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29. April 2017

Ein Dorf rebelliert

Wir befinden uns im Jahr 2017 n. Chr. Ganz Gallien ist von der Profitsucht besetzt ... Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Elsässern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. - Ungefähr so würde Caesar in seinen Memoiren beginnen, wenn er die folgende Geschichte erzählen wollte. Von diesem gewissen Dorf habe ich bereits in meinem Buch "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" gesprochen, aber damals war es "nur" ein Dorf mit angeschlossenem "Écomusée".

Trailer für den Film "Qu'est-ce qu'on attend?" ("Was warten wir noch?"), den Marie-Monique Robin über Ungersheim gedreht hat und der 2016 ins Kino kam.

Das Écomusée Ungersheim

Der Begriff "Écomusee" hat mit "Ökologie" vordergründig nichts zu tun, sondern meint in einem Nebensinn, dass solche Museumsdörfer ganzheitliche Forschungen zu den Traditionen und Überlieferungen einer Region unternehmen und diese ausstellen und zeigen. Die französische Idee, die 1971 entstand und heute weltweit etwa 300 "lebende Museen" umfasst, konzentriert sich vor allem auf ein Miteinander, auf nachhaltige Entwicklung und lebendiges Austesten neben der üblichen musealen Konservierung. Und so ist das 2000-Seelen-Dorf Ungersheim, das zur Agglomeration Mulhouse im Haut Rhin gehört, seit vielen Jahren bei Touristen beliebt wegen seines Écomusée d'Alsace.

Der Begriff Freilichtmuseum trifft es nicht ganz, Museumsdorf nennt es sich im Deutschen. Aber weil man nicht sieht, was da im Hintergrund alles geforscht und gearbeitet wird, wirkt es schon wie eine kleine "Insel der Seligen", ein Musterdorf, das für Touristen täglich heile Welt von anno dazumal spielt - weniger um der Illusion willen, sondern um altes Wissen spielerisch lebendig zu halten. Die Auswahl ist groß: Man kann beim Brotbacken dabeisein, etwas über Imkerei lernen oder sich kundig machen, wie man das eigene Fachwerkhaus nach uralten Methoden authentisch renoviert. Es gibt Einblicke in die Landwirtschaft, geführte Naturspaziergänge, viel altes Handwerk und jahreszeitliche Attraktionen wie das "Bredelebacken" in der Weihnachtszeit.

Die Rebellion gegen das System

Nur wenige Touristen wissen, dass nicht nur die Arbeit mit dem Freilichtmuseum das ganze Dorf rebellisch gemacht hat! Ein Bürgermeister und seine Einwohner hatten nämlich irgendwann die Nase voll von dem System, in dem wir alle so selbstverständlich leben und an dem wir doch zunehmend leiden. Weil alles im Leben bis hin zu den Bestandteilen unserer Körper nur noch nach Geldwert berechnet wird; weil sich die Spirale, ständig den Profit mit allem steigern zu müssen, langsam heiß dreht. Versuche, dem etwas entgegenzusetzen, gibt es weltweit viele - sie funktionieren mehr oder weniger gut, weil sie sich meist innerhalb des herkömmlichen Systems bewegen. Wie wäre das, wenn ein ganzes Dorf einfach "aussteigen" würde? Ungersheim hat genau das gemacht! Es zählt heute zu den wenigen Orten Frankreichs, die als Mitglied des Transition Networks Zukunft proben.

Begonnen hat alles mit einer Versammlung der Weltbürgerbewegung und einem Film von Rob Hopkins über Transition. Der Bürgermeister mit dem schönen Namen Jean-Claude Mensch und die Dorfbewohner beschlossen: Wir probieren das mal mit der Transition - dem Übergang in eine neue Zeit, eine neue Art des Zusammenlebens. Die Ideen dazu stammen von dem Briten und Umweltaktivisten Rob Hopkins, einem Fachmann für Permakultur.

Die Transition

Laut Eigenauskunft der Gemeinde geht es dabei vor allem um Autonomie in drei Bereichen, die insgesamt in 21 "Aktionen" aufgeteilt sind:

1. Intellektuelle Autonomie
Dazu gehört die direkte Bürgerbeteiligung an Debatten und eine partizipative Demokratie. Die Dorfbewohner selbst veranstalten Vorträge und Ausstellungen, Konferenzen, inzwischen auch eine kleine Messe für fairen Handel und ökologische Produkte. Sie bringen ihre eigenen Ideen ein. Es wurde ein kommunaler Atlas der Biodiversität erstellt, um die BürgerInnen für die eigene Umwelt und deren Erhalt zu sensibilisieren. Weltendorf (Kampf gegen globalen Hunger und für Frieden), fairer Handel und neue Wege im Umgang mit der Region sind Schlagwörter. Die Aufgabenliste reicht vom Ausstieg aus der Atomenergie und ökologischen Neuerungen bis hin zur Umwandlung der alten Industriebrachen der Pottasche-Minen in eine Naturschutzgebiet und ein Therapieprojekt. Um das Miteinander auch wirtschaftlich zu stärken, hat Ungersheim 2013 eine Parallelwährung eingeführt: le radis, dr Radig oder Rettich.

