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21. Mai 2014

Zwischenschweben

Es ist so weit, fast so weit. Nächsten Dienstag hat mein allererstes Theaterstück Premiere als szenische Lesung mit zwei fantastischen Schauspielern. Ich habe die Welt des Romans und der Sachtexte verlassen und lasse die Puppen tanzen: Vaslav Nijinsky und Sergej Diaghilew werden sich ziemlich in die Haare kriegen. Alle fragen mich, ob ich Lampenfieber hätte.

"Du wirst keine Tänzerin, lern was Ordentliches!"
Woran ich im Moment leide, ist etwas ganz anderes: Ein Gefühl der Unwirklichkeit. Weil ich mit aller Macht den Gedanken an den Auftritt verdränge, um eben nicht jetzt schon Lampenfieber zu bekommen, frage ich mich: Passiert das wirklich? Passiert das alles mir? Bin ich womöglich in eine Parallelwelt geraten?

Wahrscheinlich muss das so sein. Ich laufe mir das Gefühl mit meinem Hund ab, indem ich bewusst Rückschau halte: Wie kam es dazu? Wahrscheinlich muss dieses Gefühl auch sein, wenn man sich selbst einen völlig verrückten Traum ermöglicht, wenn man Jahre um Jahre hart an einem Thema arbeitet, leidet und zwischendurch auch mal wirklich nicht mehr weiß, wie man die nächsten Rechnungen bezahlen soll. Weil man diesen Weg weiterverfolgt, obwohl die Vernunft andere, lukrativere Arbeiten verordnen würde. Aber irgendwann muss man die Vernunft auch einmal ausschalten, wenn man an ein künstlerisches Projekt glaubt. Sonst wird es nämlich nie das: "vernünftige" Realität.

Auf dem Foto oben ist Karneval. Ich durfte ein Goldbändchen im Haar tragen und unterm russenroten Mäntelchen ein Prinzessinnenkleid aus Tüll. Was man auf dem Foto nicht hört, sind die Stimmen der Erwachsenen: "Eier nicht so herum, du machst deine Absätze kaputt! Du wirst ja doch keine Tänzerin, schlag dir das aus dem Kopf, lern was Ordentliches!" Man hat versucht, mir mit aller Macht im Elternhaus die Kunst an sich abzudressieren. Wer in unserer Familie künstlerisch tätig wurde, machte sich damit zum Schwarzen Schaf und lebte ausgestoßen - in einer Parallelwelt der "Anderen". Die mich höllisch faszinierten!

Es kommen dann die Jahre, wo man es doch versucht mit der Bürgerlichkeit. Aber wenn es einen durch und durch positiven Fluch gibt, dann ist es die Kunst. Sie kommt immer wieder durch. Und ich hatte das Glück, Menschen zu begegnen, die mich stärkten - wie den Deutschlehrer, der mir einschärfte: "Du kannst allen Quatsch im Leben machen, alles, was du willst. Aber höre nie und nimmer auf zu schreiben." Irgendwann bricht die Kunst durch, fordert ihren Raum. Und irgendwann, viel zu spät eigentlich, war ich dann so weit, mutige und verrückte Ideen zu entwickeln. So kunstfeindlich meine Kindheit war, sie hat mich für das gestählt, was ich später aushalten musste: Für eine Idee, an die man selbst glaubt, von anderen für verrückt gehalten zu werden. Oder von Menschen umgeben zu sein, die alles schlechtreden: Das schaffst du nie! Damit ist doch kein Blumentopf zu gewinnen! Arbeite doch was Ordentliches!

Ich selbst habe es nie geschafft und werde es nie schaffen, quer über eine Bühne "fliegen" zu können - wie es sich dieses kleine Mädchen erträumte und in ihren Träumen auch tat. Das können andere viel besser. Deren Können kann ich umso intensiver genießen. Aber ich habe mich langsam auf meine eigenen Art der Bühne angenähert, mit eigenen Auftritten, nun mit diesem Stück. Und was mich derzeit so trunken und ein wenig verwirrt macht: Ich habe es gegen alle Widerstände geschafft, aus eigener Kraft. Nur, weil ich es wollte. Weil mir das Träumen nicht reichte, weil ich einfach machte. Und schließlich Verbündete dafür begeistern konnte. Der beste Türöffner: Leidenschaft!

In jedem Moment liegt die Möglichkeit eines kompletten Scheiterns. Aber dann habe ich es wenigstens versucht! Und was ist Scheitern? Falls das Stück schlecht wäre? Falls es das Publikum nicht mitreißt? Nein, darin läge für mich nur eine Chance des Lernens, der Verbesserungen. Scheitern, das wäre für mich: Sich selbst zu verraten. Mein Talent zu verraten. Den bequemeren Weg zu gehen, bis Sicherheitsstreben die Kunst tötet.

