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26. August 2017

Lasst mich mit meinem Alter in Ruh!

Ich habe bei Facebook einen Artikel über das Alter kommentiert. Prompt sah ich mich in der Algorithmen-Endlos-Schleife gefangen, die mir "Lösungen" für mein Problem versprach. Immerhin keine Treppenlifte, aber Gruppen à la "ich bin 50, na und!", "Hippiebusse kaufen", "Mit grauen Haaren befreit auf die Straße gehen", "Grau aber vegan" oder all die Durchhalteparolen für "50+ und ich mach's trotzdem!" Ich bin jetzt mal ganz sauer. Mit gerade gefühlt 14 Jahren kann ich diesen Perfektionierungswahn nicht mehr ab!

Die Kleine ist noch total lebendig in mir. Nach vielen Umwegen mache ich nichts anderes als sie und ich weiß genau, warum sie ihre Farbkreiden in einer Glühbirnenschachtel sammelte und mit diesem "bunten Licht" die Geschichten malte und schrieb, die ihr Schmetterlinge und kleine Elfen zuflüsterten. Warum soll das Jahrzehnte später anders sein?

23. August 2017

Newsletter erschienen

Er kommt gefühlt nur alle Schaltjahre mal, dafür aber dick und deftig: mein Newsletter. Man erfährt darin alle möglichen Neuigkeiten und diesmal gibt's auch eine Bastelanleitung für die schrägsten Perlen der Welt und eine Überraschung für "EinweihungskundInnen". Außerdem verrate ich exklusiv etwas über meine künftigen Pläne.

An der Heidenmauer auf dem Mont Ste. Odile im Steinbruch der vorzeitlichen Erbauer.


Wer den Newsletter noch nicht hier abonniert hat, kann ihn HIER in seiner ganzen Pracht sehen.

Leider scheint es per Mail dieses Mal ein kleines Problem mit den Fotos in manchen Mailprogrammen gegeben zu haben. Ich will aber nicht spammen und das alles nochmal losschicken - einfach die Browseransicht wählen, dann ist alles komplett! Beim nächsten Mal stimmt das Layout hoffentlich wieder, versprochen!

18. August 2017

Der Hauch der Geschichte

Give me your tired, your poor,
Your huddled masses yearning to breathe free,
The wretched refuse of your teeming shore.
Send these, the homeless, tempest-tossed to me,
I lift my lamp beside the golden door!
Weltberühmt wurden diese Zeilen, selbst in Hitchcocks Film "Saboteur" werden sie zitiert, Paul Auster hat über sie geschrieben. Ihre Dichterin Emma Lazarus fand zunächst, über eine Statue ließe sich nichts schreiben. Ihr Gedicht "The New Colossus" war Teil der Fundraising-Aktion für das Aufstellen der Freiheitsstatue von Amerika, es geriet lange in Vergessenheit und steht seit 1903 auf einer Bronzetafel im Innern des Fundaments. Seither ist es nicht nur Kult, es hat die Lady Liberty, die für sehr internationale, demokratische Werte einer Republik stand, umgedeutet in eine Mutterfigur, die Emigranten willkommen heißt. So muss ich ausholen, wenn ich jetzt von meinem Sketchbookproject erzähle und was beim Vorzeichnen des Covers passiert ist.

Noch nicht fertig gezeichnet, aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. Das Cover meines Sketchbooks zeigt die Arbeiter bei der Vormontage der Freiheitsstatue in New York, wie sie damals in halsbrecherischer Höhe an Seilen und Flaschenzügen montierten. Die Freiheitsstatue selbst wurde in Paris gefertigt, wo der elsässische Bildhauer Frédéric Auguste Bartholdi mit der Werkstatt von Gustave Eiffel arbeitete. Die Rückseite zeigt den Kopf, wie er vor der Verschiffung auf der Pariser Weltausstellung gezeigt wurde. Unbeabsichtigt und zufällig: Die Symbolik um die Kopflosigkeit ist recht aktuell.