2. Energie-Autonomie
Heute steht in Ungersheim die größte Photovoltaik-Anlage des Elsass, die den Gesamtverbrauch von 3000 BürgerInnen decken kann. Neben anderen Energiearbeiten und Sparmaßnahmen wurden Spritzmittel und Erdölprodukte bei öffentlichen Arbeiten abgeschafft. Es entstand eine Passivhaus-Wohnanlage und der Rest klingt nach Idylle, wie man sie aus Amish-Dörfern kennt: Zwei Dorfpferde transportieren nicht nur die Kinder zur Schule, sondern helfen in der Landwirtschaft. Elektroautos wurden angeschafft.
Die Einsparungen an Energie machen sich im Dorfsäckel bemerkbar: Seit 2005 musste die Gemeinde die Steuern nicht mehr erhöhen - absolut rar in Frankreich, wo man oft über jährliche Erhöhungen stöhnt.

3. Autonomie in der Lebensmittelversorgung
Dreißig Menschen bauen bei Les Jardins de Cocagne auf 8 Hektar 64 Sorten Biogemüse an, neben dem gesamten Schulessen fallen 300 Gemüsekörbe pro Woche für die Bevölkerung an. Das läuft so gut, dass man eine Küche gebaut hat, in der für weitere 500 Schüler in der Umgebung Bio-Essen hergestellt und ausgeliefert wird. Eine eigene kleine Konservenfabrik verarbeitet den Überschuss und ein Muster-Bauernhof soll außerdem als Lehrhof und zum Wissensaustausch dienen. Die Domaine Champré gehört zu diesen Projekten.

Wem das alles zu sektiererisch klingen mag: Ungersheim ist eigentlich ein Dorf wie alle anderen, mit ähnlichen Firmen und Einrichtungen wie anderswo, mit genau den gleichen Vereinen, die vielleicht nur zahlreicher und aktiver sind. Klaas Klever und Dagobert Duck jedoch würden sich wahrscheinlich auf Dauer dort nicht wohlfühlen, denn der Respekt für andere und die Umwelt ist zu einem Lebensgefühl geworden, einer persönliche Haltung. Etwas zu reparieren anstatt es wegzuwerfen, die Natur zu ehren und solidarisch zu denken - das mag anfangs nicht nur Hirnschmalz brauchen. Der alte Trott ist manchmal gar nicht so einfach zu durchbrechen - wenn es nicht an allen Ecken und Enden Fortbildung und Lernmöglichkeiten gäbe. Da profitieren die Ungersheimer stark von ihren Erfahrungen im Écomusée!

Und dieses Wissen wird auch überregional vermittelt - so engagiert sich das Dorf seit jeher auch bei den Protesten, die eine Schließung des Atomkraftwerks Fessenheim erreichen wollen. Der so ganz und gar nicht von Profitgier angetriebene Lebensstil steckt übrigens an: Im Umkreis von Ungersheim sind sechs neue Transitions-Initiativen entstanden.

Es mag unterschiedliche Herangehensweisen und Ideen geben, wie man mit den Herausforderungen der Zukunft umgehen kann. Eines aber zeigt das Beispiel Ungersheim sehr deutlich: Man muss heutzutage nicht mehr einfach nur jammern und wehklagen, ohne sich selbst zu bewegen. Man muss nicht auf die "große Politik" warten, um das Leben auf kommunaler Ebene zu verändern. Manchmal muss man einfach nur den Hintern heben, sich mit ein paar anderen zusammenfinden und herumprobieren. Mit der Zeit wachsen daraus Veränderungen, die sich die Bewohner von Ungersheim wahrscheinlich nicht träumen ließen, als sie mit der Transition einfach mal loslegten. (Hier noch ein etwa 20 minütiges Video über das Projekt). Wer also das nächste Mal als Tourist ins Écomusée fährt: Ein Abstecher ins eigentliche Dorf lohnt sich, vielleicht kann man ja Ideen mit nach Hause nehmen!

Nachtrag:

Ich war neugierig. Bei so viel Idylle und Zukunft wollte ich wissen: Wie haben die Menschen von Ungersheim eigentlich bei den Präsidentschaftswahlen gewählt? "Grün" und demokratisch?
Das Ergebnis ist angesichts all dessen erschreckend: 37,60% für Le Pen, 16,77% für Fillon und 15,23% für Macron - der im nahen Mulhouse übrigens die Mehrheit erreichte.

Wie geht das zusammen?

Ich habe weiter geforscht. Einen Artikel gefunden, der von einer tiefen Spaltung im Dorf schreibt, zwischen Bürgermeister und "Ökos" - und dem Rest, der von der Idee nicht überzeugt ist. Das Hauptproblem scheint zu sein: Der inzwischen 71jährige Bürgermeister ist die eigentlich treibende Kraft, er trat nach 25 Jahren im Amt wieder zur Wahl an. Das ist vielen BürgerInnen doch zu viel. Nichtwähler, Front National erstarkten als Protest. Aber in Frankreich haben Bürgermeister eine Machtfülle wie kleine Könige - und die können sie auch lebenslang behalten.

