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28. Februar 2017

Plötzlich eine Spur

Wenn ich alte Bücher zur Schmuckproduktion im Atelier Tetebrec sammle, erlebe ich oft Überraschungen. BücherliebhaberInnen werden das kennen, wenn andere Menschen Spuren hinterlassen haben. Nicht ganz so beliebt sind Kaffee- und Tintenflecken, aber die zerquetschte, gepresste Mücke in einem Roman des 19. Jahrhunderts kann durchaus die Fantasie anregen: Las die Besitzerin womöglich im Garten - und zu welcher Zeit? Wenn diese Mücke erzählen könnte, was würde sie uns berichten?

Ein Larousse um 1920 - und plötzlich fällt eine Bescheinigung in Schönschrift heraus - aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs.
Am spannendsten sind oft vergessene Zettel. Ich habe eine Sammlung religiöser Spruchbildchen und Poesiealbenbilder vom Beginn des 20. Jahrhunderts - sie fielen aus Büchern, die ich aus dem Müll gerettet hatte. Eben zerstückle ich gerade einen riesigen Larousse, eine französische Enzyklopädie von ca. 1920. Natürlich verwende ich nur wirklich kaputte Bücher, die nicht mehr zu retten sind, zu wertvoll wären mir sonst die Ausflüge in ihre Inhalte. Ich lese mich regelmäßig fest und staune! 1920 in Frankreich: Fast nur Männer auf den Abbildungen und jede Menge Waffenwissen. Der Krieg hat die allgemeine Kultur durchdrungen: Ich lerne alles über unterschiedliche Patronenformen und wie man welches Gewehr perfekt hält. Immer wieder Soldaten. Frauen tauchen allenfalls als alte Göttinnen auf, als Königinnen, wenn man sie nun wirklich nicht mehr totschweigen kann - und als Verkörperung von Schönheit. Nur Jeanne d'Arc, die haben sie auch noch ausführlich erwähnt.

Aber es ist ausnahmweise nicht das Lexikon, das mich gefangen nimmt. Es ist der Zettel, der herausfiel. "Certificate" steht darauf und jemand hat offenbar einen englischen Text erst einmal entworfen, mehrfach gestrichen, geändert. Es ist eine Spur in die Geschichte des Elsass, zu den unseligen Schicksalen, welche die Bevölkerung zwischen Naziokkupation und Flucht in die französischen Teile des Landes bis zur Befreiung erlitt. Ich möchte hier einfach den Text mit Originalstreichungen abschreiben. Als Zeugnis. Als Mahnung. Seine Worte sind einfach - die Geschichten dahinter könnten sicherlich Romane füllen. Es wäre zu schade, wenn man ihn vergäße ... denn auch in heutigen Kriegen bleibt Menschen manchmal nicht mehr, als einen solchen Zettel zu deponieren.

Certificate

Mrs N. N. was living in this house till two months ago. Then she was obliged to leave it because it is situated so near by the railway-station which was to several times attacked by allied fighting planes.

The daughter of Mrs N. N., Mrs S., is always the proprietor of this house. She was driven out away by the Germans in December 1940. Since that time she was living in south of France. She is counting to will come back in her house to village X as soon as possible.

Rückseite:
The proprietor of this house is Frenchman. He was obliged with his family to leave it, because it is situated so near by the railway-station, which was to several times attacked by fighting-planes.
Now he is living in the next village of Y, but he will come back in several days.

The soldiers are requested to take care the furnitures and all things in this house.

19. Februar 2017

Entzugsprogramm oder medialer Ungehorsam?

Seit gestern bin ich völlig absorbiert von kindlichem Gematsche. Sprich, ich will nicht nur das aus Schulzeiten altbekannte Papiermaché herstellen, sondern sogenanntes "paper mache clay", also lufttrocknende Modelliermasse aus Papier. Dazu habe ich mich zuerst einmal durch zig Rezepte im Internet gewühlt. Nachteil: Manche Ingredienzien sind nicht immer so einfach übersetzbar und auch nicht exakt in der gleichen Mischung in jedem Land zu bekommen. Aber keine Angst, ich will hier nicht von Pappe reden! Sondern von dem Effekt, den das Gematsche auf mich hatte.

