicht auf übervolle, kleinwagengroße Einkaufswagen warten will. Früher hat man Leute mit wenig Zeug einfach vorgelassen.


Ich war platt, müdegelaufen, erschöpft vom Suchen und hatte den völligen Overflow von Zeugs. Vom grauenhaften Klangteppich ganz zu schweigen. Und dann bin ich erst mal in den gemütlichen Supermarkt, in dem die Leute lustig Slalom laufen, um den Abstand einzuhalten. Wo ich weiß, was wo liegt. Wo ich bekomme, was ich brauche. Und halt nur zwischen 20 Sorten Wurst aussuchen kann und zwei Sorten Äpfeln. Noch nie habe ich mich so in Vorfreude gefühlt auf den Wochenmarkt.

 

Dort erzählt mir die Bauersfrau, was sie selbst morgens geerntet hat. Der Fischverkäufer hat seine Forellen morgens aus dem Wasser geholt und Fleisch gibt's beim Bauern nur, was gerade dran ist beim Schlachten. Sonst laufen seine Tiere auf den Wiesen herum. Am Käsestand erzählen sie mir beim Kosten einer neuen Sorte, dass es am Brotstand die passenden Fougasses mit Oliven dazu gibt. Und am Brotstand wird mir der Mund wässrig gemacht, weil doch der Imker gleich ums Eck den idealen Honig fürs nach alter Art gebackene Baguette hat.


Einen Vorteil hat die Pandemie bei mir erreicht. Dadurch, dass ich nur noch Vorräte möglichst schnell eingekauft habe, brauche ich viel weniger. Und solche Kapitalismuskathedralen, die sich nicht mal mehr Normalverdienerinnen leisten können - müssen wir die wirklich haben? Unzählige Hektar von Wiesenland und Feldern liegen unter diesem Beton.

2. Mai 2021

Challenge Your Challenge!

Ich hätte es ahnen können: Ich bin zu faul, unzuverlässig, trotzig, widerspenstig, unfähig und viel zu chaotisch für sogenannte Challenges, die mit Hashtags oder Kalenderdaten daherkommen. Spätestens bei der zweiten Folge einer Aufgabe befällt mich wieder dieses Kindergefühl, das ich bei einer bestimmten Sorte Hausaufgaben hatte. Wenn es nur darum ging, etwas komplett Blödsinniges nachbeten zu müssen anstatt etwas Hochspannendes selbst zu recherchieren. Wenn ich etwas denken sollte, weil es im Lehrplan stand, nicht, weil es mich weiterbrachte. Ich spürte fast körperlich ein Jucken in der Wirbelsäule, das mir sagen wollte: Spring auf und renn davon!

 

Spring auf und renn davon!


Dank der Pandemie praktiziere ich das inzwischen maßlos. Endlich habe ich die perfekte Ausrede, nicht dranzubleiben, vorzeitig auszusteigen oder gar nicht erst einzusteigen. Alle haben sie doch, diese Matschbirne! Erschöpfung und Zeitmangel - vor einem Jahr ein Unding, verschaffen einem heutzutage Mitgefühl. Wir haben das doch alle irgendwie: übernehmen uns ständig. Wieso haben wir bei Überforderung früher nicht einfach mal Stop geschrien? Und erinnert sich noch jemand an die Zeiten, als wir vor Selbstoptimierung nur so strotzten und Leute Influencer wurden, die im Überschall lebten und arbeiteten? Warum eigentlich?


Vorhin musste ich laut lachen. Ich las online einen Text (per Google gefunden), der mich sehr berührte. So viele verwandte Gedanken darin! Hätte ich nicht auch mal so etwas aufschreiben können? Erst dann bemerkte ich es: Der Text war von mir selbst. Autsch. Und als ich in mein anderes Blog surfte, kam mir ein eigener Text dagegen wieder völlig neu vor, als hätte ich ihn nicht schon längst geschrieben, sondern nur angedacht. Und sososo, er sollte der Auftakt für eine einmonatige Challenge sein? Eine Hausaufgabe, die ich mir selbst stellte?


Wie blöde kann man sein? Ich kann gar keine Challenges! Ich mag dieses regelmäßige, stets gleichförmige Gedöns nicht. Schreibe zwei Texte pro Woche. Zeichne jeden Tag zum Frühstück deine Kaffeetasse. Häkle alle zwei Tage einen Topflappen. Und schau: Alle machen das doch heutzutage! Die können und wollen das. Und die profitieren davon, haben jede Menge Spaß mit Gleichgesinnten und lernen dabei auch noch.

 

Ich freue mich für diese Leute. Aber ich bin zu faul, unzuverlässig, trotzig, widerspenstig, unfähig und viel zu chaotisch für sogenannte Challenges, die mit Hashtags oder Kalenderdaten daherkommen. Vielleicht sollte ich endlich einmal verkünden, dass ich an der Challenge aller Challenges arbeite - nämlich jede noch so kleine Challenge schnöde abzubrechen. Ich brauche das für meine Selbstoptimierung. Oder um einfach meine Matschbirne ordentlich zu pflegen?