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20. Juni 2014

Das Geheimnis des Bezauberns

"Storytelling" ist in aller Munde. Auch der kleinste Werber glaubt heutzutage, dass er unwiderstehliche "stories" in die Welt setzt, wenn das hochpolierte Auto nur durch die richtigen Landschaften düst. Und in der Folge glauben dann alle, die Social Media nutzen, dass man nur genügend Geschichtchen erzählen muss, damit einem die Leute atemlos folgen. Da ist natürlich etwas dran: Man folgt lieber witzigen Twitterern als denen, die täglich in grauer Routine erklären, wann sie Toilette und Dusche benutzen. Und man hat diese ewigen Fressbilder bei FB am schnellsten satt, wenn sie aussehen, wie schon mal gegessen, und sich nicht wirklich von anderen unterscheiden ... wenn also keine "story" dahinter steckt. Und so pappt man einfach ein Foto mit Botschaft in den virtuellen Raum ... im realen Raum abfotografiert, aufgepeppt mit "story" - mit welchem Effekt?

Twitter: "Gogol, die olle Nase, hat der Papier geschnieft?"
Gogol hätte womöglich die Nase gerümpft. Der schaffte nämlich eine ganz andere Magie: Er hat "einfach nur" Text verfasst, nämlich die Geschichte von einem Mann, der seine Nase verliert, und einem anderen, der zur Nase wird. Und diese verrückte Erzählung ist so eng mit dem realen Sankt Petersburg seiner Zeit verknüpft, dass man sie ihm einfach abnehmen muss und hineinschlüpft in diese Stadt, die Nase förmlich eine Kutsche besteigen sieht. Wer diese Erzählung liebt, wird die Bilder im Kopf nie mehr los, und seien sie noch so surreal. Sie würden sich bei einem Besuch im Handlungsort womöglich sofort wieder melden!

Nun haben ganze Generationen von Literaturwissenschaftlern versucht, das Rätsel zu lösen, das uns so rückhaltslos in Geschichten fallen lässt, so dass wir die Welten von Büchern fast real erleben. Ich werde den Teufel tun, dieses Geheimnis ebenfalls lösen zu wollen. Die einen Schriftsteller können es einfach und manche Autoren werden es nie richtig lernen. Weil man es nicht komplett lernen kann, niht künstlich erzeugen. Es hat viel mit der eigenen Haltung und Authentizität, den eigenen Leidenschaften und Begeisterungen zu tun.

Mich interessiert dabei ein anderer Aspekt - denn eine ähnliche Bezauberung erlebe ich im Theater. Ich wollte wissen: Was würde passieren, wenn man Geschichten nicht mehr in Büchern erzählt, auch nicht in Social Media, sondern im realen, dreidimensionalen Raum? Sozusagen "back to the roots", wie der Urmensch am Lagerfeuer? Wie würde hier "Bezauberung" funktionieren? Wollen die überkommunikativen Menschen von heute überhaupt noch Geschichten hören? Was macht es mit den Geschichten, wenn sie aus Buchdeckeln und Readern befreit werden ... in die frische Luft, den Straßenlärm, die Hetze einer Stadt?

Kann man Menschen zum Sehen von Nasen bringen?
Nichts ist öder als die herkömmlichen Stadt- und Museumsführungen, wo irgend wer wie eine Wikipedia auf zwei Beinen unaufhörlich schlauschwätzt und mit möglichst vielen Jahreszahlen um sich wirft. Ich konnte und wollte solchen Leuten schon als Kind nicht folgen: Da stand dieser magisch wirkende Gegenstand in einer Vitrine und schrie förmlich nach einer lustvollen Beschreibung und interessanten Geschichten ... und dann musste ich mir im Leierton anhören, dass der Soundso II. das Ding am 24. September Siebzehnhunderttobak gekauft hatte, um es am 25. seiner Frau zu schenken. Warum nicht erzählen, was der Soundso für ein Mensch war, wie seine Ehe lief, warum er seiner Frau ausgerechnet das Ding schenkte und warum er es so spät einkaufte? Und vielleicht steckte hinter dem Ding auch noch eine Geschichte? Oder noch besser: Vielleicht gab es eine Verbindung zu den Zuhörern, die auch manchmal Dinge verschenken oder spät einkaufen?