"The Golden Door" heißt einer meiner Lieblingsfilme, der mir immer wieder Gänsehaut verursacht, im Originaltitel "Nuovomondo". Emanuele Crialese hat hier Bilder geschaffen, die unter die Haut gehen. Seine Szene, in der die Emigrantinnen und Emigranten durch Milch ins "Gelobte Land" schwimmen - zur Musik von Nina Simones "Sinnerman", hat mich so umgehauen, dass sie mich sicherlich noch für eine Zeichnung inspirieren wird. Denn das war es auch für meine Familie, die auswanderte - das Land, in dem Milch und Honig fließen sollten.

Parallel zum Ideensammeln bin ich natürlich ein wenig in der Ahnenforschung versumpft, denn ich wollte jenem unbekannten "Gladstone" nachspüren, von dem ich nur ein paar Fotos aus den 1950ern besitze, dafür aber jede Menge Familienlügen und ein paar zaghafte Hinweise meiner Großtante, die so gar nicht dazu passen wollten. Hier habe ich darüber schon geschrieben. Wegen der Persönlichkeitsrechte, weil manche Verwandte noch leben, muss ich das alles entsprechend fiktionalisieren und habe den fiktiven Namen gewählt, weil es der Originalname von Gustav Gans ist und weil Entenhausen eine Rolle spielt. Ach, was sage ich da, Los Angeles natürlich!

Wieder muss ich ausholen: Es ist eine einzige Onkelei, die Ducks lassen grüßen! So habe ich einen der "Onkels", der die Schwester meines Großvaters geheiratet hatte, als Kind sogar einmal persönlich kennenlernen dürfen. Ich werde nie die außergewöhnlichen Halsketten und das Schürzchen vergessen, was er mir dann aus den USA schickte. Und es ist symptomatisch für meine Kindheit: Die Ketten wurden mir weggenommen, "die spinnen doch, die Amerikaner, das Glitzerzeug ist nichts für kleine Kinder!" Ich besitze beide Ketten immer noch, eine war gebrochen und ich bestellte vor vielen vielen Jahren zum ersten Mal im Internet genau passende, ja sogar nachgemachte Perlen und lernte, wie man ein dreireihiges Collier knüpft. Die Perlenlieferantin arbeitete damals von der heimischen Garage aus - heute ist die Firma mein Großhändler! Die Schürze, eher ein petticoatartiger Halbrock in Weiß, hatte so lustige rosa und hellblaue Kreise, dass ich noch viele Kreise mehr in Wasserfarbe dazu malte. Das weiß ich aber nur aus Erzählungen. Ich selbst habe es wohl verdrängt, weil ich dafür bestraft wurde und die Schürze im Müll landete. Nichts für Kinder, sowas! Auch das sah ich erst bei meiner Großtante auf Fotos: Alle Mädchen in den USA sahen damals so aus, alle meine Cousinen bekamen Halsketten und Schürzchen zu Weihnachten, zu Geburtstagen.

Es ist unschwer zu erraten: Ich wuchs in einem auf seltsame Weise kunstfeindlichen Arbeiterhaushalt auf. Paradox und Double-Bind waren üblich, wenn es um Kunst ging - was ich erst als junge Erwachsene herausfand. An der Wand hingen Ölgemälde meiner Mutter, aber sie "hasste es" zu malen. Wenn ich in der ersten Klasse etwas zeichnete, war es ihr nicht perfekt genug und ich musste stundenlang ihren Vorzeichnungen folgen, bis auch der letzte Strich saß. Ich durfte zwar Bilder bei Ausstellungen zeigen, bekam aber gleichzeitig eingebläut, ich solle ja nicht auf die blöde Idee kommen, Künstlerin zu werden! Schließlich bewiesen meine Bilder doch, wie schlecht ich sei - man würde sich auch nicht lächerlich machen und bei der Ausstellung vorbeikommen. Ich sollte "etwas Ordentliches" lernen. Jeder, der auch nur annähernd etwas von einem Künstler an sich hatte in der Familie, wurde schlecht gemacht, geächtet. Und so kam es, dass ich Gladstone nie kennenlernte, welcher der Neffe von jenem Onkel mit den Glasperlenketten und meinem Opa war.