Wirkt auf mich immer erdend und wohltuend: Tiere. Egal welche. Einfach schauen, miteinander reden, schauen.

12. Februar 2017

Der Wald in der Stadt

Stell dir vor, du öffnest morgens in der Großstadt dein Fenster ... und atmest Wald.
Eine Zukunftsvision? In meiner Jugend schrieb man noch den Spontispruch "Unterm Pflaster liegt der Strand" auf Beton, zeichnete daneben ein einsames Löwenzahnpflänzchen, das die Kraft hat, auch harte Oberflächen zu durchdringen. Wer "Öko" war, flüchtete aufs Land, träumte vom einsam gelegenen Bauernhof. Seit Trendsetter in New York, Paris oder Berlin es vormachen, gerät allerdings immer mehr Natur in die Metropolen. Samenbomben auf öffentliche Flächen zu werfen, ist längst nicht mehr anarchistische Revolutionsgeste, inzwischen pflegen Anhänger von Incredible Edible und "Die essbare Stadt" ihre Allmendbeete mit dem offiziellen Segen der Kommunen. Aus dem Guerilla Gardening der 1970er und 2010er ist "Urban Gardening" geworden und der Hipster, der auf sich hält, züchtet Bienen auf dem Balkon. Die Bewegung der Hobbyimker ist übrigens schon so groß, dass man Auswüchse moniert. Wie viel Natur "kann" eine Metropole?

Auch auf dem unwirtlichsten Boden siedeln sich Pflanzen an - wie dieses Moos auf einem Betonpfeiler.

10. Februar 2017

Mutmacherbrief

Es ist nicht einfach, in Zeiten der Übererregung und Angstmacherei bei sich selbst zu bleiben und die Hoffnung nicht zu verlieren. Die Hoffnung darauf, dass wir es letztlich selbst in der Hand haben, was wir aus dieser Welt machen möchten. Es ist nicht einfach, sich vom Dauerlärm der Schlagzeilen zu lösen, von den Horrorclowns der politischen Showbühne. Mir ging das gestern so in Frankreich: Per FB prasselten aus Deutschland die "Eilmeldungen" über einen "Atomunfall" herein. Je nach Emotionsfaktor des Mediums ruckelte entweder der gesamte Reaktor oder wurden andere Horrorszenarien heraufbeschworen. Sollte ich mich im Keller einschließen? - Nicht, dass ich AKWs verniedlichen will, aber ein Googeln nach den Quellen verschaffte mir ein anderes Bild: Der Brand war zum Zeitpunkt der Meldungsschwemme längst gelöscht und zwar meldepflichtig, aber doch harmlos und nicht im direkten Gefahrenbereich ausgebrochen. Ich konnte mein Mittagessen genießen. Ausschalten, Ausloggen: eine Möglichkeit. Es gibt aber bessere Ideen.

Angst vor dem Abgrund? Warum nicht einfach Giraffen füttern? (Foto: NatoPereira, pixabay)

3. Februar 2017

Mit halber Kraft voraus

Ich wollte so viel mehr geschafft haben. Geht mir wahrscheinlich ähnlich wie vielen. Da ist einerseits die Weltpolitik mit einem trump'schen Drall, die ich manchmal zu gebannt beobachte, aber auch beobachten muss, um darüber schreiben zu können. Dabei entwickelt sich durchaus auch Hoffnung, weil sich immer mehr Menschen und Gruppen verbünden, die vorher recht unpolitisch gewesen waren. Ich selektioniere die für mich wichtigsten Nachrichten und Debatten bei Facebook und schütte bei Twitter großzügiger Tagesaktuelles aus, natürlich auch zu anderen Themen. Social-Media-Buttons zum Folgen gibt's im Blog oben, unten, an der Seite ...

Nein, ich bin noch kein Vampir, das ist die Milchzahnsammlung von Bilbo. Aber ich wünsche mir gerade robuste Zähne, wie sie ein Hund hat!