Ich musste dieses abstoßende Verfahren brechen. Vollkommen in die jeweilige Zeit schlüpfen. Was liegt da näher als eine Kunstfigur, die auch durch entsprechende Kostümierung optisch aus der Zeit fallen könnte? Und wenn es darum geht, sämtliche Jahreszahlen à la Schulunterricht aus einer Veranstaltung zu tilgen, so bin ich als Autorin radikal: Ich erfand Anna Orlando, die den gleichen Tick hat wie einst der Graf von Saint Germain: Sie lebt ewig. Sie könnte sogar, als Hommage an Virginia Woolfs "Orlando" bei Bedarf das Geschlecht wechseln. Hundert Jahre - kein Problem für diese Frau!

Und dann der Härtetest in der Stadt. Wo Glockenläuten einem die Stimme erschlägt, wo der Verkehr brandet und Busse im falschen Moment brummen, da schreien welche beim Fußballgucken und andere tapern einem entgegen, ohne vom Smartphone aufzusehen.

Der Bruch wird mit einem Hut und einer magischen Geste gemacht: Ab jetzt sind wir im 19. Jahrhundert - und was da lärmt, das sind Kutschen und Kaleschen, schreiende Händler und Esel. Es ist nicht einfach, in beweglicher "falscher" Kulisse bei der Rolle zu bleiben! Die unbeteiligten Passanten werden missbraucht, ohne es zu bemerken: Schaut euch um, Leute, schaut euch die Touristen an, die Einheimischen! Könnt ihr die Ganoven erkennen, die Badgäste ums Ohr hauen wollen? Seht ihr diese seltsam bleichen, ultradürren Frauen, die vor der Choleraepidemie geflüchtet sind? Oder die Leute mit dem glasigen Blick, die sich von ihren Notizen fürs Casino gar nicht losreißen können?

So verschiebt sich Wirklichkeit. Und sie verschiebt sich intensiver, wenn aus einem Hauseingang eine streitbare Frauenrechtlerin stürzen könnte, wenn in einem düsteren Keller Carlsbader Wasser gefälscht wird, um Reibach mit dummen Kurgästen zu machen. Da lässt sich spontan alles einbauen: der Reiherbrunnen ohne Wasser? Komische Schläuchlein daran und ein amtlicher Zettel? Da hat doch die sonst so bequemliche badisch-großherzogliche Polizei endlich einmal geschaltet und die Betrüger der Stadt dingfest gemacht! Aus mit dem vermeintlichen Carlsbader Luxussud!

Das sind die Momente, wo der Zauber geschieht. Da hat man sie alle plötzlich am Haken, die Menschen, die von sich glauben, sie lebten im 21. Jahrhundert. Der Brunnen ist ja real, das Amtspapier mit Händen zu fassen! Dass es von Reinigung und irgendwelchen Arbeiten spricht, kann doch nur Fiktion sein!

Und der Mann, der mich immer wieder unterbricht, um sein Wissen von den Häusern aus den 1970ern kund zu tun? Ich fasse ihn plötzlich an der Schulter und quietsche vernehmlich: "Vorsicht, einen Schritt zurück, beinahe hätte Sie die Kutsche auf dem Boulevard erfasst! Nur nicht mit dem Kopf in einem falschen Jahrhundert hängen, hier spielt die Musik, im neunzehnten!" Zweimal muss ich das nicht sagen - die Gruppe verstärkt die Zeitmaschine durch ihre Energien.

Die Menschen kippen. Die unverrückbar erscheinende alltägliche Perspektive ist gebrochen. Wie durch Zauberhand haben sie ihren eigenen Standpunkt verändert. Und so würden sie sich kein bißchen wundern, wenn jetzt vor dem Kurhaus tatsächlich der böse raunzende Mark Twain um die Ecke käme. Seine Geschichte von der Trinkhalle, so erzählt, wie er sie mir, der Anna Orlando, zuerst erzählt hat, beißt sich in den Köpfen fest. Da ist dieser eine Ausdruck, über den er sich lustig macht ...