Wie im anderen Blogbeitrag erzählt, hatte ich auch seine Fotos erst schockartig beim Ausräumen der elterlichen Wohnung entdeckt, sie waren gut versteckt worden. Genauso versteckt wie Kartons voller Papier, mehrfach gekauften Stifteschachteln, eingetrockneten Ölfarben und anderen traurigen Resten einer Existenz, die sich selbst die Kunst so lange versagte, bis sie nur noch ein Tasten war. So, wie ich eigentlich am liebsten auf die Kunstakademie gegangen wäre, aber zu dieser Zeit schon erfolgreich umdressiert worden war. Immerhin, ich wurde trotz allem Künstlerin, es lässt sich nicht unterdrücken. Dass ich mich dann fürs Schreiben entschied, war absolut freiwillig, weil ich nach wie vor glaube, dass das mein eigentliches Talent ist - fürs Malen war ich nie gut genug.

Die Ahnenforschung war aufschlussreich und hat mich doch auch getroffen, weil ich zeitlebens das Gefühl hatte, ich sei wohl als Baby von irgendeiner Fee falsch ausgeliefert worden. Wer da auswanderte, das waren alles Freigeister, viele sogar Freimaurer (hat man auch verschwiegen) und nicht wenige hatten es sehr mit der Kunst! Musik haben die meisten gemacht, einer hatte sogar eine eigene Motown-Band, ein anderer schaffte als Musiker in den USA Schallplatten und Fernsehauftritte. Richtig Gänsehaut bekam ich dann bei jenem Onkel mit den Halsketten. Eigentlich war er Metallarbeiter gewesen. Aber er soll mit "Weichmetallen" Kunst für alle möglichen Leute gemacht haben. Naja, dachte ich, wird seinem Nachbarn vielleicht das Gartentor verziert haben?

Plötzlich entdeckte ich in Unterlagen, dass er die atemberaubenden Art-Deco-Türen der Severance Hall in Cleveland zwar nicht entworfen, aber gearbeitet hatte! (im Video ab 1:15 zu sehen). Bei Baubeginn war er gerade mal drei Jahre im Land. Gladstone ist sein Neffe, auf meinen Fotos ist er frisch mit dem Flugzeug gelandet und macht sich nach dem Familienbesuch auf nach Los Angeles, in die Disney Studios. Meine Großtante erzählte früher, er sei dort Portraitmaler gewesen. Was ich erst seit heute weiß: Er und seine Frau, ebenfalls eine Künstlerin, haben in Palos Verdes eine recht bekannte Künstlerkolonie mit aufgebaut und diesbezüglich Spuren hinterlassen. Ich kam leider zu spät, Gladstone ist 2002 gestorben. Die verheimlichte Familie, die so ganz anders war als von der meinen vorgegeben, hätte mir früh Vorbild sein können, hätte mich vielleicht mutiger machen können?

Und so gerät mir das Sketchbook jenseits allen Storytellings und jeder professionellen Fiktion zu einer Entdeckungsreise, die schon fast etwas Therapeutisches hat: Ich bemächtige mich mit jedem Schritt eines Teils meiner Selbst, den man mir hatte austreiben wollen. Zwischen Trotz und Kuriosität benutze ich sogar teilweise Stifte meiner Mutter, die sie nur weggesperrt hatte. Ich mache vorsätzlich und frei das, was ich nur ordentlich für Einsernoten in der Schule machen durfte: zeichnen, malen, brotlos. Und ich werde dieses Büchlein dahin schicken, wo alles angefangen hat mit den Glückspilzen, die leider nicht alle welche waren, die auch nur Menschen blieben.
Warum aber muss man erst so alt werden, um so weit zu kommen?

Mir standen ernsthaft gestern die Haare zu Berge und ich musste meine Hand auf Löschpapier stützen, so feucht war sie vor Aufregung: Es schloss sich ein Kreis. Ich bin nun endlich ganz und gar die, vor der mich meine Eltern immer gewarnt haben - und es fühlt sich einfach prächtig an. Es ist faszinierend, wie wenig sich so etwas auslöschen lässt. Ich wusste nicht wirklich, warum ich heute Papierperlen so gern mit tschechischem Glitzerglas kombiniere. Erst durch das Sketchbook erinnerte ich mich wieder an die Glitzerkette jenes "Onkels", die mir in meiner Kindheit sofort weggenommen worden war, obwohl ich sie damals schon liebte. Die ich erst in meiner Jugend wiederbekam, immerhin. Jetzt glaube ich zu wissen, warum er sie ausgewählt hatte - dieses amerikanische Stück hatte ihn in all dem Plastik wahrscheinlich an seine tschechische Heimat erinnert. Auf einmal ist die Geschichte so nah - ich kann sie fast berühren. So viel später habe ich das Collier repariert und immer noch nicht geahnt, dass ich eines Tages Schmuck fertigen würde.

