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26. Juli 2016

Kalt erwischt: Der Affe in uns sehnt sich

Ich musste mich heute anraunzen lassen. Weil ich mich erdreistete, das Leben als schön und die Welt als faszinierend zu bezeichnen. Ich bekam gestern Saures. Weil ich versucht habe, im Blog differenziert jenseits des Mainstreamplapperns nachzudenken und eine Lanze zu brechen für all die unschuldigen Opfer von Krankheiten, die nie und nimmer zu Tätern werden, auch wenn die Boulevardpresse das gerne einfacher hätte. Ich werde als unbequem empfunden, weil ich Kollegen frage, wieso sie schon von "Terrorismus" wissen, wenn die Täter gerade erst fünf Minuten tot sind und nicht einmal die Polizei mehr weiß. Jetzt erst recht! Mich kriegt ihr nicht in diesen verheerenden Sog der schieren Anbetung von Katastrophen. Ich bleibe auf der Seite des Lebens. Und deshalb möchte ich laut darüber nachdenken, ob man nicht diesem "Dingens" auf die Spur kommen könnte, das uns wider alle Vernunft glauben macht, die Welt wäre derzeit voller Untergang. Man bräuchte dazu ganze Bücher ... aber ich kann ja mal klein und unvollkommen anfangen? Mit einer Artikelserie: "Kalt erwischt".
Als der Mensch sich im Spiegel des Wassers selbst erkannte, war das ein Bewusstseinssprung. Narziss jedoch wollte sich selbstverliebt nicht lösen ... er hätte sonst womöglich eine Entfremdung gespürt. Michelangelo Caravaggio: Narziss (The York Project via Wikipedia, GNU Free Documentation License)

23. Juli 2016

Durchgeknallt?

Gestern ist einer "durchgeknallt". Nicht in München, sondern irgendwo in einem idyllischen deutschen Mittelgebirge. Eine Bekannte arbeitet in einer psychiatrischen Klinik und bekam einen "Dauergast" zu sehen, der ungefähr ein, zwei Mal im Jahr vorbeikommt, um sich die Medikamente wieder genau einstellen zu lassen. Oder eben wie gestern, wenn er wieder überlaut Stimmen hört und eine akute Psychose droht. Manchmal hat er solche Angst vor der Hilfe, dass es zu spät und der Aufstieg aus der Verwirrung ein langwieriger ist. Oft sorgen Angehörige mit dem Arzt in liebevoller Kleinarbeit dafür, dass er einer Einweisung zustimmt. Einmal hat eine Zwangseinweisung sein müssen, weil Selbstgefährdung vorlag. Diesmal aber hat er es ganz alleine geschafft, für eine Notfall-Erstversorgung vorbeizukommen. Ein Sieg gegen die Krankheit! Ihm wird dieser Schritt zunehmend schwerer. Nicht, weil die Therapie nichts taugen würde oder die Stimmen dazwischenreden würden. Schlimmer.


13. Juli 2016

Lavendelblues oder vom Arbeiten mit Sinn

"Wir wollen unsere Begabungen und die Ressourcen der Gegend nutzen. Und wir wollen eine Arbeit mit Sinn, eine Arbeit, die uns und unseren Kunden Spaß bringt." 
Diese Sätze lese ich, als ich ein Buch an zufälliger Stelle aufschlage. Und denke nicht zum ersten Mal: Das bin ja ich! Nicht sehr verwunderlich, denn es ist mein eigener Roman "Lavendelblues", der 2006 zum ersten Mal erschien. Und doch fühlt es sich schräg an. Hätte man mich nämlich damals gefragt, ob das Buch mit meinem Leben irgendetwas zu tun hätte, hätte ich noch antworten müssen: nicht viel, das ist alles zusammengesponnen! Aus der Realität habe ich mich nur an zwei Fakten bedient: der Krisenstimmung in Deutschland und einer Boutique im Elsass, in der ich damals gern einkaufte. Sie ist längst pleite ... die Krisenstimmung herrscht immer noch in Europa.


8. Juli 2016

Muss ich immer etwas sagen?