"Ich werde nie wieder die Trinkhalle anschauen können, ohne sofort an diesen Ausdruck zu denken", gesteht nachher eine Teilnehmerin. Sie haben ein neues Wort geschenkt bekommen, das sie sonst nie benutzen würden. Und dieses Wort hat sich an einem Gebäude festgehakt, ist Teil ihrer Stadt geworden. Es schlägt Wurzeln, bildet Samen. Wenn diese Leute demnächst mit Familie oder Freunden an der Trinkhalle vorbeikommen werden - können sie dann still sein, schweigen? Oder platzt es aus ihnen heraus, dieses neue alte Wort, diese Geschichte? Sie werden die Geschichte weitererzählen, mit eigenen Worten. Mark Twain wird dadurch wieder durch die Stadt geistern.

Und nachher haben sie alle Appetit auf mehr, weil ich sie "ihre" Stadt mit völlig neuen Augen habe erleben lassen. Und weil ich keinen malträtierte mit Jahreszahlen und Wikipediakram. Wann es endlich "dieses Buch" gäbe, wollen einige wissen, mit Stadtplan und tollen Geschichten? Da muss ich allerdings vertrösten. Diesmal schreiben sich die Geschichten nämlich andersherum. Ich will noch viele Spaziergänge machen, zu unterschiedlichen Themen, will umgekehrt hinspüren, welche Figuren und Ereignisse mein Publikum leben lässt und wen es einfach übergehen mag. Ich will diesem Zauber nachspüren und dann den Zauber in ein Buch bannen, aber anders, als eigenes Medium. Jetzt habe ich erst einmal Blut geleckt, noch konsequenter zu Anna Orlando zu werden, noch deutlicher die Zeitmaschine zu betätigen.

Tipps:
Wassili Schukowski - das große Essay über den russischen Dichter in Baden-Baden
Nikolaj Gogol: "Die Nase" bei zeno.org lesen
Stadtspaziergänge in Baden-Baden mit Anna Orlando

14. Juni 2014

Wenn der Alp auf den Reader drückt

Normalerweise erzähle ich öffentlich keine Träume. Ich fürchte nicht so sehr fleißig mitschreibende Freudianer und Geheimdienstdeppen als vielmehr Langeweile beim Publikum. Aber der Traum von heute Nacht ist doch sehr bezeichnend.
Ich ging guter Dinge schlafen. Eigentlich sogar bester Dinge, denn eine Zuschauerin hatte mir eine überwältigende Mail zu meinem Theaterstück geschrieben, in der es u.a. hieß:
"Im Verlauf des Stückes wurden die so gegensätzlichen Gefühle, Träume und Visionen in eindrücklicher Brillanz erfahrbar und ließen beide Persönlichkeiten zur gelebten Wirklichkeit werden."
 Und dann stand ich im Traum plötzlich auf der Bühne, auf einer richtigen Theaterbühne ... und der Vorhang sollte aufgehen. Da ist passiert, was man wohl in solchen Momenten am meisten fürchtet: Mein Text war weg. Mein Kopf leer, fühlte sich an wie Watte. Keine Erinnerung an nichts mehr.

Die Schauspieler aufgeregt, versuchten, mir zu helfen. Ob ich wenigstens die Texte dabei hätte, sie zur Not ablesen könne. "Ich habe meinen Reader immer dabei", verkündete ich stolz und zückte meinen Kindle. Durchflog die Themengruppen, fand "Theater" ... und nichts! George Bernard Shaw, Anton Tschechow ... aber den Text von der komischen Trulla sah ich nicht. Aber der war doch bei den Proben noch da gewesen! Neuer Suchanlauf ... ich wollte in jedes Eck meines Readers spähen. Plötzlich ein Grinsekatzengesicht und die Meldung: "Dieses Stück ist bei Amazon nicht verfügbar, wofür halten Sie uns!" Hä?!? War das die Höhe!

"Bei Amazon gibt's das nicht", heulte ich den Schauspielern was vor, "was mach ich jetzt, es ist verschwunden!"