Immer wieder schlägt das Leben Kreise, so wie die Geschichte. Als ich gestern diese winzigen Männchen an den Seilen zeichnete ... das habe ich bei Facebook beschrieben:
"Aber wie ich dann diese kleinen Männchen an Seilen auf der Freiheitsstatue zeichnete, gingen im Kopf plözlich alle möglichen Türen auf ... Bilder, Erinnerungen. Ihr kennt sicher diesen uralten Slapstick (war es Buster Keaton?) auf einem New Yorker Wolkenkratzer mit dem Zifferblatt einer Uhr? Und dann die Arbeiter in schwindelnden Höhen an den Wolkenkratzern. Und die wunderbare Doku "Man on Wire", über den Hochseilartist Philippe Petit, der zwischen den Türmen des World Trade Centers gelaufen ist - illegal. Colum McCann, den ich sonst sehr bewundere, hat daraus leider eins seiner schwächeren Bücher gemacht: Let The Great World Spin.
Ich weiß, dass mein Sketchbook in der Mitte einen Schmetterling zeigen wird, als Popup montiert. Ein bißchen nur weiß ich warum, es ist eher ein Gefühl, dass sich beide Geschichten, die von hinten und von vorn erzählt werden, dort treffen müssen. Seit eben kommt ein Lüftchen auf, der Schmetterling beginnt, in großer Höhe zu flattern ..."

Ich komme dem Schmetterling ein wenig näher, weil sich gerade ein kleines Mädchen verpuppt, das eine Geschichte über Amerika erzählen wird. Und so entstehen Geschichten sehr oft, sie flattern einfach um einen herum, bis man genauer hinschaut. Dann setzen sie sich manchmal hin und lassen sich betrachten.

Update: Leider ist es heutzutage oft so, dass im Blog fast kein Feedback mehr kommt, dafür hat sich auf FB eine schöne "Kommentierei" entsponnen, die öffentlich ist für FB-Mitglieder. HIER klicken.

17. August 2017

Chaos ist höhere Ordnung

Nachdem ich bei Instagram jetzt genügend Ateliers gesehen habe, die - auf erstaunlichen Grundflächen - von Top-Inneneinrichtern geplant, von Top-Putzfrauen geputzt und von Top-Ordnungsfanatikern täglich einsortiert werden müssen, ist mir danach, die schnöde Wirklichkeit zu zeigen. Nebenbei: Mein neuer Laden ist natürlich um einiges hübscher als das Atelier!

Das ist der aufgeräumte Zustand. Mehr gibt es hier wirklich nicht zu sehen ...
Das Atelier Tetebrec besteht aus einem kleinen Zimmer, das der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Denn da habe ich auch meinen Computerarbeitsplatz und eine Nähmaschine. Das Schmuckatelier selbst besteht aus einer riesigen Tischplatte, einem quietschenden Drehstuhl, einem Ikearegal und gestapelten Kartons. Von Papierrollen und Papierstapeln will ich gar nicht erst erzählen ... Und irgendwie dämlich: Es ist das kälteste und dunkelste Zimmer.