Schon mindestens fünf Blogbeiträge habe ich angefangen und wieder in die Tonne geklopft. So viel wäre zu sagen in diesen überhitzten Zeiten, in denen endlich auch das Klima ein wenig den Emotionen hinterher hinkt. So viel Wichtiges wäre zu sagen. Über eine Vision von Europa, an die ich trotz all der viel zu kurz gedachten Grabreden jetzt erst recht glaube. Über die Frage, ob man nun ständig etwas über die AfD und Rechtsradikale mitteilen muss. Über das seltsame Gebaren, dass wir alle Charlie waren, aber keiner Bagdad sein will. Oder zu den Streitereien in Frankreich, ob Linke nicht auch nur Rechte seien oder eine Volksbewegung gezielt kleingehalten werden soll. Dabei reden doch schon alle darüber und teilen sich die Finger wund. Es ändert sich nur nichts, es breitet sich eine lähmende, absolut negative Stimmung aus. Viele glauben schon gar nicht mehr an eine Zukunft. Toxische Erregungskultur nennt das der Trendforscher Matthias Horx, der einen Neustart fordert und sagt: "Menschen sind letzten Endes Dorfbewohner. Und wir versuchen mit dem Internet natürlich oft, eine Großstadt quasi im Dorf zu simulieren. Das kann nicht gut gehen."

Wieviel Dorf verträgt die Welt? Und was wäre, wenn wir miteinander spielen würden, anstatt uns mit Sand zu bewerfen?
In solchen Zeiten mache ich genau das, was Horx für gefährlich hält: Ich fokussiere aufs Dorf. Ich schaue genau hin, aber aufs echte. "Herunterfahren" könnte man das im Internetzeitalter nennen, als Autorin will ich einfach genau wissen, wie und warum Menschen so ticken, wie sie ticken.

Deshalb möchte ich eine Geschichte aus dem fiktiven Dorf Grandvillage erzählen, eine fiktive Geschichte, die sich womöglich so ähnlich zugetragen hat oder auch nicht. Grandvillage hat ein großes Fest gefeiert, wie jedes Jahr, mit gemütlichem Beisammensein und Bummdarassa. Es begab sich aber in diesem Dorf, dass ein Pferdezüchter ausscherte, auf dessen Hof in jedem Jahr gern die Tassen, pardon Weingläser, gehoben wurden. Weil es so gemütlich war, der Mann so nett und gastfreundlich, das Leben dort so schön.

Jenes Dorf wollte nun plötzlich Großstadt simulieren. Winzer und Restaurateur hatten nämlich die Idee, dass so ein Fest doch Kundschaft ins Dorf und Geld in die eigenen Beutel spülen könne. Also wollte man einen Verein gründen und jeden hineinpressen, der irgendwie zum Anschaffen geschaffen schien. Das ist wie bei Facebook - Klickvieh macht Mist und erst mit genügend Daten ist die Community valide. Und so schaufelten sie fröhlich Leute herbei zum "Befreunden": Eine alte Dame, die für Hobbymärkte häkelte, den Pfarrer wegen der vielen Schäfchen und den Schafbauern gleich mit - vor allem aber jenen Pferdezüchter. Der war ja so gastfreundlich und gab so gern, dachten Winzer und Restaurateur und sahen im Geiste all die Reitenden bei sich einkehren.

Es gab Sitzungen, es gab lange Gespräche, in denen immer klarer wurde: Eigentlich wollten Winzer und Restaurateur nur elend viel Geld machen auf dem Rücken der anderen. Der Pferdezüchter war nicht dumm und wurde zum Widerständler. Denn die beiden wollten seinen Hof okkupieren, alle Leistung umsonst, kein Risiko - einen Dummen suchten sie. Was dann folgte, hätte in Clochemerle spielen können.

Anders betrachtet, spielte sich ab, was sich in Social Media auch oft zeigt: Man drohte und keifte. Bildete untereinander verlinkte Kleinstparteien. Meldete jemanden, entfreundete den nächsten, trollte und spammte einen anderen. Dorf eben, das Großstadt spielt, denn in der Großstadt sind sie nicht besser, nur anonymer. Und alles irgendwie nicht der Rede wert, weil sich alle zusammen viel zu wichtig nahmen. Die Welt kann ganz gut ohne dieses Dorf.

Spannender ist es zu sehen, wie sich Wahrnehmungen verschieben. Im Dorf selbst, in der Filterbubble, hatten alle schreckliche Angst vor dem Winzer. Der könnte sich ja womöglich mit seinen Freunden gegen einen verbünden - also müsse man vorsichtig sein. Darum drosch der Winzer nochmal so lustig los. Für mich als Außenstehende deshalb interessant, weil ich weiß: Dieser spezielle Winzer hat gar keine Freunde. Der ist über die Grenzen hinaus unbeliebt, sein Wein erntet auf Bewertungsplattformen auch schon mal Häme. Keiner mag den wirklich, man redet eigentlich nur so gern mit ihm, weil man dabei Wein trinken kann. Angst haben vor so einem? Vor einem, der außerhalb der Filterbubble gar nicht wahrgenommen wird?