Drohend dräute der Dramaturg über mir und intonierte wie ein hohler Geist: "Ja, hast du denn deinen Text nicht auf PAPIER!? Bist du des Wahnsinns fette Beute?!?"

Ich wühlte verzweifelt in einer Handtasche, deren Inneres mindestens so groß und dunkel wie die Arktis wurde ... und fand die urkomischsten Dinge, aber kein Papier. Derweil dräute auch der Vorhang gefährlich ...

Ein letzter verzweifelter Griff zum E-Reader, vielleicht hatte ich ja aus Panik den Text nur übersehen. Passiert häufig, dass man kopflos und eilig etwas sucht, das ganze Haus auf den Kopf stellt und nachher findet es sich genau dort, wo es immer war. Ich also wieder auf den Anschaltknopf gedrückt. Kommt ein Bild mit einer leeren Batterie und den Worten: "Ich habe keinen Saft mehr. Glaubst du, ich lebe ewig?!?"

Das hat mir den Rest gegeben. Über der verzweifelten Suche nach einem Ausdruck meines Textes in den Requisiten bin ich dann panikartig aufgewacht.

So eine Aufregung, nur ja hoffentlich nicht zu versagen, wirkt ganz schön lange nach. Zuletzt hatte ich das mit Träumen, ich müsse nochmal das Abitur machen. Dabei ist der Erfolg schon bald einen Monat her. Dabei lese ich im Moment lauter begeisterte Zuschriften. Aber über all das kann man hinwegkommen. Viel erschütternder finde ich, dass die Branchendiskussion um Papierbuch oder E-Book solche bedrohlichen Formen annehmen kann und mein Reader nachts ein äußerst zweifelhaftes Eigenleben führt. Aber an diesem Traum ist ganz sicher wieder nur Amazon schuld, mein Buchhändler hätte solche Dialoge nie gesprochen ...

PS: Ja ja, ich weiß, Autorinnen inszenieren jeden Text. Aber ich schwöre hoch und heilig, die Dialoge sind echt. Ähm ... nur den verhunzten Shakespeare, den habe ich mir nicht verkneifen können, nachträglich einzusetzen.
PPS: Apropos Autoren und ihre seltsamen Träume: Christa S. Lotz hat da einen herrlichen Hamster zu bieten!

9. Juni 2014

Zuschauer-Feedback

Weiter unten soll das nicht in den Kommentaren untergehen, denn es ist zu schön. Lydia hat die szenische Lesung meines Stücks "Jeux - russische Spiele in Baden-Baden" gesehen und mir folgende Zeilen geschickt:

"Was soll ich sagen: Es war ein toller Abend. Ein Stück wie ein Tanz, voll Begeisterung, Enttäuschung, Verzweiflung zugleich. Die authentische Atmosphäre entsteht schon bei der Einführung der Autorin, die in der Rolle des Hotel-Zimmermädchens mit markanten Kommentaren und pikanten Details aufwartet.

Das Stück selbst beginnt langsam. Die beiden Figuren umschleichen einander mit Vorsicht und Skepsis. Schicht um Schicht schält der Text die künstlerischen, ökonomischen und emotionalen Konflikte heraus, tastet sich an den Kern der Sache heran. Einfühlsame Monologe gewähren dem Zuschauer Einblicke ins Innere der beiden Akteure, in dynamischen Dialogen spitzt sich der Konflikt zu. Man kann beide Figuren verstehen, keiner ist zu verurteilen. Mit Daniel Arthur Fischer und Sebastian Mirow haben Nijinsky und Diaghilew eine ideale Besetzung gefunden.

Ich jedenfalls wünsche Deinen JEUX von Herzen, dass sie bald auf einer richtigen Theaterbühne zum Leben erweckt werden und bin schon sehr gespannt darauf."