Hauptteil auf dem Boden, um den ich ständig herummanövrieren muss: ein kuscheliges, haariges, oft verkrümeltes "Bett", das auch schon mal pfotenförmige Schlamm-Malerei bekommt und aus dem öfter mit lautem "Klong!" Knochen fallen. Das ist der Arbeitsplatz meines Inspirational Managers Bilbo. Der schwänzt in der schönen Jahreszeit allerdings ziemlich oft und treibt sich draußen herum. Vorhin hörte ich es wieder verräterisch durchs Fenster, wie jemand zirpte: "Salut Bilbo!" Irgendein Dutzidutzi ... Daraufhin selige Stille - er ließ sich mal wieder von der Nachbarin durchs Gatter kraulen. (Einwurf: Nicht als Fremder nachmachen, sonst ist die Hand weg. Vor allem Einbrecher werden jagdhundlich zerstückelt!) Kurzum: Monsieur hält Hof. Ab und zu beehrt er auch mich, weil es draußen zu heiß ist, weil er dringend eins dieser vielen Hundeschläfchen braucht oder weil er mich mit diesem schrecklich verzweifelten Blik anschaut, der da sagen möchte: "Weißt du eigentlich, wie schlimm sich ein Hundehungerbauch anfühlt!?"

Zurück zum Atelier. Kleinteile wie Perlen brauchen natürlich jede Menge Behälter. Anfangs bin ich noch sehnsüchtig um die Schubladensysteme im Baumarkt geschlichen, die es für Schrauben und Werkzeuge gibt. Ich hatte schlicht kein Geld dafür. Doch dann fiel mir ein, dass ich doch möglichst nachhaltig arbeiten möchte. Warum also nur Papier für Schmuck recyceln, warum nicht auch die Behälter?

Die Eierkartons im unteren Regalfach sind ideal, um die kleinen Tütchen mit Rocaille-Perlchen aufzunehmen. Jeder Eierkarton bekommt eine eigene Farbschattierung - und Prachtperlen landen in alten Konservengläsern. Je durchsichtiger, desto besser, so weiß ich gleich, wohin ich greifen muss. Deshalb liebe ich auch Quarkbecher, weil die durchsichtige Deckel haben. Da lagere ich fertige Papierperlen, grob nach Sorten getrennt.

Ähnlich das System ganz oben: Plastikflaschen werden im oberen Drittel durchtrennt, der obere Teil dann einfach verkehrtherum eingelegt - fertig ist die staubsichere Dose mit Deckel. Hier liegen all die Lederbänder, Viskoseschnüre und Schnüre für die Halsketten und da haben die Flaschen noch einen Vorteil: Schraubt man nämlich den Deckel ab, kann man einen Faden in den oberen Teil führen. Man zieht dann einfach heraus, was man braucht und nichts verheddert sich. Nicht zu sehen die Behälter für die Kleinstteile wie Ringlein, Verschlüsse, Crashperlen - da verwende ich einfach Pralinenschachteln, deren Einsätze ideal zum Sortieren winzigster Teile sind.

In der Mitte rechts kann man Bücher erkennen - es sind die wertvollsten. Die anderen liegen schnöde in einer Kiste. Und hier erkennt auch das Laienauge: Papier kann extrem unterschiedliche Farben haben! Die verändern sich durch die Leimung oft noch um einige Grade, vor allem das billige Taschenbuchpapier von heute gilbt dann, als sei es uralt. Es ist fast unmöglich, in Büchern ein rein weißes Papier zu finden, das nicht wie bei Kunstdruck zu sehr versiegelt ist. Der französische Larousse bildet hier die rühmliche Ausnahme - es ist das obere Buch. Ich persönlich mag es ja lieber, wenn Papier unterschiedliche Töne annimmt, es wirkt lebendiger. Aber wenn eine Kundin weiße Perlen wünscht, bekommt sie auch diese!

So ein Atelier ist natürlich selbst ein "Work in Progress" - irgendwann will ich um ein kleines Regal vergrößern und das alles etwas entzerren. Noch suche ich nach der ultimativen Lösung, unterschiedliche Papiere staubfrei und lichtgeschützt aufbewahren zu können UND gleich zu erkennen, wo ich was finde. Verpackungsmüll habe ich nicht mehr viel, inzwischen schnorre ich schon Schuhkartons in der Nachbarschaft - ich kaufe zu selten Schuhe! Muss ich noch erwähnen, dass Feuer und Rauchen strengstens verboten sind? Das ist nämlich die ungemütlichere Seite von Papier.

Ab ins Vergnügen - heute geht es ans Sketchbook. Wer genau hinschaut, findet es im Regal!

