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Was aussieht wie eine Collage von Alexandra Exter, ist der Liegeplatz eines verwöhnten Welpen |
Inzwischen haben sich Forscher ernsthaft mit den Qualen aufgrund eines Überangebots beschäftigt. In einer Welt, in der fast alles käuflich zu erwerben ist, in der sogar ständig neue Produkte auf den Markt kommen für Bedürfnisse, die ich im Alptraum nicht ahnte ... da frohlockt der Konsument nicht nur. Er fühlt sich frustriert. Deprimiert. Es wird ihm einfach alles zu viel. Manchmal so zu viel, dass er sich dem Konsum sogar verweigert.
Vor Jahren hat der Focus dazu eine Titelstory geschrieben und u.a. mich dafür interviewt - als Beispiel für eine, die "reduziert" hatte. Ich war ziemlich frisch aus der Millionenstadt Warschau, diesem hypermodernen wimmelnden Zentrum des Neokonsums, zurückgegekehrt ins Landleben Frankreichs. Für den Redakteur war es damals schon eine Sensation, dass jemand nicht täglich in einer Stadt war und erst vorsätzlich mit dem Auto hinfahren musste. Dass jemand kein Interesse an 1001 Shampoosorten hatte, dafür aber noch Zeit fand, Marmelade einzukochen und Küchenkräuter zu ziehen. Der Fotograf kam mit einer alten Klapperschreibmaschine, um mich am Tisch mit Naturkulisse hinterm offenen Fenster abzulichten. Mit Espressotasse und Blumenvase, das machte sich passender als das neueste Modell des Computers, an dem ich tatsächlich arbeitete - in einem sehr schattigen Büro übrigens. "Die Leser sehnen sich nach dieser Einfachheit", meinte der Redakteur. Damals jubelte man noch einem Guru zu, wenn er "simplify your life" rief ...
Kürzlich machte ich eine Beobachtung in Sachen Überangebot: Welpe Bilbo hat in wenigen Wochen einen wahren Reichtum an Spielzeug angesammelt. Das wird gern an die unterschiedlichen Liegeplätze in der Wohnung geschleppt. Mal ist der gefundene Apfel dran, dann der Markknochen, den der Vorgänger in meiner Bibliothek versteckt hatte; da gibt es ein Knautscheschwein und einen toten Volleyball und ein Geschirrtuch zum Tauziehen. Die Menschin dachte, sie sollte mal aufräumen und platzierte das alles an einem einzigen Liegeplatz. Prompt stellte der Hund jegliches Spielen ein! Gelangweilt schaute er sich die Sachen an, fand seinen Liegeplatz nun gar nicht mehr reizvoll und schlappte missgelaunt in den Garten. Dort grub er einen älteren Wirbelknochen aus und platzierte ihn fast trotzig in der Mitte. Das ist Spielzeug, das will ich, nicht deinen ganzen wohlfeilen Krempel, schien mir sein Blick zu sagen.
Menschen sind lernfähig. Deshalb gibt es seinen Lieblingsknochen, ein eklig knatschiges Ding, an dem noch die Fetzen hängen, nur auf Zuteilung. Menschin verbuddelt das Ding bildhaft in der Küche und rückt es nur manchmal heraus. Wenn der Hund sich etwas ganz Besonderes verdient hat. Und siehe da, es passiert Interessantes: Alles Spielzeug dieser Welt verliert sofort jeglichen Reiz. Da kann das Quietscheschwein noch so teuer gewesen sein, das Wurfding noch so ergonomisch wertvoll, Welpe Bilbo vergnügt sich Stunden an seinem wertvollen Aasknochen, den Zweibeiner am liebsten im Müll sähen. Und dann fängt er an, sein Spielzeug wieder auf die Wohnung zu verteilen, nach einem geheimen Muster, das nur er kennt. So viel steht fest: Er hat nie mehr als drei Teile gleichzeitig im Blick. Fängt an zu wandern. Sucht aus. Und apportiert, was er haben möchte. Trotzdem kommt nichts, aber auch gar nichts an den Status seines ekligen alten Knochens heran.
Ich habe viel nachgedacht über die Langeweile eines Hundes angesichts der Überfülle - und sein Begehren nach dem Einfachsten aller Dinge. Das doch so authentisch ist, so klar dieses Ding selbst. Das man nicht mal so gleich und überall hundertfach und austauschbar kaufen kann. Das in seinem Geruch unverwechselbar geworden ist.
Verhält es sich nicht genauso mit dem Buchmarkt?!
Wenn plötzlich immer mehr Cover sich derart ähneln, dass sie austauschbar werden, wenn plötzlich 1001 Vampirromane zu haben sind - entwertet das nicht das Produkt? Könnte mir dann als Leserin im Laden nicht plötzlich genauso übel werden wie im Supermarkt? Weil meine Mittagspause bald vorbei ist, ich auf die Schnelle nicht mehr finde, was mich wirklich befriedigen würde? Empfinde ich noch Leselust oder schon Lesefrust? Zu viel Kram und zu wenig das, was ich wirklich liebe?
Mein Hund hat mich etwas gelehrt und ich denke darüber nach: Was, wenn ich statt der ständigen Verfügbarkeit von all diesen genormten Selbstverständlichkeiten genau das bieten könnte, was jenes Begehren weckt? Es muss manchmal nur ein einfacher Knochen sein. Aber auch Leser haben ihre Lieblingsknochen, auch sie kauen manchmal jahrelang immer wieder auf dem gleichen Buch herum. Was aber macht dieses Buch für sie so einzigartig?
Mein Hund wählt nicht nach Verfügbarkeit. Er wählt nicht nach dem Preis. Die Stapelware von der Kasse, der absolute Hundebeststeller, das Quietscheschwein liegt seit Tagen unbeachtet in der Ecke. Er begehrt diesen einen Knochen, den er nur manchmal haben kann. Er hat Lust auf diesen Knochen. Und ganz gewiss ist da auch ein Bedürfnis (das Zahnen), das ihn wertvoller macht als den toten Volleyball.
Bilbo, erzähl mir mehr über das Vermarkten von Büchern!