Muss ich noch sagen, dass auch der Restaurateur einer ist, der wegen seiner Gier ums Überleben kämpft und meint, mit Kriegereien und Ausnutzen anderer mache man mehr Umsatz? Der hat das Kommunizieren in Social Media sozusagen noch nicht begriffen. Geschnitten haben sie dann den Pferdezüchter. Und der hat sich amüsiert. Mit seinen echten Freunden hat er zugeschaut, wie die falsche Filterblase einfach platzt. Poff. Des Königs neue Kleider: Ganz ohne jeden Tratsch und aufgeregtes Teilen haben sich da einige selbst die Hosen heruntergelassen. Das Dorf lebt weiter, für die Zukunft haben diese Leute absolut nichts geschaffen, zum Positiven verändert schon gar nicht.

Warum ich solchen Quatsch erzähle? Weil es mir in Social Media immer öfter so geht wie beim Dorffest in Grandvillage, wo ein Wein aus Clochemerle kredenzt wird. Ich stelle mir immer öfter die Frage bei einem Posting, bei einem geteilten Link: Cui bono - wem nützt es?
Oder andersherum gefragt: Was bewirke ich tatsächlich, wenn ich das jetzt auch noch teile?

Mir fällt nämlich derzeit auf, wie Phrasen bestimmter rechtsradikaler Politiker bis zum Umfallen geteilt werden. So oft, dass ich sie schon bald auswendig kann. Sie setzen sich in meinem Kopf fest, ohne dass ich das möchte. Nach dem so und so vielten Mal klingen sie fast normal, wenn ich nicht aufpasse. Denn man gewöhnt sich daran. Nicht, dass ich Rechtsradikale unter meinen "Freunden" hätte. Es sind wackere BürgerInnen, die sich aufregen. Die in Empörung Schlimmes teilen. Und sich von ebenso Empörten Bestätigung holen, denn andere haben sie nicht in der Filterbubbel.

Wen also soll das aufklären und worüber? Erreichen sie irgendetwas bei denen, die solche Reden bejubeln? Wie viel Widerstand leisten sie wirklich und wie effektiv ist das gegen Rechts? Was machen eigentlich diese miesen, fiesen Energien mit einem selbst, wenn man sie tagtäglich aufsaugt?

Ich habe immer öfter meine Zweifel. Denn so arbeitet Propaganda ja. Der Winzer mault ja nur deshalb wie ein wildgewordenes Viech bei den Versammlungen herum, weil er darauf hofft, dass er nur wegen der Provokation schon damit ins Dorfblättchen kommt. Der will, dass sich Tante Erna, der Pfarrer und der Pferdezüchter erregen, denn dann bleibt von seinem Geschwalle vielleicht auch ein wenig bei deren Freunden im Ohr. Und entfaltet seine Wirkung ...

Der Pferdezüchter hat sich herausgenommen. Er hat dem Winzer und seinen Genossen das Podium entzogen und sie ins Festzelt verwiesen. Dort feierten die dann ziemlich allein, weil die wackeren Dorfbewohner lieber zu einem ganz anderen Fest fuhren. Die miesen Enrgien breiteten sich sozusagen aus, um dann mit Wucht auf die Verursacher zurückzufallen. Nicht, dass die irgend etwas bemerkt hätten oder schlauer geworden wären. Aber der Pferdezüchter macht jetzt sein eigenes Ding. Er weiß, was sein Hof, seine Gastfreundschaft und seine Art wert sind, wenn es um Convivialität geht. Das Potential will er nutzen. Er hat sich aus dem Stream ausgeklingt, aus den Automatismen. Und agiert nun, statt zu re-agieren. Bringt seine Visionen und Zukunft ins Spiel. Er hat Ideen fürs Dorf und redet nicht lang, sondern macht. Noch hat er nicht die Masse an blinden Followern wie der Winzer mit seinem Wein. Aber es spricht sich herum. Hier ein Like, dort ein Like. Er steckt an. Andere scheren aus den Automatismen aus und fragen sich: Was bewirke ich mit meiner Kommunikation, meiner Handlung wirklich? Was will ich erreichen? Gibt es dafür effektivere Wege? Es werden täglich mehr, die agieren statt zu reagieren.

Spenden in die Kaffeekasse gehen diesmal voll an meinen Assistenten Bilbo Möchtegern-Beagle: herrlich stinkendes Kauzeug!


PS: Die Links in diesem Beitrag führen auf sehr ausführliche Beiträge, die allerdings höchst spannend sind für Hintergründe und Debatten - für alle, die gern noch ein wenig mehr nachdenken wollen.