Man wirft ihm vor, dass in den "partizipativen Gruppen" nur seine Anhänger seien und Gegner keine Chance hätten. Bei den Bürgermeisterwahlen trat sogar seine Tochter auf einer anderen Liste an, die seit 15 Jahren nicht mehr mit ihrem Vater spricht, wie es heißt. Laut diesem Artikel findet sie die Neuerungen im Dorf zwar positiv, verweist aber darauf, dass man auch mit der Zeit gehen müsse und noch ganz andere Entwicklungen anstünden. Nach seiner Wiederwahl 2014 gab es Unregelmäßigkeiten - ein Fall landete vor dem Gericht in Colmar: Verurteilung des Bürgermeisters wegen illegaler Vorteilnahme im Amt - es betraf Grundstücke und Hausausbau seiner Frau. Auch das kommt in Frankreich oft vor, wird aber immerhin juristisch verfolgt. Die rechten Parteien haben das natürlich ausgeschlachtet.

Es menschelt also auch um Monsieur Mensch und das perfekte Dorf und nicht jeder ist dem anderen grün. Die Verdienste sind natürlich nicht wegzuradieren, zum Glück, aber in den nächsten Jahren muss sich erweisen, ob der Bürgermeister seine Ideen und seine Begeisterung der nächsten Generation übergeben kann. Die womöglich ganz andere Bedürfnisse haben wird als arbeitende Pferde auf dem Acker! Es bleibt spannend, das Experiment. Und auch wenn nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen die Parteienlandschaft inzwischen genau das Gegenteil verheißt, machen doch wenigstens die ökologischen Ideen auch im Umkreis Schule. Man muss hoffen, dass bei der zweiten Runde die Vernunft siegt.

Weiterführende Links:
Mein Buch "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt"

Große Überraschung: Ich habe noch einige Exemplare des Hörbuchs von meiner Verlegerin ergattern können, die kann man ab sofort handsigniert HIER bestellen!


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20. April 2017

Pinterest - jetzt aber richtig!

Ich habe, weil ich beruflich damit arbeite, die gängigen Social-Media-Kanäle ausprobiert und bin an denen kleben geblieben, die nützlich sind. Mein Pinterest-Account dagegen war eine Karteileiche. Irgendwie erschloss sich mir weder der tiefere Sinn noch die Funktion - und von den Urheberrechten her empfinde ich es als problematisch. Aber damals hatte ich auch noch ein extralahmes Internet. Jetzt rast es nur so und so hab ich mal wieder reingeschaut. Und bin hängengeblieben. Plötzlich ist Pinterest ganz praktisch!

Fotos wie dieses würde ich inzwischen bei Pinterest sammeln, in meinem Album "Beauty of Natural Forms"

15. April 2017

Was ich fürs Schreiben lerne

Wer hier regelmäßig mitliest, weiß, dass ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr an einem Buch schreibe - und vorhabe, diese Pause aus unterschiedlichen Gründen so schnell nicht zu beenden. Wobei ich zugeben muss, dass ich derzeit an einem Tweet von Emma Coats herumbeiße. Die ist Story Artist bei Pixar und hat 22 Tweets zum Thema Storytelling losgelassen. Nr. 11 lautet folgendermaßen:
PUTTING IT ON PAPER lets you start fixing it. If it stays in your head, a perfect idea, you'll never share it with anyone.
Doch alles, was ich derzeit zu Papier bringe, ist mein Papierschmuck. Seltsamerweise bringt der mich meinem Schreiben näher als viele Jahre meiner Autorinnenkarriere. Was ich davon lerne?

Ein Moment der Euphorie: Wenn Natur und Kunst miteinander verschmelzen, neue Welten entstehen. Papier, Glas, Lavendel. Atelier Tetebrec.

1. April 2017

Tutorial: Passt Bunt zu Bunt?

Was ich jetzt versuchen werde, würde ich lieber als youtube-Video am lebendigen Körper zeigen und vor allem witziger erzählen. Nur leider werde ich mir auf absehbare Zeit die notwendige Technik dafür nicht anschaffen können und einen Model-Hals habe ich auch nicht mehr. Worum geht es? - Ich werde immer wieder von Kundinnen gefragt, ob man denn ein farbiges Schmuckstück auch auf Farbe tragen könne. Und wenn ja, auf welcher? Wie passt eigentlich was zusammen und welche Effekte ergeben sich durch Farbwechsel? Ein Problem gibt es beim Medium Foto im Internet: Farben werden nicht ganz echt dargestellt, wenn der Bildschirm der Betrachterin nicht richtig kalibriert ist, kann sich das nochmal verschieben. Ich hoffe, es kommt trotzdem rüber, was ich erklären will. Viel Spaß beim Herumprobieren!

Tipp: Einfach mal dieses Foto in Farbe ausdrucken, die Brosche ausschneiden und dann auf verschiedene Kleidungsstücke legen. Das Foto hat leider einen leichten Rotstich, das Beige kommt nicht ganz so bräunlich in der Realität.