1. Juni 2014

Vom Kaffee und vom Schreiben

Ich erzähle sicher nichts Neues, wenn ich sage, dass ich wie viele AutorInnen ein Kaffee-Junkie bin. Vor meinem ersten Café au lait am Morgen spricht man mich besser nicht an. Auf Kaffee verzichten? Allenfalls bei ernsthaftem Krankheitsbefund oder wenn das Gebräu einfach zu schlecht wäre! In der Regel kaufe ich im Supermarkt, mehr oder weniger bewusst - und wenn möglich aus fairem Handel, nie als überteuerten Kapselmüll. Arabica-Bohnen müssen es sein, die Sorte aromatisch. Aber dies soll kein Artikel über Genüsse aus gerösteten Bohnen werden! Ich will darüber nachdenken, was unsere Texte und Bücher womöglich mit Kaffee gemeinsam haben könnten.


Irgendwann war Monatsende, mehrere Kunden hatten ihre Rechnungen nicht bezahlt, ich war fast pleite und freute mich: Mein Supermarkt hatte eine Großpackung italienischen Espresso mit fünf oder sechs Kaffeepäckchen zu einem sagenhaften Sonderangebotspreis. Den konnet ich mir gerade noch leisten und würde sehr lange an meinem Kaffee haben, also auch Benzin und Zeit sparen. Billigst, schnell, bequem, sofort im Haus. Nur dass ich vor lauter Sparsamkeit vergaß, genauer auf das schreiend rote Päckchen zu schauen. Nach dem ersten grausligen Schluck holte ich das nach: Kein Wort über die Bohnen oder die Röstung. Ich hatte schauderhafte Robusta-Bohnen eingekauft. Und sechs Päckchen miesen Geschmack vor mir ...

Unlängst, bei meinem Auftritt, bekam ich statt Blumen ein Geschenkpäckchen von der Veranstalterin. Man habe das schon lange statt Blumen eingeführt. Völlig übernächtigt öffne ich es am nächsten Morgen und zum Vorschein kommt ein Riesenpäckchen Kaffee aus dem Edelladen in der Innenstadt mit Rösterei, liebevoll mit Kaffeenougat verpackt und dem handschriftlichen Vermerk in Silberschrift, dass es sich um einen speziellen Monsooned Malabar handle - eine Bohnenspezialität, die vor dem Rösten dem Monsunregen ausgesetzt wird. Das erfahre ich, weil ich die Edelware im Internet suche. Denn meine Neugier ist geweckt! Nach meinem Monatsende-Grauen eine wahre Geschmacksexplosion, die ich zelebriere: sanft, aromatisch, schmiegeweich, mit einem Schokoladeton. Kostet genau das Doppelte vom normal guten Kaffee aus dem Supermarkt. Aber ich habe Blut, pardon, Aroma geleckt: Den würde ich wieder kaufen! Trotzdem.

Was hat das mit Büchern zu tun?
Es trifft so ziemlich mein Einkaufsverhalten bei Büchern. Manchmal habe ich schlicht kein Geld übrig und bin trotzdem lesehungrig und süchtig: Ich fahre zur Bibliothek oder lade mir ein billiges E-Book aus dem Großramschladen auf den Reader. Und manchmal darf es der Hochgenuss sein, dann will ich das Schleifchen aus dem Edelbuchladen ohne Stapelware - das goutiere ich dann. Ich kaufe fair ein, wenn mir danach ist - und nicht, wenn mir das die Moralkeulen von außen einhämmrn wollen. Manchmal zweifle ich an so manchem Bio-Label (zu Recht, wie man weiß) und dann ist der Hypermarché doch wieder der vernünftigere. Ich kannte mal einen kleinen Buchladen, der hat sein Personal übler behandelt als Amazon. Manchmal will oder muss ich auch einfach herumsauen, weil die Marke im Edelladen gar nicht herumliegt. Ich kaufe nach Gusto und nach Geldbeutel - und beides kann sehr schwanken.

Ich bin das, was vielleicht weder Amazon noch der unabhängige Buchhandel so wirklich mögen: Eine Multikanal-Einkäuferin; eine Verbraucherin, die nicht mehr nur einen Weg will, sondern alle. Und die das sehr spontan und nicht immer nach langem Nachdenken entscheiden möchte. Die oft auch bequem ist und es eilig hat - aber immerhin, mein Hypermarché hat einen Drive-in und die Edelrösterei versendet auch per Internet!