Als ich das Stück schrieb, hatte ich unwahrscheinliche Probleme mit einem Monolog Nijinskys. Fachlich gesehen weiß ich, dass man in solchen Momenten in die eigenen Abgründe steigen muss - und bei einem Stück ist das ungleich stärker als bei einem Roman. Ich muss Nijinskys Emotionen hervorbringen, muss ihn das leben lassen. Man muss als Schriftstellerin nicht das Gleiche erlebt haben wie die Figuren, aber man muss abstrahieren können auf die Emotionen. Hat eine Figur Angst, kann ich das nur glaubhaft beschreiben, wenn ich selbst schon einmal Angst gehabt habe und mich daran erinnere.

Ich habe beim Entwerfen nicht bemerkt, wie nah mir die Szene wirklich ging. Obwohl sie sich auf ein anderes reales Leben bezieht, obwohl Nijinsky komplett andere Dinge erlebt und gelebt hat als ich, habe ich mir in diesem Monolog einen Kindheitstraum erschrieben. Das geht mir jetzt erst auf. Falls der Monolog funktioniert, wird Nijinsky in diesem Moment für mich über die Bühne fliegen, auch wenn er währenddessen eher erstarrt ist. Die Gänsehaut beim Schreiben hatte ich, weil ich im Schreiben mit ihm geflogen bin.

Nein, das ist noch kein Lampenfieber, das ist Staunen, eher dankbares Staunen, was man aus einem Leben machen kann.Das Lampenfieber dann ist ein notwendiges Instrument, genau zum rechten Zeitpunkt ein Höchstmaß an Bewusstheit und Aufmerksamkeit zu erreichen. So deppert und tappsig ich vorher dadurch werde, so klar und absolut ruhig bin ich in dem Moment, in dem ich auf der Bühne stehe. Ein Arzt hat mal gemeint, dieser Rausch aus einem Mix von Adrenalin und Endorphinen, der dann den Körper überschwemmt, sei auf die Dauer nicht gesund. Ich muss lächeln: Ernähren wir uns in der Kunst nicht oft gerade von diesem Rausch? Ist nicht der Applaus die eigentliche Belohnung für diese mühevolle und harte Arbeit, die keiner auch nur erahnen kann?

Die Menschen, die einem Steine in den Weg legen oder einem wohlwollend abraten, bitte ja nicht zu mutig zu werden - von denen überlebt ein Künstler sicherlich nicht. Wir brauchen Motivation, wir brauchen den unbeirrbaren Glauben an ein Projekt. Und wenn der zu bröseln droht, dann sind ein paar Endorphine so schlecht nicht. Und ein Publikum, das zu applaudieren weiß - was für ein Glück!

Aber es braucht auch das Abschalten und Erden vorher. Vom Alltag, den von allen Seiten zerrenden Pseudoverpflichtungen bis hin zu Mailverkehr. Ich bin also dann mal in der Parallelwelt und erst danach wieder zu sprechen!

11. Mai 2014

Eine vergessene Perle (1)

Es ist recht modern geworden zu glauben, man könne Bücher heutzutage extrem schnell herausbringen, vor allem, wenn man dafür die Technik eines E-Books wählt. Unter dem Label "Verlagslog", das künftig als Thema im Blogmenü auftaucht und jederzeit abgerufen werden kann, möchte ich darum tagebuchartig vom Entstehen eines Buchs in der Edition Tetebrec berichten. Kurz, knapp und hoffentlich informativ. Inspirierend, aber vielleicht auch abschreckend? Denn ein gutes Buch ist eines nicht: schnell gemacht!

Das Sujet:

Durch einen Zufall habe ich einen Bestseller der Jahrhundertwende um 1900 entdeckt, von einer Frau geschrieben, deren wahres Leben sich bereits liest wie ein spannender Roman. Die heute völlig vergessene Schriftstellerin, die sich für ihre Romane und Kurzgeschichten autobiographisch bediente, hat zum Glück damals auch Tagebuch geschrieben. Die meisten ihrer Werke gibt es zwar beim Projekt Gutenberg oder Zeno, aber nie hat sich jemand die Mühe gemacht, sie zu erklären, vielleicht zu kommentieren oder gar miteinander in Bezug zu setzen.
Den Roman, der ein Bestseller wurde, möchte ich neu herausgeben - aber dazu parallel die spannenden Berichte aus dem wahren Leben setzen. Und weil uns diese in sehr exotische und sehr vergangene Welten führen, sollten sie für ein heutiges Publikum kommentiert werden. Eine Biografie der vergessenen Schriftstellerin und ein eigenes Essay sollen das Buch ergänzen. Gleichzeitig bin ich auf der Jagd nach alten Fotos aus der Zeit - nie wurden ihre Werke illustriert, wohl aber jene Welten von zeitgenössischen Reisenden festgehalten.
Weil das Buch recht umfangreich werden wird (der Roman hat alleine ca. 280 Seiten) und das Risiko relativ groß ist, wird es zuerst einmal nur als E-Book erscheinen.