13. August 2017

Wahnsinn und Erdung

Ich weiß, es geht nicht nur mir so: Im Moment fliegt uns weltweit der gequirlte Wahnsinn so um die Ohren, dass immer mehr Menschen sich wie in einer Parallelwelt gefangen fühlen und ein paar ganz depperte Realitätsflüchter das mit der Scheibenwelt verwechseln. Man möchte aber inzwischen auch den Aluhut aufsetzen, obwohl man seiner Sinne noch mächtig scheint, weil die Mächtigen ... ach, Klagen hilft ja auch nichts! Was hilft überhaupt?

Ich erzähle eigentlich eine uralte Geschichte. Aber sie verwirrt sich zunehmend mit der Gegenwart.


Sucht man sich dann auch noch via Facebook oder Twitter Informationen zusammen, könnte man genauso gut an eine glühende Heizspirale fassen und richtig fest zudrücken. Wäre nicht unlängst der seelenrettende Weltkatzentag gewesen, es würde sich anfühlen wie der Kurzworkshop zu "Ich brauche jetzt dringend auch eine Depression, aber bitte heftig!" oder "Shaming, Schimpfen, Sch...". Selbst seriöse Zeitungen gefallen sich neuerdings in Meinungsartikeln über vermeintliche MeinungsmacherInnen, die eigentlich nichts anderes sind als arme Würstchen, die in einem Meinungsmedium aus Versehen etwas gesagt haben, dass andere mit Verve und bösartig zerpflücken, so dass auch aus der blödesten und hohlsten Nichtaussage Meinung wird.

Was jetzt - der Satz soll zu lang sein? Zerpflückt ihn, zerreißt ihn, nagelt ihn an die Wand! Oder nehmt ihn als den Versuch, klanglich abzubilden, wie sich mein Hirn nach solchen Lektüren fühlt. So ähnlich wurde wahrscheinlich der kleine Sticker erfunden, in dem jemand oder etwas mit dem Kopf gegen die Wand knallt. Meinungskotze - und keiner will sie aufwischen.

Am besten übrigens mit Selfies krönen, die so richtig schlimme Grimassen zeigen, gegen das gängige Schönheitsideal von Sexplastikpuppen, zumal die ja inzwischen auch schon als Missbrauchsopfer bedauert werden. Hoppla! Für beide Aussagen könnte ich bei FB schon wieder Blaming abbekommen, oder war es Shaming? Man kennt sich ja kaum mehr aus mit dem, was man früher besser bei sich behalten hat, um nicht die Umwelt zu verschmutzen.

Was ich eigentlich mit diesem Beitrag sagen will, weiß ich gar nicht genau. Aber ich lasse mich treiben, denke laut ins Unreine, lektoriere mich nicht - so ist das heute. Texte produzieren! Meinungsdurchfall.

Auf den Punkt gebracht leide ich eigentlich eher unter der Machtverstopfung zweier durchgeknallter Kerle, denen ein Furz verquer sitzt - und irgendwie haben sie das falsche Viagra gefressen oder die Plastikpuppe ist geplatzt. Man will es gar nicht so genau wissen, was die Welt derzeit an den Rand eines leider sichtbaren Abgrunds treibt und den Irrsinn in ungeahnte Höhen. Männer im schlimmsten Alter, nicht krankheitseinsichtig, würde der Psychiater sagen. Und wir können zwar Verwandte, Freunde und fremde Menschen um uns herum zwangseinweisen lassen, wenn sie für sich oder andere zur Gefahr werden, aber solche dürfen einer ganzen Welt zur Gefahr werden, ohne dass sich einer erbarmt, effektiv einzugreifen ... Kurzum: Ich verstehe es nicht mehr.

Beobachte mich dann wie so viele bei den kleinen Fluchten. Kann plötzlich verstehen, warum unter Hitler die Varietéfilme boomten und sich Vietnamsoldaten die Drogen gebündelt reinpfiffen. Im Nachbardorf kifft fast eine ganze Straße, inzwischen sind sogar schon aktive Kirchengemeindemenschen im Nebel des süßen Vergessens versunken. Für kurze Zeit hilft es denen offenbar, während ich auf ganz harten Drogen bin: Kunst machen und einmal die Woche Dr Who. Wenn dann wieder diese fiese Stimme reinblökt mit "exterminate" oder "fire & dingens", dann weiß ich wieder, wie schön es ist, davon zu träumen, dass Dr. Who dem Bösen raffiniert und intelligent, aber ziemlich nachhaltig den Garaus macht.