Die Diskussion, die derzeit wieder um die Rettung des Buchhandels aufflammt, kennen wir alle. Inzwischen hat mich auch schon eine Buchhändlerin angeherrscht, weil ich bei Facebook einen Amazonlink für die Kindle-Ausgabe eines meiner Bücher postete. Pfui aber auch. Finde ich aber nicht: Als Autorin muss ich an alle KundInnen denken. Und da sind halt auch mal solche dabei, die sich die Brühe im Massenladen holen wollen, warum auch immer. Würde diese Buchhändlerin denn mein Buch anbieten?

Aber auch diese Diskussion will ich jetzt gar nicht bedienen. Weil nämlich die Autorinnen und Autoren darin nur seltenst vorkommen. Die stehen ganz unten, wie die Leute, die die Kaffeebohnen pflücken. Nur, dass noch keiner einen Fair Trade angedacht hat: Wir legen dein Buch in den Edelladen, damit du es nicht mehr nötig hast, dich auf dem Weltmarkt verzocken zu lassen. Wir garantieren dir gute Mindesttantiemen. Was für ein Traum!

Was hat das mit dem Schreiben zu tun?
Es geht aber auch um den Text selbst. Mit dem all die Fragen um Wertigkeit und Genuss doch erst anfangen. Ich habe mich einmal gefragt, wie das in Zukunft mit dem Geldverdienen aussehen könnte, wenn unsere Bücher in immer weniger Buchläden überhaupt "vorkommen", wenn sie immer unsichtbarer im stationären Handel werden (das ist ja nicht erst seit Amazon der Fall). Ich frage mich, was aus unserem Einkommen würde, wenn "Geiz ist geil" sich durchsetzte, wenn die Preise für E-Books ins Bodenlose fielen oder Streamingdienste den Abruf ähnlich kläglich bezahlen würden wie Spotify unbekannte Musiker. Vielleicht sind wir eines Tages auch wirklich von einem einzelnen Moloch wie Amazon abhängig? Der dann die Tantiemen ganz ohne Verhandlungen diktieren könnte oder uns aussperrt. Könnte ich mir in einer solchen Welt überhaupt noch die miese Robusta-Bohne zum Frühstück leisten?

Ich habe eben mit der Premiere meines ersten Theaterstücks eine ganz besondere Erfahrung gemacht, die sich mit der Idee, Geschichten in den städtischen Raum zu bringen, fortsetzt. Die Kaffeebohne - das sind meine Texte. Die Kaffeerösterei - das bin ich! Da muss es im Regal eben die austauschbare Instantware geben, auch ich saufe sie manchmal im Stehen hinunter und habe den Geschmack dann gleich auch wieder vergessen. Vampirroman von Susi Rose, von Susi Veilchen und Susi Himbeer .... das ist so austauschbar geworden, so ununterscheidbar, dass es die Masse bringen muss, der Preis. Weil da sonst nicht viel Eigenes ist. Kein Wunder diskutiert man in solchen Kreisen das, was die Produzenten meiner schrill-roten Kaffee-Großpackung wohl auch diskutiert haben: Preisaktionen, Dumping, um Regalfläche im Großmarkt zu erobern, Etablieren über die Masse. So funktioniert das nun mal bei einer Käuferschicht, die entweder gerade geizig oder einfach nur arm ist.

Nun war ich für einen Tag jedoch die Kafeerarität. Höchstens 60 Menschen hatten Zugang zu meinem Text, der wie Kaffee veredelt war durch feinste Schauspieler. Nur wenige Menschen konnten mich erleben, noch weniger anfassen und noch weniger hinterher mit mir feiern. Aber was diese wenigen Menschen mir gaben und für mich taten, war ungleich mehr als ich das je bei einem Verlag erlebt habe. Und diese Leute waren berührt, tief berührt, erlebten Emotionen. Sie vergessen meinen Namen nicht und lesen meine Bücher freiwillig. Viele lesen nun alle der Reihe nach. Und natürlich habe ich an dem Abend auch Geld verdient - für das ich sonst viele Bücher verkaufen müsste.