Die Vorarbeiten:

Gemeinfreie Werke sind nur im Original gemeinfrei. Von Gutenberg und anderen Organisationen aufbereitete Texte verlangen bei kommerzieller Nutzung den Erwerb einer Lizenz, außerdem wurden sie meist bearbeitet (und sind in dieser Bearbeitung nicht mehr unbedingt gemeinfrei).

Suche im Antiquariat: Durch ein unwahrscheinliches Glück habe ich die Originale beider Bücher bei einem Fachantiquar erstehen können. Großes Glück für die Produktion: Sie sind nicht in Fraktur gesetzt. Jetzt heißt es Einscannen und mittels OCR in Textform bringen.

Was dabei herauskommt, ist an manchen Stellen ziemliches Gemüse - es muss korrekturgelesen werden, anhand des Originalbuchs. Ein Haufen Arbeit!

Für die Texterfassung bei der E-Book-Herstellung (ich verwende dafür das Profiprogramm Jutoh) muss ich in Word möglichst ohne Formatierungen arbeiten, aber die späteren Kapiteltitel als Überschriften formatieren. Jutoh wird beim Einlesen der Datei hier automatisch einzelne Sektionen schalten, die den späteren Kapiteln entsprechen.

Bevor es soweit ist, muss ich entscheiden, ob und wie weit ich die Sprache und Rechtschreibung der Autorin "glätte", denn in nunmehr über 100 Jahren hat sich einiges verändert. Nun folgt ein weiterer Korrekturvorgang unter diesen Gesichtspunkten. Ich entscheide mich für den möglichst schonenden Eingriff: Vor allem die ß-ss-Schreibung wird modernen Zeiten angepasst, auch die Getrenntschreibung mancher Worte. Möglichst wenig greife ich ein bei ausländischen Namen, weil sie historischen Karten entsprechen und nur so in zeitgenössischer Begleitliteratur zu finden sind. Eine genauere Erklärung ist hier Sache des Essays.
Vor allem in den Tagebüchern bringt die welterfahrene Autorin Zitate oder kurze Passagen in Fremdsprachen. Soll ich direkt oder nur in Endnoten übersetzen? Ich entscheide mich für die Endnoten, um das originale Flair nicht zu zerstören. Endnoten und Übersetzungen werden nachher eigens lektoriert werden müssen.

Die Tagebücher muss ich genau lesen, um zu entscheiden, welche Passagen relevant sein werden für meinen Stoff. Sie sind nämlich äußerst umfangreich und teilweise geschwätzig - sie waren nicht für die Veröffentlichung geschrieben gewesen. Für die Kommentierung werde ich vor allem damals bekannte Personen recherchieren müssen. Das ist herausgeberische Arbeit - ich muss die Zusammenhänge durchschauen, die historische Materie kennen. Dazu muss ich eine Menge recherchieren.

Noch habe ich es also "nur" mit gemeinfreien Texten zu tun, die andere bedenkenlos bei Amazon einkippen würden. Aber mit dem Original fängt für mich die Arbeit erst an. Jetzt muss ich die Texte so weit perfektionieren, dass ich sie ins E-Book-Gestaltungsprogramm einlesen kann. Von den Pannen oder besonderen Herausforderungen dabei dann in der nächsten Folge ... dranbleiben!

9. Mai 2014

Lavendelblues: Ein Roman wie ein Film

Stolze acht Jahre hat mein Roman Lavendelblues schon auf dem Buckel (oder sagt man Buchrücken?) - aber das merkt man ihm überhaupt nicht an! Denn eine wirtschaftliche Krisensituation, wie sie die Protagonistinnen schüttelt, kennen wir aus unserer Gegenwart sogar noch deutlicher:
Dahlia steht mit ihrem Romantikladen kurz vor der Pleite, die Jazzsängerin Estelle tingelt durch zwielichtige Bars. „Krise“ beherrscht als Stichwort den Alltag. Als wieder einmal eine von Brunis schwärmerischen Postkarten aus Südfrankreich eintrifft, platzt den Freundinnen der Kragen. Einmal noch wollen sie in diesem Paradies Kraft tanken.
Doch im Quercy erleben sie ihr blaues Wunder: Nichts ist, wie es schien, ein ganzes Dorf wird auf die Probe gestellt. Von französischer Lebenslust angesteckt, verscheuchen die drei Freundinnen den Lavendelblues, um einen völlig verrückten Traum zu verwirklichen.
Zuerst als TB bei BLT / Lübbe erschienen, inzwischen als E-Book in der Edition Tetebrec.

