Für Bucherfolge, so scheint es, muss man nicht unbedingt überdurchschnittlich begabt sein in diesen Zeiten: Man muss nur eine ganze Menge Kohle haben. Richtig extrem viel Kohle. So sieht's jedenfalls um Skandalautor James Frey aus, der die Welt nun mit einem Multimediaspektakel beglücken will. Die Idee ist alles andere als neu: Einer schreibt ein Buch und verkauft gleich im Bundle Lizenzen in andere Medien hinein: Film, App, Spiel, weltweite Übersetzungen sowieso. Das machen andere auch schon, "blubbern" aber nicht so laut über "crossmediale Ereignisse". Meine Anna Orlando beispielsweise ist auch Teil eines Transmedia-Projekts, an dessen Ende mal ein Buch stehen soll. Nur ist sie gerade am Fernsehen gescheitert: Die ARD hat sich kürzlich für eine Kutschfahrt mit Promi-Model entschieden statt für einen Fußmarsch mit einer Unbekannten. Es muss also schon viele Nummern größer sein!
James Frey, der nicht identisch ist mit dem James N. Frey, welcher immer besser weiß, wie man gute Romane schreibt, hat dagegen gleich 20th Century Fox hinter sich. Und andere Großkopfete, die fett und aggressiv in die PR einsteigen können, eigene Angestellte hat er auch. Denn so ein einzelner Autor allein reißt so ein Multimediaspektakel nicht auf einer Backe sitzend herunter. Nun hatte sich's aber gerade dieser Autor mit seiner Lesergemeinde aufgrund einer erstunkenen und erlogenen Autobiografie verscherzt. Seine Angestellten und Lohnschreiber soll er jämmerlich bezahlen, konnte man im New York Magazin lesen. Kein Problem ... damit die Leute so richtig heiß anspringen auf seinen Stoff, sind diesmal reale Millionen zu gewinnen. Diese Idee ist durchaus neu: Versprechen wir künftig unseren Lesern eine Art Schmerzensgeld fürs Lesen ... und damit wir nicht an alle ausschütten müssen, machen wir einen Hauptgewinn daraus. Schlau. Kreatives Zocken statt Schriftstellerei.
Dieser Hauptgewinn nun soll mit Riesentrara in einem gläsernen Schrank präsentiert werden. Hoppla. Moment mal. Das war doch alles schon mal da! Genau so, wie er mit seinem Büro von Billigschreibern Alexandre Dumas nachmacht, gab's auch schon mal diesen gläsernen Schrank. Es sollte die größte Betrugsgeschichte der Literatur werden!
Es war einmal ein weitscheifiger Schreiber bei einer Pariser Klatschzeitung, dem Merle blanc. Der dachte sich einen "Scherz" aus und setzte mit dem Zeitungsmacher und einem Kerl namens Desnos einen Scheinvertrag auf: Der junge Schriftsteller würde sich verpflichten, in einem eigens gebauten Glasschrank - vor dem Moulin Rouge - mitten im Publikum einen Roman zu schreiben. Damit das Ganze nicht zu einfach würde, in Echtzeit, in nur drei Tagen und Nächten. Paris Matin war bereits dafür gewonnen, die Fortsetzungsgeschichten abzudrucken. Und damit das Ganze noch schwieriger wurde, gab's so eine Art Crowdsourcing: Das Publikum würde dem Schriftsteller im Glaskasten Figuren und Plot zurufen können - der musste reagieren und alles verarbeiten.
Schmerzensgeld, pardon, Honorar, sollte dem jungen Mann im Glaskasten dafür gezahlt werden. Bei so viel PR und Öffentlichkeit nicht wenig. Und hey, das war immerhin vor dem Moulin Rouge, Freys Las Vegas von damals! Ein Vorschuss von 25.000 Francs war sofort fällig, der Rest der 100.000 Francs sollte nach Beendigung des Romans ausgezahlt werden. Das war 1927 eine Menge Geld! Der junge Mann kassierte schon mal seinen Vorschuss von den hoffnungsvollen Geldgebern.
Und prompt kam die Maschinerie in Gang: Was wenig kostet, ist bekanntlich nichts wert; was so viel kostet, musste das Hammer-Event werden! Berühmte Leute ließen sich öffentlich jubelnd für die PR einspannen: Youki und Robert Desnos, André Warnod und andere. Der Schriftsteller und seine Spießgesellen jubelten noch lauter: Sie hatten nie vorgehabt, je dieses Buch zu schreiben, je dieses Spiel zu spielen! Das einzige, was an diesem "Spaßbetrug" echt war, der die Literaturwelt vorführen sollte, war der Erfinder desselben: Georges Simenon.
Der 24jährige Redakteur Simenon bekam vor der Durchführung kalte Füße. Man brach das betrügerische Experiment kurz vor der Inszenierung ab. Ob Simenon seine 25.000 Francs je zurückgezahlt hat, ist nicht überliefert. Er ist nie in einen Glaskasten gestiegen und war doch fortan in Paris bekannt. Die PR hat seiner späteren Karriere nicht geschadet und Publikum wollte schon immer beeindruckt werden ... und sei die Blubberblase noch so leer.
Nun will uns also ein Schriftsteller Geld in einen Glasschrank legen. Mögen sie ihn auch weltweit so feiern, wie damals alle auf Simenon angesprungen sind: Diese Ideen sind alles andere als neu. Nur hat der Erfinder der Bombast-PR in der Buchbranche sich damals rechtzeitig auf das besonnen, was Bücher wirklich ausmacht.