Was ich eigentlich sagen wollte? Auch die Kunst gerät mir immer öfter bis kurz vor den Abgrund. Ein Nichtdrandenken ist nicht mehr möglich. Und so habe ich für mein Sketchbookproject den ersten Motivtest für ein Cover gemacht - das selbstverständlich gezeichnet werden wird. Die Familie, die in die USA emigriert - und die Familie, die in Europa zurückbleibt - was passt besser als Mrs Liberty ohne Kopf! Auf dem linken Foto konstruieren Arbeiter das Innengerüst für diesen in den USA. Auf dem rechten Foto sieht man den vom französischen Schöpfer und Bildhauer Bartholdi bereits fertiggestellten Kopf, der vor der Verschiffung in einem Pariser Park ausgestellt wurde.

Mrs Liberty kopflos - und das Hirn im alten Europa, allerdings bewegungslos ohne Arme und Beine - da fallen mir dann viel zu viele Karrikaturen auf meine Jetztzeit ein und ich könnte jetzt noch anderthalb Meilen Meinung absondern. Aber meine LeserInnen können zum Glück selbst denken! Und so wünsche ich allen bis zur nächsten Landung einer rettenden blauen Telefonzelle: Ihr müsst nicht Facebookperfektionismus üben! Lebt. Intensiv. Sagt Leuten, die ihr liebt oder einfach nur mögt, nicht zu spät, dass dem so ist.

Und ich? Verschwinde in die Küche. Ich will wenigstens noch einmal im Leben ein belastetes Ei gegessen und einen Rotwein zu früh am Tag gesüffelt haben. Eigentlich interessiert mich jetzt für den Rest des Abends nur all das, was mein Hund uns Menschen vorlebt: Fressen, Spielen, Schmusen, Schlafen - und manchmal zwei Sachen davon auf einmal. Einfach mal all dieses Meinungsgelaber abschalten. Einfach mal zwei Stunden lang keine Meinung haben müssen, den Aluhut aufsetzen und selbstvergessen in Spaghetti Aglio et Olio rühren!

Falls wider Erwarten Spenden für mein Blog eingehen sollten (rechts im Menu!), werden sie ausschließlich in Drogen gesteckt, versprochen. Filzstifte und Rotwein. Falls völlig wider Erwarten noch größere Spenden eingehen sollten (ich sag's ja, ich schnappe über!), investiere ich selbstverständlich in Anteile am nächsten Armaggedöns oder in meine nächste Atomstromrechnung.

4. August 2017

Genuss war gestern

Für diesen Beitrag werden ich ganz sicher Social-Media-Prügel beziehen. Ich hatte schon mal übers Essen und einen Einkaufsbummel in Deutschland gebloggt und bekam heftig Haue, weil ich "mein Land" so schlecht gemacht hätte. Disclaimer also vorweg: "Mein Land" ist Frankreich, seit 1990 bin ich nämlich Migrantin, also Immigrée, und damit auf voller Gourmetlinie ein für alle mal versaut. Wobei ich urige Landesküchen durchaus liebe, ob Elsass, Afrika oder Indien, Polen oder Bayern. Dabei probiere ich grundsätzlich alles, was mich nicht frisst, und habe in meinem Leben nur ein einziges Mal dankend verzichtet: auf Schafsaugen bei einem Syrer in Warschau. Die guckten mir zu neugierig. Und natürlich mag ich Essen, dass auch lustig durch die Weltgeschichte migriert, so dass sich alle als Erfinder brüsten: der österreichische Guglhupf wurde zum elsässischen Kugelhopf - und wie viele Regionen wollen das beste Sauerkraut auf Erden entwickelt haben?

Ich brauchte Zucker. Ich brauchte Koffein. Und ich schäme mich jetzt noch, so einen Dreck gekauft zu haben!