Lavendelblues: Südliche Lebenslust aus Frankreich
Spannend ist es, wenn man wie ich eben auf die alten Bewerbungspapiere stößt, die längst verstaubt und ausgedruckt vor sich hindämmerten. Was habe ich mir damals Mühe gegeben, dem Verlag bei der Bewerbung in die richtige Richtung zu stoßen - den Südfrankreichroman voller Lebenslust! Und da heißt es denn in alten Unterlagen für die Verlagsvertreter:
Ein Roman wie ein Film: Als hätte Marcel Pagnol bei "Babettes Fest" "Chocolat" serviert

Das Dorf, dessen Bewohner der Krise die Stirn bieten
Der vollmundige Spruch hat übrigens vor acht Jahren nichts genützt. Man meinte im Verlag, "freche Frauen" seien gerade Trend ... ein Image, dass ich erst loswurde, als ich mich selbst um das Buch kümmerte. Nein, das ist alles andere als ein "Frecher-Frauen-Roman", dazu ist selbst die Sprache zu duftig!

Das ZDF urteilte dann folgerichtig auf seiner Website: "Dieses Buch beschreibt französische Lebensart und -freude pur."

Und beim SWR hieß es: "Ein Roman ideal fürs Sommergepäck! Auch wenn die Aufmachung es vermuten lässt - das ist kein "leichter Frauenroman", sondern ein köstlich humorvolles Buch über drei Frauen zwischen deutscher Krise und französischem Lebensgefühl, die versuchen, ein Geschäft zu retten. [...] Die Autorin hat mich begeistert mit ihrer poetischen Sprache, mit der man mit allen Sinnen miterlebt. Macht Laune und vermittelt obendrein noch neue Ideen!"

Als hätte Marcel Pagnol bei "Babettes Fest" "Chocolat" serviert!

Da war noch etwas in der Kiste. Und damit möchte ich mich bei allen Leserinnen und Lesern bedanken, die diesen Roman lieben. Es ist ein Rezept, das natürlich im Roman nicht vorkommt, aber von Yves, einer der Figuren im Buch, in seiner herrlichen Küche zubereitet wird:

Lavendeleis

Zutaten
1 EL Lavendelblüten fein mahlen (im Mörser oder mit dem Zucker im Mixer)
250 ml Wasser
250 ml Milch
250 ml Schlagsahne
150 g Zucker

Wasser, Milch, Zucker mit Lavendelblüten verrühren, kurz aufkochen und 12 Stunden ziehen lassen. Sahne steif schlagen und mit der abgekühlten, kalten Lavendelmilchmischung verrühren. Tiefkühlen und öfter rühren oder in der Eismaschine zubereiten.
Sehr hart gefrorenes Eis lässt sich besser servieren, wenn man es eine Weile vor dem Servieren aus der Gefriertruhe nimmt. Evtl. mit frischen Lavendelblüten oder kandierten Rosenblütenblättern dekorieren.

Und zum südlichen Lesevergnügen geht es hier entlang: E-Book für Kindle. Das E-Book im epub-Format ist in Vorbereitung!

8. Mai 2014

Für Büchermacher

Ich darf mich heute sehr kurz fassen, denn der Artikel, den ich empfehlen möchte, ist lang, intensiv, klug und nicht durch Überfliegen zu lesen: "Bridging the Gap: Why Publishing's Future is at Risk" von Baldur Bjarnason. Er richtet sich vor allem an diejenigen, die Bücher produzieren und verkaufen, also Verleger und Selbstverleger, ist aber auch für Autoren hochinteressant, die sich als Unternehmer begreifen. Wie wird der Buchmarkt die digitale Revolution überleben?

Bjarnason denkt anhand einer überraschenden Analogie über die Zukunft von Büchern nach - nämlich dem Aufkommen von Autos mitten in einer Zeit der Pferde. Es lohnt sich, ihm Zeile für Zeile zu folgen, denn jedes vorschnelle und bequem wirkende Heilsversprechen für ein Überleben nach altbekannter Masche entkräftet er sofort selbst. Für Büchermacher ist dieser Artikel ein Must, auch wenn er etwas "länglich" zu lesen ist.