Das ist etwas, was niemand heutzutage mehr für mich tut, wenn ich nicht den Spitzentitel bekomme, und was Amazon absolut nicht leisten kann: die Rarität, die besondere Marke erschaffen.
Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer schlimmer. Will heißen: Neben "Geiz ist geil" gibt es auch immer mehr Menschen, die in edle Ware investieren. Wenn selbst eine Arme wie ich bereit ist, das Doppelte für einen köstlichen Kaffee auszugeben, nur weil er köstlich schmeckt und für alle Sinne verpackt ist!

Ich glaube, dass wir vielleicht tatsächlich mit E-Books immer weniger verdienen werden - aus vielen, komplex gestalteten Gründen. Aber da draußen ist ein Hunger nach dem Mehrwert, nach Luxus, nach sinnlichem Erleben und Emotionen. Ich muss mich als Autorin anfassen lassen, Gefühle teilen, Emotionen wecken - das kann man geschützt sehr professionell tun. Wenn die Qualität stimmt, wenn der Geschmackssinn überwältigt wird, dann sind Kunden wieder bereit, zu zahlen. Sie wollen genießen. Sie wollen etwas, was nur Kleinstrukturen wirklich können, nicht Konzerne: Dieses Du-zu-Du.

Als Autorin bin ich die kleinste Kleinstruktur. Ich kann all die üblichen Wege gehen, solange es sich für mich lohnt. Aber wirklich lohnt sich für mich auch finanziell die Tuchfühlung mit meinen "Kunden" - der direkte Kontakt zu meinen Leserinnen und Lesern. Und darum entwickle ich künftig Bücher auch andersherum. Vom Storytelling her, vom Feedback her. Meine literarischen Spaziergänge sind Vorstufen, die irgendwann ins Buchprojekt münden sollen, vielleicht auch durch Crowd und Sponsoren mitfinanziert. E-Book als preiswerte Volksausgabe, den Luxus im Print, die Rarität gegen Eintritt live. Ich bin sogar so weit, dass ich mir vorstellen kann, auch den Verkauf zusätzlich auf mich selbst zu ziehen - mit einem White-Label-Autorinnenshop. Wo meine treuen Leser diejenige direkt unterstützen, die sie auch lesen wollen: mich.

Zukunftsmusik? Sicherlich. Aber man muss jetzt anfangen, sie zu erdenken. Ich glaube nicht an die Unkenrufe, die Amazons Weltherrschaft fürchten. Amazon macht in Robusta und Mischmasch und wird eines Tages so riesig sein, dass es bestimmte Dinge, die Kunden lieben, gar nicht mehr erfüllen kann. Konzerne können nicht alles. Kleinststrukturen können auch nicht alles. Was sie aber können: Sie sind die flexibelsten auf einem Markt, sind Risikofreude schon um des Überlebens willen gewohnt, sie können schneller und wendiger reagieren als jeder größere Apparat. Autorinnen und Autoren werden vielleicht in Zukunft die besten Guerillakämpfer fürs Buch sein. Wer eine Zukunft fürs Buch will, muss dessen SchöpferInnen hätscheln. Sie sollten wir pflegen, fair handeln ... sonst handeln sie eines Tages einfach alleine! Wie so manche Kaffeepflücker-Kooperative, die winzig und verlacht anfing und heute schon mal vom Hypermarché umbuhlt wird, weil sie etwas kann, was andere verlernt haben.

PS: Praktisch gesprochen werden demnächst meine E-Books nach und nach via Distributor auch in die Epub-Shops kommen, wobei ich mir über deren Marktanteile absolut nichts vormache. Aber dann haben all die Amazongegner eine Alternative. Und wenn ich Luft und Zeit habe, wird meiner Website ein eigener Shop angeschlossen, mit dem ich dann auch zur Buchhändlerin meiner selbst werde. Print gibt es weiterhin überall im Buchhandel, im stationären, online und natürlich bei Amazon.

Ich werde mir übrigens den Spaß machen zu untersuchen, wie viele meiner E-Books sich tatsächlich außerhalb von Amazon verkaufen werden und das prozentuale Verhältnis dann veröffentlichen.