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Der Mörder ist nicht immer der Gärtner! |
Ich mag auch nicht immer brutalere und grausamere Fernsehkrimis, wo ich quasi live beim Sezieren in Brustkörbe eintauche oder mir in minutenlangen Einstellungen mitansehen muss, wie ein gescheiterter skandinavischer Alkoholiker jungen blonden Frauen bei lebendigem Leib die Leber in Stückchen herausschneidet, nur, weil ihm seine blonde Mutter gesagt hat, er solle gefälligst aufhören, auf den Nägeln zu kauen!
Ausgerechnet ich, die ich die gesammelten Werke besitze von Leuchten wie Dashiell Hammett, Ross MacDonald oder Raymond Chandler ... ganz zu schweigen von den großen Engländerinnen wie Dorothy Sayers, Agatha Christie, Martha Grimes oder P. D. James, finde in meinem Lieblings-Genre zwar jede Menge einfallsloser Cover in Schwarz-Weiß-Rot-Optik, aber kaum noch Lesbares. Tana French und Ian Rankin waren meine letzten Entdeckungen - bevor ich allerdings einen skandinavischen Krimi lese, kann ich gleich zu viel Wodka trinken. Aber ich kann doch nicht immer nur Inspektor Barnaby anschauen (und dabei einschlafen)!
Ich weiß, in Midsomer fallen wahrscheinlich mehr Menschen tot um als unter der Schreckensherrschaft des durchgeknalltesten Serienmörders. Man kann solchen Krimis eine Menge vorwerfen: Vom öden Seniorenfutter bis zur fragwürdigen Perversion, mordlüsterne Dorfbewohner zu verharmlosen, als seien sie Dekor aus einem Pilcherfilm. Aber eines sind sie immer: Whodunnits, die guten alten Rätselkrimis, bei denen man sich eigentlich am eigenen Scharfsinn ergötzt und daran, dass die chaotische Weltlage am Ende endlich wieder in Ordnung gebracht wird. Kann es sein, dass mit der derzeit grausamen und brandgefährlichen Weltlage das Bedürfnis nach einem schön gestylten "Kuschelmord" wieder wächst? Für alles andere haben wir doch die IS und die Ukraine?
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Gärten verraten viel über Menschen. Auch über Mörder ... |
Jedenfalls ist mir etwas Nettes passiert: Durch meinen frisch operierten Hund ein paar Tage außer Gefecht gesetzt an einem Laptop ohne Internet, kramte ich meine Festplatte durch. Und fand einen nunmehr sechs Jahre alten Text, der so beginnt:
Es war einer jener Tage, an denen zwei Dinge besonders nervten: hohe Brennnesseln und wunderliche alte Damen.Nie wieder werde ich Romane schreiben, dachte ich ein Jahr nach Verfassen der rund 160 Seiten. Denn ich hatte damals einen völlig unerklärlichen Reinfall erlebt: Mein Agent bekam das Manuskript auch im großen Verlagsdurchgang nicht los. Nicht etwa, weil es schlecht gewesen wäre. Lob kam aus den feinsten Verlagen, ein paar besonders mutige Lektorinnen gestanden heimlich, echtes Vergnügen empfunden zu haben. Aber solche Krimis wolle keiner. Das dürften sie nicht ankaufen. Viel zu gemütlich! Das könne ich in England loswerden, wenn ich Engländerin wäre, womöglich sogar als Lizenz nach Deutschland verkaufen (welche Perversion!). Das seien ja Dorfzustände wie in dieser "neuen" Serie, wenn auch rasanter und humorvoller ... also dieser komische Barnaby, den ja garantiert kaum jemand gucken würde. Ob ich nicht was mit Serienmördern hätte. Härter bitte, ein wenig Folter, mehr Blut. In meinem Manuskript floss leider gar keins sichtbar.
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Die Ideen liegen auf dem Lande auf der Straße ... |
Regiokrimi wollte ich auch nicht. Zu viel Lektorenbaukastenwünsche. Nein, mein Rosenried ist eine fiktive Region wie Midsomer ... nur die Orte am Rande lassen einen rätseln, ob es diese Landschaft nicht doch gibt - aber die Welt selbst mit ihren skurrilen Bewohnern ist natürlich dreist erfunden und erlogen!
Tja, damals war ich noch naiv und glaubte den Verlagsleuten ihr Bild vom "gemeinen Leser". Sechs Jahre später lese ich das Manuskript äußerst selbstkritisch und bin ... begeistert! Das bin ich selten von eigenen Texten. Aber ich bin mir sicher, dass heute der Hunger da draußen nach mehr Gemütlichkeit noch größer ist als damals. "Cozy mystery" ("cozies"), ein echt englisches Untergenre wie die "amateur sleuths", muss ganz und gar nicht daherkommen wie eine Seniorensendung zum Altenheimabendbrot um 17 Uhr! Es darf durchaus psychologisch genau Menschen nachzeichnen und die heutige Gesellschaft vorführen. Aber es soll, verdammt noch mal, vor allem richtig gut unterhalten und darf dann auch mal die Folterbilder aus den Nachrichten mit Bildern von netten, sauberen Leichen überlagern, wie sie sie Tante Erna und Onkel Erwin am heimischen Kamin ermordet haben könnten. Meine Liebe zu Miss Marple kann ich nicht leugnen.
Ich wollte nie wieder Romane schreiben. Aber was geht mich mein Geschwätz von gestern an?
Nie war die Zeit reifer für Gemütlichkeit. Und mein Ermittlertrio um die Hilfsgärtnerin Amanda Joos ist nicht totzukriegen!
Nicht, dass ich jetzt demnächst damit herauskäme oder sonst nichts zu tun habe. Geldverdienen geht natürlich vor. Aber ich gestehe: Ich habe die konzentrierten Tage damit zugebracht, das Manuskript aus dem wohltuenden zeitlichen Abstand heraus gründlich zu lektorieren. Heute kann ich Dinge, die ich damals nur ungenügend schaffte. Heute weiß ich, wie es geht. Und wenn mal wieder ein mieses Fernsehprogramm mit blutstrotzenden Folterkrimis läuft, dann schreibe ich mir meine Leichen selbst schön. Man hat ja sonst keine Hobbys.
Aber mal ehrlich: Ich kann doch nicht einen Text von 160 Seiten, wo gerade eine zweite Leiche auf einem Komposthaufen gefunden wird, der auch noch frisch überarbeitet wurde (der Text, nicht der Kompost), einfach wegwerfen? Was für ein Verbrechen! (Was für ein mieser Bandwurmsatz). Zumal mir dieser lange Schlaks von scheinbar (!) dämlichem Kommissar mit seiner Marzipansucht schon genauso ans Herz gewachsen ist wie die schräge Ela mit ihrem polnisch-absurden Humor. Ich kichere immer noch, wie die ihren Schwiegersohn in spe beim angeblichen Augenzeugen einschleust ... oder über Hildegard Nöten, die Dorffrau in Kittelschürze, die um den Kaplan herumscharwenzelt, der sich viel zu gut mit Pflanzengiften auskennt. Ach, hab ich schon von der schönen jungen Frau erzählt, die alles mit einem tiefen Lungenhauch spricht? Oder wie Amanda in die Kondolenzrunde auf dem Dorf platzt, die in ein lustiges Bierbesäufnis ausartet?
PS: Ja, ich erzähle diese Geschichte seit wahrscheinlich sechs Jahren immer wieder. Aber Schriftsteller brauchen das manchmal. Während sich der Rest der Welt Mut mit Alkohol antrinkt, müssen wir uns Mut anschreiben.